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WG Geschichten

Date post: 23-Jul-2016
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Page 1: WG Geschichten

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dieperspektive

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Page 2: WG Geschichten

IMPRESSUMKONTAKT verein dieper-spektive, zentralstrasse 167, 8003 zürich REDAKTION simon jacoby + conradin zellweger + manuel perriard + konstantin furrer + marius wenger + dominik wolfi nger LAYOUT isabella furler COVER isabella furler LEK-TORAT konstantin furrer DRUCK nzz print AUFLAGE 1000 ARTIKEL EINSENDEN [email protected]

WG — Geschichten

von Aline TredeJulia MeierJoanna LisiakDomus LopusTamara HoferRoland WagnerGregor SchenkerSimeon MilkovskiLaurin BuserMarco Büsch

38WERBUNG [email protected] ABO [email protected] LESERBRIEFE [email protected] GÖN-NERKONTO pc 87-85011-6, vermerk: gern geschehen THEMA DER NÄCHSTEN AUSGABE Roboter machen deinen Job. Was tust du? REDAK-TIONSSCHLUSS donners-tag, 25. juni, 23.55 uhr

Them

a

Inha

lt

Page 3: WG Geschichten

04 Editorial

P06 Aline Trede

T08 Meine Liebste...

T12 Tamara Hofer's

WG's 1 – 5

T26 Laurin Buser

T22 10 Regeln für

eine gute WG

T16 Ein echter Gregor

zum aufhängen

T18 Weegee — Vignetten

Illustrator der Ausgabe:

Jordan Marzuki,ist Katzenliebhaber und www.theballetcats.com

Seiten 8/11/18/19

..

T11 Beim WC–Papier

hört der Spass auf.

+ 87% bunzlig

T24 Die erste WG

+ 25% Geldsorgen

T14 Rolandsky

101% Revolution!

K28 Gedichte

100% Poesie

T10 Sammler

erklärt sich.

100% Interieur

PARTY

HYGIENE/GRUSIG

0 50 101

NACHBARiN

MITBEWOHNER

SEX

THEMA

KREATIVES

POLITIKP

%

TK

Page 4: WG Geschichten

4

Editorial

Bei uns zieht einer aus. So geht das im Leben – einer geht, einer kommt und die Erde dreht sich trotzdem weiter. Das Leben in einer WG ist von Kurzlebigkeit geprägt. Kaum mehr als zwei Jahre wohnte ich mit der gleichen Person zusammen. Da habe ich Unterhosen, die länger hiel- ten. Dabei wusste bereits Sherlock Holmes: In einer Wohngemeinschaft lebt es sich am besten. All diese tollen Erinnerungen an am Kinn blutende Mitbewohner, die sich morgens um zwei zu einem ins Bett legen, an besetze Duschen, wenn man sich noch sauber machen sollte vor dem Vorstel-lungsgespräch, an das frühmorgendliche lärmige Herumgestolpere, wenn man Früh-schicht hat, an den allnächtlichen Hus-tenanfall des Kettenrauchers, der an um-fallende Kessel in einem Raum mit guter Resonanz erinnert.

Ja, diese Erinnerung machen das WG-Leben aus, diese sind ganz schön lustig, um im geselligen Rahmen zu erzählen. Da lachen die Leute. Sie sind aber nur Neben-schauplätze zu dem essenziellen Inhalt eines wohngemeinschaftlichen Zusammen-lebens. Es geht nicht darum, nicht einsam zu sein. Es geht darum, Menschen mit verschiedenen Herkünften und verschie-denen Vorstellungen kennenzulernen. Von anderen zu lernen, inspiriert zu werden; auch eine Messlatte zu haben.

Page 5: WG Geschichten

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Daher führt wohl der ständige Wech-sel in Wohngemeinschaften. Jeder findet für sich heraus, was ihm gefällt und was nicht und lernt sich selber durch andere besser kennen.

Auch bei diePerspektive gibt es Ver-änderung. Einer kommt – einer geht. Mit Dominik Wolfinger haben wir einen kom-petenten Nachfolger für den Chefsessel gefunden. Er publiziert seit geraumer Zeit in dieser Zeitschrift und bei «tsüri». Wir wollen es nicht leugnen: Die Zeitschrift stagnierte in letzter Zeit, es fehlte an Mo-tivation. Umso mehr braucht es neue Leute, neue Idee und Visionen. Wir sind überzeugt, dass Dominik die Zeitschrift mit seinen eigenen Ideen und Vorstellung vorantreiben kann.

Für die Redaktion, Konstantin Furrer

Ihr fragt, wer geht?

Ich. Ciao.

Page 6: WG Geschichten

POLITKOLUMNEAline Trede

WG's?

— Ui, das mit den Kühlschränken

von Aline Trede, illustriert von Isabella Furler

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Page 7: WG Geschichten

Der Versiffte

Der Kühlschrank, in dem das Chaos herrscht. Alles schmeis-sen alles irgendwie rein, das neuste zuvorderst, das ältere wird in den Sedimentschichten nach hinten geschoben, versif-ft dort und stinkt. Niemand räumt auf, niemand fühlt sich verantwortlich, niemand putzt mal den ganzen Kühlschrank gründlich durch, alle essen im-mer nur das frische in der vor-dersten Reihe.

Meine Erinnerung an WGs ist sehr gut. Ich habe in vie-

len verschiedenen gewohnt von 2 bis 9 Personen, jedes Jahr in einer anderen Wohnung, in einem anderen Quartier, sogar in anderen Städten. Die WG-Zeit möchte ich nicht missen, es gibt jedoch etwas, da bin ich heute froh, dass ich nicht mehr in einer WG wohne. Und das ist: die Kühlschrankdebatte.

In der einen WG hatten wir sogar 2 Kühlschränke und dann mal einen Stormausfall, aber diese Geschichte erspare ich euch, die gehört in eine an-deren Kategorie.

Der Pickfeine

In einigen WGs herrschte ganz klare Rangordnung. Jede und Jeder hatte sein Fach, da war klar, dort kommt nur das hin, was auch mir gehört, ich bin verantwortlich für mein Essen und dass es nicht schlecht wird und wenn mir mal was fehlt, muss ich die anderen fragen, ob ichs ausleihen kann. Oder manchmal hat man dann mal einfach was genommen, sicher genau an dem Abend wurde es auch von seinem Besitzer gebraucht. Die etwas abge-schwächte, aber nicht minder pingelige Version dieses Fächli-wesens ist das Nämelen. Ein fet-ter, wasserfester Stift hängt am Kühlschrank und jede Person schreib seinen Namen auf jedes Gut, welche ihr gehört. Das eine Problem ist, dass dies bei mir wirklich Zwangsneurosen auslöst und das anderen, dass wenn mal was nicht angeschrie-ben ist, wird’s schlecht und nie-mand schmeissts weg.

POLITKOLUMNEAline Trede

Der Familiäre

Der Kühlschrank, welche in meiner WG-Erinnerung am besten und effi zientesten funktioniert hat ist der Kühl-schrank, in dem allen mithelfen den Grundstock zu erhalten. Milch, Butter, Mayo etc. Wenn was leer ist, wird’s ersetzt oder auf den Einkaufszettel geschrie-ben. Braucht wirklich jemand für ein schönes Znacht die Zuta-ten, wird das vermerkt oder gesagt, damit niemand davon nimmt und das Menu platz. Geputzt wird einmal im Jahr sowieso die ganze Wohnung, also auch der Kühlschrank. Foodwaste wird wenig produ-ziert, da praktisch alles für alle frei nehmbar ist. Schön!

Irgendwann muss dann eine WG-Sitzung her und das The-ma wird besprochen, dann putzt man gemeinsam den Kühl-schrank und nach 2 Monaten sieht alles wieder gleich aus. Wäääh! Und Foodwaste wird am Laufmeter produziert.

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Aline Trede ist grüne National-rätin aus dem Kanton Bern. Nicht alles an ihr ist aber grün: Sie hat fünf verschiedenfarbige Brillen, keine einzige davon ist grün. Weil sie Politikerin ist, schreibt sie für uns immer über Politik.

