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wissen&forschung thema - kernwert.com€¦ · wird weniger rationalisiert und die Teil- ... So kann...

Date post: 18-Sep-2018
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planung&analyse 3/2016 28 wissen & forschung thema Die Autorin Ruth Anna Wakenhut ist Soziologin und berät bei der Kernwert GmbH als Head of International Business qualita- tive Forscherinnen und Forscher bei der Planung und Umsetzung von Online- und Mobile-Studien. [email protected] Wenn tiefe emotionale Verbindungen und Vorstellungen zu Marken, Produkten und Dienstleistungen in der Konsumentenfor- schung aufgedeckt werden sollen, sollten indirekte Techniken eingesetzt werden. Im Rahmen einer indirekten Befragung pro- jizieren Studienteilnehmer unbewusste Emotionen und Wünsche auf andere Per- sonen oder Objekte. Durch die indirekte Fragestellung bleibt der Studienhinter- grund und das Frageziel unklar, die Teil- nehmer erleben weniger innere Konflikte aufgrund von sozialer Erwünschtheit, es wird weniger rationalisiert und die Teil- nehmer offenbaren so (unbewusst) eigene Gefühle und Überzeugungen. Es gibt ein breites Spektrum an visuellen und verbalen indirekten Befragungstech- niken, die wichtige Bausteine des qualitati- ven Werkzeugkastens sind und insbeson- dere bei Tiefeninterviews oder traditionel- len Fokusgruppen verwendet werden. Aber wie sieht es mit dem wachsenden Anteil an Online-Diskussionen und Online-Grup- pen aus? Wie können die Vorteile der indi- rekten Befragungen hier genutzt werden? Welche der Techniken haben sich bewährt? Und worauf muss bei der Umsetzung ge- achtet werden? anchmal gelangt man nur über Um- wege zum Ziel. Das gilt auch in der qualitativen Marktforschung. Das Ziel, die Moti- ve der Konsumenten zu finden und zu ver- stehen, ist auf direktem Weg nicht immer erreichbar. Mitunter verstellen sozial er- wünschte Einstellungen die Sicht oder der Konsument ist sich seiner Meinung selbst nicht bewusst, kann also keine direkte Aus- kunft geben und seine Vorstellungen kaum verbalisieren. Auf der Suche nach tieferliegenden Emotionen und Motiven bietet es sich an, Umwege einzuschlagen und indirekte Verfahren hinzuzuziehen, die spannende Ergänzungen liefern kön- nen. Ruth Anna Wakenhut von Kernwert beschreibt, wie das auch für Online- und Mobile-Forschung gehen kann. M INDIREKTE VERFAHREN in der qualitativen Online- und Mobile-Forschung
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Page 1: wissen&forschung thema - kernwert.com€¦ · wird weniger rationalisiert und die Teil- ... So kann man zum Bei-spiel ein Produktrepertoire in Form einer ... Dabei geht es auch um

planung&analyse 3/201628

wissen&forschung thema

DieAutorin

Ruth Anna Wakenhut istSoziologin und berät bei derKernwert GmbH als Head ofInternational Business qualita-tive Forscherinnen undForscher bei der Planung undUmsetzung von Online- undMobile-Studien.

[email protected]

Wenn tiefe emotionale Verbindungen undVorstellungen zu Marken, Produkten undDienstleistungen in der Konsumentenfor-

schung aufgedeckt werden sollen, solltenindirekte Techniken eingesetzt werden. ImRahmen einer indirekten Befragung pro-jizieren Studienteilnehmer unbewussteEmotionen und Wünsche auf andere Per-sonen oder Objekte. Durch die indirekteFragestellung bleibt der Studienhinter-grund und das Frageziel unklar, die Teil-nehmer erleben weniger innere Konflikteaufgrund von sozialer Erwünschtheit, eswird weniger rationalisiert und die Teil-nehmer offenbaren so (unbewusst) eigeneGefühle und Überzeugungen.

