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ZEITSCHRIFT FOR HISTORISCHE FORSCHUNG · 1ungsprozeßll wurde diese Rechtfertigung des...

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~ ZEITSCHRIFT FOR - HISTORISCHE FORSCHUNG Herausgegeben von Johannes Kunisch, Klaus Luig, Peter Moraw Volker Press 8. Band 1981 DUNCKER & HUMBLOT I BERLIN
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ZEITSCHRIFT FOR-HISTORISCHE FORSCHUNG

Herausgegeben von

Johannes Kunisch, Klaus Luig, Peter Moraw

Volker Press

8. Band 1981

DUNCKER & HUMBLOT I BERLIN

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ZUM BEGRIFF DER GLüCKSELIGKEITIN DER KAMEnALISTISCHEN STAATSLEHRE

DES 18. JAHRHUNDERTS (J. H. G. v. Justi)*

Werner Conze zum 31. Dezember 1980

Von Ulrich Engelhardt, Heidelberg

Das heute fremd anmutende Wort "Glückseligkeit" - eine eigentüm-liche Komplementärform zu "Glück" - wie seine griechisch-lateini-schen Entsprechungen (EW~Gn!lO"Ca. felicitas) bezeichnen nicht nur eineDominante einzelmenschlichen Denkens und Handelns, Seit der Antikeumschreiben sie. vielmehr wiederholt auch einen maßgeblichen Richt-wert bei der Zweckbestimmung sozialer und politischer Ordnungen!- gegenwärtig greifbar z. B. in zahlreichen Publikationen, in denen"Das Experiment Glück" (z. T. schon im Titel) erwartungsvoll oderskeptischauf seine Substanz und speziell auf seine Eignung als gesell-schaftspolitische Gestaltungsidee befragt wirdt, Vor allem als Benen-nung für Folgezustand und Ausdrucksweise des jeweils angestrebten

• Erweiterte u. mit Anmerkungen versehene Fassung eines Vortrags, denich am 28. 5. 1980 im Rahmen meines Habilitationsverfahrens bei der Philos.-Histor. Fakultät der Universität Heidelberg gehalten habe. Im Interesseeiner möglichst weitgehenden Geschlossenheit sind differenzierende Erläu-terungen u. ,Seitenlinien' der Gedankenführung zum größten Teil in die An-merkungen verwiesen.Anregungen u. Kritik verdanke ich den Herren Werner Conze (Heidelberg),

Wolfgang von Hippel (Mannheim), Diethelm Klippel (Regensburg) u. VolkerSellin (Stuttgart). '1 VgI. den (allerdings auf philos. u. theolog. Stimmen beschränkten) über-

blick bei J. Ritter, O. H. Pes ch u. R. Spaemann. Art. ,Glück, Glückseligkeit',in: J. Ritter (Hrsg.), Hist. Wb. d. Philos., Bd. 3, Basel u. Stuttgart 1974,Sp. 679 ff. - Aufschlußreich auch für die hier behandelte Problematik:V. Sellin, Art. ,Politik', in: O. Brunner IW. Conze I R. Koselleck (Hrsg.),Geschicht!. Grundbegriffe, Bd. 4, Stuttgart 1978, S. 789 ff.I Zitat: So der Titel der "Entwürfe zu einer Neuordnung der Gesellschaft"

von G. R. Tay tor, dt. Frankfurt a. M. 1978 (Fischer-TB 2006). - Dazu vierbeliebige Beispiele (s. a. Anm. 226): A. Mitscherlieh u. G. Kalow (Hrsg.),Glück - Gerechtigkeit. Zwei Gespräche über zwei Hauptworte, München1976; ,Was ist Glück? Ein Symposium', München 1976 (dtv 1134); B. Russell,Eroberung des Glücks. Neue Wege zu einer besseren Lebensgestaltung, Dt.Frankfurt a. M. 1977; K. O. Hondrich, Machen soz. Reformen glücklich?Gleichheits- u. Freiheitsbestrebungen in der spätindustriellen Gesellschaft(1975), in: U. Teichmann (Hrsg.), Probleme der Wirtschaftspol., Bd. I, Darm-stadt 1978, S. 209 ff. . -

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oder für erreicht gehaltenen bonum commune kann "Glückseligkeit"das Interesse des Historikers beanspruchen.

Dies gilt besonders im Hinblick auf die aufklärungsphilosophischePublizistik des sog. jüngeren Kameralismust, also der staatswissen-schaftlichen Systematik ,des' aufgeklärten Absolutismus', die in ihrenKryptonachwirkungen bis in spätere Sozialstaatsentwürfe zu verfolgenist5• Wohl selten verdichten sich politisch-sozialmoralische Leitvorstel-lungen so deutlich wie hier zu einem übergreifenden Schlagwort: Wardoch in geradezu inflationärem Ausmaß von "Glückseligkeit" die Rede.

In diesem - wie Kant kritisch anmerkte - ,.Losungswort allerWelt"8 wird die zentrale, als allgemeinverbindlich gedachte Ordnungs-vorstellung der Kameralistik erkennbar: der Gedanke staatlicher For-mulierung und Steuerung von Individual- und Gesamtinteresse(n). Ineiner Entwicklungsphase der "modemen Welt"7, in der die vom Libera-

• Statt vieler einzelner Literaturhinweise zur Erörterung von Inhalten u.Systemcharakter ,des' Kameralismus (einseht Unterscheidung zw... älterem"u. "neuerem" oder "wissenschaftlichem" K.) u. ZU der bes. seit Zielenziger(Anm. 5) immer wieder erörterten Frage der Abgrenzung zw. "Kameralismus"u. "Merkantilismus" jetzt die Lit.- u. Problemübersicht bei E. Dittrich, Diedt. u. österr. Kameralisten, Darmstadt 1974, bes. Abschn. I u. (zur Ausbildung,des' Kameralismus) S. 37 ff., Zu den wissenschaftsgesch. Eigentümlichkeiten dieser (1847 von Roseher

eingeführten) Epochenbezeichnung vgl, V. SeIZin, Friedrich d. Gr. u. deraufgeklärte Absolutismus. Ein Beitrag zur Klärung eines umstrittenen Be-griffs, in: U. Engelhardt IV.Sellin I H. Stuke (Hrsg.), Soz. Bewegung u. polit.Verfassung, stuttgart 1976, S. 83 ff., bes. S. 86 ff. (u. die dort gen. Spezial-literatur) .. I VgI. A. W. Small, The Cameralists, Chicago u. London 1909 (Neuauf!.o. J.), S. 86; dazu (skeptisch) schon K. Zielenziger, Die alten dt. Kameralisten,Jena 1914, S. 12 f. (s. a. S. 56 ff.); ferner L. Sommer, Die österr. Kameralistenin dogmengeschichtl. Darstellung, Neudr. d. Ausg. Wien 1920 - 25, Aalen 1967,T. H, S. 456 ff.; s. a. Verdross (Anm. 8), S. 272; außerdem unten, Anm. 223 -225. .• Zit. n. R. Eisler, Art. ,Glück (Glückseligkeit)', in: ders. (Bearb.), Wb. d.

philos. Begriffe, 3. Aufl. Berlin 1910, S. 443 ff. (445). - Charakteristisch sinddie einschlägigen Artikel in den Enzyklopädien des 18. Jh., vor allem :I. H.Zedler, Großes vollständ. Universal-Lex. aller Wissenschaften u. Künste •.. ,Bd. 10, Halle u. Leipzig 1735, Sp. 1703 f., Art. ,Glückseligkeit' (s.a. Sp. 1501 r,Art. ,Glück'); sehr viel ausführlicher dann der Art. ,Glückseligkeit' (23 Sp.)in: ,nt. Encyclopädie oder Allg, Real-Wb. aller Künste u. Wissenschaften voneiner Gesellschaft Gelehrten', Bd. 12, Frankfurt a. M. 1787, S. 657 re, (Verf.:H. M. G. Köster, Prof. der Gesch., Politik u. Kameralwiss. sowie nPäd-agogiarch" in Gießen; dazu L. C. Adelung u. H. W. Rotermund, Forts. u. Er-gänzungen zu Chr. Gott!. Jöchers allg. Gelehrten-Lexico ••.• Bd. 3, Delmen-horst 1810, Sp. 687 ff.). - Für den Auffassungswandel im 19. Jh. (s. a. Anm.218) aufschlußreich: R. Seycf,el, Art. ,Glückseligkeitslehre' (ausschließl. philos.Begriffstradition; Kameralisten nicht erwähnt) in: J. S. Ersch u. J. G. Grober(Hrsg.), AUg. Encyklopädie der Wissenschaften u. Künste •••, 1. Sect., T. 70,Leipzig 1860, S. 274 ff., bes. S. 284 f. (Aristoteles u. Stoa), S. 290 ff. (16.117. Jh.)u. S. 292 ff. (18. Jh.).. ,.

7 Dazu R. Koselleck (Hrsg.), Studien zum Beginn der modemen Welt,Stuttgart 1977; s. a. Dittrich (Anm. 3), bes. S. 25ff., 35 ff. u. 123 f.; H. Maier,

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Zum Begriff der Glückseligkeit in der kameralistischen Staatslehre 39

lismus dann grundsätzlich bestrittene Einheit von ,Staat' und ,Ge-sellschaft', von ,Politik' und ,Ökonomie', bereits problematisch zu werdenbegann, erfuhr das traditionsreiche Integrationstheorem vorn (all)ge-meinen Bestens im Leitbegriff der Glückseligkeit faktisch eine tief-gehende Umwertung i. S. wohlfahrtsstaatlicher Omnipotenz der Obrig-keit mit korrespondierender "Sozialdisziplinierung" des Untertanen-verbandst, Ehe dies durch eine Begriffsanalyse verdeutlicht wird, müs-sen einige Hauptetappen des vorhergehenden Begriffsverständnisseswenigstens thesenhaft-schematisch (und daher stark vereinfacht) cha-rakterisiert werden.

In der aristotelischen Polisphilosophie als frühester Entfaltungdes Glückseligkeitsdenkens wurde e\)e~I!.I0u(~ bzw. eu~7lu zum "höchsten[irdischen] Gut" erklärt (im Unterschied zu 11~)(GtpI6't"lj., d. h. "Selig-keit und Heil als Stand des göttlichen Lebens"). Gemeint war dieVerwirklichung des Selbstseins durch Tüchtigkeit (xGt't' c1pe'tilv), d. h. einvollendetes, über 'sich selbst nicht hinausweisendes "Seinkönnen desMenschen": ß(o~ d]"elolj in einer vernunftgegründeten politischen Ge-meinschaft der von materiellen Zwängen freigesetzten Bürger (ßlo,7to]"l'tIxo,)10. In einem komplizierten, Mer nicht nachzuzeichnenden Wand-

Die Lehre von der Politik an den dt. Universitäten vornehml. vom 16. bis18. Jh., in: D. Oberndörfer (Hrsg.), Wiss. Politik, Freiburg 1962, S. 59 ff., bes,S. 88 ff.: H. Maier, Die ältere dt. Staats- u Verwaltungslehre (Polizeiwiss.),Neuwied u. Berlin 1966, bes. T. 2 u. S. 308 ff. '., "

8 Zu Tradition u. Vielfalt des bonum-commune-Gedankens in der Rechts-u. Staatsphilos. vgl. A. Verdross, Abendländ. Rechtsphilosophie, 2. Aufl., Wien1963, bes. S. 268 ff.; C.-A. e, Heyl, Art. ,Gemeinwohl', in: W. Schneemelcheru. R. Herzog (Hrsg.), Ev. Staatslex., Stuttgart u. Berlin 1966, Sp. 6ll f.; s. a.H. L. Stoltenberg, Gesch. der dt. Gruppwissenschaft (Soziologie) mit bes. Be-achtung ihres Wortschatzes, Leipzig 1937, passim, u. a. S. 35, 41, 55 f., 149,225 r, u. 4ll f. (Gemeinnutz u, Varianten) sowie S. 97, 151 f., 203, 216, 220 u.298 (Wohlfahrt); vor allem W. Merk, Der Gedanke des gemeinen Besten inder dt. Staats- u. Rechtsentwicklung, in: ders. (Hrsg.), Festschr. AlfredSchultze ... , Weimar 1934, bes. S. 502 ff.; s. a. S. 453 ff., bes. S. 476 ff. (zahl-reiche Beispiele aus mittelalterl. Rechtsquellen, aufgegriffen bei Maier,Polizeiwiss. [Anm. 7], S. 79 f.); ferner S. 170 ff. u. 193 ff. sowie S. 452 (überJohann Eisermann, Vom Gemeinen Nutz ... , Marburg 1533; ausführl. dazu:W. Zimmermann, Der Ökonom. Staat Landgraf Wilhelms IV., Marburg 1933/34, Bd. 1, S. 383 ff.). . . ..• G. Oestreich, Strukturprobleme des europ. f\bsolutismus (1968), in: ders.,

Geist u. Gestalt des frühmodernen Staates, Berbn 1969, S. 179ff., bes. S. 187 ff.(dazu aber J.' Brückner, Staatswiss., Kameralismus u. Naturrecht, München1977, S. 280 ff., bes. S. 281); s. a. Anm, 191 sowie Merk (Anm. 8), S. 509 ff., bes.S. 514ff.; für den Gesamtkomplex noch immer wichtig: M. e. Reusner, Ge-meinwohl u. Absolutismus, Berlin-Charlottenburg 1904, bes. S. 111 ff. (aus-führI. Darstellung des Gemeinwohl- u. Glückseligkeitsprinzips als Kernge-danke der absolutist. Staatsauffassung, unter Einbeziehung Rußlands). .

10 Dazu eingehend J. Ritter, Das bürgerl. Leben. Zur aristotel. Theorie desGlücks (1956), in: ders., Metaphysik u. Politik, Frankfurt a. M. 1969, S. 57 ff.,bes S. 66 ff. 82 ff. Definitionen: S. 68 u. 87 f.; s. a. S. 102 (aus dem GlUckstoposen~ickelte; polisbegriff) u. S.' 92 if. (individuelles u. gemeinschaft!. Glückletztlich identisch, da interdependent u. nur im "Stande des Bürgers" mög-

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1ungsprozeßll wurde diese Rechtfertigung des Glückseligkeitsstrebensund seine ethische Bindung an den Bereich politisch-freien Zusam-menlebens durch die von der Stoa ausgehende ,Verinnerlicherung' ge-wissermaßen entpolitisiert und schließlich <lurch ,die' christlich-mit-telalterliche Eschatologieins Jenseitige transzendiert. Seit Plotin undbesonders seit Augustin und Thomas von Aquin war ,l'la:nl1ou(a; oder1at. felicitas im wesentlichen nur mehr als Vorahnung der ewigenSeligkeit denkbar, der biblischen l1:1txa;plo't"ll' bzw. beatitudo (Vulgata);ja, "Glückseligkeit" wurde letztlich zur "gnadengeschenkten seligenGottesschau nach diesem Leben", war also kein diesseitig voll erreich-barer Zustand und ließ sich folglich im politischen Gemeinwesen nichtmehr restlos verwirkllchenv. Durch seine scharfe Betonung der Ge-richtsvorstellung schnitt LutheT dann zwar auch die Möglichkeit ab,"die Eschatologie vom Beatitudo-Gedanken her zu entfalten"I:!; zugleichjedoch entwickelte er eine politisch-sozial vielfältig wirksame theologi-sche Fundierung "einseitiger Sorgepflicht der Obrigkeit" für das geistig-geistliche wie materielle Wohl der (gehorsamspftichtigen) Untertanen'<,die in der protestantischen Aufklärungstheologie insbesondere des18. Jahrhunderts weitgehend säkularisiert wurde=. Aber erst mit der

,lich); äers., Art. ,Glück' (Anm. 1), bes. Sp. 682ff.; zur Rezeptionsgesch.vorallem M. Riedet, Aristoteles-Rezeption am Ausgang des 18. Jh., in: Histor.Sem. d. Univ. Hamburg (Hrsg.), Alteuropa u. die moderne Gesellschaft,Festschr. f. O. Brunner, Göttingen 1963,S. 278£l., bes. S. 283ff.; ders., Meta-physik u. Metapolitik, Frankfurt a. M. 1975,bes. T. 2, S. 109ff. (betr. Glück-seligkeit bes. S. 41,58f., 147u. 223);MaieT,Polizeiwiss.(Anm.7),bes. S.200ff.;Brilckner (Anm. 9), S. 270ff.; zur Gesamtentwicklung seit der Antike außerWing (Anm. 16) auch den lehrbuchartigen Aufriß von H. Reiner, Die philos.Ethik, Heidelberg 1964.

11 Dazu vor allem den Überblick bei Ritter, Art. ,Glück' (Anm. 1),Sp. 680ff.11 VgI. Pesch, Art. ,Glück' (Anm. 1), Sp. 691ff., bes. Sp. 691f. (Augustins

Identifizierung von beatitudo = l1a;xa;plo't"ll'. mit felicitas = aClea;ll1ouCa;)u. Sp. 694f. (Thomas v. Aquin); VeTdross (Anm. 8),S. 62ff. u. 269 (Augustin)bzw. S. 71ff., bes. S. 78ff. (Thomas);s. a. Maier, Politik (Anm.7),bes. S. 65ft.u. ders., Polizeiwiss. (Anm. 7), S. 203ff.; außerdem schon J. Haußteiter, DerGlücksgedanke bei Plato, Aristoteles u. Spinoza, Diss. phil. (masch.)Greüs-wald 1923;S.Huber, Die Glückseligkeitslehre des Aristoteles u. hI. Thomas v.Aquin, Freising 1893. .

18 Pesch, Art. ,Glück' (Anm. 1), Sp. 696;umfassend: W. Etert. Morphologiedes Luthertums, 2 Bde., München 1931/32, vor allem Bd. 2, Kap. 4 u. 5,bes. S. 409ff., S. 446ff. u. S. 492ft.

14 Dazu schon Sommer (Anm. 5), T. 11,S. 1ff., bes. S. 31ff. (Einfluß aufJ. J. Becher [soAnm. 40]; s. a. E. v. Hippel, Gesch. d. Staatsphilos. in Haupt-kapiteln, Bd. II, Meisenheim 1957.S. 21ff.• bes. S. 30ff.; Maier. Polizeiwiss.(Anm.7), S. 193f. (unter Bezug auf einschläg.Lit. wie O. Dittrich u. E. EIert)u. 204f.; für Einzelheiten: G. Wolf! (Hrsg.),Luther u. die Obrigkeit, Darm-stadt 1972. .ISVgI. in diesem Zusammenhang die wirtschaftswiss. Diss. (masch.) von

E. Hahn, Die Bedeutung des Luthertums für die Entw. der Grundlagen derkameralist. Wirtschaftslehre, Göttingen 1942,T. n, S. 62ff.: (bes. S. 85 u,105f.). Eine Auseinandersetzung mit demVersuch,die "Übereinstimmung vonLuthertum u. Kameralismus" (speziellJusti) zu belegen (Abschn.Ill, S. 107ff.,

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Zum Begriff der Glückseligkeit in der kameralistischen Staatslehre 41

Reaktualisierung der antiken Lehre vom summum bonum durch diesog. älteren Naturrechtier des 17./18. Jahrhundertsw erhielt der Glück-seligkeitsbegriff seine uneingeschränkt profane Bedeutung zurück undgewann damit sein (neuzeitlich) staatszweckbestimmendes Gewicht.

Vor allem Christian Wolff (1679 -1754), der für die kameralistischeMenschen- und Weltauffassung einflußreichste Bezugsphilosoph'", de-finierte Glückseligkeit als "Zustand einer dauerhaften Freude" durchvernunftgemäßes, d. h. naturkonformes "und also tugendhaftes" Han-deln18• In seinen ,Vernünfftigen Gedancken von dem gesellschafftlichen

bes. S. 109, 145, 153 u. 155 f.), ist hier nicht möglich. Obwohl der Verf. mehr-fach Zitate von Justi anführt, die die Glückseligkeitszielsetzung enthalten,geht er mit keinem Wort auf dessen säkularethisch-eudämonist. Staatszweck-bestimmung ein u. fragt daher auch nicht, ob der profane Glückseligkeits-zweck mit der theolog. Staatsauffassung Luthers vereinbar ist. Der leitendeGesichtspunkt der Staatslehre Justis bleibt m. E. also völlig außer acht bzw.wird nur zu der stark säkularisierten protestant. Aufklärungstheolog. des18. Jh. in Beziehung gesetzt. VgI. dazu Alexandra Schlingensiepen-Pogge,Da~ Sozialethos der luther. Aufklärungstheologie am Vorabend der Indu-strfellen Revolution, Göttingen usw. 1967, bes. S. 138 ff.

Je Zum Gesamtkomplex: Spaemann, Art. ,Glück' (Anm. 1), Sp. 697 ff. -Auf ~en Nachweis von Speziallit. muß hier verzichtet werden. VgI. aberH. Thteme, Das Naturrecht u. d. europ. Privatrechtsgesch., Basel 2. AufI. 1954,bes. S. 23u. (Pufendorf, Thomasius u. Wolff); e. Hippet (Anm. 14), Bd. rr,S. 55 ft., bes ..S..65 (Leibniz): Verdross (Anm. 8), S. 102 u. 128 ff. (Pufendorf),S. 135 ff. (Lelbmz) u. S. 138 ff. (Wolff); s. a. Oestreich, Menschenrechte (Anm.185), Kap. X u. XI: Maier, Polizeiwiss. (Anm. 7), S. 195 f. u. 231: BTÜckner(Anm. 9~, bes. S: 175 ff. u. 187 ft. (193 _ 196) sowie S. 229 ft. (passim) u. 273 f.:ZU?1 weiteren Hm~ergrund ~. a. schon G. Zart, Einfluß der engl, Philosophenseit Bacon auf die dt .. PhIlosophie des 18. Jh., Berlin 1881 (insbes. zurLocke-Rez.); s. a. H. Medtck, Naturzustand u. Naturgesch. der bürgerl. Gesell-schaft, Göttingen 1973, bes. Abschn. III (Pufendorf) u. IV (Locke): R. Haaß,Die geistige Haltung der kathol. Universitäten Deutschlands im 18. Jh., Frei-burg 1952; M. Wundt, Die dt. Schulphilos. im Zeitalter der Aufklärung, Tü-bingen 1945, bes. Abschn. 11 (Thomas ius) u. 21 (Wolff). - Zur ,dogmenge-schichtl.' Einordnung u. Entwickl. von salus publica u. bonum commune im18. Jh. jetzt vor allem die Analyse von D. KlippeZ, Polit. Freiheit. u. Freiheits-rechte im dt. Naturrecht des 18. Jh., Paderborn 1976, bes. S. 50 ff., 61 r, 64,68 f., 99, 101, 131 f., 199 ff. u. 204 (S. 219 ft.: Spezialht.); außerdem K.-H. Ilting,Art. ,Naturrecht', in: Brunner I Conze IKoselleck (Anm. 1), Bd. 4, 1978,S. 245 ff., bes. Abschn. IV. . .... •

17 Dazu (außer der bereits erwähnten Lit.) die in Anm. 19 gen. Arbeiten;ferner K. Vorländer, Philos. d. Neuzeit, Hamburg 1967 (rde 281/82), S. 78 ff.,bes. S. 83 ff. (über Wolff) u. S. 168 ft., bes. S. 175 ft. (Textauszüge): Riedel,Metaphysik (Anm. 10), bes. S. 218 ff.; ders., Aristoteles-Rez. (Anm. 10), S. 286(s. a. S. 292 f.); BTÜckner (Anm. 9), bes. S. 80 ff., 195 f., 211 ft. (222f.) sowieS. 229 ff. (passim) u. 273 f.: außerdem schon Sommer (Anm. 5), T. II, S. 204 ff.,bes. S. 206 ff. (zu ihrer Behauptung von der Umwertung Wolffs zu einem"krassen Utilitarismus" bei Justi s. u., Anm .. 38 u. 156); G. Marchet, Studienüber die Entwicklung der Verwaltungslehre m Deutschland von der zweitenHälfte des 17. b. z. Ende des 18. Jh., München 1885, S. 138 u. S. 222 ff., bes.S.226ft.