Page 8: WG Geschichten

Meine Liebste,ich sage es Dir viel zu selten

— Ich liebe dich.von Julia Meier, illustriert von Jordan Marzuki

THEMAIch liebe Dich!

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Page 9: WG Geschichten

Du bist wunderschön, auch wenn Du nicht herausgeputzt bist. Du gibst mir

ein Gefühl der Geborgenheit, des Dazuge-hörens, des Heimkommens. Du hast es ger-ne laut und chaotisch, aber ab und zu hat auch mal ein ruhiger Abend Platz. Du bist lustig, es gibt aber auch ernste Themen, die man besprechen kann. Gott und die Welt kann man durchdiskutieren – am be-sten über einer Flasche Wein. Du vereinst die unterschiedlichsten Ecken und Kanten. All diese verschiedenen Eigenheiten, Inte-ressen, Vorlieben – Du bringst sie zu einem Ganzen zusammen. Es passt einfach. Diese Verschiedenheit macht Dich aus, macht Dich so spannend. Bei Dir fühlen sich alle zuhause. Du hast für alle ein offenes Ohr.

Natürlich ist das Zusammensein nicht immer einfach. Wir sehen uns oft, be-kommen alles mit. Unsere zickigen, mür-rischen, melancholischen oder aufge-drehten Tage. Es gibt kein Ausweichen. Nicht zuletzt, weil die Wände unglaublich dünn sind – Privatsphäre gibt es nicht. Wir wissen alles voneinander. Den Alltag teilen ist wundervoll, aber auch brutal ehrlich. Und führt dazu, dass man über Alltägliches streitet. Vieles bleibt auch un-ausgesprochen, so sind wir halt. Ich glau-be, wir haben das Gefühl, mehr als der andere in uns zu investieren. Mehr beizu-tragen. Aber das Zusammenleben braucht halt viel und wir geben unser Bestes. Das

vergessen wir manchmal. Aber auch diese Unstimmigkeiten und Missverständnisse sind schnell vergessen und wir lachen bald wieder miteinander. Trotz ihnen spricht viel mehr fürs Zusammensein.

Dank Dir habe ich eine Tür, an der ich klopfen kann, wenn mich Sorgen plagen, auch mitten in der Nacht. Dank Dir gibt es einen Ort, wo ich mich vor der bösen Welt verstecken und einfach einkuscheln kann. Von dort aus kann ich wunderschö-ne Deckenstuckaturen bewundern und mich wie Dornröschen fühlen. Bei Dir findet sich immer irgendwo Schokolade als Seelenpflaster oder ein Glas Wein und Gesellschaft um den Kummer zu erträn-ken. Und danach in den untiefen der Kü-che irgendwo etwas zu Essen für den Ka-ter. Sowieso die Küche – the place to be. Sie ist der beste Dancefloor und jeder Club wird an ihrem Vibe gemessen. Sie ist der Ort, wo man sich trifft – an einem faulen Sonntag, nach einem langen Tag zum Ko-chen oder einfach so für ein kurzes „Hal-lo wie geht’s?“. Hier ist auch ein Fenster-sims zum Hinsetzen – der schönste Ort auf Erden. Auf dem farbigen Teppich in der Stube wurden schon betrunkene Häuf-lein Elend gebettet. Am majestätischen Es-stisch daneben hat es Platz für grosse Run-den und man kann seinen kulinarischen Ausbrüchen frönen. Der Kronleuchter da-rüber bringt stockende Gespräche wieder ins Laufen. Im Spiegel neben meinem Zim-mer sind alle die Wunderschönsten und er bringt jeden zum Posieren und Lächeln. All diese Sachen machen Dich zu dem, was Du bist, machen Dich einzigartig. Der Grund wieso ich Dich so abgöttisch liebe.

Sowieso die Küche – the place to be. Sie ist der beste Dancefloor und jeder Club

wird an ihrem Vibe gemessen. /Julia Meier

»

«

Natürlich hat die Zeit auch bei Dir Spu-ren hinterlassen. Die Herdplatte zerbrach an der Liebe und nun gibt’s halt momen-tan Ofengemüse oder Ähnliches. Die Wän-de waren schon weisser, denn sie mussten immer wieder Duschen von Kaffee oder Wein ertragen. Und einmal sogar eine Tasse, aus Wut geplant geworfen. Jetzt hat die Wand zwei Löcher, ein kleines und ein grosses. Und die ominöse Geschichte mit dem Brotschlüssel – irgendwie vertrug es diese im Gang aufgehängte Essware ein-fach nicht, wenn jemand nachts um vier neben ihr angetrunken die Schuhe auszie-hen wollte und flüchtete am Boden zer-stört ins nächste Zimmer. All diese Spuren zeigen, hier wird gelebt. Das macht Dich aus. Es ist eben mehr als zusammen vier Wände zu teilen – man teilt den Alltag, die Sorgen, die Freuden, das Leben.

Danke Dir, meine liebste WG!! Ich möch-te Dich nie verlassen. Das Leben in Dir ist so wundervoll. Du bist mein Zuhause. Tau-send Dank.

Mit grösster Liebe, Deine Bewohnerin Julia

Julia Meier, studiert und lebt in Zürich. Ist nach einer Odyssee durch die verschiedensten WGs endlich Zuhause angekommen: in einer mehr als wunderschönen Wohnung mit den zwei besten Mitbewohnern und den tollsten zwei Mitbewohnerinnen im Her-zen der Stadt.

THEMAIch liebe Dich!

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Meine Liebste,ich sage es Dir viel zu selten

— Ich liebe dich./von Joanna Lisiak

Sammmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmm mmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmm mmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmm mmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmm mmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmm mmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmm mmmmmmmmmmmmmmmmmmm mmmmmmmmmmmmmmmmmmm mmmmmmmmmmmmmmmmmmm mmmmmmmmmmmmmmmmmmm mmmmmmmmmmmmmmmmmmm mmmmmmmmmmmmmmmmmmm mmmmmmmmmmmmmmmmmmm mmmmmmmmmmmmmmmmmmm mmmmmmmmmmmmmmmmmmm mmmmmmmmmmmmmmmmmmm mmmmmmmmmmmmmmmmmmm mmmmmmmmmmmmmmmmmmm mmmmmmmmmmmmmmmmmmm mmmmmmmmmmmmmmmmmmm mmmmmmmmmmmmmmmmmmm mmmmmmmmmmmmmmmmmmm mmmmmmmmmmmmmmmmmmm mmmmmmmmmmmmmmmmmmm mmmmmmmmmmmmmmmmmmm mmmmmmmmmmmmmmmler erklärt sich.

meine Wohnung ist zugegeben voll von Kunst und Versuchen an Kunst vol-ler Gewürze ich habe mehr als genug Bü-cher und Taschen und Hosen und Schuhe es fehlt mir an nichts und auch Schmuck habe ich echten unechten dann Musik E und Musik U ich bin gut bestückt mit Vor-ratsdosen habe viele viele Notizzettel und Stifte und Crèmchen so viele so viele so viele habe ich. Doch genauso ist vieles erst gar nicht vorhanden.

Hab keine Kissen mit Gesichtern drauf nicht ein einziges Plüschtier auf Kuschel-kurs liegt auf meinem Bett wartend auf eine Gutenachtgeschichte auf keinem Glo-bus kann ich mit meinem Finger herumrei-sen keine Kaffeemaschine brummt je nicht einmal Skis habe ich obwohl ich leidlich fahren kann einen Neopren-Anzug besitze ich nicht dazu gibt es keinen Grund und obwohl auch ich Weihnachten feiere ver-füge ich über Weihnachtsmusik nur wenn sie aus dem Radio kommt ich kann hier nicht Wohnwandmöbeln entlang klettern denn solche gibt es hier nicht kein Moos keine Palmen und keine blühenden Kak-teen auch sind hier nirgends ovale Bilder zu finden keine Stützstrümpfe keine Eile mit Weile Nagellack ja aber kein grüner keine gefärbten Strähnchen können mir je vom Haupt fallen in einen blubbernden Whirpool kann ich mich abends nicht set-zen keine Harfe spielen wenn mir danach ist keine Mickymausohren anlegen keinen Weichspüler in die Waschmaschine leeren mit keinem Rasenmäher herumkurven zum Spass selten Bier trinken denn wenn dann Wein und erst seit kurzem kann ich in echte Gummistiefel steigen dafür nicht einmal Eis am Stiel lecken alles ist redu-ziert auf vereinzelte Bedürfnisse so dass ich guten Gewissens trotz Anhäufung Besitztum gewissem Überfluss von einer Form von Minimalismus sprechen kann.

