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Wo bitte geht es zur Plattform? - db.com · werden marktübliche fünf bis 20 Prozent des...

Date post: 25-Sep-2019
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Wo bitte geht es zur Plattform? Spät, aber gewaltig hat die Digitalisierung die Logistik erfasst. Start-ups wie FreightHub wollen mit Algorithmen und einer Transparenzoffensive den Welthandel revolutionieren. Etablierte Speditionen wie TCI wappnen sich – und kombinieren Erfahrung mit Datenpower Märkte _Logistik 30 Deutsche Bank_results
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Wo bitte geht es zur Plattform?Spät, aber gewaltig hat die Digitalisierung die Logistik erfasst. Start-ups

wie FreightHub wollen mit Algorithmen und einer Transparenzoffensive den Welthandel revolutionieren. Etablierte Speditionen wie TCI wappnen

sich – und kombinieren Erfahrung mit Datenpower

Märkte_Logistik30 Deutsche Bank_r e s u l t s

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buchbare Angebot vor“, sagt Wax. Bei der analogen

Konkurrenz dauere das mitunter Tage. Ein Dutzend

Abstimmungsschritte seien für die Buchung eines

Containers in der Branche nicht unüblich.

Smarte Mobilitäts- und Reiseplattformen

wie Airbnb oder Blablacar haben sich bei Privat-

leuten in Windeseile durchgesetzt. Jetzt erobert

der Plattformgedanke auch die Businesswelt. In

der Logistikwirtschaft beginnt ein Kampf um die

Kundenschnittstelle. Säcke schleppen und Con-

tainer verladen – das kann freilich auch noch

kein Algorithmus. Doch FreightHub will mehr

leisten als eine simple IT-Vergleichsplattform.

„Wir kümmern uns auch um alle Formalitäten von

Zollbescheinigungen bis Versicherungen“, sagt

Wax. Wie eine normale Spedition – nur beque-

mer, schneller und transparenter. Kassiert

 Containerterminal Altenwerder, hier werden

die richtig großen Pötte gelöscht. Wer in der

deutschen Seefracht Rang und Namen ha-

ben will, arbeitet traditionell in Hamburg. Jeder?

Nicht ganz: Michael Wax fi ndet, dass sich auch

mitten in Ostberlin ein großes Rad in der Logistik

drehen lässt. Wax hat seinen Firmensitz im ange-

sagten Kollwitzkiez, dort, wo das Herz der Inter-

netwirtschaft pocht.

Als Co-Gesellschafter baut Wax gemeinsam mit

Ferry Heilemann und Erik Muttersbach seit März

2016 die volldigitale Spedition FreightHub auf. Wer

einen Container von Schanghai nach Pforzheim

verfrachten will, bekommt per Mausklick rund

150 Optionen aufgezeigt – papierlos und präzise.

Preise, Laufzeiten und Transportdetails werden

in einer Matrix verglichen. „In Sekunden liegt das

ThesenOrganisation: In der Logistikbranche

arbeiten Speditionen oft hoch

spezialisiert als Mittler zwischen

Herstellern und Kunden. Hier setzen

neue Start-ups an.

Plattform: Airbnb oder Blablacar

haben es in anderen Branchen

vorgemacht, jetzt läuft der Wettbe-

werb um die Transformation der

Logistik. Zahlreiche Digitalisierer

bringen sich in Stellung. FO

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werden marktübliche fünf bis 20 Prozent des

