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Walter Hoffmann

Date post: 03-Feb-2017
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Bericht über die Senegalreise der Kinderhilfe Senegal e.V. 14.04. – 28.04. 2014 Autor: Walter Hoffmann Teilnehmer: 14.04. – 25.04. Inge Hanowski, 1. Vorsitzende der Kinderhilfe Senegal Samy Hanowski, Adoptivsohn der Vorsitzenden Jonathan Hanowski, Enkel der Vorsitzenden Kemo Sane, Repräsentant der KHS für Souda Ernst Krebs, Mitglied der KHS 14.04. – 28.04. Herta Hoffmann, Mitglied der KHS Walter Hoffmann, Schriftführer der KHS Begleiter im Senegal: 17.04. – 24.04. Ibou Goudiaby, Repräsentant der KHS 14.04. – 29.04. Moustapha („Tafa“) Coly, Repräsentant der KHS 19.04. – 29.04. Eberhard Mohr, Ausbilder der Monteure in den Solarwerkstätten Baila Fotos: Herta Hoffmann, Walter Hoffmann, Tafa Coly
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Bericht über die Senegalreise der Kinderhilfe Senegal e.V.

14.04. – 28.04. 2014

Autor: Walter Hoffmann

Teilnehmer:

14.04. – 25.04.

Inge Hanowski, 1. Vorsitzende der Kinderhilfe Senegal

Samy Hanowski, Adoptivsohn der Vorsitzenden

Jonathan Hanowski, Enkel der Vorsitzenden

Kemo Sane, Repräsentant der KHS für Souda

Ernst Krebs, Mitglied der KHS

14.04. – 28.04.

Herta Hoffmann, Mitglied der KHS

Walter Hoffmann, Schriftführer der KHS

Begleiter im Senegal:

17.04. – 24.04.

Ibou Goudiaby, Repräsentant der KHS

14.04. – 29.04.

Moustapha („Tafa“) Coly, Repräsentant der KHS

19.04. – 29.04.

Eberhard Mohr, Ausbilder der Monteure in den Solarwerkstätten Baila

Fotos:

Herta Hoffmann, Walter Hoffmann, Tafa Coly

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Montag, 14.04. 2014

Die Reise begann an verschiedenen Orten. Kemo flog von Düsseldorf aus, Herta und Walter starte-ten in Frankfurt, Inge, Ernst, Samy und Jonathan in München. Da wir alle TAP-Flüge gebucht hat-ten, trafen wir uns bei der Zwischenlandung in Lissabon, wo wir zunächst die Uhr um 1 Stunde vorstellen und dann noch 4 Stunden Wartezeit im Flughafen überbrücken mussten. Die Zeit verging allerdings schnell, weil wir zufällig einem alten Be-kannten aus den 70er Jahren begegneten, der mit einer Senegalesin verheiratet ist und in der Nähe von Dakar ein Haus besitzt, und weil auch Kemo aus Düsseldorf nette Gesprächspartnerinnen mit-gebracht hatte: zwei Senegalesinnen, wovon eine in Köln arbeitet und gut deutsch spricht.

Die Wartezeit verging also wie im Flug(hafen) und nach einem Imbiss im portugiesischen Bistro begaben wir uns um 19.45h an Bord einer vollbesetzten A 321, wobei Herta wie schon in Frankfurt eine besonders aus-führliche Handgepäckkontrolle durchstehen musste. Grund: ein Blutdruck-Messgerät, das beim Scanner Verdacht auslöste. Die dreieinhalb Stunden Flugzeit zogen sich trotz Abendessen und Dämmerschlaf hin, nochmals wurde 1 Stunde vorgestellt, und schließlich landeten wir ziemlich erschöpft um Mitternacht in Dakar. Der neue Flughafen von Dakar war inzwischen mit modernster Sicher-heitstechnik ausgestattet worden, was die Einreiseprozedur noch langwieriger werden lässt. Von jedem wurde bei der Passkontrolle zunächst ein Foto gemacht, dann per Scanner die Fingerabdrücke von Daumen und Zeige-finger der linken und der rechten Hand genom-men, ehe uns einzeln in separaten Räumen von sichtlich überforderten Grenzbeamten nach Vorlage der bezahlten Anträge und nochmaliger Abfrage der Passdaten das Visum für den Senegal ausgestellt wurde.

Die Einreiseprozedur dauerte fast eineinhalb Stun-den. Wenigstens verlief die Zollkontrolle unserer 18 Gepäckstücke problemlos, so dass wir endlich um 1.20h das Flughafen-Gebäude verlassen konnten. Am durch Gitter abgesperrten Weg zum Parkplatz wurden wir, bedrängt durch allerlei Dienstleistungs-anbieter, von unserem Repräsentanten Tafa und von zwei Verwandten von Kemo, Bruder Sadio und Onkel Amadou, erwartet und herzlich begrüßt. Das Hotel Poulagou hatte wie vereinbart zwei Taxis geschickt, um uns abzuholen, und während Kemo bei seinem Bruder nächtigte, ließen wir uns zum Hotel Poulagou bringen, das uns schon seit einigen Jahren als komfortable und preiswerte Unterkunft in Dakar dient. Nach einem kühlen Begrüßungsbier im Innenhof begaben wir uns um 2.30h zur Nachtruhe.

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Dienstag, 15.04.

Für die einen – Herta, Ernst, Walter – begann der erste Tag im Senegal mit einem Sightseeing von der Dachveranda des Hotels aus, wobei die vormals freie Sicht auf den Fischmarkt und das Meer inzwischen durch die hohe Rückwand eines unmittelbar vor dem Hotel gebauten Hauses stark eingeschränkt ist. Für die anderen – Inge, Tafa, Samy und Jonathan – mussten 5 Stunden Schlaf reichen bis zur ersten wichtigen Begeg-nung der Reise: Samy traf zum ersten Mal seinen leiblichen Vater Ibou. Die anfäng-liche Verlegenheit löste sich unter dem Einfluss der Zieheltern Inge und Tafa schnell, und Ibou zeigte sich sichtlich stolz

darauf, was für ein kräftiger und freundlicher junger Mann aus dem kleinen Kerl geworden ist, der von seinen Eltern vor zehn Jahren kaum noch ernährt werden konnte. Alle zusammen machten wir uns nach dem Frühstück auf den Weg in die Stadt, tauschten zunächst in einer Wechselstube an der großen Ringstraße Euros in ein dickes Bün-del CFA-Geldscheine und fuhren dann – es war inzwischen schon Mit-tag geworden – per Taxi zum Hafen, wo wir ganz knapp das 14-Uhr-Schiff zur Insel Gorée verpassten und deshalb erstmal im Wartesaal Platz nehmen mussten. Die eine Stunde bis zur Abfahrt des nächsten

Schiffes nutzte Tafa, um gesprächsweise Jonathan und Samy näher mit den Verhält-nissen im Senegal vertraut zu machen. Um 15h bestiegen wir das Schiff, das uns und 200 andere Touristen und Händler in halb-stündiger Fahrt zur ehemaligen Sklaveninsel Gorée brachte. Gleich nach dem Aussteigen akquirierte Tafa als Inselführer einen älteren Mann, einen gebürtigen Goréer, der einige Jahre auch in Deutschland gelebt hatte. In gut verständlichem Deutsch gab er uns einen Überblick über die fast vierhundertjährige Geschichte der Insel und über die Ge-schichte der Sklaverei im Senegal. Auch wenn die historische Forschung inzwischen

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widerlegt hat, dass die Gorée wirklich ein großer Sklavenumschlagplatz gewesen ist, erfüllt die Insel nach wie vor ihre Aufgabe, an das Menschheits-verbrechen „Sklaverei“ zu erinnern und sichtbar zu machen, wie die ange-lieferte „Ware“ in Männer, Frauen, Mädchen, Jungen, Kleinkinder und Säuglinge selektiert wurde, bewertet allein nach ihrem Nutzen für die portu-giesischen, niederländischen, engli-schen und französischen Sklaven-händler und ihre Kunden, die Groß-grundbesitzer in Süd-, Mittel- und Nordamerika. Das „Weltkulturerbe“ Gorée ist heute eine ausgesprochen schmucke, freundliche, für senegale-sische Verhältnisse sogar wohlhabende Gemeinde, die vom Tourismus so gut leben kann, dass die Preise für Häuser inzwischen europäisches Niveau erreichen und die Insel ein Refugium für reiche Ausländer geworden ist. Unser Inselführer brachte uns, vorbei an einem Elite-Mädchen-Internat, zu den „Sandmalern“,

deren frappierende Kunst uns zum Kauf einiger Werke animierte. Samy und Jonathan wurden unterwegs von einer Trommelgruppe zum Mitspielen einge-laden, und ihre Begeisterung über die lockere Art der Afrikaner wuchs zusehends. Den Abschluss unserer Besichtigung bildete ein wegen des Besucherandrangs nur kurzer Besuch des berühmten „Sklavenhauses“, das eigentlich – so die neuere Forschung – nur das im 19. Jahrhundert gebaute Wohn- und Lagerhaus eines französischen Kolonial-warenhändlers war. Dem informativen Cha-rakter der Museumsinsel Gorée tut das kei-nen Abbruch, und unser Inselführer gab uns einige wichtige Erkenntnisse über die Sklave-

rei mit auf den Weg, z.B.: Dass der Islam so schnell und nachhaltig im Senegal Fuß fassen konnte, hat viel mit der Sklaverei zu tun: Um der dro-henden Versklavung durch die arabi-schen Sklavenhändler zu entgehen, wurden fast alle Senegalesen Mos-lems, weil es einem Moslem vom Koran verboten ist, einen anderen Moslem zu versklaven. Um 18h fuhren wir zurück nach Da-kar. Damit war das Tagesprogramm aber noch nicht erledigt, denn Ama-dou, der Onkel von Kemo, hatte uns zum Abendessen in sein Haus eingeladen. Mit zwei Taxis fuhren wir also dorthin und wurden von der großen Familie und Freunden aus Souda überaus herzlich empfangen.

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Amadou Sane, den nur Inge vor einigen Jahren schon persönlich kennengelernt hatte, gehört als erfahrener Diplomat zur Elite des Senegal und ist in seinem Heimatort Souda die einflussreichste Persönlichkeit. Es war deshalb für uns besonders wichtig, seine Sympathie für die Mitglieder und den Vorstand der KHS und sein

Einverständnis mit unseren Projek-ten in Souda zu erlangen. Die kurze Vorstellung unserer Vorhaben gefiel ihm und er forderte seine Familien-mitglieder und die anderen Bürger aus Souda auf, den Hilfsangeboten der KHS mit dem gebührenden Enthusiasmus zu begegnen. Nach diesem Aufruf zur Modernisierung wurde das Abendessen „á famille“ gereicht, d.h. auf den Couchtisch wurden zwei große runde Tabletts mit Salat, Reis, Gemüse und Fleisch gestellt, aus denen sich jeder mit einem Löffel bediente, bis er satt war. Dazu wurde Mineral-wasser und köstlicher Bissap- und Baobab- (Affenbrotbaum) Saft

gereicht. So wurden wir ganz selbstverständlich in die Großfamilie Sane integriert. Die anwesenden Frauen, die Schwestern, Kousinen und Tanten Amadous, zeigten sich schließlich sehr interessiert an unseren persönlichen Familienverhältnissen. Sie nannten zuerst die Zahl ihrer Kinder – keine hatte weniger als 5 – und fragten dann nach der Zahl unserer Kinder, und als wir unsere Kinderzahl – maximal 4 – genannt hatten, fragten sie ganz unverblümt, warum wir „so wenig Kinder“ hätten? Die Antwort darauf gab Inge: Bei uns in Deutschland seien viele Frauen berufstätig und finanziell unabhängig von den Männern und würden allein darüber entscheiden, wieviele Kinder sie haben wollten. Damit hatte Inge die Modernisierungsstim-mung der Frauen exakt getroffen, und im Bewusstsein, dass wir Amadou und die ganze Familie Sane für unsere Projekte gewonnen hatten, kehrten wir gegen Mitternacht ins Hotel zurück.

Mittwoch, 16.04.

Wir waren brieflich um 10.30h im Ministerium für Berufsausbildung angemeldet, um dort Michel Faye, den Kabinettsdirektor des Ministers Talla und Chef aller senegalesischen Berufsschulen, über die Fertigstellung der Solarschule zu informieren und mit ihm organisatorische Fragen des Schulbetriebs zu besprechen. Also machten wir uns – ohne unsere Jugendlichen, die lieber im Hotel bleiben wollten – um 9.30h mit 2 Taxis auf den Weg. Unterwegs musste noch Kemo bei seinem Bruder Sadio abgeholt werden. Vor dem Ministerium warteten schon der Bürgermeister von Baila und der UDB-Präsident, die beide speziell für diesen Termin nach Dakar gereist waren, und zusammen begaben wir uns zum Büro des Direktors Faye, wo uns zwei Vor-zimmerdamen empfingen und uns gleich in die Konferenzzone des Ministers im 5. Stock komplimentierten. Dort nahmen wir Platz in der Hoffnung, in wenigen Minuten mit Michel Faye sprechen zu können. Wir hatten untereinander und mit dem Bürgermeister und dem UDB-Präsidenten viel zu bereden, und so fiel es uns nicht weiter auf, dass wir auch nach 1 Stunde Wartezeit noch nicht zum Gespräch gebeten worden waren. Erst als weitere 30 Minuten verstrichen waren, wurden Kemo und Tafa misstrauisch und brachten bei den Vorzimmerdamen die Delegation der KHS in Erinnerung. Es stellte sich heraus, dass Michel Faye das Gespräch mit uns an einen Mitarbeiter delegiert hatte und dieser Mitarbeiter einfach nicht zum Dienst erschienen war. Statt uns darüber zu informieren, hatte man uns schlicht im 5. Stock vergessen. Wir waren darüber ziemlich sauer und gaben zu verstehen, dass wir das Ministerium mit dem denkbar schlechtesten Eindruck verlassen würden, wenn man uns nicht sofort die versprochene Audienz gewähren würde. Daraufhin bat uns Michel Faye in sein Büro und entschuldigte sich für den Fauxpas. Nachdem Walter ihn

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etwas indigniert gefragt hatte, ob die Zusammenarbeit mit der Kinderhilfe Senegal und den „Ingenieuren ohne Grenzen“ für das Ministerium noch von Bedeutung sei, erklärte er wortreich, dass sich an der Wert-schätzung der Arbeit der KHS nichts geändert habe, dass die Solarschule eine große Chance für die Bevöl-kerung sei, usf. Auf uns machten seine höflichen Erklärungen eher den Eindruck, als wolle er unse-ren Besuch möglichst schnell hinter sich bringen. Da auch wir nach fast zwei Stunden Wartezeit starken Rekreationsbedarf verspürten und auch einsehen mussten, dass der Direktor Faye nicht gut auf unseren Besuch vorbereitet war, übergab Walter dem Direktor ein gebundenes Exemplar des Lehrbuchs für Erneuerbare Energien, das die Regionalgruppe Regensburg der „Ingenieure ohne Grenzen“ für die Solarschule in Baila angefertigt hatte, und versicherte dem obersten Chef aller Berufsschulen, dass KHS und IoG in den näch-sten Jahren die neue Solarschule in Baila beraten würden, wenn dem dortigen Schuldirektor Bandia vom Ministerium die Freiheit eingeräumt werde, selbständig Entscheidungen über den laufenden Betrieb der