Joanna Lisiak, diverse Einzel-publikationen sowie zahl-reiche Veröffentlichungen in Anthologien und Zeitschriften. Zuletzt:„Besonderlinge – Galerie der Existenzen I; II“, Wolfbach, Zürich

THEMASammler erklärt sich.

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Page 11: WG Geschichten

Meine Liebste,ich sage es Dir viel zu selten

— Ich liebe dich./von Joanna Lisiak

Es muss immer reichlich To-ilettenpapier vorhanden

sein. Ist eine Rolle leer, wird sie gewechselt. Ist kein Ersatz mehr hinten auf dem Spülka-sten, wird Ersatz geholt. Sind im Schrank keine Ersatzrollen mehr vorhanden, werden neue gekauft und dabei meine ich nicht nur eine Rolle, sondern mindestens zehn. So einfach ist das.

Meine Zahnpasta ist meine Zahnpasta. Dieses Gesetz

ist nicht in Stein gemeisselt und natürlich darf man im Notfall auch mal meine benut-zen, ABER sollte dieser Fall je-mals eintreten: Die Paste wird von hinten nach vorne lang-sam hinausgedrückt!

Meine Esswaren werden nicht gegessen. Und wenn

doch: Ersetzen. Und ich rede hier nicht von Ketchup oder Konfitüre, sondern von einem guten Stück Fleisch, welches ich für Gäste eingekauft habe. Ansonsten würde ich einfach den Beluga-Kaviar ersatzlos verspeisen. Auge um Auge.

Es wird angeklopft. Wer mei-nen Privatbereich betreten

will, klopft bitte an. Nicht dass ich jedes Mal eine wilde Orgie veranstalte, wenn die Türe zu meinem Zimmer geschlossen ist, aber vielleicht schaue ich mir gerade heimlich das neu-ste Video von David Guetta an. Und es wäre ziemlich peinlich, wenn ich dabei erwischt wür-de. Als junger urbaner Stadt-zürcher hat man ja einen Ruf zu verlieren.

Die Miete muss bezahlt wer-den. Regelmässig. Pünkt-

lich. Mit Geld und nicht mit Lunchchecks. Woher das Geld kommt, ist mir dann auch wurst, solange nicht im Wohn-zimmer Kokain auf Kilobasis vertickt wird. Das hat schon damals in «Scarface» nur für Unruhe gesorgt.

Beim WC – Papier hört der Spass auf

/Ich bin ja kein Bünzli./ von Marco Büsch, illustriert

von Jordan Marzuki

Wer mit mir in einer Wohn-gemeinschaft wohnen

will, muss zehn Punkte erfül-len. Mindestens. Gut, vielleicht nicht alle immer zu jedem Zeitpunkt, aber es wäre wün-schenswert. Denn über gewisse Punkte kann ich hinwegsehen, andere hingegen würden in einen Kleinkrieg ausarten. Und fürs Prinzip würde ich sehr weit gehen. Was ich dafür biete? Ich erfülle diese zehn Punkte ebenso und zwar so gut wie es geht. Hier meine Liste, was mein potentieller WG-Mitbewohner/meine WG-Mitbewohnerin tun und lassen sollte:

Die Schuhe gehören in den Schuhkasten und nicht in

die Mitte des Ganges. Wir sind nicht mehr fünf- oder achtjäh-rig. Und wir sind auch nicht verhaltensgestört, also sollte das kein Problem sein. Anson-sten finden sich die Schuhe zusammengebunden an der Stromleitung vor dem Haus hängend wieder.

Fifa spielen. Ich brauche im-mer mal wieder jemanden

um Fifa zu spielen und manch-mal will man nicht erst je-manden organisieren. Da sollte dann der Mitbewohner ranmüssen. Ich schaue dafür Germanys Next Topmodel mit oder mache sonst etwas, was ich alleine nie tun würde, mir aber trotzdem irgendwie gefal-len wird, obwohl ich das nie zugeben würde.

THEMABeim WC – Papier hört der Spass auf.

Der Zürisack wird nicht erst gewechselt, wenn er über-

voll ist. Der Bioabfall auch nicht. Das macht man einfach nicht. Wir sind erwachsene Menschen. Solche Dinge ma-chen Erwachsene in der Regel ohne zu murren. Irgendwann, wenn wir dann reich sind, wer-den wir über diese Momente lachen, als wir noch selber den Abfall raustragen mussten. Aber bis dahin: Einfach selber entsorgen.

Es wird am gleichen Abend abgewaschen. Das dreckige

Geschirr wird nicht tagelang in der Küche gelagert, es wird am Abend der Benutzung noch abgewaschen. Ausser wir ha-ben eine Party gefeiert, dann gelten Sonderregeln. Aber dann gehen wir vielleicht auch dazu über, einfach alles zu ver-brennen. Je nachdem.

Dein Zimmer ist zwar dein Zimmer, aber das berech-

tigt noch lange nicht, in Über-lautstärke Pornos zu schauen. Falls dies doch die Meinung sein sollte, werde ich in den Fachmarkt gehen und mir Schallschutzkopfhörer und eine Helene-Fischer-Live-DVD besorgen. Die DVD wird dann voll aufgedreht laufen bis die Polizei mich wegen schwerer Körperverletzung festnimmt.

Aber ansonsten bin ich ganz umgänglich. Ich bin ja kein Bünzli. Oder zumindest nur ein bisschen. Manchmal.

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Page 12: WG Geschichten

WG 1/Die Sexfalle

Ich behaupte: Die Menschheit überlebt gerade deshalb so gut, weil sie immer

verfressener wird. Zur Erklärung folgende Begebenheit aus dem Alltag:

Für unsere WG-Haustiere, die gefrässigen Küchenmotten, gilt ein quasi Brecht’scher Grundsatz. Wie für den Menschen das Fressen vor der Moral kommt, kommt für sie Sex vor dem Fressen (daran sieht man übrigens auch, dass der Mensch im Allge-meinen um mindestens eine Stufe höher entwickelt ist als die Küchenmotte). So stürzen sie sich lieber auf den mit Sexual-lockstoffen angereicherten Klebestreifen und verenden dort kläglich, als in ihrem Schlaraffenland (unseren Baslerleckerli) weiterzufressen und es vollzueiern, wie sie es taten, bevor wir die Sexfallen aufgestellt hatten. Damit haben wir sie nun endlich ausgerottet. *denk* Daraus, dass sich der Mensch mindestens eine Evolutionsstufe über der Küchenmotte befindet, lässt sich also schliessen, dass beim Menschen das Fressen vor dem Sex kommt1

Das ganze Ausmass dieser Erkenntnis ist mir noch nicht klar, aber wir können zumindest einmal froh sein, dass uns die Evolution zu solch verfressenen Wesen ge-macht hat; so können wir während dem Fressen vor dem Sex2 immerhin noch ab-wägen, ob wir nach dem Fressen mögli-cherweise Gefahr laufen, in eine Sexfalle zu stolpern und danach erbärmlich an ei-ner Klebefolie3 zugrunde zu gehen.q.e.d. PS: Logische Denkfehler bitte nicht mel-den. Ich habe jetzt schon einen Knopf im Kopf vor lauter Moral, Sex und Fressen Hirnen.PostPS: Moralische Bedenken hatte ich bezüglich der Sexfalle interessanterweise noch nie.PostpostPS: Die Fussnoten sind für alle Küchenmotten unter uns.

Tamara Hofer, 34, Fussnotenkönigin. Heimlicher Traumjob: Kammerjägerin.

