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WENN KINDER HÄUSLICHE GEWALT ERLEBEN - LIGA der Freien ...€¦ · LIGA der Freien...

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WENN KINDER HÄUSLICHE GEWALT ERLEBEN Auswirkungen und Handlungsoponen Dokumentaon der Fachtagung am 06.Dezember 2013
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WENN KINDER HÄUSLICHE GEWALT ERLEBENAuswirkungen und Handlungsoptionen Dokumentation der Fachtagung am 06.Dezember 2013

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ImpressumFachtag der

LIGA der Freien Wohlfahrtspflege – Spitzenverbände im Land Brandenburg WENN KINDER HÄUSLICHE GEWALT ERLEBEN – AUSWIRKUNGEN UND HANDLUNGSOPTIONEN

1. Auflage 2013, Potsdam

Herausgeber: LIGA der Freien Wohlfahrtspflege – Spitzenverbände im Land Brandenburg

c/o Arbeiterwohlfahrt Landesverband Brandenburg e.V. Kurfürstenstraße 31

14467 Potsdam

Projektleitung: Andrea Behling, Hubert Lautenbach,

Wiebke Matthesius, Claudia Schiefelbein

Redaktion: Hubert Lautenbach, Lisa Reinhardt, Claudia Schiefelbein

Layout: Lars Wiegand [System Concept GmbH]

Fotos & Bilder: Hubert Lautenbach, Trollfilm AS

Kontakt:

[email protected] Tel.: 0331 . 288 38 301 Fax: 0331 . 288 38 309

Diese Broschüre kann im Internet bestellt werden und steht zum Download bereit:.

www.liga-brandenburg.de

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Vorwort Anne Böttcher, LIGA-Vorsitz, Arbeiterwohlfahrt Landesverband Brandenburg e.V.

Einblicke: Im Land Brandenburg Andreas Kaczynski, Der Paritätische Brandenburg e.V.

Folgen von Partnergewalt auf die miterlebenden Kinder Dr. Khalid Murafi

Die Situation des Kindes und der pädagogischen Fachkraft Katharina Larondelle

Übersicht der Frauenhäuser, Frauenschutzwohnungen und Frauenberatungsstellen zur „Häuslichen Gewalt“ im Land Brandenburg

Angebote für von Familiengewalt betroffene Kinder in Brandenburg Beate Schädler und Andrea Kunze

Hinweise / Links / Materialien

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Inhalt

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Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen ist unerträglich und unentschuldbar. Nicht nur die Akteure der Kinder- und Jugendhilfe, sondern auch die gesamte Gesellschaft sind aufgerufen, sich jeglicher Gewaltanwendung gegenüber Minderjährigen entschieden entge-genzustellen.

Dabei muss aber der Fokus erweitert werden auf die jenigen Kinder und Jugendlichen, die nicht unmittelbar Opfer von Gewalttätigkeit werden, sondern sie im elterlichen Haushalt miterleben müssen. Wie wirkt sich Häusliche Gewalt zwischen Erwachsenen auf die miterle-benden Kinder aus? Diese Frage vieler (sozial-) pädagogischer Fachkräfte hat die LIGA der Freien Wohlfahrtspflege – Spitzenverbände im Land Brandenburg aufgegriffen und Fachkräfte der Verbände eingeladen, sich mit ihr inten-siv zu beschäftigen. Mit dem Fachtag am 6. Dezember 2013 ist für das Thema sensibilisiert worden und unter anderem mit dem Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psycho-therapeuten Dr. Murafi denkbare Konsequen-zen für die praktische Arbeit mit betroffenen Kindern und Jugendlichen diskutiert worden.

Auch häusliche Gewalt zwischen Partnern ist eine KindeswohlgefährdungHäufig treffen die seelischen und körperlichen Misshandlungen die Kinder direkt. Aber auch das bloße Miterleben von Gewalt wirkt oft traumatisierend. Zusehen und Zuhören Müs-sen, bedeutet für jedes Kind großes Leid. Und sowohl die direkte als auch die indirekt erlebte Gewalt kann gravierende Auswirkungen auf ihr Wohlergehen, die psychosoziale Entwicklung und die Zukunft eines Kindes haben.

Aus verschiedenen Studien wissen wir heute, dass das Miterleben Häuslicher Gewalt in der Regel eine erhebliche Belastung für Mädchen und Jungen darstellt und gravierende Folgen haben kann. Aus diesen Gründen sind alle in der Sozialen Arbeit Tätigen aufgerufen sich im Kontext von Häuslicher Gewalt mit u.a. folgen-den Fragen vertieft auseinanderzusetzen:

■ Wie wirkt sich Gewalt zwischen Erwachse-nen auf die miterlebenden Kinder aus?

■ Wie verarbeiten betroffene Kinder und Jugendliche das Erlebte?

Vorwort

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■ Welche Handlungsoptionen sind für die Ar-beit der Kinder- und Jugendhilfe abzuleiten?

Wir brauchen professionelle PerspektivenEs ist für die Zukunft in der Kinder- und Ju-gendhilfe mit ihren unterschiedlichen Facet-ten unerlässlich, arbeitsfeldübergreifend das Thema aus Sicht des Gewaltschutzes aufzu-greifen und gemeinsam zu diskutieren. Und: Schließlich sollten wichtige Handlungsinter-ventionen für die betroffenen Menschen in die Öffentlichkeit transportiert werden, um jedem (kleinen und großen) Menschen eine Perspek-tive zum Schutz bieten zu können. Es handelt sich jedoch um einen Prozess, in welchem jede Aufklärungs- und Sensibilisierungsarbeit einen nachhaltigen Schritt darstellt. Die Fachkräfte benötigen die bewusste Bereitschaft und die Rahmenbedingungen, sich so fortzubilden, um Kinder und Jugendliche mit Gewalterfahrung professionell zu unterstützen.

