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MITTELHOCHDEUTSCHE GRAMMATIK MATERIALIEN
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MITTELHOCHDEUTSCHE GRAMMATIK

MATERIALIEN

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Ass. Prof. Dr. Karin Lichtblau WS 2006/07

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1. ZUR SPRACHGESCHICHTE DES MITTELHOCHDEUTSCHEN 3

1.1. Zur Periodisierung des MHD 3

1.2. Schreibung und Aussprache 3

1.3. Lautwandel AHD > MHH > NHD 41.3.1. Vom AHD zum MHD 41.3.2. Vom MHD zum NHD 51.3.3. Übungen: Sprachgeschichte 7

2. MORPHOLOGIE 10

2.1. Verben 102.1.2. Schwache Verben 122.1.3. Starke Verben 182.1.4. Besondere Verben 372.1.5. Übungen: Verben 45

2.2. Substantive 492.2.1. Deklination der Substantive 492.2.2. Übungen: Substantive 49

2.3. Adjektive und Adverbien 492.3.1. Starke Deklination der Adjektive 492.3.2. Schwache Deklination der Adjektive 492.3.3. Zum Gebrauch der Adjektivformen 492.3.4. Komparation 492.3.5. Adverbien 492.3.6. Übungen: Adjektive und Adverbien 49

2.4. Pronomina 49

3. SYNTAX 49

3.1. Die Negation im Mhd. 493.1.1. Formen 493.1.2. Zur Negation in konjunktivischen Nebensätzen 49

3.2. Zu den Genitivkonstruktionen 49

3.3. Eingeleitete Nebensätze 493.3.1. Mhd. Konjunktionen 493.3.2. Abhängige Sätze mit besonderer Einleitung 49

3.4. Besonderheiten der Satzfügung 49Sparsamkeit des Ausdrucks - Ellipsen 49Apokoinu 49Anakoluth 49

3.5. Zum Aufbau komplexer Sätze 49

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Lichtblau: Mhd.Gramm.-Materialien

1. Zur Sprachgeschichte des Mittelhochdeutschen1.1. Zur Periodisierung des MHD 1

ALTHOCHDEUTSCH 750-1050MITTELHOCHDEUTSCH 1050-1350 Frühmittelhochdeutsch 1050-1170 Klassisches Mittelhochdeutsch 1170-1250 Spätmittelhochdeutsch 1250-1350FRÜHNEUHOCHDEUTSCH 1350-1650

1.2. Schreibung und AusspracheVokale und Diphtonge:Kurz- und Langvokale sind in der Aussprache deutlich zu unterscheiden!

GRAPHEM LAUTWERT BEISPIELE

Längen: /â/, /ê/, /î/, /ô/, /û/Lange Monophtonge:/œ/ oder /oe//æ/ oder /ae//iu/

[a:] [e:] [i:] [o:] [u:]

[ö:][ä:][y:] (= immer Monophtong!)

lân, lâzen, lêhen, mîn, an(e)bôz, mûs

lœsenmaere, dorfaereiuwer, niuwe, hiuser, diutsch, diuten, tiuvel, triuwe

Kürzen: /a/ /ë, e/ /i/ /o/ /u/ /ä/ /ö/ /ü/

[a] [ë/e] [i] [o] [u][ä] [ö] [ü]

jagen, sagen, lëben, loben, lobebaere, tugent, jugent, trähene, öl, künec

Diphtonge: /ei/, /ou/, /uo/ /üe/, /öu/, /öi/ /ie/

[éi], [óu], [úo], [üe], [öu], [öi]

[íe](= ausnahmslos Diphtong!)

gúote, brüeder, rüemen

líebe, íe, gíezen, míete

Konsonanten:GRAPHEM LAUTWERT BEISPIELE

/z/ (manchmal als /;/) nach Vokalen und im Auslaut

[s] stimmlose Spirans ûz, daz, wazzer

/z/ Wortanfang / nach Konsonant [ts] dentale Affrikata = nhd. [tz] zuo, zît, herze

/h/ im Auslaut / in den Verbindungen /ht/, /lh/, /rh/ (Schriftvarianten /cht/, /lch/, /rch/)

[X] Reibelaut sah (aber: sëhen [sehen]), solh, durh, naht, iht, lieht, wahsen

/h/ Anlaut/Silbenanlaut vor Vokal [h] Hauchlaut hûs, stahel, hœher, trähene (‚Träne’), sëhen (aber: sah [saX]

Konsonantenverbindungen /st/, /sp/ /sl/, /sm/, /sn/, /sw/

s behält Lautwert = s+t ( nhd.: sch+t

stein, slange, smerze, swach

/sch/ (Schriftvarianten /sk/ /sc/ /sh/) [sch] scœne

/ph/ [pf] phliht, phlëgen, phant

/w/ [w] mit bilabialer Komponente wort, winter, wâ (‘wo’)

1 nach WEDDIGE 1996, S. 7

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1.3. Lautwandel AHD > MHH > NHDBEISPIELTEXTE:

1 : Glaubensbekenntnisahd. gilaubiu in got fater almahtigon scepphion himiles enti erdamhd. ich geloube an got vater almechtigen schephaer himels unde der erde.nhd. ich glaube an den allmächtigen Gott den Schöpfer des Himmels und der Erde.

2: Vaterunserahd. Fater unsêr dû pist in himilum kauuihit sî namo dîn. Piqueme rîhhi dîn. Uuesa dîn uuillo,mhd. Vater unser der dû in dem himel bist geheileget sî dîn nam zuo kum an uns daz rîche dîn dîn wille

werdenhd. Unser Vater der du in dem Himmel bist geheiligt werde dein Name dein Reich komme dein Wille

geschehe.

1.3.1. Vom AHD zum MHD

Vokalismusa) i-Umlaut:

z.B.: almahtigon - almehtigenMhd. Sekundärumlaut der im Ahd. noch nicht vom i-Umlaut (Primärumlaut) a > e erfaßten Laute: a > e (auch vor /ht, hs, rw/ und vor i der zweitfolgenden Silbe) sowie Umlaut aller übrigen Vokale und Diphtonge.

Umlaut vor i, î, j der Folgesilbe2

Primärumlautgerm. a > ahd. e(ahd. verhindert u.a. vor /ht, hs, rw/)

ahd. Sg. gast - Pl. gesti

Sekundärumlautahd. a > mhd. ä, eo > öu > üâ > æ, aeô > œ, oeû > iuou > öuuo > üe

z.B.:mahtig > mähtec, magadi > mägedehof - hövesch, got - götinnekunni > künnemâri > maereskôni > schoenesûri > siureloufit > löufetguoti > güete

b) ahd. /iu/ > mhd. /iu/ = [y:]z.B.: liuti > liute = [ly:te]; diutisc > tiutsch = [dy:tsch]Spätahd. Diphtong /iu/ > mhd. langer Monophtong [y:], Diphtongschreibung bleibt erhalten.

c) ahd. /ea, ia/, /eo, io/ > mhd. /ie/.z.B.: hear, hiar > hier; ziohan > ziehenDiphtong ische Aussprache!

d) Nebensilbenabschwächung:z.B. ahd. namo, turi, gilouba > mhd. name, tür, geloube / gloube.Die im Ahd. noch vollen Vokale der nichtstarktonigen Silben werden im Mhd. zu schwachtonigem // oder fallen ganz aus (Apokope bzw. Synkope):Ausgenommen sind schwere Ableitungssuffixe wie -unge, -inne, -haft u.a.

2 WEDDIGE 1996, S. 19

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Konsonantismusa) Auslautverhärtung:

z.B.: tages - tac, neigen - neicte.Stimmtonverlust von /b, d, g/ im Wort- und Silbenauslaut und entsprechende Schreibung im Mhd. als /p, t, c/.

b) ahd. /sk, sc/ > mhd. /sch/z.B: ahd. scrîban > mhd. schrîben.Aussprachewandel von /sk, sc/ zum mhd. Zischlaut /sch/ im 11. Jh. geschrieben /sch/.

c) Assimilationen:z.B. inbîz > imbîz; Lenisierung von /t/ nach Nasalen z.B. nante > nande.

d) Kontraktionen:z.B. ahd. legit - mhd. leit, ahd. gibit > mhd. gît, mhd. slahen neben slân.Medienschwund von /b, d, g/ sowie von /h/ zwischen Vokalen mit folgender Vokalkontraktion.

1.3.2. Vom MHD zum NHDmhd. frühnhd.

alsô vertreip er den tac.des morgens er nider lac,daz er sîn wîp trûteunz daz man messe lûte.sô stuonden si ûf vil gelîche.

also vertrib er den tag.des morgens er nider lagdaz er sein weib trauteuntz daz man messe laute.so stunden sy auf geleiche.

(nach WEDDIGE 1996, S. 32)

Vokalismus

a) Nhd. (bairische) Diphtongierung:

z.B.: sîn wîp > sein weib, ûf > auf

mhd. /î/ > nhd. /ei/ mhd. /iu/ > nhd. /eu/ (/äu/) mhd. /û/ > nhd. /au/

bî > beibîhte > Beichtemîn, dîn, sîn > mein, dein, seingîsel > Geiselîle > Eile

iuch > euchdiuten > deutenliuchten > leuchtenliute > Leuteniun > neun

bû > Baubrût > Brautbûch > Bauchhûs > Haushût > Haut

mhd. /î/ > nhd. /ei/:sîte > Seite, lîp > Leib(nhd. /ei/ oder /ai/ kann aber auch auf mhd. /ei/ zurückgehen:mîn bein > mein Bein, seite >Saite, leip > (Brot-)Laib)

mhd. /iu/ > nhd. /eu/ oder /äu/:hiuser > Häusermiuse > Mäusefliuget (Inf. fliegen) > fleugtkriuchet (Inf. kriechen)> kreucht (vgl noch: „was da kreucht und fleucht“)

mhd. /û/ > nhd. /au/:mûs > Maus(nhd. /au/ kann aber auch auf mhd. /ou/ zurückgehen: ouge > Auge)

mîn niuwes hûs > mein neues Haus

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b) Nhd. (mitteldeutsche) Monophtongierung:

z.B.: stuonden > stunden

mhd. /ie/ [íe] > nhd. /ie/ [ī] mhd. /uo/ > nhd. /ū/ mhd. /üe/ > nhd. /ü/

biegenbietenbrieffliegenmiete

bluome > Blumebruoder > Bruderbuoch > Buchmuot >Mutsuochen > suchen

güete > Gütemüede > müdegrüene > grüntrüege > trügeslüege > schlüge

/ie/: e gilt jetzt orthographisch als Längenzeichen, daher auchzige > Ziege, vihe > Vieh, vil > viel

c) Nhd. Dehnung und Kürzung:

Dehnung mhd. kurzer Vokalein betonter offener Silbe:

adel, hase, jagen, heben, gëben, lësen, biber ‘Biber’, bine ‘Biene’, boge ‘Bogen’, bote, tugent, jugent, über, zügel

Kürzung mhd. langer Vokale vor bestimmten Konsonantengruppen (ht, r+Kons.):

d) Rundung, Entrundung, Senkung

Rundung bestimmter Vokale in der Nachbarschaft bestimmter Konsonanten,helle > Hölle, zwelf > zwölf, swern > schwören, leffel > Löffel, lewe > Löwe, âne > ohne, mâne > Mond, finf > fünf, wirde > Würde, liegen > lügen

Entrundung z.B. mhd. küssen, slöufe > nhd. Kissen, Schleife. Senkung von u und ü (md., obd.) bes. vor Nasal zu o und ö:

sune > Sonne, sumer > Sommer, besunder > besonders, geswummen > geschwommen, gewunnen > gewonnen, kumen > kommen, sun > Sohnkünec > König, günnen > gönnen, mügen > mögen.

e) Öffnung geschlossener Diphtonge /ei, öu, ou/ > nhd. /ai, äu, au/,z.B. mhd. bein, böume, boum > nhd. Bein, Bäume, Baum.

Konsonantismusa) Ausspracheveränderung des /s/ vor /p, t/ im Anlaut zum Zischlaut /sch/:

z.B. Stein, springen.b) Aussprache- und Schreibveränderung des /s/ vor /l, m, n, w/ im Anlaut zum Zischlaut /sch/,

z.B. mhd. slange > nhd. Schlange, manchmal auch bei /s/ nach /r/ im In- und Auslaut z.B. mhd. bars > nhd. Barsch, kirse > Kirsche.

c) Auslautverhärtung gilt nur mehr in der normierten gesprochenen Sprache, in der Schrift steht in allen Formen /b, d, g/ [Vgl. o.: vertreip > vertrib; wîp > weib].

d) Schwund des /w/ zwischen nhd. /au/ oder /äu, eu/ und /e/,z.B. mhd. frouwe > nhd. Frau, vröuwen > freuen.

e) Veränderung des inlautenden /w/ zu /b/ nach /l, r/,z.B. mhd. varwe > nhd. Farbe, swalwe > Schwalbe.

f) Verstummen oder Schwund des /h/ silbenanlautend im Wortinnern, bes. n. /r, l/,z.B. mhd. sehen > nhd se(h)en, bevelhen > befehlen.

g) Aussprache- u. Schreibänderung der Verbindung /hs/ zu nhd. /ks/ , z.B. mhd. vuhs > nhd. Fuchsh) Wechsel von anlautendem /t/ zu /d/, z.B. mhd. tunkel > nhd. dunkel, aber auch umgekehrt

líebe guote brüeder > liebe gute Brüder

le-ben > lë-ben, lo-ben > lō-ben.

brâh-te > brachte, dâhte > dachtehêr-lich > herrlich

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mhd. dôn > nhd. Ton.

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1.3.3. Übungen: SprachgeschichteA. Übungsprogramm:3

1) Wie verändert das Mhd. den ahd. Vokalismus in End- und Nebensilben? gar nicht 6) Kürzung um eine More gemäß den Auslautgesetzen 12) Abschwächung zu e (= []), soweit nicht unter Nebenton erhalten 5)

2) Falsch! Die Veränderung von Vollvokalen > mhd. e = [] findet nur in unbetonten End- und Nebensilben statt, niemals in akzentuierten Silben. Die Schreibung ä ist darüber hinaus deutliches Kennzeichen des Sekundärumlauts, der hier vorliegt. Das i der Endung (ahd. wahsit) hat im Ahd. wegen der den Umlaut hindernden Konsonantenverbindung hs noch keinen Umlaut bewirkt. Im Mhd. wird die Palatalisierung nunmehr durchgeführt. Sie ergreift nicht nur solche a-Laute, die im Ahd. nicht vom Primärumlaut betroffen wurden, sondern alle umlautfähigen Vokale, also auch o, u, uo, ou, â, ô und û, die mhd. >ö, ü, üe, öu, æ, œ, iu [y:] werden. zurück zu 5)

3) Falsch! Lenisierung bedeutet im Gegenteil die mhd. Erweichung von t > d in der Umgebung von Sonanten (Nasale, Liquiden), die im Nhd. wieder rückgängig gemacht wurde. Was läßt sich am Beispiel von ahd. heilag > mhd. heilec ‘heilig’ demonstrieren? die ahd. Lenisierung von c > k vor Sonanten 8) die Auslautverhärtung von ahd. -g > mhd. -c = [k] 10)

4) Richtig! - Warum ist ahd. choufan ‘kaufen’ zu mhd. koufen geworden, ahd. choufman dagegen in mhd. koufman und nhd. Kaufmann unverändert geblieben? Kürzung um eine More führt gemäß den Auslautgesetzen bei â > a, bei a > e 9) die Verbindung -an ist unbetont, so daß ahd. -an > mhd. -en werden konnte; das Grundwort der

Zusammensetzung ahd. choufman trägt dagegen einen Nebenton, der die Vokalabschwächung verhindert hat 5)

5) Richtig! - Was heißt Sekundärumlaut? die Umlautung auch der a-Laute, die im Ahd. vor folgendem i/j wegen dazwischenstehender

umlauthemmender Konsonantenverbindung nicht palatalisiert wurden, zu mhd. ä, zugleich aber auch die alle umlautfähigen Vokale ergreifende Palatalisierung vor Folge-i/j 11)

die Palatalisierung von ahd. a>e vor Folge-i/j 7)

6) Falsch! Das Mhd. unterscheidet sich vom Ahd. gerade dadurch, daß die ahd. Vollvokale in Neben- und Endsilben zu e ([]) abgeschwächt wurden, soweit sie nicht unter Nebenton erhalten blieben. Was läßt sich am Beispiel von ahd. ladunga > mhd. ladunge ‘Ladung, Einladung’ zeigen? die Abschwächung von unbetontem Endungs-a > mhd. -e sowie die Erhaltung von nebentonigem -u-

4) die Wirkung von Sekundärumlaut und Auslautverhärtung 9)

7) Falsch! Die Palatalisierung von ahd. a > e durch Folge-i/j als einzige Form des i-Umlauts im Ahd. wird als Primärumlaut bezeichnet. Sekundärumlaut ist dagegen die Palatalisierung auch solcher a-Laute, die ahd. noch nicht umgelautet worden waren, zu mhd. ä sowie die konsequente Umlautdurchführung im Falle aller übrigen umlautfähigen Vokale. Was zeigt sich am Beispiel von ahd. wahsit > mhd. wähset ‘er wächst’? Abschwächung des Wurzelvokals a > ä/e 2) Sekundärumlaut im Mhd. 13)

8) Falsch! Seit wann geht die Entwicklung der Sprache rückwärts vom Mhd. zum Ahd.? Hier liegt Auslautverhärtung (evtl. im Silbenauslaut) vor: die ahd. Media -g im Auslaut von heilag < mhd. -c ([k]) im Auslaut von heilec bzw. ahd. b d g + t > mhd. p t k + t (ahd. neigta > mhd. neicte etc.). Lenisierung heißt dagegen die Erweichung von ahd. t > mhd. d in Verbindung mit Sonanten, also etwa in ahd. zu hantôn, haltan > mhd. ze handen, haldan ‘zu Händen, halten’, allerdings nicht konsequent durchgeführt und im Nhd. wieder rückgängig gemacht. zurück zu 11)

9) Falsch! Die Beispiele zeigen sämtlich, wie die ahd. Vollvokale in End- und Nebensilben im Mhd. zu e ([]) abgeschwächt werden, als Vollvokale dagegen erhalten bleiben, wenn die Nebensilbe einen

3 aus Bauer / Haage 1986, S. 133ff

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Nebenton trug: ahd. ládùnga, chóufmàn > mhd. ladunge, koufman, aber ahd. ládùnga , chóufan < mhd. ladunge, koufen. Auslautgesetze des Germ., Sekundärumlaut oder Auslautverhärtung haben hiermit nichts zu tun oder sind zwar auch wirksam, aber hier nicht relevant. zurück zu 1)

10) Richtig! - Wie läßt sich die mhd. Verschärfung der Medien b d g > p t k vor folgendem t erklären, die im Nhd. (in der Schrift) durchgängig wieder aufgehoben wurde? als Auslautverhärtung im Silbenauslaut 14) als ahd. Lenisierung von mhd. p t k in sonantischer Umgebung 8)

11) Richtig! Wie nennen Sie die Erscheinung, daß im Mhd. die auslautenden Medien b d g zu den Tenues p t k geworden sind? Lenisierung 3) Auslautverhärtung 14)

12) Falsch! Die Kürzung von ahd. Langvokalen um eine More tritt durchaus ein, doch ist das Resultat auch dann mhd. e: ahd. lobôn, sagên > mhd. loben, sagen. D. h.: es kommt nicht so sehr auf die Länge oder Kürze der Vokale an, sondern auf deren Betontheit oder Unbetontheit. Im letzteren Falle tritt die Abschwächung ein, im ersteren nicht. Was lehrt das Beispiel ahd. ediling > mhd. edelinc ‘Mann von Adel’? Abschwächung von ahd. i in unbetonter Nebensilbe, Erhaltung von ahd. i in betonter Endsilbe 4) Wirkung von Sekundärumlaut und Auslautverhärtung 9)

13) Richtig! - Wodurch läßt sich erklären, daß ahd. sâlîg, gimuati, irougen, burdi > mhd. saelec, gemüete, eröugen, bürde ‘selig, Gemüt, sich ereignen, Bürde’ geworden sind? Sekundärumlaut 11) Primärumlaut 2)

14) Ende des Übungsprogramms.

B. Übungen:

1) Zur Vokalabschwächung:

Wie lauten die folgenden ahd. Formen im Mhd.:1. gisungan > ............................................2. salbôt > .................................................3. skiaro > .................................................4. bôsi > ....................................................5. egislîh > ................................................6. sougen > ...............................................7. sagêta > ................................................

2) Wodurch unterscheidet sich das Mhd. wohl am deutlichsten vom Ahd.? Geben Sie Beispiele an!............................................................................................................................................................

3) Was heißt Primärumlaut?.............................................................................................................................................................

4) Was heißt Sekundärumlaut?.............................................................................................................................................................

5) Welche lautlichen Erscheinungen trennen das Nhd. vom Mhd.? Geben Sie Beispiele an!.............................................................................................................................................................

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6) Wie lauten die folgenden mhd. Wörter im Nhd.?:1. îs > ..................................................................... 11. lîden > ............................................................2. mûl > .................................................................. 12. rûm >...............................................................3. schrîben > ........................................................... 13. tûsent> ............................................................4. der rise > ......................daz rîs > ....................... 14. liegen > ...............................................................5. vriunt > ............................................................... 15. hiur > ...............................................................6. schrîn > .............................................................. 16. ûf > ........................ ûz > ........................7. huon >................................................................ 17. luot (von laden) > .............................................8. helle > ............................................................... 18. wirde > .............................................................9. slüege > ............................................................. 19. âne > ................................................................10. künec > ............................................................. 20. lewe > ...............................................................