/von Tamara Hofer

1 So hätten wir also bei der Motte die Reihenfol-ge Sex - Fressen (Moral kennt sie nicht; würde sie sie kennen, hätte sie Skrupel so eklig zu sein) und beim Menschen Fres-sen - Moral - Sex oder Fressen - Sex - Moral oder vielleicht sogar...nun ok, vielleicht gibt es verschie-dene Ausprä-gungen. Oder nein, wahrscheinlicher: Auch der Mensch kennt die Moral gar nicht (vgl. PostPS)2 aka romantisches Abendessen zu zweit 2 das ist metaphorisch4 zu verstehen 4 sinnbildlich

THEMAÄHM..

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Page 13: WG Geschichten

 WG 3/Schmuddelwetter-

programm

Scheisswetter hat ja auch einen nicht zu verachtenden Vorteil: Es schafft Gele-

genheit zum Rückzug in die eigenen, woh-lig warmen vier Wände. So hatte ich für meinen Teil an diesem kalten Frühfrüh-lingstag offiziell meine Badewannen-Sai-son auf unbestimmte Zeit verlängert und dabei die nachwinterliche Stille genossen. Bis...plötzlich höre ich lautes Stöhnen. Na toll. Aber gut, sowas war ja eigentlich zu erwarten, denn auch dazu schafft das Scheisswetter vortrefflichst Gelegenheit. «Oooooaaah! Ja!» «Chum, mach!» Das Stöh-nen kommt nicht von irgendwo im Haus, nein, es kommt aus unserer Wohnung. Uii...dabei hatte ich gar keinen Männerbe-such einer meiner Mitbewohnerinnen mit-gekriegt? Ich versinke im Kakao-Vanille-Ba-dewasser und will einfach gar nichts mehr hören. (Ja, da kam mir dann auch sehr schnell wieder in den Sinn, dass man un-ter Wasser noch mehr hört, als oberhalb...) Nach meinem Bad wollte ich wenigstens wissen, was für ein Prachtskerl meine Mit-bewohnerin so beglückt hatte und schlich an ihrer Tür vorbei, die einen Spalt breit geöffnet war.Da war nicht nur ein Mann, da waren 22 kleine Männchen auf einem Bildschirm und sie hatten nichts anderes im Kopf als Fussball. Genau wie meine Mit-bewohnerin.

Tamara Hofer, 34, hat entweder zu viel Phantasie oder zu wenig Interesse an Fussball oder beides.

  

WG AD /nach WG 5

Hach alleine wohnen! Es ist paradie-sisch. Hier muss ich keinen stinken-

den Abwaschlappen mehr benutzen (oder ihn täglich wechseln), weil ihn am Abend (jeden Abend!) jemand (alle ausser mir?!) unausgewaschen und zusammengewur-stelt hat liegen lassen. Hier gibt es auch keinen Abwaschschwamm, dessen Geruch und Aussehen mich daran zweifeln lässt, ob er wirklich immer nur für den Abwasch verwendet wurde. Wenn ich die Küchen-schere aus der Schublade kramen will, muss ich nicht mehr zuerst kontrollie-ren, ob ich gleich in eine Kakerlake greife. Wenn ich die Küchenschere aus der Schub-lade will, muss ich sie nicht vor Gebrauch erst gründlich waschen und sie dann trotz all dem Schrubben ziemlich angewidert benutzen. Der Müllsack ist nicht alle zwei Tage voll, weil keiner der Tetrapak-Trinker je auf die Idee käme, seine Tetrapaks flach zu machen. Der PET-Sack ist nicht alle zwei Tage voll, weil... ja genau, die PET-Flaschen(trinker). Ach ja und die Flaschen im PET-Sack sind auch nicht noch halb voll mit vor sich hin gärendem Etwas.

Im Kühlschrank muss ich nicht immer erst halbe Biotope umschichten, um mei-nen Einkauf einzuräumen. Wöchentliche Routineuntersuchungen meiner Lebens-mittel im Vorratsschrank erübrigen sich: Hier gibt‘s keine Lebensmittelmotten! (Wow, wirklich!! *seufz*) Das Tischtuch ist nicht permanent klebrig (und stinkt nach o.g. Abwaschlappen) und ich muss mich nicht mehr fragen, ob die Klebrigkeit von etwas Verschüttetem herrührt oder einfach zum allmählichen Zerfallprozess des uralten Teils gehört. Und jetzt zu den wirklich wichtigen Dingen. Ich muss mit niemandem reden. Ich kann in Ruhe essen.

Tamara Hofer, 34, lebt mittlerweile nun plötz-lich doch wieder in einer WG. Ganz freiwillig. Hier gibt es keine Kakerlaken (bis jetzt), dafür neben den obligaten Küchenmotten nun auch Kleidermotten, Hausspinnen und ein Pony. Aber ich habe gemerkt, wenn man all diesen Tierchen einen Namen gibt, geht es!

WG 2/Gestern

in der Früchte- schale

Dirty, Heilsarmee! Dirty! Oder: WG auf Zeit mit Mrs Biederkeit

Ich war auf Reisen und es hatte mich in ein Gästehaus der Heilsarmee verschlagen. Das hat damit zu tun, dass ich natürlich nicht vorausgeplant hab und angesichts dieses Resultats müsste ich mir das mit dem Vorausplanen vielleicht doch noch-mal überlegen.Die Heilsarmee-Menschen mögen liebe Menschen sein, aber es sind immer noch biedere, liebe Menschen. Je-denfalls war ich also in unglaublicher Bie-derkeit einquartiert. Die Biederkeit war im kleinen Teppichvorleger, der auf dem Tep-pichboden lag, im massiven, gepolsterten Stuhl, in den groben Vorhängen - alles in undefinierbarem Gilb gehalten - und sie war vor allem in den Bildli mit den Sprüch-li, die über dem Bett hingen und auf dem Tisch standen, in dem die Biederkeit auch war. Ich ging aufs Klo, um zu sehen, wie sich die Biederkeit dort äussern würde.Es hing dort das übliche Schildchen mit dem Aufruf zu Sauberkeit, das Blick-zurück-Sprüchli, das Hygieneartikel-ins-Säckli-Sprüchli und... was da auch noch stand, lässt mich noch immer nicht los:

«Wenn Ihnen ein Missgeschick passiert, sagen Sie uns bitte Bescheid, wir helfen Ihnen gerne weiter.» Ok?! Meine Fantasie kam sogleich mächtig ins Rotieren, denn mir kam auf Anhieb kein Missgeschick in den Sinn, das mir a) normalerweise auf Toiletten passiert und b) das ich dann auch noch gleich der Heilsarmeeherbergs-mutter mitteilen würde. Woran die wohl gedacht haben? Dass jemand den Klositz ver...ziert? Sich unentwirrbar mit dem Tamponschnürchen verheddert? Sich et-was Heikles zwischen Klo und Klobrille einklemmt? Vor meinem inneren Auge spielten sich Szenen ab, die sich schwer in Worte fassen lassen. Eines jedoch wur-de mir auf diesem Klo klar: (Auch) Hinter Biederkeit klaffen immense Abgründe. Ich will zurück in meine WG.

THEMATamara Hofer blüht auf.

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Page 14: WG Geschichten

Ein Platz für Gorillas

von Rolandsky, illustriert von Isabella Furler

ROLANDSKYEin Platz für Gorillas

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Page 15: WG Geschichten

Rolandsky,mit bürgerlichem Name Roland Wagner.Nach dem Lesen seiner Kolumnen geht es den meisten so: verwirrt, betroffen, aha-so-ist-das, was soll das? Recht hat er...

Ich kann mich reduzieren und

ein Liliputleben leben./Rolandsky

Ich fordere, dass niemand eine Woh-nung hat. Alle sind eine Wohnungsguerilla

und ziehen herum. Das heisst, die Privat-heit ist eigentlich aufgehoben. Es klingelt ander Türe. Jemand sucht ein Bett für die Nacht. Bei Dir zu Hause hat es zwar keinen Platz mehr, in der Stube wohnen schon drei Hunde, aber wir stellen uns vor, wohnen wäre ein Menschenrecht und wir wären so zivilisiert, dass man jederzeit wo klingeln kann und gratis ein paar Wochen oder Mo-nate bleiben kann. Manche bleiben Jahre, wenn es ihnen gefällt. Oft kaufen sie nicht einmal Abfallsäcke . Sie lassen die Wäsche hängen. Jemand bezahlt die Miete. Das Goldfi schglas ist voller Algen. So woh-nen wir in einer besseren Welt.

