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Wort und Gedanke (Zur Kritik sprachlicher Vermittlung bei Platon und Plotin) || Einleitung

Date post: 10-Dec-2016
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Einleitung Die Frage nach der sprachlichen Form plotinischen Denkens hat zwei Seiten: Zum einen gilt es zu erforschen, ob und wie sie dem Gedanken und seinem Gegenstand gerecht werde; zum andern ist den Wegen der Vermittlung des Gedachten, seiner Mitteilung und Lehre nachzugehen. Zwischen der Sprache und dem sich in ihr artikulierenden diskursiven Denken (δινοια) einerseits und Ideen, Geist und Einem anderseits klafft ein Hiat, den zu überbrücken der Denker, der sich nicht mit vorläufigen Erklärungen und Wahrscheinlichkeiten begnügen will, alle geeigne- ten Mittel des Denkens und Sprechens einsetzt wie logische Argumentation mit Hinführung und Ableitung hier und bildkräftige Veranschaulichung mit Analogie und Gleichnis dort. Solche Anstrengung, einen hohen Gegenstand gedanklich und sprachlich zu erfassen, dient immer auch schon der Verständigung des philoso- phischen Schriftstellers mit sich selbst und mit seinen Lesern. Diese bleibt indes keine rein intellektuelle oder ästhetische Bemühung, sondern wird, ernstge- nommen, ein Leben verwandeln. Denn die geistige Erhebung der νοδος ist nach Plotins Verständnis zugleich die Heimkehr der Seele in ihren Ursprung, ihre Selbstverwirklichung im νος. Dahin führen Abkehr von der Sinnenwelt und ihren Reizen, Reinigung von ihren Trübungen, Umwendung (zu sich selbst und dem Geiste) und der Aufstieg selbst (φαρεσις, κθαρσις, πιστροφ, νοδος). All das ist von jedem einzelnen letztlich selbst zu vollziehen, der Weg der Philosophie wird zum Weg des Lebens, aber solche Umkehr und Verwandlung des Denkens und Handelns bedarf der Protreptik und Paränese, der διδαχund πειθeines kundigen und verantwortungsbewußten Lehrers und Seelenführers.Wissend, daß das Letzte nicht mehr zu lehren, sondern zu schauen ist, wird er den Schüler, welcher die lange und mühsame Bahn philosophischer Bildung durchlaufen hat, schließlich ziehen und den eigenen Denkweggehen lassen (VI 9,4,1116). Plotin versteht sich selbst nach 600 Jahren! als Interpreten Platons und beansprucht in seinen Schriften nicht etwas Neues zu sagen, sondern das von jenem oft nur andeutungsweise und rätselhaft Gesagte zu entfalten und auf den Begriff zu bringen (V 1,8,10 14). Dieses zugleich bescheidene und anspruchsvolle Programm: der ausdrückliche Verzicht auf philosophische Originalität und das Bewußtsein, in einer langen geistigen Tradition zu stehen und etwas zu ihrer Klärung und Vertiefung beizutragen, kennzeichnen Plotin und sein Werk. Mit Selbstverständlichkeit greift er über den Gründer der Akademie hinaus auf die frühgriechischen Philosophen zurück und zieht Aristoteles und die Vertreter konkurrierender Philosophenschulen ohne Scheu ins Gespräch, wo sie etwas Brought to you by | St. Petersburg State University Authenticated | 134.99.128.41 Download Date | 11/5/13 3:45 AM
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  • Einleitung

    Die Frage nach der sprachlichen Form plotinischen Denkens hat zwei Seiten: Zumeinen gilt es zu erforschen, ob undwie sie dem Gedanken und seinem Gegenstandgerecht werde; zum andern ist den Wegen der Vermittlung des Gedachten, seinerMitteilung und Lehre nachzugehen. Zwischen der Sprache und dem sich in ihrartikulierenden diskursiven Denken () einerseits und Ideen, Geist undEinem anderseits klafft ein Hiat, den zuberbrcken der Denker, der sich nichtmitvorlufigen Erklrungen und Wahrscheinlichkeiten begngen will, alle geeigne-ten Mittel des Denkens und Sprechens einsetzt wie logische Argumentation mitHinfhrung und Ableitung hier und bildkrftige Veranschaulichung mit Analogieund Gleichnis dort. Solche Anstrengung, einen hohen Gegenstandgedanklich undsprachlich zu erfassen, dient immer auch schon der Verstndigung des philoso-phischen Schriftstellers mit sich selbst und mit seinen Lesern. Diese bleibt indeskeine rein intellektuelle oder sthetische Bemhung, sondern wird, ernstge-nommen, ein Leben verwandeln. Denn die geistige Erhebung der ist nachPlotins Verstndnis zugleich die Heimkehr der Seele in ihren Ursprung, ihreSelbstverwirklichung im . Dahin fhren Abkehr von der Sinnenwelt und ihrenReizen, Reinigung von ihren Trbungen, Umwendung (zu sich selbst und demGeiste) und der Aufstieg selbst (, , , ). All dasist von jedem einzelnen letztlich selbst zu vollziehen, der Weg der Philosophiewird zum Weg des Lebens, aber solche Umkehr und Verwandlung des Denkensund Handelns bedarf der Protreptik und Parnese, der und eineskundigen und verantwortungsbewuten Lehrers und Seelenfhrers.Wissend, dadas Letzte nicht mehr zu lehren, sondern zu schauen ist, wird er den Schler,welcher die lange und mhsame Bahn philosophischer Bildung durchlaufen hat,schlielich ziehen und den eigenen Denkweg gehen lassen (VI 9,4,11 16).

    Plotin versteht sich selbst nach 600 Jahren! als Interpreten Platons undbeansprucht in seinen Schriften nicht etwas Neues zu sagen, sondern das vonjenem oft nur andeutungsweise und rtselhaft Gesagte zu entfalten und auf denBegriff zu bringen (V 1,8,1014). Dieses zugleich bescheidene und anspruchsvolleProgramm: der ausdrckliche Verzicht auf philosophische Originalitt und dasBewutsein, in einer langen geistigen Tradition zu stehen und etwas zu ihrerKlrung und Vertiefung beizutragen, kennzeichnen Plotin und sein Werk. MitSelbstverstndlichkeit greift er ber den Grnder der Akademie hinaus auf diefrhgriechischen Philosophen zurck und zieht Aristoteles und die Vertreterkonkurrierender Philosophenschulen ohne Scheu ins Gesprch, wo sie etwas