18 VgI. ,Vernünfftige Gedancken ••. ', §§ 242 - 244. - Nach Spaemann, Art.,Glück' (Anm. 1), Sp. 702, identifizierte W. in seiner ,Philosophia praetica'(1738/39) die beatitudo philosophiea mit dem summum bonum hominis u.definierte sie (im Anschluß an Leibniz) als "ungehinderten Fortschritt zu im-

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Leben der Menschen und insonderheit dem gemeinen Wesen' (1721;51740; auch 1747 u. 1756)1' wollte er "zeigen, wie die Menschen mitvereinigten Kräften ihre Glückseligkeit befördern können" und '"wiesich ein [dazu geeigneter] Staat auf unserm Erdboden einrichten läßt"!D.Bei dem naturrechtlichen Axiom, daß "die Menschen verbunden [sind],nebeneinander und miteinander zu leben, damit einer des andern Glück-seligkeit befördern kann, soviel an ihm ist"!I, war "Gesellschaft nichtsanders als ein Vertrag einiger Personen, mit vereinigten Kräften ihrBestes worinnen zu befördern"!!. Die "Wohlfahrt der Gesellschaft",verstanden als "ungehinderter Fortgang in Beförderung des gemeinenBestens" und als deren "höchstes Gut"!!, war demnach eine finaleGröße: das "höchste oder letzte Gesetz in einer Gesellschaft'<s. Als "einMittel". zur Förderung der "allgemeinen Wohlfahrt"!5 hatte die Gesell-schaft in allen ihren Erscheinungsbereichen (Ehe, Familie und "ganzesHaus") eine oberste Aufgabe zu erfüllen: eben die "Glückseligkeit [als}einen Zustand einer dauerhaften Freude" zu gewinnen und zu erhaltenbzw. "Unglückseligkeit [als] einen Zustand einer dauerhaften Traurig-keit oder Mißvergnügens" zu vermeiden!t. Dieser "Absicht" mußtefolglich auch das "gemeine Wesen" als personaler Zweckverband der"einzelnen Häuser" entsprechen"; Seine Mitglieder sollten ihr, Tunund Lassen stets nach der vorgenommenen "Beförderung der gemeinenWohlfahrt und Erhaltung der [inneren wie äußeren] Sicherheit"!8 aus-richten ("Gemeine Wohlfahrt geht der besonderen vor"29). Und "die-jenige Art des gemeinen Wesens" erschien als "die beste, wo die ge-meine Wohlfahrt am besten befördert und die gemeine Sicherheit er":halten wird, das ist, wo die meisten Menschen glückselig nebeneinanderleben"lIO.Die dazu erforderliche "Vollkommenheit" C"Zusammenstim-

mer höheren Vollkommenheiten". Das so bestimmte (profane) summumbonum sah er mit "vera voluptas" u. "gaudium" beständig verknüpft u.nannte den Status, "in quo voluptas vera perdurat": felicitas (lat. Äquivalentfür euI'JIXI110YCIX).. '. , .' .. 1. Dazu (außer Anm. 126)F. Hartung, Der aufgeklärte Absolutismus (1955),m: Hofmann (Anm. 16), S. ~52ff. (157f.); vor allem W. FTauendienst, ehr.Wolff als Staatsdenker, Berlin 1927,bes. S. 23 ff., 58ff. u. 82ff. (Zusammen-fassung: S.I84ff.); s.a. schon v. HemneT (Anm. 9), S. 2f., 26ff., 51 u. passim'H. Hoffmann, Die staatsphilos. Anschauungen Fr. Chr. Wolffs mit bes. Be~rücksichtigung seiner naturrechtL Theorien, Diss. Leipzig 1916.

10 Vorrede.t1 § 1; s. a. §§ 227- 228.2Z § 2•

..za § 3; vgl, § 245. :" § 11; s. a. §§ 215u. 223.!5 §4 (Hervorhebungen hier von mir); vgl, bes. § 11.ts §§ 63- 64.17 VgI. T. I1, §§ 210rr.. .18 §214; dazu bes. §224.. ,.!t Zit. Devise: § 218 (s. a. § 433); dazu im einzelnen bes. §§ 10 u. 216ff.ao § 223. .

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Zum Begriff der Glückseligkeit in der kameralistischen Staatslehre 43

mung des mannigfaltigen")" war für Wolff keine "Frucht der leerenEinbildung=", sondern durchaus realisierbar - wenn auch nicht biszu "völliger Vollkommenheit", von der lediglich "ein Begriff" als Orien-tierungsmaßstab bei dem Bemühen um möglichste Annäherung gewon-nen werden könne33•

Diese (hier nur kompilatorisch umrissenen) 'Oberlegungen wurdenvom Kameralismus des 18. Jahrhunderts aufgegriffen und zu einerumfassenden Staats(zweck)bestimmung oder "politischen Metaphysik'f"ausdifferenziert, mit der "die Lehre von der Politik in Deutschland erst-malig Anschluß an die neuerwachte Dynamik des staatlichen Lebensin den einzelnen Territorien" gewann", Die Kameralistik kann daher inzweifacher Hinsicht als bemerkenswerter Indikator verstanden werden:1. für die allgemeine Säkularisierung der Lebens- und Staatszweckauf-fassung im "Zeitalter der Aufklärung'?" und 2. für die eingangs er-wähnte Steigerung staatlicher Wohlfahrtskompetenz im politischen

81 § 224. .32 Vgl. § 226 (Auseinandersetzung mrt diesem Einwand). . . ..33 § 226: "Muster der Vollkommenheit ••• , darnach wir uns richten können"

(vgl, § 270).~' Mit Recht übernahm Scheidemantel in der ,Vorerinnerung' (9. 4. 1771)zu

seiner kornment, Ausg. von Justis ,Natur u. Wesen der Staaten' diese Eigen-kennzeIchnun~ Justis v. J. 1759 (S. XXIV). _ "To the cameralists the centralproblem of SCIencewas the problem of the state" so hieß es schon 1909 beiSmaLL (Anm. 5), S. VIII (vgl. SommeT [Anm. 5], T. i, S. 97; s. a. W. FTensdoTff,über das Leben u. die Schriften des Nationalökonomen J. H. v. Justi, Göttin-gen 1903, S. 109; MaieT, Polizeiwiss. [Anm. 7], S. 299 f.; Dittrich [Anm. 3],S. 12ff.) - zu verstehen im umfassenden Sinne von Staats-, Wirtschafts-,Handels-, Finanz-, Rechts- usw. -lehre (s. Anm. 35). Um dem ökonom. AkzentRechnung zu tragen, behandelte Stoltenberg (Anm. 8) bedeutende Kamera ...listen von Dithmar (1677-1737) bis Jung-Stilling (1740-1817) unter demKennwort "Wirtschaftl. Staatswissenschaft um die Mitte des 18. Jh." (Kap.VIII, S. 202ff.). Zu dem kaum überschaubaren kameralist. Schrifttum vgl,die systemat. Zusammenstellung von M. Humpert, Bibliogr. d. Kameralwiss.(Köln 1937), die auf 1134 S. nicht weniger als 14040 Titel enthält - trotzmancher Mehrfachnennung u. sehr extensiver Auslegung von ,Kameralwiss. •eine schlechterdings erdrückende Fülle! - Krit. zu Humpert: G. Oestreichi. s, Besprechung von Scupin I Scheuner (Hrsg.), Althusius-Bibliogr., bearb.v. D. Wyduckel (2Bde., Berlin 1973):HZ Bd. 223 (1976),S. 162f.

IS Maier, Politik (Anm. 7), S. 88; s. a. S. 97 ff.; hierzu u. zu den "kameralisti-schen res politicae" überhaupt, insbes. zum Verständnis der Polizeiwiss.grundlegend: ders., Polizeiwiss. (Anm. 7), passim, vor allem T. 3, bes. S. 199ff.(210f.) u. S. 218ff. (S. 233 Schema der "Kameralwissenschaft im weitestenSinn"); zur - teilweise kritischen - Ergänzung: BTÜckner (Anm. 9), bes.T. IV u. V; s. a. schon Marchet (Anm. 17), S. 319ff. u.. 332 ff.; außerdemAnm.56. . .

38 I. Kant, Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? (1783/84),abgedr.in: Werke in zehn Bd., hrsg. v. W. Weischedel, Darmstadt 1957, 3. repr.Nachdr. 1968,Bd. 9, S. 53 ff., hier bes. S. 59; dazu schon O. Ladendorf, Histor.Schlagwörterbuch, Straßburg u. Berlin 1906, S. 16 f., Art. ,Aufklärung'; vorallem H. Stuke, Art. ,Aufklärung', in: Brunner I Conze I Koselleck (Anm. 1),Bd. 1, 1972, S. 243ff. (wieder abgedr, in: H. Stuke, Sozialgesch. - Begriffs-gesch. - Ideengesch., hrsg, v. W. Conze u. H. Schomerus, Stuttgart 1979,S. 21 ff.), bes. Abschn. II u. Ill, hier speziell S. 265ff. . :

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44 Ulrich Engelhardt

System ,des' aufgeklärten Absolutismus. Beides ist faßbar im T~pos der Glückseligkeit, dem staatsphilosophischen Schlüsselbegrüfdes Kameralismus, der in der einschlägigen Literatur", erstaunli-cherweise bisher nicht zusammenhängend untersucht worden is1;S8.Dabei drängt sich dies förmlich auf: Zum einen stellte einer derbesten Kenner des Kameralismus schon an der Wende vom 19. zum20. Jahrhundert "verwundert" die Frage, "weshalb ein so einfacher [I]Begriff wie der des öffentlichen oder allgemeinen Wohls lange Zeitin solcher Geziertheit [I] wie ,die gemeinschaftliche GlückseligkeitCin Umlauf war"lIII.Zum andern verweist auch diese verständnislose (unddamit für erledigt gehaltene) Frage auf die angedeutete begrifflicheVerdichtung dessen, was der frühe Kameralist Johann Joachim Becher1668 die leitende "Staats-Regul oder maxima einer Stadt oder Land"nannte". M. a. W.: Es liegt nahe, gerade dieses eigentümliche Kürzel auf

37 Dazu die bibliogr. Angaben bei A. Tautscher, Art. ,Kameralismus' imHdSW, Bd. 5, 1956, S. 463ff. (466f.) u. bei Dittrich (Anm. 3), S. 146ff. (s. a.S. 1ff.: ,Die literar. Behandlung des K.'); im ganzen noch immer eindrin-gendste u. den "systemischen" Zusammenhang der vielfältigen Einzelkom-plexe betonende Gesamtdarstellung: Sommer (Anm. 5; dazu Maier, Polizei-wiss. [Anm. 7], S. 301f.); dort. T. I, S. 3 u. passim (bes. T. 11, S. 173, Anm. 2.;S. 445f. u. 460 ff.) auch Auseinandersetzung mit der vorhergehenden Lit. seitJ. C. Glaser (1854)u. W. Roscher (1874);s. a. Maier, Polizeiwiss. S. 285ft., bes.S. 295ff.

18 Dies gilt z. B. für die bonum-commune-Untersuchung von Merk (Anm. 8),wo sich einige sehr allg, Bemerkungen finden (vgl, S. 503 u. 515ff.). Auchbei W. Feldmann, Modewörter des 18. Jh. (Ztschr. f. Dt. Wortforschung,Bd. 6, 1904/05,S. 101ff. u. 299 ff.) u. bei W. Stammler, Polit. Schlagworte inder Zeit der Aufklärung (in: B. Bischof! u. a., Lebenskräfte in der abend-länd. Geistesgesch. Dank- u. Erinnerungsgabe an W. Goetz ... , Marburg1948, S. 199ff.) ist "Glück(seligkeit)" nicht berücksichtigt. Selbst in der Spe-ziallit. über den Kameralismus, insbes. über Just! (vg!. Dittrich [Anm. 3],S. 109f.) u. Sonnenfels (ebd., S. 115), findet sich keine gezielte Analyse, ob-wohl schon Sommer (Anm. 5) von einer "Zerlegung dieses Begriffs in seineBestandteile" sprach u. davon "Aufschluß über das Ausmaß und die Angriffs-punkte des Staatsinterventionismus" erwartete, der "der Verwirklichung derallgemeinen Glückseligkeit zur Voraussetzung dient" (T. 11, S. 205). Da siediese Begriffsanalyse trotz ausführL Erörterung des Glückseligkeitsgedan-kens bei Justi dann aber doch nur selektiv vornahm, kam sie zu der (insolcher Einseitigkeit falschen) Kennzeichnung "krasser Utilitarismus" (s.Anm. 17). Selbst die eingehende, scharfSinnig-differenzierende Untersuchungvon BTÜckner (Anm. 9; bes. T. V) bleibt in dieser Hinsicht von begrenztemInformationsgehalt. Obwohl die Vert. davon ausgeht, daß Justi "in einemnicht motivierten Sprung die Wolffschen Gedanken" übernehme u. den"Gesellschaftszweck des gemeinsamen Besten als Staatszweck einführt, dener als ,gemeinschaftliche Glückseligkeit' definiert" (S. 233), erfaßt sie dasBedeutungsspektrum dieses Zentralbegriffs nur ansatzweise (S. 233ff.; s. a.S. 270ff.).a. Frensdorff (Anm. 34), S. 140 (s. a. S. 143).. 40 Zit. n. Zielenziger (Anm. 5), S. 210. - Zu J. J. Becher (1635 oder 1625-1682), einem der bedeutendsten Frühkameralisten neben W. v. Schröder u.Ph. W. v. Hörnigk, vgl, Dittrich (Anm. 3), S. 56 ff., bes. S. 58 ft., (S. 61 f. Lit.über ihn; zur Ergänzung: H. Apfelstedt, Staat u. Gesellschaft in J. J. BechersPolit. Diseursen, Darmstadt 1927).

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ZumBegriff der Glückseligkeitin der kameralistischen Staatslehre 45

seine Aussagekraft als Ausdruck: projizierter, wenn nicht verwirklichterVerfaßtheit staatlich-gesellschaftlichen Lebens im (vorrevolutionären)lB. Jahrhundert zu befragen - dies um so mehr, als die Kameralistikdie unbedingte Einheit von politischer, gesellschaftlicher undwirt-schaftlicher Verfassungstheorie und -praxis so nachdrücklich postu-lierte", daß sich mit ihr ein wesentlich verändertes Verständnis von"wahrer politischer Wissenschaft"42 durchsetzte: In bisher unbekann-tem Ausmaß wurde der Staat für "technische Planung" verfügbar"43,was sich bekanntlich u. a. darin niederschlug, daß die "Kameralwissen-schaften" als "Grundwissenschaft" insbesondere der Beamtenausbildungseit 1727auch zur universitären Disziplin aufstiegen+',

Die für diesen Aufsatz erforderliche Eingrenzung der Fragestellungauf den Versuch, "G1ück:(seligkeit)"als Schlüsselbegriff der kameralisti-schen Staats- und Gesellschaftslehre zu dechiffrieren, erlaubt nun frei":lich keine ausgreüendere Betrachtung. Das Ausmaß der Beschränkung istwohlam besten in der Weise zu bezeichnen, daß vorweg wenigstensUmrisse einer umfassenderen Behandlung in den Blick:genommen wer-den. So ließe sich mit der Annahme, durch Begriffszergliederung zurKlärung eines epochenspezifischen Entwurfs politisch-sozialen Handeinsbeitragen zu können, eine weitergehende Erwartung verbinden: aus die-sem ,Testfall' zusätzliche Anhaltspunkte für die Uberlegung zu gewin-nen, inwieweit "begriffsgeschichtliche Sensibilisierung" überhaupt zu

41 Dies ist schon in den Titeh,.erkennbar, z.B. bei den Arb~iten von Friedr.Kart Garve (s. Humpert [Anm. 34], S. 59 f., lfd. Nr. 834 - 36); vgl. vor allemJusti, Grundriß (Anm. 49), hier bes. § 1; ders., Abhandl. von den Mitteln ... :GPFS, 3, S. 219 ff.; bes. ders., Grundfeste, Bd. 1, Einltg. S. 22, § 22; aus derwiss. Lit. dazu: Tautseher, Kameralismus (Anm. 37), S. 464; Klein (Anm. 50),bes. S. 200 ff.; Sommer (Anm. 5), passim, u. a. T. I, S. 55 f., 60 u. 84 ff.; T. II,S. 189 ff. u. 446; Dittnch (Anm.3), S. 32 ff., 58 u. 89 ff.; s. a. Brückner (Anm.9),bes. S. 266 ff. . .

41 So (1729) Simon Gasser i. s. ,Einltg. zu den Oeconom.Polit, u. Cameral-Wissenschaften',zit. n. Sellin, Politik (Anm. 1), S. 832; vgl. in diesem Zusam-menhang K. W. Rath, Staat u. Staatswirtschaft im kameralist. Denken, in:Finanzarchiv, N.F., Bd. 7 (1940), S. 75 ff., bes. S. 77 ff. (mit Kritik an derdogmengeschichtl.Literatur einschl. Sommer mit ihrer "Nichtberücksichti-gung" des imKern "politischenDenkens" des Kameralismus). .

43 Vgl.Sellin, Politik (Anm.1), S. 832.. . '. 44 Zitate: Tautscher, Kameralismus (Anm. 37), S. 466 bzw. Daniel GottfriedSchreber Zwo Schriften von der Geschichteu. Nothwendigkeit der Cameral-wissenschaften ... , Leipzig 1764 (hier nach Humpert [Anm. 34], S. 39, Ud.Nr. 605; s. a. S. 44, lfd. Nr. 654 u. die S. 41 ff. gen. Titel). - A. Oncken hat ge-radezu von einer "Beamtendisziplin" gesprochen (Gesch.d. Nationalökonomie,Leipzig 1902, S. 226 f.). Erste Lehrstühle wurden in Deutschland bekanntlich1727 in Halle u. Frankfurt/O. eingerichtet.Dazu ausführ!. schonW. Stieda, DieNationalökonomie als Universitätswiss., Leipzig 1906; s. a. Tautseher, Kame-ralismus (Anm. 37), S. 464; Sommer (Anm. 5), T. I, S. 17, 85 u. 155 ff.; Klein(Anm. 50), S. 199; Dittrich (Anm. 3), S. 10 f., 32 f. u. 76 ff.;.v~r !lllem Maier,Politik (Anm.7),bes. Abschn. III u. IV (S. 96 ff.); ders., Polizeiwiss. (Anm. 7),S. 38 ff., bes. S. 199 ff., 213 ff. u. 218 ff.; Brückner (Anm. 9), S. 60 ff.; s. a.S. 281 ff. u. 286 ff.

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46 Ulrich Engelhardt

vertiefender Interpretation von nSachgeschichte" dienlich sein mag".Die Absicht müßte dann eine doppelte sein: 1. den kameralistischenTopos "G1ück(seligkeit)" inhaltlich erschöpfend zu erfassen, voll m seinewort- und begrüfsgeschichtliche Tradition einzuordnen, seine spätereEntwicklung (ggf. bis in die Gegenwart) genau zu' verfolgen undschließlich auch nach Auswirkungen der in ihm beschlossenen Zielvor-stellungen auf historisch-politisch ,relevante' Bereiche der Praxis zusuchen: 2. auf den inzwischen (vor allem von Reinhart Koselleck) erar-beiteten methodologischen Grundlagen" Erklärungswert und analyti-sche Reichweite dieses Verfahrens zu erörtern, d. h. das gewählte Bei-spiel nicht zuletzt auf die immer wieder beobachtete "Ambivalenz derneuzeitlichen Begrüflichkeit als Indikator und Faktor politisch-sozialerGegebenhetten'<' zu überprüfen. - Letzteres muß im gegebenen Rah-men ganz ausgeklammert werden. Und selbst ersteres läßt sich hier nurausnahmsweise verwirklichen: So bleibt nicht nur die ,Vorgeschichte'des kameralistischen G1ückseligkeitsbegrüfs auf die oben vorgenom-mene grobe Nachzeichnung einiger Entwicklungsstränge bzw. -etap-pen verkürzt, sondern auch die unten folgende Skizze der ,Nachge-schichte' im ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhundert - überdiesunter Verzicht auf Einbeziehung der onomasiologischen Ebenecs• Zudemkann das schwierige Problem des Praxisbezugs nur mit einigen sehrallgemeinen Hinweisen gestreüt werden. Und selbst die inhaltliche Be-trachtung von nGlückseligkeit" bezieht sich in der Hauptsache auf dasseinerzeit weit verbreitete Werk Johann Heinrich Gottlob von Justis(1717- 1771), das allein schon so umfangreich ist, daß es einen Zeit-genossen zu der Kennzeichnung Justis als nKameralpolygraph" veran-laBte4'. Allerdings dürfte. dieser Zugriff insofern vertretbar sein,. als

..Cl VgI. H. Berding, Begrüfsgesch. u. Sozialgesch., in: HZ Bd. 223 (1976),

&~~ •"Dazu vor allem R. Koselleck, Einltg. zu Brunner IConze IKoselIeck

(Arun. I), Bd. I, 1972,S. XIII ff.; zur Ergänzung u. Vertiefung seine einschläg.Aufsätze, jetzt zusammengef. in: ders., Vergangene Zukunft, Frankfurt a. M.1979,bes. S.107 ff.

47 So Berding (Anm. 45),S. 109.48 VgI. die theoret.-methodolog. Einltg. von KoseUeck (Anm. 46), S. XXI f.41 Zit n. G. Deutsch, J. H. G. von Just!, in: Ztschr. f. d. ges. Staatswiss.,

Bd. 45 (1889),S. 554ff., bes. S. 562ff. (S. 567,i O. gesperrt; bei dem "gelehrtenMeusel" 49 Werke aufgeführt, davon "nicht wenige vielbändig"); vgl. Frens-dortt (Anm. 34), S. 73 u. 105ff. (s. a. S. 134 f.); Klein (Anm. 50), S. 202; s. a.Remer (Anm, 50),S. 24ff. '"Im folgenden verwendete Abkürzungen: Rede.,. Rede von dem unzer-

trennI. Zusammenhange eines blühenden Zustandes der Wissenschaften mitdenenjenigen Mitteln, welche einen Staat mächtig u. glücklich machen (1750),in: GPFS, 2, S. 128ff.; Staatswirthschaft == Staatswirthschaft oder Systemat.Abhandl. aller Oekonom. u. Cameral-Wissenschaften, die zur Regierung einesLandes erfordert werden, 2 TIe., 2. Aufl. Leipzig 1758 (Neudr. Aalen 1963);Natur u. Wesen =Des Herrn von Justi Natur u. Wesen der Staaten als dieQuelle aller Regierungswissenschaften u. Gesetze (zuerst 1755),mit Anmer-

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Zum Begriff der Glückseligkeit inder kameralistischen Staatslehre 47

Justi ja der "große Systematiker und Vollender des Kameralismus"war5o, von dem schon SonnenfeIs, der "berühmte Theoretiker KaiserJosephs 11."51,sagte, er habe als (bislang) einziger die "Staatswissen-schaften mit allen ihren Zweigen zu einem allgemeinen Grundsatze"zurückgeführt: eben der "Beförderung der allgemeinen GlÜckseligkeit"6.2.

Nach: Justi und - wenngleich weniger dezidiert-systematisch - nachAuffassung fast aller Kameralisten's liegt der "Endzweck eines Staats"bzw. Gemeinwesens in der Tat in der "gemeinschaftlichen Glückselig-keit" der (als Einheit begriffenen) "Untertanen und des gesamten

kungen hrsg. v. D. H. G. Scheidemantel, Mitau 1771 (Neudr. Aalen 1969);Grundfeste = Die Grundfeste zu der Macht u. Glückseligkeit der Staaten,oder ausführl. Vorstellung der ges. Policey-Wissenschaft, Königsberg u. Leip-zig 1760161 (Neudr. Aalen 1965: nach eigenem, wiederholtem Hinweis sind indiesem ..ziemlich weitläufigen Werk" [Bd. 2, S. 650, § 601] seine ,Grundsätzeder Polizeiwiss.' [2 .Aufl. 1759] z, T. korrigiert, z. T. präziser gefaßt); Grund-riP = Kurzer systemat. Grundriß aller Oeconom. u. Cameralwissenschaften(1759), in: GPFS, I, S. 504 ff.; GPFS = J. H. G. von Justi gesammlete Polit.u. Finanzschriften über wichtige Gegenstände der Staatskunst, der Kriegswis-senschaften u. des Cameral- u. Finanzwesens, 3 Bde., Koppenhagen u. Leip-zig 176116~ (N~udr. Aalen 1970); Finanzwesen = System des Finanzwesens,nach vernunftlgen aus dem Endzweck der bürgerl, Gesellschaften u. aus derNa~ aller Quellen der Einkünfte des Staats hergeleit. Grundsätzen u. Regelnausführl. abgehandelt, Halle 1766.. . '. '

1i0 So Tautscher, Gesch. der Finanzwiss., S. 411 (hier n. Dittrich [Anm. 3],S. 103); s. a. J. Remer, J. H. G. von Justi Stuttgart u. Berlin 1938, passim, u. a.S. 38 (Lorenz von Stein über Justi: "dieser hochbedeutende Mann"); Frens-dorf! [Anm. 34], S. 107 if.; Sommer (Anm. 5), T. I, S. 85, 88 ff. u. bes. T. H,S. 17~.if.; Rath (~. 42), bes. S. 78 ff.; s. a. schon Marchet (Anm. 17), S. 271 ff.(ausführl. Ausemandersetzung mit den literar. Urteilen über Justi), bes.S. 279; Maier, Polizeiwiss. (Anm. 7), S. 218 if. .

lil So W. Roscher, Der sächs. Nationalök. J. H. G. Justi,' in: Arch. f. Sächs.Gesch., Bd. 6 (1868) S. 76 if. (76); dazu Remer (Anm. 50), S. 24. - Zur Bio-graphie u. zur selektiven Betrachtung seiner Werke (mit folglich stark dif-ferierenden Bewertungen) in der Lit. vgl, schon Frensdor!f (Anm. 34), bes.S. 2 ff. (..bisherige Darstellungen" seit 1777), S. 58 (zur Glaubwürdigkeit seinerautobiogr. Angaben) u. Abschn. IIII (Herkunft u. Bildungsgang), IV (literar.Anfänge), VII (österr. Jahre, 1750 - 53), VIII (Göttinger Zeit, 1755 - 57) u.: XI(1759/60 ff., Berliner Zeit; 1765 ff., preuß. Staatsdienst); Remer (Anm. 50), bes.Abschn. I (kurze Vita mit Kritik an den Biographen, bes. an Roscher) u. III(über die "spätere Kritik" an Justi) sowie Anhang S. 42 ff. (Systematik derSchriften); trotz biogr, Irrtümer u. Unzulänglichkeiten auch schon Roscher(s.o.), S. 78 ff. (s. a. S. 77 f. u. 84 zur Charakteristik), S. 82 ff. (Werke; bes. S. 87über Justi als "theoretischer Politiker" u. S. 90 ff. über J. als nationalök.Theoretiker; dazu S. 101 ff. über ~. speziell als Finanzwiss.); außerdem u. a.Stoltenberg (Anm. 8), S. 210 ff.; Dtttrich (Anm. 3), S. 103 ff. (dazu S. 133 - 36).II J. v. Sonnenfels, Grundsätze der Policey, Handlung u. Finanz. Zu dem

Leitfaden des polit. Studiums, 3 Teile, Wien 5. Aufl. 1787, T. I (Policeywiss.;zuerst 1765), S. 24; dazu unten, Anm. 199; s. a. Roscher (Anm. 51), S. 76 u.Marchet (Anm. 17), S. 316 f.; zum Verhältnis Sonnenfels I Justi vgl. Frens-dorff (Anm. 34), S. 36 f. (s. a. 142) •.

la Vgl. vor allem A. Nielsen, Die Entstehung der dt. Kameralwiss. im 17. Jh.(1911) dt. Jena 1911 (2. Aufl. 1912), Repr. Frankfurt a. M. 1966, passim, bes.S. 80 f. 89 u. 98 f. (zum Einfluß der aristotel. Staatsauffassung u. Glückselig-keitsv~rstellung auf die ,älteren' Kameralisten) .. _>.' ' ... '. .