Ich fi nde, es gibt noch viel zu wenig Men-schen in den Städten. Es müssten noch viel mehr sein. Dann könnte man mehr Men-schen anschauen in den Strassen. Sie wür-den alle verschieden ausschauen. Es gäbe keine Schlangen mehr bei Wohnungsbe-sichtigungen, weil man einfach wo klingeln kön-nte. Auch alte Menschen, um die 80 Jahre alt, würden leben wie Dinosaurier. Die Alten würden sich dem Lebensrhythmus der Nachtfalter anpassen und bis in alle Nacht wachbleiben, weil es Licht hat im Wohn-zimmer. Wer früher schlafen will, würde auf die Toilette gehen. Es gibt immer Lösungen. Jetzt verstehe ich auch, wer die Kreativität erfunden hat. Auch die Medizin. Alles ist nötig, weil es uns vorwärts bringt. Wenn man es zu Ende denkt, dann ist das Reservoir an Menschen unerschöpflich. Der Mensch findet zu jedem Problem die Lösung. So-lange es Läden gibt, kann man einfach die Milch von den Kühen holen. Die Technologie und das Wissen haben uns so weit gebracht.

Ein Platz für Gorillas

«

«Es gibt drei Strategien – ich will die mit Euch diskutieren:

1 Ich kann mich reduzieren und ein Liliputleben leben. Wenn es alle machen, was würde passieren?

2 Ich kann sagen, jetzt ist gut, wir bleiben Algen. Dann kommen alle und sagen, das sei nicht möglich. Nein, es bringt nichts darüber nachzudenken.

3 So fi nden wir keine Lösung. Schon der Wachstumsökonom Thomas Robert Malthus sagte das Bevölkerungswachstum falsch voraus. Trotzdem glauben viele, dass das Wachstum bis etwa 10 Millionen Menschen pro Wohnung weitergeht. Und der Mensch ist ein Tier!

Wir müssen uns bewusst sein, dass es erst seit kurzem Tiere gibt auf der Erde! Wir kön-nen es gar nicht beeinfl ussen. Ich weiss, dass Du es gerne beeinfl ussen würdest. Mach bei unserem Wettbewerb mit. Wenn Du unsere Ideen gut fi ndest, kannst Du Dich bewerben. Bitte schicke zuerst ein Foto oder ein Selfi e.

Wir müssen das in den Griff bekommen. Alles andere ist Chaos. Es ist eine Frage der Macht. Gerade für Chaoten in der Zivilisati-on ist das Wohnen der Knackpunkt.

Ohne Wohnen keine Revolution!

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Page 17: WG Geschichten
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—Weegee

Vignetten/Immer gabs jemanden, mit dem man einen Quark essen konnte oder der

das Bad blockierte./von Simeon Milkovskiillustiert von Jordan Marzuki

THEMAWeegee – Vignetten

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Meinem Ostblockpapa, gesegnet mit einem Übermass an Einfühlungsver-

mögen, verschlägt so schnell niemand die Sprache. Überlasst das ruhig seinem ein-zigen pubertierenden Kind. Als ich fünf-zehn war oder so und ihm eröffnete, ich würde dann wenn alles planmässig lauft aufs Studium hin in eine Weegee ziehn, schluckte er erstmal leer und nickte dann freundlich. Dann wechselte er das Thema. Gleichentags etwas später, Apero mit ma mère. Ich hätte meinem Vater also schon einen Schrecken eingejagt, erzählt sie la-chend. Wie hatte ich denn das geschafft? Nun, sagte sie und nahm einen Schluck Chardonnay, für einen Exmusiker aus einem sowjetischen Satellitenstaat mutet die Vorstellung, dass junge Frischmün-dige in verlotterten Gehäusen irgendwo inmitten einer Grossstadt wie Zürich zu-sammengepfercht in ihrem eigenen Dreck leben und sich gegenseitig die Spritze set-zen halt etwas befremdlich an. Eine Über-dosis westlicher Jugendverwahrlosung. Ich fragte, ob meine Eltern meinen, ich hätte irgendwie mit böseren Drogen was am Hut, als ich sonst schon hatte. Mei-ne Mutter lachte. «Nein Nein, keine Sor-ge, ich hab ihn beruhigt, er weiss es halt nicht besser. Ich hab ihm erklärt dass das heutzutage absolut normal und gang und gäbe ist. Dass deine Onkel alle auch mal in Weegees gewohnt haben und das zu einer Zeit, als die Stadt wirklich noch gefährlich war. Kein Problem also. Er wird sich dran gewöhnen. Abgesehn davon ist es dein Kör-per, mach damit was du Lust hast.»

Meine erste Weegee bezog ich im Som-mer Zwozehn in einem wunderschönen Zweifamilienhaus im Grünen zwischen Regensbergbrücke und Bad Allenmoos. Zu fünft waren wir, jung, schön, topmotiviert und so lebenslustig, wie man das halt mit knapp zwanzig noch ist. Und ach, die Freu-den des Zusammenlebens. Wer hat das Bad schon wieder nicht geputzt? Die Pfanne ist

Weegee – Vignetten

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noch nicht sauber, Simeon. Jetzt friss nicht immer Cornflakes vor dem Znacht! Unser Staubsauger ist kaputt. Kannst du eigent-lich nie genug saufen? Das ganze Bad ist verkotzt! Das war nicht ich, das war die, die ich abgeschleppt habe. Der bin ich im Suff etwas zu ungelenk auf dem Magen abgestützt, da musste halt was raus. Aber sie hat mir gesagt sie hätte alles aufge-wischt! Kann man denn niemandem mehr vertrauen? Fick mal leiser, die arme Frau ist doch sicher schon ganz wund. Du hast unser letztes Gras weggeraucht? Spinnst du? Obligatorische Weegee-Party selbst-verständlich legendär, mehrere Floors auf allen Etagen, voll besetzter Balkon, Lärm-klage und eine zentimeterdicke Schicht Alkohol und Sockenfusel auf dem Wohn-zimmerboden, als dann alles vorbei war.

Nichts hält ewig und manches nicht lan-ge. So kam es, dass ich im Sommer darauf gegangen wurde. Der historischen Har-monie verpflichtet bezeichne ich das jetzt mal als „in gegenseitigem Einverständnis“. Hallo Leonie und Nina, ich mag euch trotz-dem. Dank unvorhergesehner Loyalität und Kameradschaft eines meiner Nächsten bezog ich dann meine zweite Weegee, dies-mal richtig in der Stadt. Druckste ich vor-her rum und sagte, ich wohne an der Gren-ze zum Kreis Sechs, hauste ich plötzlich im Dickicht des flachen Teils von Zürich, und zwar exakt an der Grenze zwischen den beiden besten Kreisen, drei und vier. Nix JuWo, nix Gnossi, nix Sozialwohnung. Eine richtige, echte, private Verwaltung gönnte uns eines ihrer unzähligen Appartements. Die erste Konfrontation liess nicht lan-ge auf sich warten. Wir zwangen die Ver-waltung, die marode, leicht schimmlige dunkelbraune Küche herauszureissen und durch eine neue zu ersetzen. Der russische Gastarbeiter, der uns das Ikea-Schmuck-stück dann installierte, sprach zwar kein Deutsch, dafür aber seine Vorgesetzten, und ich hab bis heute nie so schnell je-manden ein Bier trinken sehen wie den sächsischen Monteur. Zwei Schlücke und zack, leer war die Dose. Der Mietzins stieg, die Vöglein pfiffen und ich gehörte nun zu den echt coolen Säcken, die in Zigidistanz zum Idaplatz wohnen.