Es gibt ein breites Spektrum an visuellenund verbalen indirekten Befragungstech-niken, die wichtige Bausteine des qualitati-ven Werkzeugkastens sind und insbeson-dere bei Tiefeninterviews oder traditionel-len Fokusgruppen verwendet werden. Aberwie sieht es mit dem wachsenden Anteil anOnline-Diskussionen und Online-Grup-pen aus? Wie können die Vorteile der indi-rekten Befragungen hier genutzt werden?Welche der Techniken haben sich bewährt?Und worauf muss bei der Umsetzung ge-achtet werden?

anchmal gelangtman nur über Um-wege zum Ziel.Das gilt auch inder qualitativenMarktforschung.Das Ziel, die Moti-

ve der Konsumenten zu finden und zu ver-stehen, ist auf direktem Weg nicht immererreichbar. Mitunter verstellen sozial er-wünschte Einstellungen die Sicht oder derKonsument ist sich seiner Meinung selbstnicht bewusst, kann also keine direkte Aus-kunft geben und seine Vorstellungenkaum verbalisieren. Auf der Suche nachtieferliegenden Emotionen und Motivenbietet es sich an, Umwege einzuschlagenund indirekte Verfahren hinzuzuziehen,die spannende Ergänzungen liefern kön-nen. Ruth Anna Wakenhut von Kernwertbeschreibt, wie das auch für Online- undMobile-Forschung gehen kann.

M

INDIREKTE VERFAHREN in der qualitativenOnline- und Mobile-Forschung

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Im Laufe der Jahre ist die qualitative Online-Forschung immer kreativer und mutiger ge-worden. Während in den Anfangsjahren vorallem Frage-Antwort-Aufgaben im Vorder-grund standen, gibt es nun einen deutlichenTrend zu immer kreativeren, innovativerenForschungsdesigns. Neben dem vermehr-ten Einsatz von Foto- und Videoinhalten –auf Teilnehmer- und Forscherseite – bedeu-tet das vor allem auch einen zunehmendenAnteil an indirekten Befragungstypen inqualitativen Online-Projekten. Und dieserMut zu mehr Kreativität und ausgefallene-ren Fragetypen wird nicht nur mit reichhal-tigen, tieferen Insights belohnt, sondernauch mit engagierten und motivierten Teil-nehmern. Der spielerische Ansatz indirekterTechniken macht den Teilnehmern einfachmehr Spaß als die Beantwortung klassischerFrage-Antwort-Aufgaben.

Die Erfahrung zeigt: Mit vergleichswei-se einfachen Mitteln kann ein großer Effekterzielt werden. Grundsätzlich können indi-rekte Techniken auch online sehr vielfältigeingesetzt werden, bewährt haben sie sichbei Forumsdiskussionen, Gruppenchats

und Einzelinterviews und auch bei indivi-duellen Aktivitäten im Rahmen von Ta-gebüchern und Hausaufgaben.

Einige Punkte sollten bei qualitativerOnline-Forschung beachtet werden:

D Anders als bei einem persönlichen Ge-spräch im Studio sind die Teilnehmer einerOnline-Studie mit den Fragestellungenund Anweisungen, zumindest zeitweise,auf sich alleine gestellt. Da der Moderatorbei Unsicherheiten nicht immer sofort ein-greifen kann, ist eine klare, unmissver-ständliche Formulierung essenziell.

D Ein zunehmender Anteil von Teilneh-mern nimmt über mobile Geräte an Studi-en teil, daher sollte bei der Ausformulie-rung komplexerer Fragestellungen daraufgeachtet werden, dass die Textanweisungauch auf kleineren Bildschirmen noch guterfasst werden kann.

D Grundsätzlich sollte die gesamte Studi-enplattform, inklusive Moderation und vi-

sueller Gestaltung, eine anregende und an-sprechende Umgebung bilden. Dann kön-nen die kreativen, indirekten Technikenihre volle Kraft entfalten. Verbale und visu-elle Techniken haben sich für Online-Be-fragungen als leicht verständlich und gutumsetzbar bewährt.

Projektive Fragen Der Klassiker derindirekten Befragungstechniken, der im-mer wieder erstaunlich gut funktioniert:Statt Teilnehmer direkt nach ihrer persön-lichen Meinung zu einer Marke oder einemProdukt zu fragen, wird ein Dritter als Pro-jektionsfläche angeboten. Vor allem bei in-dividuellen Aufgaben, die jeder Teilnehmerfür sich beantwortet, wird diese Technikeingesetzt. Dort werden dann beispielswei-se folgende Fragen formuliert: „Was denktIhr Partner über die Marke X?“ oder „Werverwendet das Produkt Y? Warum verwen-det er es?“

Rollenspiele und Szenarien In die-ser Variante der projektiven Fragen werdendie Studienteilnehmer gebeten, eine be-

schung aufgedeckt werden sollen, solltenindirekte Techniken eingesetzt werden. ImRahmen einer indirekten Befragung pro-jizieren Studienteilnehmer unbewussteEmotionen und Wünsche auf andere Per-sonen oder Objekte. Durch die indirekteFragestellung bleibt der Studienhinter-grund und das Frageziel unklar, die Teil-nehmer erleben weniger innere Konflikteaufgrund von sozialer Erwünschtheit, eswird weniger rationalisiert und die Teil-nehmer offenbaren so (unbewusst) eigeneGefühle und Überzeugungen.