Solarschule zu treffen. Dies sagte Michel Faye zu und damit war die alles in allem unbefriedigende Unterredung nach ca. 30 Minuten beendet. Wir verabschiedeten uns vom Bürgermeister und vom Chef d’UDB, die beide schon morgen nach Baila zurückkehren wollten, und während Inge, Herta, Ernst und Tafa zurück ins Hotel fuhren, begaben sich Kemo und Walter auf die Suche nach dem Goethe-Institut in Dakar. Walter wollte die Besuchseinladung von Frau Nagel, einer Mitarbei-terin des Goethe-Instituts, wahrnehmen, Kemo hoffte, dort für das College in Souda, an dem auch Deutsch unterrichtet wird, eine größere Menge

Deutschbücher kaufen zu können. Nach einigen Telefonaten war der Kontakt mit dem Sekretariat des Instituts hergestellt, und nach einer längeren Taxi-fahrt durchs mittäglich brütend heiße und chaotische Dakar trafen sie um 14h im neuen Gebäude des Goethe-Instituts ein. An der Rezeption erfuhren sie, dass Frau Nagel noch in Urlaub war, und nur dem bezwingenden Charme von Kemo war es zu verdan-ken, dass die Sekretärin den Zugang zur Stellver-treterin von Frau Nagel öffnete. Im 2. Stock des Büro-gebäudes wurden sie von Nina Melnikowa empfan-gen, einer russischen Mitarbeiterin des Goethe-Instituts. Nach anfänglicher Skepsis ließ sie sich bereitwillig von Walter die Ziele und Projekte der KHS erklären und nahm interessiert den KHS-Flyer entgegen. Die Deutschbücher hatte sie nicht vorrätig, schrieb aber die Adresse einer Buchhandlung auf, wo die Bücher sicher zu bekommen seien. Nach ein wenig Small Talk verabschiedeten sich Kemo und Walter und suchten zuerst ein Bistro in der Nähe auf, um der drohen-den Dehydrierung durch Zufuhr von Limonade und Tee zu begegnen – immerhin waren seit der letzten Getränkeaufnahme schon fast 6 Stunden vergangen. Im Bistro telefonierte Kemo mit der Buchhandlung und

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erhielt die Auskunft, dass auch dort die benötigte Büchermenge nicht vorhanden sei. Man müsse dafür schon das Großhandelslager am Stadtrand von Dakar aufsuchen. Wieder besorgte Kemo ein Taxi, das ihn und Walter in 30 Minuten zum besagten Lager am ziemlich verkehrsfreien östlichen Rand von Dakar brachte. Das Lager hatte allerdings um 17.30h schon geschlossen, und der Pförtner gab Kemo den Rat, die Bücher morgen um 8h hier abzuholen. Kemo und Walter fuhren also mit dem Taxi unverrichteter Dinge zu-rück zum Hotel, allerdings zum doppelten Preis, d.h. 7000 CFA, denn der Taxifahrer hatte schnell erkannt, dass er im Umkreis von 2 Kilometern die einzige Möglichkeit bot, die beiden „Deutschbücher-Freaks“ zurück in die Stadt zu bringen. Um 18.30h kamen Kemo und Walter erschöpft und ziemlich frustriert im Hotel an. Kemo fuhr gleich weiter zu seinem Bruder Sadio, wo wir alle in einer Stunde zum Essen erwartet wurden.

Der Abend bei Kemos Bruder Sadio rettete dann den ganzen Tag – nicht nur, weil das Essen wieder ganz vorzüglich war, sondern vor allem wegen der drei attraktiven Töchter, deren älteste, Aya, als Fotomodell für Modezeitschriften schon vor drei Jahren die Aufmerksamkeit unseres Schatzmeisters Friedbert geweckt hatte. Die Herzlichkeit, mit der wir von der Familie

Sadios aufgenommen wurden, stand der gestrigen in Amadous Familie in nichts nach. Weil auch noch drei Enkelkinder den Innenhof des Hauses belebten, fühlten sich auch Samy und Jonathan – altersmäßig zwischen den Kindern und den erwachsenen Töchtern stehend – familiär bestens aufgehoben. Sie spielten mit den Kin-dern, unterhielten sich mit den Mädchen und tauschten mit ihnen Facebook-Adressen aus, während wir fast bis

Mitternacht die entspannte Atmosphäre im Atriumhaus der Sanes genossen. Mit diesem Abend endete unser Aufenthalt in Dakar so familiär und freundlich wie er vor zwei Tagen begonnen hatte..

Aya im Mai 2011

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Donnerstag, 17.04. Nach Frühstück und Abrechnung im Hotel Poulagou stand der Flug nach Ziguinchor auf dem Programm. Da für diesen Flug nur ein Gepäckstück bis 20 kg pro Person zugelassen war, Inge aber mit 8 Gepäck-

stücken für 4 Personen angereist war, musste erst kräftig umgepackt werden, damit v.a. das von Eberhard Mohr für die Werkstätten angeforderte Werkzeug unverzüglich nach Baila gebracht wer-den konnte. Die vier Taschen und Koffer, die wir nicht mitnehmen konnten, wurden von Amadou bzw. Sadio übernommen, die ebenfalls heute, aber mit dem Auto nach Souda fuhren. Nach 1 Stunde schweißtreibender Denk- und Packarbeit brachten uns zwei Taxis zum Flughafen. Dort trafen wir auch Kemo, der tatsäch-lich noch eine Kiste Deutschbücher besorgt hatte. Auch hier beim Inlandsflug mussten wir uns zunächst der idioti-

schen Sicherheitsprozedur mit Foto, Fingerabdruck etc. unterziehen, und zum dritten Mal wurde Herta aufgefordert, ihren ganzen Rucksack auszupacken, weil dem Scanner-Personal das Blutdruckmess-gerät „spanisch vorkam“. Endlich, um 11h bestiegen wir die vergleichsweise moderne und geräumige Maschine der Senegalair mit 50 Plätzen. Nachdem alle angemeldeten Passagiere an Bord waren, star-tete sie sofort und 15 Minuten vor der Zeit nach Ziguinchor. 35 Minuten später rollten wir auf dem kleinen Flug-platz von Ziguinchor aus. Das Gepäck wurde ein-fach neben dem Flugzeug ausgeladen, und jeder konnte sich seinen Koffer heraussuchen und damit zum 100 Meter entfernten Ausgang laufen. Vor dem Flughafengebäude begrüßten uns sehr herzlich Ibou, unser Repräsentant, Moctar und Sadibou, Brüder von Kemo, und Maleyni, der Krankenpfleger aus Baila, der das Werkstatt-Material übernahm und noch heute nach Baila transportieren sollte. Wir setzten uns, nachdem

das ganze Gepäck auf dem Dach verstaut war, in den von Tafa mit Fahrer angemieteten 15-Perso-nen-Bus und fuhren zum Haus unseres Reprä-sentanten Ibou, der uns zum Mittagessen einge-laden hatte. Unterwegs machten wir kurz Halt an der Mittelschule, an der Ibou als Lehrer arbeitet, um dem Direktor die KHS vorzustellen und einige Lehrerkollegen Ibous kennenzulernen. Der Direk-tor zeigte sich als ausgesprochen freundlicher Mann. Er begrüßte uns im Namen der gesamten Schule und betonte, dass er auch in Zukunft Ibou gerne für unsere wichtige Arbeit freistellen werde. Inge und Walter bedankten sich für die Unterstüt-zung, die der Direktor unserem Repräsentanten seit Jahren gewährt, und versprachen, dem näch-

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sten Besuch der Schule mehr Zeit zu widmen. Ein paar Minuten Fahrt genügten dann, um zu Ibous Haus am Stadtrand von Ziguinchor zu gelangen. Dort empfingen uns Ibous Frau mit den drei Kindern und zwei Vertre-ter der UDB-Sektion Ziguinchor, einige Verwandte gesellten sich auch noch dazu, und zusammen nahmen wir im Wohnzimmer Platz und erfreuten uns an den kalten Fantas und Colas, die uns kredenzt wurden. Den Willkommensgruß von Ibou beantwortete Inge mit dem Gastgeschenk der KHS, das sich Ibou schon lange gewünscht hatte: das Geld für einen All-in-one-Tintenstrahldrucker. Ibou nahm hocherfreut die 100.000 CFA in Empfang und bat Inge, ihn zu dem Geschäft zu begleiten, wo er den Drucker gleich kaufen könne. Da das Auto ja vor der Tür stand, stand der Aktion nichts im Wege, und nach einer Stunde waren sie wieder zurück, Ibou mit einem neuen hp-Drucker unterm Arm. Wir anderen hatten uns inzwischen gut unterhalten und uns hauptsächlich mit Ibous Kindern beschäftigt. Die 5jährige Tochter Bintou hatte es Jonathan besonders angetan. Ohne Scheu spielte sie mit ihm, als wäre er ihr großer Bruder. Um 15h schließlich wurde das von Ibous Frau und seiner Schwägerin zubereitete Essen – Salate, gekochte Eier und Krabben in würziger Soße als Vorspeise, Reis mit Hühnchen und Zwiebelsoße als Hauptgang – serviert, wieder „á famille“, wie wir das schon in Dakar bei Amadou und Sadio erlebt hatten. Auch Bissapsaft gab es wieder reichlich, und wieder mussten wir feststellen, dass es mit den Plänen, im heißen Senegal wenigstens ein paar Pfunde zu verlie-ren, nichts werden würde. Es schmeckte einfach zu gut für eine freiwillige Diät. Zum Abschied bedankte sich Inge bei Ibou und seiner Familie für die herzliche Gast-freundschaft, dann wurde es Zeit, nach Souda aufzubrechen, damit wir dort noch vor Einbruch der Dunkel-heit eintreffen würden. Im mit 13 Personen gut besetzten Bus brachen wir um 16.30h auf und fuhren zuerst auf der asphaltierten N5 bis Bignona, um dort zu tanken und Lebensmittel und Wasser für die Zeit in Souda zu kaufen. Den Halt an der Tankstelle nutzten wir für den Einkauf im gegenüberliegenden kleinen Supermarkt. 54 Liter Mineral-wasser, Äpfel, Bananen, Erdnüsse, Marmelade, Nusscreme und Kekse luden wir in den Bus, und nach einer halben Stunde ging es weiter auf einer Sandstraße, durch lichte Kapok- und Palmenwälder, vorbei an klei-nen Gehöften und durch mehrere Dörfer, an deren Anfang und Ende jeweils eine Holperschwelle die Fahr-geschwindigkeit drastisch herabsetzte, so dass wir erst nach eineinhalb Stunden Fahrt die 30 Kilometer bis

Souda überwunden hatten. Die ersten beiden Kilometer im Dorf wirkten wie ausge-storben, aber wenig später wurde uns klar, warum. Als wir kurz vor der Ecole mater-nelle anhielten und ausstie-gen, kam eine große Gruppe Frauen und Kinder rhythmi-sch klatschend, singend und tanzend auf uns zu, nahmen uns in die Mitte, und im Tanz-schritt bewegten wir uns, an-gefeuert von einer Trommler-gruppe, auf die große Men-schenmenge zu, die sich gegenüber der Ecole mater-nelle versammelt hatte.

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In langen Reihen standen fähnchen-schwenkend die Kinder des Dorfes Spa-lier, auf der rechten Seite hatten die Männer Aufstellung genommen, darunter alle Honorablen – der Bürgermeister, der Imam, der Chef d’UDS, die Direktoren der Schulen, Lehrer und Schüler der Ecole elementaire und des Collegé, und natürlich die Brüder Sane, alle waren sie gekom-men, um uns als Mitglieder der Dorffamilie willkommen zu heißen! Das „Kassumai –

Kassumai cap – Katibo – Kokobo“, das Händeschütteln und Umarmen wollte kein Ende nehmen, bis wir schließlich gebeten wurden, an einem langen Tisch Platz zu nehmen. Wir waren alle überwältigt und gerührt von diesem Empfang, und selbst Walter, der nun schon zum fünften Mal nach Souda kam, war noch nie so unglaublich herzlich begrüßt worden. Dabei war der

Empfang noch garnicht zuende; vor dem Tisch bildete sich ein Halbkreis, und zu-nächst lieferten sich die Männer einen ra-santen Tanzwettkampf mit teilweise eksta-tischen Zügen, bejubelt und beklatscht von den Umstehenden, und als Kemo in die Arena trat und Herta zum Tanzen ani-mierte, kannte die Begeisterung keine Grenzen mehr. Danach tanzten die Frauen, angeführt von Kemos Schwester Awa, etwas weniger exaltiert als die Män-

ner, aber genauso intensiv. Fast eine Stun-de, bis Einbruch der Dunkelheit, dauerte das Tanzspektakel; erst als es ganz dunkel war, kehrten die Menschen in ihre Häuser zurück und wir wurden zum Haus des UDS-Chefs Moctar gebracht. Dort wurden Herta, Inge, Ernst und die Buben in drei Zimmern ein-quartiert, während Tafa und Walter im Haus gegenüber bei Moktars Mutter ein Zimmer zugewiesen bekamen. Nach dem wohl-schmeckenden Abendessen, das die Frauen des Hauses für uns zubereitet hatten, präsentierte Moctar als besondere Überraschung einen kleinen Anbau an

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seinem Haus: eine gemauerte Toilette mit gefließtem Boden und Sitz-WC, ein Zugeständnis an uns verwöhnte Mitteleuropäer höheren Alters, damit wir nicht mehr die 60 Meter vom Haus ent-fernte Naturtoilette – ein Loch im Boden, zwei Backsteine, ein Sichtschutz aus Wellblech und Stofffetzen – aufsuchen mussten. Schon in der zweiten Nacht bewährte sich die von Walter letztes Jahr in Auftrag gegebene und von der KHS bezahlte Investition: die überfallartige Diarrhoe, von der Inge gepackt wurde, hätte ohne die neue Sitztoilette gewiss andere Spuren hinterlassen …

Freitag, 18.04.

