+ All Categories
Home > Documents > wpc 16wirtschaftsphilosophie.org/text_pdfs/wirtschaftsphiloso... · 2013. 4. 9. ·...

wpc 16wirtschaftsphilosophie.org/text_pdfs/wirtschaftsphiloso... · 2013. 4. 9. ·...

Date post: 08-Sep-2020
Category:
Upload: others
View: 0 times
Download: 0 times
Share this document with a friend
12
DIE WIRTSCHAFT DER GESELLSCHAFT – GESELLSCHAFT ENTSTEHT DURCH KOMMUNIKATION. DIESE KOMMUNIKATION FÄCHERT SICH AUF IN VERSCHIEDENE CODIERUNGEN. DER CODE DER WIRTSCHAFT IST DIE ZAHLUNG. NACH LUHMANN IST DAS DER EINZIGE WEG WIRTSCHAFTLICHER PARTIZIPATION – UND AUCH DEREN GRENZE. 16. WIRTSCHAFTSPHILOSOPHISCHER CLUB DES INSTITUTS FÜR WIRTSCHAFTSGESTALTUNG AM 29. 11. 2007 IN MÜNCHEN wpc 16
Transcript
Page 1: wpc 16wirtschaftsphilosophie.org/text_pdfs/wirtschaftsphiloso... · 2013. 4. 9. · WIRTSCHAFTSPHILOSOPHISCHER CLUB DES INSTITUTS FÜR WIRTSCHAFTSGESTALTUNG AM 29. 11. 2007 IN MÜNCHEN

DIE WIRTSCHAFT DER GESELLSCHAFT – GESELLSCHAFT ENTSTEHT DURCH KOMMUNIKATION.DIESE KOMMUNIKATION FÄCHERT SICH AUF IN VERSCHIEDENE CODIERUNGEN. DER CODE DERWIRTSCHAFT IST DIE ZAHLUNG. NACH LUHMANN IST DAS DER EINZIGE WEG WIRTSCHAFTLICHERPARTIZIPATION – UND AUCH DEREN GRENZE.

16. WIRTSCHAFTSPHILOSOPHISCHER CLUBDES INSTITUTS FÜR WIRTSCHAFTSGESTALTUNGAM 29. 11. 2007 IN MÜNCHEN

wpc 16

Page 2: wpc 16wirtschaftsphilosophie.org/text_pdfs/wirtschaftsphiloso... · 2013. 4. 9. · WIRTSCHAFTSPHILOSOPHISCHER CLUB DES INSTITUTS FÜR WIRTSCHAFTSGESTALTUNG AM 29. 11. 2007 IN MÜNCHEN

2 |

Page 3: wpc 16wirtschaftsphilosophie.org/text_pdfs/wirtschaftsphiloso... · 2013. 4. 9. · WIRTSCHAFTSPHILOSOPHISCHER CLUB DES INSTITUTS FÜR WIRTSCHAFTSGESTALTUNG AM 29. 11. 2007 IN MÜNCHEN

Die Wirtschaft der Gesellschaft – Aneignungs- und Partizipationsformen

Wir danken der GlaxoSmithKline GmbH & Co.KG für dieGastgeberschaft und die freundliche Unterstützung des WIRTSCHAFTSPHILOSOPHISCHEN CLUBs

Wolf Dieter Enkelmann, Wolfgang Meister, EberhardSchnebel

Einführung: Das Eigentum – Wem gehört die Wirtschaft?

Die Wirtschaft der Gesellschaft als System

I Das Ganze ist mehr als die Summe seiner TeileII Kommunikation ist allesIII Die Gesellschaft: Ein Ganzes von GanzenIV Wirtschaft ist nicht alles?V Der Faktor Arbeit: Nur mittelbar von WertVI Die Büffelherde

Referat:Dr. Eberhard Schnebel,Institut für Philosophie und Ökonomik, LMUModeration:Dr. Wolf D. Enkelmann, Institut für Wirtschaftsgestaltung

