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Weltgericht [Torcello]

Date post: 23-Jan-2016
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Beschreibung des Weltgerichtsin der Kathedrale von Torcello
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An der Westwand des Doms von Torcello, der laut der erhaltenen Inscriptio Torcellana,632 zur Zeit des Kaisers Heraklios und des in Ravenna residierenden byzantinischenExarchen Isaac begrundet und 1008 seine gegenwartige Gestalt als dreischiffige Basi­lika erhalten hat, befinden sich drei Darstellungen in Mosaik: zu oberst zwei Festbil­der, die Kreuzigung und – in riesigen Dimensionen – die Auferstehung im Bilde derHollenfahrt (Anastasis). Darunter folgt das in vier Zonen angeordnete Gerichtsbild. DieGesamtflache, welche diese drei Darstellungen einnehmen, hat eine Hohe von gegen25 m, wovon 10 m auf die beiden Festbilder, Kreuzigung und Anastasis, und 15 m aufdas Gerichtsbild entfallen. Das Gedrange der Vorgange des Gerichts, uber dem die Ma­jestat des Richters und der Seinen thront, die Macht der eschatologischen Vision, dazutechnisch die Unbeirrbarkeit, mit der die Tausende von Farben­ und Goldglaswurfelzum bewegten Riesenbilde gefugt sind, das weithin entwickelte Detail, wie es zugleichim Ganzen lebt, ist ein beeindruckendes Beispiel byzantinischer Mosaikkunst.

In der obersten der vier Zonen des Weltgerichtsbildes von Torcello erblickt man inder Mitte den in blaugoldener Gewandung auf dem Regenbogen thronenden, vom Oval­nimbus umgebenen Weltenrichter, der durch das Ausstrecken seiner die roten Nagel­male aufweisenden Hande das Gericht eroffnet. Seraphim stehen zu seinen Fußen,von denen ein Feuerstrom ausgeht, der nach unten fließt, wo er sich in den beidentiefsten Registern zum hollischen Feuer erweitert. Mit flehender Gebarde stehen rechtsund links von dem Richter die beiden Fursprecher der Menschheit, die Gottesmutterund Johannes der Taufer. Etwas zurucktretend stehen hinter ihnen in der juwelenge­schmuckten Paradekleidung der byzantinischen Kaiser und in roten Schuhen die beidenErzengel Michael und Gabriel, als die Anfuhrer der himmlischen Heerscharen, derenunermeßliche Zahl den Hintergrund fullt. Rechts und links von dieser mittleren Gruppedes Weltenrichters sitzen zu beiden Seiten die Apostel als die Beisitzer des JungstenGerichts, gruppenweise einander zugekehrt und damit ungeachtet der Starrheit ihresonstige Haltung formal noch einen Rest von der Art der antiken Darstellung vonPhilosophengruppen aufweisend.

Die zweite Zone von oben zeigt dann die im Laufschritt antiker Viktorien dahineilen­den hornblasenden Engel, weiter den Engel, der den gestirnten Himmel zusammenrollt,und weiter, in phantastischen Gebilden, die Erde und das Meer, die ihre Toten heraus­geben mussen. In der Mitte dieses zweiten Registers erblickt man noch das aus demKreuz mit der Dornenkrone, der Lanze und dem Rohr mit dem Schwamm und demauf dem Kissen eines Thrones ruhenden juwelengeschmuckten Buch bestehende Tro­paeum des Weltenrichters (Hetoimasia, ”Bereitung des Thrones“), das an der Stellesteht, wo entsprechend im zweiten Register des Kaisertriumphs am Sockel der Arka­diussaule die Kaisertrophae sich befand. Zu dieser wurden, wie bereits erwahnt, vongeflugelten Niken gefangene Barbaren herangebracht, die vor ihr niederfallen. In derbyzantinischen Gerichtsdarstellung fuhren zwei Engel Adam und Eva, als die Vertreterdes Menschengeschlechts, zur kniefalligen Anbetung des Tropaeums des Weltenrich­ters heran, das von Cherubim, die in machtigen Flugelschlag eingehullt sind, bewachtwird.

Die dritte Zone von oben enthalt in der Mitte das letztlich vom Totengericht desOsiris ubernommene Motiv der Seelenwage und den sich um diese begebenden Streitdes Erzengels mit den Teufeln, die, wie immer in der byzantinischen Ikonographie,als huschende schwarze Schatten gebildet sind. Rechts vom Beschauer, und damit zur

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Linken des Weltenrichters, ist hier das hollische Feuer zu sehen, in das zwei von seinemWiderschein rot ubergossene Engel die Verdammten hineinstoßen, wahrend Satan mitJudas auf dem Schoß in der Tiefe der Holle thront. Auf der entgegengesetzten Seitedes dritten Registers sind die Seligen zu sehen. Sie kommen in Choren daher, vorandie an ihren mit schwarzen Kreuzen versehenen Omophorien (wie das bischoflichePallium im Osten genannt wird) kenntlichen heiligen Bischofe, dann die Martyrer infarbigen, juwelengeschmuckten Seidengewandern, mit denen sie fur ihr Martyriumbelohnt werden, nach ihnen heilige Einsiedler und zum Schluß die heiligen Frauen,angefuhrt von der asketisch abgezehrten Maria Aegyptiaca.

Endlich, zu unterst in der vierten Zone der Gerichtsdarstellung und damit zur Rech­ten des in der Hohe thronenden Weltenrichters, Petrus als Anfuhrer der Seligen, voneinem Engel zur Paradiesestur geleitet. Diese wird von einem Cherub bewacht. ImParadies der gerechte Schacher mit seinem Kreuz, der als erster nach dem OpfertodeChristi in das Paradies einging, die Gottesmutter als Orantin und, unter den Baumendes Paradieses, Abraham, der den armen Lazarus der Parabel in Gestalt eines klei­nen Kindes (eidolon) im Schoß halt, wahrend die Seelen der Gerechten, ebenfalls alskleine Kinder in weißen Hemden, um ihn herum stehen. Gegenuber sind hollischeMarterkammern zu sehen, Vorbilder der Hollenkreise Dantes. In einer von ihnen istder reiche Mann der Parabel, zu dem armen Lazarus und Abraham hinuberblickendund mit sprechender Gebarde inmitten der Pein der Flammen vergeblich Abraham umeinen Tropfen Wasser anflehend.

Von L. Birchler wird der Typus des Weltgerichts von Torcello irrtumlich als west­lich bezeichnet und mit der Gerichtsdarstellung vom Munster­Mustair und anderenwestlichen Gerichtsdarstellungen in Verbindung gebracht, bei denen der Weltenrich­ter zweimal erscheint (vgl. Anm. 48). In Torcello wird er nur einmal dargestellt. Diegroße Christusgestalt in der uber dem Weltgericht dargestellten Anastasis hat mit derGerichtsdarstellung nichts zu tun.

Philipp Schweinfurth, Die byzantinische Form. Ihr Wesen und ihre Wirkung, 21954, S. 202 – 203.

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