Im ersten Jahr geschah etwas span-nendes: Der Zufall namens Arbeitsmarkt zwang uns alle drei in Jobs, die vorwie-gend elf Uhr nachts begannen. Verrückt, anstatt sich morgens beim Schlipsbinden um die Kanne Bialetti zu streiten, begeg-net man sich spätabends im Halblicht der Küche mehr oder weniger ausgangsparat. Noch ein letztes Bier, Augentropfen rein, und ab die Miete verdienen. Ich kam mei-stens als letzter nach Hause, als die Sonne oft schon aufgegangen war. Manchmal war ich ausgesperrt, musste die Besoffenen also nach ihren ersten zwei Stunden aus dem Schlaf klingeln, wodurch ich mir

immer, ohne eine Ausnahme, böse Blicke einhandelte. Aber konnte ich irgendwie noch verstehen, ich hätte ja auch einfach im Treppenhaus schlafen können. Nichts Streitwürdiges, nicht das. Was passiert ei-gentlich, wenn man streitet? Lässt man sich in eine verbale Auseinandersetzung verwickeln, degeneriert man zu einer Vorstufe des zivilisierten Menschen. Ver-nunft und Zen weichen Geltungsdrang und Lautstärkekampf. Und Gott, haben wir gestritten. Zeitweise hätte man un-serer Wohnung eine bipolare Störung di-agnostizieren können. Tranken wir eines Abends bis drei Uhr zu guter bis sehr guter Musik und fühlten uns wie die Bolsche-wiken im November, multiplizierten sich anderntags die kleinen Befindlichkeiten, vom Kater befeuert, zu handfesten Krie-gen. Mixt man dann noch etwaige etwas «schwierige» Beziehungsverhältnisse in die Suppe, so konnte man sicher sein, dass es nicht langweilig wurde, öffnete man unsere etwas quietschige Eingangstüre. Im schlimmsten Fall gab es immer noch das Meiers, das hat ja immer bis Vier auf. Dreimal umfallen und ich lieg drin. Genau wegen so Institutionen liebe ich es, Städter zu sein. Und als Student leistet man sich meistens kein eigenes Gehäuse, sondern teilt es schwesterlich mit anderen. Auch wenn ich immer noch der Meinung bin, vorzüglich alleine klar kommen zu kön-nen, so ist mir das Kommunenhafte doch sehr ans Herz gewachsen. Ich glaube, das reicht auch schon bis in meine Kindheit zurück. Wir hatten ständig Mitbewohner, manche blieben kurz, manche lang, man-che kannte man schon früher, manche nicht. Aber immer gab es jemanden, mit dem man einen Quark essen konnte oder der das Bad blockierte. Good times.

Seit mir die zweite Garnitur Mitbewoh-ner ausgeflogen ist (diesmal im Guten, ich schwörs!), wohne ich nun je nach Zähl-form in meiner zweieinhalbten oder drit-ten Weegee. Sie wurde auch schon ordent-lich eingeweiht, hat doch jeder schon im Suff ins Bad gebrochen. Neue Leute heisst: Neue Musik, neue Esswaren im Vorrats-schrank (Edition 2015: Immer Eier und He-ring), neue Befindlichkeiten, neue Gäste, die plötzlich auf deinen Stühlen hocken und deinen Kaffee saufen. Manches bleibt sich gleich, manches verschwindet mit dem letzten Karton für immer. Auch wenn wir im Schnitt vielleicht alle zwei Mo-nate wirklich zusammen an einem Tisch Znacht essen, ist das Gemeinschaftsgefühl relativ frisch und stark. Auch weil alles ein Ende hat ausser die Wurst: Im Herbst ziehen wir wohl alle von dannen, in nörd-lichere, unwirtlichere Gefilde, wo immer-hin das Bier etwas günstiger ist. Und wer jetzt denkt, oh, es wird eine Wohnung im 34i frei, gleich mal anklopfen, dem muss ich sagen, zu spät Bengel, Vitamin B, Baby.

Nichts hält ewig und manches nicht lange.

So kam es, dass ich im Sommer darauf gegangen wurde.

/Simeon Milkovski

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Weegee – Vignetten

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Das Scheitern der Schmetterlinge

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Wie viele Locken hat die Telefonschnur?

Wer betreibt die Arithmetik unseres Entzweien?

Wo habe ich eine Version der Zukunft vergessen?

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TIPPDas Scheitern der Schmetterligne

2012 veröffentlichten wir in der 19. Ausgabe von dieperspektive «Das Scheitern der Schmetterlinge» von Carlo

Spiller. Der Beitrag wurde als Artikel des Jahres nominiert. Heute, drei Jahre später, liegt der komplette Lyrikband vor.

45 Gedichte. Handgemacht in Zürich.Der Einband wurde von Anneka Beatty liebevoll gestaltet.

Erhältlich als eBook auf Amazon, Google Play und im iBooks Store.

www.carlospiller.comwww.annekabeatty.ch

Carlo Leone Spiller, *1990 in Zürich, studierte Germanistik und Philosophie an der Universität Zürich. Seit 2014 studiert

er am Schweizerischen Literaturinstitut. Neben Lyrik schreibt er Prosa und Theatertexte.

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Regelnfür eine gute

Wohngemeinschaft.*/Eine gute WG ist wie eine

schlechte Ehe./von Domus Lopus

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THEMA10 Regeln für eine gute Wohngemeinschaft.

zum anstiften

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1/ Jeder Quadratzentimeter kostet. Wenn du nicht dafür bezahlst, hast du kein

Recht ihn zu betreten oder zu benutzen. 2/Ämtchen und Putzkalender sind nur

Vorschläge. Und wer vor 14.00 Uhr staubsaugt ist ein Arschloch. 3/ Nur weil man zusam-

men kocht, muss man nicht zusammen essen. 4/Ehre deinen Mitbewohner. Du wirst ihn

vermissen, wenn du morgens Heim kommst und du deinen Schlüssel verloren hast. 5/ Wenn Blut

in der Badewanne klebt, leck es nicht auf und fass es nicht an. 6/ Wenn etwas niemanden gehört, gehört es dir. 7/ Falls eine zu laute WG-

Party stattfindet, du aber nicht teilnehmen kannst, reklamiere erst am nächsten Tag.

Niemand darf erfahren, was für ein Schlappschwanz du bist. 8/ Wenn die

Toilette länger als fünf Minuten besetzt ist, tritt das ungeschriebene Recht in Kraft, ins Wasch-

becken zu urinieren. 9/ Über One-Night- Stands wird nicht geredet. Aber es ist absolut

legitim etwas lauter zu sein und die Mitbe- wohner zu wecken, sodass diese merken, dass du

nicht alleine warst. 10/ Eine gute WG ist wie eine schlechte Ehe. Sie dient einzig und al-

lein der Wirtschaftlichkeit. Alles Private wird ausserhalb erledigt.

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Regelnfür eine gute

Wohngemeinschaft.*/Eine gute WG ist wie eine

schlechte Ehe./von Domus Lopus

10 Regeln für eine gute Wohngemeinschaft.

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Dieser Moment, als ich mit zwanzig end-lich von zu Hause auszog, der war gross-

artig. Ungefähr genauso spannend jedoch war wohl die Vorstellung, dass ich mit zwei meiner besten Freundinnen eine Wohnge-meinschaft gründen würde. Ich war mir bewusst, dass dies kein geringes Risiko war und ich damit gleich zwei Freundschaften auf einen Schlag aufs Spiel setzte. Aber ich wollte es unbedingt. An einem war-men Spätsommerabend trafen wir uns auf einem Fussballfeld am Stadtrand, um uns zu beraten. Es gab eine wichtige Frage zu klären, die das Projekt beinahe zum Schei-tern gebracht hätte, bevor es richtig losge-hen konnte: wo sollte diese WG gegründet werden? Zur Auswahl standen zwei Städte, die eine geschwisterliche Hassliebe verbin-det und die beide nicht unbekannt sind für ihren stark ausgeprägten Lokalpatrio-tismus. In Winti hatten wir alle drei den Grossteil unseres Lebens verbracht, unsere Freunde lebten dort und wir trugen viele gute Erinnerungen von dieser Stadt in un-seren Herzen. Aber in Züri studierten wir seit einem Jahr und die Stadt lockte mit neuen Abenteuern. Wir liessen den Zufall entscheiden. Dort wo wir zuerst eine pas-sende Wohnung fänden, würden wir uns niederlassen.