Dr. Andreas Heigel, GlaxoSmithKlineProf. Dr. Wolfgang Meister, profmeister.de Holger Möller, HeilpraktikerKarin Halbritter, TUM Tech GmbHGeorg Schweisfurt, Basic AGDr. Manuel Knoll, Geschwister Scholl Institut fürPolitische Wissenschaften, LMUStefan Zacher, Institut für WirtschaftsgestaltungDr. Ingeborg Szöllösi, Chefredakteurin “Story”Dr. Fritz Glunk, Herausgeber “Die Gazette”Ruth Geiersberger, Künstlerin, Performance-KunstAndreas Lang, Künstler, FotografNicole Wiedinger, Institut für Wirtschaftsgestaltung

Dank

wpc 16

Inhalt

4

5

6

7

Teilnehmer

16. WIRTSCHAFTSPHILOSOPHISCHER CLUBDES INSTITUTS FÜR WIRTSCHAFTSGESTALTUNGAM 29. 11. 2007 IN MÜNCHEN

|3

Page 4: wpc 16wirtschaftsphilosophie.org/text_pdfs/wirtschaftsphiloso... · 2013. 4. 9. · WIRTSCHAFTSPHILOSOPHISCHER CLUB DES INSTITUTS FÜR WIRTSCHAFTSGESTALTUNG AM 29. 11. 2007 IN MÜNCHEN

4 |

ZUR EINFÜHRUNG:DAS EIGENTUM – WEM GEHÖRT DIE WIRTSCHAFT?

Der Markt ist das universale Transaktions- und Transfor-mationsmedium wirtschaftlicher Wertschöpfung. Dochebenso bedeutend ist für die moderne Wirtschaftsverfas-suung das Eigentum.

Schon Aristoteles hatte die Möglichkeit, sich selbst zu ge-hören, zur Grundbestimmung der Freiheit erklärt. Wassich so einfach anhört, ist allerdings von recht wechselau-niger Wesensart. Sich selbst zu gehören, hat je nachdem,wie man sich selbst denkt oder welches Menschenbildman hat, die verschiedensten intensiven wie expansivenAuswirkungen.

Eigentum – ein einfacher Begriff. Meistens weiß mandoch spontan sehr gut, was einem selbst und keinem an-deren gehört. Dennoch ist das ‚Eigentum‘ eine erstaunli-che Erfindung und von durchaus mysteriöser Konstituti-on. Die deutsche Verfassung trägt dem im Art. 14 mit ei-ner bemerkenswerten Formulierung Rechnung: „Eigen-tum verpflichtet.“ – Jedoch wozu?

Das Grundgesetz garantiert das Eigentum. „Sein Ge-brauch soll“ aber, so Art. 14 weiter, „zugleich dem Wohleder Allgemeinheit dienen“. Ist dieser Zusatz eine soziapoli-tisch motivierte Ergänzung des Eigentumsrechts, diewesensmäßig mit dem Eigentum als solchem nichts zutun hat? Oder verweist er das Eigentum nur auf etwaszurück, das für es selbst konstitutiv ist?

Das Eigentum ist für die Aufrechterhaltung seiner eige-nen Existenzvoraussetzung mit verantwortlich. Denn esbasiert nicht in eigenmächtiger Besitzergreifung, sondernin rechtmäßgem Erwerb, das heißt: in freiwilliger Herga-be und in der politisch und gesellschaftlich vereinbartenRechtsgarantie seines Bestandes. Und damit ist das Ei-gentum konstitutiv über sich als solches hinaus auf et-was Anderes, ‚Uneigentümliches‘ verwiesen.

Ohne Eigentumsrecht keine freie Marktwirtschaft. Dochwem gehört die Wirtschaft als solche? Wir haben daherzu einer Diskussion über gegenwärtige und zukünftigeFormen gesellschaftlicher Partizipation an der politischenÖkonomie eingeladen. Die freie Marktwirtschaft hat ein

gesellschaftliches Anerkennungsproblem. Man zweifeltan ihrer Gerechtigkeit. Wir fragten daher nach den Struk-turen der gesellschaftlichen Aneignung und nach denChancen der Menschen, die Wirtschaft, in der sie lebenund arbeiten, aus ihrer spezifischen Situation heraus alsdie Ihre zu erfahren.

Dabei stützten wir uns auf den Systemtheoretiker undSoziologen Niklas Luhmann, der seine Wirtschaftstheorieunter den Titel „Die Wirtschaft der Gesellschaft“ gestellthat. Der Manager und Universitätsdozent Dr. EberhardSchnebel hat den Diskurs mit einem Kurzreferat eröffnet.