In diesem Sinne möchte die LIGA der Freien Wohlfahrtspflege in Brandenburg nachhaltig Leitungskräfte und mit dem Kinderschutz be-traute Multiplikator_innen für dieses äußerst vielschichtige Thema sensibilisieren, ihnen Handlungsmöglichkeiten sowie Angebote der Unterstützung und Kooperation aufzeigen. Der Fachtag 2013 stellte einen Auftakt für eine in-tensivere Beschäftigung mit dem bislang wenig beleuchteten Thema des Miterlebens Häusli-

cher Gewalt dar. Künftig wollen die Wohlfahrts-verbände in professionalisierte Dialoge mit allen treten, die zur Prävention von Häuslicher Gewalt und zum Schutz der Kinder in diesem Kontext beitragen können. Anne Böttcher Vorsitzende der LIGA der Freien Wohlfahrtspflege – Spitzenverbände im Land Brandenburg und Geschäftsführerin, Arbeiterwohlfahrt Landesverband Brandenburg e.V.

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Einblicke:Im Land BrandenburgAndreas Kaczynski, Der Paritätische Brandenburg e.V.

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Etwa 500 Kinder fliehen jährlich mit ihren Müttern in eines der Frauenhäuser Branden-burgs, weil die Mütter zuhause misshandelt oder bedroht wurden. Die Frauenhausmitar-beiterinnen berichten, dass diese Kinder tief verstört und oft nur sehr schwer ansprechbar sind.

Frauen und Kinder, die in ein Frauenhaus flüch-ten, stellen nur die sichtbare Spitze des Eisber-ges verübter Gewalt gegen Frauen dar. Jede vierte Frau, so wird geschätzt, hat mindestens einmal im Leben Häusliche Gewalt erfahren. Und eines sollten wir nicht ausblenden: auch Männer sind Opfer häuslicher Gewalt. Wie vie-le Kinder in ihrem familiärem Umfeld Häusliche Gewalt miterleben ist bisher nicht mit Zahlen zu belegen.

Eines aber wissen wir: Die betroffenen Kinder unterliegen in ihrer Familiensituation einer schwerwiegenden Mehrfachbelastung. Sie müssen die Gewalt zwischen den Eltern mit-erleben, insbesondere die häufigen Misshand-lungen der Mutter durch den Vater. Teilweise sind sie selbst direkt von der Gewalt betroffen. Oft erleben sie in der Folge die Trennung der Eltern und müssen dann meistens auf den Vater verzichten oder im Spannungsfeld des gemeinsamen Sorgerechts leben.

Die Rechte der Kinder So ist zur Achtung und Würde des Kindes und zum Schutz von Kindern vor Gewalt durch die Vereinten Nationen 1989 das Abkommen über die Rechte des Kindes, die sogenannte Kinder-rechtskonvention, beschlossen worden, die in Deutschland 1992 ratifiziert wurde und in Kraft

Das Problem der mitbetroffenen Kindern bei Häuslicher Gewalt ist in den letzten Jahren stärker in den Fokus des Gewaltschutzes gerückt – und das ist gut so!

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getreten ist. In Deutschland wurde in der Folge das Recht eines jeden Kindes auf gewaltfreie Erziehung im Bürgerlichen Gesetzbuch seit dem 2. November 2000 festgeschrieben. Und seit 2012 haben wir mit dem neuen Bundes-kinderschutzgesetz einen deutlich gestärkten Handlungsrahmen zum Schutz des Kindeswoh-les.

Und auch die Brandenburger Landesverfas-sung hat Hilfe und Schutz für Opfer häuslicher Gewalt verankert:

Artikel 26 Absatz 3 in der Brandenburger Landesverfassung besagt, „Wer in Ehe, Fami-lie oder einer anderen Lebensgemeinschaft psychische oder physische Gewalt erleidet, hat Anspruch auf Hilfe und Schutz des Gemein-wesens.“ Der Landesaktionsplan zum Gewalt-schutzgesetz im Land Brandenburg „Keine Gewalt gegen Frauen und ihre Kinder“ stützt diesen Artikel unserer Landesverfassung.

Häusliche Gewalt bedeutet

Unter „Häuslicher Gewalt“ werden Gewalttaten zwischen Erwachsenen verstanden, die in partnerschaftlichen Beziehungen stehen oder standen oder miteinander verwandt sind. Gewalt in der Partnerschaft der (Stief-)Eltern stellt immer eine Belastung für Kinder dar. Sie erleben Gewalt gegen ein Elternteil oft mit und werden nicht selten mittelbare Opfer Häuslicher Gewalt indem sie diese hören, sehen, miterleben.

Bei Häuslicher Gewalt prägen Gefühle der Angst, des Verlustes von Sicherheit und Vertrauensbrüche das Familienle-ben. Die Eltern können unter solchen Umständen ihre Erziehungsaufgabe zunehmend schwerer erfüllen.

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WUTMANNEin Animationsfilm zu Kindern und „Häuslicher Gewalt“Dieser Film veranschaulicht die Perspektive vom Kind und geht einfühlsam auf das oft unausgesprochene Thema „Häusliche Gewalt“ ein. Der Film ist für Kinder sowie Erwachsene eine Zugangsmöglichkeit zum Thema und regt zum Nachdenken und zur anschließenden Dis-kussion über Auswirkungen häuslicher Gewalt auf Kinder, Möglichkeiten der Prävention sowie Hilfen und Täterarbeit an.

Was passiert: „Am Tag als sein Goldfischglas zu Bruch geht, hat Boj genug: von seinem Vater, der manchmal so wütend wird, dass er die Mutter schlägt, und von der Mutter, die immer eine Entschuldigung dafür hat. Er sucht Hilfe – und findet sie.“

18 Min, Animationsfilm Regie: Anita Killi, Norwegen 2009 www.methode-film.de

© Trollfilm AS

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Folgen von Partnergewalt auf die miterlebenden KinderDr. Khalid Murafi, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapeut

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Es ist ein schwieriges Unterfangen, die spezifi-schen psychosozialen und emotionalen Belas-tungen, denen Kinder, die Häuslicher Gewalt ausgesetzt sind, darzustellen und in ihrer Bedeutung für die weitere Entwicklung des Kindes zu skizzieren.