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Staats"54. Für die Kameralistik folgt daraus die grundlegende Gestal-tungsmaxime jeder i. S. der Aufklärungsphilosophie vernunftgemäßenVerfassung. M. a. W.: Die seit der Antike immer wieder erörterte Frage,welches Gemeinwesen und welche Regierung die besten seien (Bodin1566: "..• quae optimae leges, quae optima Respublica, quae beatavita"55), beantwortet sich einzig danach, welche den erwünschten Zu-stand der Glückseligkeit am ehesten herbeizuführen und zu bewahrenvermögen. Verfassungsform und Regierungsweise sind folglich keinezielindifferenten Größen, sondern haben betont instrumentalen Charak-ter: Sie sind eine Funktion des "Staatsendzwecks". Dies gilt ebenso für"diejenigen Wissenschaften. welche zu der Regierung eines Staatsgehören, besonders die eigentlich so genannten Kameralwissenschaf-ten", d. h. die "Politik und Polizeiwissenschaften in ihrem weitläufigstenVerstande" (einschließ!. der "Kommerzienwissenschaft", speziell der"besonders also genannten Ökonomie")58.Als Lehre von den optimalen"Regierungseinrichtungen" und Herrschaftsmethoden ("Staatskunst","Herrschungskunst")57 beziehen die "Regierungswissenschaften" ihre"Hauptgrundsätze"aus dem richtungweisenden ,Um-willen', genannt"Glückseligkei t"58.

Die daraus resultierende "teleologische Struktur"68 von Staat und,Staatswissenschaft' könnte nun eine halbwegs abgerundet-zusammen-hängende Bestimmung dessen erwarten lassen,. was der. "allgemeineGrundsatz von der Glückseligkeit des Staats"OObeinhaltet. Um so mehrüberrascht es, daß sogar Justis - um mit seinen eigenen Worten zusprechen - "weitläufige" Argumentation" der Logik seines Ansatzesnur bedingt folgt: Zwar verbindet er mit der generellen Zielvorgabe .vielfach mehr oder minder genaue Einzelkriterien: doch stößt selbst ernur relativ selten zu umfassenderen Definitionen dieses Grundterminus

. . ." Justi, Grundriß, passim, bes. S. 505 (§ 2); so laufend, u. a. etwa i.s.

Abhand!. vom Wesen des Adels .•. : GPFS,' I, S. 147 ff.; vgl, FTensdoTff(Anm.34), S. 109 ff.: SommeT (Anm. 5), T. Ir, S. 180 ff. u. 189 ft., bes. S. 204 ff.U. 226 ff. (dazujedochAnm. 156). _

as So I.s. ,Methodus ad facilem historiarum cognitionem' (1566), zit. n.Nielsen (Anm. 53), S.19, Anm.l; vgl, aber FTauendienst (Anm. 19), S. 88 U. 98.

68 Zitate: Justi, Grundriß, S. 504 f., § 1 (Hervorhebung von mir) bzw.S. 5101., § 11:vgl. (außer unten, Anm. 97) Finanzwesen (1766), bes. Eintlg. u.S. 28 ff.; s. a. GPFS, 3, S. 223. '

17 Zitate: Justi, GPFS, 3, S. 312 bzw. 225. .58 Vg!. ebd., 1, S. 260 U. 262 (s.a. S. 386). - Eine Art theolog.-dogmat. Ge-

genposition vertrat z. B. Lewald. der Pater Rektor der Wiener Jesuiten. Lt.FTensdoTff (Anm.34), S. 31 (s.a. S. 149) erklärte er Justis kameralist. Bestre-bungen 1759 für überflüssig: "Wennman nur frommwäre u. andächtig betete,so segnete Gott ein Land. Das Haus Österreich wäre so lange ohne alledergleichenKameralwissenschaftensehr glücklichgewesen."

18 VgI.Seltin, Politik (Anm. 1),Abschn.III, bes. Kap. 5.eoJusti, GPFS, 3, S. 379.Cl Grundfeste, Bd. 1, S. 358, § 413.

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ZumBegriff der Glückseligkeitin der kameralistischen Staatslehre 49

vor. Zumindest in den Einzelpassagen, also ohne Zusammenschau, bleibt"Glückseligkeit" letztlich das, was Justi gelegentlich mit Bezug auf diequantitative Angabe "große Stadt" festgestellt hat: ein "schwankenderBegriff"62. Die inhaltliche Auffüllung des (seinen Zeitgenossen freilichso geläufigen) Schlagworts überläßt Justi weitgehend dem Leser. Aller-dings bietet er mit seinem erschöpfend-umfassenden Tableau kamera-listisch-polizeiwissenschaftlicher "Maßreguln" eine Fülle von Anhalts-punkten für das Unterfangen, die distinktiven Merkmale aus den ver-schiedenen Attributen bzw. verhaltenstechnischen Vorschlägen oderAnweisungen zu erschließen und gewissermaßen additiv zu rekonstru-ieren. Manchmal bedarf es dazu auch eines Verfahrens, das Justi selbstschon anwandte: "aus dem .•• Gemälde des Schattens das Licht" zuerfassen", also aus Negativzuschreibungen positive Bestimmungsele-mente zu gewinnen. Versucht man dies, greift man also die teils expli-ziten, teils inhärenten Merkmalsangaben auf, so ergibt sich im Konzen-trat folgendes Spektrum ..

Wie bereits angeführt, liegt das treibende Moment allen Wollens undund jeder gesellschaftlich-politischen Vereinigung im Streben nach"gemeinschaftlicher Glückseligkeit"M ("Glückseligkeit des menschlichenGeschlechts")65- genauer: nach "zeitlicher GlÜckseligkeit"66.Die Domi-nanz dieser Zielbestimmung ist auch darin erkennbar, daß sie mitChristian Wolft zum obersten Anliegen ("abgezielten heilsamen End-zweck") nicht nur der Individuen67, sondern auch ihrer "gemeinen We-sen" bzw. "Republiken" erklärt wird68• In der vernunftrechtlichen An-nahme eines notwendig sozialisierenden "Triebes unserer gemeinschaft-lichen Glückseligkeit"69 erscheint sie geradezu als "Veranlassung" bzw."Quelle" eigentlich jeder gesellschaftlichen und politischen Formation,

81 GPFS, 3, S. 450 f.IS Ebd., S. 74 (dort mit Bezug auf "dasjenige, worauf die wahre Macht

eines Staats ankommt").14 So (mit fast stereotyper Wiederholung) i. s. Schriften, u. a. in Rede,

.passim, bes. S. 140 ff. (Hervorhebung von mir). - Diesen Gemeinschaftsbezugbetont mit RechtRath (Anm.42), S. 83. .

15 GPFS, I, S. 300 (u. öfter).18 Rede,passim, bes. S. 140 (Hervorhebungvon mir).17 Vg!. (außer den in Anm. 68 gen. Passagen) z.B. GPFS, I, S. 257; s. a. I,

S. 172; bes. Natur u. Wesen, S. 89 (§ 40), S. 291 (§ 127), S. 394 f. (§ 178) u.S. 420 ff. (§§ 190/91).

88 Dazu u. a. GPFS, 2, S. 86 u. 148; s. a. Rede, S. 132 ff.; vor allem: Natur u.Wesen, S. XXVII f. u. passim, u. a. S. 61 ff. (§§ 30 ff.), bes. S. 82 f. (§ 38), S. 113(§ 51), S. 226 ff. (§§ 101 ff.), S. 318 ff. (§§ 140 ff.) sowie S. 332 ff. (§§ 148 ff.),bes. S. 394 f. (§ 178); Grundriß, passim, bes. S. 540 (§ 75) bzw. S. 502 (§ 2),S. 509 (§ 8), S. 511 (§ 1) u. S. 519 (§ 18). - Vgl. in diesem Zusammenhang auchv. Reusner (Anm. 9), S. 3 u. 71 f.: Verdross (Anm.8), S. 270 f. ... Rede, S. 155; s. a. S. 129 ff.; vgl, GPFS, 2, S. 414 ff.; Natur u. Wesen,

S. 15 ff. (§§ 6 ff.); ferner u. a. auch GPFS, 3, S. 310 ff., bes. S. 311 f. (über diesukzessive Zivilisierung des "Raubtiers" Mensch).. .

• Zeitschrift fUr Historische Forschung 1/81

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als konstitutierender "Endzweck aller bürgerlichen Verfassungen" ("we-sentlicher Endzweck aller Staaten")70; zumindest aber als Movens sol-cher Gemeinwesen bzw. "Republiken"71 und "Regimentsformen"1!,welche beanspruchen dürfen, "nach vernünftigen Grundsätzen" gestal-tet zu sein, d. h. eine auf die" Wohlfahrt" der "Bürger" zugeschnitteneVerfassung mit "rechtem Landtesgubemeo" zu haben7S• Wie alle Kame-ralisten geht Justi dabei von dem aufklärungsoptimistischen, letztlichaber schon aristotelischen Axiom aus, daß Individual- und Kollektiv-,Bürger- und Staatsinteressen in der "Wohlfahrt des gemeinen Wesens"grundsätzlich übereinstimments - auch wenn diese Konvergenz wie

70 Zitate: Natur u. Wesen, S. 62 (§ 31) bzw. S. 88 (§ 40) bzw. GPFS. 1. Vor-rede (s. a. ebd.. S. 237 seinen Begrüf der' ..zusammenverbundenen Gesell-schaften"); dazu u. a. Rede. S. 129 ff., bes. S. 140 ff.; GPFS, 1, S. 77, 214. 366 I.,.372 u. 384; Grundriß, passim, bes. S. 505 ff. (§§ 2 ff.). S. 540 ff. (§§ 74 ff.).S. 546 ff. (§§ 88 ff.). S. 550 ff. (§§ 99 ff.); ferner GPFS. 2, S. 425. sowie seine'Ausführungen zum "Wesen der bürgerlichen Gesellschaften" in GPFS, 3.S. 310 f. u, Grundfeste. passim. u. a. 2, S. 527 (§ 456).

71 Unter "denjenigen großen Gesellschaften, die wir Republiken" nennen(Rede, S. 131), versteht Justi alle polit. Zusammenschlüsse (§§ 25 u. 45:"politische Staaten"!) mit Gemeinwesencharakter: "moralische Körper" (§§ 23u. 28), entstanden aus der "Vereinigung vieler einzelnen Willen in einen ein-zigen Willen" (§ 23) u. versehen mit einer "obersten Gewalt" (§§ 9. 25 u. 45)bzw. "tätigen Gewalt" (§ 46). Vgl. z. B. die Definition in GPFS, 2. S. 425, § 12(dazu auch S. 429. § 15). - Zu den ..eigentlich so genannten Republiken"(s.a. GPFS, 3. S. 341). in denen die drei Gewalten "am allerweislichsteneingerichtet .. sein "könnten u. sollten" (S. 20). rechnet Justi die "Aristokra-tien .....Demokratien .. u."eingeschränkten Monarchien oder vermischtenRegie-rungsformen" (zweifellos nach Montesquieu). In letzteren könne das "aller-vollkommenste Gleichgewicht u. Verhältnis unter den verschiedenen Gewal-ten .•. stattfinden" (S. 24). Vg!. dazu im einzelnen GPFS. 2. S. 3 ff., bes.S. 20 ff. - Zum Begriff ,Republik' (res publica) vgl, u. a. schon den Art..Republiek, das gemeine Wesen', in: Zedler (AnIn. 6). Bd. 31. 1742. Sp. 656 H.;im übrigen Koselleck, Vergangene Zukunft (AnIn. 46), S. 372 f.; s. a. Stamm-ler (Anm. 38). S. 228 ff. (bis ins 18. Jh. noch allg. für "Staat ..; aber seit 1740- im Anschluß an Montesquieu - auch schon eingeengt auf ein Gemein-wesen, "dessen Leiter vom Volk auf Zeit gewählt wurden").. 7. GPFS, 3. S. 340. . '. .'

71 GPFS. 1, S. 168; s. a. ebd., Vorrede u. S. 262 bzw. 303; s. a. Natur u. Wesen.S. 95 f. (§ 44). - Zitat "Landtesguberneo": so Joseph u, Khevenhüller, Kuratordes ,Theresianum', am 10. 8. 1750 in einem A. U. Vortrag für Maria Theresia(betr. Anstellung Justis als Prof. der Kameralwiss.), zit. n. Marchet (Anm. 17).S. 318, Anm. 2.Für jede Form von "Despoterei" gilt diese Qualität nach Justis Einschät-

zung (wie nach der der meisten ,Staatstheoretiker' der Zeit, bes. Montes-quieus) nicht. VgL dazu u. a. GPFS, I, S. 159; bes. 3, S. 334 ff. u. 343 ff.; s. a.unten. Anm. 112. - Zu Justis Staats(entstehungs)auffassung (s. a. Anm. 105).z. T. in Absetzung von Hobbes entwickelt, vgl, bes. Rath (Anm. 42). S. 80 ft.: 74 Dazu vor allem GPFS, I, S. 187; s. a. I, S. 372 u. 2, S. 241 ff.; Grundriß,S. 509 (§ 9), überhaupt S. 509 f. (§§ 8 - 10), S. 511 (§ I), S. 538 f. (§ 71). S. 546(§ 88) u. S. 549 f. (§§ 96 - 97); außerdem u. a. Grundfeste, 1. S. 555 (§ 622),S. 557 (§ 624), S. 558 f. (§ 625), S. 753 (§ 864); S. 19 (§ 19) u. S. 214 f. (§ 183);dazu Marchet (Anm. 17), S. 350 u. passim; v. Reusner (Anm. 9). S. 3 u. bes.S. 52 f. (zu Justi u. Sonnenfels); BTÜckner (Anm. 9), bes. S. 217 (zu Wolft) u.S. 234 f. (zu Justi); vor allem Klippel. Polit. Freiheit (Anm. 16). bes. S. 62. 64u. 138 f. (s. a. S. 88 das Claproth-Zitat von 1749, in dem Glückseligkeit ihren

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Zum Begriff der Glückseligkeit in der kameralistischen Staatslehre 51

das dadurch vorgegebene Gegenseitigkeitsverhältnis von Regent undUntertanen bei der "Bewirkung" der "gemeinschaftlichen Glückselig-keit" durch "weise". Gesetzgebung tunliehst erleichtert und abgesichertwerden sollen", Infolgedessen kann Justi - im Grunde synonym - malvon "Glückseligkeit" des Menschen bzw. "menschlichen Geschlechts"(der "Bürger", der "Familien", der "Untertanen" resp. "Landeskinder",der" Völker" usw.) sprechen, mal von der "Glückseligkeit eines Staates"(einer "Republik", eines "gemeinen Wesens" usw.), ja von der (prospek-tiven) "Glückseligkeit von Europa" und der "andern Weltteile"78. Undweil dieser gewünschte oder gedanklich antizipierte "Zustand"77 alsindividueller wie kollektiver Primärzweck gilt, können sowohl die "Mit-bürger der Republik"78 als auch deren Gemeinwesen selbst - letzterein anthropomorpher Analogie" - zu Trägern der Glückseligkeit wer-den80• Der Begriff hat also individualrechtliche und überindividuell-staa tspoli tische Aspektes1•

"harmonisierenden Charakter" [KlippeI] abstreifte). - Dieses 'übereinstim-mungs- und Gegenseitigkeitsverhältnis begründet für Justi einerseits Pflich-ten der "höchsten Gewalt", die die Mitglieder des Gemeinwesens "zu Beför-derung ihrer Glückseligkeit •.. über sich gesetzt" hätten (dazu auch Grund-riß, S. 551, S. 99 u. GPFS, 1, S. 238ff.); andererseits "Gehorsam gegen dieBefehle, Gesetze u. Anordnungen des Regenten •.• [als) die wesentlichstePflicht aller Untertanen" (S. 540, § 74; s. a. S. 542, § 78 u. S. 543, § 80). Vgl.auch Natur u. Wesen, !3. 69ff: (§§ 35 ff.), S. 226 ff. (§§ 101ff.) u, bes. S. 272ff.(§§ 117ff.). - Dazu Mater, POllzeiwiss. (Anm. 7), S. 228 (s. Anm.119). ,I?aß '!~ ohlfahr~" (auch: "Wohlsein", z. B. GPFS, 1, S. 238 u. 240) u. "Glilck-

sehgkett wenn nicht synonym verwendet, so doch Glückseligkeit" als Krö-nung bzw. affektiver Endzustand der (erreichten>" "Wohlfahrt" betrachtetwerden, zeigt vor allem Justis Erläuterung des "Endzwecks der Republiken".Vgl. Natur u. Wesen, S. 61 (§ 30) u. GPFS, 2, S. 235ff.; s. a. 2, S. 86; 1, S. 439;S. 33, 228 u. 493; Grundfeste, 1, S. 9 (§ 8), S. 10 (§ 9), S. 683 (§ 778); 2, S. 5 (§ 5)u, S. 251 (§ 207). .' . . .

7' Dazu bes. Grundfeste, 2, S. 215 (§ 183); s. a. unten, Anm. 165..76 So u. a. in Rede, passim, z. B. S. 147f., 154, 165, 170bzw. GPFS, 2, S. 235ff.

(bes. S. 288) bzw, Grundriß, passim, u. a. S. 512 (§ 3), S. 523 (§ 30), S. 541 (§ 77),S. 544 (§ 82) u. S. 548 (§ 94); zahlreiche Varianten auch schon in Natur u.Wesen, passim. . - . ,', .' ~ ..;', .' . r

. Bes. erwähnenswert ist Justis (allerdings keineswegs originäre) Auffassung'von der Bedeutung der Familien als Basis der Staaten u. ihrer Glückseligkeit.Vgl. Grundfeste, 2, S. 101ff. (§§ III ff.), S. 121ff. (§§ 125ff.); s. a. 2, S. 104ff.(§§ 114ff.), S. 138f. (§ 138), S. 147f. (§ 144) u. S. 185ff. (§§ 153 if.); Natur u.Wesen S. 28 ff. (§§ 12 if.), S. 41 ff. (§§ 19ff.) u. passim. - Zu Justls Verwen-dung des "jüngeren ,entpolitisierten' Begriffs der ,Familie'" (statt des älteren,Haus') vgl. Maier, Polizeiwiss. (Anm. 7), S. 223.. 77 Rede, S. 131; vgl, u. a. GPFS, 2, S. 283.

78 GPFS, 1, S. 54; s. a. 1, S. 366. . . . . .71 Dazu die (nicht zuletzt methodolog.) aufschlußreichen Erörterungen i. s.

Abhandl. ,Von der wahren u. falschen Ehre der Staaten': GPFS, 3, S. 3 ff.;dort (S. 20 f.) auch Herausstellung der engl. "Grundverfassung" als "aller-weiseste" in Europa ("dem vernünftigsten u. gesittetsten Weltteile") u. da-mit als Paradebeispiel einer "glücklichen u. vortrefflichen Regierungsform"(s. a. GPFS, 2, S. 25, mit ausdrückl. Zustimmung zu Montesquieu; außerdemGrundfeste 2 S. 482, 484 u. 510 zur Bedeutung der "Grundverfassungen").

80 In die;e~ Sinne galt Justi (nicht nur aus Gründen diplomat. Reverenz)

••

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Wie spätestens das Attribut "zeitlich" erkennen läßt, geht es zunächstum eine irdisch-eudämonistische Seinsweise und dazu geeignete Lebens-bedingungen: um die" Vollkommenheit" des "äußerlichen Zustandes"St.Welche materialen Erfordernisse dafür angenommen werden, zeigt fol-gende Auflistung von einander ergänzenden "Glücksgütern", auf dieein "vernünftiges Volk, dem seine Glückseligkeit am Herzen liegt"83,nicht verzichten könne: 1. innere und äußere Sicherheit des Gemeinwe-sens als Voraussetzung ungestörter Tätigkeit und Nutzung gewonnenerGüterS4 (inner- und zwischenstaatlicher Friede "als die größte [Teil-]Glückseligkeit der Völker"85); 2. "vernünftige Freiheit", d. h. die Mög-lichkeit ungehinderter Selbstentfaltung, soweit sie dem Gemeinwohlnicht widerspricht (der einzelne soll "frei [sein] von den verwerflichenKetten der Knechtschaft, frei von den Bedrückungen der MächtigenIC)86;dazu ist 3. notwendig: Rechtssicherheit durch eindeutige Rechtsvor-schriften und Verwaltungsrichtlinien sowie Unparteilichkeit und unbe-

z. B. das Reich der "großen Maria Theresia" als glückselig (S. 136: "glücklicheösterreichische Länder"), wenn auch vorerst in dem relativen Verständnis,daß "diejenige Glückseligkeit, deren wir uns schon itzo zu erfreuen haben,nur ein Anfang von einem seligen Zustande ist, in welchem wir ÖsterreichsKommerzien, ReiOOtum, MaOOt,Größe u. Glückseligkeit auf dem höchstenGipfel der Vollkommenheit finden" (Rede, S. 172f.; s.a. S. 135f.). VgI. auchGPFS, 3, S. 10 u. 85 die Huldigungen an den "groBen Friedrich", den "erha-benen Verfasser des Antimachiavells" (dazu Anm. 187). - Zu den Reveren-zen an Maria Theresia u. Friedrich n. vgl, Frensdorff (Anm. 34), S. 66ff.,75, 81 ff. (bes. S. 99 f.) u. 138ft. .

81 Vgl. Maier, Polizeiwiss. (Anm. 7), S. 228f. ..82 So in einer der wenigen Definitionen Justis: Rede, S. 141 (Hervorhebung

von mir); s. a. GPFS, 2, S. 253. . .83 Rede, S. 157. - Zitat ..Glücksgüter": so (auch: ..Güter des Glücks") u. a.

in GPFS, 2, S. 252f.; s. a. Anm. 136. - Daß J. dabei - wie oben erwähnt -an umfassend-struKturelle, nicht an klein(liOO)e "Glücksgüter" denkt, zeigtz. B.' seine krit. Bemerkung, daß "das weibliehe Geschlecht" gewohnt sei,"seine Glückseligkeit auf nichts als [äußerliche] Kleinigkeiten [wie Prachtu. dgl.] zu setzen" (GPFS, I, S. 207). .

8' Dazu vor allem Natur u. Wesen, S. 92f. (§ 42), S. 115f. (§ 53) u. passim;GrundriB, S. 512ff.; Rede, S. 142ff.; s. a.. GPFS, 1, S. 77 f. u. 2, S. 71 ff.;Grundfeste, 2, S. 264ft. (§§ 220ff.); Staatswirthsehaft (2. Aufl. 1758),I, S. 68f.(§ 36) u. S. 70ff. (§ 38ff.); hierzu u. zum folgenden BuOOMarchet (Anm. 17),&~~ . .• 85 Grundriß, S. 515 (§ 8); vgl, Natur u. Wesen, S. 27ff. (§ 12); s. a. S. 81 ff.(§§ 39 ft.) u. S. 471ff. (§§ 210 ff.), bes. S. 480ff. (§§ 213ff.) über gerechte bzw.ungerechte Kriege (s. a. Anm. 150); dazu allg. W. Janssen, Art. ,Friede', in:Brunner I Conze I Koselleck (Anm. I), Bd. 1, S. 543ff. (hier bes. Abschn. Ill);zur Krieg-/Friedensfrage u. -diplomatie die Arbeiten von J. Kunisch, bes.:Staatsverf. u. Mäootepolitik. Zur Genese von Staatenkonfiikten im Zeitalterdes Absolutismus, Berlin 1979.

8& Rede, S. 141 (s. a. S. 131; dazu GPFS, 1, S. 236); vgl. Natur u. Wesen,S. 3 ff. (§ 1 ff.), s, 42 ff. (§§ 42 ff.) u. passim; GPFS, 1, S. 187u, 2, S. 7 ("wahreGlückseligkeit u. Freiheit in einem Staate"); überhaupt 2, S. 3 ff., bes. S. 16 u.19f.; 3, S. 3, 6, 222, 328ft. ("bürgerliOOe Freiheit"), 361 u. S. 411; außerdemGrundfeste, 1, S. 51, 150, 330 u. 698f.; 2, S. 57r, 67f., 418 u. bes. 455f. u. 471.- Vgl. auch Anm. 107.