Viel Zeit zum Ausschlafen hatten wir nicht, denn für heute war die große Reunion mit der UDS angesetzt, in der die laufenden und zukünftigen Projekte besprochen werden sollte. Nachdem wir unter den Bäumen in Moctars Hof aus-giebig gefrühstückt hatten, besprachen Inge und Walter mit Amadou und Kemo kurz den Ablauf. Um 11h waren dann alle Vertreter der UDS unter dem großen Mango-Baum eingetroffen, und die Ver-sammlung konnte beginnen. Schnell zeigte sich, dass, wohl bedingt durch die Anwesenheit von Amadou und Kemo, sich die Bevölkerung von Souda, diesmal

wesentlich homogener äußern würde als vor einem Jahr. Amadou eröffnete die Reunion mit einer ausführ-lichen Begründung, warum die Grundschule auf den Platz gegenüber der Ecole maternelle verlegt werde. Das ganze Dorf sei im Zuge der Modernisierung in den letzten Jahren in Richtung Westen umgezogen, östlich der alten Grundschule gebe es praktisch keine Wohnhäuser mehr. Die neuen Schulgebäude seien gerade im Entstehen, die alte Schule solle, wenn alle Schüler umgezogen seien, in ein „Campement touris-tique“ umgewandelt werden. Da die Ecole maternelle ohnehin einen Brunnen benötige, könne man für beide Schulen einen neuen Brunnen anlegen. Dafür sei die Hilfe der KHS sehr willkommen.

Danach erklärte Moctar, dass ja alle in Souda Bauern seien und dass die allmähliche Modernisierung Soudas ganz in ihrem Interesse sei, weil sie sich davon auch eine Verbesserung der Agrikultur erwarteten.

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Daraufhin ergriff Awa Badji als Vertreterin der Frauen in der UDS das Wort und erklärte in Djola, dass zwar alle Bauern seien, die Frauen aber die hauptsächli-che Feldarbeit leisten müssten. Während uns Kemo das übersetzte, stand eine ältere Frau auf, ergriff eine fast steinzeitlich anmutende Hacke und zeigte uns, wie mühsam es ist, den harten Boden zu bear-beiten. Dann erhoben sich zwei andere Frauen, nah-men schwere Holzstößel zur Hand und demonstrier-ten, mit wieviel harter Arbeit der Reis weiterbearbei-tet werden muss, bis eine Portion Reiskörner ent-

steht. Solidarisch griffen auch Herta und Inge zum Stößel, gaben aber nach zwei Hebeversuchen ent-kräftet auf. Damit hatten die UDS-Frauen eindeutig klargemacht, was sie unter der „Verbesserung der Arbeitsverhältnisse“ verstanden: mehr motorisierte Arbeitsgeräte statt der zeit- und kraftraubenden Handarbeit.

Nun waren wir an der Reihe. Inge bedankte sich zunächst für den überwältigenden Empfang, den man uns gestern bereitet hatte, und verkündete dann, was die KHS bei der letzten Jahresversamm-lung beschlossen hatte: Souda zum Hauptort für die neuen Projekte der KHS zu machen. Als erstes neues und langfristiges Projekt erläuterte sie dann die „Schule für Landwirtschaft und Gartenbau“ nach

dem Vorbild einer Landwirtschaftsschule in Mbour, die vom deutschen „Senegalhilfe-Verein“ aufgebaut wurde. Die Realisierung des Projekts werde etwa 5 Jahre dauern und soll mit einem Zuschuss des BMZ errichtet werden. Walter schlug vor, zwei kleinere Projekte zu planen, um schon jetzt für mehr Menschen Verdienstmög-lichkeiten zu schaffen. Ein Projekt, das man schon dieses Jahr beginnen könne, sei die „Ein-Dollar-Brille“ mit der die UDS mehrere Personen als „mobile Optiker“ beschäftigen könne. Das zweite Projekt, das relativ schnell realisiert werden könne, sei eine Fahrradwerkstatt in

Souda, für die es ebenfalls einen steigenden Bedarf gebe. Alle von uns vorgeschlagenen Projekte wurden sehr beifällig aufgenommen. Inge beschloss den KHS-Part mit einer Werbung für die Solargeräte, die ab sofort in Baila produziert werden: die Solarlampe „Mali-Light“, der Parabolkocher SK14 und der Holzspa-rofen. Die Solarlampe könne eventuell auch in Souda montiert werden. Zum Ende der Reunion berichtete Moctar über eine unerwartete Entwicklung in der Ecole maternelle: Im laufenden Jahr sei die Zahl der Neuanmeldungen für die „Premier Section“, also die dreijährigen Kinder, so stark zurückgegangen, dass insgesamt nur noch 72 Kinder (statt 88 wie im letzten Jahr) versorgt werden müssten. Deshalb könne keine

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dritte staatliche Erzieherin beantragt werden; die von der KHS mit 50 € / Monat finanzierte Hilfserzieherin wolle aber gerne weiterarbeiten. Einen Grund für diesen Rückgang konnte Moctar nicht angeben, wir hoffen aber insgeheim, dass er auf einem von den jungen Frauen selbstbestimmt bewirkten Geburtenrückgang basiert. Das letzte Wort hatte dann der Bürgermeister, der noch einmal betonte, wie sehr Souda auf die KHS angewiesen sei und wie groß die Hoffnung aller sei, mit der KHS in eine gute Zukunft zu gehen. Fast 4 Stunden hatte die Reunion gedauert, für die Teilnehmer war nun Rekreation angesagt: erst Mittagessen im Kreise der UDS, dann eine einstündige Siesta im Zimmer.

Am späten Nachmittag stand dann ein kurzer Besuch im Collège an, zu dem uns dessen Direktor eingeladen hatte. Die drei Kilometer bis zum westlichen Ortsrand fuhren wir mit dem Auto. Im Collège, das unserer Sekundarstufe 1 entspricht, empfing uns der Direktor in seinem Büro und brachte uns dann in den Computersaal, wo sich noch wei-tere Lehrkräfte einfanden, darunter auch der Deutschlehrer Mamour Toure, dem Walter schon letztes Jahr begeg-net war. In einer kurzen Ansprache gab der Direktor zu verstehen, dass sich auch das Collège Unterstützung von der KHS erwarte, z.B. bei Wasser- oder Sturmschäden an den Gebäuden.

Walter antwortete mit dem Hinweis, dass die KHS zwar das Wetter nicht beeinflussen könne, aber selbst-verständlich das Collège in die gemeinsamen Pläne zur Verbesserung der Lebensverhältnisse in Souda einbeziehen werde. Dann übergab Kemo dem Direktor die 30 Deutschbücher, die er in Dakar gekauft hatte mit dem Hinweis, dass die zweiten 30 Bücher bis zum Beginn des neuen Schuljahres im Oktober nachge-reicht würden. Damit war der Besuch beendet und wir schlenderten zum Ausgang, ohne zu ahnen, dass dort bereits ein Komitee bereitstand, das uns zum letzten offiziellen Programm-punkt des heutigen Tages geleitete: die „Animation“ genannte Tanzfete uns zu Ehren – für Herta und die Buben das erste original afrikanische Tanzfest. Die paar hundert Meter bis zum Tanzplatz liefen wir zu Fuß, wie-der wurden uns Stühle in der ersten Reihe zu gewiesen, dann füllte sich der Platz mit Frauen und Kindern, mit knallbunt gekleideten Jungen- und Mädchengruppen, wobei nur die Mäd-chen und Frauen die Klanghölzer und Klangeisen bedienten, während die jungen Männer, sofern sie nicht zur Trommelgruppe gehörten, schon die charakteristischen Stampftänze einübten, um den Waldgeist, den „Cumpo“, zu provozieren. Immer lauter wurden die Trommeln, immer schriller die Metallklänge, bis schließ-lich der Wettkampf, wer den heftigsten und schnellsten Tanz aufführt, vollends entbrannte. Ein ums andere Mal sprang ein junger Mann in die Arena, um bei verdoppeltem Rhythmus den wahnwitzig schnellen Stampf tanz auf- und vorzuführen, den auch der fitteste Tänzer nicht länger als ein paar Sekunden durchhalten kann. Das Publikum quittierte die ekstatischsten Vorführungen mit lautem Johlen und frenetischem Klat-schen, und die Mädchen belohnten ihren Tanzfavoriten mit dem Zuwerfen eines Tuches.

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Über eine halbe Stunde dauerte das Tanz-spektakel, dann ebbte der Trommel- und Metallklang etwas ab, um gleich darauf wieder anzuschwellen, weil aus dem dämm-rigen Hintergrund eine unförmige Gestalt auftauchte, die sich langsam in die Arena hineinbewegte. Wie der Cumpo hatte sie einen zotteligen Körper aus Palmblättern, aber als sie direkt vor uns saß, konnten wir erkennen, wer uns da einen Besuch abstat-tete: ein Wildschwein mit furchterregender Schnauze! Mit Gesang und rhythmischem Klatschen wurde das gefährliche Tier besän-

ftigt und fraß schließlich sogar aus der Hand – ein Beispiel dafür, dass bei respektvollem Verhalten auch ein wildes Tier keine Gefahr darstellt. Mit diesem kleinen Einblick in die Naturverbun-denheit der Djola endete die Animation. Der Bus, mit rekordverdächtigen 27 Personen besetzt, brachte uns zurück zu Moktars Haus, wo schon das Abendessen auf uns wartete. Nach dem Abendessen saßen wir noch einige Zeit vor dem Haus und bewunderten den Sternenhimmel, den wir in Deutschland in dieser Klarheit und Leuchtkraft nie mehr zu Gesicht bekommen werden.

Samstag, 19.04.

Auf eine – nicht für alle – ruhige Nacht folgte ein Tag voller bewegender Momente und Emotionen, die die sachliche Arbeit etwas in den Hintergrund drängten bzw. die nüchterne Wahrnehmung der Realität zu ver-schleiern drohten. Das begann schon bei der Visite unseres Hauptprojekts in Souda, der Ecole maternelle. Viele Kinder, der Schulleiter, einige Eltern und Erzieherinnen waren, obwohl am Samstag keine Schule ist, wegen unseres Besuchs in die Ecole gekommen, um uns zu begrüßen und uns zu zeigen, wie wichtig die

Ecole maternelle für Souda ist. Ein dreijähriges Mädchen aus der Gruppe der Jüngsten wurde Inge besonders vorgestellt: Es war das Mädchen, das bei Inges letztem Besuch am 1. Mai 2011 gerade neu-geboren war und deshalb den Namen „Inga“ erhal-ten hatte. Die 5- und 6jährigen Kinder lernen in

der Ecole maternelle bereits das Lesen und Schreiben in französischer Sprache, während Djola offenbar nur gesprochen und nicht geschrieben wird. Aus diesem Grund gibt es heute noch viele Frauen, die, weil sie

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nicht oder nicht lange genug die Schule besuchen konnten, Analphabeten sind, die die Amtssprache Französisch kaum verstehen.

„Unsere“ Kinder in der EM, vor allem die Mädchen, hatten ihre schönsten Kleider und Boubous angezogen, um uns den zweiten Schwerpunkt der Erziehung vorzuführen, das Singen und Tanzen. Dabei gehört die sene-galesische Nationalhymne ebenso zu ihrem Repertoire wie diverse Kinderlieder in Djola und Französisch. Das Tanzen im Djola-Stil lernen die Kinder bei den Eltern bzw. indem sie schon als Säuglinge mit auf den Tanzplatz genommen werden. Auch den Wettbewerbscharakter des Tanzens übernehmen die Kinder ganz selbst-verständlich, und voller Stolz treten sie wieder

zurück in die Reihe, wenn sie für eine beson-ders gelungene Tanzeinlage den Beifall der anderen Kinder erhalten haben. Fast jedes Kind traute sich vorzutanzen – ein Zeichen dafür, dass die Kinder eine sehr ausgewo-gene Erziehung zu sozialem und selbst-bewusstem Verhalten genießen. An einem der von Inge mitgebrachten Spiele konnten wir diese wunderbare Mischung aus fröhli-cher Spontaneität und empathischen Verhal-ten direkt beobachten: Um den Bürger-

meister, der das Spiel „Mensch-ärgere-dich-nicht“ erklärte, gruppierten sich die Kinder zwanglos und ohne Streit, sodass es keine 3 Minuten dauerte, bis die Kinder das Spiel verstanden hatten. Wir wären gerne noch länger bei den Kin-dern geblieben, mussten aber noch den Zustand der Solaranlage und der Einrichtung prüfen. Die Akkus in den drei Rundbauten sind inzwischen 6 Jahre alt, und so verwun-

dert es nicht, dass sich, nach Auskunft des Hausmeisters, zwei davon nicht mehr laden lassen. Da sie für die ohnehin kaum genutzte Beleuchtung und ansonsten nur zum Aufladen von Handys dienten, ist der Ersatz nicht drin-gend notwendig. Die Kühltruhe im Verwaltungs-bau, die nachts ebenfalls über eine Batterie bedient wird, erwies sich dagegen als voll funk-tionsfähig, was für die Mittagessenversorgung der Kinder besonders wichtig ist. Bei der Einrich-tung gibt es immer noch zu bemängeln, dass Schäden an der Deckenverkleidung und an den

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Möbeln nicht sofort repariert werden, obwohl passendes Werkzeug vorhanden wäre. Amadou und Kemo hielten ihren Dorfkollegen deshalb eine richtige Standpauke: Solche Mängel in der Ecole maternelle nicht sofort zu reparieren, sei verant-wortungslos und erwecke den Eindruck, die Men-schen in Souda seien nicht bereit, aktiv an an der Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse mitzuarbei-ten. Ganz so rigoros wollte es Walter nicht sehen – immerhin wurden seit letztem Jahr einige defekte Kinderstühle repariert – , er konnte sich aber der Erkenntnis nicht verschließen, dass die Projekte besser laufen würden, wenn sich alle Beteiligten immer, auch ohne selbst unmittelbar zu profitieren,

verantwortlich fühlen würden. Zu dieser Erkenntnis passt auch, dass es seit Gründung der Ecole maternelle, also seit 7 Jahren, nicht gelungen ist, auf dem Gelände genügend schattige Plätze für die Kinder zu schaffen und das Gelände einzuzäunen, damit nicht die Baumsetzlinge immer wieder von den freilaufenden Schafen und Ziegen abgefressen werden. Geplant ist eine Pausenhalle mit Stein-fundament, bis die aber gebaut ist, sollten die Kinder unter einem schnell auf- und abgebauten Holzdach, wie es für die Sportwettkämpfe errichtet wird, Schutz vor der sengenden Sonne finden können. Mit dem Neubau der Grund-schule gegenüber der Ecole maternelle – eines der 4 geplanten Häuser ist bereits fertig, vom zweiten stehen die Grundmauern – wird sich, so hofft man, auch die Lage der Ecole maternelle verbessern. Der neue Brunnen, der dann von beiden Schulen genutzt werden soll, wird die Wasserversorgung der Ecole maternelle entscheidend verbessern, weil das Wasser für die Küche und zum Gießen der Pflanzen nicht mehr wie bisher mehrmals am Tag von einem 300 Meter entfernten Brunnen geholt werden muss. Angesichts der Begeisterung der Kinder, der Erzieher und der Eltern über die Existenz der Ecole maternelle wollten wir die festgestellten Mängel nicht überbewerten, zumal Amadou und die anderen Ortsverantwort-lichen uns auf dem anschließenden Rundgang durch das alte Souda sehr überzeugend darlegten, dass sie die Modernisierung Soudas auf allen Ebenen jetzt energisch angehen wollten.