Page 5: wpc 16wirtschaftsphilosophie.org/text_pdfs/wirtschaftsphiloso... · 2013. 4. 9. · WIRTSCHAFTSPHILOSOPHISCHER CLUB DES INSTITUTS FÜR WIRTSCHAFTSGESTALTUNG AM 29. 11. 2007 IN MÜNCHEN

II KOMMUNMIKATION IST ALLES

– Niklas Luhmann zum Begriff der Kommunikation:

„Kommunikation ist eine genuin soziale (und die einzig ge-nuin soziale) Operation. Sie ist genuin sozial insofern, alssie zwar eine Mehrheit von mitwirkenden Bewusstseinssys-temen voraussetzt, aber (eben deshalb) als Einheit kei-nem Einzelbewusstsein zugerechnet werden kann.Sie schließt mit den Bedingungen ihres eigenen Funktionie-rens aus, dass die Bewusstseinssysteme den jeweils aktuel-len Innenzustand des oder der anderen kennen können.“(GdG 80)

„Kommunikation ist soziale auch insofern, als in keinerWeise und in keinem Sinn ein gemeinsames (kollek-tives) Bewusstsein hergestellt werden kann, also auchKonsens im Sinn einer vollständigen Übereinstimmungunerreichbar ist und Kommunikation stattdessen funktio-niert.“ (GdG 81)

Gesellschaft entsteht und wird ein System durch Kom-munikation. Alles soziale Handeln ist Kommunikation,und Kommunikation ist soziales Handeln. Kommunika-tion und Gesellschaft bedingen einander. Wo Kommuni-kation endet, ist Gesellschaft nurmehr ein leerer Begriff.Kommunikation ist das universale Medium „sozialerOperationen“, doch kennt sie viele Sprachen. Sie wirddurch Wort und Schrift sowie Bilder, durch elektronischeMedien, aber auch etwa durch Moral oder Kunst vollzo-gen.

Nach Luhmann hat Kommunikation indes primär nichtsmit Verständnis zu tun. Zumindest ist Kommunizierenund Verstehen nicht miteinander gleichzusetzen. Aucheine Glossolalie, ein ekstatisches Reden in unverständli-chen Sprachen, kann kommunikative Wirkung entfaltenund somit systembildend wirken. Die Folge: Die Existenzder Gesellschaft hängt nicht vom wechselseitigen Verste-hen ihrer Mitglieder ab.

– Niklas Luhmann zum Begriff der Gesellschaft:

„Die Bestimmung der Gesellschaft als das umfassende So-zialsystem hat zur Konsequenz, dass es für alle anschlussfä-hige Kommunikation nur ein einziges Gesellschaftsys-tem geben kann. Rein faktisch mögen mehrere Gesell-

I DAS GANZE IST MEHR ALS DIE SUMME SEINER TEILE

Niklas Luhmann beschreibt die Wirtschaft als ein autono-mes System. Sie funktioniert nach eigenen Regeln. Sie ge-hört, anders gesagt, sich selbst. Alle Versuche, steuerndauf sie einzuwirken, müssen mit ökonomischen Selbst-steuerungskräften rechnen.

– Niklas Luhmann zum Begriff der Steuerung:

„Der handlungstheoretische Ansatz zwingt uns dazu, dieFrage nach der Steuerung des Gesellschaftssystems (oderauch des Wirtschaftssystems) als Wer-Frage zu stellen. Fastbruchlos führt das zu der Annahme, dass es Sache der Poli-tik sei, die Gesellschaft zu steuern, und fast ebenso zwangs-läufig führt das zur Feststellung des Versagens. So wie dieHandlungstheorie sich den "perversen Effekten" ausgelie-fert sieht, so in genauer Parallele und aus gleichem Grunddie politische Steuerungstheorie dem "Staatsversagen."(WdG 335)

„Steuerung der Wirtschaft ist immer Selbststeuer-ung des Systems und nur in diesem Rahmen handlungs-leitendes Unterscheiden. Oder anders gesagt: Man mussnach der Einheit fragen, die sich selbst steuert, und dieseEinheit ist nicht eine Handlung, sondern ein System.“(WdG 338)

Nicht nur für die Wirtschaft, sondern für alle Erschein-ungen der Gesellschaft geht Luhmann davon aus, dass essich jeweils um ein System handelt.