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  • Weiterfhrendes oder der KritikWrdiges zu sagen haben. Zugleich sprtman dieEntschiedenheit des Zugriffs auf die Sache unddie Souvernitt ihrer Behandlung.Auch dort,wo er eng an einen Vorgnger anknpft, gibt er dem Gedanken oft eineeigene, neue Einsichten erffnende Wendung. Daher hat vor allem Rist seineOriginalitt betont, whrend Krmer und Szlezk strker die akademische Lehr-kontinuitt herausarbeiteten. Gewi ist er nicht als Eklektiker oder schwach-brstiger Epigone zu betrachten; da er zum Archegeten eines neuen Platonismuswurde, beweist die Kraft seines Denkens und die Wirksamkeit seines Schrift-werkes. So kann er als Beispiel fr die Mglichkeit dienen, in einer Sptzeit einereiche und vielstimmige Tradition aufzunehmen und so fortzufhren, da daranwiederum andere mit Gewinn anschlieen knnen. Aus solchem Empfangen desberlieferten, eigener Prgung des Gedankens und Wortes und ihrer Weitergabean die Nachgeborenen konstituiert sich eine philosophia perennis als genuinesWerk des Menschen, der ber sich selbst hinaus zum Wahren strebt.

    Ausgangspunkt der Untersuchung ist fglich Platon. Denn zum einen verstehtsich Plotin, wie angedeutet, als sein Schler und Erklrer und setzt sein philo-sophisches Projekt eigenstndig fort; zum andern reflektiert Platon ausdrcklichauf die Bedingungen philosophischer Rede und Schrift und ihrer jeweiligenMglichkeiten der Erkenntnisvermittlung und -bewahrung; drittens hat dieseSchriftkritik eine breite und tiefgehende Debatte in der neueren Forschung aus-gelst, deren Einsichten auch fr die neuakzentuierte und doch mit verwandtenSchwierigkeiten ringende Sprachkritik Plotins und seine schriftstellerische Praxisbedeutsam sind man denke nur an die Frage der Erkenn- und Darstellbarkeit desEinen.

    Der enge sachliche und methodische Zusammenhang zwischen der pronon-cierten Selbstreflexion des philosophischen Schriftstellers und Lehrers einerseits,zwischen den Werken Platons und Plotins anderseits lt, so mchten wir be-haupten, aus der hier erstmals systematisch unternommenen kontrastierendenBetrachtung der jeweiligen Sprach- und Schriftkritik und der beiderseitigen Re-flexionen auf die Probleme sprachlicher Vermittlung und philosophischer Lehre

    Vgl. Porphyri vita Plotini 14,47: . Thomas Gelzer, Plotins Interesse an den Vorsokratikern, MH 39, 1982, S. 101 131, H.Armstrong, Aristotle in Plotinus. The Continuity and Discontinuity of Psyche and Nous, in:Aristotle and the Later Tradition. Ed. by H. Blumenthal und H. Robinson. OSAPh Supplement,Oxford 1991, S. 117 127, Therese Fuhrer, Michael Erler (Hgg.), Zur Rezeption der hellenistischenPhilosophie in der Sptantike, Stuttgart 1999, J. F. Philipps, Stoic ,Common Notions in Plotinus,Dionysius 11, 1987, S. 3352. S. u. Anm. 2 und 9 B.Verweise auf Anmerkungen ohne Seitenzahl in der Einleitung mit E, aufA mit A, auf B mit B, auf den Schlu mit S; innerhalb eines Teiles ohne Zusatz.

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  • fr das Verstndnis beider Autoren und ihres im Grundstzlichen gemeinsamenAnliegens einer adquaten sprachlichen Erfassung und Weitergabe ihrer philo-sophischen Einsichten neues Licht auf die jeweilige Doppelrolle als Schriftstellerund Lehrer, auf das vieldiskutierte Verhltnis Plotins zu Platon und schlielichgrundstzlich auf die ber beide hinausfhrende Frage nach der Mglichkeitschriftlicher und doch existentiell wirksamer philosophischer Lehre berhauptfallen. Ausgehend von dem platonischen Kerngedanken der Abbildlichkeit allerDinge,vom Einen Guten ber den Geist und die Ideen undweiter ber die Seele bishinab zur Materie, die durch die ihr eingeprgten Formen Anteil an der Wirk-lichkeit und so auch Schnheit gewinnt, lt sich fr Platon und Plotin zeigen, dadie Schnheit philosophischer Sprache und zwar nicht nur dort, wo sie sichsinnenvertrauter Bilder bedient und die schne Literatur und bildende Kunst alsverschiedene und doch grundverwandte Darstellungen der Idee Recht und Sinnhaben. Platon wird lngst als begnadeter Autor, seine Dialoge als Weltliteraturanerkannt, doch glaubenwir auch fr den sprderen Plotin zeigen zu knnen, dasowohl das alte Verdikt Longins ber die uere Form seiner Werke als auch dieneuere Kritik an der sachlichen Unklarheit und Dunkelheit seines Schreibensnicht berechtigt sind, und hoffen interessierten Lesern den Zugang zu diesemgedanklich wie sprachlich hchst anspruchsvollen, aber eben auch lohnendenAutor ffnen zu knnen.

    Damit ist freilich nicht ab ovo zu beginnen, sondern die Forschung hat neben derinhaltlichen Betrachtung der im Vordergrund stehenden philosophischen Pro-bleme auch Plotins Reflexion auf Mglichkeiten und Grenzen ihres sprachlichenAusdrucks und, daraus folgend, auf seine eigene Art und Weise des Schreibenssowie seine tatschliche schriftstellerische Ttigkeit untersucht.

    John Heiser hat diesen Fragen eine eigene Monographie gewidmet. Er ver-bindet unter der Formel language says being Redekunst mit Ontologie. Ausgehendvom platonischen behandelt er nach der Seinsordnung den der Seele, des Geistes und des Einen, die Hypostasen nach Plotins Deutung vonPlatons Dialog Parmenides aufsteigend als , und ver-stehend. Bei der Rede der Seele wird das Wort als geuerter Gedanke begriffen,beim Geiste fallen im Sinne des Aristoteles Denksubjekt und -objekt zusammen,

    In Porphyrios vita Plotini 19 f. Vgl. Christoph Horn, Plotin ber Sein, Zahl und Einheit. Eine Studie zu den systematischenGrundlagen der Enneaden (Beitrge zur Altertumskunde 62), Stuttgart/Leipzig 1995 (Diss.Mnchen 1993), S. 7 f. John H. Heiser, Logos and Language in the Philosophy of Plotinus, Lewiston/Queenston/Lampeter 1991.