Auf dem Rundgang führte uns Amadou zuerst zu sei-nem Haus, in dem viele Mitglieder der weitverzweigten Familie Sane wohnen, dann zur Moschee, in der mit-ten im sonst gänzlich schmucklosen Raum ein 2 Meter hoher, drei Meter langer und 1,5 Meter breiter Sarko-

phag steht, der ringsum mit grünem Tuch verhängt ist. In diesem Sarkophag liegt der Leichnam des Vaters von Amadou, der als Marabout den Einfluss des Islam in der Casamance entscheidend voran-getrieben hat.

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Von diesem Ortsheiligtum aus sind es nur noch ein paar Meter bis zum östlichen Dorfende. Früher, erklärte uns Amadou, sei hier das Ortszentrum gewesen, und die alte Grundschule, die sie als Kinder besucht hat-ten, lag ebenfalls mitten im Ort. Seit immer mehr Menschen sich im Westen Soudas, nahe der Hauptstraße, angesiedelt hatten, seien die Häuser verfallen und von der Vegetation des nahen Bolong überwuchert

worden. Nur sein, Amadous, umzäunter Garten mit Mangobäumen habe dank guter Pflege dem Verfall widerstanden. Vor dem Hintergrund dieser Informationen erschien uns die Entscheidung der Gemeinde, die Grundschule nach Westen zu verlegen, viel plausibler. Am Ende unseres Rundgangs kamen wir dann auch zur alten Grundschule, an der heute, am Samstag, kein Unterricht statt-fand. Das Verwaltungsgebäude mit der Bibliothek ist bereits umgezogen, die älte-ren Kinder gehen schon in die neue Grundschule. Inzwischen war es Mittag geworden und wir kehrten zu Moctars Haus zurück, um

uns für die Fahrt nach Baila zu rüsten und unsere letzten Stunden in Souda zu genießen. Nach und nach versammelten sich die Menschen, mit denen wir in den vergangenen 2 Tagen Freundschaft geschlossen hatten, um sich von uns zu verabschieden: der 18jährige Yorro Jammeh aus Gambia, mit dem sich Samy und Jonathan angefreundet hatten, die 16jährige Era, eine Nichte Kemos, die wegen ihrer zurückhaltenden, freundlichen Art die besondere Zuwendung von Herta genoss, und natürlich die vielen Kinder, die sich um Samy und Jonathan geschart hatten – alle wollten zur Erinnerung mit uns fotografiert werden.

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Mit dem Mittagessen im Kreise der Familie Sane endete unser zweitägiger Aufenthalt in Souda – ohne Zweifel ein Aufenthalt der besonderen Art. Obwohl wir schon seit mehreren Jahren Ehrenbürger des Dorfes sind und den Kontakt die ganze Zeit über gehalten haben, überraschte und berührte uns die fröhliche Dankbarkeit, mit der wir empfangen und aufgenommen wurden. Die Familie Sane ist sicher

die einflussreichste Familie in Souda; ihr Vertrauen zu genießen, ist die wichtigste Voraussetzung für das, was wir mit unserer Arbeit erreichen wollen: in Souda Lebensverhältnisse zu schaffen, die es jeder Familie in ermöglicht, ihren Kindern Schul- und Berufsausbildung zu geben und sich eine beschei-dene, aber gesicherte Existenz aufzubauen.

Nach einem langen, umarmungsreichen Abschied verließen wir, begleitet von Kemo und Amadou, um 16h Souda und fuhren auf der Hauptstraße Richtung Bignona. Nach einer guten halben Stunde hielten wir an einem unscheinbaren Haus, vor dem ein großes Sonnendach aufgebaut war. Der Ostersamstag, so erklärte Kemo, sei auch im Islam ein Feiertag, der mit einem die ganze Nacht dauernden Gebet begangen werde.

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In dem Haus residiere ein Marabout, ein hoher moslemischer Würdenträger, vergleichbar einem Bischof, den wir jetzt kurz begrüßen könnten. Im Inneren des Hauses mussten wir die Schuhe aus-ziehen und wurden dann in einen abgedunkelten, mit Matten ausgelegten Raum gebeten, in dessen linker Ecke der Marabout, ein älterer Mann mit deutlich arabischen Gesichtszügen, am Boden kauerte. Wir setzten uns neben den Marabout, und Amadou stellte uns im Flüsterton als Vertreter einer deutschen Hilfsorganisation vor. Der Marabout murmelte etwas, was sich wie ein Segensspruch anhörte, dann wurden wir wieder nach draußen komplimentiert. Noch einmal galt es Abschied zu nehmen, denn Kemo und Amadou blieben hier zum

Overnight-Gebet, dann fuhren wir los ins Zentrum von Bignona, wo wir kurz Rast machten, um etwas zu trinken und zu tanken. Dann ging es weiter auf der asphaltierten N5, bis nach 30 Minuten das Ortsschild „Baila“ auftauchte. Auf der rechten Seite der Straße, unmittelbar hinter dem Ortsschild sahen wir nun zum ersten Mal in voller Schönheit die Gebäude der Solarschule und der Werkstätten. Wir machten halt, um Eberhard Mohr aufzu-suchen, der seit vier Wochen im Auftrag der KHS den Werkstatt-Angestellten der UDB die Montage der Solarlampen und der Parabol-kocher beizubringen versuchte. Trotz Samstagabend, an dem er eigentlich frei hat, begrüßte uns Eberhard vor der Werkstatt und zeigte uns, was er trotz der fehlerhaften Solux-Lieferung in den ver-

gangenen vier Wochen zustandegebracht hatte. Nicht nur hatte er von seinen sechs Schülern die meisten zu selbstständig arbeitenden Monteuren ausgebildet, er hatte es auch geschafft, die mangelhafte Konstruktion der Solux-Lampenbausätze so zu korrigieren, dass er und seine Schüler 75 Lampen voll funktionsfähig zusammenbauen konnten. Überdies hatte er die Parabolkocher so umgestaltet, dass sie standfester sind und – abgesehen von den Spiegelblechen – mit Material aus der Region hergestellt werden können. Besonders stolz aber war er über den

Holzsparofen, den er mit seinen Schülern aus Eisen-blechen, die sie in Bignona kaufen konnten, zusam-mengeschweißt hatte. Bei einem Test in der letzten Woche hatten sie 5 Liter Wasser innerhalb von 6 Minuten zum Kochen gebracht. Welchen Glücksgriff die KHS mit Eberhard Mohr getan hatte, zeigte sich auch im Inneren der Werkstätten: die fertigen Lampen, die Bausätze, das Werkzeug und die Montagepläne – alles hatte seinen Platz, wirkte aufgeräumt und sauber. Seinen Schülern hatte er offenbar „deutsche Arbeits-disziplin“ beigebracht und ihnen vermittelt, dass der Erfolg der Werkstätten allein von ihren Fähigkeiten und ihrem Engagement abhinge.

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Eine knappe Stunde später verließen wir die Werkstätten und fuhren hinein nach Baila bis zum Campement „Lambita“, wo wir in den kommenden Tagen untergebracht waren. Wider Erwarten waren nur eine kleine

Trommlergruppe und die Frauen der UDB erschie-nen, um uns und vor allem Inge mit Tanz und Gesang zu begrüßen. Das war uns aber gerade recht, denn der Abschied aus Souda, die Fahrt nach Baila mit den Aufenthalten beim Marabout, in Bignona und in den Solar-Werkstätten hatten uns schon ziemlich ermüdet, sodass wir eigentlich hofften, bald eine Dusche nehmen und etwas ausruhen zu können. Nachdem auch der Bürger-meister, der Vertreter der Jugend und der Alten eingetroffen waren, begann um 19.30h der offizielle Empfang. Weil Tafa für uns alle Ansprachen ins Deutsche übersetzte, begrüßte uns Ibou, der

Bürgermeister, gleich in Djola als „heimkehrende Familienmitglieder“. Als eine der Frauen spontan Tafas großartiges Engagement für Baila und die Frauen hervorhob und mit einem Ehrentanz untermalte, kamen Tafa die Tränen der Rührung und es dauerte einige Sekunden, bis er seine Modera-tion fortsetzen konnte. Der Vertreter der Jugend sprach ebenso wie Fatou, die Vertreterin der Frauen, von den großen Chancen, die unsere Solar-projekte für Baila und die ganze Region bedeuteten. Inge bedankte sich bei allen für den herzlichen Empfang und bekundete ihre Freude, wieder hier in Baila bei „ihren Schwestern“ sein zu können. Damit war der Empfang been-det, und wir konnten uns in unsere Zimmer zurückziehen, um die langersehnte Dusche zu nehmen. Leider kam, nachdem Herta als erste geduscht hatte, in den anderen

Appartements nur noch ein dünnes Rinnsal aus den Duschköpfen. In den Appartements blieb das Wasser auch in den nächsten Tagen meistens aus, nur in den Gemeinschaftsduschen war interessanter-weise immer ausreichend Wasser vorhanden. Die Nacht war schon hereingebrochen, und wir wurden gerade zum Abendessen im Restaurant des Campements gerufen, da erschien, von Tafa herbeitelefoniert, Marie, die leibliche Mutter von Samy, um zum ersten Mal seit 10 Jahren ihren erstgeborenen Sohn zu sehen. Mitgebracht hatte sie ihre zwei jüngeren Kinder, den vierjährigen Sohn und die achtjährige Anta, die nun staunend vor ihrem älteren Bruder Samy standen. Marie war offenbar sehr glücklich darüber, wie unkompliziert und locker das Wiedersehen mit ihrem Sohn ver-lief, und Tochter Anta machte mit ihrem energischen Wesen ihrem Bruder gleich klar, was sie von ihm erwartete: Geschenke und stän-dige Aufmerksamkeit. Samy war die Aufregung anzumerken, schnell aber hatte er mit Hilfe seiner Ziehmutter seine Scheu abgelegt und er fand zunehmend Gefallen an der Tatsache, dass er nun eine zweite Familie in Afrika hat, die ihn ebenso liebt, wie er es von seiner Familie in Deutschland gewohnt ist. Emotional und körperlich gesättigt, suchten wir nach dem Abend-

essen ziemlich bald unsere geräumigen Apartements auf.

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Sonntag, 20.04.

Obwohl wir nach knapp einer Woche im Senegal schon ein wenig erschöpft waren, gab es im Programm keine Pause. Heute war zuerst eine Visite in der Ecole maternelle und die Besichtigung des Ausbildungs-zentrums vorgesehen. Wegen der großen Hitze, die schon am Vormittag einsetzte, ließen wir uns mit dem

Bus zur Ecole maternelle fahren. Dort waren zwar am Sonntag keine Kinder, aber das Personal war gekommen, um uns Fortschritte und Probleme der Ecole maternelle zu erklären. Erste Überraschung: Das fünfte Haus ist bereits

fertiggestellt und kann ausgestattet werden! Gerechnet hatten wir mit einer Bauzeit von 6 Mo-naten und der Inbetriebnahme im Oktober/ No-vember des Jahres. Jetzt kann es schon im Juni, also noch vor der Regenzeit, als Ausweichraum für die mit 60 Kindern übergroße „Grand Section“ genutzt werden. Zweite Neuerung: Im Garten der Ecole maternelle hat „Kassumai“, der Hilfsverein der Partnerstadt Houdan, eine Tropfenbewässerung aufgebaut, bestehend aus zwei 100-Liter-Fässern auf einem drei Meter hohen Gestell und elf

Schlauchleitungen in den Furchen des Gemüsefeldes. Ob diese sehr preiswerte Anlage ihren Zweck über längere Zeit erfüllen kann, wird sich zeigen. Momentan sind noch keine wesentlichen Effekte sichtbar, allerdings steht die Anlage erst seit ca. 6 Wochen. Der Betrieb läuft ansonsten einwandfrei und die Ecole maternelle von Baila gilt in der ganzen Casamance nach wie vor als Vorzeigeeinrichtung. Nächste Station des heutigen Tages war das staatliche Ausbildungszentrum an der N5, mit dem Auto in 5 Minuten zu erreichen. Wir waren angemeldet, deshalb war auch Direktor Bandia mit seinem Motorrad gekommen, um uns durch das Zentrum zu führen. Den Anfang machten wir bei den Schreinern, wo gerade ein Rednerpult

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gebaut wurde. Ousmane Djiba, der sich derzeit um das Amt des Distrikt-Bürgermeisters bewirbt – das entspricht ungefähr unserem gewählten Landrat – erkletterte sogleich das Pult, um seine Ambitionen deutlich zu machen. Auch ein Klappstuhl mit der Zusatzfunktion als Trittleiter war ein Möbelstück,

das wir bisher noch nicht kannten. Neben der Schreinerei befindet sich der Ausbildungsraum für die Automechaniker, den wir als nächstes aufsuchten. Werkzeug und Lehrmotoren sind eine

Spende des niederländischen Vereins „Go for Africa“; der Ausbildungszweig hat die meisten Lehrlinge. Gegenüber sind die angehenden Schlosser und Spengler beheimatet, auch das eine beliebte Ausbildungstätte mit einer relativ reichhaltigen Ausstattung. Die Schneiderei verwendet zu den noch von der KHS beschafften mechanischen Nähmaschinen zunehmend auch elektrische Maschinen, um die Lehrlinge auf die spätere Berufspraxis vorzubereiten. Ersatzteile

für die mechanischen Nähmaschinen sind immer schwerer zu bekommen, dennoch ist die Ausbildung an ihnen unverzichtbar, denn Strom ist in weiten Teilen des Landes nicht vorhanden. Die Ausbildung für Friseure und Kosmetik läuft normal, die vor einem Jahr von Walter mitgebrachten Kosmetik-Utensilien sind immer noch vorhanden, werden also sparsam eingesetzt. Die Ausbildung

am PC leidet unter dem Fehlen einer kontinuier-lichen Internet-Verbindung, obwohl die Geräte dafür vorhanden sind. Ob es sich um ein Know-how-Problem handelt oder nur das Geld fehlt, um den Internet-Zugang zu bezahlen, ließ sich nicht eruieren. Im Haus für die Gastronomie-Ausbildung fiel uns auf, dass dort mehrere gebrauchte Elektro- und Gasherde stehen, die offenbar als Geschenke in Baila gelandet sind. Die E-Herde sind auch nicht angeschlossen, weil die Stromkapazität nicht ausreicht. Geräte, die viel Strom brauchen, im Unterricht einzu-

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setzen, ist kontraproduktiv, wenn der Staat gleichzeitig an der Solarschule das Kochen mit Solar- bzw. Erneuerbaren Energien unterrichtet und propagiert.