Zwar versteht Luhmann seine Gesellschaftstheorie alsHandlungstheorie. Mit dem System-Begriff trägt er nachseiner Überzeugung aber dem Faktor Rechnung, dass dieDynamiken der gesellschaftlichen Interaktions- und Kom-munikationsvorgänge nicht zu einem „einheitlichen“ und„gemeinsamen“ Bewußtsein, also zu einer identifizierba-ren Subjektivität kulminieren, das sie steuert.

In seiner Weise entspricht Luhmann damit der altbekann-ten These: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.Jedes ‚Wir‘ ist mehr als die Addition aller Beteiligten, undes ist in seiner Bewegung bzw. Autopoiesis, wie Luhmannsagen würde, von anderer Qualität, ein Sachverhalt, demer mit dem Begriff eines sich selbst steuernden Systemsgerecht werden will.

DIE WIRTSCHAFT DER GESELLSCHAFT ALS SYSTEM – GESELLSCHAFT ENTSTEHT DURCHKOMMUNIKATION. DIESE KOMMUNIKATION FÄCHERT SICH AUF IN VERSCHIEDENE CODIERUNGEN. DER CODE DER WIRTSCHAFT IST DIE ZAHLUNG. NACH LUHMANN IST DASDER EINZIGE WEG WIRTSCHAFTLICHER PARTIZIPATION – UND AUCH DEREN GRENZE.

VON WOLF DIETER ENKELMANN, WOLFGANG MEISTER UND EBERHARD SCHNEBEL

| 5

Page 6: wpc 16wirtschaftsphilosophie.org/text_pdfs/wirtschaftsphiloso... · 2013. 4. 9. · WIRTSCHAFTSPHILOSOPHISCHER CLUB DES INSTITUTS FÜR WIRTSCHAFTSGESTALTUNG AM 29. 11. 2007 IN MÜNCHEN

6 |

schaftssysteme existieren, aber wenn, dann ohne kommu-nikative Verbindung dieser Gesellschaften, oder so, dass,von den Einzelgesellschaften aus gesehen, eine Kommuni-kation mit den andern unmöglich ist.“ (GdG 145)

„Als Kommunikationssystem unterscheidet die Gesellschaftsich von ihrer Umwelt, aber dies ist eine externe, keine in-terne Grenze. Für alle Teilsysteme der Gesellschaft sindGrenzen der Kommunikation die Außengrenzen der Gesell-schaft. Darin und nur darin kommen sie überein. An dieseAußengrenze muss und kann alle interne Differenzierunganschließen, indem sie für die einzelnen Teilsysteme unter-schiedliche Codes und Programme einrichtet. Sofern siekommunizieren, partizipieren alle Teilsysteme an der Ge-sellschaft. Sofern sie in unterschiedlicher Weise kommuni-zieren, unterscheiden sie sich.“ (GdG 150)

Als Kommunikationssystem ist die Gesellschaft aus sichheraus zunächst grenzenlos und damit von vornhereinals eine einzige, das heißt: als Weltgesellschaft angelegt.Will und akzeptiert man Kommunikation, dann kann manim Prinzip nicht nicht kommunizieren. Wird die Kommu-nikation verweigert, dann ist das gewissermaßen künst-lich und gewaltsam oder, wie Luhmann sagt: „faktisch“.Luhmann denkt dabei wahrscheinlich an die Verhältnissezwischen Ost und West während des Kalten Krieges.

Andererseits aber hat die Gesellschaft auch als Totalitäteiner Weltgesellschaft dann aber doch eine Grenze, an„ihrer Umwelt“. Etwas Fremdes, so scheint es, bleibt im-mer bestehen, wie weit oder vielsprachig man auch im-mer den kommunikativen Raum über alle Realität hinwegausdehnt.