Dennoch haben wir heute aus einigen Studien Erkenntnisse, die zusammengefasst darge-stellt werden sollen. Sie machen deutlich, wie bedeutsam es ist, sich mit dem Thema Häus-liche Gewalt und deren Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung auseinanderzusetzen.

Familienhaushalte mit physischer Gewalt (Prävalenz)Laut einer Untersuchung der katholischen Hochschule Eichstätt von 2002, durchgeführt mittels 1.263 verwertbarer Telefoninterviews bei 2.008 Anrufen zeigen circa ein Drittel der befragten Familienhaushalte physische Ge-walt auf. In vier Prozent der Familienhaushalte findet Gewalt sowohl auf Partnerebene, als auch gegen die Kinder statt; Gewaltanwendung durch Eltern ausschließlich gegen die Kinder findet sich in 28% der Familienhaushalte, so dass davon ausgegangen werden muss, dass die Schwelle, gemeinsam oder als einzelner Elternteil gegen Kinder gewaltsam tätig zu werden, wesentlich niedriger ist als auf der Partnerebene Gewalt anzuwenden. Zu berück-

sichtigen ist hier, dass die alleinerziehenden El-ternteile nicht gesondert erfasst worden sind.

Gleichzeitig zeigten 2% der befragten Haus-halte ausschließlich Partnergewalt, sodass bezogen auf die Prävalenz die Gruppe der Kinder, die allein durch miterlebte Partnerge-walt belastet werden, zunächst einmal gering erscheint.

Angewandte Formen der Gewalt Fast drei Viertel der interviewten Menschen haben schon einmal körperliche Gewalt mit der flachen Hand erlebt. Jede_r Dritte bekam schon einmal Tritte. Gewalt mit Gegenständen und Faustschläge haben 15% bzw. knapp 10% der Befragten erlitten.

Mitbetroffenheit von KindernKinder können in den verschiedensten Phasen ihres jungen Lebens von Gewalt mit betrof-fen sein. Mitbetroffenheit beginnt mitunter schon bei der Zeugung durch eine Vergewal-tigung oder bei Gewaltausübungen während der Schwangerschaft. Von Mitbetroffenheit sprechen wir sowohl bei Misshandlungen von Mutter und Kind als auch ebenso beim Mit-erleben von Gewalt gegen die Mutter. Dabei muss jedoch zunehmend beobachtet werden, dies zeigt sich auch in Dr. Murafis klinischer Praxis, dass es unter jungen Paaren vermehrt wechselseitige Gewaltanwendung im Rah-

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men von Konfliktgestaltung gibt. Hier zeigen sich immer mehr junge Erwachsene auch mit gutem Bildungshintergrund, welche nicht mehr ausreichend in der Lage sind, Konflikte, die mit starken Affekten einhergehen, adäquat emotional durchdrungen verbal zu regulie-ren. Vielmehr kommt es bei Ungeübtheit im Umgang mit aggressiven Impulsen zu einem Sprung in Richtung Gewalt, letztendlich zur Reduktion der nicht aushaltbaren Affekte, dies dann aber auch wechselseitig und nicht mehr so eindeutig geschlechtsbezogen allein durch den männlichen Partner ausgeübt.

Die Mutter kann sich gegen das eigene Kind wenden und Gewalt ausüben. Das Risiko für Kinder in Familien, in denen die Mutter miss-handelt wird, selbst Gewalt zu erfahren ist deutlich erhöht, sei es durch den die Mutter misshandelnden Vater oder durch die überfor-derte Mutter.

Aber auch die Vernachlässigung der Kinder durch die elterliche Konfliktlage bedeutet Mitbetroffenheit. Es kann eine deutliche Vernachlässigung in allen notwendigen Unter-stützungsbereichen auf Seiten der Kinder, die durch die elterliche Konfliktlage und deren Be-anspruchung in der eigenen Thematik begrün-det ist, entstehen.

mit Gegenstand

Faustschläge9.6 %

32.9 %

15.1 %

72.6%

Tritte

mit flacher Hand

Katholische Hochschule Eichstätt 2002 Jens Luedtke, Siegfried Lamnek 1.263 verwertbare Telefoninterviews (2.008 Anrufe)

Angewandte Formen und Häufigkeit der Gewalt

Familienhaushalte mit physischer Gewalt (Prävalenz)

4%Partner- gewalt

Partner- und Eltern-Kind-Gewalt

Eltern-Kind- Gewalt

Keine Gewalt

2%

28%

66%

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Kinder fühlen existenzielle BedrohungIn 80-90% der Fälle sind die Kinder während einer ausgeübten Gewalt anwesend oder zumindest im Nebenraum und somit nicht fern des Erlebens der Partnergewalt. Außerdem: Kinder „fühlen“ durch Wände hindurch und sie spüren sehr schnell, in welcher Konfliktsituati-on sich Eltern befinden. Dabei sind sie häufig auf sich allein gestellt, da beide Eltern von ih-ren Konflikten und Problemen absorbiert sind. In dieser Zeit besteht bei älteren Geschwistern die Sorge um die Jüngeren.

Kinder erleben und empfinden das Verhalten der Eltern für alle betroffenen Familienmitglie-der als eine existenzielle Bedrohung. Diese Be-drohung kann gerade für Kinder, die in vielerlei Hinsicht noch abhängig von der elterlichen – eigentlich schützenden und fördernden – Präsenz sind, existentielle Ängste auslösen.

Es besteht beispielsweise die Angst, dass Vater und Mutter sterben können oder sie sich trennen. Daneben besteht die Angst, dass ein Elternteil umgebracht wird oder dass zum Beispiel der Vater die Familienmitglieder und sich selbst tötet.

Sie fühlen sich allein und ausgegrenzt. Und sie haben einen innerlichen Druck das Familienge-heimnis vor anderen zu wahren.