Das Ausbildungszentrum ist insgesamt wieder in einem besseren Zustand. Die einzelnen Lehr-werkstätten waren besser aufgeräumt, und der Schulbetrieb konnte 2013 anlaufen, ohne dass die KHS wie in den Jahren 2011 und 2012 jeweils mehrere Tausend Euro Materialgeld spendieren musste. Im Anschluss an die Besichtigung wurden wir in den Informationssaal gebeten, wo uns von den Gastronomie-Azubis Gebäck und kalte Getränke serviert wurden und der Direktor Bandia, die Lehrkräfte des Zentrums, der Bürger-meister und der Chef d’UDB bekräftigten, wie wichtig die Erweiterung des Zentrums um die

Solarschule sei und dass alle Beteiligten sich um eine konstruktive Zusammenarbeit mit der KHS und mit den Ingenieuren ohne Grenzen bemühen werden. Nach zwei Stunden im Ausbildungszentrum fuhren wir wieder zurück ins Campement, wo Inge und Walter sich mit dem Chef der Baufirma Keita trafen, der seine Zusatzarbeiten – vor allem das Regenwasserreservoir im Toiletten-bau der Solarschule – abrechnen wollte, um uns die Gesamtrechnung über die Solarprojekte vor-legen zu können. Bei dieser Gelegenheit teilten wir ihm mit, dass wir mit seiner Arbeit äußerst

zufrieden seien, vor allem was die Termin- und Kostentreue angehe. Inzwischen war es 14.30h geworden und wir mussten zügig das Mittagessen absolvieren, weil um 16h schon die Reunion mit der UDB beginnen sollte. Schließlich, um 16.30h, waren alle UDB-Vertreter im Campement eingetroffen, und, während die Jugend-lichen auf dem Gelände Fußball spielten, nahmen Inge und Walter das Gespräch auf, assistiert von den Repräsentanten Tafa und Ibou sowie von Eberhard Mohr, der sowohl als Übersetzer als auch als Experte für die Solar-Werkstätten fungierte. Zuerst gab es

eine Zusammenfassung und Danksagung des Chefs d’UDB, Ousmane Djiba, zu den Solarprojekten. Er hob hervor, dass die UDB und die Bevölkerung für die Bereitstellung des Grundstücks und die Bau-vorbereitung gesorgt und sich stets mit den Projek-ten identifiziert haben. Walter gab in seiner Antwort eine kurze Übersicht über die siebenjährige Geschichte der Solarschule und der Solar-Werk-stätten, wobei er besonders betonen musste, dass beide Solarprojekte ohne Zuschuss des BMZ allein von der KHS finanziert wurden, was dem Chef d’UDB offenbar nicht bewusst war. Für die KHS

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seien die beiden Projekte, von kleineren Nach-besserungen abgesehen, abgeschlossen, während die Ingenieure ohne Grenzen in einem eigenen Projekt Lehrmaterial bereitstellen und für die Ausstattung der Solarschule aufkommen würden. Mit der Übersicht über die Kosten der Solar-Pro-jekte – insgesamt fast 46 Millionen CFA (70.000 €) – begründete Inge anschließend, warum die KHS vorerst in Baila kein weiteres Projekt realisieren kann. Die finanziellen Möglichkeiten der KHS seien derzeit wegen der laufenden Ausgaben für die Ecole maternelle, für die Krankenstation und für das Info-Zentrum ausgeschöpft. Kleinere Vorhaben,

Notfälle und Beratung, „die die KHS kein Geld kostet“ (Walter) seien aber weiterhin machbar. Diese Erklä-rung wurde von den UDB-Vertretern akzeptiert, und Ousmane Djiba erklärte nochmals ausdrücklich, dass die herzliche Partnerschaft zwischen Baila und der KHS dadurch überhaupt nicht eingeschränkt werde. Eberhard Mohr berichtete zum Schluss über die sehr erfolgreiche Ausbildung der Werkstatt-Monteure und empfahl der UDB, drei der vier von ihm ausgebil-deten Monteure als Angestellte zu übernehmen. Nach zwei Stunden war die Reunion beendet, und wir konnten uns wieder dem familiären Teil unserer Reise widmen. Marie war mit ihren beiden Kindern gekommen, um mit uns zu ihrem Elternhaus zu fahren, wo die Großmutter schon sehnlichst darauf wartete, ihren Enkel aus Deutschland zu sehen. Kaum waren wir zurück im Campement, wurden wir zum köstlichen Abendessen gerufen, das die beiden Köchinnen Aida und Rama für uns zube-reitet hatten. Noch früher als sonst beendete die allgemeine Nachtruhe diesen informativen, aber ebenso anstrengenden Tag.

Montag, 21.04.

Den Tag begann Herta mit einem Spaziergang am Marigot von Baila, um die morgendliche Stille zu genießen und die Versuche zu dokumentieren, die Mangroven wieder anzupflanzen, die in den letzten 20 Jahren als Brennholz verbraucht wurden. Nach dem wie immer gemeinsamen Frühstück mussten die Tagesaufgaben unter uns aufgeteilt werden: Walter traf sich, begleitet von Ibou und Eberhard Mohr, mit dem Direktor Bandia und seinen Lehrern im Berufsschulzentrum, Inge und Herta waren mit Tafa als Dolmetscher zur gleichen Zeit mit der Vereinigung der Behinderten von Baila zu einem Gespräch verabredet, das Tafa

kurzfristig organisiert hatte. Vor der Reunion mit dem Direktor Bandia besuchten Walter und Eberhard das Wasserwerk von Baila, um sich aus erster Hand über die Probleme der Wasserversorgung in Baila zu informieren. Um 10h trafen sie

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dann im Info-Zentrum ein, wo sie von Direktor Bandia und seinen Solar-Lehrkräften erwartet wurden. Im Namen der „Ingenieure ohne Gren-zen“ übergab Walter dem Direktor 10 Sammelordner mit dem Lehrbuch für Erneuerbare Energien, das die Regio-nalgruppe Regensburg in einjähriger Arbeit verfasst hatte. Das Lehrbuch ist so konzipiert, dass – falls nötig – Seiten ausgetauscht, Kapitel ergänzt

oder reduziert werden können. Es ist das einzige dieser Art im Senegal und wird mit ausdrücklicher Erlaubnis des Ministeriums für Berufsausbildung im Unterricht an der Berufsschule für Erneuerbare Energien eingesetzt. Als kleines Gastgeschenk hatte Walter noch eine tragbare manuelle Wasserpumpe mitgebracht, mit der sich Solarmodule einfach und wassersparend reinigen lassen. Direktor Bandia bedankte sich für das Lehrmaterial, machte aber, wie

schon gestern, einen ziemlich passiven, überforderten Eindruck. Auf die Frage von Walter, warum er den Brief der IoG von Ende Januar nicht beantwortet habe, behauptete er, er habe diesen Brief erst vor drei Tagen erhalten und die IoG hätte keine Email-Adresse hinterlassen. Diese nicht gerade plausiblen Erklärun-gen beantwortete Walter mit einem dringenden Appell an den Direktor, die Kommunikation mit den IoG zu verbessern. Es sei doch im Interesse der Schule und der Schüler, wenn die IoG rechtzeitig von Problemen im Schulbetrieb erfahre. An dem Vorschlag aus dem IoG-Brief, die EE-Lehrer zusätzlich handwerklich zu schulen, zeigten sich die Lehrer im Gegensatz zum Direktor sehr interessiert. Die Zusatzausbildung, die von einem der Schreinerlehrer gegen Bezahlung durchgeführt werden soll, kann – laut Ministerium – auch ohne Zutun des Direktors stattfinden. Auf Anregung von Eberhard Mohr appellierte Walter an den Direktor und die Lehrer des Zentrums, schon in der Ausbildung mehr auf die Qualität der Arbeit zu achten, da eine spätere Berufsausübung ohne Quali-tätsanspruch zum Scheitern verurteilt sei. Im An-schluss an diesen Appell erkundigte sich Walter nach den näheren Bedingungen des Schulbetriebs und erhielt vom Direktor Bandia folgende Informationen: − An der Solarschule werden derzeit 6 Schüler

unterrichtet, 3 in Photovoltaik, 3 in EE. − Die Photovoltaikausbildung dauert für Elektriker 1 Jahr, die EE-Ausbildung dauert 2 Jahre. − Das Schulgeld beträgt 12.000 CFA / Jahr. − Die beiden Photovoltaik-Lehrer sind bis zum 25.04. auf einem Weiterbildungslehrgang in Dakar. Danach

kehren sie an die Schule zurück und bringen die vom Peracod-Programm vorgesehene Lehreinrichtung mit. für Photovoltaik

Außerdem übergab der Direktor Walter einen etwas detaillierteren Lehrplan für EE sowie eine Liste, auf der das für den Schulbetrieb notwendige Ausstattungsmaterial mit den vermutlichen Kosten aufgeführt sind.

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Auf die Frage des Direktors, ob die Solarschule ans Stromnetz angeschlossen werde, gab Walter zu verstehen, dass es gerade Sinn und Zweck der Solarschule sei, die solaren Alternativen zum Netzstrom zu unterrichten. Daher solle die Solarschule mit einem im Learning-by-Doing-Verfahren von den Schülern selbst geplanten Gleichstrom-Inselsystem ausgestattet werden. Die weitere Frage, wer den Wächter/Hausmeister der Solarschule bezahle, konnte nicht abschließend beantwortet werden. Walter schlug vor, dass der Staat und die UDB, die gleichermaßen vom Hausmeister profitieren, sich die monatlichen Kosten von ca. 35.000 CFA teilen. Abschließend meldete sich die Leiterin des Info-Zentrums, Bintou Goudiaby, zu Wort und bat die KHS, den Einzug einer Zwischendecke im Salle polyvalente zu finanzieren, um die Hitzeentwicklung im Raum etwas zu mildern. Walter bat um einen Kostenvoranschlag und regte zudem an, bei nächster Gele-genheit die verwaschenen und schmutzigen Hausfassaden in der Ecole maternelle und im Berufsschul-zentrum zu renovieren. Mit dem Hinweis auf die morgige Inaugurationsfeier beendete der Direktor die Reunion.

Die zeitgleich stattfindende Begegnung von Inge, Herta und Tafa mit der Behinderten-Vereinigung von Baila im Campement ver-lief ungleich emotionaler. Der UDB-Vertreter der Alten berichtete zunächst, dass er bei der UDB-Reunion Tafa gebeten habe, die-ses separate Gespräch mit der KHS zu vermitteln, weil die Gruppe der Behinderten keine offizielle UDB-Sektion sei und sie deshalb nie in den Reunions mit der KHS thematisiert worden sei. Dabei seien die Probleme der Behinderten besonders groß, weil sie oft von den Familien vor der Öffent-lichkeit versteckt würden und mangels Ausbildung und Beschäftigung vollständig

von Almosen abhängig seien. Nur wenige hätten bisher einen Behindertenausweis, der eine geringfügige

staatliche Unterstützung einbringe. In der Vereinigung, so berichtete er weiter, sind derzeit 23 Behinderte registriert, wobei die Zahl der Behinderten in Baila deutlich höher liegt. Die Gruppe besitzt einen Vorstand, der aus einem Präsidenten, einem Schriftführer und einem Schatzmeister besteht, und möchte sich demnächst offiziell registrieren lassen. Anschließend erzählten

einige Behinderte von ihrem kärglichen Leben, von ihren körperlichen und psychischen Schmerzen, ihrer Perspektivlosigkeit, aber auch von ihrer großen Hoffnung, durch den Kontakt zur KHS eine Verbesserung ihrer Situation zu erreichen. Inge, Herta und Tafa reagierten mit großer Betroffenheit auf diese Berichte. Inge entschuldigte sich für die Ignoranz, die sie und die KHS bisher dem Thema gegenüber gezeigt hatten, und

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versprach, dass die KHS die Selbsthilfeorganisation der Behinderten intensiv unterstützen werde, z.B. beim Bau eines Hauses, wo sich die Behinderten treffen können oder bei der Schaffung von Arbeitsplätzen, die auch für Behinderte geeignet sind. Die einstündige Begegnung belastete alle Teilnehmer emotional sehr, sie bewirkte aber auch den starken Antrieb, den Ärmsten der Armen schnell und wirkungsvoll zu helfen. Als sichtbares Signal dafür, dass die KHS konkrete Hilfe leisten wird, überreichte Inge dem Vorsitzenden der Vereinigung ein Kuvert mit 35.000 CFA als Starthilfe für die Organisation des Vereins. Während Walter sich nach dem Mittagessen ein wenig ausruhen konnte, machten sich die anderen auf den Weg nach Diatang, 5 Kilometer von Baila entfernt, um dort Samys Großvater mütterlicherseits zu treffen, der

ebenfalls seinen Enkel aus Deutsch-land sehen wollte. Auch dieses Fami-lientreffen verlief entspannt und fröh-lich, weil Inge und Samy die strengen Konversationsregeln, die die inner-familiäre Hierarchie mit sich bringt, kaum beachteten. Noch ein wichtiger Termin stand heute auf dem Programm: die Reunion mit den Frauen der UDB. Pünktlich um 17h nahmen wir, d.h. Inge, Walter, Herta, Eberhard, Tafa und Ibou, im Salle polyvalente Platz; zu diesem Zeitpunkt waren erst etwa 10 Frauen anwesend, und wir befürchteten schon, dass das Interesse an der Reunion mit uns nachgelassen haben

könnte, weil wir in der UDB-Reunion keine größeren Projekte mehr angekündigt hatten. Dem war aber garnicht so, denn nach und nach strömten immer mehr Frauen in den Saal, bis schließlich fast 80 Frauen zur Versammlung erschie-nen waren. Inge übernahm die Gesprächsleitung mit einem Statement, das auf der vormittäglichen Begeg-nung mit den Behinderten beruhte: Sie appellierte an die Frauen, die behinderten Kinder nicht länger zu ver-stecken, und bekundete nochmals die Bereitschaft der KHS, die bisher vernachlässigten Behinder-ten intensiv zu unterstützen. Das erste offizielle Thema war dann die Kampagne gegen die Mädchenbe-schneidung, die schon in der letztjährigen Reunion vereinbart worden war und für die die KHS auch finanzielle Unterstützung angebo-ten hatte. Inge wiederholte das Angebot, die Organisation „Intact“ für die Kampagne hinzuzuziehen, und Walter betonte nochmals, wie wichtig der Kampf gegen die barbarische Tradition der Mädchenbeschneidung für die gesamte Casamance sei. Damit rannten sie aber wohl offene Türen ein, denn Fatou, die Präsidentin der UDB-Frauen, informierte Inge nach der Reunion darüber, dass die UDB-Frauen schon im letzten Jahr mit einer französischen Organisation eine Anti-Beschneidungskampagne sehr erfolgreich durchgeführt hätten, dass die Mädchenbeschneidung zumindest in Baila als abgeschafft gelten könne und deshalb die Unterstützung der KHS nicht mehr nötig sei.