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  • das alle Gegenstndlichkeit transzendierende Eine erlaubt schlielich nur mehreine uneigentliche Rede der Annherung, was , gleichsam, signalisiert.Whrend so dieAufmerksamkeit auf denGegenstand der Rede gerichtet ist und dieEntsprechung von Wort und Sache einleuchtend herausgearbeitet wird, fllt derBlick nicht auf den Angesprochenen, den Adressaten der Rede. Diese artikuliert janicht nur den Gedanken, der einer Sache gerecht werdenwill, sondern erfllt aucheine interpersonale Vermittlungsleistung, indem sie das von einem im GeisteErfate anderen mitteilt, Kommunikation ermglicht. Deshalb ergnzen wir dievertiefte Betrachtung von Plotins Sprachkritik mit seinem Selbstverstndnis undseiner Wirksamkeit als Lehrer.Wir greifen die von Heiser thematisierte abgestufteAbbildlichkeit von Denken und Sprechen auf und verbinden sie speziell mitSchnheit und Kunst, um deren zugleich besondere und beispielhafte Welter-schlieungskraft zu zeigen, weiten sie anderseits systematisch aus auf den Bild-charakter aller Sprache, nicht nur der explizit bildhaften, gegenber Idee undRealitt, wodurch sie, immer im Bewutsein der Nichtidentitt und eines unver-meidlichen Abstands, zu ihremwahren, Erkenntnis und (Da)sein erffnenden undgestaltenden Medium wird.

    Michel Fattal fhrt die von Heiser nur angerissene kosmologische Funktiondes weiter aus,welcher als Abbild der transzendenten Idee indie Materie eingeht und ihr Form und Sein verleiht. Er erkennt in diesem Konzepteine Verbindung der platonischen Ideenlehre mit aristotelischem Hylemorphis-mus ein Beispiel produktiver philosophische Rezeption und Tradition.Wenn dasBild des Wortes die Relation von Selbigkeit und Andersheit ausdrckt und so diesinnliche mit der geistigen Welt verbindet, liegt seine ontologische Bedeutungzutage. Auch die menschliche, der Verstndigung dienende Sprache ist damitfundiert und in einen greren Zusammenhang gestellt, ihre Eigenart und dasProblem philosophisch verantwortlichen und reflektierten Sprechens verlangenindes eine eigene Betrachtung.

    Eine solche findet sich in einer Reihe strker philologisch orientierter undinsbesondere an ausgesprochener Bildsprache interessierter Arbeiten, aus denenich hier zur Konturierung dieses Forschungsansatzes diejenigen von Ferwerda,Crome und Di Pasquale Barbanti herausgreife.

    Michel Fattal, Logos et image chez Plotin, Paris 1998; vgl. ferner Logos et langage chez Plotin etavant Plotin, sous la direction de Michel Fattal, Paris 2003. Rein Ferwerda, La signification des images et des mtaphores dans la pense de Plotin, Gro-ningen 1965 (Diss. Amsterdam 1965); Peter Crome, Symbol und Unzulnglichkeit der Sprache.Jamblichos, Plotin, Porphyrios, Proklos, Mnchen 1970; Maria Di Pasquale Barbanti, La metaforain Plotino, Catania 1981. Vgl. ferner P. Aubin, Limage dans luvre de Plotin, Recherches de

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  • Der erstgenannte hat in seiner Amsterdamer Dissertation von 1965 eine solideDarstellung der wichtigsten Bilder und Gleichnisse Plotins geliefert, indem er dasMaterial ausbreitete und sichtete. Er bleibt weithin deskriptiv und sucht denGrundder Bilder nicht in der Ontologie, sondern in dem alltglichen, auf die begrifflicheErfassung der Sinnenwelt gerichteten Sprachgebrauch. Ambitionierter, aber auchfragwrdiger ist die Studie Cromes, der analog zur Debatte ber den Stellenwertdes Mythos bei Platon im Verhltnis zur logischen Argumentation die BildredePlotins gegen und ber seine diskursiven Problemlsungsversuche stellt. DasSinnenbild tritt danach an der Grenze des Verstandes auf und bringt den dorthngengebliebenen Gedanken auf den Schwingen der Phantasie ans Ziel. Ge-wissermaen wird damit der alte Streit zwischen Dichtung und Philosophie, vondem Platon in der Politeia sprach, bei der Betrachtung der platonischen Traditionwiederaufgenommen und unplatonisch entschieden. Di Pasquale Barbantigeht wie Ferwerda deskriptiv eine Reihe von Metaphern durch und schliet sichseiner Kritik an BeierwaltesRede von Lichtmetaphysik an, die als Lichtmetaphorikihren Ursprung vielmehr in der irdischen Erfahrung des Sonnenlichts habe.

    Gegen eine solche, gleichsam von unten, der Sinnlichkeit, her den Geltungs-und Wirkungsraum diskursiven Denkens einschrnkende Betrachtungsweiseverteidigt Schroeder Lichtmetaphysik mit dem Hinweis auf die ontologischenund epistemologischen Begrndungsverhltnisse: Das Licht des Geistes sei ebennicht vom Sonnenlicht, das die Augen sehen lt, abgeleitet, sondern umgekehrtsetze auch dies Sehen die vorgngigen ewigen Formen des Geistes voraus.Schroeder selbst kennzeichnet den Bereich des argumentierenden Verstandes mitdiscussion und representation, die zum Einen hinfhren sollen, und setzt dagegendeclaration und reflection (mit dem Bild des Spiegels), ein intuitives Denken undSprechen aus der vorgngigen Erfahrung des Einen heraus, dessen Spitze im

    Science Religieuse 41, 1953, S. 348379 und, mit mehr psychologischer Orientierung, E.Moutsopoulos, Le problme de limaginaire, Athen 1980. Vgl. Richard Kannicht, Der alte Streit zwischen Philosophie und Dichtung. Zwei Vorle-sungen ber Grundzge der griechischen Literaturauffassung, Altsprachlicher Unterricht 23,6,1980, S. 636, wiederabgedruckt in: Ders., Paradeigmata. Aufstze zur griechischen Poesie.Supplemente zu den Sb. d. Hd. Ak. d. Wiss. Phil.-hist. Kl. Bd. 10, Jg. 1996. Hg. v. Lutz Kppel,Ernst A. Schmidt, Heidelberg 1996, S. 183223. Di Pasquale Barbanti 1981, S. 155 f. Anm. 156 und S. 7881, wo sie eine blo illustrativeFunktion und protreptische und blo einfhrende Rolle des plotinischen Metapherngebrauchsbehauptet. Frederic M. Schroeder, Saying and Having in Plotinus, Dionysius 9, 1985, S. 7584, ders.,Form and Transformation. A Study in the Philosophy of Plotinus, Montreal & Kingston u.a. 1992,ders., Plotinus and language, in: Lloyd P. Gerson (Hg.), The Cambridge Companion to Plotinus,Cambridge 1996, S. 336355.