6) Vergleichen Sie die Sprachgestalt der beiden folgenden Texte und stellen Sie Gegensatzpaare zusammen, die die Lautwandlungen vom Ahd. zum Mhd. illustrieren. Welche sprachlichen Kennzeichen weisen den zweiten Text als frühmhd. aus?

Aus dem AHD. PHYSIOLOGUS (11. Jh.):4 Aus dem MHD. PHYSIOLOGUS (12. Jh., frühmhd.):5

De pantera

Ein tier heizzit pantera und ist miteuuare und ist manegero bilido und ist vuile scone und ist demo drachen fient.

Tes sito ist so gelegin, so ez sat ist misselihes, so legit iz sih in sin hol unde slafæt trie taga. Tene so stat ez uf unde furebringit ummezlihche lutun unde hebit so suzzen stanc, daz er uberuuindit alle bimentun.Tene so diu tier uerro unde naho tie stimma gehorrint, so samenont siu sih unde uolgen imo turih di suzzi des stanhes.

Unde der dracho uuiret so uordtal, daz er liget, alsor tot si, under der erdo.

Pantera diu bezeichenet unsirin trotin, [...] und [do] er gecrucigot uuard, to raster in demo grabe trie taga, also dir tet panttera, und an demo triten tage dorstun er uon dien toton, vnde uuard daz sar so offenlihin gehorit uber alle disa uuerilt, unde uberuuand den drachin, den mihchelin tieuel.

Der Panther

Dar nach heizzet ein Panthere, mit mislicher varwe, scone ist ez genuoch, dar zuo listich unde gefuoch. von dem tiere man liset, dem Drachen ist ez vient, swa ez in sihet.So daz selbe tier sich sciere sich hat gesattet von den tieren, die ez chan vahen wol, so leget ez sich in sin hool. dri tage ez slæffet: so ez danne uf stet, so rohot iz starche, von im chumet solich smache, daz niht im gelichis in der werlde suozze ist.So danne diu tier die alumbe sint, sine stimme gehorint, so samenent si sich dar nach, ze dem suozzem smache ist in gach. dem tiere si volgint, swa ez hin oder her ferit.Der Trache, so er sine stimme gehoret, in sinem liche er sich birget, daz er niht vernemen mege sine stimme an dem wege, die andiriu tier so minnot: so liget er, sam er si tot.Also tet der heilige Christ, der er wariu Panthera ist, do er gesach daz mennisclich chunne mit dem tievil bedwungen, von himil fuor er gereite mit siner mennischeite.[...]

7) Was weist den folgenden Text als früh-neuhochdeutsch aus?

Etliche wichtige vrsachen / Warumb alle Menschen sich vorm Sauffen hütten sollen. / Die Erste vrsache.Die erste vrsache ist / das das Sauffen von Gott in seim Wort verboten ist. Saufen aber heisst (wie es alle vernünfftige Menschen verstehen) wenn man mehr in Leib geusst / denn die notturfft foddert / Es geschehe nun / auf wasserley weise / oder vmb wasserley vrsachen willen es geschehe / man thue es gleich aus eignem vornemen / aus gewonheit / oder jemand zugefallen / so heissts doch alles gesoffen. Gleich wie Fressen / heisst / wenn man mehr speise in Leib stecket / denn die notturfft foddert. Denn essen vnd trincken ist vns von Gott darumb gegeben / das wir den Hunger vnnd Durst damit vertreiben / vnd den Leib damit erhalten sollen / Was nun darüber geschicht / das heisst alles gefressen vnnd gesoffen / vnnd ist ein missbrauch der Creaturn Gottes / da hilfft keine entschuldigung fur.6

4 F. Maurer (Hg.): Der altdeutsche Physiologus, Tübingen 1967 (ATB 67), S. 91f.5 ibid., S. 76? Matthäus Friedrich, Wider den Saufteufel. In: Frühnhd. Lesebuch S. 93f

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2. Morphologie2.1. Verben

starke schwache besondere VerbenVerben Präterito-

PräsentienWurzelverben Kontrahierte

VerbenGemischte Verben

Ablaut kein Ablautaber z.T. Vokalwechsel = „Rückumlaut“

Ablaut Mischungstarker u. schwacher Formen: Ablaut

Part.Prät. -en Dentalsuffix (Part.Prät.: -t)

Dentalsuffix athematische Bildungsweise

(vgl. Wurzelverben)

tw. Dentalsuffix

1. Starke Verben: Ablaut: Formenbildung durch Veränderung des Stammvokals hëlfen half hulfen geholfen

Part. Prät.wird mit dem Suffix -en gebildet geholfen

Präfix ge- sowohl bei st. als auch bei sw. Part. Prät., wenn das Verb nicht schon eine untrennbare Vorsilbe bei sich hat (geriten vergraben).

2. Schwache Verben: Dentalsuffix zur Bildung der finiten Präteritalformen + Part. Prät. leben - lëbe-t-e - gelëbe-t

3. Besondere Verben:a) Präterito-Präsentien:

Kennzeichen der starken als auch der schwachen Flexion : Ablaut und Dentalsuffix

durfen, dürfen (bedurfen/bedürfen) suln, sülngunnen, günnen (erbunnen, verbunnen) tugen, tügenkunnen, künnen turren, türrenmugen, mügen wizzenmuozen, müezen

b) Wurzelverben: athematische Bildungsweise7 tuon; gân / gên; sîn; stân / stên

c) Kontrahierte Verben: (vgl. Wurzelverben) haben / hân; lâzen / lând) Mischung starker und schwacher Konjugation: bringen; beginnen

e) wellen ‘wollen’: Besonderheiten aufgrund einer Funktionsverschiebung im Bereich der Modi.

MHD > NHD:

a) Mhd. Konjugationsart = nhd. Konjugationsart (sehr häufig).

b) Mhd. stV > nhd. swV (häufig): mhd. stV grînen – grein > nhd. swV greinen – greintemhd. stV smiegen – smouc > nhd. swV schmiegen – schmiegte

c) Mhd. swV > nhd. stV (selten): mhd. wîsen – wîste – gewîset > nhd. stV weisen – wies – gewiesenanalog: mhd. prîsen – nhd. preisen; mhd. gelîchen – nhd. gleichen

Vgl. auch nhd. Mischformen wie: dingen – bedingt, sich etw. ausbedungen haben, gedungen; stecken – stak, gesteckt; fragen – frug, fragte

d) Mhd. Doppelformen werden im Nhd. vereinfacht:mhd. stV brinnen – bran – gebrunnen + swV brennen – brante – gebrennet/gebrantnhd. swV brennen – brannte – gebrannt

7 „athematische Bildungsweise“: die Flexionsendung schließt (ohne Thema- oder Bindevokal) unmittelbar an die Wurzel an; z.B.: bind-e–t = Wurzel+Thema+Endung ↔ tuo–t Wurzel+Endung.

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Zu einigen Besonderheiten in der Verwendung mhd. Tempora und Modi

1. Futur: wird vertreten durch das Präsens. Eventuell mit zusätzlicher kontextueller Bestimmung.8

Umschreibungen mit Hilfsverben : suln, wellen, müezen + Infinitivwerden+Inf. (mhd. selten, häufiger ab Mitte 14. Jh., frühnhd.)

2. Präteritum:

Hat im Mhd. einen umfassenderen Funktionsbereich als im Nhd.: Als allgemeines Tempus für die Vergangenheit tritt es ein für nhd. Imperfekt, Perfekt und Plusquamperfekt und ist jeweils dem Kontext entsprechend zu übersetzen.Daneben gibt es auch schon mhd. Umschreibungen für Perfekt und (seltener) Plusquamperfekt.Perfekt: Bildung mit Umschreibung (analyt., periphrastisch): Präsens von hân, sîn + Part. Prät.

hân + Part.Prät.: ich hân gesezzen - ich habe (dort) gesessen, sîn + Part.Prät.: ich bin gesezzen - ich habe mich gesetzt, sitze,

Plusquamperfekt: Zusammensetzung mit Vorsilbe ge- : ich gesach ‘ich hatte gesehen’. Je nach Kontext ist die

Verbform mit einem Perfekt oder einem Plusquamperfekt wiederzugeben, allerdings kann die Verbindung ge- + Prät. auch einfache Vergangenheit bezeichnen!

Seltener ist die Umschreibung mit dem Imperfekt von hân und sîn + Part. Prät.: ich hâte gegëben, ich was gesezzen

3. Zu den Modi: Indikativ / Konjunktiv:

Wie nhd. Die Umschreibung mit modalen Hilfsverben (müezen, suln, kunnen ‚können’, mugen ‚können’, wellen) im Konj. Präsens / Präteritum ist jedoch mhd. seltener als nhd.

mit laster ir gescheiden sult von guoten recken sîdâ vor müeze mich got hüeten alle tage.Möhte ich verslâfen des winters zît.

4. Zu den Genera verbi: Aktiv / Passiv:

Wie nhd. Umschreibungen mit werden, sîn. 9

8 z.B.: alsô tuon ich iu morgen; dar nâch sô sihe ich schiere den stein unde den brunnen.9 Passivbildungen Perf., Plusquamperf. bin/was - worden sind mhd. nur vereinzelt belegt.

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2.1.2. Schwache Verben t-Suffix

Stammvokal der Präsensformen unverändert

Wechsel des Stammvokals zwischen Präsens und Präteritumbei einer Gruppe von schwachen Verben.

FormenbildungPRÄSENS

Präsensflexion (Ind., Konj., Part. Präs., Inf.) stimmt in den Endungen mit den starken Verben überein, mit einer Ausnahme:

Imp. Sg.: Endung auf -e (soweit nicht apokopiert - nach r, l und n):z.B. lëbe, sëtze, suoche aber: hol, ner st. Bildung: gip, nim, hilf

Wurzelvokal in den Präsensformen aller sw. Verben bleibt unverändert (↔ stV!)

PRÄSENS sw. Verben st. VerbenInf. (Präsensvokale) lëben (ë) hëlfen (ë/i) bieten (ie/iu) nëmen (ë/i) graben (a/e)Präs. Ind. Sg. 1. ich lëbe ich hilfe ich biute ich nime ich grabe2. du lëbest du hilfest du biutest du nimest du grebest3. er lëbet er hilfet er biutet er nimet er grebetPl. 1. wir lëben wir hëlfen wir bieten wir nëmen wir graben2. ir lëbet ir hëlfet ir bietet ir nëmet ir grabet3. si lëbent si hëlfent si bietent si nëment si grabentPräs. Konj. Sg. 1. ich lëbe ich hëlfe ich biete ich nëme ich grabe2. du lëbest du hëlfest du bietest du nëmest du grabest3. er lëbe er hëlfe er biete er nëme er grabePl. 1. wir lëben wir hëlfen wir bieten wir nëmen wir graben2. ir lëbet ir hëlfet ir bietet ir nëmet ir grabet3. si lëben si hëlfen si bieten si nëmen si graben

PRÄTERITUM

Alle Formen werden mit einem Dentalsuffix gebildet( bei den stV mit Ablaut).

Ind. und Konj. haben die gleichen Personalendungen ( stV):

sw. PRÄTERITUMIndikativ = Konjunktiv

st. PRÄTERITUMIndikativ Konjunktiv

Sg. 1. lëbe-t-e ich bôt ich büte2. lëbe-t-est du büte du bütest3. lëbe-t-e er bôt er bütePl. 1. lëbe-t-en wir buten wir büten2. lëbe-t-et ir butet ir bütet3. lëbe-t-en si buten si büten

Das Part.Prät. swV endet auf -et ( stV auf -en)sofern nicht Synkopierung in mhd. Zeit erfolgt ist,z.B. gelëbet, aber: geholt st. V.: geboten, geholfen, gegraben, gegëben

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2.1.2.1. Schwache Verben mit Wechsel des Stammvokals(= schwache Verben mit „Rückumlaut“)

brennen - brannte - gebrennet / gebrant hœren - hôrte - gehôrt grüenen - gruonte - gegruonet

Präsensformen mit Umlaut Präteritalformen ohne Umlaut Part. Prät.: hier können 2 Formen nebeneinander stehen

gebrennet - gebrant

„RÜCKUMLAUT“

Im Präteritum hebt sich ein Teil der schwachen Verben durch den Wechsel des Stammvokals, den sog. „Rückumlaut“ (z.B. noch nhd.: brennen - brannte - gebrannt) von allen anderen schwachen Verben mit gleichbleibendem Wurzelvokal ab (z.B.: nern - nerte - genert). Dieser „Rückumlaut“ betrifft eine historische Verbklasse, die lang- und mehrsilbigen jan-Verben, die bei umlautfähigem Wurzelvokal

Umlaut im Präsens, jedoch nicht im Präteritum zeigen.

Daraus ergibt sich vom Standpunkt des Mhd. die Einteilung in: 1. schwache Verben mit Wechsel des Stammvokals 2. schwache Verben ohne Wechsel des Stammvokals

Sprachgeschichtlich gesehen sind die starken Verben die älteren, die schwachen Verben eine germanische Neubildung, die aus starken Verben, Adjektiven oder Substantiven sekundär abgeleitet wurden, mit Hilfe von Bildungssuffixen = germ. -jan-, ôn-, ên-. Noch im Ahd. lassen sich die schwachen Verben ihren alten Bildungssuffixen entsprechend gruppieren (-jan-, -ôn-, -ên-Verben).Im Mhd. ist die Zugehörigkeit zu diesen ursprünglichen Reihen nicht mehr aus der Form des Infinitivs ablesbar, da alle Endungen in -en zusammengefallen sind.

Klasse ahd. mhd.1a. kurzsilb. jan-Verben nerren, nerrian nern1b. langsilb. jan-Verben brennen brennen2. Klasse salbôn salben3. Klasse sagên sagen

Zum Begriff „Rückumlaut“: (= ein nie eingetretener Umlaut10)

Das j bzw. i dieser langsilbigen jan-Verben hat in den Präsensformen bei umlautfähigem Stammvokal in jedem Falle Umlaut bewirkt.11 Im Präteritum dagegen ist dieser Umlaut bei den langsilbigen jan-Verben unterblieben. Grund: Das umlautbedingende i im Präteritum war bereits vor Einsetzen des Umlauts geschwunden12 (ahd. brannta), und so war diese Form nie umgelautet.

Bspl.: germ *sank-i-da > germ. *sank-da > ahd. sancta > mhd. sancte ‘senkte’Beim „Rückumlaut“ handelt es sich also um einen überhaupt nicht eingetretenen Umlaut. Die irreführende Bezeichnung „Rückumlaut“ geht auf J. GRIMM zurück, der fälschlich angenommen hatte, daß die Verben den Umlaut, der im Präsens vorhanden ist, im Präteritum rückgängig gemacht hätten. Mangels einer besseren hat man die Bezeichnung bis heute beibehalten.

10 und nicht wie der Name naheliegt „ein rückgängig gemachter Umlaut“.11 vgl. got. waljan - ahd. welen, wellen; got wandjan - ahd. wenten, wenden12 = sog. vorahd. Synkope

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„Rückumlaut“ betrifft langsilbige jan-Verben mit umlautfähigem Wurzelvokal:13

Zum Begriff „langsilbige jan-Verben“: Dazu zählen im MHD Verben mit

a) Langvokal/Diphtong in der Wurzelsilbe:z.B.: hœren - hôrte - gehœret/gehôrt (analog: grüezen, lœsen, rüemen, trœsten, füeren, waenen).

b) Verben mit mehrfacher Konsonanz im Auslaut der Wurzelsilbe:z.B.: ergetzen ‘vergessen machen, ergötzen’ - ergazte; setzen - sazte – gesazt; decken - dahte

(dacte) – gedecket/gedacht/gedact; schrecken; smecken; strecken ‘gerade machen’; wecken; sterken – sterhte/starcte; merken – marhte/marcte/merkete (md.); blicken – blicte/blihte; schepfen – schapfte/schafte/schepf(e)te.

c) Mehrsilbige Verben:z.B.: antwürten – antwurte; löugenen - lougente.

d) Verben, die das Prät. von Anfang an athematisch bilden:z.B.: denken - dâhte - 2.Sg. Ind. Prät. daehte u. dâhtest, Konj. daehte, Part. gedâht;dünken/dunken - dûhte - Konj. diuhte - gedûht (vom Konj. ist nhd. ‘es deucht mir’ abgeleitet);vürhten - vorhte - gevorht (Präs. vorhten, vörhten bes. md., im Prät. auch furhte);würken/wurken/wirken - worhte – geworht.

Welche Vokale wechseln bei den rückumlautenden Verben:

e- a; ü – u; æ – â; œ –ô; iu – û; üe- uo.Beispiele:e - a: vellen - valte - gevalter ‘fällen’, ergetzen – ergatzte, leschen – laschte, heften - hafte, senden- sante

(sande), sterken – starctenennen, pfenden, trenken, wenden, wermen, decken, recken, strecken, merken

ü - u: antwürten - antwurte, drücken - dructe,füllen, kürzen, küssen, füllen – fulte, wünschen, gürten, kürzen, nützen.

ae - â: bewaeren (bewârte) ‘wahrmachen’, smaehen, waenen (wânte) ‘hoffen, vermuten’, saejen - sâte.œ - ô: bœsen ‘schlecht machen’, hœhen, hœnen, hœren, krœnen, lœsen, trœsten ‘Hoffnung geben,

erheitern’.iu - û: hiulen - hûlte ‘heulen’, rûmen u. md. riumen ‘räumen’, sûmen u. siumen ‘säumen’.üe - uo: büezen - buozte ‘besser machen’, vüegen, vüeren (vuorte), genüegen, grüenen, grüezen ‘freundlich

ansprechen’, hüeten (huote), prüeven, rüefen u. ruofen, üeben, blüejen (bluote), lüejen ‘brüllen’, müejen.

MHD > NHD:NHD nur noch wenige schwache Verben mit Rückumlaut, er ist durch Analogie ausgeglichen. Bewahrt haben ihn nur Verben auf /nn/ und /nd/:

brennen, kennen, nennen, rennen, senden, wenden.Doch bei /nd/ schon Doppelformen: sandte - sendete, wandte - wendete.

13 Langsilbige jan-Verben mit nicht umlautfähigem Wurzelvokal bilden alle Formen ohne Vokalwechsel, da Umlaut hier nicht eintreten konnte: z.B. kêren - kêrte - gekêrt, spitzen - spitzte, blicken - blicte, îlen - îlte, teilen - teilte, zieren - zierte, leiten - leit(t)e, neigen - neicte, gelouben – geloupte.↔Kurzsilbige jan-Verben zeigen durchgehend in allen Formen Umlaut: z.B. got. nasjan - nasido > ahd. nerien – nerita.

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2.1.2.2. Schwache Verben ohne Wechsel des Stammvokals

lëben - lëbete – gelëbet loben - lobete –gelobet

In historischer Sicht sind es:

a) kurzsilbige jan-Bildungen z.B.nërn - nërte- genërt.

j bedingt Umlaut in allen Formen.14

Die meisten der kurzsilbigen jan-Verben haben allerdings im Mhd. noch Doppelformen (die auch vom Mhd. her noch eine Zuordung zur historischen Klasse der kurzsilbigen jan-Verben ermöglichen):

zeln/zellen ‘zählen, erzählen’, zelte/zalte - gezelt/gezalt, queln/quellen - qualte;twelln/twelen - twalte ‘zögern’.

b) ôn-Bildungen,beiten zögern, beten, bewaren ‘sorgen für’, bilden ‘darstellen’, baden, dingen ‘verhandeln’, fluochen, folgen, fordern, hazzen, jagen, klagen, kosten, kreftigen, laben, laden, lônen, machen (Prät. machte u. machete, Part. gemacht neben gemachet), danken, dienen, loben, manen (mante), salben, vischen, rouben (zu roup), zeigen, schouwen (schou[we]te), ahten (ahte), laden (ladete, latte), schaden (schadete, schatte).

c) ên-Bildungen,armen ‘arm sein, arm werden’, alten ‘alt werden’, bleichen ‘bleich werden’, dagen ‘schweigen’, darben ‘Mangel haben’, erbarmen (erbarm(e)te), erstummen ‘stumm werden’, grâwen ‘grau werden’, haben und hân ‘besitzen, haben’, hangen ‘hängen’, lëben (lëb(e)te), losen ‘horchen’, mêren ‘größer werden’, nahten ‘Nacht werden’, tagen ‘Tag werden’, siechen ‘krank werden’, trûwen/triuwen ‘glauben’, wachen (wach(e)te), warten ‘ausschauen’, wonen ‘bleiben, wohnen’, sagen, sorgen, volgen, vrâgen (vrâg(e)te, vrâcte).

MHD > NHD:

Schon im Mhd. beginnt die Synkopierung, die sich im Nhd. dann durchgesetzt hat, zunächst nach r und l und in mehrsilbigen Wörtern auch nach n. Im Nhd. fehlt der Bindevokal im Prät. und Part. Prät. überhaupt, außer nach Dentalen (leitete, dichtete, weidete, schadete etc.) und nach Kons.+Vokal (regnete, atmete, aber auch warnte).

14 s. auch o.: got. nasjan - nasido > ahd. nerien – nerita.