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Das zweite Thema brachte Inge in die Runde: Sie bat die Frauen, sich intensiv mit dem in den Solar-Werkstätten produzierten Parabol-kocher zu beschäftigen, das Kochen mit ihm zu erlernen und dann das erworbene Wissen an andere Familien weiterzugeben.Zusammen mit Eberhard Mohr zählte sie auf, welche Spei-sen man mit dem Parabolkocher zubereiten könne und welche Vorteile der Solarkocher sonst noch habe. Mehrere Frauen könnten sich z.B. zusammentun, sich einen Solar-kocher kaufen und damit ein kleines Produk-tions- oder Dienstleistungsgeschäft aufzu-bauen. Die Frauen waren an diesen Vorschlä-gen sichtlich interessiert und erkundigten sich nach den Verkaufspreisen für die in den Solar-werkstätten produzierten Geräte. Als Eberhard ihnen die Preise nannte, zeigten sie sich vor allem begeistert vom Holzsparofen, der für unter 20.000 CFA (= 30 €) zu kaufen sein wird.

Geschäftsgründung stand auch beim dritten und letzten Thema der heutigen Reunion zur Debatte. Die Frauen fragten nämlich, ob die KHS sie finan-ziell dabei unterstützen würde, eine Selbsthilfe-Bank zu gründen, die zinslose Kredite zur Grün-dung eines Kleinunternehmens vergibt. Auf Nach-frage von Walter, wie hoch denn der Zuschuss der KHS sein solle, wurde ein Betrag von 1 Mio CFA für jeden der sechs Ortsteile (quartiers) von Baila genannt, zusammen also 6 Mio CFA. Wir versprachen, die Idee zu prüfen und – falls die Selbsthilfe-Bank eigenständig und nachhaltig von den UDB-Frauen organisiert werde – ein KHS-Projekt für den Zuschuss zu generieren. Damit

war die Themenliste zur Zufriedenheit aller abgearbeitet und die Frauen bedankten sich bei uns, wie wir das schon oft erlebt hatten, mit einer kurzen Tanzeinlage, und – eine Neuerung – mit dem Singen eines Liedes, in dessen Djola-Text öfters das Wort „Baila“ auftauchte. Die Baila-Hymne gefiel uns gut und entsprechend animiert kehrten wir gegen 20.30h ins Campement zurück. Bevor wir uns zum Abendessen begaben, erlebte Inge noch eine rührende Über-raschung: Marie, Samys Mutter, hatte einen ihrer Verwandten, einen Kunst-maler, gebeten, für Inge ein Afrika-Bild zu malen und ihr zu überreichen. Das farbenprächtige Gemälde zeigt, so der Maler in seiner Bildinterpretation, das friedliche und idyllische Afrika. Die Frau arbeitet nicht mehr mühsam ge-bückt, sondern selbstbewusst aufrecht stehend, die Farben rot, gelb und grün symbolisieren Zufriedenheit, Aktivität und Prosperität. Das Bild soll daran erinnern, dass das Afrika, zu dem wir gehören, im krassen Gegensatz steht zum herkömmlichen Afrika-Bild, das von Armut und Gewalt dominiert wird. Dieses Geschenk beweist, dass Inges Adoptivmutterschaft von Samys afrikanischer Familie mit großer Dankbarkeit und Hoffnung akzeptiert wird.

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Dienstag, 22.04.

Der Tag der offiziellen Einweihungen begann um 10h mit der Besichtigung der Ecole maternelle und der 194 Kinder, die derzeit noch – entsprechend der Zahl der Häuser - in vier Gruppen eingeteilt sind. Wie im-mer war es ein Vergnügen, von den Kindern fröhlich und herzlich begrüßt zu werden, und man konnte in allen Gruppen erkennen, dass die Erzieher, die Hilfs-

kräfte, der Gärtner und der Direktor mit viel Erfolg daran arbeiten, den Kindern eine für Körper und Geist gesunde Umgebung zu bieten. Die „Grand Section“, d.h. die Fünf- und Sechsjährigen, umfasst über 60 Kinder und muss unbedingt geteilt werden. Da traf es sich gut, dass die Stiftung Oliver Herbrich Kinder-fonds aus Grafrath den Bau eines 5. Hauses in der

Ecole maternelle seit Ende Januar 2014 finanziell för-dert, denn so konnte der Bau sofort beginnen. 6 Mo-nate früher als geplant wurde das Gebäude fertig und wurde nun heute offiziell eingeweiht. Außer den Hono-ratioren von Baila war auch der stellvertetende Präfekt des Bezirks Sindian gekommen, und, nachdem sich

alle unter dem großen Mangobaum im Garten der Ecole maternelle gegenseitig bekannt gemacht hatten, wurde vor dem Eingang des Rundbaus der Schlüssel feierlich vom Baumeister an die KHS-Präsi-dentin Inge übergeben, die ihn an den Vize-Präfekten weiterreichte. Dieser händigte den Schlüssel wiede-rum dem Direktor der EM aus, der dann endlich die

Eingangstür aufschloss. In ihrer Ansprache bedankte sich Inge beim Bürgermeister, beim Chef d’UDB, beim Baumeister und bei unserem Repräsentanten Ibou, der zusammen mit Schatzmeister Friedbert innerhalb weniger Wochen den Neubau organisiert hatte, für die schnelle und farblich wie architektonisch gelungene Realisierung des Gebäudes. Dann betonte sie, an den Vize-Präfekten gewandt, dass zur richtigen Nutzung des Hauses noch der staatliche Lehrer fehlt, den die KHS schon vor drei Jahren beantragt hatte. Dass dieser 4. Lehrer zu Beginn des nächsten Schuljahres im Oktober zur Verfügung stehe, könne er garantie-ren, antwortete der Vize-Präfekt in seiner kurzen

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Rede. Nachdem auch der Direktor der EM sich nochmals herzlich für das 5. Haus bedankt hatte und aus den Händen von Walter das „cadeau d’ inauguration“ erhalten hatte – mehrere Sets Dominosteine und 65.000 CFA in bar – mahnte der Chef d’UDB zum Aufbruch, weil an der Solarschule schon eine große Menschenmenge auf uns warte, um die Inauguration der Solarprojekte zu feiern.

Als wir um 11.30h vor der Solar-schule aus dem Bus stiegen, muss-ten wir vor dem Eingangstor zur Schule stehen bleiben, bis wir von einer großen Gruppe Frauen im Festtagsornat mit Gesang und Trommelklang am Tor abgeholt und im rhythmischen Wiegeschritt zu den VIP-Plätzen unter dem großen Baum geleitet wurden. Dort nah-men wir Platz und wenig später stellte der Präsident der UDB-Jugend als Moderator die einzelnen

VIPs vor und eröffnete dann den Reigen der Ansprachen, die immer wieder von Tanz und Gesangseinlagen der Frauen unterbrochen wurden. Die lautstärkste Rede hielt der Chef d’UDB, der zuerst protokollarisch genau die anwesenden Honoratioren begrüßte und dann die Solarprojekte der KHS als größtes Investitionsprogramm in

der Geschichte Bailas pries. Man konnte deutlich erkennen, dass Djiba sich im Wahlkampf um das Amt des Bezirksbürgermeisters befindet, denn er rückte seine Präsidentenrolle und die Betei-ligung der Bevölkerung bei der Realisierung der Solarprojekte so stark in den Vordergrund, dass die KHS eher als Juniorpartner der UDB erschien. Zum Glück war seine Rede kurz, und die ande-ren Redner – der Bürger-meister, der Direktor des Berufsschulzentrums und damit auch Leiter der Solarschule, der Spre-cher der Alten in der

UDB sowie der Vize-Präfekt hatten genügend Zeit, die neue Schule als richtungsweisende Einrichtung ganz im Sinne der auf Solarener-gie ausgerichteten Energiepolitik des Staates, als einzigartig im Senegal und als erstklassige Chance zur Versorgung der Bevöl-kerung mit preiswerter Energie zu kennzeichnen.

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Inge überließ es spontan Walter, die letzte Ansprache der Inaugura-tion zu halten. Walter gab, simultan ins Französische übersetzt von

Eberhard Mohr, einen kurzen Über-blick über die siebenjährige Solar-projekt-Geschichte und betonte, dass die Solarschule nicht hätte gebaut werden können, wenn nicht die Bevölkerung von Baila jederzeit das Vorhaben aktiv unterstützt hätte. Für die Zukunft der Schule gebe es noch eine Menge Arbeit und er wünsche sich auch im Namen aller Mitglieder, Spender und Paten der KHS,

dass die Kooperation zwischen allen Pro-jektbeteiligten – staatliche Schule, UDB, KHS und Ingenieure ohne Grenzen – weiterhin erhalten bleibe zum Wohle Bailas und der ganzen Casamance. Nach dem einstündigen Redemarathon konnte nun endlich die Solarschule offiziell eröffnet und dem Staat übergeben werden. Inge hatte die Ehre, als erste das vor dem Eingang der Solarschule gespannte Band in den Farben Senegals zu durchschnei-den, dann folgte als Vertreter des Staates der Vize-Präfekt, für die Ingenieure ohne Grenzen“ griff Walter zur Schere und den letzten Bandschnipsel sicherte sich Ous-mane Djiba für die UDB. Nun war die

Solarschule auch für die Allge-meinheit zur Besichtigung freige-geben. Während vor der Schule die Trommel- und Tanzfeier weiterging, strömten die Men-schen, vor allem Frauen, in die einzelnen Räume der Schule, um sich von der guten Qualität des Hauses selbst zu überzeugen. Weil bis zum Beginn des neuen Schuljahres im Oktober nur sechs Schüler vorhanden sind – drei in der Photovoltaik-Ausbildung, drei in der Erneuerbare Energien-Aus-bildung – werden derzeit nur zwei der vier Klassenzimmer genutzt,

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und zwar für den Theorie-Unter-richt. Der Praxisunterricht soll in den nächsten Wochen beginnen, wenn das PV-Lehrmodul aus Dakar zur Verfügung steht und genügend Geld vorhanden ist, um Material für die Herstellung der EE-Geräte zu kaufen. Der erste selbstgebaute Solartrockner, den die EE-Lehrer im Oktober vergangenen Jahres unter der Anleitung der „Ingenieure ohne Grenzen“ Evi und Wolfgang gebaut

hatten, steht als Anschauungsobjekt in einem der Klassen-zimmer und wartet darauf, nachgebaut zu werden. Die Solarschule soll bis zum Beginn des nächsten Schuljahres mit Wasser und elektrischem Strom versorgt werden. Die Was-serleitungen im Sanitärbau sind vorhanden, ebenso die Strom-leitungen im Hauptgebäude. Wie es sich für eine Solarschule geziemt, soll die Stromversorgung nicht über den teuren Netz-strom, sondern über eine PV-Inselanlage funktionieren. Für die

Wasserversorgung soll ein neuer Brunnen gebohrt werden, der das Wasser für den Sanitärbau liefert, den nicht nur die Solarschule, sondern auch die Solarwerkstätten und der Hausmeister nutzen. Sowohl die Strom- als auch die Wasserversorgung soll von den Solarschülern im Unterricht geplant und installiert werden. Eventuell kann die Versitzgrube

des Sanitärbaus auch zur Biogasgewinnung genutzt werden.

Bei den Tänzern und Trommlern vor der Schule war inzwischen auch Cumpo, der Waldgeist, eingetroffen, um an den Feierlichkeiten teilzune-hmen, die jetzt in den Solar-Werkstätten fort-gesetzt wurden. Für die Frauen von Baila sind die Werkstätten wichtiger als die Schule, denn von den dort produzierten Solarlampen und -kochern erwarten sie sich nicht nur eine deutliche Verbes-

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serung des Lebensstandards, sondern auch Erwerbsmöglichkeiten für sich selbst und ihre Familien. Man konnte den Eindruck haben, dass fast alle Frauen von Baila nun in die Werkstätten strebten, um sich dort die Solar-Geräte vorführen zu lassen. Schon die vor dem Haus aufgestellten Parabolkocher erreg-ten die Aufmerksamkeit, weil die mittägliche Hitze – es war inzwischen 14 Uhr – eine spon-tane Vorführung der Kocherleistung erlaubte. Bis zu 300 Grad heiß wird es im Fokus des schwenkbaren Parabolspiegels, und bei der Verwendung von schwarzen Töpfen ist eine Kochleistung möglich, die der des offenen

Feuers gleichkommt, allerdings ohne Holzver-brauch und Rauchentwicklung. Den Bau der Parabolkocher hat Eberhard Mohr dahingehend optimiert, dass die Ablage im Fokus des Spiegels jetzt für alle Topfgrößen geeignet ist und dass der Kocher wesentlich stabiler steht, weil die Verbin-dungspunkte des Gestells nicht verschraubt, son-dern verschweißt werden. Die Frage vieler Frauen, wie man energiesparend kochen kann, wenn am Abend oder bei Regen der Parabol-

kocher nicht eingesetzt werden kann, beantwortete die Vorführung des Holzsparofens auf der Veranda des Hauses. Die Ofenkonstruktion von Eberhard Mohr ist derart ausgetüftelt, dass sich bei 70 % weniger Holz-verbrauch 5 Liter Wasser innerhalb von 6 Minuten zum Kochen bringen lassen. Dabei entsteht kaum Rauch und der Ofen kann mit einheimischem Material gebaut werden. Eberhard Mohr ist sich deshalb ganz sicher, dass sich der Holzsparofen großer Beliebtheit unter den Frauen erfreuen wird, zumal der Kaufpreis von 28 € sich bereits nach ca. 12 Monaten amortisiert.