III DIE GESELLSCHAFT: EIN GANZES VON GANZEN

Wenn wir Wir sagen, meinen wir nie nur uns, sondern esgibt automatisch jemanden oder eine andere Gruppier-ung, die nicht dazu gehört. Man integriert und schließtdabei immer auch aus, selbst dann, wenn wir uns Men-schen insgesamt meinen. So allgemein läßt sich offen-sichtlich gar nicht denken, dass sich nicht automatischdoch ein Gegenüber einstellte, worauf sich diese Allge-meinheit bezieht oder auch nicht. Es ist ja auch so, dasssich kein Ich in das Wir, in dem es sich wohlfühlen will, sovollständig auflöst, dass es als Ich gar nicht mehr vorhan-den wäre.

Man integriert und unterscheidet sich zugleich. So mußes auch sein, denn: Gäbe es keine Einzelnen mehr, die alssolche dezidiert nicht nur Wir sind, dann degenerierte je-des Wir zu einer Menge von niemandem, die dann auchnicht mehr ‚Wir‘ sagen könnte.

Als Weltgesellschaft bleibt den Menschen keine andereWahl, als dieses Phänomen der Fremde zu integrieren.Dies geschieht durch die Codierung der Kommunikation,durch ihre Differenzierung in Teilsysteme. Und “sofern sie

kommunizieren, partizipieren alle Teilsysteme an der Ge-sellschaft. Sofern sie in unterschiedlicher Weise kommuni-zieren, unterscheiden sie sich“.

In dem System der Gesellschaft gibt es auf diese WeiseSubsysteme (andernorts auch Funktionssysteme ge-nannt) wie etwa Recht, Politik, Kunst, Wissenschaft undeben auch Wirtschaft. Insgesamt findet Luhmann 14 der-artige Subsysteme. Einerseits ist das Dach- oder Gesamt-system, also die Gesellschaft, mit der Kommunikation dieVoraussetzung für die Subsysteme, andrerseits füllen erstdie Subsysteme das Dachsystem mit Leben und Sinn. DieSubsysteme unterscheiden sich untereinander je nachder Art, in der sie die Kommunikation modifizieren undcodieren. Alle Systeme sind selbstreferentiell und auto-poietisch. Sie sind dadurch autonom und geben sich ihreVerkehrsformen, Maße und Normen selbst.

IV WIRTSCHAFT IST NICHT ALLES?

– Niklas Luhmann zum Begriff der Wirtschaft:

„Alles wirtschaftliche Handeln ist soziales Handeln.Dabei ist eine Wirtschaft immer auch Vollzug von Gesell-schaft. Vielleicht wird das von niemand bestritten, aberdann sind eben die angeführten Unterscheidungen inad-äquat, wenn es darum geht, die Beobachtung und Analyseder wirtschaftlichen Aspekte des gesellschaftlichen Ge-schehens zu beschreiben. Wir behandeln deshalb die Wirt-schaft als Teilsystem der Gesellschaft.“ (WdG 8)

„Die Wirtschaft lernt es, sich mit systemeigenen Mitteln,das heißt über Preise (inklusive Geldpreise = Zinsen)zu regenerieren. Sie wird zunehmend unabhängig vonden durch die Stratifikation erfassten Vermögensquellen.Die gezahlten Preise gelten seitdem als das objektive Ge-rüst aller wirtschaftlichen und damit auch aller wirschafts-wissenschaftlichen Kalkulation.“ (GdG 725)

Eines der gesellschaftlichen Subsysteme ist das Systemder Wirtschaft. „Alles wirtschaftliche Handeln ist sozialesHandeln“, ist kommunikative Interaktion und „Vollzug vonGesellschaft“ im Ganzen.

Immer zählt einer auf einen anderen und rechnen die ei-nen mit den anderen. Keiner wirtschaftet alleine. Nachder Luhmannschen Systematik realisiert Wirtschaft Ge-sellschaft, und zwar zunächst überall und überhaupt. Sieist kein für sich abgesonderter Teilbereich, jenseits dessenes andere gibt, die von wirtschaftlichen Kalkülen völligunberührt sind.

So, wie man nicht nicht kommunizieren kann, ohne sichaus der Gesellschaft zu verabschieden, kann man sich derWirtschaft nicht durch Zahlungsverweigerung entziehen,solange man sich in der Gesellschaft bewegen will. Undso gibt es keinen Bezirk der Gesellschaft, der vor ‚Wirt-schaft‘ sicher wäre.