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2.1.2.3. Flexionsschema der schwachen VerbenPRÄSENS

Infinitivhœren zellen ner(e)n salben

IndikativSg. 1. hœre zelle ner salbe 2. hœrest zelst nerst salbest 3. hœret zelt nert salbetPl. 1. hœren zellen nern salben 2. hœret zellet nert salbet 3. hœrent zellent nernt salbent

KonjunktivSg. 1. hœre zelle ner salbe 2. hœrest zellest nerst salbest 3. hœre zelle ner salbePl. 1. hœren zellen nern salben 2. hœret zellet nert salbet 3. hœren zellen nern salben

ImperativSg. 1. hœre zel ner salbePl. 1. hœren zellen nern salbenPl. 2. hœret zellet nert salbet

Partizipiumhœrende zellende nernde salbende

PRÄTERITUMIndikativ

Sg. 1. hôrte zelte, zalte nerte salbete 2. hôrtest zeltest, zaltest nertest salbetest 3. hôrte zelte, zalte nerte salbetePl. 1. hôrten zelten, zalten nerten salbeten 2. hôrtet zeltet, zaltet nertet salbetet 3. hôrten zelten, zalten nerten salbeten

KonjunktivSg. 1. hôrte zelte, zalte nerte salbete 2. hôrtest zeltest, zaltest nertest salbetest 3. hôrte zelte, zalte nerte salbetePl. 1. hôrten zelten, zalten nerten salbeten 2. hôrtet zeltet, zaltet nertet salbetet 3. hôrten zelten, zalten nerten salbeten

Partizipium Präteritumgehœret, gehôrter gezelt, gezalt genert gesalbet

MHD > NHD: Ausgleich des Rückumlauts Präs. Pl. 3.: -t fällt aus hœrent > hören (wie bei der Flexion der st. Verben)

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2.1.2.4. Übungen: Schwache Verben

1) Ergänzen Sie jeweils die Formen der 1.Sg.Prät.Ind. und des Part.Prät. der folgenden schwachen Verben!

1. stellen ge.................................

2. grüezen ge.................................

3. lemen ge.................................

4. legen ge.................................

5. smelzen ge.................................

6. swerzen ge.................................

2) Erläutern Sie die Kennzeichen der schwachen Verben! Welche Unterschiede lassen sich gegenüber der

starken Konjugation feststellen?

3) Erklären Sie den Begriff „Rückumlaut“!

4) Ergänzen Sie den Infinitiv der folgenden Verbformen:

1. antwurte 9. nerte

2. gedâht 10. vorhte

3. sante 11. salbte

4. sprancte 12. wânte

5. gelebet 13. hôrte

6. truobte 14. lûte

7. schadete 15. gezalt

8. gewîht 16. gelobet

5) Worin unterscheidet sich die mhd. von der nhd. schwachen Verbflexion?

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2.1.3. Starke VerbenUnter dieser Bezeichnung werden drei Gruppen von Verben zusammengefaßt, die ihre

Tempusstämme ursprünglich unterschiedlich bildeten:

durch Ablaut durch Ablaut und Reduplikation durch Reduplikation

2.1.3.1. AblautUnter dem Begriff Ablaut versteht man den regelmäßigen Wechsel von Vokalen in etymologisch

verwandten Wörtern oder Wortelementen. Ablaut beruht auf den Betonungsverhältnissen im

Idg., dem Wechsel in Art und Stellung des Wortakzents. Ablaut wird eingesetzt

a) zur Konjugation des starken Verbs und

b) als Mittel der Wortbildung:

Im German. werden mit Wortbildungssuffixen neue Wörter gebildet:Bildung schwacher Verben zu starken: z.B. Kausativa genësen - nërn;Substantivbildungen: grap - gruobe (graben, gruop)

2.1.3.2. AblautreihenDie starken Verben werden aufgrund morphologischer Regelmäßigkeiten in 7 Ablautreihen oder -klassen zusammengefaßt, wobei Stammvokal und Stammauslaut die Unterscheidungsmerkmale für die Zuordnung der st. Verben zu den einzelnen Reihen bilden.

Mhd. und nhd. Ablautreihen im Vergleich (nach: Sowinski, Probleme d. Übersetzens, S. 27):

Reihe Mhd. Nhd.I. î - ei - i - i

schrîben - schreip - schriben - geschriben schreiben - schrieb - schrieben - geschriebenII. ie - ô/ou - u -o

ziehen (ziuhe) - zôch - zugen - gezogenliegen (liuge) - louc - lugen - gelogen

ziehen (ziehe) - zog - zogen – gezogenlügen (lüge) - log - logen – gelogen

III. i/e - a - u - u/o (Nasal/Liquid + Kons.)singen - sanc - sungen - gesungenwerden (wirde) - wart - wurten - (ge)worden

singen - sang - sangen – gesungenwerden - ward - wurden – geworden

IV. e - a - â - o (Nasal/Liquid)nemen (nime) - nam - nâmen - genomenbrechen (briche) - brach - brâchen - gebrochen

nehmen - nahm - nahmen – genommenbrechen - brach - brachen – gebrochen

V. e - a - â - e (Verschlußlaut/Spirans)geben (gibe) - gap - gâben - gegeben geben - gab - gaben – gegeben

VI. a - uo - uo - avarn - vuor - vuoren - gevarn fahren - fuhr - fuhren – gefahren

VII. a/â/ei/ou/ô/uo - ie - ie - a/â/ei/ou/ô/uohalten - hielt - hielten - gehaltenrâten - riet - rieten - gerâtenheizen - hiez - hiezen - geheizenloufen - lief - liefen - geloufenstôzen - stiez - stiezen - gestôzenruofen - rief - riefen - geruofen

halten - hielt - hielten – gehaltenraten - riet - rieten – geratenheißen - hieß - hießen – geheißenlaufen - lief - liefen – gelaufenstoßen - stieß - stießen – gestoßenrufen - rief - riefen – gerufen

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2.1.3.3. Stammformen und ParadigmenStammformen zur Bildung sämtlicher finiter und infiniter Formen eines starken Verbs:

1. Präsensstamm: Infinitiv / 1. P. Sg. Präs. Ind.Gilt für das gesamte Präsens (Indikativ u. Konjunktiv).

2. Stamm des Sg. Prät.:Der entsprechende Ablautvokal kommt in der 1. und 3. P. Sg. Prät. Ind. vor,nicht aber in der 2. P. Sg.

3. Stamm des Pl. Prät:Er bildet die Grundlage für den gesamten Plural Prät. Ind., außerdem für die 2. P.

Sg. Prät. Ind. sowie für sämtliche Formen des Prät. Konj.

4. Stamm des Part. Prät.

Übersicht zu den Stammformen der starken Verben

STAMMFORM ABGELEITETEFORMEN INDIKATIV KONJUNKTIV

Infinitiv rîten

Präsens (Ind. + Konj.)(Vokalwechsel zwischen Sg.

u. Pl. möglich!)

Sg.1. ich rîte 2. du rîtest 3 er rîtet Pl. 1. wir rîten 2. ir rîtet 3.si rîtent

Sg.1. ich rîte 2. du rîtest 3. er rîtePl. 1. wir rîten 2. ir rîtet 3. si rîten

1./3.Sg.Ind.Prät reit Präteritum:1. + 3. Sg. Ind.

Sg.1. ich reit 2. -------- 3. er reitPl.1.-3.-----

---------------

1./3.Pl.Ind.Prät riten Präteritum2. Sg. Ind.+

Pl. Ind.+Konjunktiv

Sg.1. --------- 2. du rite 3. ----------Pl. 1. wir riten 2. ir ritet 3. si riten

Sg.1. ich rite 2. du ritest 3. er ritePl. 1. wir riten 2. ir ritet 3. si riten

Part.Prät geriten Part. Prät. geriten

z. B.: Verb der 1. Ablautreihe grîfen

1 2 3 4grîfen greif griffen gegriffen

Präsens Präteritum Part. Prät.Indikativ Konjunktiv Indikativ Konjunktiv

Sg.1.2.3.Pl.1.2.3.

ich grîfedu grîfester grîfet wir grîfenir grîfetsi grîfent

ich grîfedu grîfester grîfewir grîfenir grîfetsi grîfen

ich greifdu griffeer greifwir griffenir griffetsi griffen

ich griffedu griffester griffewir griffenir griffetsi griffen

gegriffen

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Paradigmen zur Flexion der starken Verben

Nur vom ahd. Paradigma her sind die mhd. und z.T. auch die nhd. Vokalveränderungen zu verstehen:

PRÄSENSIndikativ Konjunktiv

mhd. ahd. mhd. ahd. mhd. ahd. mhd. ahd.Sg. 1. gibe gibu biuge biugu gëbe gëbe biege bioge 2. gibest gibis(t) biugest biugis(t) gëbest gëbês biegest biogês 3. gibet gibit biuget biugit gëbe gëbe biege biogePl. 1. gëben gëbamês biegen biogamês gëben gëbên biegen biogên 2. gëbet gëbet bieget bioget gëbet gëbet bieget biogêt 3. gëbent gëbant biegent biogant gëben gëbên biegen biogên

PRÄTERITUMIndikativ Konjunktiv

mhd. ahd. mhd. ahd. mhd. ahd. mhd. ahd.Sg. 1. gap gab bouc boug gæbe gâbi büge bugi 2. gæbe gâbi büge bugi gæbest gâbîs bügest bugîs 3. gap gab bouc boug gæbe gâbi büge bugiPl. 1 gâben gâbum bugen bugum gæben gâbim bügen bugîm 2. gâbet gâbet buget bugut gæbet gâbît büget bugît 3. gâben gâbun bugen bugun gæben gâbîn bügen bugîn

Imperativmhd. ahd. mhd. ahd.

Sg. 2. gip gib biuc biugPl. 1. gëben gëbames biegen biogamês 2. gëbet gëbet bieget bioget (-at)

Infinitivgëben gëban biegen biogan

GerundiumGen. gëbennes gëbannes biegennes biogannesDat.. gëbenne gëbanne biegenne bioganne

Partizipium Präsensgëbende gëbanti biegende bioganti

Partizipium Präteritumgegëben gigëban gebogen gibogan

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2.1.3.4. Lautwechselerscheinungen in den Ablautreihen

a) Konsonantenwechsel - der „Grammatische Wechsel“

Als „Grammatischen Wechsel“ (GW) bezeichnet man im Mhd. die Alternanzen

h - g, d - t, f/v - b, s - rz. B.: mhd.: zôch - zugen, snîde - sniten, dürfen - darben, kôs - kurn, nhd.: ziehen - gezogen, schneiden - geschnitten, dürfen - darben, kiesen - erkoren,

in Wörtern oder Wortformen gleichen Stammes.

Dieser Wechsel ist im Mhd. vielfach schon ausgeglichen, noch mehr im Nhd. Er zeigt sich bei wurzelverwandten Wörtern, bes. aber bei den verschiedenen Tempusformen der starken Verben. Der GW hat sprachhistorische Gründe und fußt in den idg. Akzentverhältnissen. Im Germ. ergibt sich aufgrund des Vernerschen Gesetzes ein synchronischer Wechsel zwischen stimmlosen und stimmhaften Reibelauten innerhalb von Wörtern oder Wortformen gleichen Stammes. Diesen germ. Alternanzen entsprechen infolge der lautlichen Entwicklung im Mhd. folgende Alternanzen:

Der im Idg. freie Wortakzent wechselte auch innerhalb der Flexionsformen. Die Wirkung des (akzentabhängigen) Vernerschen Gesetzes (VG) betrifft daher nur einen Teil der Flexionsformen, nämlich jene mit Endsilbenakzent:Präsens und Präteritum Singular hatten Wurzelbetonung - der Akzent lag daher vor dem stl.

Reibelaut und dieser blieb erhalten;Präteritum Plural und Partizip Flexionssilbenbetonung - mit Akzent auf der Folgesilbe, wodurch der

vorausliegende stl. Reibelaut zum sth. Reibelaut erweicht wurde.Daher wechseln innerhalb ein und desselben Paradigmas bzw. der Wortfamilie die Konsonanten = grammatischer Wechsel:

idg. Stammsilbenakzent im Präsens und im Präteritum Singular(= Stammformen 1 + 2 d. st.V.): Präsens + Prät. Sg. = ohne VG mhd.: h, d, f, s

idg. Endungsakzent im Plural des Präteritums und im Partizipium Präteritum(= Stammformen 3 + 4 d. st. V.): Prät. Pl. + Part. Prät. = mit VG mhd.: g, t, b, r

In Wörtern und Wortformen des gleichen Stammes ergibt sich daher mhd. und z. T. noch nhd. der Wechsel zwischen folgenden Konsonanten:

h : g ziehen - zugen (nhd. zogen) - gezogen, dazu zuc, zuges (‘Zug’); slahen - sluogen - geslagen; swëher ‘Schwiegervater’ - swâger

d : t snîden - sniten - gesniten; mîden - miten - gemiten; sëdel ‘Sitz’ - satelf : b Hefe - heben, dürfen - darben, verderben;

(häufig mhd. auch Doppelformen: wërven – wërben, heven - heben)s : r (<z) kiesen - kurn - gekorn, dazu kür (‘Kür’) und kosten; verliesen - verlurn - verloren, dazu

verlust; wësen - wâren – gewësen (im Part. Prät. ist hier Ausgleich erfolgt).

Mhd. > Nhd.:In der Konjugation der starken Verben ist der GW z. T. bis heute erkennbar, trotz Ausgleich und Analogiebildungen im Nhd.:

ohne VG mhd. ziehen - zôch nhd. ziehen - zog (Ausgleich vom Pl. her)mit VG mhd. zugen - gezogen nhd. zogen - gezogen

Auch nhd. z. T. noch innerhalb von Wortfamilien: Hefe - heben; gedeihen - gediegen

germ. X - g Þ - d f - b s - zmhd. h - g d - t f/v - b s - r

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b) Vokalwechselerscheinungen innerhalb der Ablautreihen

Abgesehen vom regelmäßigen Vokalwechsel zwischen Präsens und Präteritum aufgrund des Ablauts

(nhd. reiten - ritt) gibt es auch innerhalb der Präsens- bzw. Präteritalformen

Vokalwechselerscheinungen, sprachhistorisch bedingt durch die lautliche Umgebung. Wechsel der

Stammvokale tritt ein:

In den Präsensformen:

Sg. Ind. der Klassen II, IIIb, IV, V in der 2. 3. Sg. Präs. Ind. der Klassen VI und z. T. VII.

In den Präteritalformen: (2.P.Sg. Ind. richtet sich nach der 3. Stammform = Stammform des Pl. Prät. + Konj. Prät., + Umlaut: ich/er bant [= 1.+3.P.Sg.] - wir bunden [= Pl.], du bünde = 2.P.Sg.Ind., ich bünde etc. = Konj.)

in der 2. Pers. Sg. Ind. Prät. der Klassen II-VI im Konj. Prät. der Klassen II-VI

Übersicht über Vokalwechsel innerhalb der Ablautreihen

Präsens PräteritumSg.Präs.Ind. + Imp. Konj. Prät.

2. Pers. Sg. Ind. Prät.I - - - -IIa+b /ie/ - /iu/ giezen – giuze

bieten – biute/u/ - /ü/ (guzzen ‘sie gossen’)

du güzze ‘du gossest’ich güzze ‘ich gösse’

IIIa /u/ - /ü/ (sungen ‘sie sangen’)du sünge ‘du sangst’ich sünge ‘ich sänge’

IIIb /ë/ - /i/ hëlfen – hilfe /u/ - /ü/ (wir hulfen -’wir halfen’)du hülfe ‘du halfst’

IV /ë/ - /i/ nëmen – nimestëln - stil

/a/- /ae/ (wir nâmen - ‘wir nahmen’)du naeme -’du nahmst’du staele - ‘du stahlst’

V /ë/ - /i/ gëben - gibe /a/- /ae/ (wir gâben - ‘wir gaben’)du gaebe ‘du gabst’ich gaebe ‘ich gäbe’

VI /a/ - /e/(nur 2.+3.Sg. Ind. Präs.!)

du verst, er vert zu varn /uo/ - /üe/ (wir gruoben - ‘wir gruben’)du grüebe - ‘du grubst’

VII 2.+3.Sg. Ind. Präs. Wechsel möglich zwischen:/a/ - /e//â/ - /ae//ô/ - /œ//ou/ - /öu/

du raetest,er raetet/raet;du stœzest, er stœzet

Sprachhistorisch sind diese Vokalwechselerscheinungen zu differenzieren in Umlaut und Wechsel

bzw. Brechung des Wurzelvokals (vor /i, î, j/, vor /u/, vor /ë, a o ê/der Folgesilbe):

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a) Umlaut des Wurzelvokals

Alternanzen: a, â, o, ô, u, û // e, ä, ae, ö, œ, ü, iu

Umlaut, d. h. Palatalisierung velarer Vokale a, o, u vor /i, î, j/ der Folgesilbe betrifft nur die

Formen, die einen umlautfähigen Wurzelvokal haben und zugleich im Ahd. eine i-haltige

Endung aufweisen: Umlaut findet sich daher

im gesamten Konj. Prät. in der 2. Pers. Sg. Ind. Prät. der Klassen II-VI in der 2. 3. Sg. Präs. Ind. der Klassen VI und z. T. VII.

(Dazu kommen Ausnahmen in anderen Klassen).

b) Wechsel / Brechung des Wurzelvokals

Die Alternanzen /i/ - /ë/ sowie /iu/ - /ie/ ergeben sich aus den Folgevokalen, die im Ahd. noch

vorliegen, im Mhd. aber abgeschwächt sind: Vor /u/ und /i, î, j/ erscheint /i/ bzw. /iu/ (z. B.: ich gibe

< ahd. gibu), vor /ë, a, o, ê/ erscheint /ë/ bzw. /ie/ (z. B.: si gëbent < ahd. gëbant).

Mhd. Wurzelvokale Ahd. Vokale der FolgesilbeSg. Präs. Ind. /i/ bzw. /iu/ /u/, /i/Pl.Präs.Ind., Imp.Pl., Konj.Präs., Inf.,Part.Präs., Gerundium

/ë/ bzw. /ie/ /ë, a, o, ê/

Starke Verben mit

Infinitiv-Wurzelvokal /ë/ oder /ie/ (z. B. nëmen, gëben, hëlfen; bieten, giezen)

wechseln also im

Sg. Ind. Präs. und im Sg. Imp. zu /i/ bzw. /iu/(z.B. ich nime, du nimest, er nimet, nim; ich giuze):

Ind. Präs. Imperativmhd. ahd. mhd. ahd.

Sg. 1. giuz-e giuz-u2. giuz-e-st giuz-i-s(t) giuz giuz3. giuz-e-t giuz-i-tPl. 1. giez-e-n gioz-ê-m, -ê-n (-amês) giez-e-n gioz-ê-m, -ê-n (-amês)2. giez-e-t gioz-e-t giez-e-t gioz-e-t3. giez-e-nt gioz-a-nt

Wechsel Verbklasse Beispiele Nhd./ie/ - /iu/ II giezen – giuze

bieten - biute/ie/ in allen Formen des Präs. u. Imp. (aber vgl. noch Formen wie: kreucht, fleucht mhd. iu > nhd. eu)

/ë/ - /i/ IIIb hëlfen - hilfe(nicht für IIIa: binden, finden)

/e/ des Infinitivs steht im Pl. Präs.; /i/ im Sg. Präs. (hilfe, hilfst, hilft)

IV nëmen - nime und im Sg. Imp. (hilf).V gëben - gibe

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2.1.3.5. Die Ablautreihen I - VII I. Ablautreihe:

Ia rîten / rîte - reit - riten - geriten // î - ei - i - i

Ib lîhen / lîhe - lêch - lihen - gelihen // î - ê - i - i

Kennzeichen der Verben der 1. Ablautreihe: Präsensstamm: î. Präteritum Sg.: Ia: ei

Ib: ê (Verben mit Wurzel auf Vokal, germ. h oder w .15)Beispiele:Ia: schînen, schrîten, strîten, bîzen, flîzen, blîben, schrîben, trîben, pfîfen, nîgen, swîgen,

slîchen, strîchen.Ib: dîhen (gedeihen), rîhen (verbinden), sîhen, zîhen (zeihen)

Verben mit GW(= grammatischer Wechsel, s. u.):1) d - t: lîden - liten – geliten (Ia), so auch: brîden (flechten), mîden, nîden, rîden

(drehen), snîden.2) s - r: rîse – rirn (risen) – gerirn (gerisen) (Ia) (steigen, fallen)3) h - g: dîhen (gedeihen), rîhen (verbinden), sîhen, zîhen (zeihen), lîhen hat zumeist

keinen GW, z.T. aber im Part. Prät. g (geligen) (Ib).

II. Ablautreihe:

IIa biegen / biuge - bouc - bugen - gebogen // ie - ou - u -o

IIb bieten / biute - bôt - buten - geboten // ie - ô - u - o

Kennzeichen der Verben der 2. Ablautreihe: Präsensstamm (IIa/IIb): ie (Sg. Präs. iu)

iu vor wdrei Verben mit û : sûfen, sûgen, lûchen (schließen)

Präteritum Sg.: IIa: ouIIb: ô (Verben mit Wurzel t, d, s, z oder germ. h16)

Beispiele:IIa: klieben (spalten), schieben, stieben, sliefen (schlüpfen), triefen; fliegen, liegen (lügen),

triegen (trügen), smiegen (schmiegen); kriechen, riechen (rauchen, riechen).IIb: diezen (rauschen), verdriezen, sliezen, fliezen, giezen, (ge)niezen, schiezen, fliehen.