Dass wir schliesslich in der Limmat-stadt landeten, ging wahrscheinlich zum grössten Teil auf meine Kappe. Als wir die erste, lang ersehnte Zusage für eine Dreizimmerwohnung bekamen, war ich Feuer und Flamme. Beim Anblick meiner tausend Ausrufezeichen auf Facebook mussten einige gedacht haben, ich hätte einen an der Klatsche. Dabei war es bloss Ausdruck meiner überschwänglichen Eu-phorie. Meine Freundinnen mussten mehr Mut aufwenden, um sich von ihren Wur-zeln zu distanzieren. Ich redete ihnen ein,

Die erste WG

/Der Spinat schmeckte

zwar wie Gras, aber Hauptsache er war billig./

von Nadja Hauser

dass unsere Winti-Freunde Verständnis haben würden. Leider irrte ich mich. Wie sich später herausstellen sollte, zerbrachen wahrhaftig viele Winti-Freundschaften. Aus den Augen, aus dem Sinn. Vielleicht war es die kaum zu überwindbare Distanz, welche eine zwanzigminütige Zugfahrt in Anspruch genommen hätte. Verständlich. In einem Zeitalter, in dem jede zweite Be-ziehung eine Fernbeziehung über zwei Kontinente hinweg ist, kann man nicht erwarten, dass jemand seine Komfortzone verlässt und für einen Kaffee in eine ande-re Stadt fährt. Ironischerweise wohnen die meisten dieser Personen heute selber in Züri. Und einige Freundschaften konnten glücklicherweise später wiederbelebt wer-den, als man sich physisch wieder näher war. Schon lustig, irgendwie.

Nachdem meine überzeugenden Über-redungskünste also gefruchtet hatten, un-terschreiben wir den Vertrag und es fühlte sich an, als hätten wir soeben im Lotto ge-wonnen. Es kümmerte uns nicht, dass die Wohnung weder im Kreis 3 noch 4 noch 5 noch 6 lag. Wir trösteten uns damit, dass schliesslich nicht jeder ein lässiger Szeni sein konnte, der im Erismannhof wohnt und die Langstrasse sein Wohnzimmer nennt. Nein, unsere WG lag total uncool im Kreis 11. Zwei Tramstationen vom Schwamendingerplatz entfernt. Dort, wo die Strassenbahn unterirdisch fährt und alles so futuristisch gebaut ist, dass man meinen könnte, man wär irgendwo mitten in Berlin. Zumindest hab ich das immer allen so erzählt. Andere hätten wohl ge-sagt, dass sie nachts Angst haben, alleine durch den Tunnel zu spazieren. Dass da nur Verrückte und Junkies rumlungern. Was natürlich nicht stimmt. Der einzige Penner, den ich regelmässig antraf, kam aus Holland und sprach fliessend Deutsch. Sein schneeweisses Haar war genauso lang wie sein ebenfalls schneeweisser Bart, und manchmal sah man nur noch diese Zotteln um die Ecke flattern. Er bewegte sich schnell und geräuschlos, schielte möglichst unauffällig in die Abfalltonnen und war äusserst gesprächig. Als er mich einmal um 5 Stutz für eine neue Hose bat, drückte ich ihm einen Fünfliber in die Hand und lächelte, wohl wissend, wofür er das Geld ausgeben würde. Zwei Tage spä-ter wartete er vor dem Tunneleingang auf mich und streckte mir stolz eine Plastiktü-te entgegen. Darin lag, ordentlich zusam-menfaltet, eine neu gekaufte Jeans. H&M, schmunzelte er, nur 30CHF.

Die ersten Wochen als WG waren eine grosse Herausforderung und ein harter Test für unsere Freundschaft. Ich erinne-

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THEMADie erste WG

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re mich an unzählige Ikea-Besuche, bei denen man der Versuchung widerstehen musste, das gesamte Warenhaus in den Einkaufswagen zu packen. Möbel wurden in Bussen und Trams quer durch die Stadt geschleppt. Kompromisse waren erforder-lich – nicht zuletzt, da wir alle drei Dick-köpfe waren nicht gerne klein beigaben. Es folgte die schmerzliche Erkenntnis, dass das Leben verdammt teuer ist. In den ersten Wochen füllten wir deshalb den Kühlschrank ausschliesslich mit Lebens-mittelprodukten von M-Budget und Prix Garantie. Der Spinat schmeckte zwar wie Gras, aber Hauptsache er war billig. Erst als eine meiner Freundinnen ein Ultimatum stellte und damit drohte, wieder auszu-ziehen, wenn wir nicht anders einkaufen würden, kam auch ich zur Vernunft. Ab so-fort wurde auf das Bio-Label geachtet (von den einen mehr als von den anderen) und es galt die gesunde, neumodische Devise

lokal-regional-saisonal. Abends schnip-pelten wir Gemüse und kochten Ra-gouts, verweilten bis spät am Küchen-tisch und träumten vom Leben. Oder wir sassen mit einem Glas Rotwein auf unserem knapp drei Quadratmeter grossen Balkon und trotzten den abgas-ausstossenden Autokolonnen, die vor unserer Nase um die Wette stanken. Und wir waren glücklich dabei. Aber ja, selbstverständlich war auch bei uns nicht immer alles Friede Freude Eierkuchen. Wie in allen WGs kam es gelegentlich zu Reibereien und Strei-tigkeiten. Einmal zofften wir uns, weil wir uns uneinig waren, wie gross die Kartoffelstücke für die Salzkartoffeln sein sollten. Ein andermal waren es irgendwelche doofen Pullis, die statt

30° ausversehen mit der 40° heissen Wä-sche gewaschen wurden. Ja ehrlich. Wenn wir schon keine Mitbewohner hatten, die nachts besoffen auf den Teppich pin-kelten, mussten eben andere Streitpunkte her. Zugegeben, auch bei uns wuchsen Pilze im Kühlschrank, im Bad und an den Wänden hinter den Kleiderschränken. Die Abflüsse waren immer wieder verstopft und ich pfiff meine Mitbewohnerin hun-dertmal an, weil sie ihre Haare nicht aus dem Duschabfluss klaubte. Aber im Gros-sen und Ganzen gaben wir uns grosse Mühe und zeigten uns proaktiv. Kaum zu glauben, aber nicht einmal ein Putzplan musste erstellt werden. Niemand drückte sich davor, den Staubwedel in die Hand zu nehmen, wir hatten dieselbe Vorstellung von Sauberkeit, das Altpapier wurde stets gebündelt und vor die Tür gestellt, das Alt-glas gemeinsam wöchentlich entsorgt und mit dem Einkaufen sprachen wir uns ab.

Die Jahre vergingen und unsere kleine WG fiel irgendwann auseinander. Wohn-gemeinschaften sind selten für die Ewig-keit gedacht, aber das ist vielleicht auch besser so. Wir hatten alle drei andere Zu-kunftspläne und wagten uns zögerlichen Schrittes in die weite Welt hinaus. Die eine verschwand für ein Auslandsemester nach Süditalien, die andere zog mit dem Freund nach Südamerika. Ich blieb vorerst tapfer zurück und war neugierig auf die neuen Mitbewohner. Es kamen glücklicherweise nur gute Leute, mit denen ich bis heute Kontakt pflege, so gut es eben geht. Aber es war nicht mehr dasselbe. Ich musste ler-nen, dass jede Wohngemeinschaft eine an-dere, eigene Dynamik entwickelt. Und dass die Vertrautheit unter Mitbewohnern sel-ten so gross ist, dass drei Leute gleichzeitig im Badezimmer duschen, sich schminken und auf der Toilette ihr (kleines) Geschäft verrichten. Meistens haben Menschen, die zusammen in einer WG wohnen, an-dere Tagesrhythmen, eigene Freunde und verschiedene Vorstellungen des Zu-sammenlebens. Als die neuen Mitbewoh-ner einzogen, blieben die Zimmertüren plötzlich mehrheitlich geschlossen. Zu-sammen gegessen wurde nur noch selten und die gemeinsamen Abende, an denen man eng aneinander gekuschelt auf dem Secondhand-Sofa über die Balkonbrüstung schielte, gehörten der Vergangenheit an. Das musste ich lernen zu akzeptieren. Und irgendwann ging ich ebenfalls meine eige-nen Wege, übergab mein Zimmer jemand anderem und verliess Zürich schweren Herzens. Ich erinnere mich, wie ich in der letzte Nacht, zwischen Kartonkisten und Möbelstücken eingeklemmt, im Schlafsack auf meiner Matratze lag und an die Decke starrte. Wie schnell die Zeit vergeht, dachte ich noch, bevor ich endlich die Augen schloss.