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Zum Begriff der Glückseligkeit in der kameralistischen Staatslehre 53

dingte Rechtsförmigkeit der Jurisdiktions"; 4. subsistenzsichernde Eigen-erwerbschancen in einer florierenden Staats- und Volkswirtschaft",- Von diesen grundlegenden und "weit mehr Gütern"89 wird in über-wiegend staatsökonomisch-wohlfahrtspolizeilichen Argumentationsket-ten gehandelt'", Will der Staat als ,,;Vereinigung der Willen und derKräfte" seiner Bürger" diese Bedingungen erfüllen und so in der Lagesein, "dieses zeitliche Leben ruhig, vergnügt und glücklich [zu] ma-chen"92 - ja, soll er selbst "glücklich" genannt werden können", sobenötigt er zwei "Haupteigenschaften"94: "hinlänglichen Reichtum"i. S. gesamtwirtschaftlicher Produktivität" und - darauf beruhend -:"vollkommene Sicherheit"". Beides zu gewährleisten, bedarf es einer

87 Vgl. u. a. Rede, S. 145 u. bes. S. 167; vor allem aber Grundriß, S. 519f.(§§ 18- 21). '

88 Dazu vor allem Grundriß, passim, bes. S. 524ff. (§§ 31 ff.) u, S. 531ff.(§§ 52ff.); s. a. GPFS, 2, S. 200ff. u. S. 226ff., bes. S. 230ff. (über die Not-wendigkeit produktiver Arbeit u. "nützlicher u. arbeitsamer Mitglieder" imGemeinwesen). - DaB der 1813 von Hujeland (noch zögernd) in die ökono-mische Lit. eingeführte Begriff "Volkswirtschaft" wegen der. zwar obsol~twerdenden, aber bis ins ausgehende 18. Jh. in der kameralIst. Ökonomiknoch vor~errschende Orientierung an der älteren Hausökonomik nur cumgrano salis zu verwenden ist, zeigt Maier, Polizeiwiss. (Anm. 7), S. 211f. ', 8t Rede, S. 142 (wo das Kausalverhältnis zwischen derartigen "Gütern" u,de:;,,,~lü~eligkei~" au<;hreziprok gesehen wird). ., . SIe ~onnen. hl~r nicht im einzelnen verfolgt werden. Obwohl SIe zahl-r~lche Emzelkntenen für "glücklich"'"glückselig" enthalten, ist dies auchmcht erforder~i~ ~a sie weitgehend redundant sind, also meist nur Variatio-nen u. ,Kol0I'!:t bieten, Vgl. außer Grundriß, passim u. a. Rede, S. 150ff.,bes. S. 155ff. uber die "drei Hauptwege" zu staatl. "Reichtum"; s. a. GPFS, 1,Vorrede; 1, S. 147if., bes. S. 170ff. (S. 191f. über die "vier Hauptstützen vonder Wohlfahrt des Staats"); 1, S. 478ff., bes. S. 489ff. u. Grundfeste, 2,S.389 f.;S. 311 (über "Reichtum" u. "Sicherheit" als "Hauptgüter" eines "glücklichen"Staates [soa. Anm. 94]; mit Erörterungen zur Frage der Steuerbelastung U.ihrer Bedeutung für die "wahre" oder "wahrhaftige", nicht die "vermeinte"oder "Scheinglückseligkeit" der Untertanen; dazu Sommer [Anm. 5], T. I1,S. 304ff., bes. S. 311ff.); vor allem aber Staatswirthschaft, passim.

t1 Natur U. Wesen, S. 56 (§ 28).DJ Rede, S. 132.93 Vg!. GPFS, 1, S. 489. ," Dazu im einzelnen Rede, S. 135ff., bes. S. 142ff. (So 146: Reichtum u.

Sicherheit, die beiden "Quellen der Glückseligkeit") U. S. 150ff.t5 Also nicht die "mit Geld erfüllten Fässer in der Schatzkammer des

Monarchen, nicht die aufgetürmten Goldhaufen in den Häusern der Privat-Personen" (Rede, S. 144), sondern "nur derjenige Reichtum ... , welcher vonden beschäftigten Händen der Einwohner, begriffen U. täglich aus einemGewerbe in das andere bewegt wird" (S. 145). Vgl. Grundriß, S. 513ff.(§§ 3 ff.),' bes. S. 524ff. (§§ 31ff.) u. S. 531ff. (§§ 52ff.); GPFS, 1, S. 78 f.,108u. bes. 512f.; 3, S. 23 if., bes. S. 26 (Def. eines "reichen Staats" mit Unter-scheidung zw. "reich" u. "wohlhabend" oder j.opulent"); ferner 3, S. ·173,S. 380ff. sowie S. 410ff., 420 u. 428; Staatswirthschaft, I, S. 68 ff. (§§ 35ff.)u. S. 152ff. (§§ 125ff.); s. a. I, S. 438ff. (§§ 419ff.) U. 11, S. 3 ff. (§§ 1ff.),bes. S. 4 (§ 2) zum Vermögensbegriff.o. D. h., wie oben (Anm. 84) schon erwähnt, "äußerliche Sicherheit" und(damit "genau vereinigt") "innerliche Ruhe U. Wohlstand" (Rede, S. 146) -beides "nur die Wirkung" staatl. "Macht" i. S. "eines vernünftigen Gebrau-ches unserer Kräfte, welche die Wohlfahrt des Staates zu sammeln u, die

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starken und umsichtigen Regierung. Sie muß fähig sein, mit Hilfe derKameral-, speziell der sog. PolizeiwissenschaftV7 bis ins letzte Detailprogrammierte "weise Einrichtungen"88 zu schaffen und Gesetze911 zuerlassen sowie nötigenfalls zweckdienliche Reformen vorzunehmen (auchwenn in der Kameralistik nur selten ausdrücklich von Reform dieRede ist)1oo.

In letzter Konsequenz liegt darin gewiß eine absolute Verfügungs-macht der "obersten Gewalt"lOl, wenn nicht die Identität von Obrigkeitund Staat. Doch wird vorausgesetzt, daß alle Gesetze und regulativ-interventionistischen Maßnahmen10! stets nur auf das "gemeinschaft-liche Beste und die Glückseligkeit der Untertanen"lGa bedacht seien. Dies

Vorsicht in stündlicher Bereitschaft zu halten befiehlt" (S. 147); dazu bes.S. 170f. ("Ein Staat kann zwar ohne genugsame Macht niemals vollkommenglücklich werden. Allein in der Macht selbst besteht deshalb die Glückselig-keit nicht") u. S. 164ff. (über die Mittel zur Gewährleistung der Sicherheit)._ 87 Unter dem Gesichtspunkt ihrer übergeordneten staatspolit. Funktion(vgl. Natur u. Wesen, Vorbericht S. XXII ff.) gehören sie für Justi zu den"Regierungswissenschaften" (vgl, schon Arun. 56), deren "allgemeiner Grund-satz" die Förderung der "gemeinschaftlichen Glückseligkeit" sein müsse(GPFS, 1, S. 386).VgL vor allem Grundriß, S. 504u; bes. S. 510f., (§ 11); s. a.GPFS, 3, S. 219ff., bes. S. 223ff.; Grundfeste, 1, Vorrede u. passim (über dieHauptgrundsätze u. -gegenstände speziell der "Polizei-Wissenschaft"); u. a. 1,Einltg. S. 5 (§ 3), S. 7 ff. (§§ 6 - 8); außerdem 2, S.17 (§ 16)u. S. 47 if. (§§ 57ff.);dazu MaTchet (Arun. 17),S. 312if.- 88 Rede, S. 171;vgl. GPFS, 1,Vorrede; s. a. 3, S. 36 u. 245. - Bezeichnender-weise spricht Justi kurz u. bündig auch von "Einrichtung[en] u. Anstaltenzu unserer vollkommenen Glückseligkeit" im "Bezirk unserer Staaten" (Rede,S. 413; vgl. u. a. GPFS, 1, S. 247).Wie intensiv die kameralist. Reglementie-rung gedacht war, zeigen nicht nur Justis detaillierte Darlegungen über die,Totalkompetenz' der Polizei, z. B. in Grundfeste, 1,'bes. S. 708ff. (§§ 807ff.)über die "polizei-Vorsorge vor die Lebensmittel", sondern u. a. auch seineAbhandl. ,Von Pflanzung u. Wartung der Eichen' (GPFS, 1, S. 465ff.) oder,Daß ein General nicht allemal eine Schlacht liefern müsse' (1, S. 229ff.) oder,Gedanken von Projecten u. Projectmachern' (1, S. 256if.). .

88 Zu "Natur" u. Funktion von Gesetzen (im Unterschied zu bloßen Be-fehlen) vgl. vor allem Natur u. Wesen, S. 65ff. (§§ 33ff.), S. 90 ff. (§§ 41 ff.),S. 262ff. (§§ 114ff.), bes. S. 332ff. (§§ 148ff. : ,Von dem Wesen der Gesetze');s. a. GPFS, 2, S. 71 ff. (S. 86: "alle Gesetze, die diesen Endzweck [der Republi-ken: die gemeinschaftl. Glücks.] nicht haben", verdienten "nicht diesen Na":men").

100 Vgl. E. Wolgast, Art. ,Reform, Reformation', in: Brunner I Conze IKo-selleck (Anm. 1),Bd. 5 (noch unveröffentl.), S. 42,Anm. 212(Korrekturfahnen).

101 D. h. der toVereinigung aller einzelnen Kräfte in eine einzige Kraft", die"den politischen Staat ausmacht oder wodurch die Republik vollkommengebildet wird" ("derjenige, welcher diese vereinigte Kraft gebraucht, ist es,welcher die oberste Gewalt im Staate in Händen hat"). Vgl. Natur u. Wesen,S. 51ff. (§§ 25 ff.); S.8. S. 98ff. (§§ 46ff.), S. 272f. (§ 117) u. S. 539f. (§ 239).

102 Vgl. u. a. Grundriß, S. 506 (§ 3) u. passim; bes. GPFS, 2, S. 3 ff. - Dem-gemäß spricht Justi denn auch von dem "zu der glücklichen Regierung desStaats erforderlichen Aufwand" (Grundriß, S. 513, § 3.IlI; s. a. GPFS, 1,S. 582). Dazu rechnet er mit Vorrang immer wieder Maßnahmen zur Be-schleunigung des Bevölkerungswachstums. VgL u. a. GPFS, 1, S. 198ff.; 3,S. 270 u. 379ff.; 3, S. 386ff.; Grundfeste, I, S. 33 (§ 30); I, S. 174£. (§§ 208f.);1, S.235 (§ 277); 1, S.434 (§ 485); Staatswirthschaft, I, S.160 ff. (§§ 135ff.).

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Zum Begriff der Glückseligkeit in der kameralistischen Staatslehre 5:5

ist gleichbedeutend mit bevölkerungspolitischem, wirtschaftlich-sozia-lem und wissenschaftlich-kulturellem "Wohlsein des Staates" ("Wohl-fahrt der Republik")104. Regent und Regierung wird zwar eine deutliche,Prärogative' zugesprochen; doch sollen sie gewissermaßen nur deneinen der beiden Brennpunkte der Verfassung bilden - neben denvirtuell ,freien' Bürgern105• Damit taucht auch im Umkreis des Glück-seligkeitsprinzips der Gedanke der Repräsentativverfassung auf, derdas beginnende "Gefährldungsbewußtsein gegenüber dem Staat"106,d. h. das vorrevolutionäre Spannungsverhältnis erkennen läßt: entwe-der obrigkeitliches Herrschaftsmonopol bei Respektierung "korporati-ver Libertät"l07 und kontrollierter Zulassung privater, staatszweck-neutraler bzw, -kongruenter Freiheit(en) oder autonome Entschei-dungsbefugnis der Bürger (cives); anders' ausgedrückt: Glückselig-keitsgewinn durch obrigkeitlich definierte und geregelte Wohlfahrt("verwaltete Eudämonie"I08) oder selbstbestimmte Glückseligkeit durchpersönliche Freiheit als Grundrecht, wie sie 1776 z. B. im "pursuit ofhappiness" der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung gefordertwurde109•

Obwohl die spätkameralistische Staatslehre dieses Problem nichtlöste, verhielt sie sich nur noch bedingt "affirmativ" zum absolutistischen

103GPFS, 1, S. 586f. . '. . .104Zitate: Rede, S. 167 bZW. S. 133; vgl, schon oben, Anm, 74, außerdem

u. a. GPFS, 1, Vorrede u. S. 79. '.' .105VgI. vor allem Natur u. Wesen, S. 90 ff. (§ 41), S. 144ff. (§§ 66 ff.), bes.

S. 161f. (§ 72); GPFS, 2, S. 3 ff., bes. S. 17ff. (§§ 24 ff.); S. 176ff.; S. 235ff.;ferner S. 3 ff., bes. S. 17ff.; Grundriß, S. 506ff. (§§ 4 ff.); GPFS, 3, bes. S.330 f.,340 u. 351; Grundfeste, 1, S. 772ft. (§§ 892ff.) u. 2, S. 233ff. (§§ 193ff.). -Daß Justi die Lehre vom Gesellschafts_ Staats- und Herrschaftsvertrag (allg,dazu Oestreich, Menschenrechte [Anm: 185], Kap. VII, bes. S. 36f.) nur imhistor.-genet. Teil seiner .Betrachtungen ablehnte (vgl, Natur u.Wesen,S. 54ff., §§ 27 ff.), hat schon Sommer (Anm. 5), T. II, S. 190ff., bes. S. 198ft.klargestellt .' Zu seiner Auffassung von ,Volkssouveränität' u. ,Widerstands-recht' vgl, auch Frensdorff (Anm. 34), S. 118ff. (s. a. S. 141f.); allg.: K. Wol-zetulori], Staatsrecht u. Naturrecht in der Lehre vom Widerstandsrecht desVolkes gegen rechtswidrige Ausübung der Staatsgewalt, Berlin 1916, bes.S. 326ff. .101KUppel, Art. ,Freiheit' (Anm. 86), S. 477: vgl. ders., .Pollt. Freiheit

(Anm. 16),bes. Kap. 2. Ill. . . . .' '.107Vgl. K. e. Raumer, Absoluter Staat, korporat. Libertät, persönl. Freiheit

(1958) zuletzt in: Hofmann (Anm, 16),S. 173ff.; im übrigen vor allem Klippel,Art. ,Freiheit' (Anm. 86), bes. Abschn. 2 - 4; ausführl. ders., PoUt. Freiheit(Anm. 16), passim, bes. S. 57 ff., 59 ff. (64!), 67 ff., 100ff., 124ff. (129), 150 u.172. . c •

108Vgl. Brückner (Anm. 9), Kap. V. I, wo trotz differenzierter Analyse derAmbivalenz von "Glückseligkeit des Gemeinwesens" als "Ergebnis fürst-licher Verwaltung" einerseits u. "politischer Bürgertugend" andererseits(S. 240f.) die Verquickung des Glückseligkeitspostulats mit der "allerdingsnoch nicht negativ verstandenen polizeilichen Regelungsbefugnis" (S. 243)m. E. jedenfalls für Justi überbetont ist.

IQ. Dazu weiter unten.

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56 IDrich Engelhardt

Regierungssyatem'P, jedenfalls bei dem - wenn auch nicht vorbehalt-losen - Montesquieu-Anhänger Justi111• Dies zeigt die vom Glückselig-keitspostulat entscheidend mitbestimmte Option für die "eingeschränk-ten Monarchien oder vermischten Reglerungsformen'<" (neben Aristo-kratien und Demokratien eine der drei "eigentlich so genannten Repu-bliken" 113): Im Idealfall sogar ausgestattet mit einer legislativen Mit-wirkung gewählter "Repräsentanten des Volkes" und einer Exekutivein Gestalt eines "Königs oder Fürsten"114, böten sie am ehesten dasunverzichtbare Maß an ausgleichend-moderierender "Ordnung" und tat-kräftiger "Vorsorge" für die Glückseligkeit "aller Mitglieder" des Ge-meinwesens'P, Gedacht ist dabeinicht etwa nur an den vollzugstech-

UO Insofern ist die Einschätzung "vorwiegend affirmativ" (S. 472) bei J. B.Müller, Art. ,Bedürfnis' (Anm. 127), T. V., Abschn. 3 eine 'Oberzeichnung.Vgl. Maier, Politik, bes. S. 88; vor allem ders., Polizeiwiss., S. 223f. (s. a.S. 226ff. über Sonnenfels, der sich "stärker als Justi •.• in den Bahnen desabsolutistischen Staates gehalten" habe [dazu unten, Anm. 199]).

111 Betr. Justi IMontesquieu (teils ausdrückl. Anlehnung, teils krit. Modi-fikation) vgl. z. B. Natur u. Wesen, passim, bes. Vorbericht S. XXIVff.; ausder Lit. vor allem Brilckner (Anm. 9), S. 229 (bes. Anm.4) u. S. 231, Anm. 14;ferner schon Sommer (Anm. 5), T. II, S. 185ff. (aber auch S. 191, 194 u. 202);Frensdorff (Anm. 34), S. 67, 75, 80f., 108 u. bes. 121ff. sowie S. 110f. überJustis wiss. Vorbilder (bes. zur wachsenden Distanz zu Wolffs Philos.);Marchet (Anm. 17), S. 290If., bes. S. 299 (wo deutlich gemacht ist, daß dietendenzielle Befürwortung der Volkssouveränität bei Justi mit der Anerken-nung fürstl. Machtfülle bona fide zusammenstimmt); S.8. S. 335 u. 341ff.Zur Montesquieu-Rez. im Deutschland des 18. Jh.: R. Vierhaus, Montesquieuin Deutschland, in: E.-W. Böckenförde u. a. m., Collegium Philosophieum.J. Ritter zum 60. Geb., Basel u. Stuttgart 1965,S. 403ff., bes. S. 408ff. (auchzu Justi), 426ff. u. 430ff.; s. a. Marchet, S. 230 (Sonnenfels-Äußerung!). - ZuMontesquieus bonheur-Auffassung, z,T. entwickelt in Auseinandersetzungmit den moralphilos. Betrachtungen (1751)von Maupertuis (Präs. der BerlinerAkad. d. Wiss.), vgl, die aphorist. Äußerungen I, s. Tagebuchaufzeichnungen(1716- 55): ,Vom glücklichen u. weisen Leben: Einfälle u. Meinungen', dt.Amsterdam usw. 1944, S. 37ff., bes. S. 37 - 52 u. 63f. (s. a. die Einführungvon F. Schatk, S. 16ff., bes. S. 19f.). '., .ut GPFS, 2, S. 24. - Die Betonung des "Endzwecks" der Glückseligkeit

als oberstem Bezugskriterium geht bei Justi so weit, daß er den "Despotis-mus" (in GPFS, 1, S. 208) als "Ungeheuer unter den Regierungsformen" dis-qualifiziert, ja der "Despoterei" bzw. "Tyrannei" (vgl. schon Anm. 73) denCharakter einer "Regierungsform" abspricht (GPFS, 1, S. 159). Vgl. schonNatur u. Wesen, passim, bes. S. 65If. (§§ 33 ff.), S. 117f. (§ 54) u. S. 162ff.(§ 73); Grundfeste, 1, u. a. S. 206 (§ 245) u, S. 776f. (§ 897); 2, S. 356 (§ 279),S. 533ff. (§§ 461ff.) u. S. 594 (§ 527).

113 GPFS, 2, S. 20 (s.o., Anm. 71).114 S. 24f.; vgl, Natur u. Wesen, § 70. - Damit geht Justi offenkundig über

das Konzept der monardlie ternperee bei den franz. Enzyklopädisten hinausin Richtung auf das der monarchie limitee engl. Stils (mit Gewaltenteilung u.Volksrepräsentation bei der Legislative). Vgl. dazu E. -Weis, Geschichts-schreibung u. Staatsauffassung in der franz. Enzyklopädie, Wiesbaden 1956,S. 197ff., bes. S. 201ft. _. us Dazu u. a. Natur u. Wesen, passim, bes. S. 162 (§ 72) u. S. 228 (§ 102);Rede, S. 131ff.; s. a. GPFS, 1, S. 238ff.; 2, S. 292f.; 3, S. 86f. u. 478f.Charakteristisch auch für Justis Ordnungs- u. Staatsvorstellung: der(zeit-

typische) Vergleich des Staates mit einer perfekt funktionierenden "Maschine"

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Zum Begriff der Glückseligkeit in der kameralistischen Staatslehre 57

nischen Vorzug "höchster Geschwindigkeit, womit die Mittel zur Glück-seligkeit des Staats ergriffen werden können"116 (ein Gesichtspunkt, derfür sich genommen ja eher für die absolute Monarchie plädieren lassenmüßte). Trotz der Prämisse grundsätzlicher Willenskonformität vonObrigkeit und Untertanen, von Regierung und Bürgern'F wird vielmehrvor allem betont, daß die ,gemäßigte' Monarchie dem einzelnen amehesten den widernatürlichen Zwang erspare, "die uneingeschränkteRegierung seines Glückes einemandern Menschen [gar einem Despoten]anzuvertrauen"!"; Insofern bildet sie in doppelter Hinsicht einen opti-malen Rahmen: sowohl für die polizeistaatlichecura promovendi salu-tem1l9, an der auch Justi zumindest i.S. obrigkeitlicher Glück(seligkeits)-

(so vor allem schon Th. Hobbes i. s. ,Leviathan', 1651).VgI. GPFS, 1, S. 102i.u.616 i.; 2, S. 169; Grundfeste, 1, S. 557 (§ 624); s. a. GPFS, 2, S. 16i. ("Uhrwerkdes Staats"); dazu e, Reusner (Anm. 9), S. 79f. u. 87ff. - In diesem techn.-funktionalen Sinne verwendet Justi auch das organolog. erscheinende Bild vomStaat als einem "einfachen, in allen seinen Teilen auf das genaueste zusam-menhängenden Körper" (GPFS, 2, S. 16 t.; s. a. S. 142 sowie Grundfeste, 1,S. 772 u. 2, S. 456f.). Davon zu unterscheiden: die Charakterisierung desStaates als "moralischer Körper". VgI. Natur u. Wesen, bes. S. 49 (§ 23),S. 56f.(§ 28), S. 225ff. (§§ 100if.) u. S. 272ff. (§§ 117ff.). - VgI. in diesem Zusam-menhang Ladendorf (Anm. 36), S. 298ff., Art. ,Staatsmaschine'; s. a. diesystemat. Betrachtungen von M. Hättich, Das Ordnungsproblem als Zentral-thema der Innenpolitik, in: Oberndörfer (Hrsg.), Politik (Anm. 7), S. 211H.(bes. S. 232).

U8 Grundriß, S. 506 (§ 4); s. a. S. 508 (§ 7)..117 s. Anm. 74. - Zugrunde liegt die vor allem von Wolff schon vert rags-

rechtl. ausgedeutete Annahme eines Funktionsverhältnisses zw. der Obrig-keit als leitender Instanz "für die gemeine Wohlfahrt u. Sicherheit im ge-meinen Wesen" u. den Untertanen, "welche sich verbindlich gemacht, denWillen der Obrigkeit ihren Willen sein zu lassen". Vgl. seine ,VernünfftigenGedancken' (Anm. 19), §§ 229ff. (Zitate: § 229), wo diese Auffassung im ein-zelnen expliziert ist; dazu bes. §§ 257- 59 über die "Vorteile der Monarchie";s. a. §§ 433fi., bes. §§ 439ff. (zur Frage der Einschränkung der obrigkeitl.Gewalt), außerdem §§ 467ff. (über die Regierung); dazu Frauendienst (Anm.19), bes. S. 99ff. u, 103H. (s. a. S. 149ff.: ,Staat u. Recht'); Brückner (Anm. 9),S.220.' ... .

118 Dies tue ein Mensch selbst dann niemals freiwillig, wenn er selbst-kritisch einsehe, daß er zur völligen Selbstbestimmung "wegen der engenSchranken seines Verstandes, wegen der Leidenschaften u. übrigen Schwach-heiten der menschlichen Natur unfähig sei" (GPFS, 2, S. 178i.; dazu v. Reus-neT [Anm. 9], S. 80 ff. u. 110f.). Folgerung: "uneingeschränkte Gewalt" ("un-eingeschränkte oder einfache" Monarchie bzw. Aristokratie) stets eine "un-natürliche Regierungsform" (S. 189H.; s. a. Natur u. Wesen, S. 35ff., §§ 16H.,bes. § 18i S. 63H., §§ 32H.; S. 137ff., §§ 62ff.). '_ ,

111 Dazu grundlegend Maier, Polizeiwiss. (Anm. 7), S. 21H. u. T. 3, vorallem Kap. III u. IV (s, a. S. 311ff.), S. 198i vgl, dort überhaupt S. 196ff. zumkameralist.-polizeiwiss. "Glücksthema" als "Einordnung der Polizeidiskussionin die [aristotelisch verstandene] Ethik", aber ohne den "Hintergrund der beiAristoteles so wichtigen Gesellschaftslehre" u. ohne Berechtigung des Unter-tanen zum Urteil über die Inhalte seines Glücks (einseitig obrigkeitl. deter-miniert); Kritik an dem so (z.B. von Seckendorff) "verabsolutierten Wohl-fahrts- u. Glücksgedanken" erst in der "Naturrechtslehre u, Polizeiwissen-schaft" des späteren 18. Jh.,. z. B. bei Pütter (1770),aber auch schon bei Justi(dazu unten,' Anm. 137), der freilich das Problem, wer "letztenEndes dar-

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58 Ulrich Engelhardt

anleitung gelegen istt20 (wobei er im Unterschied etwa zu Jung-StiZlingfreilich keine Institutionalisierung einer speziellen "Erziehungs-" und"Aufklärungs-Polizei"IU vorsieht); aber auch für das Bemühen des Bür-gers, soweit wie möglich "sich selbst zu seiner Glückseligkeit zu Iei-ten"w. In Verbindung mit der starken Hervorhebung der Tugend "inpolitischem Verstande", d. h. mit der "Erfüllung der Pflichten [des Un-tertanen] gegen den Staat und seine Mitbürger"123, schließt diese Vor-stellung den Gedanken wachsender politischer Reife ein. Sie ist getra-gen von einer Art Imperativ der" Vernunft" als des einzigen Instru-ments zur Erkenntnis der Gehalte, "Quellen" und "Mittel" einer "wah-ren GlÜckseligkeit"124.