Verben mit GW:1) d - t: siude /sieden - suten – gesoten (IIb)2) h - g: ziehe /ziehen - zôch - zugen - gezogen (aber nicht: fliehen!) (IIb)3) s - r: kiuse / kiesen - kurn - gekorn; friesen (frieren), verliesen (verlieren), niesen

(IIb).

15 da im Vorahd. germ. ai vor r, w und germ. h zu ê wurde.16 da frühahd. germ. au vor Dentalen und vor germ. h zu ô wurde

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AR III, IV und V: Präsensvokal ë / i. Unterschiede in der wurzelschließenden Konsonanz.

III. Ablautreihe: Wurzel endet auf Nasal/Liquid + Konsonant

IIIa binden / binde - bant - bunden - gebunden // i - a - u - u

IIIb helfen / hilfe17 - half - hulfen - geholfen // e - a - u - o

Kennzeichen der Verben der 3. Ablautreihe: Präsensstamm: IIIa: i vor Nasalverbindung (nn, mm; n, m + anderer Konsonant)

IIIb: e vor Liquidverbindung (ll, rr; l, r + Konsonant) Part. Präteritum18: IIIa: u

IIIb: o

Beispiele:IIIa: brimmen (brummen), glimmen, grimmen (wüten), krimmen (kratzen), klimmen, limmen

(heulen), swimmen, rimpfen (rümpfen), brinnen (brennen), beginnen, entrinnen, sinnen, spinnen, slinden (schlingen), swinden, vinden, winden, dringen, klingen, gelingen, singen, springen, twingen (zwingen), sinken, trinken, winken.19

IIIb: bellen, gellen, hellen (hallen), gelten, schelten, smelzen, bevelhen, empfelhen, werden, sterben, verderben.

Verben mit GW (Wechsel schon im Präsens):1) d – t: vinden (Nebenform Pl. Prät. vunten), wërden (Pl. Prät. wurten, Part. Prät. worten).2) h - g: swelgen / swelhen (verschlucken)3) f- b: werben / werven (werben, sich bewegen), swerben (wirbeln).

AR IV und V: in der 3. Stufe langen Vokal 20.

IV. Ablautreihe: Wurzel endet auf einfachen Nasal/Liquid

IV nemen / nime - nam - nâmen - genomen // e - a - â -o

Kennzeichen der Verben der 4. Ablautreihe: Präsensstamm: e vor einfachem Nasal, vor ch [h]21, vor (z.T. auch nach)

einfachem Liquidlaut.

Beispiele:quemen (kommen), zemen (ziemen), queln (Qual leiden), steln, bern (tragen), swern (schwären), leschen (erlöschen), vlehten, treffen, brechen, sprechen, stechen, schrecken (erschrecken), dehsen ([Flachs] schwingen), vehten.

17 Md. steht 1.P.Sg.Präs.Ind. e statt i: ich helfe.18 Es heißt binden helfen, und gebunden geholfen weil die Verbindung Nasal+Konsonant den a-Umlaut i>e, u>o verhinderte19 Doppelkonsonanz wird im Auslaut vereinfacht, deshalb Sg. Prät. bram, entran etc20 Dehnstufe statt der Schwundstufe21 < germ. h

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V. Ablautreihe: Wurzel auf einfachen Konsonanten (kein Nasal/Liquid)

V gëben / gibe - gap - gâben - gegëben // ë - a - â - ë

Kennzeichen der Verben der 5. Ablautreihe: Präsensstamm: e (auch im Part. Prät.) vor einfachem Konsonanten (d.h. vor

Verschlußlaut oder Spirans; nicht vor Nasal oder Liquid l, m, n, r, ch) bzw. vor Doppelkonsonanten22.

Beispiele:wëben, pflëgen, jëhen, geschëhen, sëhen, trëten, ezzen, vergezzen, vrezzen.

Verben mit GW:1) s - r: wësen (was wâren gewësen), jësen (gären), lësen, genësen.

Prät. Pl. immer: wâren, jâren; Ausgleichsformen zu genësen, lësen: lâsen, genâsen u. seltener lâren, genâren; Part. Prät.: gewësen, gejësen, gelësen (selten gelërn), genësen (selten genërn).

2) h - g: GW-Restformen zu sëhen: Pl. Prät. sâgen neben sâhen.

Zur AR V zählen auch drei sog. j-Präsentien - bitten, lig(g)en, sitzen:

Kennzeichen: i im ganzen PräsensDoppelkonsonanz bzw. Affrikata23.

Übrige Formen regelmäßig: bat bâten gebëtenlac lâgen gelëgensaz sâzen gesëzzen

VI. Ablautreihe:

VI tragen / trage - truoc - truogen - getragen // a - uo - uo -a

Kennzeichen der Verben der 6. Ablautreihe: Präsensstamm/Part. Prät: a Kein Vokalwechsel innerhalb des Präteritums (≠AR 1-5)

Beispiele: maln (mahlen), varn, laden (beladen), waschen, graben, schaffen, nagen, tragen, slahen (schlagen), twahen (waschen), wahsen.

Zur AR VI zählen auch die j-Präsentien (heven) heben, entseben (wahrnehmen), swern (schwören), schepfen:

Kennzeichen: e (Umlaut des Wurzelvokals) im gesamten Präsens.Übrige Formen regelmäßig: huop huoben erhaben

entsuop entsuoben entsabenswuor swuoren geswarn (meist aber gesworn nach AR IV) schepfen schuof schuofen geschaffen

Verben mit GW:1) h - g: slahe sluoc sluogen geslagen, ebenso bei twahen waschen; das g ist aus dem

Plur. des Prät. in den Sing. eingedrungen (sluog>sluoc), da die Übereinstimmung des Wurzelvokals auch die Angleichung des wurzelschließenden Kons. begünstigte.

2) f – b: entseben (häufig mit GW)

22 die durch die 2. Lautverschiebung entstanden sind.23 Folgen der westgerm. Konsonantendehung: Präsens urspr. mit ja-Thema gebildet, deshalb sind Gemination und Umlaut wirksam geworden.

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VII. Ablautreihe:

Kennzeichen der Verben der 7. Ablautreihe: Präsensstamm: a, â, ei, ou, ô, uo Präteritum: ie in allen Formen24

VIIa

halten - hielt - hielten - gehalten // a - ie - ie - arâten - riet - rieten - gerâten // â - ie - ie - âheizen - hiez - hiezen - geheizen // ei - ie - ie - ei

Kennzeichen: Präsensstamm: a vor ll, nn, l+Kons., n+Kons, â, ei 25

Beispiele:vallen, wallen (sieden), valten, schalten (schieben), spalten, walten, salzen, walzen, bannen; brâten, lâzen, blâsen, slâfen; scheiden, sweifen.

VIIb

loufen - lief - liefen - geloufen // ou - ie - ie - oustôzen - stiez - stiezen - gestôzen // ô - ie - ie -ôruofen - rief - riefen - geruofen // uo - ie - ie -uo

Kennzeichen: Präsensstamm: ou, ô, uo

Beispiele:houwen (hie/hiu - hiewen/hiuwen – gehouwen); schrôten (schneiden), bôzen (schlagen); wuofen (wehklagen).

24 Die Bildung der Präteritalformen erfolgte hier ursprünglich durch einfache Reduplikation (Rückdopplung) des wurzelanlautenden Konsonanten (z.B. got. haítan - Prät. haíhaít [héhait]) oder durch Reduplikation und Ablaut (z.B. got. lêtan - Prät. lailôt [lélôt]). In beiden Fällen erfolgte im As. und im Ahd. Kontraktion in den Präteritalformen; Ergebnis ist im Mhd. ie in allen Formen des Präteritums. Der Schwund der Reduplikationssilbe ergibt neue Wurzelvokale für das Präteritum, die sich von den Wurzelvokalen des Präsens unterscheiden; daher: im Ahd./Mhd. bilden diese Verben ihr Präteritum wie die ablautenden (Part. Prät. ebenfalls auf -en).25 diese Verben werden nhd. vielfach schwach flektiert.

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2.1.3.6. Übersicht über die AblautreihenAblautreihen I -III

STAMM-VOKALE

PARADIGMA KENNZEICHEN VOKALWECHSEL (BRECHUNG / UMLAUT)

I a î - ei - i - i rîten - reit - riten - geriten Sg. Prät. ei[ germ. ai>ei]

b î - ê - i - i lîhen - lêch - lihen - gelihen Sg. Prät. ê:Verben mit Wurzel auf w oder germ. h [ germ. ai>ê vor r, h, w]

II a ie - ou - u - o biegen - bouc - bugen - gebogen(biuge)

Sg. Prät. ou[ ahd. au > ou]

iu / ie(Präsens)

ü/u(Präteritum)

Präsens Ind. Sg. iu / Pl. ie:ich biute - wir bieten[Präs. Sg. ahd. Endungsvokale u (1.) und i (2.3.Sg., Imp.) ie ahd. eo>io>ie vor a, o eiu ahd. eu>iu vor i, u, j]

b ie - ô - u - o bieten - bôt - buten - geboten(biute)

Sg. Prät. ô:vor Dentalen (d, t, z, s) und germ. h[ ahd. au>ô vor Dentalen und h]

Präteritum Indikativ 2. Sg. ü / Pl. -u:du büte/wir buten [=Umlaut i der Endung](Sg. 1., 3. ou, ô - ich, er bouc, bôt)Präteritum Konjunktiv: ü Sg.1.+3. büte, 2. bütest, Pl.1.+3. büten, 2. bütet [=Umlaut i der Endung]

III a i - a - u - u binden - bant - bunden - gebunden Nasal + Konsonant(nn, mm, n + K., m + K.)

ü/u(Präteritum)[i im Präsens ahd. e>i vor i, j, u, Nasalverbindung (binden)]

Präteritum Indikativ 2. Sg. ü / Pl. -u:du bünde/wir bunden [=Umlaut i der Endung](Sg. 1., 3. a - ich, er bant)Präteritum Konjunktiv: üSg.1.+3. bünde, 2. bündest, Pl.1.+3. bünden, 2. bündet[=Umlaut i der Endung]

b e - a - u - o helfen - half - hulfen - geholfen(hilfe)

Liquid + Konsonant(ll, rr, l + K. , r + K.)

i/ë(Präsens)

ü/u(Präteritum)

Präsens Ind. Sg. i / Pl. ë:ich hilfe wir hëlfen[Präs. Sg. ahd. Endungsvokale u (1.) und i (2.3.Sg., Imp.) i ahd. e>i vor i, j, u]Präteritum Indikativ 2. Sg. - ü:du hülfe/ wir hulfen(Pl. -u / Sg. 1., 3. a - ich, er half; wie binden)Präteritum Konjunktiv: üSg.1.+3. hülfe, 2. hülfest, Pl.1.+3. hülfen, 2.hülfet (wie binden)

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ABLAUTREIHEN IV -VI

STAMM-VOKALE

PARADIGMA KENNZEICHEN VOKALWECHSEL (BRECHUNG /UMLAUT)

IV e - a - â - o nëmen - nam - nâmen – genomen(nime)stëln - stal - stâlen – gestoln(stil)sprëchen - sprach – sprâchen - gesprochen(spriche)

einf. Nasal oder Liquid nach bzw. vor dem Wurzelvokal (m, n, l, r + V.; V. + m, n, l, r) undVerben auf -ch(sprëchen, stëchen, vëhten)

i/ë(Präsens)

æ(Präteritum)

Präsens Ind. Sg. i / Pl.- ë:ich nime wir nëmen[Präs. Sg. ahd. Endungsvokale u (1.) und i (2.3.Sg., Imp.)]Präteritum Indikativ 2. Sg. æ:du næme/stæle [=Umlaut i der Endung](Sg. 1., 3. + Pl. a - ich nam/ich stal)Präteritum Konjunktiv æ:Sg.1.+3. næme/stæle, 2. næmest/stælest, Pl.1.+3. næmen/stælen, 2. næmet/stælet [=Umlaut i der Endung]

V ë - a - â - ë gëben -gap - gâben – gegëben(gibe)

Verschlußlaut oder Spirans: Wurzel schließt mit anderem Kons. als Nasal oder Liquid.1. = 4. Ablautstufe (ë)

i/ë(Präsens)

æ(Präteritum)

Präsens Ind. Sg. i / Pl. ë:ich gibe wir gëben[Präs. Sg. ahd. Endungsvokale u (1.) und i (2.3.Sg., Imp.)]Präteritum Indikativ 2. Sg. æ:du gæbe [=Umlaut i der Endung](Sg. 1. + Pl. a - ich gap)Präteritum Konjunktiv æ:Sg.1.+3. gæbe, 2. gæbest, Pl.1.+3. gæben, 2. gæbet[=Umlaut i der Endung]

VI a - uo - uo - a graben - gruop - gruoben - gegraben 1. = 4. Ablautstufe (a)2. = 3. Ablautstufe (uo)

e/a(Präsens)

üe(Präteritum)

Präsens Ind. Sg. 2.+3. - e / Sg. 1. + Pl. -a:ich grabe, wir graben du grebest, er grebet; ich var, wir varn du verst, er vert[=Umlaut]Präteritum Indikativ 2. Sg. - üe:du grüebe [=Umlaut i der Endung](Sg. 1. + Pl. uo - ich gruop)Präteritum Konjunktiv: üeSg.1.+3. grüebe, 2. grüebest, Pl.1.+3. grüeben, 2. grüebet[=Umlaut i der Endung]

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Ablautreihe VIISTAMM-VOKALE

PARADIGMA KENNZEICHEN VOKALWECHSEL (BRECHUNG /UMLAUT)

VII a a - ie - ie -a halten - hielt - hielten - gehalten 1. = 4. Ablautstufe

a e/a(Präsens)

Präsens Ind. Sg. 2+3.:Umlaut kann eintreten - e/ahaltet/heltet; bannet/bennet

â - ie - ie -â râten - riet - rieten - gerâten VIIa: â æ/â(Präsens)

Präsens Ind. Sg. 2+3.:Umlaut kann eintreten – æ/ârætest/rætet; slæfest/slæfet

ei - ie - ie -ei heizen - hiez - hiezen – geheizen Präteritum:ie

a - â - ei ei

b ou - ie - ie - ou loufen - lief - liefen – geloufen (2.=3. Ablautstufe)

VIIb: ou œ/ô(Präsens)

Präsens Ind. Sg. 2+3.:Umlaut kann eintreten öu/ouloufet/löufet

ô- ie - ie - ô stôzen - stiez - stiezen - gestôzen ou - ô - uo ô öu/ou(Präsens)

Präsens Ind. Sg. 2+3.:Umlaut kann eintreten œ/ôstœzest, stœzet

uo - ie - ie -ô ruofen - rief - riefen - geruofen uo

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2.1.3.7. Tabelle zur Flexion der starken VerbenI II III IV V VI

INFINITIVgrîfen lîden dîhen biegen bieten kiesen binden helfen nëmen stëln gëben lësen bitten graben slahen

PRÄSENS – INDIKATIVSg.1. grîfe lîde dîhe biuge biute kiuse binde hilfe nime stil gibe lise bitte grabe slahe2. grîfest lîdest dîhest biugest biutest kiusest bindest hilfest nimest stilst gibest lisest bitest grebest slehest3. grîfet lîdet dîhet biuget biutet kiuset bindet hilfet nimet stilt gibet liset bitet grebet slehetPl.1. grîfen lîden dîhen biegen bieten kiesen binden hëlfen nëmen stëln gëben lësen bitten graben slahen2. grîfet lîdet dîhet bieget bietet kieset bindet hëlfet nëmet stëlt gëbet lëset bittet grabet slahet3. grîfent lîdent dîhent biegent bietent kiesent bindent hëlfent nëment stëlnt gëbent lësent bittent grabent slahent

PRÄSENS – KONJUNKTIVSg.1. grîfe lîde dîhe biege biete kiese binde hëlfe nëme stël gëbe lëse bitte grabe slahe2. grîfest lîdest dîhest biegest bietest kiesest bindest hëlfest nëmest stëlst gëbest lësest bittest grabest slahest3. grîfe lîde dîhe biege biete kiese binde hëlfe nëme stël gëbe lëse bitte grabe slahePl.1. grîfen lîden dîhen biegen bieten kiesen binden hëlfen nëmen stëln gëben lësen bitten graben slahen2. grîfet lîdet dîhet bieget bietet kieset bindet hëlfet nëmet stëlt gëbet lëset bittet grabet slahet3. grîfen lîden dîhen biegen bieten kiesen binden hëlfen nëmen stëln gëben lësen bitten graben slahen

IMPERATIVSg.2 grîf lît dîch biuc biut kius bint hilf nim stil gip lis bite grap slachPl.1. grîfen lîden dîhen biegen bieten kiesen binden hëlfen nëmen stëln gëben lësen bitten graben slahen2. grîfet lîden dîhet bieget bietet kieset bindet hëlfet nëmet stëlt gëbet lëset bittet grabet slahet

PARTIZIPIUMgrîfende lîdende dîhende biegende bietende kiesende bindende hëlfende nëmende stëlnde gëbende lësende bittende grabende slahende

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I II III IV V VIPRÄTERITUM INDIKATIV

Sg.1. greif leit dêch bouc bôt kôs bant half nam stal gap was bat gruop sluoc2. griffe lite dige büge büte kür(e) bünde hülfe næme stæle gæbe wære bæte grüebe slüege3. greif leit dêch bouc bôt kôs bant half nam stal gap was bat gruop sluocPl.1 griffen liten digen bugen buten kur(e)n bunden hulfen nâmen stâlen gâben wâren bâten gruobe

nsluogen

2. griffet litet diget buget butet kur(e)t bundet hulfet nâmet stâlet gâbet wâret bâtet gruobet sluoget3. griffen liten digen bugen buten kur(e)n bunden hulfen nâmen stâlen gâben wâren bâten gruobe

nsluogen

PRÄTERITUM KONJUNKTIVSg.1. griffe lite dige büge büte kür(e) bünde hülfe næme stæle gæbe wære bæte grüebe slüege2. griffest litest digest bügest bütest kür(e)st bündest hülfest næmest stælest gæbest wærest bætest grüebe

stslüegest

3. griffe lite dige büge büte kür(e) bünde hülfe næme stæle gæbe wære bæte grüebe slüegePl.1. griffen liten digen bügen büten kür(e)n bünden hülfen næmen stælen gæben wæren bæten grüebe

nslüegen

2. griffet litet diget büget bütet kür(e)t bündet hülfet næmet stælet gæbet wæret bætet grüebet slüeget3. griffen liten digen bügen büten kür(e)n bünden hülfen næmen stælen gæben wæren bæten grüebe

nslüegen

PARTIZIPIUM PRÄTERITUMgegriffen

geliten

gedigen

gebogen

geboten

gekorn gebunden

geholfen

genomen

gestoln gegëben gewësen

gebëten

gegraben

geslagen

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VII a VII bINFINITIV

halten râten heizen loufen stôzen ruofenPRÄSENS INDIKATIV

Sg.1. halte râte heize loufe stôze ruofe2. haltest (heltest) râtest (rætest) heizest loufest (löufest) stôzest (stœzest) ruofest3. haltet (heltet) râtet (rætet) heizet loufet (löufet) stôzet (stœzet) ruofetPl.1. halten râten heizen loufen stôzen ruofen2. haltet râtet heizet loufet stôzet ruofet3. haltent râtent heizent loufent stôzent ruofent

PRÄSENS-KONJUNKTIVSg.1. halte râte heize loufe stôze ruofe2. haltest râtest heizest loufest stôzest ruofest3. halte râte heize loufe stôze ruofePl.1. halten râten heizen loufen stôzen ruofen2. haltet râtet heizet loufet stôzet ruofet3. halten râten heizen loufen stôzen ruofen

IMPERATIVSg.2. halt rât heiz louf stôz ruofPl.1. halten râten heizen loufen stôzen ruofen2. haltet râtet heizet loufet stôzet ruofet

Partizipium Präsenshaltende râtende heizende loufende stôzende ruofende

PRÄTERITUM INDIKATIVSg.1. hielt riet hiez lief stiez rief2. hielte riete hieze liefe stieze riefe3. hielt riet hiez lief stiez riefPl.1. hielten rieten hiezen liefen stiezen riefen2. hieltet rietet hiezet liefet stiezet riefet3. hielten rieten hiezen liefen stiezen riefen

PRÄTERITUM KONJUNKTIVSg.1. hielte riete hieze liefe stieze riefe2. hieltest rietest hiezest liefest stiezest riefest3. hielte riete hieze liefe stieze riefePl.1. hielten rieten hiezen liefen stiezen riefen2. hieltet rietet hiezet liefet stiezet riefet3. hielten rieten hiezen liefen stiezen riefen

PARTIZIPIUM PRÄTERITUMgehalten gerâten geheizen geloufen gestôzen geruofen

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2.1.3.8. Zur Ermittlung des Stammvokals der Infinitivform und der Ablautreihe starker Verben

1. Ermittlung des Infinitivvokals und der Ablautreihe vom Präsensstamm aus

Präsensstamm Infinitiv Klasseî (dîhen) î (grîfen, dîhen) Ia, Ibie (biegen) ie (biegen, bieten) IIa, IIbi (binden) i (binden) IIIae (helfen) e (helfen, nemen, geben) IIIb, IV, Va (graben) a (graben, halten) VI, VIIâ (râten) â (râten) VIIei (heizen) ei (heizen) VIIou (loufen) ou (loufen) VIIuo (ruofen) uo (ruofen) VIIô (stôzen) ô (stôzen) VII

2. Ermittlung des Infinitivvokals und der Ablautreihe vom 1. Präteritalstamm aus

Prät. (1)-Stamm Infinitiv Klasseei (greif) î (grîfen, dîhen) Ia, Ibê (dêch)ou (bouc) ie (biegen, bieten) IIa, IIbô (bôt)a (bant, half) i (binden) IIIa

e (helfen, nemen, geben) IIIb, IV, Vuo (gruop) a (graben) VIie (hielt, riet) a, â, ei, ou, uo ô VII

3. Ermittlung des Infinitivvokals und der Ablautreihe vom 2. Präteritalstamm aus

Prät. (2) -Stamm Infinitiv Klassei (griffen, riten) î (grîfen, dîhen) Ia, Ibu (bugen, hulfen) ie (biegen, bieten) IIa, IIb

i (binden) IIIae (helfen) IIIb

â (nâmen, gâben) e (nemen, geben) IV, Vuo (gruoben) a (graben) VIie (hielten, rieten) a, â, ei, ou, uo, ô VII

4. Ermittlung des Infinitvvokals und der Ablautreihe vom Partizip II aus

Part. II-Stamm Infinitiv Klassei (gegriffen, gedigen) î (grîfen, dîhen) Ia, Ibu (gebunden) i (binden) IIIao (gebogen, geholfen) ie (biegen, bieten) IIa, IIb

e (helfen, nemen) IIIb, IVe (gegeben) e (geben) Va (gegraben, gehalten) a (graben, halten) VI, VIIâ (gerâten) â (râten)ei (geheizen) ei (heizen)ou (geloufen) ou (loufen) VIIuo (geruofen) uo (ruofen)ô (gestôzen) ô (stozen)(Aus: J. SINGER, Grundzüge einer rezeptiven Grammatik des Mittelhochdeutschen. Paderborn / München / Wien /

Zürich 1996, S. 261-265)

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2.1.3.9. Übungen: Starke Verben

A. Zu den Ablautreihen 1-3

1) Erläutern Sie die Ursache für den unterschiedlichen Stammvokal im Part. Prät. an dem Beispiel geholfen -

gebunden!