Auftragsvolumens. Um Echtzeitangebote zu ge-

nerieren, hat FreightHub einen Algorithmus zur

Routenoptimierung programmiert. Der greift auf

eine Datenbank zu, die stets aktualisierte Fracht-

raten der großen Carrier enthält. Im Schatten

des Fernsehturms am Alex fi ndet das Start-up

die nötigen Softwareentwickler. Doch nicht nur

IT-Profi s, auch sachkundige Speditionskauf leute

heuert man für die Mission: „Wir wollen eine

der Top-20-Speditionen weltweit werden“, sagt

FreightHub-CEO Heilemann, „und dabei kommt

es darauf an, Digitalisierung mit persönlichem

Kundenkontakt zu verbinden.“

Start-ups werden gefährlich

Was angesichts von 550 Unternehmenskunden

und 70 Mitarbeitern verwegen klingt, ist für Burk-

hard Schwenker, einen der namhaften Investoren,

eine gut begründete Hoffnung: „FreightHub hat

das Potenzial, die Linienschifffahrt aufzubrechen“,

sagt der frühere Geschäftsführer von Roland Ber-

ger. Schwenker trug neben VC-Fonds wie Global

Founders Capital oder Cherry Ventures zur ersten

Finanzierung in Höhe von insgesamt drei Millionen

US-Dollar bei. Der Kick der Digitalspedition: Keine

eigenen Vermögenswerte binden das Kapital, der

Fokus liegt auf Kundenzufriedenheit. „Preisbre-

cher wollen wir nicht sein“, sagt Wax bestimmt. Die

Strategie heiße nicht billig, sondern besser. „Die

Start-ups können zu einer realistischen Gefahr für

die etablierten Anbieter werden, wenn die nicht

rechtzeitig auf die digitalen Geschäftsmodelle

reagieren“, sagt Joris D’Incà, Partner der Manage-

mentberatung Oliver Wyman, der die Transfor-

mation des Speditionsgeschäfts analysiert. „Wir

erleben eine Beschleunigung in den letzten drei

Jahren.“ Weltweit werde alle fünf Tage ein neues

Logistik-Start-up gegründet, in Deutschland zählt

D’Incà rund 30 vielversprechende Firmen.

Anders als bei B2C-Marktplätzen brauchen

Gründer in der Logistik jedoch viel längeren

Atem, sagt D’Incà. „Logistik hat viel mit Vertrauen

zu tun. Da übergibt man nicht jedem Newcomer

seine Ladung.“ Gleichwohl gewinne das Nutzer-

erlebnis auch im Profi bereich an Bedeutung.

Wer eine Container buchung über eine smarte

Benutzeroberfl äche anbiete, sei klar im Vorteil.

Deutschland ist zwar Standort global führender

Logistikunternehmen. Doch „in Europa landen nur

rund fünf Prozent der weltweiten Anschubfi nan-

zierung“, sagt D’Incà. Zum Problem könnte auch

werden, dass sich viele Logistiker aus dem Mittel-

stand nur zögerlich auf die Digitalisierer einließen.

Eric Heymann, Branchenexperte von Deutsche

Bank Research, ist sich sicher: Die großen Markt-

teilnehmer mit Weltruf sitzen fest im Sattel. Für

Angreifer sei auch die Komplexität eine nicht zu

unterschätzende Eintrittsbarriere: „Die Aufgaben

der Logistiker reichen oft weit in die Wertschöp-

fungsketten hinein. Da sind Kundenbeziehungen

schwer zu knacken“, sagt Heymann. Generell sei

die dynamische Branche ein lohnendes Wachs-

tumsfeld, für 2017 prognostiziert Heymann hier-

zulande vier bis fünf Prozent Umsatzplus wegen

des wieder fl orierenden Außenhandels.

Stetiges Wachstum, dieses Vorhaben löst Ralf

Nörtemann Jahr um Jahr ein. Auch weiß er, wie

es ist, ein Start-up-Unternehmer zu sein. In ei-

nem Hamburger Zweimannbüro begann er mit

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FreightHub: Offerten in EchtzeitDas Berliner Unternehmen versteht sich als digitale Frachtspedition für den globalen

Containertransport. In einem Hybridmodell kombiniert FreightHub die Funktionen

eines Vergleichsportals mit Leistungen einer Full-Service-Spedition. Den Fokus legt das

2016 gegründete Start-up auf Seefracht, bisher vornehmlich aus und nach Asien.

Eine Datenbank bündelt Frachtraten, Hafengebühren, Routen und Laufzeiten. Neben

dem Seriengründer Ferry Heilemann (CEO, Mitte) sind operativ die Mitgründer Erik

Muttersbach (CTO, links) und Michael Wax (COO) an Bord.

Was Gründer tunLogistik-Start-ups in Deutsch-

land, Österreich und der Schweiz

2016: Junge Unternehmen

drängen in ganz verschiedene

Geschäftsbereiche.

QUELLE: OLIVER-WYMAN-ANALYSE

Versand und Nachverfolgung

Robotics und autonome Lkw

Asset Management

Daten- und Analyselösung

Onlineplattformen

31 %

24 %

5 %

21 %

19 %

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einem Partner, Seetransporte abzuwickeln. Das

war 1989. Heute setzt der Überseespediteur rund

200 Millionen Euro um mit seiner TCI Transcontai-

ner International Holding. Und die Digitalisierung?