Zudem ist die Situation des Kindes von Leid und extremen Loyalitätskonflikten geprägt. Die Zuversicht auf eine externe Hilfe ist von Angst gezeichnet, weswegen Kinder oft versu-chen selbst durch unterschiedliche Strategien die Gewalt zu verhindern. Sie fühlen sich hier natürlich auch übermäßig verantwortlich und möchten die Mutter und den Vater beschüt-zen.

Partnergewalt ist eine Gefahr für das KindBei einer miterlebten Partnergewalt sollte auf eine genaue Differenzierung der Risikostruk-turen innerhalb der Familie geachtet werden. Das Kind kann sich aufgrund der miterlebten Partnergewalt auch in Gefahr befinden. In der Zeit, in der sich die Eltern beispielsweise strei-ten und schlagen ist das Kind auf sich allein gestellt, das heißt unbeaufsichtigt. Wenn sich irgendwann die Situation zuspitzt, kann das Kind von der eigentlichen Gewalttat mit betrof-fen sein.

Letztendlich kann es zu einer reduzierten oder ausbleibenden elterlichen Funktion mit einer Fehlentwicklung beim Kind in Abhängigkeit des Ausmaßes der betroffenen Entwicklungszeit kommen.

Was passiert mit dem Kind?Eine Risikokonstellation ist die miterlebte Partnergewalt in den ersten Lebensjahren. Ein

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Neugeborenes kommt sehr reizoffen, wenig selbstregulationsfähig und ungeschützt zur Welt. Es ist in einem hohen Maße auf die Für-sorge von sicheren Erwachsenen angewiesen. Eltern in mit Gewalt einhergehenden Partner-konflikten können diese notwendigen Reak-tionsweisen oftmals nicht ausreichend sicher stellen. Eine ausbleibende elterliche Fürsorge, vor allem in den ersten Lebensjahren eines Kindes, kann zu schweren Bindungsstörungen und später zu sogenannten frühen strukturel-len Störungen im Sinne einer Borderline-Per-sönlichkeitsstörung führen.

Das Kind – unabhängig vom Alter – versucht das Erlebte zu verarbeiten. Während der be-deutsamen Entwicklungszeit eines Kindes kann vermehrt erlebter Stress zu

■ Schlafstörungen ■ Schreckhaftigkeit (Gefühl von Ohnmacht

und Hilflosigkeit) ■ Verlust von Vertrauen in andere Personen

und in die Welt ■ Fight-or-Flight Reaktion (Kampf- oder Flucht-

verhalten in sozialen Kontexten) ■ Dissoziation (Bewusstseinsstörungen, spezi-

fische Abwehrfunktionen) ■ Flashback (eine Form intensiver Erinnerung,

kann für Menschen mit traumatisierten Erfahrungen als Bedrohung wahrgenommen werden)

■ einem erhöhten Risiko für eine manifeste psychiatrische Erkrankung führen (z.B. zu Depressionen, Posttraumatische Belastungs-störung)

Innerpsychische Verarbeitung der miterlebten GewaltDas Kind durchlebt eine innerpsychische Verarbeitung von Verantwortungs- und Schuld-gefühlen sowie Loyalitäts- und Identifikations-konflikten. Das Kind versucht, mit dem Verlust der elterlichen Fürsorge und der Gewalterfah-rung umzugehen. Kinder nehmen meist viel mehr wahr, als sich ein Erwachsener vorstellen kann. Und sie machen sich unglaublich viele Gedanken um ihre Eltern und sich selbst; diese können zum Beispiel so aussehen:

Verarbeitung der miterlebten Gewalt wird sichtbarLaut Dr. Murafi zeigen sich Entwicklungsbe-einträchtigungen der Partnergewalt miterle-benden Kinder im Alltag, zum Beispiel unter gleichaltrigen Kindern in der Schule. Es haben sich allgemein zwei Formen von Verhaltensauf-fälligkeiten abgezeichnet, die heute als mar-kant gelten und die Kinder oft ihr Leben lang begleiten. Hierbei handelt es sich einerseits um Unruhe und Aggressivität, die sich nach außen bemerkbar machen (Externalisierung). Und andererseits sind Internalisierungstenden-zen eine Folge, bei der sich Niedergeschlagen-

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heit und Ängstlichkeit eher nach innen richtet. Entgegen bisheriger Erkenntnisse können diese zwei Verhaltensformen kaum noch in „typi-sche“ Mädchen- oder Jungenverhalten einge-ordnet werden, sondern die Reaktionsweisen sind zunehmend geschlechterunabhängig.

Sehr häufig erhalten Kinder mit diesen oben genannten Verhaltensauffälligkeiten die Diag-nose Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS). Nach Dr. Murafis Ansicht ist Vorsicht geboten, vorschnell bei Kindern mit eventuellen Erfahrungen mit Häuslicher Ge-walt die Erkrankung ADHS zu diagnostizieren. Eine hauptsächliche Festlegung auf eine solche Diagnose und damit auch die Aufmerksamkeit auf die Behandlung eines angeblich vorhan-denen ADHS kann hier pathologische familiäre Prozesse um mehrere Jahre fälschlich stabilisie-ren. In der Folge wird damit dem Kind und den betroffenen Familien keine spezifische Hilfe zur Verfügung gestellt. Es wäre somit wünschens-wert, dass in diesem Zusammenhang eine me-dizinische Diagnose von einer pädagogischen Fachkraft im beruflichen Alltag nicht unkritisch übernommen, sondern in manchen Fällen eher hinterfragt und diskutiert wird. Im Übrigen: Das Verhalten bei Kindern die in einer gewaltbelasteten Partnerschaft der Eltern aufwachsen, ist in etwa vergleichbar mit dem Verhalten von Kindern, welche mit

einem oder zwei alkoholkranken Elternteilen aufwachsen.