Und dann war ich plötzlich in Genf. In ei-ner WG, in der mir mein Mitbewohner re-gelmässig die Salami aus dem Kühlschrank klaut. Um sie dann zwei Tage später, vom schlechten Gewissen getrieben, wieder zu ersetzen. In einer WG, in der häufig mehr Leute übernachten als Betten vorhanden sind. Und wir in der Küche immer zu we-nig Stühle haben.

Aber dazu ein andermal.

Wir trösteten uns damit, dass schliesslich nicht jeder ein lässiger Szeni

sein konnte, der im Erismannhof wohnt und

die Langstrasse sein Wohnzimmer nennt.

/Nadja Hauser

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Die erste WG

Page 26: WG Geschichten

Die beste Methode gegen Schlafstörungen

 Wenn ihr meintDass eure WG die WG sei

Dann habt ihr unsere WG noch nicht erlebtDenn nur unsere WG

Ist die WG 

Was hier schon kaputt gingWie viele Weingläser

Herzen und HirnzellenKondome und Stühle

Und wie oft man es zu flicken versuchte 

Glaubt ja nichtEure Geschichten seien besser

Denn das sind sie nichtAuch nicht für euch

Ihr findet unsere immer etwas krasser 

Wie oft hier japanische Touri-Ravers klingelnUnd fragen, ob hier die WG sei

In perfektem EnglischUnd wie wir sie dann herum führen

Und ihnen zeigen wo sie kotzen können 

Einmal kam sogar Bob Dylan vorbeiUnd fragte, ob hier die WG sei

In seltsamen EnglischUnd ob er ein Konzert spielen könneWir zeigten ihm, wo er kotzen kann

 Manchmal trainieren wir so lautDass die Nachbarin hochkommt

Und uns bittet, etwas leiser zu atmenIch biete ihr dann Haschkekse an

Und dann macht jemand von uns mit ihr rum 

Was hier passiert, bleibt nie hierDie Presse lauert einem ständig aufAber meistens stehn sie genau da

Wo Bob hinkotzen sollteUnd schützen sich mit den Notizblöcken

 Wenn wir das Abflussroh des Lavabos öffnen

Weil nichts mehr abläuftFinden wir nicht nur ganze Zahnbürsten

Sondern ZähneVon Haters

Die WGvon Laurin Buser,

illustriert von Isabella Furler

LAURIN BUSERDie WG

Laurin Buser,wohnt in Basel. Normalerweise steht er mit seinen Texten auf der Bühne und im Studio. Er ist Slam Poet, Schau-spieler und Rapper. Wer mehr wissen will geht auf laurinbuser.ch. Für dieperspektive schreibt er in jeder Ausgabe aus seinem Leben.Foto: Janick Zebrowski

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Page 27: WG Geschichten

Laurin Buser,wohnt in Basel. Normalerweise steht er mit seinen Texten auf der Bühne und im Studio. Er ist Slam Poet, Schau-spieler und Rapper. Wer mehr wissen will geht auf laurinbuser.ch. Für dieperspektive schreibter in jeder Ausgabe aus seinem Leben.Foto: Janick Zebrowski

LAURIN BUSER Die beste Methode gegen SchlafstörungenDie WG

Laurin Buser,wohnt in Basel. Normalerweise steht er mit seinen Texten auf der Bühne und im Studio. Er ist Slam Poet, Schau-spieler und Rapper. Wer mehr wissen will geht auf laurinbuser.ch. Für dieperspektive schreibter in jeder Ausgabe aus seinem Leben.Foto: Janick Zebrowski

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Page 28: WG Geschichten

KLAVIER

einer schiebt sein klavier in die nacht und kehrt nicht wieder

wir fallen durch netze und treiben im meer

schaf müsste man sein oder wolf oder hai

sind wir aber nicht

wir sind vögel die singen und hasen die fliehn

KREATIVESGedichte

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/von Marianna Lanz

DAFÜR SIEHT MAN DEN MOND WIEDER

das haus bröckelt die fassaden

alles kracht undfällt

dafür sieht manden mond

wieder

der über den

trümmern steht

gar nicht so fern liegt er und rollt

in den teich GEPLATZTE MATRATZEN

weiss noch wie glücklich wir waren damals wir lagen auf geplatzten matratzen

und lachten und liessen es krachen

assen schmierige schnittchen leerten ein paar flaschen und träumten

mondhell und friedlich love peace und so

manchmal waren wir so still dass man auch hören konnte was einer schwieg

dann lachten wir wieder glucksten und gackerten die eingeweide flatterten

und denk ich an diese geplatzten matratzen

dann möchte ich es krachen lassen krachen

Page 29: WG Geschichten

NUIT BLANCHE

wir laufen durch dienacht die strassen

blank die sterne fern

denk mit dem knie sagen sie eine hand wäscht die andere

du musst halt

um die häuser gejagt noch immer

aber butter gibt’s in den

läden und lametta

wir finden ein dach einen baum der die

nadeln abstreift

im flur hängt dürr und in den

nächten die träume

Gedichte

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DAFÜR SIEHT MAN DEN MOND WIEDER

das haus bröckelt die fassaden

alles kracht undfällt

dafür sieht manden mond

wieder

der über den

trümmern steht

gar nicht so fern liegt er und rollt

in den teich

OTTO

der alte am tisch den schein vor sich und wie er wieder abzieht

im kalten rauch sitzt zuhaus und grämt sich nicht

denn es reicht doch und morgen ist wieder lotto sagt otto

und lehnt sich zurück diefüsse lang die pfeife gestopft

die löcher sieht man nicht und es reicht ja schlimmer wärs

wenn die flasche leer wär der kopf

bald kommt lotte bringt dentopf das brot die nadel stopft das loch und morgen ist wieder lotto

sagt otto

Marianna LanzGeboren in der Schweiz. Uebersetzungen, Lyrik, Schau-spiel. Lebt nach längeren Aufenthalten in Berlin, Paris und Marseille wieder in Zürich. Veröffentlichung lyrischer Texte in verschiedenen Zeitschriften und Anthologien, u.a. in Wortwerk, Entwürfe, Muse die Zehnte und auf www.federbar.ch

Page 30: WG Geschichten

Die Rolle der Polizisten in unserer Gesellschaft.

Nr.2

PIXELKOLUMNEPolizisten.

Inspiration ist überall. Unsere Läden

Aarberg | BEMünchwilen | TGUnterentfelden | AGZürich

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Page 31: WG Geschichten

Gib din Sänf däzue!Du füllst diese Zeitschrift! Bei dieperspektive hast du es in der Hand, was es zu Lesen gibt, welche Themen aufgegriffen und welche Bilder abgedruckt werden. dieperspektive ist eine lesergenerierte Zeitung. Das bedeutet, wenn dich ein Phänomen besonders beschäftigt, du über etwas Spezielles Bescheid weisst, oder einfach gerne Kurzgeschichten schrweibst: Schicks uns an [email protected] - egal, wie verrückt es auch sein mag!

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Sende deinen Beitrag bis zum Redaktionsschluss an [email protected] oder lade ihn über die Webseite hoch. Als Dankeschön für eingesendete Beiträge bekommst du ein Halbjahresabonnement. Wird der Beitrag veröffentlicht bekommst du ein Jahresabonnement.Nächster Redaktionsschluss: Donnerstag, 25. JUNI 23:55 Uhr

Zu welchen Themen kann ich schreiben?Pro Ausgabe gibt es ein Schwerpunktthema. Dein Beitrag hat erfahrungsgemäss die grössten Chancen, wenn er dieses Thema in irgendeiner Form behandelt. Es werden Jedoch auch Beiträge über andere Themenabgedruckt. Ausgewählt werden die Beiträge übrigens an der öffentlichen Redaktionssitzung. Dazu bist du herzlich eingeladen. Thema der nächsten Ausgabe: ROBOTER MACHEN DEINEN JOB. WAS TUST DU?

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