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  • Angesicht des Einen selbst Schweigen sei. Schroeder spricht von dialecticaltension between silence and intuition, on the one hand, and words and discursiveanalysis, on the other und konstatiert: Plotinus use of rhetoric would be anexcellent subject for further research. Dieser Aufgabe wollen wir uns unter-ziehen, freilich nicht in einem bloen sprachlichen und literarischen Sinne,sondern indem wir den sprachlichen Ausdruck auf seine philosophische unddidaktische Funktion hin befragen. Auf Schroeders eigene Prferenz fr das de-klarative Sprechen aus der Schau heraus das freilich dialektisch auf gegen-lufige representation von unten verwiesen bleibt werden wir zurckkommen,sie scheint uns, vorweg gesagt, nicht unproblematisch, insofern sie Rede vonhchstem Wahrheitsanspruch, die fast schon prophetischer Offenbarung gleicht,auf eine persnliche, nicht sicher und nicht von jedermann wiederholbare my-stische Erfahrung grndet.

    Werner Beierwaltes hat seit einem halben Jahrhundert in eindringlichenAnalysen Plotins Denken aufgeschlossen und aus seinen Prinzipien und ihremsystematischen und geistesgeschichtlichen Zusammenhang erklrt. Schon in demfrhen Aufsatz ber ,Plotins Metaphysik des Lichts werden grundlegendeTheoreme entfaltet, so die ber Platon auf Parmenides zurckgehende Einheit vonDenken und Sein und die Rckfhrungder Lichtmetapher auf ihren ontologischenGrund im Einen selbst. Dem von diesem ausgehenden intelligiblen Licht gebhrtder Vorrang vor dem aus ihm flieenden sinnenflligen Licht. Erleuchtung setztgeradezu Abkehr von allem Sichtbaren voraus: . Das Eine als dasursprngliche Licht lt durch den Geist alles in jedem einzelnen erscheinen, daseinzelne durchsichtig werden fr das Ganze ein Gedanke, den Jens Halfwassenin einem Aufsatz ber ,Schnheit und Bild im Neuplatonismus sthetisch vertieftund auf das transzendente Eine selbst zurckgewendet hat, welches im schnenBild zum Vorschein komme. Das Eine entzieht sich, obschon es Grund allerEinheit und Vielheit nach Ihm und damit auch seiner Erkenn- und Sagbarkeit ist,selbst einem positiven Zugriff in Wort und Gedanke: Es lt sich eigentlich nurnegativ aussagen. So ist im Hinblick auf das Prinzip die apophatische Rede dieeigentliche, die kataphatische aber die uneigentliche Rede. Spter, insbeson-

    Schroeder 1996, S. 350 mit Anm. 36. Werner Beierwaltes, Plotins Metaphysik des Lichts, Zeitschrift fr Philosophische Forschung15, 1961, S. 334362, wiederabgedruckt in: Die Philosophie des Neuplatonismus, hg. v. ClemensZintzen, Darmstadt 1977, S. 75117. Jens Halfwassen, Schnheit und Bild im Neuplatonismus, in: Neuplatonismus und sthetik.Zur Transformationsgeschichte des Schnen (Transformationen der Antike 2). Hg. v. VerenaOlejniczak Lobsien und Claudia Olk, Berlin/NewYork 2007, S. 4357. Beierwaltes 1961/1977, S. 92.

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  • dere in der Studie ber ,Causa sui, die 1999 zuerst in der Festschrift fr John Dillongedruckt und dann in das Buch Das wahre Selbst aufgenommen wurde, unter-sucht und wrdigt Beierwaltes auch die meist unter dem Vorbehalt eines namentlich in der Schrift VI 8 ber die Freiheit des Einen unternommenen Ver-suche Plotins, in vorsichtigen Anlufen auch positive Aussagen ber das eigent-lich Unsagbare zu machen. Die Verbindung von Affirmation und Negation zeigedie paradoxe Einheit des Zugleich. Auch an solcher Grenze des Denkens undSprechens, wie bei dem Versuch, die mystische Einung mit dem Einen zu um-schreiben, hlt Beierwaltes stets der Versuchung eines modernen Irrationalismusstand und betont mit der platonischen (und christlichen) Tradition den Charakterdes berrationalen als Grund eben der Rationalitt. Mit diesen das plotinischeDenken unter immer neuen Gesichtspunkten und Fragestellungen betrachtenden,dabei aber immer wieder zu seinen Grundlagen vorstoenden und diese erhel-lenden Studien ist Wegweisendes fr ein in eigentlichem Sinne philosophischesVerstndnis Plotins geleistet.

    Daran anknpfend, ist Plotins Rede vom Geist und Einen und ihren Wirkungs-formen gleichsam von innen, ihrem plotinischen Wesen her zu verstehen undauszulegen, die Kritik der Sprache selbst als reflektierte und sublimierte Form derRede ber das an sich Unsagbare zu deuten und der Blick mit dem Autor auch indie andere Richtung, auf den Adressaten zu richten. Hier wird sich erweisen, daverantwortliche Lehre eines Philosophen von dem geistigen Ernst und der exi-stentiellen Humanitt Plotins stets nicht allein sachgerechte Erkenntnisvermitt-lung, sondern auch sein will. Darin erkennen wir einen ge-nuin platonischen Zugwieder, der von Sokrates her ,Philosophie als Lebensformbegreift und zu verwirklichen sucht.

    Unsere Fragestellung verbindet die Betrachtung von theoretischem Gehaltund sprachlicher Form sowie ihrer Kritik und bezieht sie auf den Hrer oder Leser,welcher aus und an dem Gedachten und Gesagten lernen und selbst weiterdenkensoll. Das verlangt methodisch eine textnahe Interpretation thematisch einschl-giger Stellen, welche die Verknpfung der Gedanken und ihren sprachlichenAusdruck mit genauer philologischer Analyse und historisch und sachlich re-flektierter philosophischer Deutung erhellen kann, auf da zugleich die literari-

    Werner Beierwaltes, Causa sui. Plotins Begriff des Einen als Ursprung des Gedankens derSelbsturschlichkeit (1999), in: Ders., Das wahre Selbst. Studien zu Plotins Begriff des Geistes unddes Einen, Frankfurt am Main 2001, S. 123 159. Pierre Hadot, Philosophie als Lebensform. Geistige bungen in der Antike, Berlin 1991 (frz.Originalausgabe: Exercices spirituels et philosophie antique, Paris 21987 [1981]; NeuausgabeFrankfurt am Main 2002 mit dem Untertitel Antike und moderne Exerzitien der Weisheit).