Page 7: wpc 16wirtschaftsphilosophie.org/text_pdfs/wirtschaftsphiloso... · 2013. 4. 9. · WIRTSCHAFTSPHILOSOPHISCHER CLUB DES INSTITUTS FÜR WIRTSCHAFTSGESTALTUNG AM 29. 11. 2007 IN MÜNCHEN

| 7

Dennoch bestimmt sich konkret das vielartige gesell-schaftliche Treiben nicht allein und ausschließlich überden wirtschaftlichen Code. Die „Grundoperation“, die In-teraktionen zu wirtschaftlichen Operationen macht, istdie Zahlung.

Es gibt aber auch andere Codes, die andere Funktionssys-teme konditionieren. Auch etwa das künstlerische Han-deln ist ein soziales Handeln, allerdings nicht gleich derWirtschaft codiert. Indem alles wirtschaftliche Handelndie Kommunikation alias die Gesellschaft voraussetzt, istso alles wirtschaftliches Handeln zugleich soziales (ge-sellschaftliches) Handeln. Allerdings gilt die Umkehrungnicht, wie die Existenz anderer Funktionssysteme sozialenHandelns beweist, die in anderen Modi als der Zahlungoperieren. Durch die Codierung der Kommunikation inForm der Zahlung ist Wirtschaft einerseits überall, ande-rerseits begrenzt und begrenzbar.

V DER FAKTOR ARBEIT: NUR MITTELBAR VON WERT

„Im Wirtschaftssystem wird d e r Faktor Arbeit durchden Begriff der Codierung von Kommunikation er-setzt. Man kann das Geld als Codierung wirtschaft-licher Operationen begreifen und Codierung als Dupli-kation von Knappheit. Es gibt demnach zwei Knappheits-sprachen: die der Güter und die des Geldes, die beide aufverschiedene Bedingungen ansprechen. In der modernenWirtschaft sind alle wirtschaftlichen Operationen gehaten,beide Knappheitssprachen zugleich, also den Gesamtcodeder Wirtschaft und nur diesen Code zu verwenden,nämlich für Leistungen zu zahlen.” (WdG 46)

„Die Struktur der Wirtschaft besteht in der Konditionierungdieses operativen Zusammenhangs. Man kann die Knapp-heit der Güter nur deshalb mindern, weil man eine zweiteKnappheit, eine Auffangknappheit gleichsam, danebensetzt. Diese Konditionierung bezieht Arbeit selbstverständ-lich ein, aber die Codierung selbst ist der strukturelle Grundfür den Erfolg und nicht die Arbeit als solche, die im ge-schlossenen System der Geldwirtschaft als unabhängigerFaktor gar nicht denkbar ist .“ (WdG 47)

„Ein Verständnis von Wirtschaft, das bei Zahlungen alsden Grundoperationen des Systems ansetzt, kann alles,was sonst als Grund der Wirtschaftstheorie fungiert, – alsoetwa Produktion, Tausch, Verteilung, Kapital, Arbeit – alsabgeleiteten Sachverhalt behandeln. Vor allem wird mitdiesem Ansatz die Differenz von Wert und Preis alsMoment der Ausdifferenzierung des Systems verständlich.Werte repräsentieren im System die gesellschaftliche Rele-vanz des wirtschaftlichen Geschehens, Preise dagegen diesysteminterne Autopoiesis. Denn sobald Zahlungen er-bracht werden müssen, sind Preise nötig, die es ermögli-chen, entsprechende Erwartungen im bezug auf die zuzahlende Summe zu bilden und darüber zu kommunizie-ren.“ (WdG 55)

Leistungen machen Arbeit, haben aber keinen Eigenwert,dem durch entsprechende Entlohnung Gerechtigkeit wi-derfährt. Sie gewinnen vielmehr erst mittelbar Wertdurch die Relevanz des wirtschaftlichen Geschehens fürdie Gesellschaft. Desgleichen, gegen Karl Marx gesagt,auch das Kapital.