Auch in der Werkstatt für Solarlampen-bau war der Andrang groß. Man konnte dort den Monteuren zusehen, wie sie innerhalb einer Stunde aus dem Bau-satz eine fertige Lampe machen, die auch sofort einsatzbereit ist. Dass man die Leuchtwirkung der Lampe noch beträchtlich erhöhen könnte, wenn die Wände des zu beleuchtenden Raumes weiß gekalkt wären oder mindestens hellfarbig gestrichen wären, war eines der Themen, die wir mit den Honora-tioren diskutierten, während wir an der VIP-Tafel kalte Getränke serviert beka-men und mit Schmalzgebackenem ver-sorgt wurden, das Gastronomie-

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Lehrlinge gerade eben im Parabol-kocher zubereitet hatten. Die Inaugurationsfeierlichkeiten waren damit abgeschlossen und wir kehrten zurück ins Campement, um dort das Mittagessen einzunehmen und ein we-nig zu verschnaufen, bevor das zweite Großereignis des heutigen Tages begann: die Abschieds- und Dank-Animation der UDB zu Ehren der KHS. Um 18 Uhr füllte sich nach und nach das Campement, auf der einen Seite die jungen Männer mit den Trommlern, auf der anderen Seite die jungen Frauen mit den Klanghölzern, rings-herum viele Kinder und Jugendliche,

die voller Spannung auf das Erscheinen des Cumpo warteten, der auch bald erschien, um zuerst die freiwillige Unterwerfung der Mädchen entgegenzunehmen. Anschließend begann das animistische Tanzritual, dessen Deutung für uns Kulturfremde schon deshalb schwierig ist, weil wir den homophonen Gesang in Djola nicht verstehen und weil das Ritual jedesmal ein wenig verändert

wird. Diesmal erschien nach einigen Minuten, in denen der Cumpo die Szene beherrschte, aus dem Hintergrund eine „Maske“, die wir noch nie gesehen hatten: ein imposantes Wesen mit Affengesicht, das wohl einen Gorilla darstellen sollte. Der „Gorilla“ stellte sich in der Arena vor dem Cumpo auf und zeigte mit wirbelnden Tanzschritten, dass er dem Waldgeist Cumpo ebenbürtig ist. Nach einigen Minuten des gegenseitigen Imponiergehabes kam es aber nicht zu einem Kampf der beiden „Waldgiganten“, sondern zu einer Verbrüderung mit dramatischen Folgen: neun Männer mussten sich zuerst vor dem Gorilla in den Staub werfen, und während rechts davon eine junge Frau am Boden kniete, schritt der Cumpo gravitätisch über die am Boden liegenden Männer

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hinweg. Dann nahm der Cumpo den Platz des Gorillas ein, und der Gorilla machte sich in verschärfter Form über die Männer her: Er trat nicht nur auf jeden einzelnen, sondern prügelte mit dem Stock heftig auf ihn ein,

bis die meisten derart malträtierten Männer aufspran-gen und davonliefen. Der Gorilla zog schließlich wieder ab, während der Cumpo noch einige Zeit das Schreckgespenst für die Kinder und Jugendlichen

spielte. So wurden zwei kleine Mädchen, eines davon war Samys Schwester Anta, in der Arena auf Stühle gesetzt und dem Cumpo überlassen, der sie einige Sekunden symbolisch in die Dunkelheit des Waldes entführte. Bis Einbruch der Dunkelheit dauerte das lautstarke Schauspiel von Unterwerfung, Widerstand und Bestrafung, und – auch wenn manches Detail ungeklärt blieb – es wurde doch deutlich, was die Kinder und Jugendlichen empfinden, wenn die Masken auftreten: es ist eine Art „Angstlust“. Die Angst zu überwinden, ist ein wichtiges Erziehungsziel, und deshalb machen sich die Erwachsenen nicht über die Masken lustig oder ironisieren

das Geschehen, sondern sie „spielen mit“, um die erzieherische Wirkung des Theaters aufrecht zu erhalten. Zum Abschluss der Animation wurden wir an den langen Tisch gebeten, wo sich die UDB-Verant-wortlichen versammelt hatten. Jeder von uns erhielt nun zwei Abschiedsgeschenke überreicht: eine handgeschnitzte Holzfigur und eine ebenso handgefertigte Batikarbeit. Inge und Walter revanchierten sich für diese großzügige, von herzlichen Umarmungen begleitete Danksagung mit der Übergabe unserer Bargeld-„Cadeaus“ an die Frauen und an die Jugend der UDB. Mit Ablauf dieses Tages waren die Haupt-aufgaben unserer Reise absolviert und wir freuten uns schon auf die nächsten Tage bei Tafa in Abene.

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Mittwoch 23.04. Der Abreisetag begann mit der Erkenntnis, dass nicht mehr genug Geld in der Reisekasse war, um die Rechnungen des Campements und des Autovermieters zu bezahlen. Also machten sich Walter und Tafa um 9h mit dem Bus auf den Weg nach Bignona, um dort am Bankautomaten Geld abzuheben. Der Bankautomat in Bignona war allerdings defekt, sodass die beiden mit dem Taxi bis nach Ziguinchor fahren mussten, um in einer Bank die nötigen 500.000 CFA zu erhalten. Auf dem Rückweg nach Baila kamen sie kurz hinter Bignona in eine Polizeikontrolle. Alle mussten aussteigen und bei 40 Grad Mittagshitze ausharren, bis der Taxifahrer nach ungefähr 30 Minuten mit dem Polizisten handelseinig geworden war. Erst um 12.30h waren Walter und Tafa wieder zurück im Campement.

Inge, Ernst, Herta, Jonathan und Samy waren unterdessen zu Besuch bei Abasse Goudiaby, dem „Urvater“ der KHS und Bruder von Bintou, der Leiterin des Info-Zentrums. Abasse lebt seit einigen Jahren wieder in Baila und hat, nachdem er seinen Solar-Kiosk in Baila schließen musste, in seinem Haus eine Geflügelzucht aufgebaut, die ihm eine bescheidene Existenz sichern soll. Abasse zeigte seinen Besu-chern die verschiedenen Geflügelsorten, die er in den selbstgebauten Gehegen aufzieht: Hühner, Enten,

Wachteln und Tauben. Zusätzlich hält er noch Hasen und einige Rinder, pflanzt Bäume und Sträucher, erzeugt Bauziegel mit einer selbst-

konstruierten Ziegelpresse und beleuchtet sein Haus mit einer Solaranlage. Zum Abschied durften

Jonathan und Samy sich eine riesige Papaya von einem der Bäume holen, die Abasse gepflanzt hatte. Seine Fertigkeiten und seine Initiative sind immer noch beeindruckend, und deshalb schlugen Inge und Walter ihm vor, für die KHS die Wasserversorgung der Krankenstation zu renovieren – ein Projekt, das seit drei Jahren überfällig ist. Abasse akzeptierte den Vorschlag und wird nun zunächst einen Kostenvoranschlag liefern, der alle notwendigen Renovierungsdetails umfasst: Brunnen, Pumpe, Hochbehälter, Wasserleitungen inner- und außerhalb der Krankenstation.

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Nachdem wir zusammengepackt, unsere Rechnungen bezahlt und uns verabschiedet hatten – speziell von unserer Köchin Aida, die mit Tochter und Enkel gekommen war, um uns Aufwiedersehen zu sagen –, bestiegen wir, einschließlich Tafa, Eberhard, Marie und

Ibou um 13h den Bus, auf dessen Dach noch ein

lebendes Schaf, das Festtagsessen für morgen, unter-gebracht wurde, und fuhren auf der N5 über Diouloulou nach Abene. Eineinhalb Stunden später kamen wir am Haus von Tafa im Norden Abenes an, wo uns schon seine Frau Fatou, seine Schwägerin und seine Kinder Mustafa, Inga und Jonas erwarteten. Sie hatten schon

eine Erfrischung vorbereitet, köstlicher Bissap- und Baobab-Saft stand bereit, und – eine Reminiszenz an Tafas Deutschland-Erfahrung – der Nachmit-tagskaffee. So gestärkt fuhren wir ins vier Kilometer entfernte Campement „Casamar“, wo Herta, Walter und Eberhard Quartier nahmen, während Inge, Ernst und die Buben als Fami-

lienmitglieder im Haus von Tafa bleiben durften. Den Rest des Nachmittags verbrachten wir am Strand, der vom „Casamar“ aus zu Fuß in zehn Minuten erreichbar ist. Genussvolles Baden im warmen Atlantik und Relaxen in der Strandbar bis zum Sonnenunter-gang ließen uns die Hektik der vergangenen Tage schnell vergessen.

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Donnerstag, 24.04.

Um 10h holte ein Taxi Herta, Walter und Eberhard im Casamar ab und brachte sie zum Haus von Tafa, wo der Rest der Gesellschaft gerade mit dem Frühstück fertig geworden war. Bis zum Mittagessen war Baden

und Strandleben angesagt, und so liefen wir, begleitet von Maleyni und von Tafas Kindern, die 500 Meter durch das Gelände eines zum Verkauf stehenden Hotels über die Sanddünen hinunter zum wie immer fast

menschenleeren Strand, ließen uns im Schatten eines Baumes nieder und stürzten uns sogleich in die erfrischenden Wellen des Atlantik. Da der Strand sehr flach ins Meer abfällt und man wohl

200 Meter hinauslaufen kann, ohne den Boden unter den Füßen zu verlieren, spielten Tafas Kinder fast 3 Stunden lang im flachen Wasser, während wir „Weißhäute“ uns allmählich in „Rothäute“ verwandelten. Um 14 Uhr kehrten wir zurück in Tafas Haus, wo uns ein ausgiebi-ges Mittagessen erwartete, dessen Fleischanteil wir gestern noch lebend aus Baila mitgebracht hatten. Nach einer kurzen Ruhe-pause, in der uns der 20 Monate alte Jonas mit seinen erstaunli-chen Fußballkünsten unterhielt, begann um 16 Uhr hinter dem Haus die Zusammenkunft mit „Bayasse“, den 10 – 15 Familien aus der Nachbarschaft Tafas, die sich zu einer Art Selbsthilfegruppe zusammengeschlossen haben. Tafa hatte sie alle eingeladen, die

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KHS und ihre Solarprojekte kennenzulernen und mit uns Abschied zu feiern. Eberhard Mohr hatte eine sei-ner Solarlampen, das „Mali-Light“, und das solare Handy-Ladegerät mitgebracht und demonstrierte nun dem

staunenden Publikum – den Männern links, den Frauen und Kindern rechts –, wie gut die Lampe funktioniert und dass mit dem selben Solarmodul

und den mitgelieferten Adaptern nahezu jedes Mobil-telefon aufgeladen werden kann, was er an den von

zwei skeptischen Frauen gereichten Handys umge-hend beweisen konnte. Anhand der Konstruktions-zeichnungen erläuterte Eberhard auch noch die Vorzüge des Parabolkocher und des Holzsparofens.

Ergebnis der Werbeaktion für die Werkstätten in Baila: Alle zeigten sich begeistert von der Qualität der Solar-geräte und würden sie sofort kaufen – wenn sie das Geld dazu hätten. Auch die vierjährige Inga hörte aufmerksam zu und wirkte gar nicht mehr wie ein kleines Kind. Inzwischen hatte sich auf der anderen Seite des Hauses eine von Tafa engagierte professionelle Trommler- und Tanzgruppe versammelt, und der Rest des Tages war dem grandiosen Spektakel gewidmet, das Tafa für seine deutsche Familie und die KHS zum Abschied organisiert hatte. Die einstündige Vorführung der

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Tanzgruppe war hin- und mitreißend, alle waren wir fasziniert von der Perfektion der Trommler und der unglaublichen Begeisterung und Dynamik, die die Tänzerinnen und Tänzer ausstrahlten. Die Tanzfreude der Profis übertrug sich schließlich auch auf die Aktivrentner unter uns. Angeleitet durch die attraktive Vortänzerin, demonstrierten sie, zu welchen körperlichen Leistungen die Djola-

Tanzkultur erschöpfte Senioren animieren kann. Da konnten sich auch Tafas Nachbarn und seine Frau als Gastgeberin nicht mehr zurück-halten: Von den Trommlern angefeuert zeigten

uns vor allem die Frauen von Abene, wie sehr das Tanzen ihrem Naturell entspricht und welch euphorisierende Bedeutung es in ihrem, ansonsten vom täglichen Existenzkampf geprägten Leben

besitzt. Nach ungefähr eineinhalb Stunden been-deten zwar die Profis ihre Vorstellung, das Tanzen bis in die Nacht hinein übernahmen aber nun die Frauen der „Bayasse“. Bevor die Animation mit unverminderter Intensität

weiterging, machte uns Tafas Nachbarschaft Geschenke, mit denen wir überhaupt nicht gerechnet hatten: Im Namen der Bayasse bekamen Inge und Walter zum Dank für ihr Engagement in Abene mehrere

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Sandbilder, ein sehr hübsches Ölbild und eine große Kiste mit Orangen, Zitronen, Papayas und Kokosnüssen überreicht. Weil sie keine Gegengeschenke parat hatten, entschlossen sich Inge und Walter, wenigstens das Honorar von 40.000

CFA für die insgesamt 16 Trommler und Tänzer zu bezahlen, d.h. 60 € für einen begeisternden

Auftritt, der uns noch lange im Gedächtnis bleiben wird. Die Bayasse-Frauen hatten inzwischen aus einem umgedrehten Kochkessel ihr eigenes Schlagzeug organisiert und den Tanzplatz unmittelbar vor der Veranda mit Wasser besprüht, damit die nun folgenden Tanzeinlagen nicht zuviel Staub aufwirbelten. Die Perfor-mance, die Frauen nun in den Sand zauberten, war genauso laut und lustig, aber noch intensiver wie die der Profis. Erst als das Tanzen fast

schon ekstatische Züge angenommen hatte, setzte die heraufziehende Nacht einen Endpunkt, die Nachbarn zogen sich zurück und wir beendeten den aufregenden Abschiedstag mit dem Abendessen – Inge, Ernst, Jonathan und Samy bei Tafa, Herta, Eberhard und Walter im Restaurant des Casamar.

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Freitag, 25.04.

Heute war Abreisetag für Inge, Ernst, Samy und Jonathan. Bis 14 Uhr war aber noch Zeit, um ein letztes Mal im Atlantik zu baden, zu packen und sich zu verabschieden. Um 10h kamen Herta, Eberhard und Walter per Taxi vom Casamar, und zusammen liefen wir hinüber zum Strand, wo uns das Meer mit 1-Meter-Wellen anlockte. So erfri-schend das Spiel mit den Wellen auch war, nach gut einer Stunde hatten die meisten schon einen leichten Sonnenbrand, der durch das Salz auf der Haut noch an Wirkung gewann. Um nicht noch

stärker von der Hitze – auf den Dünen am Strand herrschten über 40 Grad – in Mitleidenschaft gezogen zu werden, begaben wir uns wieder zurück in Tafas Haus, wo im Wohnzimmer die Kinder spielten. Um 12.30h kam auch Tafas achtjähriger Sohn Mustafa aus der Schule und wir setzten uns auf die Veranda, wo uns wenig später ein Imbiss serviert wurde, der unseren durch Hitze und Müdigkeit stark reduzierten Hunger berück-

sichtigte: Kaffee und Kuchen, Orangen, Bis-sap- und Baobab-Saft. Dazu überreichte

Tafa jedem von uns eine Tüte mit getrockneten Hibiskus-Blüten, aus denen der Tee hergestellt wird, den wir, reichlich gezuckert, als Bissap-„Saft“

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kennen, sowie eine Tüte mit getrocknetem Baobab-Fruchtfleisch, das eingeweicht und von den harten Kernen befreit, die Grundlage für den Baobab-Saft liefert.