Es gibt ein breites Spektrum an visuellenund verbalen indirekten Befragungstech-niken, die wichtige Bausteine des qualitati-ven Werkzeugkastens sind und insbeson-dere bei Tiefeninterviews oder traditionel-len Fokusgruppen verwendet werden. Aberwie sieht es mit dem wachsenden Anteil anOnline-Diskussionen und Online-Grup-pen aus? Wie können die Vorteile der indi-rekten Befragungen hier genutzt werden?Welche der Techniken haben sich bewährt?Und worauf muss bei der Umsetzung ge-achtet werden?

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Page 3: wissen&forschung thema - kernwert.com€¦ · wird weniger rationalisiert und die Teil- ... So kann man zum Bei-spiel ein Produktrepertoire in Form einer ... Dabei geht es auch um

stimmte Rolle zu übernehmen. Diese Tech-nik wird im Rahmen von individuellenAufgaben, aber auch für Forums- oderChatdiskussionen eingesetzt. Je anschauli-cher das Rollenspiel inszeniert wird, destotiefer tauchen die Teilnehmer ein. Im Ge-gensatz zu einem Treffen im Studio und zuHause steht im Rahmen von Online- undMobile-Studien mehr Zeit zur Verfügung,die Teilnehmer sind meistens für einige Ta-ge dabei. So bietet sich Moderatoren dieMöglichkeit, auch komplexere Szenarienumzusetzen. Es können etwa Rollenspiele,die sich über mehrere Tage hinziehen, in-szeniert werden, die Teilnehmer könnenin eine Spielwelt eintauchen und sich sehrintensiv mit einer Thematik beschäftigen.So kann etwa eine gemeinsame Reise in-szeniert werden, auf der verschiedeneAspekte einer Marke, eines Produktsoder einer Dienstleistung entdeckt werdenkönnen. Typische Fragestellungen sind:„Sie sind der neue Produkt-Manager, wastun Sie, um das Produkt zu verbessern?“oder „Sie arbeiten in der Werbeagenturund erstellen gemeinsam eine neue Kam-pagne, wie sieht sie aus?“

Das Rollenspiel hat sich auch im Rah-men von besonderen Hausaufgaben oderAktivitäten für die Teilnehmer bewährt: Sowerden Teilnehmer etwa als Marken-De-tektive auf eine Mission geschickt, die dannnatürlich in Wort und Bild dokumentiertwerden muss. Oder – ein Klassiker, derauch online sehr gut umsetzbar ist – dieTeilnehmer werden aufgefordert, einenBrief (sei es Liebesbrief oder Beschwerde-brief) an ein Produkt oder eine Marke zuschreiben.

Wortassoziationen Das ist eine be-sonders beliebte Technik für den Einstieg inein Thema und wird vor allem im Rahmenvon individuellen Aufgaben umgesetzt.Die Studienteilnehmer werden aufgefor-dert, eine Liste von Wörtern zu erstellen.„Was fällt Ihnen spontan ein, wenn Sie dieMarke X hören?“ oder „Schreiben Sie fünfWörter auf, die Ihnen spontan einfallen,wenn Sie an das Produkt Y denken!“

Satzergänzungen Ebenfalls vor allemin individuellen Aufgaben werden Satzer-gänzungsübungen eingesetzt. Eine schöne,einfache Übung, die die Teilnehmer zu ei-nem kleinen Perspektivenwechsel anregtund interessante Ergebnisse zutage bringt.Typische Fragestellungen sind etwa „MeinAuto ist wie ein ...“ oder „Mein Handy istwie ein ...“

Bildassoziationen Als visuelle Varian-te der Wortassoziation hat sich die Bild-

assoziationsübung etabliert, die sowohlgruppenweise in einem Forum als auchals individuelle Frage eingesetzt wird.Es gibt verschiedene Spielarten der Bildas-soziation: Entweder werden die Teilneh-mer gebeten ganz frei Bilder hochzuladen,die sie mit einer bestimmten Markeoder einem bestimmten Produkt verbin-den, oder aber es wird ein Bilderpoolzur Verfügung gestellt und die Teilnehmersollen ein oder mehrere Bilder zuordnenoder auswählen.