Doch, damit die Leistungen Wert gewinnen, muß es sieerst einmal geben. Deshalb ist der systemimmante Preis,der für die Leistung bezahlt wird, von primärer Bedeu-tung. Arbeit, für die nichts bezahlt wird, gibt es demnachim Wirtschaftssystem nicht bzw. gilt nichts. Daher kannLuhmann sagen, dass die Zahlung und nicht die Arbeits-leistung, der sog. „Faktor Arbeit“, der konstituierende Aktder Produktion von Wirtschaftswerten ist. Allerdingsschließt das offensichtlich nicht aus, dass subjektiv zu vieloder zu wenig gezahlt wird, und auch nicht, dass Wert-schöpfungen, sogenannte äußere Effekte, aus Natur undGeschichte systemische Wirkungen haben, für die zumin-dest auf Zeit nichts bezahlt wird.

VI DIE BÜFFELHERDE

Wie steht es nun mit der ursprünglichen Frage des 16.wirtschaftsphilosophischen Clubs nach den Aneignungs-und Partizipationsmöglichkeiten. Im Diskurs spielte dasBedürfnis nach Abgrenzung eine nicht unerhebliche Fol-ge.

Gibt es die Freiräume, die Luhmann konzipierte unddurch die verschiedenen existierenden Codierungen desgesellschaftlichen Handelns garantiert sieht, oder wirdder ökonomische Code unterderhand doch zum allge-meingültigen und alleinseligmachenden, der alle anderenCodierungen unterläuft oder dominiert? Hilft die Luh-mannsche Systematik politisch, für gesellschaftlicheGleichberechtigung der Systeme zu sorgen und deren Autonomie dort zu schützen, wo sie gefährdet ist? Funktioniert die Systemautonomie in einer Weise, dassalle deren autopoietischer Dynamik und Impulsen „wieeine Büffelherde“ besinnungs- und machtlos folgen müs-sen?

Einem Teilnehmer erschien Luhmann als ein „Perfektionistder Momentaufnahme“, der mit seiner „Verwissenschaft-lichung intuitiven Analysierens“ neue „Deutungsmöglich-keiten“ erschließt.

Aufklärerischen und damit weltverbesserischen Impetuskann man ihm kaum absprechen, doch hält er zu allemFormen der Praxis eine leicht schwebende Distanz. Er be-obachtet Handlungen und er beobachtet das Beobach-ten. Doch findet man auch Rat für Situationen, in denenman selbst entscheiden und handeln muß?

Ein unmittelbarer Praxisberater ist er vielleicht nur, inso-fern er darauf aufmerksam und in vielen Details nachvoll-ziehbar macht, womit man zu rechnen hat, wenn man

Page 8: wpc 16wirtschaftsphilosophie.org/text_pdfs/wirtschaftsphiloso... · 2013. 4. 9. · WIRTSCHAFTSPHILOSOPHISCHER CLUB DES INSTITUTS FÜR WIRTSCHAFTSGESTALTUNG AM 29. 11. 2007 IN MÜNCHEN

8 |

handeln will, was man sich zutrauen kann und welcheMacht die Eigendynamiken der Handlungskontexte ha-ben. Man kann die Autopoiesis, die Selbstbewegung derSysteme beeinflussen und stören, hat jedoch „keine Vor-aussagegewißheit“ darüber, wie das System darauf rea-giert. „Mit reiner Betriebswirtschaftslehre kommt man inder Praxis nicht weiter.“ Beraterstäbe verzweifeln daran,dass sich die Executiv Manager nicht an ihre Empfehlun-gen handeln. Aber sie dürfen wohl ihre Selbstbewegungauch für guten Rat nicht preisgeben, sondern diesen nurfür jene fruchtbar machen.

Was die Partizipations- und Aneignungsmöglichkeitenangeht, zeigt Luhmann, wie sehr man je schon Teil desökonomischen Betriebs ist. Seine Systematik stellt nichtnur Sachverhalte und rein objektive Funktionen dar, son-dern erzeugt Wiedererkennungseffekte eigenen oder er-lebten Handelns. Sie macht aber auch deutlich, wie vieles,was man spontan auf Motive zurückzuführen versuchthätte, auf Systemdynamiken zurückgeht.