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  • sche und didaktische Qualitt als auch die theoretische Tragweite sichtbar werde.Wir sind uns bewut, mit dieser Philologie und Philosophie verbindenden Me-thode dem Leser, unserem Leser, ein hohes Ma an Aufmerksamkeit und aucheinige Geduld abzuverlangen, den manchmal verschlungenen GedankengngenPlotins zu folgen und die verschiedenen und bisweilen einander widerspre-chenden, sich aber auchwechselseitig erhellendenAnstze aufzunehmen undmituns ihre Bedeutung zu wgen. Gedankenreiche und gedankentiefe Autoren wiePlaton und Plotin wollen nicht mit modischen und allzugern anachronistischenFormeln vereinfacht und kurzschlssig fr ein bestimmtes philosophisches Ei-geninteresse des Interpreten vereinnahmt, sondern in ihrer Komplexitt und Ei-genart verstanden werden. So werden sie auch heute dem nachdenklichen Lesergeistige Anregung und Nahrung bieten und ihn zum eigenen produktiven Wei-terdenken animieren knnen. Er wird selbstverstndlich die seither in einer le-bendigen Tradition und Geistesgeschichte hinzugewonnenen Einsichten zu denIntuitionen und Ausfhrungen jener alten Denker in Beziehung setzen undgleichsam in ein Gesprch ber die Jahrhunderte hinweg eintreten. Da diesfruchtbar sein und philosophischen Fortschritt erffnen kann, hat Plotin selbst aufbeispielhafte Weise gezeigt.

    Zur leichteren Orientierung seien vorab noch einige Hinweise zur Gliederunggegeben.

    Im Platonteil (A), der vornehmlich auf Phaidros und siebentem Brief beruht,werden zunchst (I) die ntigen Voraussetzungen philosophisch tragfhiger Redeund Schrift behandelt: die Einsicht in die Natur des Lernenden (1) und dieKenntnis der zu lehrenden Sache selbst (2) sowie die Fhigkeit, deren schriftlicheDarstellung mndlich, im lebendigen Gesprch, zu berbieten (3). Im siebentenBrief (II) sehen wir Platon selbst mit seinem Versuch, Dionysios II., den Tyrannenvon Syrakus, zu unterrichten und zu einem Philosophenherrscher heranzubilden,als Lehrer an dem sittlich unzulnglichen Charakter dieses vornehmen Schlersscheitern. Hier zeigt sich, da auch ein idealer Lehrmeister auf die Aufnahme-bereitschaft und -fhigkeit des Schlers angewiesen ist. Die sog. philosophischeStelle lt darber hinaus den Zusammenhang von Sinnlichkeit, Verstand undSprache bei der wissenschaftlichen Erkenntnis aufleuchten.Vom syrakusanischenBeispiel ausgehend, sind (III) allgemeine Anforderungen an die Gesinnung vonLehrer und Schler zu stellen. Jener mu die Bereitschaft zur sachgemen Hilfe(1) und Wohlwollen seinem Adepten gegenber besitzen (2) und mit diesem dieLiebe zur Weisheit als dem Schnsten teilen, wie sie im Aufstieg der Diotimarededes Symposion zum Tragen kommt (3). Am Ende dieses Dialogs wird die Perso-nalunion des wissenden tragischen und komischen Dichters gefordert, was sichauf Platons eigene literarische Werke, die Dialoge, beziehen lt. Vor dem Hin-

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  • tergrund der Verknpfung der Philosophie mit Schnheit und Kunst lassen sichErnst und Spiel des Menschen (IV) ber die wertende platonische Zuordnung zumndlicher vs. schriftlicher Lehre hinaus von beiden und der in ihnen vorlufigeSprachgestalt gewinnenden Philosophie selbst aussagen.

    Der Plotin gewidmete zweite Teil der Arbeit (B) behandelt die beidenHauptaspekte der Sprachkritik (I) und Lehre (II) nacheinander. In der Hinfhrungzum ersten (I 1) wird nach einer Einnerung an Plotins Selbstverstndnis als ExegetPlatons und seinen Umgang mit der weiteren Tradition, insbesondere Aristoteles,(a) die Verwendung rhetorischer und logischer Bestimmungen richtigen unddifferenzierten Sprachgebrauchs durch Plotin beschrieben (b, c); es folgt derAufstieg durch die Hypostasen Seele (d) und Geist (e) zu dem Einen (2) und derRede ber das Unsagbare (a), dem Kern und Hauptproblem plotinischen Denkensund Sprechens. Die Betrachtung der Bildrede (b) wird ausgeweitet zu derjenigender grundstzlichen Abbildlichkeit in der Hypostasenfolge und im Verhltnis vonGedanke und Wort gem der platonischen Denkfigur von Urbild und Abbild (c).Doch trotz solcher ontologischen Fundierung nicht nur der Bildsprache ver-stummt alles Reden im Angesicht des Einen (d). Darber hin wird der Bildcha-rakter an drei Textbeispielen sthetisch zugespitzt und die schne Kunst vor derplatonischen Kritik mit Platon philosophisch gerechtfertigt (3 ac).

    Auch der zweite Teil ber Plotins Lehre (II) nhert sichvon auen an: zunchstPlotins mndliche Lehre, wie sie uns Porphyrios in der vita Plotini lebensnahschildert (1), dann in acht Schritten zunchst die Mittel des Schriftstellers, der mitseinen Schriften philosophisch lehren will, (a, b), dann aus platonischem Geistedie Reflexion auf das Lernen selbst: Wiedererinnerung (c), Selbstverwirklichungdes Menschen in der Erhebung zu seinem geistigen Urbild (d), Reinigung, Abkehrvon derWelt,Wende nach innen und Anhnlichung an Gott (e), Aufstieg zumGeistund Einen (f), Rckkehr in die Welt und Sorge fr sie (g), schlielich die mentaleUntersttzung solcher Denk- und Lebensbewegung durch den verantwortungs-bewuten Lehrer (h). Am Schlu versuchen wir eine Zusammenfassung all derEinzelaspekte zu einem Doppelportrt der beiden groen philosophischenSchriftsteller.

    Ein Kernproblem platonischen Schreibens liegt in dem Verhltnis von Form undInhalt. Im Zuge ihrer an Lon Robin, Julius Stenzel, David Ross, PaulWilpert u.a.