2) Bestimmen Sie die Ablautreihen der folgenden Infinitive und geben Sie die Stammformen an!

1. sliefen 5. snîden

2. trinken 6. dîhen

3. smiegen 7. mîden

4. ziehen 8. gelten

9. zîhen 13. verderben

10. sieden 14. schînen

11. swinden 15. riechen

12. klieben 16. werben

3) Wie heißt der Infinitiv der folgenden mhd. Präteritalformen? Geben Sie die Ablautreihen an!

1. er streit 9. gebliben

2. si lêch 10. wir rigen

3. gesigen 11. geschoben

4. er kloup 12. du rüche

5. ez flôz 13. gekorn

6. si güzzen 14. ez swant

7. wir schulten 15. si brunnen

8. er swal 16. wir griffen

B. Zu den Ablautreihen 4-7:

1) Bestimmen Sie die Ablautreihen der folgenden Infinitive und geben Sie die Stammformen an!

1. steln 9. wesen

2. scheiden 10. graben

3. tragen 11. halten

4. lesen 12. bannen

5. quêln 13. jehen

6. sitzen 14. maln

7. râten 15. heben

8. swern 16. treten

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2) Wie heißt der Infinitiv der folgenden mhd. Präteritalformen? Geben Sie die Ablautreihen an!

1. getreten 9. si liefe

2. er næme 10. gesworn

3. wir brâchen 11. genesen

4. si wâren 12. si zâmen

5. wir sluogen 13. gehouwen

6. gesprochen 14. er briet

7. si âzen 15. er luot

8. du trüegest 16. geheizen

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2.1.4. Besondere Verben

Präterito-PräsentienAls Präterito-Präsentien bezeichnet man eine kleine Gruppe von 9 ursprünglich starken Verben:

durfen, dürfen (bedurfen/bedürfen) suln, sülngunnen, günnen (erbunnen, verbunnen) tugen, tügenkunnen, künnen turren, türrenmugen, mügen wizzenmuozen, müezen

Ihre Bedeutung weicht im Nhd. z.T. erheblich gegenüber dem Mhd. ab:

kunnen, künnen durfen, dürfen suln, süln mugen, mügen müezen

mhd.

Bedeutungen ‘wissen, verstehen’ ‘können, vermögen’

‘müssen, brauchen, bedürfen’ ‘können, dürfen’

‘müssen, etw. schuldig sein’ ‘müssen’

‘(physisch) können, imstande sein’

‘können, dürfen, müssen’

Umschreibungvon:

- Futur- Imperativ

- Futur- Wunsch

nhd. ‘können’ (=wissen, verstehen, imstande sein etc.)

‘dürfen’ (=erlaubt sein)

‘sollen’ ‘mögen’ (=wollen)

‘müssen’

„Präterito-Präsentien“ - Definition:

Diese Gruppe von Verben hat ihr ursprüngliches Präsens verloren, ihre Präteritalform hat Präsensbedeutung angenommen. Aus der Ablautstufe des Plural bilden die Prät. Präs. einen neuen Infinitiv und ein neues schwaches Präteritum, dessen Konjunktiv z.T. Umlaut aufweist. Damit stehen sie zwischen den starken und schwachen Verben als Mischklasse.

Formal sind die Prät.-Präs. als Präteritalformen gekennzeichnet durch: Ablaut zwischen Sg. u. Pl. Präs. (entsprechend dem Prät. der st. Verben):

weiz - wizzen = reit - riten (I)darf - durfen = warf - wurfen (III)

Endungslosigkeit der 1. + 3. Sg. Präs. (entsprechend dem Prät. der st. Verben):ich/er darf = ich/er warf ( Präs. ich wirfe, er wirfet)

Flexion:

Die Präsensflexion unterscheidet sich nur wenig von der des Prät. der st. Verben:

Plural (entspricht dem Infinitiv) zeigt z. T. Umlaut (dürfen, künnen).

2. Sg . auf -t bzw. -st (du solt, du darft, du kanst).

Die Partizipien werden aus der Pluralwurzel gebildet, das Partizipium Prät. z. T. stark:

Part. Präs. wizzende (< Pl. wizzen), Part. Prät. gewist, gewest;

bei gunnen: gunnende - gegunnen und gegunnet (auch gegunst).

Dazu noch: bedorft zu durfen / dürfen.

Das Präteritum wird bei den Prät.-Präs. neu gebildet, und zwar durch Anhängen von -t (d) , dem

Kennzeichen der schwachen Präteritalendung, ohne Bindevokal an die Pluralwurzel:

kan - Pl. kunnen - Prät. kunde.

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Zuordnung zu den Ablautreihen:

Nach den Ablautverhältnissen im Präsens (d. h. den Formen des germ. Präteritums) lassen sich die

Prät. Präs. den ersten 6 Klassen / Ablautreihen der st. Verben zuordnen, dabei ist in der IV. und

V. Ablautreihe der Plural Präs. allerdings ein u - suln, mugen (analog zur Schwundstufe der III.

Ablautreihe - bunden, hulfen - und abweichend von den st. Verben, die hier ein dehnstufiges â

zeigen - nâmen, gâben).

I. Ablautreihe wizzen ‘wissen’II. Ablautreihe tugen, tügen ‘helfen, nützen, brauchbar sein , taugen’III. Ablautreihe gunnen

Wie gunnen:erbunnen, verbunnen

‘gönnen, erlauben, gern sehen an jem.’ (mhd. auf etwas Zukünftiges bezogen)

‘beneiden, mißgönnen’kunnen, künnen urspr. ‘wissen, verstehen, (geistig) können’, doch auch

mhd. schon ‘können, vermögen’durfen, dürfen

Wie durfen, dürfen:bedurfen, bedürfen;Part. Prät. bedorft (Part. Prät. nur von bedurfen gebildet)

urspr. Notwendigkeit, Erfordernis gemeint:‘bedürfen, brauchen’.Mhd. Wandlung zu ‘können, dürfen’.

turren, türren ‘wagen, sich (ge)trauen’IV. Ablautreihe suln, süln. ‘müssen, verpflichtet sein, (etw.) schuldig sein, sollen’;

bezeichnet urspr. die Notwendigkeit oder Erfordernis einer Handlung, in Abhängigkeit von Normen, nicht vom personalen Subjekt bestimmt; doch bereits mhd. häufig ins Subjekt verlagert.Gelegentlich als Hilfsverb zur Umschreibung des Futurs und des Imperativs verwendet

V. Ablautreihe mugen, mügen Bedeutung fast immer ‘(physisch) können, imstande sein’ (bis Frnhd.)

VI. Ablautreihe müezen. urspr. ‘sollen, müssen, können, mögen, dürfen’, dann ‘müssen’, die Notwendigkeit einer Handlung meinend; mhd.: beide Verwendungsweisen, sowie als Hilfsverb zur Umschreibung des Futurs und als Ausdruck eines Wunsches verwendet

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Tabelle zur Flexion der Präterito-Präsentien

I. II. III. IV. V. VI.PRÄSENS

Infinitivwizzen eigen tugen, tügen gunnen, günnen kunnen, künnen durfen, dürfen turren, türren suln, süln mugen, mügen müezen

IndikativSg. 1.+3.

weiz - touc gan kann darf tar sol, (sal) mac muoz

2. weist - ganst kanst darft tarst solt maht muostPl. 1.+3.

wizzen eigen tugen, tügen gunnen, günnen kunnen, künnen durfen, dürfen turren, türren suln, süln mugen, mügenmagen, megen

müezen

2. wizzet - gunnet, günnet kunnet, künnet durfet, dürfet sult, sült muget, müget müezetKonjunktiv

Sg. 1.+3.

wizze eige tuge, tüge gunne, günne kunne, künne durfe, dürfe turre, türre sul, sül muge, müge müeze

2. wizzest - etc. gunnest, günnest kunnest, künnest durfest, dürfest etc. sulst, sülst mugest, mügest müezestPl. 1.+3.

wizzen - gunnen, günnen kunnen, künnen durfen, dürfen sulen, sülen mugen, mügen müezen

2. wizzet - gunnet, günnet kunnet, künnet durfet, dürfet sulet, sület muget, müget müezetPRÄTERITUM

IndikativSg. 1.+3.

wisse, wesse, wiste, weste

- tohte gunde (gonde) kunde (konde) dorfte torste solde, solte mahte, mohte muose, muoste

2. wissest, wessest, wistest, westest

- etc. gundest (gondest) kundest (kondest) dorftest etc. soldest, soltest

mahtest, mohtest muosest, muostest

Pl. 1.+3.

wissen, wessen, wisten, westen

- gunden (gonden) kunden (konden) dorften solden, solten mahten, mohten muosen, muosten

2. wisset, wesset, wistet, westet

- gundet (gondet) kundet (kondet) dorftet soldet, soltet mahtet, mohtet muoset, muostet

KonjunktivSg. 1.+3.

- töhte günde, gunde künde, kunde dörfte törste sölde, solte mähte, möhte müese, müeste

2. wie - etc. gündest, gundest kündest, kundest dörftest etc. söldest, soltest

mähtest, möhtest müesest, müestest

Pl. 1.+3.

Prät. - günden, gunden künden, kunden dörften sölden, solten mähten, möhten müesen, müesten

2. Ind. - gündet, gundet kündet, kundet dörftet söldet, soltet mähtet, möhtet müeset, müestetPartizipium Präteritum

gewist, gewest eigen gegunnen, gegunnet bedorft

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2.1.4.2. wellen ‘wollen’Den Indikativformen dieses Verbs liegen ursprüngliche Konjunktivformen zugrunde; aus der Wurzel

des Plurals und nach Art der schwachen jan-Verben wurde ein neuer Konjunktiv gebildet.

Präsens:

Sg. Präs. Ind. wil alter Optativ Stamm *wël Pluralform wellen germ *waljan > ahd. wellen (Gemination und Umlaut),

gilt für Plural und Konjunktiv flektieren schwach.

Präteritum:

von der Pl.-Wurzel schwach gebildet :

germ. *walda > ahd. wolta > mhd. wolte (Umlaut war nicht möglich, a wurde zwischen w und l zu o umgefärbt).

INFINITIVwellen

PRÄSENSIndikativ Konjunktiv

Sg. 1. wil(e) welle2. wil(e), wilt wellest3. wil(e) wellePl. 1. wellen (weln) wellen2. wellet (welt) wellet3. wellen(t), (welnt) wellen

Part. Präsenswellende

PRÄTERITUMIndikativ Konjunktiv

wolte, wolde wolte, woldePart. Prät.

gewellet, gewellt; gewöllet, gewölt

wellen unterscheidet sich von den Prät. Präs. durch den

Präsens-Vokal i - ich wil(wie ich stil; ich stal, oder ich darf = Prät.-Präs. = Prät. Stamm nëmen - nam).

wellen ist als alter Optativ unterschieden von den Indikativformen:3. P. Sg. ohne -t - er wil ( er stilt).

Mhd. > Nhd.:

wellen hat mhd. mit wenigen Ausnahmen die gleiche Bedeutung wie nhd. , wird auch zur Umschreibung des Futurs eingesetzt.

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2.1.4.3. Wurzelverbentuon gân / gên

sîn stân / stên

Kennzeichen: athematische Bildung der Präsensformen (daher auch: athematische Verben). Die Endung tritt unmittelbar an die verbale Wurzel,vgl. Inf. mhd. tuo-n, gâ-n, stâ-n, sî-n.

Grundsätzlich sind alle Präsensformen dieser Verben einsilbig.

tuon

Präsens PräteritumIndikativ Konjunktiv Indikativ Konjunktiv

Sg. 1. tuon tuo tët(e) tæte2. tuost tuost tæte tætest3. tuot tuo tët(e) tætePl. 1. tuon tuon tâten tæten2. tuot tuot tâtet tætet3. tuont tuon tâten tætenImperativ Sg. tuo Part. Präs. tuonde

Pl. 1. tuon Part. Prät. getân 2. tuot

gân / gên und stân / stên

Beide Verben flektieren im Präs. völlig gleich; im Präteritum flektiert gân wie ein Verb der VII.,

stân wie ein Verb der VI. AR.

Präsens PräteritumIndikativ Konjunktiv Indikativ Konjunktiv

Sg. 1. gân, gênstân, stên

gê, gâstâ, stê

gienc, giestuont

giengestüende

2. gâst, gêststâst, stêst

gêst, gâststâst, stêst

giengestüende

giengeststüendest

3. gât, gêtstât, stêt

gê, gâstâ, stê

gienc, giestuont

giengestüende

Pl. 1. gân, gênstân, stên

gênstên

giengenstuonden

giengenstüenden

2. gât, gêtstât, stêt

gêtstêt

giengetstuondet

giengetstüendet

3. gânt, gêntstânt, stênt

gênstên

giengenstuonden

giengenstüenden

Inf. gân, gên; stân, stên Part. Präs. gânde, gênde; stânde, stêndeImp. gâ, gê, ganc; stâ, stê, stant Part. Prät.: gegangen, gegân; gestanden, gestân

Zur Herkunft der Formen:Beide Verben werden aus zwei verschiedenen Stämmen gebildet:

1) Stamm eines ahd. st. Verbs (gangan, stantan) 2) Stamm eines Wurzelpräsens (gân/gên, stân/stên)

Im Mhd. kommen im Präsens nur die Kurzformen gân / gên, stân / stên vor, gangan und stantan dagegen gar nicht, mit Ausnahme des Imperativs und der alem. Konjunktivform gange.

Alle Präteritalformen dagegen werden von gangan und stantan gebildet; gie, gegân; gestân sind erst im Mhd. aufgekommen.

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sîn

Präsenssîn, wësen

Präteritumnur wësen (V. AR, gW)

Indikativ Konjunktiv Indikativ KonjunktivSg. 1. bin sî (wëse) was wære2. bist sist (wësest) wære wærest3. ist sî /wëse) was wærePl. 1. birn, sîn, md. sint sîn (wësen) wâren wæren2. birt, sît sît (wëset) wâret wæret3. sint, md. sîn sîn (wësen) wâren wærenInf. wësen, sîn Imp. Sg. wis, bis; Pl. wëset, sîtPart. Präs. wësende, sînde Part. Prät. gewësen bair., md. (gesîn = alem., gewëst = md., dann bair.)

1. Verbum substantivum, bezeichnet das Dasein, die Existenz: er ist = ‘er existiert’;2. Hilfsverb: er ist gegangen (Hilfsverb zur Tempuscharakteristik), er ist ein ritter (Hilfsverb als

Kopula).

Zur Herkunft der Formen:Die Flexionsformen werden aus 3 Wurzeln gebildet: 1. *es- in ahd. mhd. nhd. ist, lat est.

Schwundstufe dazu ist s: 3. Pl. Präs. s-int < idg. *s-énti und im Konj. s-î (î= Optativkennzeichen), nhd. sei.

2. *bheu, *bhû- (thematisches Verb), lat. futurus, fui, nhd. ich bin1. Sg. idg. *bheuo > germ *biu = ags. beo; im b der dt. Formen erhalten

3. *ues- = Wurzel des st. Verbs der V. AR wësen.

wësen gibt es noch im Ahd. als regelmäßiges st. Verb in allen Tempora. Im Präs. tritt es aber meist als Verbum subst. auf = ‘existieren, geschehen’, und es wird hier bald durch die mit * bhu - und * es - gebildeten Formen verdrängt.

Im Mhd. ist der Ind. Präs. von wësen nur noch vereinzelt belegt, im Konj. und im Imp. hielten sich dagegen die von wësen abgeleiteten Formen (vgl. gangan : gân, gên; stantan : stân, stên)Im Ind. Präs. ist in allen mit b anlautenden Formen eine Verbindung der Wurzeln * bhu - und * es - eingetreten: *bhu- liefert das b, *es- + Personalendung den übrigen Wortteil.

2.1.4.4. Kontrahierte Verben - hân, lânDiese Kontraktionen sind für das Mhd. charakteristisch. Sie setzen im 11. Jh. ein. Vorbild waren

dafür vielleicht gân neben gangan und die anderen Wurzelverben, und hân < haben, lân < lâzen

stimmen im Präs. auch völlig mit gân überein.

Kontrahierte und unkontrahierte Formen stehen in der Flexion nebeneinander:

kontrahierte Formen v.a. im Ind., Inf., Part.Präs.; häufig als Hilfsverb unkontrahierte Formen v.a. im Konj.Präs., Prät.;

häufig als ‘halten’ und im Konj.Präs. des Hilfsverbs.

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haben > hân

Präsens PräteritumIndikativ Konjunktiv Indikativ Konjunktiv

Sg. 1. hân habe hâte, hæte, hêt(e), hæt(e), hiet(e), hatte, heite

hæte, hæte, hete, hiete

2. hâst habest hâtest, hætest, hêtest etc. und auch hæte, hête, hiete etc.

3. hât habe hâte, hæte, hêt(e), hæt(e), hiet(e), hatte, heite

Pl. 1. hân haben2. hât habet3. hânt habenInf. hânPart. Prät. gehabet, gehapt, md. gehât, gehat

lâzen > lân

Kontrahierte Formen kommen schon seit dem 10. Jh. vor. Flexion wie gân , stân :

Präsens PräteritumIndikativ Konjunktiv Indikativ Konjunktiv

Sg. 1. lân (lâ) lâ liez, lie lieze2. lâst, læst lâst3. lât, læt lâPl. 1. lân lân liezen liezen2. lât lât3. lânt lânInf. lânImp. lâ, lâtPart. Prät. gelân

Andere Kontraktionen-h-:

hâhen > hân ‘hängen’, vâhen > vânPrät. hienc, vienc und in Analogie zu gie, auch hie und vie.

versmâhen > versmân, vlêhen > vlên, sëhen > sên ; slâhen > slân ‘schlagen’ etc.-agi-, -egi- > ei

sagit, sagis > segis, segit > seist; gesagit > geseitim Bair. auch -age- > -ei-:sagês, sagêt > seist, seit, gesagêt > geseit, klages, klaget > kleist, kleit, geklaget > gekleit etc.

-ige-, -ibe-, -ide-, -ege-, -ebe-, -ede- > î2.3.Sg. Präs. Ind > ei bei schw.Verben auch im Prät., Part. Prät.

ligen > lîst, lît; gëben > gîst, gît; sagen > seist

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2.1.4.5. Mischung starker und schwacher Konjugationbringen und beginnen (erkunnen, verkunnen) = starke Verben der III. AR mit Mischformen.

bringen

st. Präteritalformen (selten): branc - brungen

sw. Präteritalformen (häufiger):

1., 3. P. Sg. Prät. Ind. brâhte,2.P.Sg. braehte / brâhtestbraehte: Elemente st. u. sw. Konj. sind in dieser Form vereint:stark - die 2.P.Sg.Prät.Ind. endet auf e und weist Umlaut aufschwach - die Form ist mit Dentalsuffix gebildet.Pl. brâhten,Part.Prät. brâht (bringen ist perfektiv, daher Part.Prät. ohne ge-)

beginnen

Prät. Sg. st.: begansw.: begunde

Pl. Prät.nur sw.: begundenPart. Prät. st. / sw. begunnen, md. begunst, begonst.

erkunnen ‘kennenlernen’, verkunnen ‘nicht kennen, verzweifeln’

Part. Prät. sw.: er-, verkunnetPart.Prät. st.: er-, verkunnen

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2.1.4.6. Übungen: Besondere VerbenÜbersetzen Sie die folgenden nhd. Formen ins Mhd.