Exkurs: genetisches BelastungsrisikoEin bedeutsamer Faktor ist mit Sicherheit auch das genetische Belastungsrisiko. Häufig erle-ben wir Elternkonstellationen, in denen sowohl auf Seiten der Mutter als auch auf Seiten des Vaters manifeste psychiatrische Erkrankungen vorliegen, die teilweise auch mit einem ge-netischen Risiko für die Kinder einhergehen können. Dies im Besonderen im Rahmen der affektiven Erkrankungen, zum Beispiel Depres-sionen und den sogenannten Bipolaren Stö-rungen (manisch-depressive Erkrankung).

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Verantwortung und Schuld ■ Meine Eltern streiten sich wegen mir! ■ Ich muss meine Mutter schützen! ■ Ich muss meinen Vater beruhigen! ■ Wäre ich ein genügend gutes Kind

würden meine Eltern das doch für mich alles lassen!

■ Ich darf meine Eltern nicht noch mehr belasten!

■ Ich muss meinen Eltern Anlass zur Freude sein!

■ Ich muss meine Eltern zusammenbrin-gen!

■ Wegen mir kann sich meine Mutter nicht trennen!

Loyalität ■ Ich darf keinem etwas sagen! ■ Ich darf mir keine Hilfe holen! ■ Ich darf keine Hilfe annehmen!

Identifikation ■ Ich habe Angst, so wie mein_e Vater /

Mutter zu werden! ■ Ich muss wie mein_e Vater (Nähe/

Identität) / Mutter (nicht glücklicher!) werden!

■ Meine Mutter hat Angst, dass ich wie mein Vater werde!

Im Rahmen der Depressionen kann es zu einer vermehrten Einnahme einer sogenannten Opferhaltung kommen, so dass erlebte Gewalt oftmals nicht adäquat mit Begrenzung des Partners begegnet werden kann.

Die genetischen Voraussetzungen für die Ent-wicklung einer Depression sind in der Bevölke-rung relativ häufig vorkommend, bis zu 25 %. Ob es dann zu einer Depression oder sogar zu Suizidalität kommt, hängt dann von der Intensi-tät und der Häufigkeit von Belastungsfaktoren ab. Dieses erhöhte Erkrankungsrisiko gilt also im Besonderen für genetisch belastete Kinder, da die lebensbelastenden Ereignisse bei der miterlebten Partnergewalt in die vulnerablen Phasen der Kindheit und im Rahmen der neu-ronalen Neuvernetzungen mit Eintritt in der Pubertät gravierende Folgen haben und dann zur Manifestation schwerer psychiatrischer Erkrankung führen können.

Im Besonderen vor dem Hintergrund der im Rahmen der Belastung ständig ausgeschütte-ten Stresshormone (Cortisol, Noradrenalin) kann es dann zu entsprechenden Erkrankun-gen kommen.

Aber auch die Bipolare Störung, zum Beispiel auf väterlicher Seite, zeigt häufig eine ver-mehrte Aggressivität und Enthemmung sowie eine verminderte Impulsregulationsfähigkeit,

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so dass hier die Gewalttätigkeit auf Seiten des Vaters durchaus mit einer manifesten psych-iatrischen Erkrankung einhergehen kann und auch hier ein deutliches Risiko eine solche Erkrankung zu entwickeln auf der Seite des Kindes besteht.

Studien zeigen, dass es bei zwei psychiatrisch erkrankten Eltern aus dem affektiven Bereich, in Verbindung mit der Sozialisierung und den Lebensereignissen, die durch das Verhalten der psychisch erkrankten Eltern stattfindet, dann zu einer Wahrscheinlichkeit bis zu 60 % kommen kann, dass auch die Kinder in diesem Kontext eine psychiatrische Erkrankung aus dem affektiven Bereich entwickeln werden.

Ein schwieriges Unterfangen Wer in seiner Kindheit oft Gewalt erlebt, neigt später selbst zur Anwendung von Gewalt in Konfliktsituationen. Aufgrund von Sozialisati-onsprozessen kann sich das Verhalten der El-tern auf das Kind und deren Handlungsstrate-gien übertragen. Infolgedessen kann sich eine Spirale ergeben, wodurch erneute Häusliche Gewalt in einer zukünftigen Familie entstehen kann.

Wenn ein Kind auffälliges Verhalten zeigt und sich der Verdacht von Häuslicher Gewalt breit macht, sollte man im Zweifelsfall das Jugend-amt oder das Familiengericht informieren.

Diese Maßnahmen dienen zum Schutz der betroffenen Kinder und sind notwendig, wenn es um das Wohl des Kindes geht. Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe im Land Branden-burg verfügen über die Kontakte der regional zuständigen insoweit erfahrenen Fachkräfte und können über diese die entsprechende fachliche Unterstützung bei Verdachtsfällen beanspruchen. Alle Einrichtungen verfügen über entsprechende Schutzpläne, die den Anforderungen des Bundeskinderschutzge-setzes genügen müssen. Es ist nie einfach, zweifelsfrei ein Urteil allein zu fällen, daher ist es umso wichtiger gemeinsam und sensibel mit entsprechend ausgebildeten Fachkräften Verdachtsmomenten nachzugehen.

Alex ist sechs Jahre alt und er scheint sehr un-glücklich und bedrückt zu sein. Er zieht sich in der Schule gegenüber seinen Mitschüler_Innen immer mehr zurück und ist im Unterricht sehr ängstlich und schreckhaft. Sein Verhalten ist in der Nachmit-tagsbetreuung ähnlich. Die Erzieherin sucht das Gespräch zu Alex in einem ruhigen Raum und fragt Alex, was denn los sei. Alex erzählt das Papa weint, weil Mama laut umher schreit und ihm ins Gesicht schlägt.

Er sagt zu der Erzieherin: „Ich möchte Papa so gern helfen.“

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Die Situation des Kindes und der pädagogischen FachkraftKatharina Larondelle, Dipl.-Pädagogin und Fall- und Teamsupervisorin

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Aufgrund der Gewalterfahrungen können extreme Loyalitätskonflikte und ein hoher Grad an Ambivalenzen bei Kindern entstehen. Es herrscht eine enorme emotionale Ausweglo-sigkeit, die geprägt ist von Gefühlen, wie bei-spielsweise Verachtung, Mitgefühl, Hoffnung, Entscheidung, Hass, Unterwerfung, Scham und Unverständnis.