Collagen Die Teilnehmer können mitvorgegebenen Bildern oder eigenen Fotosim Rahmen von Produkt-Collagen oderMarken-Moodboards ihren Einstellungenund Vorstellungen visuelle Gestalt geben.Fragen wie „Was verbinden Sie mit derMarke X?“ oder „Bitte erstellen Sie eineCollage zum Thema Schokolade!“ gebenden Probanden die Möglichkeit, sich krea-tiv auszuleben und ihren inneren Bildernfreien Lauf zu lassen. Dabei entstehenreichhaltige Ergebnisse, die interessanteRückschlüsse auf die Erlebnis- und Werte-welt erlauben.

Markenlandkarten Die Teilnehmerwerden aufgefordert, eine Reihe von Mar-ken- oder Produktlogos zu positionierenoder zu gruppieren – entweder ganz frei,um etwa Gemeinsamkeiten und Ähnlich-keiten herauszustellen, oder auf einem Ras-ter, um eine Einordnung anhand verschie-dener Dimensionen vorzunehmen, etwaQualität und Preis.

Diese Übersicht zeigt: Auch on-line und mobil kann ein breites Spektruman indirekten Verfahren gewinnbringendeingesetzt werden. Die verschiedenen ver-balen und visuellen Techniken könnenmiteinander oder mit anderen Fragefor-men kombiniert und in unterschiedlicheStudiendesigns integriert werden, etwa inForumsdiskussionen, Fokusgruppen oderindividuelle Aktivitäten. Der Kreativitätder Forscher sind kaum Grenzen gesetztund auch mit einfachen Mitteln kann vielerreicht werden. Allerdings sollte stets aufeine eindeutige Anweisung und einfacheUmsetzung für die Teilnehmer geachtetwerden, um Missverständnisse und Frust-momente auf Forscher- und Probanden-seite zu vermeiden. Richtig eingesetzt sindindirekte Techniken ein echter Gewinn füralle Seiten: Es entsteht ein abwechslungs-reiches, motivierendes Studiendesign, dasden Teilnehmern Spaß macht und wert-volle Einblicke in die Gefühls- und Gedan-kenwelt ermöglicht.

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wissen&forschung thema

„Projektive Verfahren sind an vielenStellen unverzichtbar, um mehr Tiefejenseits des Rationalisierten oder Bewuss-ten zu erhalten. Gerade auch online – woalles noch durch den ‚mentalen Schreibfil-ter‘ geht – können sie einen echtenMehrwert liefern. Online ist es nochwichtiger, eine Balance zwischen klarenAnweisungen, Hilfen und Freiraum zufinden. Dabei muss man selbst durchauskreativ werden. So kann man zum Bei-spiel ein Produktrepertoire in Form einerFilmszene beschreiben lassen. DieTeilnehmer werden zum Regisseur, dieProdukte zu Protagonisten. Dies gelingtdann effizient, wenn man Elemente wieTextfelder oder Bild-Uploads nicht nurunterschiedlich definieren und anordnen,sondern im Nachhinein auch einzelnauswerten kann, etwa nach der Haupt-rolle oder dem besten Nebendarsteller.Patricia Blau, Senior Resarch Director, GIM, Heidelberg

„Die Erfahrung zeigt, dass es auch onlinequalitativ oft bessere und aussagekräftigereErgebnisse bringt, wenn man indirekt fragt.Dabei geht es auch um Gamification, um dieProbanden zu mehr Beiträgen zu motivieren.Derartige Aufgaben bieten eine willkom-mene Abwechslung für die Probanden, die jaauch in Social Networks zunehmend mitBildern statt mit Worten arbeiten. DieCollagetechnik ist interessant, aber auchPersonenzuordnungen oder Produkt-personifizierungen und Analogien mitverbalen Begründungen. Indirekte Frage-techniken liefern der qualitativen On-lineforschung einen wichtigen Beitrag füreine bessere und ausdrucksstarke Ergeb-nisdarstellung.“FH-Prof. Mag. Dr. Astrid Oberzaucher, FH Campus 02, Graz


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