1. daß ich gehe 11. du kannst (mügen)

2. er wußte 12. ich tue

3. wir konnten (mügen) 13. wir konnten (kunnen)

4. ich gehe 14. daß er tue

5. du sollst (suln) 15. du darfst (durfen)

6. er wagte (turren) 16. ich habe

7. daß ich habe 17. er wollte

8. wir wollen 18. brauchst du? (durfen)

9. weißt du? 19. ich gönne

10. du willst 20. du bist

2.1.5. Übungen: Verben1) Wie heißt der Infinitiv der folgenden mhd. Präteritalformen?

1. er nerte 11. ich lief

2. er stiez 12. si biezen ‘schlagen’

3. si streich 13. wir verlur(e)n

4. wir slufen 14. si gelâgen

5. er schriet 15. si brunnen

6. si biten 16. er swüere

7. er hielte 17. si bunden

8. er riete 18. gesezzen

9. ez diuzet 19. du hôrtest

10. du sliche 20. ich slouf

2) Bestimmen Sie die Ablautreihen der folgenden Infinitive und geben Sie Stammformen und Ablautreihen an!

1. ligen 11. weten (‘binden’)

2. sprechen 12. riezen (‘weinen’)

3. vâhen 13. nagen (‘nagen’)

4. schînen 14. ber(e)n

5. fliegen 15. schelten

6. varn 16. walten

7. vinden 17. vrezzen

8. sîhen 18. slahen

9. sieden 19. swimmen

10. houwen 20. zîhen

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3) Übersetzen Sie die folgenden nhd. Formen ins Mhd.

1. du warst

2. ich gehe

3. du wirst

4. er finde (Konj.)

5. ich schloff

6. du schlichst

7. es blühte (blüejen)

8. er sendete

9. du hörst

10. du hörtest

11. er trägt

12. du trägst

13. ihr hieltet

14. gingst du?

15. sie liehen

16. wir sprengten

17. wir lasen

18. ich kann nicht lesen

19. wir bannten (bannen, stV)

20. es rauscht (diezen, stV)

21. er brüllte (limmen, stV)

22. aufgesteckt (rîhen, stV)

23. er spie (spîwen, stV)

24. du verschlucktest nicht (swelhen, stV)

25. wir erlitten Qual (queln, stV)

26. wir quälten (sw.V.!)

27. er sagte (jehen, stV)

28. gesessen

29. du mahltest (maln, stV)

30. ich lieh

31. du bogst

32. du rietest

33. du hobst

34. wir kamen

35. gekommen

36. sie dankten

37. sie lösen

38. du löstest

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39. sie banden

40. gebunden

41. sie sandten

42. ich zieh (zîhen)

43. du rochst

44. du hieltest

45. du schwurst

46. wir nahmen

47. genommen

48. sie warteten (nicht warten!)

49. sie brannten (brinnen, stV)

50. gebrannt (brinnen, stV)

51. sie brannten (brennen, swV)

52. ich genas

53. du fandst

54. du kannst (vermagst mügen)

55. stehlen (Inf.)

56. sie gediehen (gedîhen)

57. du bietest (bieten)

58. ich bot

59. du warfst (werfen)

60. du schiedst

61. sie gedeihen

62. ich werde

Übungsprogramm (zur Selbstkontrolle):26

1) In welche Ablautreihe gehören Formen wie mhd. du vlüge, büte, güzze ‘du flogst, botest, gossest’? 6. AR 3) 3. AR 7) 2. AR 13)

2) Falsch! Ursprünglicher Endungsvokal war noch im Ahd. i. Er hat nicht nur Umlaut von a > e (Primärumlaut), sondern auch Hebung von e > i bzw. eu > iu bewirkt. Dagegen haben die Endungsvokale a/e in Inf. und Pl. Präs. Ind. sowie im gesamten Präs. Konj. Brechung hervorgerufen bzw. Hebung verhindert. zurück zu 13)

3) Falsch! Die Präteritalformen der 6. Ablautreihe werden mhd. durch uo gekennzeichnet. Der i-Umlaut als Merkmal der 2.Sg.Prät.Ind. müßte somit üe lauten. Wie erklären Sie, daß dem nhd. du ludest ein mhd. du lüede entspricht? das Verb gehört in die 6. Ablautreihe mit Präteritalvokal uo; die alte Aoristendung (ahd. -i) hat im

Mhd. i-Umlaut bewirkt und ist durch Vokalabschwächung >e geworden. 4) das Verb gehört in die 2. Ablautreihe mit Präteritalvokal u; die alte Aoristendung (ahd. -i) hat im Mhd.

i-Umlaut bewirkt und ist durch Vokalabschwächung >e geworden. 5)

4) Richtig! - Bestimmen Sie Form und Ablautreihe von mhd. du trügest ‘du betrögst’! 2.Sg. Prät.Konj., 2. AR 13) 2.Sg. Prät.Ind., 2.AR 5)

26 aus Bauer / Haage 1986, S. 134ff

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5) Falsch! Die mhd. i-Umlaute ü, æ und üe (die als Präteritalvokale mit i-Umlaut nur in der 2.Sg. Prät.Ind. sowie im Konj.Prät. auftreten können) sind so verteilt, daß ü+K in AR 2, ü+N/LK in AR 3a/b, æ in den AR 4 und 5 sowie üe in AR 6 auftreten. Die Endung -e ist der mhd. Rest des ahd. -i, einer alten Aoristendung, die seit dem Ahd. Flexionsendung der 2.Sg. Prät.Ind. ist. zurück zu 1)

6) Falsch! Das mhd. -e als Endung der 1.Sg. Präs.Ind. geht auf ahd. -u zurück. Dieses aber hat Hebung von e > i bewirkt. Bilden Sie die 2.Sg. Präs.Ind. des mhd. starken Verbs klieben ‘spalten’! du kliebest 2) du kliubest 10)

7) Falsch! Die 3. Ablautreihe weist im Pl.Prät. zwar ein u auf, das durch i-Umlaut in der 2.Sg. Prät.Ind. > ü wird, aber stets nur in Verbindung mit Nasal/Liquid + Konsonant. Bestimmen Sie Form und Ablautreihe von mhd. du süngest ‘du sängest’! 2.Sg. Prät.Ind., AR 3a 5) 2.Sg. Prät.Konj., AR 3a 4)

8) Richtig! - Bilden Sie die Form der 3.Sg. Prät.Ind. des schwachen Verbs mhd. lemen ‘lemen’! er lem(e)te 14) er lam(e)te 11)

9) Richtig! - Welche schwachen Verben des Mhd. unterscheiden sich deutlich in der Art ihrer Flexion voneinander? schwache Verben mit gleichbleibendem Wurzelvokal und schwache Verben mit wechselndem

Wurzelvokal 14) ôn-, ên- und jan-Verben 12)

10) Richtig! - Die mhd. Form er kiuset bedeutet ‘er wählt’. Wie lautet der Inf. des Verbs? kiusen 2) kiesen 9)

11) Hier sind die Bedingungen des Primärumlauts sowie des Rückumlauts zu beachten. Ein e in mhd. hengen ‘hängen’ kann nur Resultat des Primärumlauts von a > e sein, da altes idg./germ. e vor Nasalverbindung > i hätte werden müssen. Es liegt also ein jan-Verb vor. Langwurzelige jan-Verben weisen Rückumlaut auf: er hancte. Kurszsilbige jan-Verben dagegen unterlassen den Rückumlaut: mhd. lemen/lem(e)te, legen/legete ‘lähmte, legte’. - Zurück zu 9)

12) Falsch! Diese Kategorisierung gilt noch im Ahd.. Doch schon dort ist das Bildungssuffix der jan-Verben > -en geworden. Im Mhd. sind die ahd. ôn- und ên-Verben zusammengefallen (Infinitivendung -en). Es bleibt daher mhd. nur noch die Unterscheidung zwischen normalen schwachen Verben mit gleichbleibendem und schwachen Verben mit wechselndem Wurzelvokal.Bilden Sie die 3.Sg.Prät.Ind. des schwachen Verbs mhd. hengen ‘hängen’! er hencte 11) er hancte 8)

13)Richtig! - Wie lautet die 1.Sg.Präs.Ind. des starken Verbs mhd. trëten ‘treten’? ich trite 9)

ich trete 6)

14) Richtig! - Ende des Übungsprogramms.

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2.2. SubstantiveDeklinationsformen im Mhd.:

1. Vokalische / starke Deklination

2. Konsonantische / schwache Deklination

3. Besondere Formen der Deklination:

Verwandtschaftsnamen auf -er

Wurzelnomina.

Aus historischer Sicht unterscheidet man in der starken Dekl.:

a-, ja-, wa- Stämme= Maskulina und Neutra ô-, jô-, wô- Stämme= Feminina i-, u- Stämme = Maskulina / Feminina / Neutra

Bei der schwachen Deklination lassen sich ebenso wie bei der starken ursprünglich einzelne Stämme

unterscheiden, je nach dem Konsonanten des Stammsuffixes:

es/-os-Stämme r-Stämme nt-/nd-Stämme (Partizipialstämme) n- (an-, jan-, ôn-, jôn-, în-) Stämme

Diese n-Deklination hat im Germ. besondere Bedeutung erlangt: Die meisten schwachen Substanitve werden wie die n-Stämme flektiert; schon im Germ. dient diese Flexion dazu, Adjektive zu substantivieren, und schließlich kann schon im Germ. jedes Adjektiv wie ein Substantiv der n-Dekl. flektiert werden. Im Nhd. geht der Pl. der gemischten Dekl. auf die n-Dekl. zurück.

Mhd. > Nhd.:

Mit dem Zusammenfall vieler Kasusendungen im Mhd. auf Grund der Endsilbenabschwächung

fallen etliche im Ahd. noch klar unterschiedene Deklinationsklassen zusammen, die Trennung

zwischen den einzelnen Kasus geht z.T. verloren („Kasusnivellierung“):

Akk. = Nom. (schon mhd.)Dat. Sg. fällt nhd. das im Mhd. fast immer noch vorhandene -e wegGen. wird im Nhd. oft ersetzt.Im Pl. stimmen schon mhd. der Nom., Gen. und Akk. vielfach überein.In der schw. Dekl. ist nur noch der Nom. von den übrigen Kasus unterschieden.

Die Kennzeichnung der grammatischen Form übernehmen andere Wortarten, die das Substantiv

begleiten und z.T. selbst noch die vollen Endungen besitzen, z.B. Pronomen und bestimmter Artikel.

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2.2.1. Deklination der SubstantiveStarke Substantive

Gen.Sg. -(e)s, -e oder endungslos:z.B. Gen.Sg.Mask. des gastes, Gen.Sg.Fem. der êre, der kraft

Schwache Substantive

Gen.Sg. -(e)n,z.B. Gen.Sg.Mask. des boten

2.2.1.1. Starke DeklinationMaskulina: a-, ja-, wa- und i-Stämme.

Neutra: a-, ja-, wa-Stämme und Wörter mit Plural auf -er (lamp - lember, alte iz/az-Stämme)

Feminina: ô- , jô-, wô- und i-Stämme.

Maskulina

a-Stämme ja-Stämme wa-Stämme i-Stämmegerm. *daga-

‘Tag’[erst ahd.]‘Dienst’

*hërdi(j)a-‘Hirte’[nhd. schwach!]

*saiwa-‘See’

*gasti-‘Gast’

Sg.Nom. der tac dienest hirte sê gastGen. des tages dienstes1) hirtes sêwes gastesDat. dem(e) tage dienste hirte sêwe gasteAkk. den tac dienest hirte sê gastPl.Nom. die tage dienste hirte sêwe gesteGen. der tage dienste hirte sêwe gesteDat. den tagen diensten hirten sêwen gestenAkk. die tage dienste hirte sêwe geste

a-Stämme:Mit Ausnahme des im Mhd. noch obligatorischen -e im Dat.Sg. gleicht die Flexion der nhd. Bei den a-Stämmen mit umlautfähigem Vokal dringt der Umlaut im Plural in ausgehender mhd. Zeit von den i-Stämmen her auch hier ein, so daß dann eine genaue Zuordnung zu den a- oder i-Stämmen nicht möglich ist, z.B. noch die stabe - die stebe, die halme - die helme, die sarke - die serke ‘Särge’. Ungebräuchlich ist der Umlaut mhd. noch bei boume, fademe ‘Fäden’, wolve.

ja-Stämme:Umlaut; Endungs-e in fast allen Formen (außer Gen.Sg. - es und Dat. Pl. - en ) (< ja der Endung).

wa-Stämme:In den Formen mit Kasusendung ist das w des ursprünglichen Themas erhalten.

i-Stämme:Bei umlautfähigem Stammvokal im Pl. Umlaut: z.B. mhd. Nom.Sg. gast - Nom.Pl. geste (< ahd. gast, gesti). Später hat sich der Umlaut als Pluralkennzeichen auch auf Wörter anderer Deklinationsklassen ausgebreitet.

Mhd. Hinweise auf historische Klasse: w in Formen mit Kasusendung weist auf ursprüngliche

Zugehörigkeit zu den wa- Stämmen. Umlaut, Endungs-e als (unsichere) Indizien.

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Neutra

a-Stämme ja-Stämme wa-Stämme Plural auf -ergerm. *worda-

‘Wort’ ‘Fenster’*kunja-‘Geschlecht’

‘knewa-‘Knie’

*lambaz-/-iz-‘Lamm’

Sg.Nom. daz wort venster künne knie lampGen. des wortes vensters künnes kniewes lambesDat. dem(e) worte venster künne kniewe lambeAkk. daz wort venster künne knie lampPl.Nom. diu wort venster künne knie lemberGen. der worte venster künne kniewe lember(e)Dat. den worten venstern künnen kniewen lember(e)nAkk. diu wort venster künne knie lember

a-Stämme:Gegenüber den mask. a-Stämmen sind hier Nom. und Akk. Pl. endungslos, gleichen also Nom. und Akk. Sg.

ja-Stämme:Bei umlautfähigem Stammvokal bewirkt die j-Erweiterung des Themas im Sg. und Pl. Umlaut. Der Nom. und Akk.Sg. enden auf -e .

wa-Stämme:In den Formen mit Kasusendung zeigt sich noch das -w- des Stammes , z.B. Gen.Sg. kniewes, z.T. ist das -w- allerdings bereits ausgefallen, z.B. Gen.Sg. knies.

Substantive mit Plural auf -er:Die Kasusendungen entsprechen der a-Deklination. Bei umlautfähigem Stammvokal tritt Umlaut in den Pluralformen auf.Noch im Mhd. breitet sich die Pluralbildung auf - er aus und erfaßt im Übergang zum Frnhd. sowohl neutr. als auch mask. Substantive, z.B. ämter, böumer, geister, schilder, tücher. Bei einer Reihe von Wörtern ergibt sich dadurch ein Nebeneinander von zwei Pluraformen, z.B. Schilde - Schilder, Tuche - Tücher u.a. Im Lauf der Zeit ist dann z.T. Bedeutungsdifferenzierung eingetreten.

Feminina

ô-Stämme jô-Stämme wô-Stämme i-Stämmegerm. *gibô-

‘Gabe’*talô-‘Zahl’

*brugjô-‘Brücke’

‘klêwô-‘Klaue’

*krafti-‘Kraft’

Sg.Nom. diu gëbe zal brücke klâwe kraftGen. der gëbe zal brücke klâwe krefte, kraftDat. der gëbe zal brücke klâwe krefte, kraftAkk. die gëbe zal brücke klâwe kraftPl.Nom. die gëbe zal brücke klâwe krefteGen. der gëben zaln brücken klâwen krefteDat. den gëben zaln brücken klâwen kreftenAkk. die gëbe zal brücke klâwe krefte

ô-Stämme:Alle Kasus des Sg . sowie Nom . und Akk . Pl . enden auf -e ; Gen. und Dat.Pl. gehen auf -en aus.

jô-StämmeUrsprüngliche jô-Stämme sind brücke (auch schwach dekl.), helle ‘Hölle’, minne, rede, rippe. Auswirkung des j (oder i): Umlaut, z.T. auch Doppelkonsonanz.Hierher gehören auch die Fem. auf - în und - inne , z.B. vriundîn, vriundinne, daneben aber auch vriundin.

wô-Stämmehaben im allgemeinen Doppelformen, z.B. klâ - klâwe (Nom.Sg.) und klân - klâwen (Gen., Dat.Pl.); ê - êwe ‘Gesetz, Ehe’; wê - wêwe ‘Weh, Schmerz’, nar - narwe ‘Narbe’, swal - swalwe ‘Schwalbe’. Ausnahmen: triuwe, riuwe ‘Reue’, ouwe ‘Aue’, varwe ‘Farbe’.

i-Stämme:Sie zeigen Umlaut bei umlautfähigem Stammvokal im Plural und Doppelformen (mit und ohne Umlaut) im Gen. und Dat. Sg. (z.B.: diu burc - Gen.Sg. der bürge; hant)

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2.2.1.2. Schwache DeklinationMaskulinum Femininum Neutrum

germ. *hanan-‘Hahn’

*aran-‘Aar’

‘tungôn-‘Zunge’

*hërtôn-‘Herz’

Sg.Nom. der hane ar diu zunge daz hërzeGen. des hanen arn der zungen des hërzenDat. dem(e) hanen arn der zungen dem(e) hërzenAkk. den hanen arn die zungen daz hërzePl.Nom. die hanen arn die zungen diu hërzenGen. der hanen arn der zungen der hërzenDat. den hanen arn den zungen den hërzenAkk. die hanen arn die zungen diu hërzen

Eine Reihe mhd. Wörter endet auf -e, das aber zum Nhd. hin schwindet, z.B. hane, herzoge, schelme, stërne ‘Stern’ etc., andererseits tritt im Nhd. ein -n an das End-e des Nom.Sg., z.B. galge, brunne, knoche.Schwache Neutra sind nur 4 Wörter: hërze, ouge, ôre, wange; mensche kann als Neutr., aber auch als Mask. gebraucht werden.

Mhd. > Nhd.:

Genuswechsel mhd. -nhd.:Im Mhd. hat eine Reihe von Wörtern schwankendes Geschlecht:Mask. u. Neutr.: borst (auch Fem. borste), mensche.Mask. u. Fem.: âmeize, rëbe, rôse, slange, sunne etc.Mhd. vorwiegend Mask.: angest, banc, hîrat, last, pîn (doch bereits mundartlich feminine

Entsprechungen, z.T. mit eigener fem. Form, vgl. pîne).Entgegen dem Nhd. sind Mask. backe, blintslîche, höuschrëcke, karre, kol(e) (aber mhd. auch

st.Neutr.), schërbe, vanc, wade etc.Wechsel von starker zu schwacher Deklination:

urspr. starke Mask. auf -en > nhd. schw. Mask. auf -e, z.B. raben > Rabe.

Schwankungen zwischen st. u. schw. Flexion sind mhd. häufig, z.B. gebûr- gebûre, hëlm - hëlme.

2.2.1.3. Besondere Formen der DeklinationVerwandtschaftsnamen auf -er

Die Verwandtschaftsnamen auf -er bildeten urspr. eine einheitliche Flexionsklasse. Sie gehörten zu den konsonantischen Stämmen. Im Mhd. kommen Formen mit und ohne Flexionsendungen nebeneinander vor. Für den Plural gibt es auch umgelautete Formen in Analogie zu den i-Stämmen, z.B. veter(e).

Sg.Nom. vater Pl.Nom. vater(e), veter(e)Gen. vater(es) Gen. vater(e), veter(e)Dat. vater(e) Dat. vater(e)n, veter(e)nAkk. vater Akk. vater(e), veter(e)

Die Fem. bleiben im Sg. unverändert; im Pl. werden sie z.T. wie ô-Stämme (Dat.Pl. muoter(e)n), z.T. wie i-Stämme (Dat.Pl. müeter(e)n) flektiert.

WurzelnominaEs handelt sich hier um einsilbige Substantive, an deren Wurzel unmittelbar die Flexionsendung trat, ohne dazwischen gestelltes Thema.

man. Im Mhd. bleibt man entweder in allen Kasus des Sg. und Pl. endungslos, oder es richtet sich nach der a-Deklination.

Sg.Nom. man Pl.Nom. man, manneGen. man, mannes Gen. man, mannedat. man, manne dat. man, mannenAkk. man Akk. man, manne

naht richtet sich nach der i-Deklination, behält aber auch seine umlautlose Form bei, vgl. ze den wîhen nahten. - Der Einfluß von tages ermöglicht die adverbiale Form des nahtes.

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Sg.Nom. naht Pl.Nom. nahte, nähteGen. naht(e),

nähteGen. nahte, nähte

Dat. naht(e), nähte

Dat. nahten, nähten

Akk. naht Akk. nahte, nähte

vuoz. Es flektiert meist nach der i-Deklination (als Maßbezeichnung wird es nach Zahlwörern unflektiert verwendet), ebenso burc (Gen.Sg. der burc, der bürge), brust.

PersonennamenPersonennamen können stark oder schwach flektiert werden.Personennamen auf Konsonant flektieren stark: Maskulina, die auf Konsonant auslauten, werden wie a-

Stämme dekliniert (im Akk.Sg. enden sie häufig auf -en), z.B. Parzival, Sîfrit. Mitunter sind dabei die Flexionsendungen von Dat. und Akk.Sg. vertauscht, manchmal fehlen sie auch ganz. - Feminina, die auf Konsonant enden, z.B. die Namen auf- burc, -hilt, -lint flektieren ebenfalls stark. Obwohl sie im Nom.Sg. kein - e haben, richten sie sich nach der ô-Deklination.