Daß dieser Begriff nun in seinem engeren Gehalt vorrangig materiell(nicht ,materialistisch') gefaßt ist1%5, wird am deutlichsten, wenn maneinen Aspekt einbezieht, der seit Christian Wolff126 gerade im Zusam-menhang der Glückseligkeitsfrage diskutiert wurde, nämlich die Triasdivergierender Lebensstandards (,Bedürfnisse'121):"unentbehrliche Not-

über [bestimmte], was die einzelnen glücklich machte", trotz seiner Betonungdes Gegenseitigkeitsverhältnisses von Obrigkeit u. Untertanen (s.o., Anm. 74)nicht befriedigend gelöst habe (S. 228) •. 120Vg!. z, B. Grundfeste, 2, S. 211 ff. (§§ 180 ff.). _121So bei Joh. Heinr. Jung(-StiUing), Lehrbuch d. Staats-Polizei-Wiss.

(Leipzig 1788), zit. n. Stoltenberg (Anm. 8), S. 244 f. (über Jung dort über-haupt S. 238 ff.).:

122 GPFS, 2, S. 179; s, a. S. 177 f. u. 185.123s. Anm. 161.

, m Dazu vor allem Natur und Wesen, bes. S. 387 ff. (§§ 175 ff.); s. a. GPFS, 3,S. 241 u. Grundfeste, 1, S. 671ff. (§§ 767 ff.) über die Wichtigkeit des Bildungs-wesens ("Intelligenzwesen" = "sehr glückliche Erfindung unserer Zeiten");Rede, S. 138 ff. u. bes. S. 150 ff. über die Bedeutung der Wissenschaften alsInstrumente eines "weisen u. zu der Glückseligkeit der Völker gebildeten Ver-standes" (S. 165).

125 Rede, S. 150: "einen Staat [mit seinen Bürgern] reich, sicher, mächtig undfolglich glücklich ••• machen" (s. a. S. 153 u. 155 f.). - In GPFS, 3, S. 313 f.spricht Justi konsequenterweise in einem Atemzug von "Reichtum und Glück-seligkeit", die z. B. bei einem "Volk von Viehhirten" in der "Menge des Viehes"bestünden (dazu Anm. 176).VgI. dazu Rath (Anm. 42), S. 88 ff. (S. 89, unter Bezug auf Staatswirthschaft,

I, § 455: "Wirtschaft u. Wirtschaften" nicht "schlechtweg als Ausdruck eines[bloß] materiellen Daseins" zu verstehen, sondern als "ein Dienst, der in derGemeinsamkeit einen Sinn findet"); s. a. schon Marchet (Anm. 17), S. 237(letzter Staatszweck "sittlich-materiell"). - VgL in diesem Zusammenhangden bei Maie.r, Politik (Anm. 7), S. 113, Anm. 158 angeführten Begriff "mate-rialethisch" zur Bezeichnung des" ,Was' der sittlichen Handlung" im Unter-schied zu "subjektiv ethisch" (des" ,Wie' der sittlichen Handlung").

UG Vernünfftige Gedancken (Anm. 19), §§ '210 ff.; dazu H. v. Voltelini, Dienaturrechtl. Lehren u. die Reformen des 18. Jh., in: HZ Bd. 105 (1910) S. 65 ff.,bes. S. 98 ff. (über Wolffs, an Thomasius anschließende Staatslehre im alIg.,die Begriffe "Notdurft", "Bequemlichkeit" u. "Ergötzung" im bes. u. überWolffs Wirkung auf Justi u. a.).

1%7 Vgl. U. Kim- Wawrzinek, Art. ,Bedürfnis' (T. I u. Il) in Brunner I Conze IKoselleck (Anm. 1), Bd. 1, S. 440 ff., bes. S. 442 ff.; vor allem aber J. B. MüUer,

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Zum Begriff der Glückseligkeit in der kameralistischen Staatslehre 59

durft"128, "wahre Bequemlichkeit"129 und "üppigkeit oder .•• sogenann-ter LUXUS"130.Vom Standpunkt der Staatswohlfahrt gelten "Pracht und..• Uberfluß", ja "Verschwendung in engem Verstande"131 nur dann als"verwerflich", wenn sie durch übermäßigen Devisenabfluß Verarmungund sicherheitspolitische Schwächung des Staates hervorrufen-'", BeiAbwägung sittlicher und politisch-wirtschaftlicher Momente'P ist dieökonomisch-soziale Prosperität des Staates und seiner Bürger, ist dastypisch kameralistische Ideal eines "reichen Staats"134 das ausschlag-gebende Beurteilungskriterium für den "Grad"135 der Annäherung anden erwünschten Zustand der ,Vollkommenheit'. Zentral ist immer die"Endzweck"-bedingte Wichtigkeit der "äußerlichen Glücksgüter"136 fürdie "gemeinschaftliche Glückseligkeit, worauf alle Bürger des Staats

Art. ,Bedürfnis' (T.V), ebd., S. 467ft., speziell Abschn. 3, (,Kameralismus: DasBedürfnis als Objekt regentlicher Gewalt'), bes. S. 470f. zu der "Dreiteilungder Bedürfnisse", die allerdings schwerlich von dem ital. MerkantilistenGenovesi (1765bzw. 1769; dt.1772 -76; vgl, Humperts, S.1048, If.Nr.12956 - 58)herrühren kann (wie Müller S. 471 meint) sondern u. a. eben auch bei Justlschon vorher zu finden ist. Ein früheres Beispiel bringt auch Brückner (Anm.9), S. 57 (A. Sincerus, 1718).

128 Grundfeste, 1, S. 412 (§ 465), dort mit Bezug auf das Wasser (5. a. 1,S. 77, § 83 u. S. 464, § 524); vgl, GPFS, 2, S. 39; Staatswirthschaft, I, S. 67 f.(§§ 33 - 35). - GPFS, 3, S. 24: " ... sagt man von jemand, der nur die Not-durft des Lebens genießt, daß er sein Auskommen hat; u. derjenige, welcherdieser Notdurft beraubt ist, heißt ein armer Mann." , .

129 Vgl. dazu GPFS, 2, S. 414f.; Grundfeste, 1, S. 77 (§ 83); bes. GPFS, 3,S. 26 f. die Differenzierung von "wahren [auch: wirklichen] Bequemlichkeiten"u. - schon eher verzichtbar - "Annehmlichkeiten" des Lebens (zur Unter-scheidung zw. "wahren" u. "bloß eingebildeten Bequemlichkeiten" s. a. Grund-feste, 1, S. 527, § 600; 1, S. 15f., § 16; 1, S. 430, § 481). - "Bequemlichkeiten"reichen bei Justi von den Betten (Grundfeste, 2, S. 431, § 354) über "warmeSpeisen" auch in heißen Ländern (1, S. 77, § 83) u. "Zucker, Tee, Kaffee,Gewürze" (1, S. 527, § 600) bis zu ausreichender Infrastruktur, also z, B. Ver-kehrs- u. Transportmitteln sowie Bildungseinrichtungen (u. a. 1, S. 381ff.,§§ 436ff.; 1, S. 398ff., §§ 452ff.; 1, S. 405 ff., §§ 459ff.; 2, S. 28 ff., § 31); imSpezialfall gehören auch Register in wiss. Werken dazu (2, S. 650f., § 601).· UD GPFS, 2, S. 37 (s, a. S. 39 die Definition von "üppigkeit"); vgl. u. a.Grundfeste, 1, S. 82 f. (§ 89) u. 1, S. 544ff. (§ 615 über die Moden als "gleich-sam ••• allerzärtlichste u. hochgetriebenste üppigkeit"; mit durchaus posit.Einschätzung ihres Konsumförderungseffekts).• 131 GPFS, 2, S. 38. . , . .m Dazu bes. GPFS, 2, S. 157f. - Vgl. in diesem Zusammenhang March et

(Anm. 17), S. 387ff. (über die Handelsbilanzfrage bei Justi, Sonnenfels u.anderen Kameralisten). .' . .. '. ,· 133 Vgl. GPFS, 1, S. 74 f., wo Justi "überflüssige Pracht u. Verschwendung"zwar als unvereinbar mit den "Grundsätzen einer gesunden Sittenlehre" be-zeichnet, aber auch hinzufügt: "Was vor ein Grad des Aufwands aber erfor-dert werde, wenn es vor Verschwendung gehalten werden soll, u. was es vorDinge sind, die eine überflüssige Pracht ausmachen, läßt sich so leicht nichtbestimmen" (s. a. Anrn. 138).

1M VgL schon Anrn. 95.us Grundfeste, 2, S. 24 (§ 24); s. a. 1, S. 174f. (§ 209); Finanzwesen, S. 11f.

(§ 25).ua GPFS, 1, S. 108 (u. öfter); vgl. schon Anrn. 83.(

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(:0 Ulrich Engelhardt

Anspruch haben"137J Von daher wird "üppigkeit" nicht nur als raum-zeitlich und ständisch-soziokulturell "bloß relativischer Begriff" (undSachverhalt) aufgefaßtl38; vielmehr wird sie ausdrücklich für vertret-bar ("erlaubte Ergötzung"139), ja wünschenswert gehalten, sofern siesich gesamtwirtschaftlich positivauswirke, also vor allem ein beschäf-tigungsökonomisch wirksames Stimulans bleibe und so zur Hebung desallgemeinen Lebensniveaus beitrage140• Denn wie alle Kameralisten istJusti der Ansicht, daß "zu einem glücklichen Leben ••• [jedenfalls] dieBequemlichkeiten" unverzichtbar seien!", ein. bloß "notdürftiger Un-terhalt" also nicht ausreiche: Derjenige Staat sei "allemal am glück-lichsten", der "am wenigsten gänzlich verarmte Einwohner hat"l4%.Implizit ist damit das Verteilungsproblem und die Frage ,sozialpoliti-scher' Initiativen angesprochen. Daß Justi diese Konsequenz gesehenhat, ergibt sich aus den zahlreichen Vorschlägen zur Verminderungvon Arbeitslosigkeit oder Unterbeschäftigung, zu Agrarreform undLandesausbau, zur G€werbeförderung mit Abbau der Zunftschranken,zur Reduzierung der Adelsprivilegien u. ä. m.I43• .. . .

137 GPFS, 3, S. 353; dazu aber Grundfeste, 2, S. 417 f. (§ 334). - Zur Dif-ferenzierung ist allerdings auf Justis Auffassungswandel zw. 1756 u. 1760161hinzuweisen. Vgl. Maier, Polizeiwiss. (Anm. 7), S. 220 f.

138 s. schon Anm. 133; vgl, Justis Ausführungen in GPFS, 2, S. 38 ff. (S. 42) u.3, S. 318 f.; außerdem seine Erörterungen über die Unvermeidlichkeit vonVermögensunterschieden u. ständischen Abstufungen in zivilisierten Gemein-wesen (u, a. GPFS, 1, S. 151, 259,319 u. 320 f.; Grundriß, S. 554, § 106 u. S. 555,§ 108; dazu GPFS, 2, S. 341 u. 350), die er freilich mit der Forderung nach einemausgewogenen Funktions- u, Pestigeverhältnis (einsch!. sozial gleichmäßigerVerteilung der Steuerlasten) zwischen den "Ständen" verbindet, da dies indem "großen Uhrwerke des Staates" nötig sei, "wenn alle verschiedene Teilezu der Glückseligkeit desselben übereinstimmen sollen" (Rede, S. 166f.; vgl,u. a. GPFS, 2, S. 17f. u. 1, S. 158; bes. 3, S. 353 f. u, Grundriß, S. 518 f., § 17).

139 Rede, S. 142.' . :. '. ..' .140 Vg!. die betr. Erläuterungen in Staatswirthschaft, passim, sowie GPFS

1, S. 77ff.; s. a. 2, S. 38 ff. u. 44 ff. (über die "dem Nahrungsstande u. de~Besten des Staats unmittelbar zum Schaden" gereichenden "Arten der üppig-keit"). - Nur partiell schädliche Folgen, etwa für "einzelne Familien" (vgt.GPFS, 1, S. 538), könnten "gegen den unglücklichen Zustand eines Landes,aus welchem alle üppigkeit verbannt wäre .•. , in gar keinen Betracht kom-men" (GPFS,2, S. 41 f.). .

141 GPFS, 3, S. 26; vgl, 2, S. 426 (§ 13). "141 GPFS, 3, S. 252 f.; s. a. 1, S. 108; s. a. 1, S. 512 f.; 3, S. 143 (über den

materiell u. psycholog. "elenden Zustand" des "Pöbels", der ihn "von derGlückseligkeit ausschließt"), sowie S. 338 f. u. 367; bes. Grundfeste, 2, S. 286 ff.(§§ 242ff. über die Abträglichkeit "überlästiger [d. h. armer] Bürger") ...

143 Dies kann hier nicht weiter ausgeführt werden. VgL den überblick beiFrensdorff (Anm. 34), S. 124 ff. - Zu der dabei "bis zuletzt" (d. h. bis zuRaus ,Grundriß der Kameralwissenschaft .. .' v. J.' 1823) vorherrschendenOrientierung an der "Land-Ökonomik" (charakterist. z. B. Fr. Cas. Medicus.Von der Glückseligkeit eines Staats, in welchem der Ackerbau blühet, Mann-heim 1774; s. Humpert (Anm. 34), S. 1028, If.Nr. 12662) vgl. Maier, Polizeiwiss.(Anm. 7), S. 208 ft '

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Zum Begriff der Glückseligkeit in der kameralistischen Staatslehre 61

Wie sich oben schon abzeichnete, führt Justi bei seinen Erläuterungenzu den "Bequemlichkeiten des Lebens" eine bemerkenswerte Unter-scheidung ein, die eine weitere, an die christlich-stoische Tradition er-innernde Dimension des Glückseligkeitsbegriffs erkennen läßt: "Diejeni-gen, welche glauben, daß die Zufriedenheit auch bei der bloßen Notdurftdes Lebens glücklieh machen könne, verwechseln diesen Begriff mitglückselig. Man kann alsdenn glückselig, aber nicht glücklich seinU4."Während Justi beide Begriffe sonst in aller Regel so gut wie synonymverwendet'P, möchte er sie hier unmißverständlich geschieden wissen.Dabei spielt die (auch ihm geläufige). quasi zeitlose Bedeutung von"GlÜck" als etwas Akzidentiellem jedoch keine herausragende Rolle140- erst recht nicht I, S. der antik-heidnischen fortuna-Vorstellungen, dieim Laufe des Mittelalters vom Christentum adaptiert ("heilspädagogi-sches Werkzeug Gottes) und in der Renaissance wiederbelebt wordenwaren (Machiavelli)147 und im 19. Jahrhundert z. B. noch Jacob Burck-hardt zu Betrachtungen "über Glück und Unglück in der Weltgeschichte"Inspiriertenv". Ohne besondere Reflexion über die - positive odernegative - Schicksalhaftigkeit meint "Glück" I "glücklich". bei Justi einmehr äußerlich-physisch befriedigendes Dasein149 (bei Staaten vor allemden Besitz von Macht und Reichtum, die allerdings weder zur Schau

144 GPFS, 3, S. 27 f.145 Dafür wären zahllose Belege möglich. Vg!. u. a. Rede, passim, z. B. S.140,

145, 150ff. u. 170f.; s. a. Anm. 176.141 Dazu u. a. GPFS, 1, Vorrede; 3, S. 78 f.; s. a. Anm. 177. - Zur spraehl,

Unterscheidung von ,Glück haben' u. ,glücklich/glückselig sein' vgl, etwa K.Hammacher, Art. ,Glück', in: Krings I Baumgärtner J Wild (Hrsg.), Hb. philo-soph. Grundbegriffe, Bd. I1, 1973, S. 606 ff. (606):

fortuna felicitas, beatitudofortune bonheurluck happiness

1'7 Vgl. dazu W. Sanders, Glück. Zur Herkunft u. Bedeutungsentwicklungeines mittelalterL Schicksalsbegriffs, Köln u. Graz 1965, bes. Kap. 1 (Zitat:S. 16); speziell zu Machiavellis Fortuna-Auffassung: R. Stadelmann, M.sSchicksalsglaube, in: Stud. gen., Jg.2 (1949)H. 6, S. 303ff.; s. a. Anm. 187. -Nur beiläufig kann hier auch auf das Fortuna-Thema in bildender Kunst u.Musik hingewiesen werden: etwa Bellinis F.-Allegorie, Dürers graph. Dar-stellungen ,Fortuna (Das kleine Glück)' u. ,Nemesis (Das große Glück)' oderder Glücksrad-Holzschnitt des Petrarcameisters bzw. der Eingangs- u. Schluß-chor (Fortuna imperatrix mundi) in Orffs ,Carmina burana'. ..

148 Kap. 6 seiner ,Weltgeschichtl. Betrachtungen' (1868 bzw .. 1870171; ausdem Nach!. ed. 1905); über Burckhardt (statt zahlreicher Lit.angaben): J. Rü-sen J. B., in: H.-U. Wehler (Hrsg.), Dt. Historiker, Bd. Ill, Göttingen 1972,S. 5 ff. - Vgl. in diesem Zusammenhang auch H.-G. Gadamer, Die Kontinui-tät der Geschichte u. der Augenblick der Existenz (1965), in: Ders., KleineSchriften I, Tübingen 1967,S. 149ff. (bes. S. 154). .'ut Staatswirthschaft, I, S. 65 (§ 31): Im Unterschied zu der "im phllosophi-

schen Verstande genommenen Glückseligkeit (s, Anm. 155) bezeichne ,Glück'entweder die Vollkommenheit unsers äußerlichen Zustandes oder eine unsbesonders vorteilhaftige Begebenheit ... , die wir nach dem Zusammenhangeder Umstände schwerlich oder gar nicht hätten hoffen können". (Hervor-hebung von mir).

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62 UlrichEngelhardt

gestellt noch gar zur Verwirklichung imperialer Gelüste benutzt wer-den sollen-"). "Glückseligkeit" I glückselig" ist davon zwar keineswegsvöllig losgelöst; immerhin spricht er auch vonaäußerllcher Glückselig-keit"151und gibt ausdrücklich zu bedenken, daß selbst der "gesetztesteWeltweise" bei "Mangel des benötigsten Lebensunterhalts" ("Armut","Elend") seine "Seele nicht [wird) überreden können, daß sie einervollkommenen Glückseligkeit genieße"l5!. Aber bei aller Bindung anmöglichst "sichere" und "bequeme" Subsistenzbedingungen'P ist damiteine maßgeblich im Bereich des Affektiven konzentrierte Existenzweisebezeichnet: eine materiell u. U. zwar wenig begünstigte, geistig-mora-lisch und psychosozial aber spannungsfrei-ausgeglichene, weil mit sichselbst übereinstimmende Verfassung des Menschen. Dafür spricht vorallem die gelegentliche, auf Leibniz und Wolff beruhende Definition vonGlückseligkeit als "Zustand einer beständigen Freude", zu dem ;,unsereSeele .•. auch ohne [äußere] Glücksgüter fähig" seilS'. Selbst dieseIndividualharmonie, die Glückseligkeit "in philosophischem Verstan-de"lSS, hat (wie die aristotelische Autarkie) insofern einen Gemein-schaftsbezug, als sie Ausfluß tugendhafter Pflichterfüllung gegenüberden Mitmenschen istl56•

Da dies insbesondere auf die staatlich-gesellschaftlichen Macht- undEntscheidungsträger bezogen wird, deutet sich hier' aber auch eineandere politisch-sozialmoralische Qualität von Glückseligkeit an: einegewissermaßen höhere Stufe auf der Ebene der Privilegierten, für dieGlückseligkeit in erster Linie aus derWahrnehmung ihrer gleichsamoffiziellen Verantwortung für das Gesamtwohl erwächst. Dies ergibtsich exemplarisch aus Justis Antrittsvorlegung im Wiener ,Theresianum'(1750). Sie endet - insoweit konventionell - mit einer devotionsarti-gen Laudatio auf Maria Theresia als "unsere. ewig preiswürdige Beherr-

150 Vg!. GPFS, 3, S. 11 u. 15bzw, 3, S. 9 t.u. S. 321sowie 1; S. 171ff.; s. a.Anm.85. , ..

151 Grundfeste, 1, S. 543 (§ 614),in Abhebung von der "Glückseligkeit imphilosophischenVerstande" (dazu Anm. 155). 'm GPFS, 2, S. 253;vgt. u. a. 1, S. 65.1" VgI. Staatswirthschaft (2.Aufl. 1758),I, S. 66 (§ 32);dazu auch die Anm.

ebd., S. 66f. u. GPFS, 1, S. 478ff. (,Betrachtung über die vermeinte Glück-seligkeit ... '). .. ...

164 GPFS, 2, S. 253 (auf den einschränkenden Nachsatz wird weiter untennoch eingegangen). ". 155 Lt. Staatswirthschaft, I, S. 65ff. (§§ 31ff.) ist Glückseligkeit "in philo-sophischemVerstande .•. die Vollkommenheit unseres moralischen Zustan-des u. die daher rührende Zufriedenheit unserer Seele" (S. 65);dazu Marchet(Anm.17),S. 284ft., bes. 288ff. (mit weiteren Zitaten). !

1" Vg!. Ritter, Art. ,Glück' (Anm. I), Sp. 686ff.; bes. ders., Bürgerl, Leben(Anm. 10),S. 67, Anm. 14; H. Rabe, Art. ,Autarkie', in: Brunner J ConzeJKoselleck (Anm. 1), Bd. I, S. 377ff., bes, S. 377f. - Im Hinblick zumindestauf diesen Aspekt dürfte es nicht angehen, wie Sommer von "krassem Utili-tarismus" zu sprechen (s.Anm. 17).

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ZumBegriff der Glückseligkeitin der kameralistischen Staatslehre 63

scherin" und Inhaberin "desjenigen höchsten Throns, auf welchem wiralle den Ursprung unserer Glückseligkeit verehren"157. Darüber hinausaber richtet sie sich auch an die Mitglieder des ..hocherleuchteten Mini-steriums", würdigt deren "unermüdete Bemühungen ••• für die Glück-seligkeit dieser [österreichischen] Länder" und gipfelt in der Feststel-lung: "Es ist allerdings die größte Zufriedenheit eines erhabenen Gei-stes, wenn er die Glückseligkeit so vieler Völker und der künftigenZeiten durch weise Ratschläge befördern kann; und gleichwie diehöchste Seligkeit Gottes darinnen besteht, daß er mit sich selbst aufdas vollkommenste zufrieden ist, so muß es die größte Glückseligkeiteiner großen Seele sein, wenn sie zu sich selbst sagen kann, daß sie ihrepflichten vollkommen erfüllt habe158." Demnach bleibt Glückseligkeit- typisch für das "säkularisierte Weltverständnis des 18. Jahrhun-derts"158- wohl ein innerweltlich erreichbarer Zustand, wie auch diebegriffliche Trennung zwischen "zeitlicher". und "ewiger Glückselig-keit"l60 oder einfach "Glückseligkeit" als säkular-diesseitiger und ;,Se-ligkeit" als religiös-eschatologischer Kategorie zeigt (..wahre Glück-seligkeit des künftigen Lebens". angebahnt durch die "Gesetze derReligion"181).Doch gewinnt der Begriff spätestens soauch eine wesent-lieh immateriell-ethische Komponente: Die Menschen zu der "wahrenGlückseligkeit ihres innerlichen Zustandes zu leiten". sei der "End-zweck" der "moralischen Gesetze"; die "wahre Glückseligkeit" des"äußerlichen Zustandes" Aufgabe der "bürgerlichen Gesetze"lG2.