    Lon Robin, La thorie platonicienne des ides et des nombres daprs Aristote. tude Hi-storique et Critique, Paris 1908 (Nachdruck Hildesheim 1963), Julius Stenzel, Studien zur Ent-wicklung der platonischen Dialektik von Sokrates zu Aristoteles, Leipzig/Berlin 1917 (31961), ders.,Zahl und Gestalt bei Platon und Aristoteles, Leipzig/Berlin 1924 (31959), Sir David Ross, PlatosTheory of Ideas, Oxford 1951, Nachdruck Westport 1976, Paul Wilpert, Neue Fragmente aus

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  • anknpfenden Rekonstruktion der sog. ungeschriebenen Lehre(n) haben HansJoachim Krmer und Konrad Gaiser (und nach ihnen Thomas Alexander Szlezkund Giovanni Reale) die Schriftkritik des Phaidros und des siebenten Briefes auchauf Platons eigenes Werk bezogen und die philosophische Bedeutung der Dia-logform relativiert. Weder die uerung mglicher Einwnde oder Verstnd-nisschwierigkeiten seitens der Gesprchspartner noch die Verweigerung einesscheinbar sicheren Wissens durch den Abbruch eines Gedankenganges, bevor ersein Ziel erreichte, oder sein Enden in Selbstwiderspruch und Aporie knnen

    , Hermes 76, 1941, S. 225250, wiederabgedruckt in: Das Problem der ungeschriebenenLehre. Beitrge zum Verstndnis der platonischen Prinzipienphilosophie (Wege der Forschung186). Hg. v. Jrgen Wippern, Darmstadt 1972, S. 166200, ders.: Zwei aristotelische Frhschriftenber die Ideenlehre, Regensburg 1949; dazu C. J. de Vogel, Rethinking Plato and Platonism, Leiden1986, hier: Plato: The written and unwritten doctrines. Fifty years of Platostudies, 1930 1980,S. 356. Hans Joachim Krmer, Arete bei Platon und Aristoteles. Zum Wesen und zur Geschichte derplatonischen Ontologie. Abh. d. Hd. Ak. d. Wiss. Phil.-hist. Kl. 1959, 6, Heidelberg 1959 (Am-sterdam 21967) (Diss. Tbingen 1957), Konrad Gaiser, Platons ungeschriebene Lehre. Studien zursystematischen und geschichtlichen Begrndung der Wissenschaften in der platonischen Schule,Stuttgart 1963 (21968), Separatausgabe des Anhangs: Testimonia Platonica. Le antiche testimo-nianze sulle dottrine non scritte di Platone (Temi metafisici e problemi del pensiero antico. Studie testi 65). Introduzione e impostazione grafico-tipografica di Giovanni Reale. Traduzione, indicee revisione dei testi di Vincenzo Cicero, Mailand 1998. bersetzung nicht der Testimonien,sondern von Gaisers beigefgter Studie Quellenkritische Probleme der indirekten Platonber-lieferung, in: Ders. u.a., Idee und Zahl. Studien zur platonischen Philosophie. Abh. d. Hd. Ak. d.Wiss. Phil.-hist. Kl. 1968, 2, Heidelberg 1968, S. 3184, wiederabgedruckt in: Ders., GesammelteSchriften (International Plato Studies 19), hg. v. Thomas Alexander Szlezk unter Mitwirkung vonKarl-Heinz Stanzel, Sankt Augustin 2004, S. 205263; von Herwig Grgemanns, Platon (Hei-delberger Studienhefte zur Altertumswissenschaft), Heidelberg 1994 aufgenommen; GiovanniReale, Per una nuova interpretazione di Platone. Rilettura della metafisica die grandi dialoghi allaluce delle dottrine non scritte, Mailand 201997 (1984). Dt. bersetzung der Ausgabe von 1989: Zueiner neuen Interpretation Platons. Eine Auslegung der Metaphysik der groen Dialoge im Lichteder ungeschriebenen Lehren. bersetzt v. Ludger Hlscher. Eingeleitet v. Hans Krmer. Hg. v.Josef Seifert. Internationale Akademie f. Philosophie im Frstentum Liechtenstein, Paderbornu.a. 22000 (1993). Thomas Alexander Szlezk, Dialogform und Esoterik. Zur Deutung des pla-tonischen Dialogs Phaidros, Museum Helveticum 35, 1978, S. 1832 (dazu G. J. de Vries, Hel-ping the Writings, Museum Helveticum 36, 1979, S. 6062), ders., Gilt Platons Schriftkritik auchfr die eigenen Dialoge? Zu einer neuen Deutung von Phaidros 278 b 8c 4, Zeitschrift frphilosophische Forschung 53, 1999, S. 259267. Hieran schliet sich die Debatte ber die sog. Aussparungsstellen an. Dazu Thomas Alex-ander Szlezk, Platon und die Schriftlichkeit der Philosophie. Interpretationen zu den frhen undmittleren Dialogen, Berlin/New York 1985 (mit der Absicht zu zeigen, da die mndliche Prin-zipientheorie nicht erst vom spten Platon ausgearbeitet wurde, sondern ihre Spuren, eben anden Aussparungsstellen, schon in den frheren Dialogen zu finden seien), ders., Platon lesen,

    10 Einleitung

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  • nach Meinung der Tbinger Schule den von Platon aufgewiesenen Mangel derSchrift ausgleichen: nicht einen geistesverwandten Schler auswhlen und aufihn individuell eingehen und dem Autor gegen Miverstndnisse oder bswilligeFehldeutungen zu Hilfe kommen und das Geschriebene durch Wertvolleres() berbieten zu knnen. Der Akzent liegt in dieser Deutung auf derinhaltlich-argumentativen Differenz. Die Dialoge sollen eine Abkehr von dermateriellen Sinnenwelt und Hinwendung zum Geistigen und Ideellen bewirkenund die Seele an ihre eigentliche Natur und Heimat erinnern. Als Lehre pro-positionalen Wissens bleiben sie jedoch vorlufig und verweisen auf die . Demgegenber hat Wolfgang Wieland fr Platon einen gegenstands-bezogenenWissensbegriff berhaupt geleugnet und stattdessen in seinemNamenein nichtpropositionales Gebrauchswissen propagiert. Auf dieser Linie hatteschon Theodor Ebert Aristoteles ein ontologisches Miverstndnis Platons vor-geworfen und eine rein funktionale Deutung des Liniengleichnisses vorgeschla-gen, Argumentationszusammenhang (Kontext) und -ziel ins Auge gefat und dieRollengebundenheit des Gesagten behauptet. Ihm folgen Ernst Heitsch, derPlaton im Sinne des Sokrates als (Scheinwissen und Fehlurteile) entlarvenden,selbst die Wahrheit suchenden, nie aber als dogmatischen Besitz beanspru-chenden offenen Denker versteht, und sein Schler Norbert Blner, der aufimprovisierte Begrndungen hinweist, deren Unzulnglichkeit der aufmerksa-