Personennamen auf -e werden schwach dekliniert, z.B. Wate (Mask.), Hilde. Gelegentlich treten auch endungslose Formen auf.

Sg.Nom. Sîfrit Sg.Nom. KriemhiltGen. Sîfrides/-en, Sîfrit Gen. Kriemhilde/-en, KriemhiltDat. Sîfride/-en, Sîfrit Dat. Kriemhilde/-en, KriemhiltAkk. Sîfrit, Sîfriden/-e Akk. Kriemhilt/Kriemhilden

2.2.2. Übungen: Substantive1) Worin gründet das Fehlen des Umlautes in nhd. Formen wie allerhand und vorhanden, während das

Substantiv Hand im Plural umlautet?

2)Wie erklären Sie sich das Nebeneinander von nhd. Pluralformen wie z.B.: Schilde - Schilder, Tuche - Tücher,

Worte - Wörter?

3) Bestimmen Sie folgende Substantivformen (Genus, Kasus), nennen Sie alle Möglichkeiten!

diu vrouwe, die vrouwen, der vrouwen (= sw. F.)

diu kint, daz kint, der kinde (= st. N.)

der bürge (= sw. M. od. st. F.)

diu herzen (= sw. N.)

der krefte (= st. F.)

daz rîche, diu rîche (= st. N.)

daz wort, diu wort (= st. N.)

4) Erklären Sie die folgenden Substantivformen:

sê - sêwes / knie - kniewes / brâ - brâwe

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2.3. Adjektive und Adverbien

2.3.1. Starke Deklination der AdjektiveMaskulina und Neutra folgen der a-Deklination der Substantive, Feminina der ô-Deklination.

Es stehen nominale und pronominale Formen nebeneinander (jeweilige Endungen nach der Flexion

des Nomens bzw. der Pronomina).

Maskulinum Neutrum FemininumSg.Nom. blinder, blint blindez, blint blindiu, -e, blintGen. blindes blindes blinder(e)Dat. blindem(e) blindem(e) blinder(e)Akk. blinden blindez, blint blindePl.Nom. blinde blindiu, (-e) blindeGen. blinder(e) blinder(e) blinder(e)Dat. blinden blinden blindenAkk. blinde blindiu, (-e) blinde

*Die fettgedruckten Formen sind auf die nominale (substantivische) Flexion zurückzuführen. Die fettgedruckten Formen im Nom.Sg.Mask./Neutr./Fem. und im Akk.Sg.Neutr. (= blint) werden auch als unflektiert bezeichnet. Diese sog. unflektierten Formen sind durch lautgesetzlichen Schwund der Endungen entstanden.

1. endungslose Formen: = a-(ô-)Deklination: blint = tac, wort 2. pronominale Formen: blinder, blindiu, blindez = der diu daz

2.3.2. Schwache Deklination der AdjektiveDie schwache Deklination des mhd. Adjektivs stimmt ganz mit der des schwachen Substantivs

überein.

Einziger Unterschied zum Nhd.:

Akk.Sg.Fem. auf -en (wie beim sw. Substantiv) Nhd. auf -e:mhd. ich sah die kleinen swalwen nhd. Sg. oder Pl.: ich sah die kleine Schwalbe oder die kleinen Schwalben.

Maskulinum Neutrum FemininumSg.Nom. blinde blinde blindeGen. blinden blinden blindenDat. blinden blinden blindenAkk. blinden blinde blindenPl.Nom. blinden blinden blindenGen. blinden blinden blindenDat. blinden blinden blindenAkk. blinden blinden blinden

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2.3.3. Zum Gebrauch der AdjektivformenDie starken und schwachen Formen des Adjektivs werden im Mhd. im allgemeinen in gleicher Weise verwendet wie im Nhd.:

attributiv stark oder schwachprädikativ im allgemeinen endungslos

1. schwache Formen nach

stark flektierten Formen aller guoten vrouwen, eines (des, dises, mînes) lieben sunesbest. Artikel der guote ritterDemonstrativpronomen disiu edele vrouwePlural des Pers.pron. wir guoten ritter

2. starke Formen nach

(endungslosem) unbest. Artikel ein guoter ritter(endungslosem) Possessivpron. mîn guoter ritterSg. d. Pers.Pron. ich tumber menscheohne Artikel guoter man

Jedoch können Abweichungen von der zu erwartenden Form auftreten:

In attributiver Stellung:

Die starke nominale (sog. unflektierte) Form des Adjektivs kann neben der st. pronominalen Form im Nom.Sg.Mask./Neutr./Fem. und im Akk.Sg.Neutr. verwendet werden:

ein guot man ‘ein guter Mann’; lieht gesteine, ein junc man, ein guot frouwe. Nach dem bestimmten Artikel kann neben der allgemein gebräuchlichen sw.

Adjektivform auch das pronominal flektierte Adjektiv stehen:ûz dem betouwetem grase.

In der Anrede sind st. und sw. Formen möglich:zieren helde, aber auch: guote liute.

Ist das attributive Adjektiv nachgestellt, so wird meistens die nominale (sog. unflektierte) Form benutzt,

z.B. den dëgen guot, von dirre maget guot, ein ritter gemeit seltener die pronominale,

z.B. ein wolken sô trüebez.

In prädikativer Stellung:

Neben der gebräuchlicheren nominalen (sog. unflektierten) Form kann auch die pronominale verwendet werden:

sîn jâmer wart sô vester, ich sach in tôten, er kom gesunder in daz lant. Selten erscheint hier die sw. Form:

er lît ze tôde erslagene.

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2.3.4. Komparation1. Bildungsweise von Komparativ und Superlativ

Mhd. stehen im Komparativ und Superlativ umgelautete und umlautlose Formen nebeneinander:z.B.: alt - alter/elter, junc - junger(e)/jünger(e) -; lanc - langer/lenger.Der Komparativ konnte im Ahd. mit -iro/-ôro und der Superlativ mit -isto/-ôsto gebildet werden: Die Formen mit i riefen Umlaut des Wurzelvokals hervor.

Bildungssuffixe Komparativ Superlativahd. mhd. ahd. mhd. ahd. mhd.-iro/-isto -er / -est jung-iro jünger(e) jung-isto jüng(e)ste-oro/-ôsto jung-ôro junger(e) jung-ôsto jung(e)ste

2. Suppletivsteigerung

guot bezzer(e) bezzest, besteübel wirser(e) wirsest, wir(se)stemichel ‘groß’ mêre, mêrer(e), mêrre meistelützel ‘klein’ minner(e), minre min(ne)ste, minnest

2.3.5. Adverbiena) Bildungsweise mit Morphem -e (ahd. -o):

ahd. mhd. nhd.Adjektiv ubil übel übelAdverb ubilô/ubilo übele übel

b) Adjektiv und Adverb auf -e: Adjektiv mit Umlaut / Adverb ohne Umlaut:Bei den ja/jô-Stämmen enden im Mhd. sowohl die unflektierte Adjektivform als auch das Adjektivadverb auf -e . Der Stammvokal des Adverbs ist im Gegensatz zum unflektierten Adjektiv nicht umgelautet, da beim Adverb im Ahd. anstelle des Themas i das Morphem -o auftrat.

ahd. mhd. nhdAdjektiv skôni schœne schönAdverb skôno schône schon

z.B.: herte-harte, spaete-spâte, süeze-suoze, veste-vaste.

c) Adverbbildung mit -lîche/-lîchen:Vor allem bei Adjektiven auf - ec /- ic und - isch :z.B.: trûrec - trûreclîche; aber auch: ganz - ganzlîche.

d) Suppletivbildung: guot - wolAus einem anderen Stamm wird das regelmäßige Adverb zu guot gebildet: wol.Daneben allmählich auch: guote.

Komparation. In der Regel werden die einsilbigen Adjektivadverbien ohne Umlautung des Stammvokals gesteigert:

hôhe - hôher - hôhest.

Einige Sonderfälle der Steigerung des Adjektivadverbs sindbaz ‘besser’ - besteê ‘früher’ - êrs(e)mê/mêr(e) ‘mehr’ - meist(e)min/minner/minre ‘weniger’ - minn(e)stesît/sider/sint/sînt ‘später’wirs ‘schlechter’ - wirs(e)st(e).

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Mhd. - Nhd.:

Schon im Spätmhd. wird die Endung der Adjektivadverbien mehr und mehr aufgegeben und der Umlaut ausgeglichen, so daß im Nhd. Adjektiv und Adjektivadverb nicht mehr formal unterschieden sind, abgesehen von lang - lange. Allerdings gibt es Formen, bei denen infolge Bedeutungsdifferezierung von Adjektiv und Adjektivadverb der Umlaut auch im Nhd. nicht ausgeglichen ist (fest und fast, schön und schon).

2.3.6. Übungen: Adjektive und Adverbien1) Wie erklären Sie sich das Nebeneinander der Formen mhd. enge und ange ‘eng’?

2) Wie lautet das mhd. Adverb zum Adjektiv süeze ‘süß’?

3) Wie lauten die Adverbformen der folgenden Adjektiva?

1. kleine 6. schœne2. trûrec 7. spæte3. veste 8. guot4. küene 9. senfte5. swære 10. trüebe

4) Zu welchen Adjektiven stellen Sie die folgenden Adverbformen?

ganzlîchehartesuozebaz

5) Welche Möglichkeiten der Adverbbildung gibt es im Mhd.?

6) Erklären Sie das Nebeneinander von Formen wie blâ - blâwer, grâ - grâwer.

7) Erklären Sie das Nebeneinander von Formen

alt - alter/elter, junc - junger(e)/jünger(e) - jung(e)ste/jüng(e)ste; lanc - langer/lenger.

8) Wie lautet der Positiv der folgenden Steigerungsformen:

bezzer(e)wirsestmeisteminner

9) Bilden Sie den Komparativ und Superlativ zu folgenden Adjektivformen:

lützelmichelübel

10) Erläutern Sie die folgenden Beispiele zur Adjektivflexion!

er sah den dëgen guotsîn jâmer wart sô vesterein junc man

11) Wann wird im Mhd. im allgemeinen die starke, wann die schwache Adjektivflexion verwendet?

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2.4. Pronominaa) Personalpronomina

Pronomina der 1. und 2. Person

1.p.Sg. 2.P.Sg. 1.P.Pl. 2.P.Pl.Nom. ich du, dû wir irGen. mîn, mînes, mîner dîn, dînes, dîner unser iuwerDat. mir dir uns iu (iuch)Akk. mich dich (unsich) uns iuch

Pronomina der 3. Person

3.P.Sg.Mask. Fem. Neutr.

Nom. ër si sî siu sie ëzGen. (ës) sîn ire ir ës (sîn)Dat. ime im ire ir ime imAkk. (inen) in sie si sî ëz

3.P.Pl.Nom., Akk. sie sî si siu sie sî siGen. ire irDat. in

b) Reflexivpronomina

Mask. /Neutr. Fem.Sg. Gen. sîn irDat. im(e) irAkk. sich sichPl. Gen. ir(e)Dat. inAkk. sich

c) Possessivpronomina

Sg. 1.P. mîn Pl.1. unser2. dîn 2. iuwer3. sîn, ir 3. ir

d) Demonstrativpronomina. ArtikelEinfaches Demonstrativpronomen. Artikel

Mask. Neutr. Fem.Sg.Nom. der daz diu dieGen. des der(e)Dat. deme der(e)Akk. den daz diePl.Nom. Akk. die diu dieGen. der(e)Dat. den

Zusammengesetztes Demonstrativpronomen

Mask. Neutr. Fem.Sg. Nom. dirre diser ditze diz disiuGen. dises dirre, diserDat. disem(e) dirre diserAkk. disen ditze diz disePl.Nom. Akk. diese disiu dise diseGen. dirre dieserDat. disen

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e) Andere einfache Demonstrativa

ander ‚der zweite, der andere’; jener, jeniu, jenez; selp (Identitätspronomen)

f) Interrogativpronomina

Mask./Fem. Neutr.Sg. Nom. wer waz Gen. wes wesDat. wem(e) wemAkk. wen waz Instr. wiu

Pronominaladjektive: weder ‘welcher von beiden?’welch ‘wie beschaffen?, welcher?’

Adverbialer Gebrauch u.a. der Fragepronomina:wâ(r ‚wo’; war ‚wohin’; wannen ‚woher’wie ‚wie’; wande ‚weshalb’

g) Relativpronomina

Demonstrativpronomina als Relativum: der, diu, daz. verallgemeinernde Relativa: swer ‘wer immer’; swaz ‘was auch immer’

sweder ‘welcher auch von beiden’; swelch ‘welch auch’swâ ‘wo auch’; swie ‘wie auch’

Bildung von Relativsätzen aus Demonstrativsätzen + Adverbien:wâ(r) ‘wo’; war ‘wohin’; wannen ‘woher’wie; wande ‘weshalb’

h) Indefinitpronomina

‚jeder’: singularische Benennung aller Mitglieder einer Gruppe mitgelîch + Gen. Pl.: manneglîch, mannelîch, menlich ‚jedermann’gelîch + ie-: iegelîch, ieclîch, iegeslîch nhd. ‚jeglich’welch + ie-: iewelch ‚jeder’weder + ie- / ge-: ieweder, geweder ‚jeder’deweder + ie-: ietweder ‚jeder von beiden’

‚man’: kann den einzelnen so wie die Gesamtheit vertretenman + ie-: ieman, dazu: nieman ‚niemand’

‚mancher’: Bezeichnung mehrerer Mitglieder einer Gruppe durchmanec, etelîch (v.a. im Pl. ‚manche’), sumelîch ‚irgendeiner, mancher’

‚irgendeiner’: bezeichnet einen einzelnen aus einer Gruppesum, einein + dech-: dechein, dehein, dekein, daraus: mhd. kein ‚irgendeiner’ (in dieser

Bedeutung bis ins 16. Jh.)wer + etes-: etewer, eteswer-lîch, -lich + etes-: etelîch, eteslîch, etzlîchweder + dech-: dechweder, deweder ‚irgendeiner von beiden’man + ie-: ieman ‚jemand’

‚keiner’: diese Wörter entstehen durch-Verneinung pronominaler Bezeichnungen für ‚irgendeiner, einer von beiden, man’:

nechein, nekein, nehein (enhein, enkein); neweder, enweder ‚keiner von beiden’; nieman

-Bedeutungsänderung von dehein ‚irgendeiner’ > dehein ‚keiner’ (zunächst nur in Verbindung mit Negationspartikel, dann auch ohne)

‚alles’: al ‚etwas’: iht (ieht, icht, iet, ît, et); etewaz, etwaz. ‚nichts’: wiht ‚etwas’ + Negationspartikel ni oder unbest. Adv. nie ‚nie, durchaus nicht’:

niwiht, niewiht, niet, dann auch einsilbig (u.a.) als nieht, nicht, niuht, nît.

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3. Syntax3.1. Die Negation im Mhd.

3.1.1. Formen1. ne / ne + niht

ichn weiz obe ich schoene bin.si enwesten wie gebâren.done torste ich vrâgen vürbaz.dane wart jâmer niht vermiten.ichn tar niht langer bî iuch wesen.

3. ne + andere Pronomina bzw. Adverbien statt niht (nieman, nie etc.)niemen was ir gram.daz ich nie schoener kint gesach.ezne gebôt nie wirt mêre sîme gaste groezer êre.

4. ein bast, ein ber, ein blat, eine bône, ein brôt, ein ei, ein hâr, ein strôsi ne vorhtent niht ein bast uns.wan ern gaebe drumbe niht ein strônun vürhte ich dîne stange unde dich niht eine halbe bône.

5. „Litotes“: lützel, wênec, kleine, seltener hât uns nu vil lange lützel dienste getân. (= gar keinen Dienst)

dô sprach er grüezenlîche darze Parzivâle: ders kleine (= wenig, nicht) war nam.

ir habet mir noch vil wênic her ze lande brâht.

swie selten (= nie) wîp mannes bite.

6. Häufung von Negationenichn gehôrt bî mînen tagen nie selhes niht gesagen.daz in niht enschadete die ünde noch diu fluot.diu minne ist weder man noch wîp.daz er vordes noch sît deheine schoener nie gewan.

7. iht, ieman, ie, iemer, iender können in der Funktion von niht, nieman, nie, niemer, niender verwendet werden:

a) Im selbständigen Satz:

‘ouwê’, sprach er, ’sun min, sol ich dich iemer gesehen?’ („werde ich dich niemals mehr erblicken“ oder auch: „jemals wieder“)

‘nû sage mir: tuont sî dir iht?’ ‘sî lobtenz, taet ich in niht’ („sage mir, tun sie dir etwas/nichts? - Sie wären froh, wenn ich ihnen nichts tun würde“)

wil ab iemen wesen frô, daz wir iemer in den sorgen niht enleben? („will / wird wieder irgendjemand froh sein, so daß wir nicht weiter in Betrübnis leben?“ oder „will denn niemand froh sein, damit wir nicht immer weiter in Betrübnis leben?“)

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b) Im abhängigen Satz:

Meist in daz- Sätzen und in von waenen abhängigen Sätzen ohne Negation. Modus im abhängigen Satz

ist meist der Konjunktiv.

ich waene man dâ iemen âne weinen vant („niemanden, der nicht weinte“)den gebôt si daz si iemer ritters wurden lût („daß sie nie das Wort Ritter erwähnten“)nû sihe ich gerne daz mich iuwer minne iht unminne („daß eure Liebe mich nicht hasse“)maneger frâget waz ich klage unde giht des einen daz ez iht von herzen gê („daß es nicht von

Herzen komme“)

In daz -Sätzen, die von Verben mit prohibitiver Bedeutung abhängen oder von Verben / verbalen

Ausdrücken, mit denen in anderer Weise eine verneinende Vorstellung verbunden ist (z.B.: vermeiden,

leugnen, verhindern etc.), kann, für nhd. Sprachgefühl pleonastisch, eine eindeutige Negation

erscheinen:

jâ verbôt ich iu an den lîp daz ir niht ensoldet sprechen („ich verbot euch bei Gefahr des Lebens, daß ihr sprächet“)

‘ich hete wol behüetet’, sprach diu küneginne, ‘daz, daz ich niht vermeldet hete sînen lîp’ („ich hätte das wohl verhütet, daß ich ihn verraten hätte“)

Die Negation kann unter den genannten Voraussetzungen aber auch fehlen:

ich behüete wol daz, daz ich im kome sô nâhen (aber: ich kan daz wol bewarn daz ich im so nahen nimmer sol gevarn)

3.1.2. Zur Negation in konjunktivischen Nebensätzena) Aussage des Hauptsatzes wird eingeschränkt:

„Negativ-exzipierende Sätze“ = durch ne negierte konjunktivische Sätze von exzipierender

Bedeutung: nhd. „es sei denn, daß...“, „wenn nicht...“.

Geben eine Bedingung für eine Ausnahme von dem im Obersatz Ausgesagten an.

Die Aussage ist formal negiert oder dem Inhalt nach negativ, seltener positiv.

Im exzipierenden Satz steht immer der Konjunktiv. Er geht dem Obersatz voraus oder ist

nachgestellt.

diun ner dich, du bist ungenesen („du wirst nicht geheilt werden, es sei denn, daß sie dich heilt“ - „wenn sie dich nicht heilt, wirst du nicht geheilt werden“)

dô riefens alle, ern taete sînen lewen hin, mit im envaehte nieman da („alle riefen, niemand werde mit ihm kämpfen, es sei denn, daß er seinen Löwen wegsperrte“)

Fehlendes ne: Wenn der übergeordnete Satz negiert ist, kann ne im exzipierenden Satz ohne Ersatz

fehlen.

ich singe niht, es welle tagen („ich singe nicht, es sei denn, daß es Tag werden will“ - „ich singe nur, wenn der Tag anbricht“).

Danne im exzipierenden Satz: Der exzipierende Satz kann zusätzlich das Adverb danne enthalten;

danne gewinnt allmählich die Funktion eines zusätzlichen formalen Charakteristikums dieses

Satztyps, nach dem Schwinden von ne im späteren Mittelalters bleibt es das einzige.

wir sîn vil ungescheiden, ez entuo dan der tôt („wir trennen uns nicht, es sei denn, daß der Tod uns scheide“ - „nur der Tod kann uns trennen“).

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danne allein kann formales Kennzeichen des exzipierenden Satzes sein:

des sint ir iemer ungenesen got welle dan der arzat wesen („deshalb werdet ihr nie geheilt werden, es sei denn, Gott wolle der Arzt sein“ - „nur Gott kann euch heilen“)

b) Aussage des Hauptsatzes wird erläutert: - nhd. „daß nicht...“, ohne daß...“, ohne zu...“,

Relativum + „nicht“.

dehein koufman hete ir site, ern verdürbe dâ mite („kein Kaufmann hätte diese ihre Art, ohne dabei zugrunde zu gehen.“ - „jeder Kaufmann, der sich so verhielte, würde zugrunde gehen“)

ich waene nieman in der werlde lebe, ern habe ein leit („ich glaube, niemand lebt in dieser Welt ohne Sorgen“)

c) Aussage des Hauptsatzes wird ergänzt: - nhd. „daß“ oder Infinitiv + „zu“, ohne Negation.