157 Rede, S. 172.1$8 S. 173 f. (Hervorhebungenvon mir).15. SoWolgast (Anm.100), S. 16 (Korrekturfahnen).ISO Grundfeste, 2, S. 15 (§ 13); s. a. Staatswirthschaft, I, S. 123 (§ 91). _

Gelegentlich verwendet Justi statt "Glückseligkeit" ("glückselig")einfach nur"Seligkeit" ("selig"),z.B. Rede, S. 172 u. GPFS. 2, S. 253. In aller Regel aberunterscheidet er beide Ausdrücke. . , ,

1S1 Grundfeste, 2, S. 207 ff. (§ 176; auch: "künftige Glückseligkeit"); s. a.schon Natur u. Wesen, S. 387 ft. (§ 175); außerdem GPFS, 3, S. 176 ff. (überdie "Seligkeits"-Erwartung der Christen u. die Ungeeignetheit des Christen-tums als "herrschende Religionder Staaten").ll! Grundfeste, 2, S. 207 ff. (§ 176); dazu auch GPFS, 3, S. 176 ff. - Ver-

nunftmäßig ist ein echter, d. h. rational begründbarer Widerstreit zwischenReligions-Gesetzen"u. "moralischenGesetzen" ebenso undenkbar (s.a. Anm.

i66) wie jeder substantielle Widerspruch zwischen "moralischen" u. "bürger-lichen Gesetzen" bzw. "Tugenden". VgLGPFS, 2, S. 209 (§ 177); außerdem 2,S. 4 if. (§§ 4 ff.) über die "dreierlei Arten von Tugenden" (bürgerliche,morali-sche u. religiöse) u. ihren Einfluß auf den "sittlichen Zustand der Bürger"( mittelbarerweise" also auch auf das "gemeinschaftliche Beste"); ferner£ S. 195 (§ 164), S. 198 (§ 167) u. S. 206 ff. (§§ 174 ff.) sowie 3, S. 162 f.; überdie bürgerl, Tugenden ("Tugend; .. in polltischemVerstande") s. a. schon dieErörterungen über die "Triebfedern der Regierungsformen": Natur u. Wesen,S. 225 ff. (§§ 100 ff.), bes. S. 239 u. (§§ 106 if.) u. S. 360 ff. (§ 164). - Zu JustisTugendbegriff(en) vgl. schon MaTchet (Anm. 17), S. 415 f. (angeblich ..großeInkonsequenzen"); zuletzt BTÜckneT (Anm.9),S. 241 f.; zu Begriff u, ..Grund-theorem der abendländischen politischen Philosophie" der "Tugend" über-haupt (S. 85) vgl, Hennis (Anm. 84), bes. S. 77 ff. '

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Beides, "Glückseligkeit des innerlichen und äußerlichen Zustandesin diesem Leben"ll13, kommt in günstigen Konstellationen zusammen.Ethisch-moralisch jedenfalls besteht keine Antinomie, zumal von demaufklärungsphilosophischen Axiom ausgegangen wird, daß der Menschals grundsätzlich "verständiges und mit einem freien Willen begabtesWesen" in beiderlei Hinsicht schon "seiner Natur nach nichts als seineGlückseligkeit wollen" könne184• Aus demselben Grunde wird auch dieMöglichkeit eines mehr als marginalen Konkurrenzverhältnisses zwi-schen einzelmenschlicher und "gemeinschaftlicher" Glückseligkeit ver-neint. Denn: "Wer die Glückseligkeit der Menschen wahrhaft befördernwill, der muß wohl ohnstreitig an Beförderung seiner eigenen Glück-seligkeit Hand anlegen. Die Besiegung seiner eigenen Leidenschaftenmuß also vorhergegangen seln , , ,1115." Wenn gleichwohl "äußerliche" und"innerliche" Glückseligkeit auseinandergehalten werden, so folgt diesaus dem pragmatischen Zugeständnis, daß "der Mensch nicht [ohneweiteres] das vollkommenste verständige Wesen" sePIl6: Trotz seinerBegabung zum animal rationale!" tendiere er auch bei fortschreitenderAufklärung1l18 meist nicht in gleichem Maße zu "innerlicher" wie zu"äußerlicher" Glückseligkeit.

Der "philosophische Begriff von der Glückseligkeit" jedenfalls bleibtIndividuen vorbehalten: Er könne "niemals bei den Völkern" angewen-det werdent69, da ethnische (und folglich auch politisch-gesellschaftliche)Gesamtheiten zu ihrer Glückseligkeit weit mehr noch als einzelne

163 Ebd. (s, Anm. 162). .164 Ebd. (..Dieses muß natürlicherweise der Bewegungsgrund von allen sei-

nen Handlungen sein"); vgl, schon Natur u. Wesen, bes. S. 63 ff. (§ 32); s. a.Anm.124. .

165 GPFS, 2, S. '298f. (im Zuge seiner Erörterungen über das Problem der"Herrschsucht"); vgl, dazu 1, S. 172 u. 262 sowie 3. S. 33; außerdem 3, S. 7 ff.das Verdikt über die "falsche Ehre" (S. 7), die "ihrem Besitzer nie eine wahreGlückseligkeit verschaffen kann" (S. 9; s. a. S. 11). - Ober Ausmaß u. Be-deutung der "gewöhnlichen Leidenschaften der Menschen" vgl. GPFS, 2, S.148u. 203f. (s. a. S. 49). , .,

166 Grundfeste. 2, S. 207ff. (§ 176),mit dem Zusatz: "sondern beständig vonden Fehlern u. Irrtümern hingerissen wird", weshalb er sich auch eine "bloßeingebildete u. falsche Glückseligkeit vorstellen u. daraus einen Beweggrundzu seinen Handlungen nehmen" könne. Infolgedessen werde auch "eine Repu-blik wohl nie zu einer solchen Vollkommenheit gelangen .•. , daß sie nichtsals vernünftige Mitglieder hätte" (GPFS, 2, S. 42). VgI. u. a. GPFS, I, S. 105;I, S. 147f.; 2, S. 87; 2, S. 177f.; vor allem Grundfeste, 2, S. 6 f. (§ 6) u. S. 215(§ 183); Natur u. Wesen, S. 8 ft. (§ 3) u. S. 422 (§ 190); dazu Brilckner (Anm. 9),S. 218 ff. (zu den entspr. Konsequenzen schon bei Wolff).

167 SO Z. B. Grundfeste, 2, S. 62 (§ 77); s. a. S. 67 (§ 81), S. 207ff. (§ 176) u.S. 455 ff. (§§ 380ff.); GPFS, 2, S. 8, 17, 19 u. 176ft. (dort speziell zur Frage der"wahren Religion" im "Lichte der gesunden Vernunft"); Natur u. Wesen, § 202;außerdem schon Anm. 124.

108 Charakteristischerweise spricht Justi - sinngemäß wiederholt - von der"guten Vernunft u. Einsicht unseres Jahrhunderts" (GPFS, 2, S. 508; ähnlichu. a. 1, S. 182; 3, S. 179,228u. 311; s. a. 3, S. 314u. 318).

188 Vgl. Grundfeste, 1, S. 543 (§ 614; Hervorhebung von mir).

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Zum Begriff der Glückseligkeit in der kameralistischen Staatslehre 65

Menschen auf breite Interaktion angewiesen seien170, sofern sie nichtden (nur ganz seltenen) Vorzug voller wirtschaftlich-sozialer und poli-tisch-kultureller Unabhängigkeit genössen'tvTn welchem Maße diei.w. S. materiellen Voraussetzungen auch, ja gerade in dieser Beziehungals konstitutiv betrachtet werden, äußert sich am deutlichsten darin, daßJusti "nur zweierlei Wege" sieht, auf denen "die Völker zu ihrer Glück-seligkeit gelangen" könnten: "Der eine ist der Weg der Absonderungund der andere der Weg des Umgangs und der Gemeinschaft mit andernVölckern. Der erste ist gleichsam der philosophische Weg der Glück-seligkeit, auf welchem ein Volk in sich selbst und gleichsam in der Ein-samkeit seine Glückseligkeit sucht, um die Verdrüßlichkeiten und dasVerderbnis der Sitten zu vermeiden, welche der Umgang und die Ge-meinschaft der Welt nach sich zu ziehen pflegt. Der andere Weg aber istgleichsam der Weg eines Weltmannes, der mit jedermann umgeht undaus den Fehlern und der Schwäche der Menschen und der Verderbnisder Zeiten seinen [Lern-]Vorteil zu ziehen sucht. Allein, weder auf demeinen noch auf dem andern Wege kann eine Nation, deren Oberflächedes Landes und Himmelsgegend schlecht beschaffen ist, zu. einer merk-lichen Glückseligkeit gelangen .•. p!." Bei dieser" unverkennbar vonMontesquieu beeinflußten Annahme wird zwar die Möglichkeit nichtganz ausgeschlossen, daß auch ein in seinen "natürlichen", d. h. geo-ökonomischen, klimatischen und mithin geopolitlschen Konditionent"benachteiligtes Volk trotz der damit verbundenen "Abhängigkeit" zeit-weilig "glücklich" zu sein vermöge; doch fehle ihm die Basis "gegründe-ter und dauerhaftiger Glückseligkeit"174, da es nur eine "geborgte undentlehnte Glückseligkeit" habe, die ihm zum "großen Teil" jederzeitwieder genommen werden könne175•

" ,170 Haß zwischen Völkern rechnet Justi deshalb zu den "größten Unglück-

seligkeiten" (GPFS, 2, S. 284 f.), dem Gegenteil von "gemeinschaftlicher Glück-seligkeit" (das er auch als "Mißvergnügen, Unglück u. Elend der Untertanen"kennzeichnet, z. B. in GPFS, 1, S. 386); weitere Beispiele: "Unterschied derReligionen" i.~. von "wütende~ Reli~ion.sh~" (2, S. 285 ff.) u. individuelleUnzufriedenhelt i. S. von "gar mcht gluckhch (I, S. 60). .. i

171 Zur Autarkiefrage vgl, GPFS, 3, S. 36 f. (wenn auch ohne Verwendungdes Wortes); im übrigen Marchet (Anm. 17), S. 346 ff., bes. S. 347 ff.; s. a. Maier,polizeiwiss. (Anm. 7), S. 61 u. vor allem Brückner (Anm. 9), S. 279. .

17Z Grundfeste, I, S. 28 (§ 26; Hervorhebung von mir); s, a. I, S. 684 f. (§ 780)u 1 s. 12 f. (§ 12), sowie 1, S. 540 f. (§ 612; zur Frage, ob die "Gemeinschaftd~r Güter" die Staatsbürger "glück.~ichmachen" oder sogar den "glücklichstenZustand eines Staats" darstellen konne). ... ..

113 vg!. bes. Grundfeste, I, § 28 ff. (§§ 26 ff.), wo dies im einzelnen ausge-führt u. dabei betont wird, daß die "Glückseligkeit eines Staats" entschei-dend von "vollkommener Kultur [Kultivierung] der Oberfläche" abhänge(1 S 32 f. § 30; s. a. S. 131, § 159; S. 174, § 208 u. S. 371, § 426; dazu 1, S. 39 f.,§§ 34 - 36' u. S. 147, § 178 mit Unterscheidung zw. "natürlicher" u. "morali-scher Kultur"). . .. l .

m Grundfeste, I, S. 31 (§ 28); s. a. I, S. 7 (§ 6).171 1, S. 27 (§ 25).

5 zeitschrift für Historische Forschung 1/81

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_.Mit dieser ,Systematik' von Arten und Mitteln der Glückseligkeitrundet sich das bisher gewonnene Bild. Zum einen impliziert die Unter-scheidung zwischen einem mehr ,introvertierten' und - einem mehr,extrovertierten' Weg eine gewisse Historisierung des Begriffs. Dennje nach materiellen wie politischen Umständen und Bewußtseinsstandder Menschen bzw. Völker können auch raum-zeitlich verschiedeneVerwirklichungen oder Schwerpunkte der Glückseligkeit zugestandenwerden-", Zum andern zieht die bereits angeklungene 'Überzeugungvon der Machbarkeit der Glückseligkeit (wie des GIÜcks)177-bei ent-sprechend aufgeklärt-vernünftigen Orientierungsmaximen denknotwen-dig die Vorstellung von verschiedenen Entwicklungsgraden im Laufeder Menschheits- und Völkergeschichte nach sich. Dies geht zwar nichtso weit wie etwa bei den französischen Enzyklopädisten, für die Glück-seligkeit (bonheur, felieitE~) nur noch ein -"quasi technisches Problem".darstellt-", Der Gedanke der Perfektionierbarkeit aber, die Christian

178 VgL schon Anm. 125 (Viehhirten-Beispiel); außerdem GPFS, 3, S. 78 f.u. Grundfeste, 1, S. 263 (§ 309: bei den Römern solange "ununterbrocheneGlückseligkeit", wie sie "ihren [Verfassungs-1Plan niemals außer Augen ver-loren"); bes. GPFS, 1, S. 170ff. über die Frage, ob ein - in seinem "Haupt-zweck" - "kriegerischer Staat seine Glückseligkeit befördern könne" (S. 171;vsi. S. 173),u. die in diesem Zusammenhang angestellten Uberlegungen überdie "alten Teutschen Völker", die (als "kriegerische") "nach ihrer Art glück-lich" gewesen seien (Folgerung: "Es können mehr als ein Weg die Völker zuihrer Glückseligkeit führen" [S. 170)).Für die Gegenwart aber verneint Justidiesen Weg, da die Handlungsbedingungen sich wesentlich verändert hätten(vgl, S. 173ff., bes. S. 179). - Vgl. auch Grundfeste, 2, S. 6 f. (§ 6) zumWandel der "bürgerlichen Gesellschaft" u. ihres "Interesses" u. folglich der..bürgerlichen Tugenden" (s. a. 2, S. 457, § 384). .; . _ .. ._'

177 VgI. schon Anm. 92, 116u. 125.- Bezeichnend für diese Uberzeugung istnicht zuletzt die stereotyp wiederholte Formulierung "Beförderung" derGlückseligkeit (u. Varianten), u. a. in Grundfeste, 1, S. 240 (§ 283, Anm.); S. a.2, S. 285 (§ 242) u. S. 6501. (§ 601);-ferner GPFS, 1, S. 12 (dazu Grundriß,S. 557,§ 112über einen vernünftigen "Begriff von dem Glücke oderUnglücke";S. a. Staatswirthschaft, I, S. 445ff., §§ 428 ft.). - Bes. aufschlußreich für diesenZusammenhang sind schließlich Justis ,Gedanken von Projecten U. Projeet-machern': GPFS, 1, S. 256ff. (s. a. 1, Vorrede U. 3, S. 78 f.). -.! -, _

178 So Spaemann, Art. ,Glück' (Anm. 1), Sp, 700; vgl. Vorländer (Anm. 17),S. 60 ff.; S. a. K. Griewank, Der neuzeitl. Revolutionsbegriff, 2. erw. -Aufl.Frankfurt a. M. 1969,S. 159ff., bes. S. 168ff.; für den engeren Zusammenhang:Encyclopedia ou Dictionnaire Ralsonne Des Sciences, Des Arts et Des Metiers(Paris 1751ff.), Bd. V, 1758, S. 260ff., Art. ,Bonheur', vert. V. Abbe ClaudeCourtepee (über ihn den biogr. Art. von A.-M. Latour im ,Diet. de blogr,franc.', Bd. 9, Paris 1961, Sp. 1020f.); dazu allg. Weis (Anm. 114), S.17 ff. U.171ff., bes. S. 175ff. U. S. 228ff. ' . - .,'. , ' _.-, Auf die franz. MenschenrechtseTklärungen von 1789-1795 kann hier eben-falls nur hingewiesen werden. Vgl. dazu Oestreich, Menschenrechte (Anm. 185),Kap. XIII U. XIV; s. a. schon R. Redslob, Die Staatstheorien der franz. Na-tionalvers. von 1789,Leipzig 1912,bes. S. 14, 37ff., 100ff. u. 361ff.; außerdemV. ReusneT (Anm. 9), S. 9 f. U. - obschon polemisch - Merk (Anm. 8), S. 518;allg, auch G. Kleinheyer, Art. ,Grundrechte, Menschen- und Bürgerrechte,Volksrechte', in: Brunner I Conze IKoselleck (Anm. 1), Bd. 2, S. 1047ft. (bes.Abschn.6). -','..: '. " ... '-

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Zum Begriff der Glückseligkeit in der kameralistischen Staatslehre 67

Wolff schon für die beatitudo philosophica annahm17tl, wird im Kamera-lismus systematisch auf gouvernementales' Handeln' übertragen: Ineinem "Blick auf die Zukunft" z, B. versichert Justi 1760, daß die "künf-tigen Zeiten nach der Maße immer glücklicher werden, als das Wachs-tum der gesunden Vernunft in den Regierungen die billige Scham erre-gen wird, daß sie Bedenken tragen, Grundsätze und Maßregeln anzu-nehmen, die nicht mit den wesentlichen Endzwecken der bürgerlichenGesellschaften [also vor allem mit dem Glückseligkeitsideal] überein-stimmen .••• "180. "

Diese Anspielung auf Schlüsselrolle und Entscheidungszuständigkeitder Staatsführung verweist auf das verschiedentlich schon angedeuteteFolgeproblem: Bei dem Eingeständnis, daß Denken und Handeln derUntertanen dem aufklärerischen Imperativ der Vernunft - noch jeden-falls - nur bedingt genügten, lag die Entscheidung über Inhalt undMittel"wahrer Glückseligkeit" und damit eine auch erziehungspolitischeFührungskompetenz nolens volens bei der Obrigkeit. Daß sie tatsäch-lich auch wahrgenommen wurde (z. T. sogar exzessiv), erlaubt gewißnicht einfach den Schluß, daß die im Begriff der gemeinschaftlichen(zeitlichen) Glückseligkeit gewissermaßen kondensierte Lebens- undStaatszweckbestimmung Denken und Handeln der maßgeblichen Ent-scheidungsinstanzen und administrativen Vollzugsorgane vorrangig oderwenigstens mit geleitet habe. Selbst der "Polizeiverständige" Justi, dereinmal von sich bekundete, daß die "Glückseligkeit der Völker ••• dereinzige Wunsch meines Lebens gewesen" sei und "meine Feder in sovielen einsamen Mitternäehten".' ausschließlich geführt habe!", hieltes (1759) wohl für unbezweifelbar, daß ;,fast alle Regenten auf dieGlückseligkeit ihrer Untertanen bedacht sind", fügte aber zurückhal-tend hinzu: "Allein, wenn man von mir verlangte, ich sollte erweisen,daß die Glückseligkeit der Untertanen allenthalben der Hauptzweckvonden Maßregeln der Regenten wäre, so würde ich diesen Erweis fürso schwer halten, daß ich lieber alleruntertänigst bitten wollte, dieseArbeit einem andern aufzutragen. '•. 182." : ' '

17t s. Anm. lB. ' ' , .'180 GPFS, 1, Vorrede (dort speziell im Hinblick auf die Fortschritte einer

rationalen Finanzpolitik); vgl, 3, S. 493; 1, S. 182u, S. 256ff., bes. S. 259; s. a.S. 260if.,außerdem schon Anm. 135. " ' ; , , • '

181 GPFS, 3, S. 537; s. a. 3, S. 226 u. Grundfeste, 2, S. 650f. (§ 601); dazuFf'ensdorlf (Anm. 34),S. 142if. - Zitat "Polizeiverständiger": Grundfeste, 1,S 496 (§ 560). . '.' "," ' ,,',' " , ', '181 Natur u. Wesen, S. 73t (Hervorhebung von mir); s. dort {§ 36} im ein-zelnen seine skept. Überlegungen, ob nicht alle bevölkerungs-, gewerbe- u.handelspolit. "Bemühungen" im Grunde "bloß auf die Macht, den Reichtum,die Größe u. das Ansehen des Regenten u. seines Hauses" bedacht seien, d. h.alles dieses zum Hauptzweck, die Glückseligkeit der Untertanen aber nur;um Nebenzweck" gemacht werde. - VgI. dazu aber Remer (Anm. 50),S. 16ff.(prakt. Durchführung u. a. seiner Agrarvorschläge durch Friedrich d. Gr.);

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Gleichwohl: Bei aller Problematik von Wirkungsaussagenl83 läßt sichein - territorial wie graduell freilich sehr unterschiedlicher - Einflußdes Glückseligkeitspostulats auf die aufgeklärt-absolutistische Regie-rungsweise jedenfalls nicht ausschließen - eine These, die hier nur mitgroben Anhaltspunkten gestützt werden kann. Dafür sprechen nichtetwa nur einschlägige politische Willensbekundungen von Herrschernwie Fried rich d. Gr., Maria Theresia und - wohl am ausgeprägtesten _.Joseph 1[.184 oder führender Staatsbeamter wie Carl Gottlieb Suarez(ALR!)185, sondern mehr noch die Reformansätze vor allem bei derRechts- und Verwaltungspflege, cum grano salis auch auf dem Gebietder Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik wie des Kultur-, speziellWissenschafts- und Religlonswesenst", Eine gravierende Eigenart ist

Klein (Anm. 50), bes. S. 200ff., wo auf die übereinstimmung der "Grundvor-stellungen" Justis u. Friedrichs hingewiesen (S. 201) u. mit Recht bemerktwird, daß Justi einerseits stets die Orientierungs- u. Leitfunktion der Wissen-schaft [,Philosophie'] betont habe, andererseits seine staatswirtschaftl. Vor-schläge "weitgehend aus der preußischen Praxis herleitete" (S. 200).183Dazu die Warnungen bei Vierhatts, Montesquleu (Anm. 111), s. 403 ff.184 Von "zeitgenössischer Prinzipienverwandtschaft [Justis] mit Friedrich

d. Gr. u. Maria Theresia" sprach (1868) schon Roscher (Anm. 51), S. 106 (s. a.S. 88). VgI. noch immer die (in ihren Wertungen freilich sehr zeitbedingte)Studie von H. Pigge, Die Staatstheorie Friedrichs d. Gr., in: Festgabe ..•Heinrich Finke, Münster 1904, S. 401 ff., bes. S. 418 ff. zu Friedrichs Auffas-sung vom Staatsinteresse u. den korrespond. Pflichten des Regenten; s, a.Brückner (Anm. 9), S. 202 f.; außerdem schon E. Zeller, Friedrich d. Gr. alsPhilosoph, Berlin 1886, bes. S. 67 ff. über sein Menschenbild u. seine ,prakt.'Philos. (pflichtenethik) u. S. 89 ff. über seine Staatsauffassung (s.a. S. 148)sowie S. 68 ff., bes. S. 85 ff., 101 u. 105 speziell zu seiner stark ,verinnerlichten'Glücksauffassung (tranquillite); ferner O. Hintze, Das pollt. Testament Frled-richs d. Gr. von 1752 (1904), in: ders., Ges. Abhandl., Bd. Ill, Leipzig 1943, S.463 ff., bes. S. 466 ff.; ders., Friedrich d. Gr. nach dem Siebenjähr. Kriege u.das Polit. Testament von 1768, 191611920, ebd., S. 482 ff., bes. S. 523 u. 532 ff.;W. Andreas, Friedrich d. Gr., 1712 -1786, in: Die großen Deutschen, Bd. 2,1960, S. 105 ff., bes. S. 114 ff.; ders., Maria Theresia, ebd.; S. 127 ff., bes. S.131 ff. (einschI. Joseph I1.); Voltelini (Anm. 126), bes. S. 75 ff. (z.T. nach Pigge);Vorländer (Anm. 17), S. 98 f.; Merk (Anm. 8), S. 504 (nach Hintze) u. S. 515,bes. Anm. 51 (nach Pigge); s. a. Anm. 187.

185 VgI. seine ,Vorträge über Recht u. Staat' (sog. Kronprinzenvorträge),hrsg. v. H. Conrad u. G. Kleinheyer, Köln u. Opladen 1960, bes. S. 3 (Ill u. IV),63 f. (1- 4), 143 f. (I1- X), 454 f. u. 464; Auszüge auch bei G. Lenz (Hrsg.), Dt.Staatsdenken im 18. Jh., Berlin u. Neuwied 1965, S. 260 ff.; dazu schon A.stölzel, C. G. Svarez, Berlin 1885; s. a. u, Reusner (Anm. 9), S. 3 f., 9 ff., 29, 30,54 u. passim (zum ALR von 1794); O. Hintze, Preuß. Reformbestrebungen vor1806, in: ders., Ges. Abhandll. Bd. Ill, S. 537 ff.; ders., Preußens Entw. zumRechtsstaat, ebd., S. 105 ff.; ders., Der preuß. Militär- u. Beamtenstaat im18. Jh., ebd., S. 453 ff.; Maier, Polizeiwiss. (Anm. 7), S. 244 f.; w. Conze, DasSpannungsfeld von Staat u. Gesellschaft im Vormärz, in: ders. (Hrsg.), Staatu. Gesellschaft im dt. Vormärz 1815 -1848, Stuttgart 3. Aufl; 1978, S. 207 ff.(212 ff.); G. Oestreich, Geschichte der Menschenrechte u. Grundfreiheiten imUmriß, Berlin 1978, S. 55. .

186 Dazu schon Justi selbst: Grundfeste, 1, S. 509 (§ 581); anerkannt z. B.auch in dem mit antiabsolutist. u. antipreuß. Ressentiments gespickten Art.,Dtld. u. das absolute Staatsprincip' (S. 159 ff.) von Diezel (Anm. 218), S. 247 f.(s. a. S. 256 über Joseph I1.); im übrigen u. a. schon W. Oncken, Friedrich d. Gr.