    Stuttgart-Bad Cannstatt 1993 und Das Bild des Dialektikers in Platons spten Dialogen, Berlin/New York 2004. Vgl. Konrad Gaiser, Protreptik und Parnese bei Platon. Untersuchungen zur Form des pla-tonischen Dialogs (Tbinger Beitrge zur Altertumswissenschaft 40), Stuttgart 1959 (Diss. T-bingen 1955), hier S. 222 resmierend, und dens., Platone come scrittore filosofico. Saggisullermeneutica dei dialoghi platonici. Con una premessa di Marcello Gigante, Neapel 1984,S. 41 f., dt. etwas gekrzt wiederabgedruckt in: Ders. 2004, S. 372, hier S. 8, welcher einephilosophische Vertiefung der von den Sophisten berkommenen Werberede beschreibt. Wolfgang Wieland, Platon und die Formen des Wissens, Gttingen 21999 (1982), bes. das dritteKapitel: Formen des Wissens, S. 224ff. Theodor Ebert, Meinung und Wissen in der Philosophie Platons. Untersuchungen zum ,Char-mides, ,Menon und ,Staat, Berlin/New York 1974 (Diss. Heidelberg 1966/67). Ernst Heitsch, Platon ber die rechte Art zu reden und zu schreiben. Ak. d.Wiss. u. Lit. Abh. d.Geistes- u. Sozialwiss. Kl. 1987, 4, Mainz/Stuttgart 1987, ders., Platons Dialoge und Platons Leser.Zum Problem einer Platon-Interpretation, Rheinisches Museum N. F. 131, 1988, S. 216238,wiederabgedruckt in: Ders., Wege zu Platon. Beitrge zum Verstndnis seines Argumentierens,Gttingen 1992, S. 928, u. Dialektik und Philosophie in Platons ,Phaidros, Hermes 125, 1997,S. 131 152. Vgl. J. Angelo Corlett, Interpreting Platos Dialogues, Classical Quarterly n. s. 47, 1997,S. 423437 u. ders., Interpreting Platos Dialogues, Las Vegas 2005.

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  • me Leser durchschauen und daran (denken) lernen solle. Hermann Steinthalnimmt mit seiner These von der prgnanten, aber problematischen Lehre Platonseine vermittelnde Position ein, indem er sprachliche Formen der Einschrnkungbeschreibt, ohne darber den grundstzlichen Anspruch auf ein inhaltlich ge-haltvolles (sic) Wissen preiszugeben.

    Allseits wird die epochale Leistung Friedrich Schleiermachers dessenbersetzung wir verwenden fr die neuere Rezeption und Erforschung derplatonischen Philosophie anerkannt. Auf den noch strker systematisch ausge-richteten Darstellungen Dietrich Tiedemanns, welcher der damals mageblichenelfbndigen Zweibrcker Ausgabe als zwlften Band Inhaltsangaben der einzel-nen Dialoge hinzufgte, und Wilhelm Gottlieb Tennemanns, der in seinemvierbndigen System der Platonischen Philosophie und seiner Geschichte derPhilosophie in sieben Bnden sich darum bemhte, die Gedanken von dem zu-flligen Gewande der dialogischen Einkleidung zu befreien und aus den pla-tonischen Dialogen durch verschiedene Operationen ,den ganzen Vorrath der

    Norbert Blner, Dialogform und Argument. Studien zu Platons ,Politeia. Ak. d. Wiss. u. Lit.Abh. d. Geistes- u. Sozialwiss. Kl. 1997, 1, Mainz/Stuttgart 1997, bes. Kap. VI: Platonische Dia-loggestaltung, S. 242 ff., ders., Kontextbezogenheit und argumentative Funktion: methodischeAnmerkungen zur Platondeutung, Hermes 126, 1998, S. 189201. Die Rede von improvisiertenBegrndungen (1997, S. 261, 286) ist in bezug auf ein so elaboriertes Schriftwerk wie den pla-tonischen Dialog nicht eben glcklich. Denn die lebensnah geschilderte Gesprchssituation liegtvllig in der Gestaltungsmacht des bewut komponierenden Autors, welcher selbst Zeit hatte,die Valenz eines Argumentes genau zu prfen, ehe er es Sokrates oder einem anderen Ge-sprchsteilnehmer in den Mund legte. Hermann Steinthal, Platons problematische Lehre, Gymnasium 103, 1996, S. 124. S. 15:Dieser (sc. problematisierende) Stil mu ein fundamentum in re haben, in Platons Lehre alsganzer: Platons Sache ist problematisch, und nur deswegen trgt er sie in so problematischerForm vor. Aber da er sie dann berhaupt vortrgt und nicht lieber schweigt, zeigt, da er seinerSache doch sicher ist. Platon, Smtliche Werke. 6 Bnde (Rowohlts Klassiker der Literatur und der Wissenschaft.Griechische Philosophie 1 und 37). In der bersetzung von Friedrich Schleiermacher (urspr.Berlin 1804 1810, 21817 1828) (und Hieronymus [und Friedrich] Mller, so die Briefe) hg. v.Walter F. Otto , Ernesto Grassi, Gert Plambck, Hamburg 19571959. Schleiermachers Einlei-tungen zitieren wir nach der folgenden Studienausgabe: Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher,ber die Philosophie Platons. Geschichte der Philosophie. Vorlesungen ber Sokrates und Platon(zwischen 1819 und 1823). Die Einleitungen zur bersetzung des Platon (1804 1828) (Philoso-phische Bibliothek 486). Hg. und eingeleitet v. Peter M. Steiner, mit Beitrgen v. Andreas Arndtund Jrg Jantzen, Hamburg 1996 (zit. Steiner 1996). Platonis quae exstant. Ad ed. Henr. Stephani accurate expressa cum Mars. Ficini interpr. Lat.Praemittitur liber III. Laertii de vita et dogmatibus Platonis cum notitia literaria. Acc. var. lect.studio societatis Bipontinae. XII Voll. (Vol. XII. Dialogorum Platonis argumenta exposita et il-lustrata a Diet. Tiedemann. 1786) Biponti 1781 1787.