Kinder suchen nach BindungenKinder lieben ihre Eltern! Auf der einen Sei-te steht zum meist die misshandelte Mutter und auf der anderen Seite der misshandelnde Vater. Das Kind bekennt sich zu beiden Eltern-teilen. Dennoch fühlt es sich durch die Gewalt-handlungen zwischen zwei Stühlen sitzend und seine Urteilsfähigkeit ist in zwei Richtungen gespalten. Die Ambivalenz wird in der folgen-den Darstellung beispielhaft verdeutlicht:

Dies kann für die Kinder bedeuten: ■ Mangel an Sicherheit ■ Gestörte primäre Bindungserfahrungen ■ Angst ■ Probleme in der Vertrauensentwicklung ■ Störung in der Entwicklung von Selbstwirk-

samkeit und Steuerungsmöglichkeit

Langfristig kann das bedeuten: ■ Entwicklung stereotypischer Geschlechter-

rollen ■ Aggressive / Depressive Verhaltensstile ■ Schwierigkeiten beim Aufbau positiver

Freundschaftsbeziehungen ■ Psychosomatische und funktionelle Störun-

gen

Meine misshandelte Mutter

„Ich liebe meine Mutter.“ „Ich bemitleide Mutter.“ „Ich möchte sie beschützen.“

Das Kind hat den Wunsch nach dem Leben Zuhause bei seinen Eltern. Das Kind hat Hoffnung auf Hilfe von außen. (z.B. von Freunden, Nachbarn, pädagogischen Fachkräften).

Mein misshandelnder Vater

„Ich liebe meinen Vater.“ „Ich verstehe Vater.“ „Ich brauche Schutz.“

Das Kind hat den Wunsch nach dem Leben draußen, außerhalb des Elternhauses (z.B. Frauenschutzwohnung). Das Kind hat Angst vor Hilfe von außen. (z.B. von Freunden, Nachbarn, pädagogischen Fachkräften).

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Geschlechterspezifische UnterschiedeDie möglichen Verhaltensauffälligkeiten kön-nen sich bei Jungen und Mädchen unterschied-lich stark äußern. Jungen sind häufiger von Unruhe, Aggressivität nach außen (Externali-sierung) und der Ausübung von Gewalt betrof-fen. Hingegen widerfährt Mädchen eher eine ausgeprägte Niedergeschlagenheit, Ängstlich-keit (Internalisierung) und das Erleben/Erdul-den von Gewalt.

Mit einem Blick auf uns Erwachsene Oft kommt es vor, dass Kindern nicht genü-gend Glauben geschenkt wird – von Nachbarn, Erzieher_innen, Lehrer_innen etc. Daher können erste Anzeichen einer Häuslichen Ge-walt schlichtweg unbeachtet bleiben. Ursache ist oft, dass Erwachsene und das Thema, die Möglichkeit von Gewalterfahrung verdrängen, „dass nicht sein kann, was nicht sein darf.“ Mitarbeiter_innen im sozialen Bereich müssen ein Bewusstsein dafür entwickeln, was ihre persönlichen und professionellen Gründe für eine zu große oder geringe Distanz zum Thema sind.

Mögliche Gründe für zu große Distanz/ Un-glauben sind

■ Unzureichende Kenntnisse und Erfahrung über Häusliche Gewalt

■ Unzureichende Kenntnisse über Prävalenz ■ Idealisiertes Weltbild bzw. Familienbild

■ Abwehr eigener traumatischer Erfahrungen ■ Überforderung im beruflichen Kontext

Mögliche Gründe für zu geringe Distanz / Überidentifikation sind

■ Loyalitätskonflikte zu den Eltern des betrof-fenen Kindes

■ Furcht vor Identifizierung mit dem Täter / der Täterin

■ Unbewältigte eigene traumatische Erfahrun-gen

■ Überforderung im beruflichen Kontext

Die pädagogische FachkraftFür eine professionelle Haltung ist es unerläss-lich sowohl der Erziehungsverantwortung, als auch der Aufsichtsverantwortung gerecht zu werden. Aufgrund der Aufsichtsverantwortung können Verdachtsfälle von Häuslicher Gewalt wahrgenommen werden. Vor allem Äußerun-gen, erkennbare Verletzungen, (veränderte) Verhaltensauffälligkeiten bei einem Kind können auf Gewalttaten innerhalb der Familie hinweisen. Dieser Verdacht kann manchmal auch „nur“ ein Gefühl sein. Dennoch sollte gerade dieses Gefühl zum Schutz des Kin-des ernst- und wahrgenommen werden. Der Moment des Verdachtes kann emotional sehr

„Zeugenschaft ist eine schädigende Gewalterfahrung – Diese Erkenntnis verankert sich erst langsam im Hilfesystem und im betroffenen Familiensystem.“

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aufregend sein und die Auseinandersetzung kann gegebenenfalls eine große Überwindung kosten. Doch in einer Einrichtung ist man nicht auf sich allein gestellt. Eigene Anhaltspunkte und Empfindungen können mit Kolleg_innen im Team besprochen werden. Wenn sich ein Verdacht bestätigt, ist eine sensible Ansprache notwendig. Schließlich können Fachkräfte ei-nen Zugang zur Hilfe ermöglichen, um bei den Familien eine Änderung des Verhaltens anzu-regen. Es liegt mit in der Erziehungsverantwor-tung der Fachkräfte im Sinne der Rechte der Kinder zu agieren und häusliche Gewalttaten zu verhindern .