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Zwn Begriff der Glückseligkeit in der kameralistischen Staatslehre 69

dabei allerdings nicht zu übersehen: Das schon mehrfach (nicht nur vonMachiavelli181) überhaupt bestrittene Ziel des "gemeinschaftlichenBesten" als verbindliche Verhaltensmaxime stand jedenfalls nicht erstin der aufgeklärt-absolutistischen Praxis, sondern schon in der kamera-listischen Ideologie selbst letztlich so sehr unter dem Primat der Orien-tierung auf "Macht und Glückseligkeit eines Staats"188, daß JohannJacob Moser 1769 abschätzig von "Universal-Staats-Medizin" sprach189

Wirthschaftspolitik u. die schwäb. Colonien in Westpreußen, in: Preuß. Jbb.,Bd. 19, 1867, S. 707 ff., bes. S. 710; Voltelini (Anm. 126), bes. S. 97 ff.; s. a.G. Jahn, Zur Gewerbepolitik der dt. Landesfürsten vom 16. b. z. 18. Jh., Diss.phil Leipzig 1909, bes, Abschn. I; aus der neueren Lit. vor allem Hartung,Absolutismus (Anm. 19), S. 159 ff. (mit eher skept. Beurteilung bzgl, Frank-reich u. Rußland, aber insges. positiver Beurteilung Preußens seit Fried-rich lI., der dt. Kleinstaaten in der 2. Jh.häIfte u. bes. Österreichs unter Jo-seph II.); H. O. Meisner in: Hofmann (Anm. 16), S. 209 ff.; F. BZaich, DieEpoche des Merkantilismus, Wiesbaden 1973, S. 174ff., bes. S. 158 ff., (bzgl,Habsburg) u. S. 170 ff. (bzgl, Preußen) sowie Abschn. B (,Der Beitrag dermerkantilist. Wirtschaftslehren zur Entwicklung der Wirtschaftstheorie u.der Theorie der Wirtschaftspol.,), bes, S. 60 ff. (von Becher bis Sonnenfels;S. 71ff. über Justi) ; zuletzt Brückner (Anm. 9), S. 286if. (insges. skept. Ein-schätzung der prakt. Wirksamkeit des kameralwiss. Studiums); aus marxist.Sicht: 1. Mittenzwei, Preußen nach dem siebenjähr. Krieg, Berlin 1979, bes.S. 100 ff. (über die wirtschaftspolit. Ansichten Friedrichs) u. S. 170 ff. (Kame-ralismus u. Kameralisten in Preußen; S. 223 ff. speziell zu Justi, u. a. unter derFragestellung, ob "seine Arbeiten tatsächlich [beweisen], daß mit der Zu-spitzung der Klassengegensätze, mit der Verschärfung des Widerspruchs zwi-schen den Produktionsverhältnissen u, dem Charakter der Produktivkräftedie kameralistische Lehre immer stärker apologefisch wurde" [So229]).

187 Vgl. (außer der in Anm. 147 gen. Lit.) Maier, Politik (Anm. 7), S. 74 f.;Sellin, Politik (Anm. 1), S. 808 ff.; s. a. .verdross (Anm. 8), S. 78, 102 ff. u.269f.' v. Hippel (Anm. 14), Bd. 2, S. 9 ff. ", , 'zu:n. sog. Antimachiavell Friedrichs d. Gr. (Refutation du prince de Machia-vel, 1739/40; dt. u. a. bei Lenz [Anm. 185], S. 153 ff.) vgl, schon Justi, Natur u.Wesen, passim, bes. S. 63 (§ 31) u. S. 69 if. (§§ 35 f.) sowie oben, Anm. 80;aus der Lit. u, a. Zeller (Anm. 184), bes. S. 72 f. u. 89 ff.; Sellin, Politik (Anm. 1),bes, S. 835 f. u. 838 ff.; s, a. e. Hippel (Anm. 14), Bd. 2, S. 103 ff., bes. S. 107 if.(mit Friedrichs Glücks- u. ,Wohlfahrtsauffassung) ; Griewank (Anm. 178),S.162. ' , , " ,

188 Grundfeste, 1, S. 683, § 778 ("das gemeinschaftliche Beste, nämlich [I]die Macht und Glückseligkeit eines Staats"). - Zu Justis Machtauffassung(noch nicht im verengten Verständnis des späten 19. Jh.) vgl, bes. Natur u.Wesen S. 541 if. (§§ 240 if.) u. GPFS, 3, S. 40 ff.; allg.: K. Sontheimer, ZumBegriff der Macht als Grundkategorie der polit. Wissenschaft, in: Oberndörfer(Anm. 7), S. 197 if. . .,' ,

Ideologie' wird hier mit E. Rothacker verstanden als "ideelle Ausdeutung,Kiärung, Rechtfertigung u. Lenkung der Praxis" (Überbau u. Unterbau,Theorie u. Praxis, in: Schmollers Jb. f. Gesetzgeb., Verwaltung u. Volkswirt-schaft im Dt. Reiche, Jg. LVI [1932], S..161 ff., hier S. 162). . ,

189 Von der Teutschen Reichs-Stände Landen', zit. n. Merk (Anm. 8), S. 517,Anm: 55; dazu S. 512 f., Anm. 42; vgl, Ch. Dipper, Art. ,Freiheit', in: Brunner IConze IKoselleck (Anm. 1), S. 455. - Zu Moser (speziell zu seinem Polizei-begriff von 1773) vgl, Marchet (Anm. 17), S. 337 ff. (S. 339: "entschieden aufJustis Schultern"); s. a. Humpert (Anm. 34), passim (Schriften). - Zum folgen-den allg. auch F. Valjavec, Die Entstehung der polit. Strömungen in DUd.1770 - 1815, München 1951, bes. S. 17 if. u. 39 ff. (S. 56 ff. speziell zum Kame-ralismus) sowie S. 88 if. u. 396 ff. (Ansätze des Liberalismus) ..

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und Lessing 1778 zu bedenken gab: "Das Totale der einzeln GlückSelig:"keiten aller Glieder ist die Glückseligkeit des Staats. Außer dieser gibtes gar keine. Jede andere Glückseligkeit des Staates, bei welcher auchnoch so wenig einzelne Glieder leiden und leiden müssen, ist Bemänte-lung der TyrannePIIO." Die in weiten Bereichen gegebene Fremdbestim-mung der Bürger im "benevolenten Polizei- und Erziehungsstaat"lIlprovozierte die - schließlich menschenrechtlich begründete ._;_ Gegen-idee vom ausschließlich selbstbestimmten und eigenverantwortlich zubeschreitenden Weg zur Glückseligkeit. Wie bereits erwähnt, fand dieseAntithese (unter freilich nur sehr bedingt vergleichbaren Verhältnis-sen192) eine ihrer markantesten Ausdrucksweisen 1776 in der Präambel

180 ,Ernst und Falk. Gespräche für Freyrnaurer', 2. Gespräch (1778), in:Sämtl. Schriften, hrsg. v. K. Ladimann, Neue Aufl., hrsg, von M. v. Maltzahn,Bd. 10, 1856,S. 258. ' ," 191 So R. Vierhaus, DUd. im 18. Jh.: soz. Gefüge, polit. Verfassung, geistigeBewegung, in: Lessing 1m Zeitalter der Aufklärung. Vorträge ... , Göttingen1968, S. 12ff. (S. 25); s. a. ders., Montesquieu (Anm. Ill), S. 426 (wo er vom"Programm eines benevolenten Absolutismus" spricht u. sich dazu auf Justibezieht). - Zum Begriff der Polizei(wiss.) vgl, außer Maier (s. Anm, 119)F.-L. Knemeyer, Art. ,Polizei', in: Brunner I Conze I Koselleck (Anm. I), Bd. 4,1978.S. 875ff. (bes. Absdm, Ill).

182 Dies kann hier nur mit zwei Stidlworten angesprochen werden: anti-kolonialer Abwehrkampf; Bedarf an staatenbildendem Grundkonsens. Vgl.dazu W. P. Adams, Republikan. Verfassung u. bürgerl, Freiheit, Darmstadt u.Neuwied 1973,S. 149u. bes. S. 224ff. (Kap. "Gemeinwohl gegen Kolonialherr-schaft"; s. a. die ansdlließenden Abschn. 2 - 5). - Zum folgenden vgl. auchWolzendor!! (Anm. 105), S. 365 ff.; v. Hippet (Anm. 14),Bd. 2, S. 128ff.; Oest-reich, Menschenrechte (Anm. 185),Kap. XII, bes. S. 62; Kleinheyer (Anm. 178)S. 1066ff.; vor allem Klippet, Freiheit (Anm. 16), S. 73 f., 123, 142, 164f., 170:193,201 u. bes. S. 79 ff.; bemerkenswert noch immer G. JCllinek, Die Erklärungder Menschen- u. Bürgerrechte, 4. Aufl. München u. Leipzig 1927, S. '10 ff.u. 17ff. (S. 81 ff. Text der für den happiness-Begriff bes. wichtigen VirginiaBill of Rights vom 12.6.1776; abgedr, auch bei G. A. Salander, Vom Werdender Menschenrechte, Leipzig 1926, S. 92 ff.; dazu ebd., S. 34 ff. den Vergleichder V.B.o.R., die mit ihren happiness-Postulaten in Sect. 1 u. 3 dem "Eudä-monismus aller naturrechtlichen Lehren" folge, mit den Staatszwecklehrenvon Hobbes u. Locke; Ergebnis: "VÖllige Übereinstimmung mit Locke, nurdaß die Virginier über die üblichen von ihm u, der Naturrechtsphilosophiebetonten Rechte - Leben, Freiheit, Vermögen - hinaus noch das Streben desEinzelnen nach Glück u. Sicherheit hinzufügen", entspr. auch dem Grundsatzvon Blackstone, 1765: "That man should pursue his own happiness"); dazuinzwischen die Aufsatzslg. ,Zur Gesch. der Erklärung der Menschenrechte',hrsg. von R. Schnur, Darmstadt 1964, die außer Jellinek, Erklärung (4.Aufl.1927)die einschläg. Texte der daran anknüpfenden Kontroverse um ideolog.Prägung, Intentionen u. Wirkungen der amerikan. Unabhängigkeitserklä_rung u. der einzelnen Bills of Rights enthält. Vgl. dort bes. S. 238ff. denAufsatz von H. wetzet, der sich mit der ;,fast materialistisch anmutendenDeutung" von G. Ritter (1949)auseinandersetzt, mit der "der genaue Gegen-satz zur Lehre Jellineks erreicht" sei: "Die Grundlage der Menschenrechts-·erklärung bilde die Glückseligkeitsethik des Rationalismus, die dem Men-schen das säkulare, irdische Ziel gesetzt habe, glücklich zu werden, die ihnaber nicht mehr als Träger einer ewigen Bestimmung, eines sittlichen Auf-trages anerkannt habe; sie sei eine Philosophie der reinen Nützlichkeit u. des

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Zum Begriff der Glückseligkeit in der kameralistischen Staatslehre 71

der amerikanischen Unabhänglgkeltserklärungv": in Jeffersons berühm-ter Formel "pursuit of Happiness" - von Bentham, dem Hauptvertre-ter des sog. Sozialhedonismus mit Hutchesons utilitaristischer Devisevom größtmöglichen Glück der größtmöglichen ZahPu" umgehend insReich der Utopie verwiesen und als tendenziell anarchisch verworfen196•

wohlverstandenen Egoismus, die man geradezu als unchristlich bezeichnenmüsse." Unter Rückgriff auf John Wise u. Pufendorf macht Welzel dagegendeutlich, "wie wenig der Begriff der happiness ohne weiteres mit materiellerWohlfahrt gleichzusetzen ist".

1t3 Die dort (§ 2) fixierten Grundsätze ("truths") lauten: 1. "all men arecreated equal"; 2. "they are endowed by their creator with certain unalienablerights ••• , among these are Life, Liberty and the pursuit of Happiness",' . ..Au! die unterschiedl. Interpretationen in der Speziallit. kann hier nicht ein-

gegangen werden. Vgl. Adams (Anm.192), bes. S. 67,224 u. 351 (Anm.28) so-wie S. 195 (Im Entwurf der Präambel habe Jeffersohn "wie oft bemerkt, aberbis heute nicht voll geklärt, in der Aufzählung der unveräußerlichen Rechte,Eigentum' durch ,the pursuit of Happiness' " ersetzt; dazu Adams Deutungs-versuch S. 222); s. a. C. Becker, The Declaration of Independence, 6. Aufi. NewYork 1956 (zuerst 1922),S. 3 ff. (bes. S. 8), S. 24 ff. (bes. S. 53 ff. über Locke u.die Locke-Adaption bei Jefferson) u, S.194 ff. (bes, S. 199f.); außerdem E.Dumbauld, The Deel. of Indep. And What It Means Today, Norman 1950,S. 52 ff., bes. S. 60 ff.; vor allem aber die (m. E. überzeugendste) Deutung beiJ. P. Bayd, The Decl. of Indep., Princeton 1945,S. 3 ff. - Zur Beurteilung deramerikan. Unabhängigkeitsbewegung (einsch!. der Decl. of Indep. vom 4.7.1776) im zeitgenöss. Dtld. vgl. H. Dippel, Dtld. u. die amerikan. Revolution,Diss. phil. Köln 1972, bes. S. 81ft.; s. a. S. 108ff. (5. 109 das Sturz-Zitat von1777!),bes, S. 133ff. (Menschenrechte); ferner S. 251ff., bes. S. 253ff. (Ebeling),S. 303ff. (S. 306: J. N. K. BuchenrödeT, 1777178:Nordamerika, das "Land derirdischen Glückseligkeit"; NicaZai, 1792: "glückseliges Aufblühen" Amerikas)u. S. 311 ff.; außerdem den Essay von J. Urzidit, Das Glück der Gegenwart.Goethes Amerikabild, Zürich u. Stuttgart 1958. ' .~

18' Zu Benthams psycholog.-empir. Begründung der utilitarist. Ethik mitihrem "greatest-happiness-principle" (Bohnen: "Begriff des sozialen Wohlsals eine logische Konstruktion aus Informationen über die Glückszuständealler Individuen") u. zur Zumeßbarkeit der "pleasure"-Quantitäten durch dieStaatsführung (..feliciftc calculus") vgl, ,A Fragment on Government' (1776)u.An Introduction to the Principles of Morals and Legislation' (1789); aus derUt. vor allem A. Bohnen, Die utilitarist. Ethik als Grundlage der modernenWohIfahrtsökonom!k. Göttingen 1964, passim, bes. S. 3 ff., 12 ff. u. 99 ff. (mitlogisch-erkenntnistheoret. Analysen desutilitarist. Denkansatzes u, seinerFortentwicklung in den modernen Welfare Economics u. ihrem Nutzen-Be-griff)· im übrigen u. a. schon W. C. Mitchell, Bentham's Feliciftc Calculus, in:politi~al Science Quarterly, Bd. XXXIII, Nr. 2 (Juni 1918)S. 161ff.; Marchet(Anm. 17), S. 219 ff. (wo auch hervorgehoben ist, daß das individualist. "Prin-zip der Maximisation des Glückes" u. die darauf basierende utilitarist. Ethikmit einer starken Rücksichtnahme auf Vorteil u. Glückseligkeit des jeweilSandern Menschen verbunden sei); s. a. E. v. Aster, Gesch. d. Philos., Stuttgart13 Auf!. 1956,bes. S. 350f. (dort auch zur Weiterentwicklung durch J. St. Mill);svaemann Art. ,GlUck' (Anm.1), Sp. 705;Verdross (Anm. 8), S.173 f. u. passim;Thieme (~m. 16), S. 35; R. Zippelius, Art. ,Rechtsphilosophie', in: Ev. Staats-lex. 1966 Sp. 1666ft., bes. Sp. 1692ff. (zu Hutcheson u. Bentham); W. Ziegen-fusS Art: Bentham', in: Philosophen-Lex., Bd. 1, Berlin 1949, S. 101f.; F.WagneT, Art. ,Bentham', ,Jeremy', in: HdSW, Bd. I, 1956,S. 755ft. (dort auchüber seinen Schiller J. Sl Mill); G. Wallas, Art. ,Bentham, Jeremy', in: En-cycloP. of Soc. Sciences, Bd. 1, MCMLVII, S. 518f.; s. a. ebd., Bd. 15, S. 197ff.:C. Brinton, Art. ,Utilitarianism', bes. S. 198; C.: Brinkmann, Art. ,Utilitaris-

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72 illrich Engelhardt

Was in der Neuen Welt (neben "lüe" undcliberty" zum "unalienableright". erhöht wurde, bewahrte aber - wenn man Wilhelm Hennishierin folgen kann - bei aller individualistischen Akzentuierung imwesentlichen noch den "zentralen Gedanken der abendländischen poli-tischen Philosophie": das gemeinschaftsbezogene Postulat eines "voll-kommenen, ,glückseligen' Lebens"lH. Als verbindlicher Leitgedankeund wichtigstes legitimitätsstiftendes Element staatlicher Maßnahmenaufgehoben wurde die Glückseligkeitsidee erst im urspünglich polemi-schen Begriff des Rechtsstaats!", entwickelt unter dem Eindruck der"Maximalisierung der Verwaltungsinteressen des Patriarchallsmusvoe,

mus', in: HdSW, Bd. 10, 1959,S. 611; ausführ!.: Reiner (Anm. 10), bes. S. 38,. 48f., 53f., 117f., 132ff., 150,153f. (zu Bentham, Hutcheson u. Mill).. Zu der transzend. moral-sense-Begründung für die "Glückseligkeit des gan-zen Systems" (Henrich: "Teleologie des Guten") bei Francis Hutcheson (1694-1746),Mitbegr. der sog. Schott. Schule u. Lehrer von Adam Smith, vgl. u. a,schon March et (Arun. 17),S. 203ff.; s. a. Hammacher, Art. ,Glück' (Anm. 146);Medick (Anm. 16),passim: vor allem D. Henrich, Hutcheson u. Kant, in: Kant-Studien, Bd. 49 (1957/58)S. 49 ff. (mit Literaturangaben), bes. S. 58 ff.

19S Bzgl, Benthams Kritik im Rahmen der (anonym veröffentl., überwiegendvon seinem Freund John Lind verf.) ,Answer to the Declaration of theAmerican Congress' vgI. bes. seinen Brief vom Sept. 1776 an Lind, zit. b.H. L. A. Hart, Law in the perspective of philosophy: 1776-1976, in: New YorkUniv. Law Rev., Bd. 51, Nr. 4 (Okt. 1976)S. 538ff. (543).1" Hennis (Anm. 84), S. 79 f.; s. a. Maier, Politik (Anm. 7), S. 116,Anm. 166,

wo er die Auffassung vertritt, daß der "Gedanke des pursuit of happiness"in den angelsächs. Ländern "ungebrochen aus der aristotelisch-mittelalter-lichen Tradition in eine modeme Verfassung" habe übernommen werden kön-nen. Mit Hennls weist Maier darauf hin, daß ",Eudämonismus' ••• nur inDeutschland ein Schimpfwort geworden" sei. VgI. dazu jedoch die - freilichepisodenhafte - Aufwertung des Begriffs durch die gegenrevolutionär-anti-jakobin. Ztschr. ,Eudämonia oder dt. Volksglück, ein Journal für Freundevon Wahrheit u. Recht' (Leipzig bzw. Frankfurt a. M. 1795- 98): M. Brau-bach, Die "Eudämonia" ••• , in: Hist. Jb., Bd 47 (1927)S. 309ff.; zur Ergän-zung: G. Krüger, Die Eudämonisten ••• , in:HZ Bd. 143 (1931)S. 467ff. . .m Dazu bereits die bekannten Schriften von O. Bähr (1864)u. R. Gneist

(1872): im übrigen etwa Kleinheyer (Anm. 178),Abschn. 7 u. 8; R. Bäumlin,Art. ,Rechtsstaat', in: Ev. Staatslex., 1966, Sp. 1733ff., bes. Sp. 1738f. (Ab-sehn. C); s. a. schon Wolzendorff (Anm. 105),S. 479ff., bes. S. 486ff. u. 531ff.;außerdem Oestreich, Menschenrechte (Anm. 185),Kap. XVI u. XVII; Hennis(Anm. 84), S. 86f.; H. Maier, Zur Frühgesch. des Rechtsstaats in Dtld., in:NPL, Bd. 7 (1962),S. 233ff.; vor allem ders.~Polizeiwiss. (Anm. 7), bes. S. 21 ff.,228f., 244ff., 271ff., 311, 318ff. u. 324ff.: nach wie vor zentral der (ideen-,verfassungs- u. sozialgesch. Aspekte verbindende) Aufsatz von Conze (Anm.185).Zur Begriffsgesch. vgl, den (allerdings unzureichenden) Art. ,Rechtsstaat',

in: Ladendorf (Anm, 36), S. 264f.; zur Entwicklung des anti-absolutist. Frei-heitsbegriffs in der jüngeren Naturrechtslehre (gegen die "Staatszwecktheo-rie des älteren Naturrechts" u. damit auch gegen die Glückseligkeitsidee)jetzt vor allem Klippel, Polit. Freiheit (Anm. 16), bes. Kap. 5 - 8 u. S. 203!f.(mit ausführ!. Quellen- und Literaturangaben) •.lt8 So bekanntlich Max Weber, Wirtschaft u. Gesellschaft, Studienausg. von

J. Winckelrnann, Köln u. Berlin 1964,2. Halbbd., S. 829; s. a. 1. Halbbd., S. 631.- Zur ,Beginnenden Opposition gegen den ,Wohlfahrtsstaat' noch im aus-gehenden Kameralismus (Bob u. Berg) vgl, Marc.llet (Anm. 17), S. 411ff.; s. a.Maier, Polizeiwiss. (Anm. 7), bes. T. 4.

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Zum Begriff der Glückseligkeit in der kameralistischen Staatslehre 73

Hatte schon der österreichische Kameralist Joseph von Sonnenjels den"Hauptgrundsatz" der. "Beförderung der allgemeinen Glückseligkeit"bei aller Zustimmung als "wahren, aber nicht überweisenden [d. h. zir-kelsch1ußartigen] Satz" bezeichnet199, so setzte nun ein, was "Verlustder aristotelischen Tradition"200 genannt worden ist: Mit Kant relati-vierte sich Glückseligkeit zum '"Inbegriff aller durch die Natur außerund in dem Menschen möglichen Zwecke desselben", zur "bloßen [undwandelbaren] Idee"%01. Als "Endzweck" und mithin als "Orientierungfür ein ,bestimmtes allgemeines und festes Gesetz'" wurde sie dadurchuntauglich (1784 ff.)%02. So gesehen,' konnte die Aufgabe des Staates nicht

. ... . .

19t1 VgI. seine ,Grundsätze der Policey, Handlung u. Finanz. Zu dem Leit-faden des polit. Studiums', 3 Tie., Wien 5. Aufl. 1787, T. I (zuerst 1765), S. 24 ff.,bes. seine erläuternde Anm. S. 24 f. u. seine Modifikation S. 27 f. (s. a. S. 31 f.):"Vergrößerung der bürgerlichen Gesellschaft durch Beförderung der Bevölke-rung" als "Hauptgrundsatz der Staatswissenschaft"; dazu Brückner (Anm. 9),S. 253 ff. (s, a. S. 280 u. 288); K.-H. Osterloh, J. v. Sonnenfels u. die österreich.Refonnbew. im Zeitalter des aufgeklärten Absolutismus, Lübeck u. Hamburg1970, S. 39 ff., bes. S. 42 ff.; s. a. schon Sommer (Anm. 5), T. II, S. 319 ff., bes.S. 326 ff. bzw. 334 ff. (allerdings mit problemat. Charakterisierung seines"Systems" als "ausgesprochene Rückbildung zum Absolutismus" [So323; vgl,Anm. 110)); Zielenziger (Anm. 5), S. 101 ff.,- bes. S. 103; v. Reusner (Anm. 9),S. 3; bes. Marchet (Anm. 17), S. 329 ff. (s. a. S. 414: ähnl. Kritik bei Bob; dazuMaier, Polizeiwiss. [Anm. 7], S. 226 ff.).

100 So bei Conze (s. Anm. 197), S. 207.tOl ,Kritik der Urteilskraft' (1790), zit. n. Kant, Werke in zehn Bd. (Anm. 36),

Bd. 8, S. 551 ff. (§ 83); vgl, ,Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbür-gerlicher Absicht' (1784), Bd. 9 (= 2. repr. Nachdr. der Ausg. 1964), bes. S. 36;vor allem ,Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugtaber nicht für die Praxis' (1793), ebd., S. 127 ff., bes, S. 131 ff. (mit Unter-scheidung von "glücklich leben" u. "der Glückseligkeit würdig werden"),S. 154 f. u. 159; dazu R. Eisler (Bearb.), Kant-Lex., Berlin 1930, S. 211 ff., Art.,Glückseligkeit' (s. a. S. 506 ff., Art. ,Staat'); E. Schäfer, Der Glückseligkeits-gedanke in der Ethik Kants, Diss. phil, (masch.) Königsberg 1921 j s. a. H.Günther, Art. ,Freiheit' (IV. 4), in: Brunner I Conze I Koselleck (Anm. I), Bd. 2,1975, S. 464 ff.; Sellin, Politik (Anm. 1), S. 838 ff. u. 846; Oestreich, Menschen-rechte (Anrn, 185), S. 76 f.; Verdross (Anm. 8), S. 142 ff.; v. Hippet (Anm. 14),Bd. 2, S. 135 ff., bes. S. 144 ff.; Reiner (Anm. 10), bes. S. 53 u. 135 ff.; ausführl.schon ders., Kants Beweis zur Widerlegung des Eudämonismus u. das Apriorider Sittlichkeit, in: Kant-Studien, Bd. 54 (1963), S. 129 ff. - VgI. in diesemZusammenhang auch Spaemann, Art. ,Glück' (Anm. 1), Sp. 703 f. (zu Kant u.Hegel) sowie H. Glöckner, Hegel-Lex., 2. Aufl. 1957, Bd. 1, S. 825 ff., Art.Glück Glückseligkeit' (Hegel: "Vor der kantischen Philosophie ist eigentlichdas allgemeine Prinzip die Glückseligkeitslehre gewesen").. 101 Vgl. Spaemann, Art. ,Glück' (Anm. 1), S. 703, wo Kants Glückseligkeits-auffassung in weiteren Zitaten expliziert ist (Zitat im Zitat: Kant, Kritik derUrteilskraft [Anm. 201], S. 552; s. a. S. 559, Anm.: zum Problem der Glück-seligkeit als "nur bedingtem Zweck" oder als "Endzweck"; S. 547 u. bes. 557u. 582 zum Unterschied von "Zweck" u. "Endzweck"). - In seinem ,Antwort-schreiben des Prof. Kant in Königsberg an den Abt Sieyes in Paris' kritisierteKant 1796 den franz. Deduktionismus ("aUe metaphysischen Einsichten u. Ent-deckungen in das Fach der Politik hinüberzutragen"): "Zuverlässige Regeln,wie einzelne Menschen u. ganze Staaten zu aller möglichen Glückseligkeitgelangen können, sind nur in der Bibel zu finden." (Zit. n. Red,slob [Anm. 178],S. 358, Anm. 2.) , ..