„Steht bei mir seit sechs Jahren auf der Agenda“,

sagt der geschäftsführende Gesellschafter.

Wer mit Nörtemann spricht, merkt rasch: Der

Mann macht sich Gedanken um die Risiken einer

digitalisierten Gesellschaft. Doch er ist entschlos-

sen, für TCI und für seine 250 Mitarbeiter eine si-

chere Fahrrinne zu fi nden. An den Rand gedrängt

von Digitalplattformen? Er jedenfalls nicht.

Komplexität und Erfahrung

Veränderungsbereit ist Nörtemann von jeher. „Ich

ziehe hier alle zwei Jahre den Laden auf links“, sagt

er gut gelaunt. Ein Prozessoptimierer, der einst im

Analogen startete – und heute intern alles auto-

matisiert, digitalisiert und damit rationalisiert,

was sich anbietet. Stagnation sei tödlich, seine

Mitarbeiter hingegen brauchten die fortschrei-

tende Rationalisierung nicht zu fürchten. Er ver-

spricht: „Wir werden durch Digitalisierung keine

Arbeitsplätze aufgeben. Wir füllen stattdessen

mehr Aufträge ins System ein.“ So münzt er Digital-

prozesse um in Wachstum. Und das ist nötig, um

dem Preisverfall zu entkommen.

Der 62-Jährige klingt trotzdem nicht eupho-

risch, wenn er an das große Ganze denkt: „Ich

habe Universitäten besucht, mir vieles zur digi-

talen Transformation angehört. Mein Eindruck:

Keine Fakultät ist sich bisher im Klaren, was die

Digitalisierung für unsere Welt im Ganzen schon

bald bedeuten wird.“ Nörtemann warnt vor tief

greifenden Folgen. „Was machen wir mit den über-

all frei werdenden Arbeitskräften? Tragen die Digi-

talisierer Verantwortung für die Menschen? Wer

zahlt künftig die Steuern? Da ist einiges nicht zu

Ende gedacht.“

Im eigenen Betrieb zerstreut er die Sorgen.

Komplexität braucht Erfahrung – und Echtzeit ist

kein Hexenwerk: „Wir geben schon lange die Quo-

tierungen digital an unsere Kunden, 24/7“, sagt

Nörtemann. Manchem mit Spielgeld gefütterten

Durchstarter der Plattformökonomie begegnet er

mit Skepsis. Einige Anfragen hat er bereits kopf-

schüttelnd abgelehnt: „Eine Kooperation mit ei-

nem Digitalisierer ist nur vernünftig, solange man

selbst nicht zum Sklaven dieser Plattform wird.

Wir erstellen schließlich das Produkt. Und ver-

markten kann ich es noch selber, besten Dank. Es

gibt keinen Grund, warum auch bisher analoge

Unternehmen nicht digitalisieren können.“

Ralf Nörtemann kennt seine eigenen Stärken.

Margen schöpft er aus Prozessschärfungen, nicht

aus Intransparenz: „Digitalisierung wird eine

Offenlegung der Marktverhältnisse zu jeder Se-

kunde möglich machen. Und das ist für uns ein

Vorteil.“ Denn er weiß: „Treue Kunden arbeiten

mit uns, weil sie wissen, dass sie nicht über den

Tisch gezogen werden.“

STEFAN MERX

Alle fünf Tage ein neues Logistik-Start-up

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TCI-Gruppe: Know-how weltweitOb superleichte Airbus-Flügelteile, Schwerstladungen für die Industrie

oder Supply Chain Management aus Asien: Die Hamburger Full-Service-

Spedition TCI, gegründet 1989 von Ralf Nörtemann, kümmert sich um

Industrietransporte von Tür zu Tür. Allein in China hat Nörtemann vier

Niederlassungen. Die vier Unternehmen der Gruppe, darunter der Lager-

und Verpackungs spezialist HLS, bringen es mit 250 Mitarbeitern auf 200

Millionen Euro Umsatz. Großen Wert legt Nörtemann auf Ausbildung und Führung. Sein

Credo: „Wer sich behaupten will, muss seine Mitarbeiter anständig behandeln.“

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