Vertrauen zu Kindern und Eltern aufbauen Kinder mit möglichen Bindungsstörungen vertrauen nicht einfach so – man muss sich ihr Vertrauen verdienen. Zur Entwicklung eines gesunden Selbstwertgefühls brauchen Kinder: Ermutigung, das Erleben von Wirklichkeit, das Verstehen von eigenen Gefühlen und Hand-lungen sowie verstehbare und überschaubare Aufgaben und Strukturen.

Empathie und Feingefühl für die betroffenen Kinder und deren Familien sind ganz ent-scheidend. Zudem sollte der Ressourcenblick aktiviert werden, auf diese Weise können im Verlauf der Zusammenarbeit mit den Famili-en alle vorhandenen Ressourcen mobilisiert

und aufgriffen werden. Die Ansprache auf das Thema Häusliche Gewalt kann für die betroffe-nen Personen eine Offenbarung ihrer Realität bedeuten. Dies bedarf eines würdevollen und respektvollen Umgangs mit dieser Person und den anvertrauten Informationen.

Kinder öffnen sich häufig mit dem Vorwand „ich muss dir ein Geheimnis anvertrauen“ und berichten über ihren Kummer. Ein Geheimnis sollte geheim bleiben, doch wenn es hierbei um Häusliche Gewalt geht, rückt der Punkt der Geheimhaltung in den Hintergrund.

Es wurde von Mitarbeiter_innen berichtet, dass ihm Vorfeld mit dem Kind eine gewisse Klarheit über die Rechte und mögliche Pflich-ten zu einem anvertrauten Geheimnis ge-schaffen wird. Nachfolgend zwei Aussagen von pädagogischen Fachkräften zu dieser Situation: „Du kannst mir vertrauen. Doch wenn du in Gefahr bist, muss ich mit dir reden, an wen ich mich wenden muss.“„Ich kann dir nicht ver-sprechen, dein Geheimnis zu bewahren.“

Häusliche Gewalt „verursacht, dass Kinder keine realistischen Bilder des Selbst und des Anderen entwickeln können, denn die Wirklichkeit – das Handeln in ihrem System – stimmt mit der eigenen Wahrnehmung nicht überein. Eher zweifelt es an seiner eigenen Wahrnehmung als an die seiner Bezugspersonen.“

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Für Transparenz sorgen Zur Entwicklung eines gesunden Selbstwertge-fühls brauchen Kinder:

■ Aufzeigen vieler möglicher menschlicher Gefühle

■ Wertschätzende Behandlung aller Gefühle – Verstehen vs. Akzeptanz: „Ich verstehe es, doch ich kann es nicht akzeptieren!“

■ Authentizität in der eigenen Haltung der pädagogischen Fachkraft

Aufgaben von Pädagog_innenPädagog_innen müssen sich auf unterschiedli-che Kompetenzen vorbereiten, um mit Wissen, Fähigkeiten und einer klaren inneren Haltung in das Gespräch zu gehen. Die Auseinanderset-zung und der Umgang mit dem Thema Häusli-che Gewalt braucht Zeit und Übung und sollte immer als ein Prozess im Verlauf der professio-nellen Arbeit gesehen werden.

Ben ist neun Jahre alt. Er besucht an Nachmittag eine offene Kinder- und Jugendeinrichtung. Dem Erzie-her fällt auf, dass Ben über einen längeren Zeitraum auffällige Hämatome am Körper hat. Er spielt mit Ben allein Fußball und sucht das Gespräch und sagt zu Ben, er sei besorgt um ihn. Du könntest mir Vertrauen und ich bin jederzeit für dich da …Wissen

Haltung Fähig- keiten

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ÜBERSICHT ZU SCHUTZEINRICHTUNGEN FÜR OPFER HÄUSLICHER GEWALT IM LAND BRANDENBURG

Eine Adress- und Kontaktliste der Frau-enschutzeinrichtungen im Land Branden-burg finden Sie unter: www.frauenhaeuser-brandenburg.de/frauenhaus-schutz-sicherheit.html

Eine Hilfe für Männer bei Häuslicher Gewalt finden Sie unter: www.gewaltschutzhaus.de

Kindersorgentelefon „Nummer gegen Kummer“: 0800-1110333 oder www.nummergegenkummer.de

OSLEE

SPN

LOS

MOL

UM

OHV

BAR

LDS

TFPM

HVL

OPR

PR

Berlin

Bestensee

Brandenburga.d.H.

Cottbus

Eberswalde

Eisenhüttenstadt

Finsterwalde

Forst(Lausitz)

Frankfurt(Oder)

Fürstenwalde

Guben

Lauchhammer

Luckenwalde

Ludwigsfelde

Neuruppin

Oranienburg

Potsdam

Prenzlau

Rathenow

Schwedt/Oder

Spremberg

Strausberg

Wittenberge

Frauenberatungsstelle (2)

Frauenhaus/Frauenberatungsstelle mit integrierter Frauenschutzwohnung (19)

Frauenschutzwohnung (2)

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Angebote für von Familiengewalt betroffene Kinder in BrandenburgBeate Schädler, SozialpädagoginAndrea Kunze, Sozialpädagogin und Kinderschutzfachkraft

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Tandemfortbildung Häusliche Gewalt Frau Schädler und Frau Kunze haben wäh-rend des Fachtages die Tandemfortbildung vorgestellt. Die Tandemfortbildung ist kon-zeptioniert von der Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen e.V. (BIG) und koordiniert mit dem Ministerium für Arbeit, Soziales, Frauen und Familie (MASF), dem Ministerium für Bildung, Jugend und Sport (MBJS), dem Landesjugendamt des Landes Brandenburg (LJA) sowie dem Sozialpädagogischen Fortbil-dungsinstitut Berlin/Brandenburg (SFBB).

Die Tandemfortbildung fördert den Kinder- sowie Frauenschutz und möchte Fachkräfte aus beiden Arbeitsfeldern näher bringen, um wirkungsvolle Unterstützungsalternativen für Kinder und Frauen anbieten zu können. Die Fachkräfte können somit von- und miteinander lernen und reflektieren gemeinsam ihre alltäg-liche Arbeit.