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74 ,' UlrichEngelhardt

in der unmittelbaren Verwirklichung einer homonymen Zielvorstellungliegen, sondern allein in der rechtsgesetzlichen Vorsorge dafür, daß dieFreiheit des einen die des andem nicht beeinträchtige203•· Essentiellwar "Staat" (civitas) demnach "die Vereinigung einer Menge von Men-schen unter Rechtsgesetzen"l!04;und das "HeU des Staats" ließ sich kon-kludent nur begreifen als"Zustand der größten übereinstimmung derVerfassung mit Rechtsprinzipien, als nach welchen zu streben uns dieVernunft durch einen kategorischen Imperativ verbindlich macht"205.

:' Logisch-analytisch war Glückseligkeit als Telos staatlicher .Tätigkeitdamit nachhaltig untermtniert=", Bergs ,Handbuch des teutschen Poli-zeirechtes' (1799; 2. Aufl. 1802 - 08) z, B. erklärte die rechtsstaatliche;,Sicherheit der ganzen Gesellschaft und jedes einzelnen Gliedes" bereits 'zum "Hauptzweck des Staates" :.._ eine AufgabensteIlung, die den nun"untergeordneten Zweck der allgemeinen Wohlfahrt, der Zufriedenheitund Glückseligkeit der Staatsgenossen" lediglich "nicht ausschließt"!il7.Zuvor schon (1792) hatte der junge Wilhelm v. Humboldt in Auseinan-dersetzung auch mit dem Kameralismusr" die verfassungstheoretischrichtungweisende Konsequenz gezogen. Ein Jahr, bevor Fichte. "jenergiftigen Quelle all unseres Elendes, jenem Satze: daß es die Bestim-mung des Fürsten sei, für unsere Glückseligkeit zu wachen, den unver-söhnlichen Krieg" ansagte (1793)%01,beschrieb Humboldt die Zielsetzun-

" %03 VgI.K.-H. Volkmann-Schluck, Der Ursprung des Rechtsstaates aus derIdee der Freiheit (Kant), in: ders., Polit. Philosophie,: Frankfurt a. M. 1974,S. 96 ff., bes. S. 116 ff. u. 126 ff. (Zitat: S. 100). - Daß der aufgeklärte Absolu-tismus intentional im Grunde selbst auf den liberal-konstitut. Gedanken ver-wies, läßt Maier, Polizeiwiss. (Anm. 7), S. 229, Anm. 413 mit dem Zitat vonF. J. Klein v. J. 1790 als zumindest plausibel erscheinen. '

t04 Kant, MetaphYSikder Sitten (1797), aaO, Bd. 7, S. 431, § 45: s. a. S. 429,§ 43 u. S. 423 ff., §§ 41 - 42 (Definitionvon "rechtlicher Zustand" bzw. "Rechts-gesetze"): Auszüge auch bei Lenz (Anm. 185), S. 350 ff.: dazu die pointierteEinschätzung von Hennis (Anm. 84), S. 85 f.; s. a. K. Rossmann,.ImmanuelKant, 1724 - 1804, in: Die großen Deutschen, Bd. 2, 1960, S.. 265 ff.; bes. S.277 ff. '. , ' . ',',' : ,

105 Metaphysik der Sitten, S. 437, § 49 ("nicht das Wohl der Staatsbürger u.ihre Glückseligkeit"); s. a. S. 505 ff., 515 ff. (bes. 517) u. passim; zur Definitionvon "kategorischer Imperativ" vgl, ebd., S. 331 (Einltg.). . .., 108 Vg!. Klippel, Polit. Freiheit (Anm. 16), hier bes. S. 13, 20 (mit Lit. inAnm. 14), 23f., 120, 132, 180 ff., 188, 197 u. 206; s. a. Maier, Politik (Anm. 7),S. 104 f. u. 112 f.; ders., Polizeiwiss. (Anm, 7), S. 230 ff., bes. S. 240 ff. . . . ,• 201 Zit. n. March et (Anm. 17), S. 424 (S. 419: "Berg hat sicherlich die ab-strakte Rechtsstaatsidee Kants in sich aufgenommen..• "); zur Einleitung der"Spätblüte" der Polizeiwiss. in der 2. Hälfte des 19. Jh. durch Günther Hein-rich von Berg im einzelnenMaier, Polizeiwiss. (Anm.7), S. 249 ff., bes. S. 257 ff .• %08 VgI.,Ideen zu einem Versuch•••' (Anm.212), S. 19 f. .: ' .,

209 ,Zurückforderung der Denkfreiheit von dem Fürsten Europens' (1793),zit. n. Klippel, Polit. Freiheit (Anm. 16), S. 132: vgl, Sellin, Politik (Anm. 1),S. 844 ff.: Verdross (Anm. 8), S. 154 ff.; v. Hippel (Anm. 14), Bd. 2, S. 187 ff.,bes. S. 193 ff.; Oestreich, Menschenrechte(Anm. 185), S. 77; Maier, Polizeiwiss.(Amn. 7), S. 282 ft., ,Exkurs: Die Polizei in der politischen Theorie der Revo-lution u. Restauration (Fichteu. HegeI)'. "0'" ". •

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Zum Begriff der Glückseligkeit inder kameralistischen Staatslehre 75

gen der "älteren und neueren Staaten" schematisierend als "Glückselig-keit" einerseits und "Tugend" ("Kraft und Bildung des Menschen alsMenschen") andererseits und verkürzte erstere auf rein äußerlich-mate-rielleWerte wie "Wohlstand, ••. Habe und .•• ·Erwerbsfähigkeit'P'",Gegenüber der so als ,bloß' wohlfahrtsstaatlich-bevormundend darge-stellten "fureur de gouverner"!l1 wollte er die "Grenzen der Wirksam-keit des Staats"212 aufdie Funktion der Sicherheitsbürgschaft zurück-genommen sehen: Das "Prinzip, daß die Regierung für das Glück undWohl ••• der Nation" zu sorgen habe, verwarf er als "ärgsten und.drückendsten Despotismus"!13. Dagegen setzte er die idealistische Kon-zeption eines Staatswesens, das seinen Bürgern lediglich "Freiheit zurErreichung aller ihrer Zwecke zu verschaffen" habe214• Staatliche Ge-währleistung eigenverantwortlicher Persönlichkeitsentfaltung als eiil':zige Möglichkeit zu einem selbsttätig-glücklichen Leben des Individu~ums!15 wie zum "Glück der Gesellschaft"211l löste "Glückseligkeit" alsStaatszweck ab!17.

210 Vg!. ,Ideen zu einem Versuch .• .' (Anm. 212), bes. S. 17ff., 28 (..Wohl-stand u. Ruhe", "Wohlstand u. Glück") u. 41 ("nur ••. Glückseligkeit u. Ge-nuß").· . ' . - .. • .. . ...

zu So in einem Mirabeau-Zitat, das Humboldt seiner Schrift (Anm. 212)bezeichnenderweise als Motto voranstellte; vgl, dazu u. a. S. 42 ("Einmischendes Staats") u. S. 46 ("absolute Gewalt"), bes. aber S. 26 ff. die Darlegungenüber die Nachteile einer "positiven Sorgfalt des Staates für den Wohlstandseiner BUrger" (S. 38). .. . . " . .: .!l1,Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staats zu

bestimmen' (1792),zit. n. der Ausg. Stuttgart 1962; Auszüge bei Lenz (Anm.185),S. 408ff. - Zu diesen Überlegungen über Möglichkeiten u. Grenzen desEingreifens der Räder der Staatsmaschine in die Verhältnisse der Bürger"(S. 48) vgl, die krit. Analyse der Motive bel S. A. Kaehler, W. v. Humboldt u.der Staat, München u. Berlin 1927,S.124 ff., bes. S. 134ff.; s. a. Hennis (Anm.84) S. 87 u. S. 399, Anm. 27 (die "Verengung des Staatsbegriffs bei Kant u.W.' v. Humboldt" sei allerdings "weder für Theorie nochPraxis des deut-schen Staatsdenkens im 19. Jahrhundert repräsentativ", wie z. B. MohlsRechtsstaatsbegriff zeige; dazu E.-W. Böckenförde, Gesetz u. gesetzgebendeGewalt, Berlin 1958, 5. 179ff.); ferner Klippel, PoUt.-Freiheit (Anm. 16), S.132f.' Maier, Polizeiwiss. (Anm. '7), 5. 247. - ,.. .'.' . . .

111 So in einem Brief an Gentz vom Aug.-1791. zit. n. dem Nachwort vonD. Spitta zu der oben (Anm. 212) gen. Ausg., S. 1.72. .. ..'. la Tagebucheintragung von Ende Okt. 1789,zlt, n. ebd., 5.171; vgl, S. 21seine Zweckbestimmung des Menschen (s. a. S.· 29, 44 u. 75). - Zu .seinemFreiheitsbegriff im einzelnen S. 49ff., 52 ff., 57ff., 64ff., 83ff.,t 97 ff. (Zwi-schenre5Üme). 105,107f. u. 164ft.: Sicherung der Freiheit nach außen u. gegeninnerliche Zwistigkeiten" als "Endzweck" (S. 83) des Rechtsstaats (S.124 ff.):"Abtreibung eines auswärtigen Feindes oder: •• Erhaltung der Sicherheit 1mstaate sel~st", da "ohne..S~cherheit •• : !eine Freiheit" (S. 49f.); Sich:rhe!t .=Gewißheit der gesetzmaßtgen Freiheit (S. 99). ., I. " - -, • ,

" 111 S. 13f.: "Nach einem Ziele streben u. dies Ziel mit Aufwand physischerund moralischer Kraft erringen, darauf beruht das Glück des rüstigen, kraft-vollen Menschen." Vg!. dazu außer den in Anm. 217 gen. Stellen auch S. 91f.(über ,innere', "mit der Tugend so eng verschwisterte Glückseligkeit"). , . ..lit S. 160. . .

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76 illrich Engelhardt

Konzeptionell war es von hier aus - um dies wenigstens noch anzu-deuten - kaum mehr als ein Schritt zum primär privatrechUich-wirt-schaftsgesellschaftlich orientierten Liberalismus. Sein Programm stren-ger verfassungs- und verwaltungsrechtlicher Begrenzung der Regie-rungsgewalt auf "Ordnungsbewahrung und Störungsabwehr" in einemautoharmonisch gedachten Regelsystem (,freies Spiel der Kräfte')U8 wargeprägt von der Auflösung der vorrevolutionären Einheit von Staat(civitas, res publica) und Gesellschaft (societas civilis)219;es stand ganzunter dem Vorzeichen axiomatischer Autonomie der bürgerlichen resoeconomicae, entfaltet unter dem Einfluß westeuropäischer Volkswirt-schaftslehren (Adam Smith) und begleitet vom Verzicht auf die "Ideeeiner eigenständigen Volkswirtschaftspflege" i. S. territorialstaatlicherWohlfahrtsökonomlk=", Auch Robert von Mohls Bemühen, in seiner,Polizey-Wissenschaft' (1832 - 34) "Elemente der älteren Politik in denmodernen Rechtsstaat hinüberzuretten'P", hinderte die prinzipielle Ab-kehr vom Konzept staatlich-öffentlicher Wohlfahrtsförderung mit,Glückseligkeitskompetenz' nichtw. In dem Maße freilich, wie die sog.

117 Vgl. bes. S. 13 f., 25, 31, 34, 41 s; 78, 83, 153 ("Entwicklung der Kräfteder einzelnen Bürger in ihrer Individualität") u. sein anthropolog. CredoS. 94 f., 147 u. 169.218Vgl.schonMerk (Anm.8), S. 516 ff. (Zitat: S. 518) u. Zielenziger (Anm. 5),

S. 16 ff., bes. S. 21 ff.; jetzt vor allem Sellin, Politik (Anm.1), S. 838 ff.Bes. erwähnenswert ist in diesemZusammenhangz.B. Gustav Diezels Buch

,Dtld. u. die abendländ. Civilisation.Zur Läuterung unserer polit. u. soc.Be-griffe' (Stuttgart 1852) mit seiner antiabsolutist. (S. 159 ff.) u. nationalstaatl.-großdt, Zielvorstellung einer "freien u. nationalen Entwicklung" (S. 262's. a. S. 291) als Garant der Identität (des "eigenstenWesens") des dt. Volke~(vgl, S. 272, bes, 275 ff., 299 ff. u. 390 ff.): ..... ein nationales Leben, einenationale freie Entwicklung mit ihren notwendigen [!) Folgen,Wohlfahrt u.allgemeine Befriedigung••." (S. 286); s. a. Art. ,Staatszweck' im Brockhaus,7. Aufl., Bd. 10 (1830), S. 600 f. (aber kein Art. ,Glück' bzw. ,Glückseligkeit'oder ,Wohlfahrt' u. dgl.; in Bd. 12, 7. Aufl. 1830, S. 357 ff. u. Bd. 15, 10. Aufi.1855, S. 321 f. lediglichein Art. ,Wohlfahrtsausschuß(Comlte de salut public)';s. a. Bd. 15, 10. Aufi. 1855, S. 323, Art. ,Wohlthätigkeit u. Wohlthätigkeitsan-staUen' u. Bd. 12, 10. Auf!. 1854, S. 243 f.,Art. ,Polizei').

11' DazuConze (Anm.197); s. a. E. Angermann, Das "Auseinandertreten vonStaat u. Gesellschaft"imDenken des 18. Jh., in: Ztschr. f. Pol., N. F. 10 (1963)S. 89 ff.

110 Zu diesem Prozeß der "Umwandlung der Kameralistik" im Zuge der(durch ehr. J. Kraus vermittelten) Smith-Rezeption,greifbar z.B. bei K. H.Rau (1828 ff.), vgl. MaieT, Polizeiwiss. (Anm. 7), S. 235 ff. u. 287 ff.; s.a. schonRath (Anm. 42), S. 76 (zu Smith's Kritik am Kameralismus); zur Smith-Rez.W. Treue, AdamSmith in Dtld, in: W.Conze(Hrsg.),DUd.u. Europa,Düssel-dorf 1951, S. 101 ff.; zu seiner Vorstellung einer langfristigen "revolution ofthe greatest importance to the public happiness" Medick (Anm. 16), Abschn.n~&~ft .. 111 SoMaieT, Politik (Anm.7), S. 107; vgl, äers.,Polizeiwiss.(Anm.7), S. 22 f.,229, 247 f., 262 ff. u. 311 ft. (s.a. S. 278 ff. über W. J. Behr, Allg. Pollzeiwissen-schaftslehre... , 1848); E. Angermann, Die Verbindung des ,polizeistaatl.'Wahlfahrtsideals mit dem Rechtsstaatsgedanken, in: Hist. Jb., Bd. 74 (1955)S. 462 ff.

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Zum Begriff der Glückseligkeit inder kameralistischen Staatslehre77

Soziale Frage den betonten Individualismus der liberal-kapitalistischverfaßten "industriellen Welt" zu einem Politikum ersten Ranges wer-'den ließ, folgte noch im 19. Jahrhundert der Rückbezug auf die Gemein-wohl-Verantwortung von Staat und Regierung223• Er setzte sich inunserem Jahrhundert fort, greifbar etwa in den sozialstaatliehen Vor-'gaben bzw. Rahmenbestimmungen der ,Weimarer Verfassung224 bzw. desGrundgesetzesH5• Sind Terminus und zeitbedingte Vorstellungsgehalteder Glückseligkeit unter den veränderten Bedingungen des Industrie-zeitalters obsolet geworden - in der Diskussion um Zweck und Zustän-digkeiten staatlichen HandeIns fehlen Uberlegungen über Inhalt(e) undForm(en) individueller wie gemeinschaftlicher ,Wohlfahrt' und damit"über das Glück als politische Kategorie"220 auch heute nicht.

- tt! Zu dem sich ausbildenden ..Antagonismus von Sicherheit' (Recht) u.Wohlfahrt", zu verfolgen in Staatszwecklehre u. Polizeibegriff, vgl, Maier,polizeiwiss. (Amn. 7), bes. S. 245 ff. (s.sa, S. 285if. u. 311 ff.); zuletzt Brückner(Anm. 9), S. 291ff. - Aufschlußreich ist in dieser Hinsicht z. B. der Art. ,Ge-sammtwohl, Gemeinwohl oder öffentl. Wohl, Glückseligkeitsprincip, als End-zweck u. Grundgesetz des Staates u. der Politik' von C. Th. Welcker, in:Rotteck IWelcker, Staats-Lex., Bd. 6, 1838,S. 579ff., bes. S. 582ff.m Auch dazu (s. schon Anm. 5) sind hier nur Stichworte möglich, so vor

allem: Vorspruch zur Reichsverf. von 1871 ("Pflege der Wohlfahrt des Deut-schen Volkes"); Bismarcks Sozialgesetzgebung. - Vgl. Maier, Polizeiwiss.(Anm. 7), S. 246,248 u. 314ff.; s. a. Merck (Anm. 8), S. 519; allg.: E. R. Huber,Dt. Verfassungsgesch. seit 1789, Bd. lII, Stuttgart usw. 2. Aufl. 1970, bes.S. 783ff. (s. a. Bd. IV, 1969,bes. S. 20~ff.); W. Conze, Sozialgeschichte 1850-1918 in: W. Zorn (Hrsg.), Rb. d. dt. WIrtschafts- u. Sozialgesch., Bd. 2, Stutt-gart'1976, S. 602ff., bes. S. 640f.; für Einzelheiten vor allem W. Vogel, Bis-marcks Arbeiterversicherung, Braunschweig 1951. ' ',~ , 'ft' 2. Haupttl., 5. Abschn.; zu diesen Wirtschafts- u. Sozialartikeln (151ff.)

u a. H. Stern, Art. ,Sozialstaat', in: Ev. Staatslex., 1966,Sp. 2190ff.; ausführl.u' differenzierend: Maier, Polizeiwiss. (Anm. 7), S. 313 u. 319ff. Vgl. in die-s~m zusammenhang auch die polern. Bemerkungen von Merk (Anm. 8), S.519f. die (1934)in eine Eloge auf die nationalsozialist. "Richtschnur ,Gemein-nutz 'geht vor Eigennutz'" ("volksgenossenschaftliche Bindung der Einzel-persönlichkeit") münden; s. a. Rath (Amn. 42), S. 75 u. 90 ff. zur angeblich

, krit. "RückbeSinnung" auf kame~list. Gedanken u. Prinzipien in der NS-Zeit (These: sozusagen konstruktive Korrektur des kamerallst.. Staats- u.staatswirtSchaftsdenkens durch die nationalsozialist. Vorstellung der HVolks-gemeinschaft", de! ..yolksordnung als dem erst tragenden Grunde auch derstaatlichen Organ~atlon" ~S..97.])." " "

t!S Vgl. u. a. Maler, Pclizeiwiss. (Amn. 7), S. 313 u. 314ff., bes. S. 323ff.;s,a. stern (Anm. 223),aber. ~uch Bäumlin (Anm, 197),Sp. 174~.- Diese weni-gen Hinweise ersetzen freil1ch keineAusemandersetzung mit den z. T. sehrkontroversen Auffassungen zu der Frage, ob die ..Formel" vom "sozialenRechtsstaat" eine "bis zum heutigen Tag bestehende Verlegenheit" gegen-'überden Prinzipien des Rechts- u. des Sozialstaats offenbare (so z. B. Hennis(Anm. 84], S. 339,Anm. 27). ., "" -t!t So z. B. (s. schon Anm. 2) der TItel eines Aufsatzes von H. Jäckel in ,aus

politik u, zeitgeschichte. beilage zur wochenzeitung das parlament', B 22/70,30.5.1970, S. 19ff.; zu den philos. u. l?~yc;h0analYt.Glücksauffassungen des19- u. 20. Jh. vgl, Spaemann, Art. ,Gluck (Anm. 1), Sp. 705ff., sowie u. a.schon den (allerdings recht diffus-assoziativen) Essay von J. A. v. Rantzau,'Dtld. u. die hedonist. Glückseligkeit, in: WA~, Jg. 22 (1962)H. 3/4, S. 107ff.(Rückblick bis ins 17J18. Jh.; S. 120f. auch emige Bemerkungen zum "Glück1m Marxismus").

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'/8 Ulrich Engelhardt

Ir. "genugsamer Reichtum" desStaates

d. h.: "das Land" muß sich "in sol-chen Umständen" befinden, ..daßein jeder nach dem Maße seinesStandes u. seiner Beschaffenheitbequem leben könne u, vermögendsei, den zu der glücklichen [auch:weisen] Regierung des Staats er-forderlichen AUfwand durch die zuleistenden Steuren u, Abgaben zu-sammenzubringen, ohne deshalban seinem notdürftigen UnterhaltMangelleiden zu dUrfen"

1. Komponenten u, ..Quellen" des. "Reichtums oder des Vermögenseines Landes":.Der in den Gewerben befindli-che Reichtum ist allein der wah-re Reichtum des Landes"(.müßig" liegende Mittel ..in derSchatzkammer des Regentenoder bei Privatpersonen" gehö-ren zwar zum ..gesamten Reich-tume des Staats", sind aber .keinReichtum des Landes"); ..haupt-sächlich ••• dreierlei Quellen";

a) ..Anwachs u. '" Menge derEinwohner- (da so ..Vermögenin das Land gezogen" u. "dasGewerbe u. der Umtrieb desGeldes befördert" werden),staatlicherseits zu begünsti-gen durch geeignete Maßnah-men (u, a. "gelinde Regie-rung" u. "vernünftige Frei-helt" im Lande; Erleichterungdes "ehelichen Lebens"; gutesGesundheitswesen)

b) "außerhalb Landes mit aus-wärtigen Nationen" betriebe-ne ..Kommerzien" ("Kauf-mannschaft mit auswärtigenVölkern"), möglichst mit Ex-portUberschuß (..kein Geldaußer Landes"); zu erreichenoder zu forcieren durch "dien-same Mittel" (u, a. staatl. An-reize zur Produktivitätsstel-

"Staatsendzweck"(auch: "abgezielter heilsamer Endzweck" des ..gemeinen Wesens"

resp. der ..Republik"):"gemetnschaftItche GH1ckscUgkeit"

des ..Staats" (resp. der "Republiken") und der "Untertanen"(resp. der .,Landeskinder")

* * *"Hauptpunkte" der Glückseligkeit

des Staats" ("Die Glückseligkeit der Untertanen, wie sie indem menschlichen Leben u. nach den Umständen eines

I---gemeinen Wesens erlanget werden kann, wird vornehmlich---,1- durch zweierlei Beschaffenheit erreichet"): ~

1. "yenugsame Sicherheit" desStaates

(bes. Gewähr für den Untertanen,..von seinem Vermögen oder Er-werb ruhig u. von allen Gewalttä-tigkeiten befreiet leben zu kön-nen")

sowie

(.well aberdie Sicherheitallein keine

GlUckseligkeitausmacht")

1... äußerliche" Sicherheit:

a) ..Frieden mit auswärtigen}Mächten" (durch diplomatisch "Frieden als..weises Betragen gegen die die größteübrigen freien Staaten") Glückselig-

. b) "Schutz gegen allen feindll- keit derchen Uberfall von außen" Länder-(durch ausreichendes Militär) . .

2... innerliche" Sicherheit:

a) bzgl. ..Macht oder Reichtum"ausgewogenes Verhältnis ..al-ler Stände des Staats"

b) hinsichtl. der ständischen Pri-vilegien ausgewogenes Ver-hältnis, d. h. keine Anmaßung'"allzu großer, mit der GIUck-seligkeit des Staates nichtverträglicher [Standes-] Rech-te- (Leibeigenschaft z. B.• mitdem Wohlsein des Staatsschwerlich" zu vereinbaren)

c). hinsichtl. der ..Handhabungder Geselllgkeit", d. h ... gute,auf die Wohlfahrt des Staatsu. die Beschaffenheit der Zei-ten gerichtete Gesetze"; "un-parteiische" U.· ..kurze u.Schleunige" Rechtsprechungsowie Rechtsgleichheit ("ein-. förm1ge u. gewisse" Gesetzge-bung u . .Turisdiktion)

d) Heranbildung von "tugend-halten u. nützlichen Bürgern"des Staates, d. h. staatI ... Auf-sicht auf das Leben, Wandelu, Religion der Untertanen":durCh ..ungemeine Vorsorge"für die ..Erziehung der .Tu-

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"zu der glückliChen Regierung desriß, S. 513, § 3.IlI; S. a. GPFS, 1,rnmer wieder Maßnahmen zur Be-is, VgL u. a. GPFS, 1, S. 198ff.; 3,1, S. 33 (§ 30); I, S. 174f. (§§ 208f.);thschaft, I, S. 160ff. (§§ 135ff.).


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