Nach übergeordneten Sätzen mit formal verneintem Verb (niht vergezzen, niht verdriezen, niht erlân etc.) erscheint in konjunktionslosen konjunktivischen Nebensätzen trotz positiver Aussage die Negationspartikel ne. (Der übergeordnete Satz kann auch ein abhängiges hypothetisches Satzgebilde ohne formale Verneinung sein.)

Parzivâl des niht vergaz ern holte sînes bruoder swert („Parzival vergaß nicht, seines Bruders Schwert zu holen“)

diu maget enlie niht umbe daz si enwolde rîten vürbaz („das Mädchen ließ sich nicht davon abbringen, weiterzureiten“)

Übungen: Übersetzen Sie die folgenden Beispielsätze:

1. den lîp wil ich verliesen, sine werde mîn wîp.

2. ern beschirme iuch eine, ir sît tôt.

3. in enwelle got behüeten, du muost in schiere verloren hân.

4. si sælic wîp enspreche ‘sinc’, niemer mê gesinge ich liet.

5. niemen kan erwenden daz, ez tuo ein edeliu frouwe.

6. ze kâmere enkunde ouch niht gesîn, Brangæne enmüese ez wizzen.

7. der vischære niht enliez ern tæte als in sîn herre hiez.

8. ouch enwart dâ niht vergezzen wirn heten alles des die kraft daz man dâ heizet wirtschaft.

9. desn ist dehein mîn gast erlân erne müese sî (die Riesen) bestân.

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3.2. Zu den Genitivkonstruktionen1. Partitiver Genitiv:

er az daz brôt und tranc dâ zuo eines wazzers daz er vant.

Iwânet dô brach der liehten bluomen zeime dach.

wand ich sô lieber geste selten her gewunnen hân.

dar zuo ist êren mir geschehen.

mir kom so rehte lieber geste nie.

2. niemen + wan / danne:

ob iemen lebete wan sîn und dîn.

er hât hie niemen denne mîn.

3. Genitiv + sîn / werden:

daz er des tôdes müese wesen.

der van ist Hôrandes.

er wânde, er waere der vînde.

dû bist mir ze ungnaediges muotes.

4. Genitiv der Relation:

daz im prîses niemen glîchen mac.

si wurden des ze râte.

5. Genitiv drückt Ursache, Mittel, Modalität aus:

si vreuten sich ir jugent..

der rede si lachten.

des habent die wârheit sîne lantliute.

des einen slags daz ors lac tôt.

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3.3. Eingeleitete Nebensätze

3.3.1. Mhd. Konjunktionendâ 1) dô 2) sît 3) wan (daz),

niuwan, niwan, niht wan 4)

wande, want, wan 5)

lokal „da“, „dort“, „(dort,) wo“

temporal „damals“, „(damals,) als“

„nachdem“, „seit(dem)“:

kausal „da“, „weil“:

„denn“, „da“, „weil“

exzipierend „außer“, „nur nicht“, „nur“

einschränkend adversativ

„aber“, „sondern“

einschränkend konditional

„nur daß“, „wenn nicht“, „wofern nicht“

fragend „warum nicht“

vergleichend „als“ (nach ander und verneintem Komparativ)

als, alsô siehe sô alsam siehe sam.

1) dâ ist immer lokal:1. demonstrativ: „da“, „dort“:

dâ z’Arabîe „in Arabien“modal: „bei der Gelegenheit“; im Anfang erläuternder Antworten:

dâ stên ich disen tieren bî „ich bewache diese Tiere“.2. relativ: „(dort,) wo“: der dâ; an die stat dâ „dorthin, wo“;

dâ mite „womit“si vunden in dâ er lac „fanden ihn liegen, dort wo...“

danne, denneVergleichskonjunktion nach Komparativ „als“: wîzer danne snê.

2) dô ist immer temporal: „damals“, „(damals,) als“(mit Präteritum) „als“: dô er sî sach, sî sprach.Im Hauptsatz: „dann“, „da“: dô rieten sîne vriunde, daz er... „da rieten seine

Freunde, daß er ...“;adverbial: „damals“

(Übergang von der zeitlichen zur kausalen Bedeutung (nhd. „da“) zeichnet sich Mhd. noch kaum ab: dô si niht solde genesen, dô erbarmete in ir nôt.)

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obkonditional „wenn“: waz töhte, ob ich mich selben trüge?

sam, alsam (vgl. sô)vergleichend „(ebenso) wie“: doch tete si sam („wie“) diu wîp tuontmit Konjunktiv „wie wenn“, „als ob“:

man sach die ringe rîsen sam sî waeren von strô („...die Panzerringe fallen, als ob sie...“)

3) sît (daz)1. temporal „nachdem“, „seit(dem)“:

sît ich her wart verkouft, sô hân ich smaelîch arbeit gedolt;mit Gen.: sît des tages; sît des „seitdem“.

2. kausal „da“, „weil“:er muoz verzagen als ein wip, sît wîbes herze hât sîn lîp

(„...weil er das Herz einer Frau hat“).

sô, alsô, als1. vergleichend „wie“:

sô man sagt;grüene sô der klê;du tuost als diu kint;er gie alsô der mit ellen in sturme werben kann; („wie einer, der“)

„wie wenn“, „als ob“: ir gebâret als ir sît vrô;

2. temporal-konditional „wenn“ (sehr häufig):daz wir in dem tôde sweben, sô wir aller beste waenen leben;daz sol sîn getân, als wir komen widere;

3. sô adversativ „dagegen“:ich bin heiden, sô ist diu vrouwe kristen.

swenne, swannetemporal-konditional (immer mit temporaler Grundbedeutung) „jedesmal, wenn“, „wenn“:

swenne aber si mîn ouge an siht, seht sô tagt ez in dem herzen mîn;swenn ir bejaget ir ungunst sô müezet ir gunêret sîn.

swiekonzessiv „obgleich“ (häufig):

swie er ein Sahse waere, im was dâ heime unmaere sich ze verligen.

und1. nebenordnend, häufig mit Inversion des Subjekts, „und“:

sie wîsent uns zu himele und varent si (statt si varent) zer helle;2. oft vor Konditionalsätzen mit Anfangsstellung des Verbs, „wenn“:

ich erkande in wol, und saehe ich in „...wenn ich ihn sähe“3. relativ:

des scheltens unde („welches“, „das“) man ir tete; öfter: die wîle und „die Zeit, die“, „solange wie“:

alle wîle und ich mac.4) wan (daz), niuwan, niwan, niht wan (entspricht stets dem englischen „but“)

1. exzipierend „außer“, „nur nicht“:niemer niemen bevinde daz wan („außer“, „als“) er unt ich;si truogen alle hungers mâl wan („nur nicht“) der junge Parzivâl;

einschränkend „nur“ (oft adverbial gebraucht):dâ sterbent wan die veigen („nur die Todgeweihten“);

2. einschränkend-adversativ „aber“, „sondern“:er nam für sich niht sorgen war wan („sondern“) lebete.

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3. einschränkend-konditional „nur daß“, „wenn nicht (gewesen wäre)“, „wofern nicht“:ouch waere ich tôt von sîner hant wan daz („wenn nicht“) mir half mîn seneschalt;wan diu tarnkappe („wenn die T. nicht gewesen wäre“, vgl. engl. „but for“) sie

waeren tôt dâ bestân; 4. vergleichend nach verneintem Komparativ oder ander „als“:

diu sprach niht mê wan ‘ouwê’;der anders niht wan strîtes gert.

5) wande, want, wan1. kausal, wie nhd. „denn“ mit Hauptsatzwortfolge:

wan ich wil in gehorsam wesen und...; „da“, „weil“ mit Nebensatzwortfolge:

der hiez der unbekante, wand in nieman da bekande;2. fragend „warum nicht“:

wan minnest du mich? und wünschend: wan waer daz wâr! („wäre das doch wahr!“).

Übungen: Übersetzen Sie die folgenden Beispielsätze:

1. dô der sumer komen was...

2. dâ ich ie mit vorhten bat, dâ wil ich nu gebieten

3. dô in der rise komen sach, daz was sîn spot

4. dô diesiu rede was getân, dô sprach aber der guote man

5. sît daz wir von in schieden, hât in iemen iht getân?

6. des selben hân ich mich her wol behuot, sît ich ir gap beidiu herze unde lîp

7. ich gib dir strît, sît du des gers

8. si fuorten doch niht mêre niwan tûsent man

9. er ist anders denne wir gevar

10.sît diu selbe schulde niemans ist wan mîn

11.swie ich nieman liep si dan ir

12.ob ir zen Hiunen hêtet nieman danne mîn

13.daz tæt ich wunderlîchen gerne wan deich fürhte dîne lâge

14.si wære in dem leide erstorben, wan daz si der trost labete

15.der lewe wolt sich stechen durch den bûch, wan daz im der herre Iwein dannoch lebende vor schein

16.ich enacht niht ûf mîn leben und wære sunder zwîvel tôt, wan der hagel und diu nôt in kurzer wîle gelac

17.ich suochte sîne hulde, wan er was merre danne ich

18.ôwê, wan het ich iwer kunst!

19.Êve enhaetez nie getân / und enwaere ez ir verboten nie.

20.daz prîset in und sleht er mich.

21.ir sult wol lâzen schouwen und habt ir rîche wât.

22.Ich man’ iuch der genâden und ir mir habt gesworn..

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3.3.2. Abhängige Sätze mit besonderer Einleitung

Relativsätzeder, diu, daz dâ „wo“swer/swaz „wer, was (auch immer)“ dar „wohin“swelch „welcher“ dannen „woher“sweder „welcher von beiden“ swâ „wo (auch immer)“sô; und (mhd. selten) swar „wohin (auch immer)“und + die wîle, alle wîle, al(le) die wîle „solange“.

swannen „woher (auch immer)“

in eine gruft, dar selten kom des windes luft.der besten vrühte ist er vol, sô ie ûf erden vunden wart.die wile und er daz leben hat, so sol er mit den lebenden leben.

Indirekte Fragesätzewer/waz, wâ „wo“welch war „wohin“weder „welcher von beiden“ wannen „woher“wie „wie“ wanne „wann“

nune weste mîn her Iwein von wederm sî (die Stimme) waere von den zwein, von wurme ode von tiere.

sî vrâget in, wannen er kaeme geriten.

Konjunktionale Nebensätze

Temporale Sätzedô „als“ innen des, under des „indessen, während“swanne / swenne „(jedesmal,) wenn“ ê (daz) „bevor, ehe“sô „als, sowie, [dann] wenn“ sît (daz) „seitdem, nachdem“alsô / alse / als „sowie“ nu(n)(daz) „als [nun], wie nun, nachdem nun“die wîle „solange wie, während“. bidaz / bedaz „während dessen, daß..., indessen“unz (daz), biz (daz), „(solange) bis, (solange) wie“

swie „sowie, (dann) wenn“; und „wie, sowie, als“ (selten)

dô in der rise komen sach, daz was sîn spotswenn ir uns komet, ir werdent hôh enpfangensô si gedâht an Helchen, daz tet ir inneclîche wêalse es danne zit si, so bin ich unde Isot da biden volgte ich eine wîle, unz daz ich eine burc ersachsît daz wir von in scieden, hât in iemen iht getân?

Konditionale Sätzeob „wenn“undswenne „wenn“, „sobald“sôswie

waz töhte ob ich mich selben trüge.

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Konzessive Sätzedoch „obgleich, wiewohl“(s)wie „wiewohl, wenn auch, obgleichaleine(e) „obwohl, obgleich“ane „wenn gleich“ob „wenn auch, wenn gleich“

doch er guot ellen trüege, Erec in von dem rosse schietdaz die ringe von den knien zestuben, swie si waeren îserînalein er wêre niht rîch des guotes, doch was er rîch sinniges muotesob ez halt frou Kamille waere („und wäre es auch...“, „selbst Frau Kamille...“), ez wurde

iedoch versuocht an sie.

Kausale Sätzesît (daz) „da, weil“ durch daz „um des willen, daß..., deshalb weil“nû „da nun“ für daz „dafür daß, weil“wand(e) / want(e) / wan(e) „da“, „weil“ umbe daz „dafür daß, weil“(al) die wîle (daz): „da“, „weil“

sît ir michs niht welt erlân, so vernemet eznû wir der hereverte ledic worden sîn, sô wil ich jagen rîtenich suochte sîne hulde, wan er was merre danne ich

Finale Sätzedurch dazûf daz „daß“, „damit“daz

dar umbe hât er sich genant, daz er sîner arbeit iht âne lôn belîbe.

Modal-konsekutive Sätzedaz „so, daß“, „in der Weise, daß“.alsô, so, solh + daz

dô sluoc der herre Sîfrit daz al daz velt erdôzsi striten alsô sêre daz al diu burc erscal.

Modale Sätzeso „wie, dementsprechend wie, wo wie“so ie (+ Komparativ) - so ie (+ Komparativ) „je - desto“als(o) „so wie, wie wenn, als ob“.sam / alsam „(in gleicher Weise) wie“swie „wie auch immer, ganz so wie, wie“dazdanne „als“

ich wil iu gerne bewarn den lîp sô ich beste kansô ich ie mere zühte hân, sô ich ie minre werdekeit bejagenû was der leu ûz komen, als ir ê habent vernomenman sach die ringe rîsen sam sî waeren von strôer beleip die naht swier mohteirn habt keinen bezzern vriunt dan er ist.

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Zu den Nebensätzen mit dazdaz alleine oder in Verbindung mit Adverbien oder adverbialen Ausdrücken: unz daz, biz daz, durch daz, fur daz, umbe daz, ûf daz; sît (daz), nû (daz), ê (daz), noch denne (daz), die wîle (daz), swenne (daz).

Objektsatz: daz bediutet sich alsus, daz wir in dem tôde swebenModalsatz: ein ritter sô gelêret was daz er an den buochen lasFinalsatz: ich enhân niht rosses daz ich dar gerîteTemporalsatz: der helt doch niene tranc ê daz der künic getrunke

3.4. Besonderheiten der Satzfügung

Sparsamkeit des Ausdrucks - EllipsenNichtbezeichnung syntaktischer Glieder, die auch hätten bezeichnet werden können:

1. Nichtbezeichnung eines Pronomens:

nu binden ûf die helme.wistich nu, waz getaete, waz rates hie zuo haete.darnach ist ein tîer heizit panthera.

2. Nichtbezeichnung eines Infinitivs:

lâz dir mîn laster leit.done mohte der gast weder vür noch wider.

3. Nichtbezeichnung des Verbums finitum:

hie slac, dâ stich.si tâtenz dâ, wizzet daz, sô nie drî ritter baz.sam mir got, so mir got (helfe); sam mir mîn lîp ...

4. Konstruktionen mit wan, niuwan:

jô braeche ich rôsen wunder, wan der dorn.

5. Nichtbezeichnung eines nominalen Objekts:

Wenn der Begriff sich aus der Situation in einem bestimmten Milieu als selbstverständlich ergibt, v.a. im Bereich von Sondersprachen und der Sprache bestimmter sozialer Gruppen (z.B.: Turnierterminologie):

rüeren, trans. = „in Bewegung setzen, antreiben, berühren“mit sporn si vaste ruorten, die die juncfrouwen fuorten(„heftig trieben mit den Sporen [die Pferde] an diejenigen, die die Jungfrauen wegführten“sus kam er her gerüeret („kam eilends herangeritten“), als den der tiuvel vüeret.

rennen, trans. = „laufen machen, jagen, treiben“waz hilfet daz man traegen esel mit snellem marke rennet?

ohne Objekt: „reiten, eilen“an der selben stunde kam Marke gerant ze dem gevelle („ritt daher, kam angesprengt“)

sprengen, trans. (daz ors) = „das Roß springen lassen, galoppieren“

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Apokoinu(< griech. apo koinou= „vom Gemeinsamen“)

Ein Satzglied ist zwei aneinanderstoßenden (fast immer) koordinierten Sätzen gemeinsam, und ist grammatisch-syntaktisch doppelt zu beziehen, sowohl auf den vorangehenden Satz wie auf den folgenden:

dô spranc von dem gesidele /her Hagene/ alsô sprach.Gâwân an den zîten sach in der siule rîten / ein rîter und ein frouwen / moht er dâ beidiu

schouwen.

Das Apokoinu kann im zweiten Satz einen anderen syntaktischen Wert haben als im ersten Satz, wenn die Form doppelte Auffassung gestattet (Kasusdivergenz):

heiz Hôranden bringen: dem ist wol erkant / alle site Hagenen (Subj./Akk.-Obj.) / hât er wol gesehen

AnakoluthSatzfügungen, in denen eine begonnene Konstruktion nicht in der zu erwartenden Weise weitergeführt wird, sondern unvermerkt in eine andere Konstruktion übergeht. Es handelt sich um Konstruktionsmischungen, wie sie in der gesprochenen Sprache häufig begegnen; auch bewußt als stilist. Mittel gebraucht.1. Ein durch einen Gliedsatz unterbrochener Hauptsatz wird anders fortgesetzt wird, als es die

Konstruktion verlangt:

nû chundet uns daz buoch sus, daz der priester, der hêrre Eusêbius, di wîl er jungelinch was, / in den swarzen buochen er las.

2. Wechsel von indirekter zu direkter Rede, im selben Satz, innerhalb einer Satzperiode oder auch an sie anschließend (selten: Übergang von direkter Rede zu indirekter).

3. Wechsel der Konstruktion bei gleichwertigen Satzgliedern („syntaktische Dissimilation“): z.B. Wechsel einer konjunktionslosen Form eines abhängigen Satzes mit einer solchen mit Konjunktion:

dô sagete man ir umben grâl, daz ûf erde niht so rîches was, unt des pflaege ein künec hiez Anfortas

Dazu gehören auch Fälle, in denen und daz / oder daz an die Stelle einer anderen Konjunktion tritt, die zu wiederholen gewesen wäre; es nimmt damit die einleitende Konjunktion des voraufgehenden Satzes auf und ist wie jene zu übersetzen:

dô gote wart gedienet unt daz man dâ gesanc, mit ungefüegem leide vil des volkes ranc („Als die Totenmesse gehalten war und man den Gesang beendet hatte ...“)

Wenn einem Relativsatz ein zweiter syntaktisch gleichwertiger durch und angeschlossener folgt, wird nicht das Relativpronomen wiederholt, sondern das Personalpronomen der 3. Person gesetzt:

die haiden die dô dâ wâren unt si diu grôzen wunder vernâmen

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3.5. Zum Aufbau komplexer SätzeVerbindung eines übergeordneten Satzes mit einem untergeordneten Satz

Einschaltung von Gliedsätzen

a) Einschaltung eines abhängigen Satzes (= Konditionalsatz oder konjunktionslos) in den

übergeordneten Satz:

nu gich, wellestu genesen, sicherheit.und ouch diu erbe mîn, erwirbest duz mit sterke, diu sulen dir undertaenec sîn.

b) Einschaltung eines Relativsatzes vor das Satzglied, das er ergänzt:

des dînen guoten willen gibe ich dir ze lône, die ich tragen solte, mîner muoter Gêrlinde krône.

c) Relativsatz wird dem übergeordneten vorangestellt:

dar nâch ie ranc mîn herze, wie wol ich daz verendet hân.

d) Einschaltung des übergeordneten Satzes in den abhängigen Satz:

ist iemen baz enpfangen, daz ist mir unbekant, dan die helede maere in Sigemundes lant.

Verbindung eines übergeordneten Satzes mit mehr als einem untergeordneten Satz

a) Untergeordnete Sätze folgen nach dem Grad ihrer Abhängigkeit:

nu helfe dir des hant, dem aller kumber ist bekant, ob dir sô wol gelinge, daz dich ein slâ dar bringe, aldâ du Munsalvaesche sihst, dâ du mir dîner freuden gihst.

b) Untergeordneter Satz niedereren Grades steht vor dem untergeordneten Satz höheren Grades, der

Hauptsatz folgt den beiden untergeordneten oder geht beiden voran (Betonung):

wa man in verhouwen solde, do er daz an mir ervant, wie moht ich des getrouwen daz er im trüege haz?

c) Vorangestellter Relativsatz als Subjekt eines folgenden Satzes (wird in diesem durch

Personalpronomen wiederaufgenommen):

mîn gedinge ist, der ich bin holt mit rehten triuwen, dazs ouch mir daz selbe sî.

QUELLENBauer / Haage 1986 Bauer, G./B. D. Haage: Einführung in die diachrone Sprachwissenschaft. Göppingen

1986 (= GAG 459). (Übungsprogramme)

Helm / Ebbinghaus 1980 Helm, K./E. A. Ebbinghaus, Abriß der mittelhochdeutschen Grammatik. 5.Aufl. Tübingen 1980.

Mettke 1989 Mettke, Heinz: Mittelhochdeutsche Grammatik. Leipzig / Tübingen 1989.

Paul / Wiehl / Grosse 1989 Paul, H./ Wiehl / Grosse, S.: Mittelhochdeutsche Grammatik. Tübingen 1989.

Schmidt 1980 Schmidt, W. (Hg.): Geschichte der deutschen Sprache. Berlin 1980.

Singer 1996 Singer, J.: Grundzüge einer rezeptiven Grammatik des Mittelhochdeutschen. Paderborn / München / Wien / Zürich 1996

Weddige 1996 Weddige, Hilkert: Mittelhochdeutsch. Eine Einführung. München 1996.

Weinhold / Ehrismann / Moser 1986 Weinhold K./Ehrismann, G./Moser, H.: Kleine mittelhochdeutsche Grammatik. Wien 1986.

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