Sie suchen gemeinsam gezielt nach denkbaren Antworten, die genau auf die von Ihnen bear-beiteten Anliegen zugeschnitten sind. Zudem werden während der Fortbildung ausführliche Kenntnisse über die Thematik und denkbare Wege und Methoden in Zusammenarbeit mit Fachkräften aus den verschiedenen Arbeitsfel-dern entwickelt. Dazu gehört unter anderem Wissen über die rechtlichen Grundlagen sowie

die Aufgaben und Zuständigkeiten der jewei-ligen Institutionen. Basierend darauf sollen geeignete Kooperationsformen und Ablaufplä-ne entwickelt werden. Diese lassen sich nicht einfach verordnen, sondern sollten auch „vor Ort“ anhand der Gegebenheiten wachsen. Eine Grundvorrausetzung ist Engagement und ge-genseitiges Vertrauen für eine kreative Zusam-menarbeit. Die Tandemfortbildung biete ein Baukasten-system mit Fortbildungsmodulen zum Thema Frauen- und Kinderschutz für Fachkräfte aus der Kinder- und Jugendhilfe und den Frauen-schutzeinrichtungen im Land Brandenburg an. Die Fachkräfte kommen aus den Bereichen:

■ Ambulante und (teil-)stationäre Angebote und Einrichtungen der Hilfen zu Erziehung und der Eingliederungshilfen,

■ Jugendämter, ■ Kindertagesbetreuung, ■ Arbeitsgemeinschaften zum Kinderschutz, ■ Frauenberatung und Frauenhäuser, ■ Familiengerichte, ■ Polizei und Ordnungsämter, ■ Schule.

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Zu folgenden Fragestellungen erhalten Sie individuelle Unterstützung und Fortbildung:

■ Wie wirkt sich bei Kindern die Gewalt an ihrer Mutter aus?

■ Wie spreche ich mit Kindern über häusliche Gewalt?

■ Sind Kinder im Frauenhaus gut aufgehoben? ■ Lassen sich Parteilichkeit der Frauenunter-

stützungseinrichtungen und allparteilicher Ansatz vereinbaren?

■ Wann sollte der Umgang zeitweilig oder in Gänze ausgeschlossen werden?

■ Warum trennt sich die Frau nicht, warum kehrt sie wieder zurück?

■ Wieso reden wir immer noch in bagatelli-sierenden Begriffen wie „Familiendrama“, wenn es einen Gewalttäter gibt?

■ Wie spreche ich das Thema beim gewalttäti-gen Elternteil an?

■ Was bringen uns die neuen Gesetzesrefor-men?

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bietet: Schutz, Wohnraum, Beratung und Begleitung, Krisenintervention

bietet: Beratung vor oder nach Wohnen im Frauenhaus oder ambulant „am Frau-enhaus vorbei“

Beratung, Kriseninterven-tion und Unterstützung nach einem Fax durch die Polizei mit Zustimmung der betroffenen Frau Angebot der Hilfe bei Anträgen nach dem Gewaltschutzgesetz (01.01.2012) §1 Näherungsverbot §2 Wohnverweißung An-trag nach § 1666 BGB

Drei Säulen des Frauenschutzes in Brandenburg

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HINWEISE / LINKS / MATERIALIEN ■ Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen (2013): Häusliche Gewalt- Tandemfortbildung. Berlin: BIG e.V.

Verfügbar unter: www.big-koordinierung.de

■ Blüml, Herbert / Kindler, Heinz / Lillig, Susanne / Meysen, Thomas / Werner, Annegret (Hg.) (2006): Handbuch Kindeswohlgefährdung nach § 1666 BGB und allgemeiner sozialer Dienst (ASD).München: Deutsches Jugendin-stitut e.V. Verfügbar unter: http://www.berlin.de/imperia/md/content/sen-gesundheit/kindergesundheit/ asd_handbuch_gesamt.pdf?start&ts=1281017844&file=asd_handbuch_gesamt.pdf

■ Häusliche Gewalt. Empfehlungen für Jugendämter in Fällen von häuslicher Gewalt. Handlungsempfehlungen. Land Brandenburg: BIG e.V. – Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen Verfügbar unter: http://www.frauenhaeuser-brandenburg.de/pdf/empfehlungen.pdf

■ Kamp, Barbara (2009): Wutmann / Sinna Mann. Animationsfilm. Auswirkungen häuslicher Gewalt auf Kinder zu Kindern. Bad Vilbel: Methode-Film Verfügbar unter: http://www.methode-film.de/index.php?id=23&tx_hhfilmuebersicht_pi1[uid]=64

■ Kavemann, Barbara / Seth, Corinna (Hrsg.) (2007): Handbuch Kinder und Häusliche Gewalt. 2. Auflage: VS Ver-lage für Sozialwissenschaften

■ Lamnek, Siegfried / Luedtke, Jens / Ottermann, Ralf (2006): Tatort Familie - Häusliche Gewalt im gesellschaftli-chen Kontext. 2., erweiterte Auflage. Wiesbaden: VS Verlage für Sozialwissenschaften

■ Leeds Animation Workshop (1999): Kennst Du das auch? Ware Geschichte von zu Hause. England. Verfügbar unter: http://www.big-berlin.info/medien/kennst-du-das-auch

■ Ministerium für Arbeit, Soziales, Frauen und Familie (2013): Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und ihre Kinder. Potsdam: MASF. Verfügbar unter: www.masf.brandenburg.de/cms/detail.php/bb1.c.186211.de

■ Murafi, Khalid (2013): Vorträge und Publikationen. Chefarzt der Klinik Walstedde, Drensteinfurt Verfügbar unter: www.dr-murafi.de/jugendpsychotherapie-vortraege.html, http://www.dr-murafi.de/auswirkungen-von-partergewalt-auf-kinder.pdf

■ Netzwerke der Brandenburgischen Frauenhäuser: Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Rathenow: NbF Verfügbar unter: http://www.frauenhaeuser-brandenburg.de/

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