Und: Wer auf Abgrenzung sinnt, kann dies nicht von au-ßen, als hätte er bereits einen äußerlichen und unbetei-ligten Standpunkt, tun, sondern nur in der Form, in der erseine Codierungen organisiert. Dasselbe gilt dann auchumgekehrt für die Befriedigung von Bedürfnissen nachaktiver Partizipation und Aneignung. Einen Effekt hat dieAutopoiesis des Systems der Wirtschaft allerdings: Mankann sie mit Geld steuern, aber nicht kaufen. Selbst in derWirtschaft ist denn doch nicht alles für Geld zu haben.Und das alles gilt wohl nicht nur für jeden Einzelnen. DieSystematik entläßt die Gesellschaft nicht aus ihrer Ver-antwortung und Zuständigkeit.

„Der Gegenbegriff zu Marktwirtschaft [...] ist nicht Plan-wirtschaft und nicht Staatstätigkeit, sondern Subsistenz-wirtschaft“ (WdG 97), um zuletzt noch einmal Luhmannzu zitieren. Mit dieser Entgegensetzung stellt er der rei-nen Selbsterhaltung und Selbstbehauptung, der Subsis-tenz eben, in der Marktwirtschaft automatisch eine Öko-nomie der Mehrung, des gesellschaftlichen Gewinns ge-genüber.

Ein Hemmnis der Luhmannschen Konzeption besteht, soein Einwand, aber wohl darin, dass er die Autopoiesis nurregulativ auffaßt und die Wirtschaft demgemäß nur alsein sich selbst reproduzierendes und „regenerierendes“System darstellt. „Ein Existenzialist ist er nicht.“ Wie abererzeugt, wie produziert sich das System? Wäre die Selbst-bewegung nicht als Selbsterzeugung zu denken und zuerschließen, um ihr wirklich auf den Begriff zu kommen? So bleibt denn doch noch eine ganz andere Chance, zuwirksamem Handeln zu kommen, als systemimmanentmöglich erscheinen will. Kein System und keine Codier-ung hebt endgültig die Freiheit aus den Angeln.

Die Zitate wählte Eberhard Schnebel aus.– „WDG“: Niklas Luhmann, Die Wirtschaft der Gesell-schaft, Frankfurt am Main 1988, Suhrkamp Verlag– „GDG“: Niklas Luhmann, Die Gesellschaft der Gesell-schaft, Frankfurt am Main 1997, Suhrkamp Verlag

Die Kommentare sind von Wolf Dieter Enkelmann undWolfgang Meister und verarbeiten Gedanken, die in Re-ferat und Diskurs des Wirtschaftsphilosophischen Clubs zurSprache kamen, sowie eigene Ideen.

Page 9: wpc 16wirtschaftsphilosophie.org/text_pdfs/wirtschaftsphiloso... · 2013. 4. 9. · WIRTSCHAFTSPHILOSOPHISCHER CLUB DES INSTITUTS FÜR WIRTSCHAFTSGESTALTUNG AM 29. 11. 2007 IN MÜNCHEN

| 9

Page 10: wpc 16wirtschaftsphilosophie.org/text_pdfs/wirtschaftsphiloso... · 2013. 4. 9. · WIRTSCHAFTSPHILOSOPHISCHER CLUB DES INSTITUTS FÜR WIRTSCHAFTSGESTALTUNG AM 29. 11. 2007 IN MÜNCHEN

10 |

Page 11: wpc 16wirtschaftsphilosophie.org/text_pdfs/wirtschaftsphiloso... · 2013. 4. 9. · WIRTSCHAFTSPHILOSOPHISCHER CLUB DES INSTITUTS FÜR WIRTSCHAFTSGESTALTUNG AM 29. 11. 2007 IN MÜNCHEN

IMPRESSUM

Institut für WirtschaftsgestaltungBordeauxplatz, Wörthstraße 2581667 München+49. [0]89.48929800www.ifw01.de

Dr. Wolf Dieter Enkelmann,Nicole Wiedinger

Nicole Wiedinger

Dr. Wolf Dieter EnkelmannProf. Dr. Wolfgang MeisterDr. Eberhard Schnebel

© Institut für Wirtschaftsgestaltung

Herausgeber

Redaktion

Gestaltung

Autoren

Foto

Page 12: wpc 16wirtschaftsphilosophie.org/text_pdfs/wirtschaftsphiloso... · 2013. 4. 9. · WIRTSCHAFTSPHILOSOPHISCHER CLUB DES INSTITUTS FÜR WIRTSCHAFTSGESTALTUNG AM 29. 11. 2007 IN MÜNCHEN

Recommended