    12 Einleitung

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  • philosophischen Begriffe des Plato auszufiltern, aufbauend, versucht Schlei-ermacher mit seiner bersetzung und den Einleitungen in das gesamte Werk unddie einzelnen Dialoge einen Zugang zu den berlieferten platonischen Schriftenselbst zu erffnen. Die Existenz einer inhaltlich ber sie hinausfhrenden eso-terischen Geheimlehre, sei es im Sinne der Pythagoreer oder im Gegensatze zumpopulren Vortrag, bestreitet er, nicht ohne eine (spter von Krmer und Gaisergegebene) zusammenhngende Darstellung solcher Lehren gutzuheien unddas von den Neuplatonikern auf diesem Felde Geleistete zu loben. (A/B 13) Be-zugspunkt bleiben freilich immer auch fr Aristoteles, den wichtigsten Zeugender die Dialoge. In ihnen als philosophischenKunstwerken ltsich das Unendliche bildlich im Endlichen darstellen, und der Dichterphilosoph,der in seinen Schriften die Einheit von Form und Inhalt verwirklicht, strebt inunendlichem Progre nach der Erkenntnis des Wahren. Auf diesen offenenDenkweg sucht nach Schleiermachers vom Infinitismus Friedrich Schlegelsgeprgten Auffassungder philosophische Schriftsteller andere nicht so sehr durchdie Mitteilung seiner Lehren als die Stimulierung ihres eigenen Denkens zu fh-ren:

    So auch werden jene keinesweges die Philosophie des Platon kennen lernen; denn wennirgendwo, so ist in ihr Formund Inhalt unzertrennlich,und jeder Satz nur an seinemOrte undin den Verbindungen und Begrenzungen, wie ihn Platon aufgestellt hat, recht zu verstehen.Noch weniger aber werden sie den Mann selbst begreifen, und am wenigsten wird seineAbsicht an ihnen erreicht werden,welche darauf ging, nicht nur seinen eignen Sinn andern

    Wilhelm Gottlieb Tennemann, System der Platonischen Philosophie. 4 Bde., Leipzig 179295,ders., Geschichte der Philosophie. 7 Bde., Leipzig 1798 1814. (Zitat nach Steiner 1996, XXXVIIIf.)Zur Biographie verweist Schleiermacher ausdrcklich auf Tennemann (A/B 4), dessen Versucheiner Chronologie nach historischen Spuren und ueren Merkmalen er wrdigt und durchseine an inneren Merkmalen orientierte Ordnung als ein notwendiges Gegenstck ergnzt (A/B 27). Seither wurden Dialog und, aus ihm hergeleitet, Dialektik in der Literatur vielfach thema-tisiert. Ich greife heraus: Rudolf Hirzel, Der Dialog. Ein literarhistorischer Versuch, 2 Bde., Leipzig1895, Hermann Gundert, Der Platonische Dialog, Heidelberg 1968, ders., Dialog und Dialektik,Amsterdam 1971, J. Laborderie, Le dialogue platonicien de la maturit, Paris 1978, PlatonicWritings Platonic Readings. Edited by Ch. L. Griswold, New York/London 1988, ThomasAlexander Szlezk, Platon und die neuzeitliche Theorie des platonischen Dialogs, in: NeuePerspektiven (Dialog Schule Wissenschaft. Klassische Sprachen und Literaturen 23, 1989),hg. v. Peter Neukam, S. 161 176, auch Elenchos 10, 1989, S. 337359, Vittorio Hsle, Der philo-sophische Dialog. Eine Poetik und Hermeneutik, Mnchen 2006. Vgl. auch die o. Anm. 20, 23, 24zitierten Beitrge. Vgl. Hans Joachim Krmer, Fichte, Schlegel und der Infinitismus in der Platondeutung,Deutsche Vierteljahresschrift fr Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 62, 1988, S. 583621.

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  • lebendig darzulegen, sondern eben dadurch auch den ihrigen lebendig aufzuregen und zuerheben. (A/B 16)

    aus beider Hinsicht mu dieses ihm die Hauptsache gewesen sein, jede Untersuchung vonAnfang an so zu fhren und darauf zu berechnen, da der Leser entweder zur eignen innerenErzeugung der beabsichtigten Idee, oder dazu gezwungen werde, da er sich dem Gefhle,nichts gefunden und nichts verstanden zu haben, auf das allerbestimmteste bergebenmu.Hiezu nun wird erfordert, da das Ende der Untersuchung nicht geradezu ausgesprochenund wrtlich niedergelegt wird (A/B 19 f.)

    Wir werden bei der Betrachtung des Schlustckes des Phaidros sowie der sog.philosophischen Stelle im siebenten Brief sehen, da sich beides sehr wohl ver-einbaren lt und von Platon tatschlich verbunden wird: eine entschiedeneWahrheitssuche, die sich nichtmit vorlufigen Erklrungen zufrieden gibt und derKraft auch der menschlichen Vernunft vertrauend, den Grund der Wirklichkeit,ihrer Gte und Erkennbarkeit zu denkenwagt, mit dem ernsten Bemhen, das inso khnem Ausgriff Gewonnene verwandten und sorgfltig vorbereiteten Seelenweiterzugeben und diese selbst (mit hnlicher Radikalitt) denken zu lehren.Recht verstanden, lassen sich die geistige Anstrengung und Erhebung zur Schauder Ideen nicht von der Sorge umdie Seele ( ) und demStrebennach einem guten Leben trennen, sondern Theorie und Praxis bedingen sichwechselseitig. Daher rhrt die groe Bedeutung der (philosophischen) frPlaton bei seiner tiefschrfenden Reflexion ber Mglichkeiten und Grenzensprachlicher Formulierung und Vermittlung von Einsichten. Unsere Aufgabe isteine abgeleitete und letztlich doch verwandte: diese von Platon gewonnenenEinsichten mit den Mitteln der Philologie genau zu erfassen und so zu erlutern,da wiederum unsere Leser, die um ein rechtes Verstndnis des platonischenWerkes ringen und selbst nach der Wahrheit suchen, Einsicht, intellektuellesVergngen und persnliche Bereicherung daraus ziehen knnen.

    Dazu Karl Albert, ber Platons Begriff der Philosophie, Sankt Augustin 1989, ferner ders.,Zum Philosophiebegriff Platons, Gymnasium 99, 1992, S. 1733. Fr einen offenen Philoso-phiebegriff der unendlichen Annherung pldiert dagegen Rafael Ferber in seiner Rezension zuAlberts Buch, Gnomon 64, 1992, S. 662 ff. und seinem eigenen Buche Die Unwissenheit desPhilosophen oder Warum hat Platon die Ungeschriebene Lehre nicht geschrieben, Sankt Au-gustin 1992; dazu wiederum Albert in: Philosophischer Literatur-Anzeiger 44, 1991, S. 180 ff. undHermann Steinthal in: Gymnasium 100, 1993, S. 425 f. Vgl. ferner Joachim Dalfen, Wie, von wemund warum wollte Platon gelesen werden? Eine Nachlese zu Platons Philosophiebegriff, GrazerBeitrge 22, 1998, S. 2979. Einen berblick ber die verschiedenen Anstze der Forschung gibtmit besonnenem Urteil Michael Erler, Platon, in: Grundriss der Geschichte der Philosophie. Be-grndet v. Friedrich Ueberweg.Vllig neu bearbeitete Ausgabe. Die Philosophie der Antike. Hg. v.Hellmut Flashar. Band 2/2, Basel 2007, S. 349354.

    14 Einleitung

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