Um 14h traf der Siebensitzer ein, der Inge, Ernst, Jonathan und Samy zum Flughafen nach Ziguinchor bringen sollte. Tafa ließ es sich nicht nehmen, seine deutsche Familie nach Ziguinchor zu begleiten, wollte aber noch heute wieder nach Abene zurück-kommen. Die Abschiedszeremonie war wegen der sengenden Sonne vergleichsweise kurz, aber sehr herzlich. Um 14.30h verließ das Auto Abene und brauchte bis Ziguinchor knapp zwei Stunden. Am Flughafen von Ziguinchor waren inzwischen sowohl Kemo aus Souda als auch unser Repräsentant Ibou eingetroffen, und Ibou blieb bei den fünfen, bis um 18h das Flugzeug nach Dakar startete, während Tafa sich schon um die Rückfahrt nach Abene kümmern konnte. Der Rest der Reise verlief reibungslos. Um 1h nachts startete das Flugzeug von Dakar nach Lissa-bon, von dort aus flog Kemo nach Düsseldorf, Inge, Ernst, Samy und Jonathan fast zeitgleich nach Mün-chen, und am 26.04. nachmittags waren alle fünf – rechtzeitig zum Schulbeginn – wieder zuhause in Deutschland. Die in Abene zurückgebliebenen Herta, Eberhard und Walter wanderten unter der Obhut von Maleyni am Strand entlang 4 Kilometer zurück zum Campement Casamar, das sie ziemlich erschöpft um 16h erreichten. Ein kurzes Schläfchen genügte, um gerüstet zu sein für einen Spaziergang ins Ortszentrum von Abene, wo Walter den Friseur aufsuchen wollte, der ihm vor zwei Jahren mit einer uralten Maschine – von der Laut-stärke her einem Moped ohne Schalldämpfer nicht unähnlich – die Haare geschnitten und dabei fast ertau-ben hatte lassen, um ihm eine moderne, leise summende Haarschneidemaschine zu übergeben. Trotz inten-siver Suche war der Friseur leider nicht aufzutreiben, und so mussten Herta, Walter, Maleyni und Eberhard unverrichteter Dinge umkehren und die zwei Kilometer zum Campement zurücklaufen. Unterwegs gab es aber doch noch Interessantes zu sehen: Die auf der Straße flanierenden Einheimischen blieben plötzlich stehen, denn vor uns stand mitten auf der Straße in etwa 150 Meter Entfernung ein ganz in Rot gewandeter Mann, der eine Maske trug und in jeder Hand eine Machete schwang. Auch Maleyni, immerhin ein erwach-sener Mann, wollte nicht mehr weitergehen und auf Nachfrage erklärte er uns, dass der „Machetenmann“ eine von allen Einheimischen gefürchtete Figur sei, die jetzt in der Dämmerung dafür sorge, dass die Jugendlichen und Kinder von der Straße verschwänden. Wer in seine Nähe käme, den bedrohe er mit seinen Macheten. Tatsächlich sahen wir, wie der Machetenmann einem jugendlichen Radfahrer hinterher-hetzte und ihn mit der flachen Seite der Machete auf den Rücken schlug. Erst als uns der Machetenmann bedeutete, dass er uns den Weg freigeben werde und kurz darauf von der Straße verschwand, trauten wir uns weiterzugehen. Von den langen, sonnigen Spaziergängen des vergangenen Tages ermattet, begaben wir uns gleich nach dem Abendessen im Restaurant zur Nachtruhe.

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Samstag, 26.04.

Wir, Herta, Walter und Eberhard, nutzten fast den ganzen Tag, um uns im Casamar auszuruhen. Alle drei hatten wir leichte Erkältungssymptome und wenig Lust, uns am Strand der Sonne auszusetzen. Statt des Mittagessens absolvierten wir lieber einen ausgedehnten Mittagsschlaf. Um 17h holte uns Tafa, der schon

gestern aus Ziguinchor zurückgekehrt war, mit dem Taxi ab und wir fuhren zunächst ins Zentrum von Abene, um dort den größten Kapok-Baum des Senegal zu besichtigen. Das botanische Monstrum,

das sicher ein paar Hundert Jahre alt ist, gilt als heiliger Baum der Mandinge, deshalb haben sich in

seiner Umgebung mehrere Mandinge-Familien angesiedelt, die vom heiligen Baum leben, indem sie von den Besuchern einen Obulus „für die Bewachung des Baumes“ erbetteln. Nach 15 Minuten des Staunens fuhren wir weiter zum Haus von Tafa, wo

gerade das Abendessen zubereitet wurde. Um die Zeit zu überbrücken, unternahmen wir spontan einen kleinen Spaziergang zum nördlichen Nach-barn von Tafa in der Hoffnung, die Affen zu Gesicht zu bekommen, die Walter vor zwei Jahren dort im Käfig gesehen hatte. Im Haus des Nachbarn woh-nen seit letztem Jahr Anta, eine Cousine Tafas, und ihr Mann Jürgen Gabriel, ein deutscher Reiseunter-nehmer, der sich hier in Abene zur Ruhe gesetzt hat. Wir hatten Anta und Jürgen schon vorgestern bei der Nachbarschaftsfeier kurz gesehen, jetzt lernten wir sie richtig kennen, denn die beiden luden uns sehr freundlich zum Kaffee ein und zeigten uns danach ihr Anwesen. Jürgen Gabriel entpuppte sich als wahrer Selfmademan, der nicht nur den Umzug von Italien, wo er bis letztes Jahr gelebt hatte, in den Senegal mit dem Auto bewältigt hatte, sondern auch sein neues Domizil in Abene zu einer fast autarken Farm ausgebaut hat. Mangos und Papayas, Bananen und Ananas, dazu jede Art von Gemüse und Salat wachsen auf seinem Grundstück, einen Esel hat er angeschafft und die beiden Affen in einem neuen Käfig aufgepäppelt. Zudem hat er sich noch eine Werkstatt eingerichtet, in der er nicht nur seine handwerklichen Arbeiten erledigt,

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sondern auch als Bildhauer und Holzschnitzer arbeitet. Ein Allround-Talent also, ein Mann, der sich trotz seiner 68 Jahre eine Unabhängigkeit und Abenteuerlust bewahrt hat, um die ihn weit jüngere Männer nur beneiden können. Einziger Luxus, den er sich leistet, ist ein permanent funktionierender Internet-Zugang über Satellit, der es ihm ermöglicht, jederzeit per Facebook mit seiner Familie in Europa und Freunden in aller Welt zu kommunizieren. Auf Facebook veröffentlicht er auch Beobachtungen und Beschreibungen vom Leben in der Casamance, untermalt sie mit exzellenten Fotos, und erzeugt so anspruchsvolle Reiseinforma-tionen für alle, die sich für den Senegal, die Casamance und die Kultur der Djola interessieren.

Es war schon fast dunkel, als uns Tafa daran erinnerte, dass noch das Abendessen auf uns wartete. Obwohl wir zunächst nur wenig Appetit hatten, konnten wir dem Angebot an Salat und Weißbrot, Reis, Gemüse und Fleisch, Orangen und Papaya, Bissap und Baobab nicht

widerstehen und genossen ein letztes Mal die typisch senegalesische Küche in einem Ausmaß, das die Köchinnen nicht gekränkt haben dürfte. Dann hieß es für Herta und Walter Abschied

nehmen von Tafas Familie, von seinen Kindern und dem gastfreundlichen Haus, weil sie im Gegensatz zu Eberhard, der noch einen Tag länger in Abene bleiben konnte, schon morgen früh nach Ziguinchor fahren mussten. Nach dem herzlichen Abschied von Tafas Frau, von seiner Schwägerin Marie, von seinem Neffen und dessen Frau und vom kleinen Jonas, durften uns Mustafa und Inga im Taxi noch bis zum Campement Casamar begleiten, wo wir um 22.30h eintrafen.

Sonntag, 27.04.

Der Abreisetag von Herta und Walter begann mit dem Frühstück um 7h, denn um 8h stand schon Tafa mit dem Fahrer des gemieteten Siebensitzers vor dem Tor. Wir verabschiedeten uns herzlich von Eberhard Mohr, der uns in den vergangenen Tagen ein ebenso umgänglicher wie unentbehrlicher Reisegenosse geworden war, und um 8.15h fuhren wir los, holten unterwegs in Abene noch eine ältere Frau mit ihrer Tochter ab, die nach Baila wollten, und nahmen schließlich im vollbesetzten Auto Kurs auf Ziguinchor. Den Hafen von Ziguinchor erreichten wir trotz 10 Minuten Aufenthalt in Baila schon um 10.30h. Dort erwartete uns bereits Ibou, und, während sich Tafa für sein Schiffsticket am Schalter anstellte, fuhren Ibou und Walter noch einmal zum Geldabheben, um für den Aufenthalt an Bord und für den morgigen Tag in Dakar finanziell gerüstet zu sein. Das Einchecken auf der Fähre gestaltete sich ziemlich anstrengend, weil es für die 450 Passagiere und ihr Gepäck nur einen Zugang gab, an dem zwei Uniformierte jedes Gepäckstück erst einem Ticket zuordnen und dann den Namen des Besitzers auf einen Aufkleber schreiben mussten. Nach 1 Stunde Schlangestehen waren wir bis zur Kontrollstelle vorgerückt und mussten uns jetzt von Ibou verabschieden, weil Nichtpassagiere das Hafengebäude während des Eincheckens nicht betreten dürfen. Auf die Gepäck-kontrolle folgte das fünfmalige Vorzeigen von Ticket und Pass sowie eine Scanner-Durchleuchtung des Handgepäcks. Um 13h endlich konnten wir drei das Schiff betreten und unsere Kabinen aufsuchen. Um 15h verließ die Aline Sitoe Diatta den Hafen von Ziguinchor. Nach zweistündiger Fahrt auf dem Casamance-Fluß

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wurde – eine Premiere – für einen 30minü-tigen Aufenthalt der Hafen von Karabane angelaufen, nach vier Stunden war das offene Meer erreicht, und als die Sonne unterging, begaben wir uns ins Restaurant und ließen uns das Abendessen schmecken. Kurze Zeit schien es so, als sollte die Fahrt auf dem Meer stürmisch werden, der Wind frischte auf, die Wellen wurden höher, die Stewards banden schwarze Plastiktüten an die Handläufe und mancher Teller im Restaurant, darunter auch der von Tafa, wurde nicht mehr leergegessen. Eine Stunde später ließ der Wind nach, das Wetter beruhigte sich, und als wir uns um 23h in die Kojen legten, geleitete uns das leichte Schwanken des Schiffes so sanft in den Schlaf wie das Schaukeln einer Wiege.

Montag, 28.04.

Im Morgengrauen, so gegen 5.30h, erreichten wir Dakar. Bis wir das Schiff verlassen und unser Gepäck erhalten hatten, vergingen fast zwei Stunden und wir fühlten uns, trotz der ruhigen Nacht an Bord, sehr müde und auch ein wenig gesundheitlich angeschlagen. Wir fuhren deshalb, da wir ja den ganzen Tag und die halbe Nacht bis zu unserem Abflug überbrücken mussten, zum Hotel Poulagou und buchten dort ein Zimmer, das wir sowohl zur Gepäckaufbewahrung als auch zum Duschen und Ausruhen nutzen konnten. Das Frühstück, das uns Diallo, der smarte Geschäftsführer des Hotels, servierte, weckte Walters Wunsch, dem Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Dakar doch noch einen Besuch abzustatten. Während Herta sich ins Zimmer zurückzog, um mit ein paar Stunden Schlaf die beginnende Erkältung zu bekämpfen, machten sich Walter und Tafa, nachdem sie mit der Sekretärin telefoniert hatten, auf den Weg zum Regionalbüro der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Nach einer halbstündigen Taxifahrt erreichten sie das nagelneue Haus der Stif-tung und wurden dort vom Programmmanager Dr. Thiam empfangen. Dr. Thiam, ein noch junger Mann, erklärte uns in perfektem Deutsch, dass der Büroleiter leider nicht im Hause sei, weil er mit einer Gewerk-

schaftskampagne gegen die Ausbeutung der Arbeiter im Uranbergbau Malis beschäftigt sei. Als stellvertretender Büroleiter nehme er aber gerne unsere Informationen über die Arbeit der Kinderhilfe Senegal entgegen. Walter bedankte sich für den freundlichen Empfang und stellte dann in einem 15minütigen Referat die Projekte, die Organisation und das Hilfskonzept der KHS vor. Abschließend betonte er, dass die KHS sich gerne mit allen Personen und Organisationen vernetzen möchte, die die offizielle deutsche Politik der „Entwicklungshilfe zugunsten der deutschen Wirtschaft“ ablehnen und zur echten „Hilfe zur Selbsthilfe“ zurückkehren wollen. Die Rosa-

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Luxemburg-Stiftung der Linkspartei stünde diesbezüglich von allen Parteien der KHS am nächsten. Mit der Versicherung, die Stiftung über die Arbeit der KHS auf dem Laufenden zu halten, verabschiedeten sich Tafa und Walter von Dr. Thiam und fuhren zurück ins Hotel Poulagou. Damit war auch die letzte geplante Aufgabe der KHS erledigt und wir konnten zufrieden den Rückflug nach Deutschland antreten. Nach dem Abendessen im Hotel fuhren wir um 22.30h zum nur 10 Autominuten entfernten Flughafen. Gerne hätten wir uns dort ausführlich von Tafa verabschiedet; weil aber der Zugang zum Flughafen für Nichtpassagiere gesperrt wurde, mussten wir uns – vom Sicherheitspersonal am Eingang angetrieben – mit einer hastigen Umarmung begnügen und Tafa, unseren unermüdlichen, zuverlässigen und immer humorvollen Freund, der uns die Senegal-Reise so angenehm und so effizient organisiert hatte, stehen lassen wie ein verlassenes Kind. Die zwei Stunden bis zum Start des Flugzeugs vergingen schnell mit den üblichen Prozeduren. Als hätten sich alle Grenzbeamten der Welt abgesprochen, gab es beim Sicherheitscheck wieder eine Spezialkontrolle für Herta: Wieder musste sie den Rucksack vollständig ausräumen, bis der Grenzer die verdächtige Substanz entdeckt hatte: die Sonnencreme. Wir waren allerdings schon zu müde und zu senegal-erfahren, um uns darüber noch aufzuregen. Pünktlich um 1h startete der A321 der TAP und wenig später verließen wir den Senegal mit dem sicheren Gefühl, dass wir trotz der amtlichen Stolpersteine den Senegal und vor allem die Casamance wiedersehen werden.

Dienstag, 29.04.

Nach dem Imbiss um 3h und dem Vorstellen der Uhr um 1 Stunde landeten wir um 6h in Lissabon. Während der zwei Stunden Aufenthalt bis zum Weiterflug beschäftigten wir uns mit Entwicklungshilfe: Herta kam mit einer Krankenschwester ins Gespräch, die gerade von einem sechsmonatigen Einsatz für die Entwicklungs-hilfe zurückkam, Walter hingegen erklärte unterdessen einem 21jährigen, blonden, langbeinigen Fotomodell in Hotpants die Projekte der KHS. Auch der dreistündige Weiterflug nach Frankfurt in einer A320 gestaltete sich kurzweilig, weil den Fensterplatz neben Walter eine muntere, sehr gesprächige Brasilianerin belegte, die Walter und Herta permanenten Portugiesischunterricht erteilte und sich im Gegenzug ein paar deutsche Wörter einzuprägen versuchte. Nach der Ankunft in Frankfurt wurde das brasilianische Sprachwunder von einer Gruppe Frauen empfangen, die lt. Visitenkarte der „Internacionalen Mission des Pfingst Ministeriums“ angehören. Am Frankfurter Flughafen trennten sich schließlich auch die Wege von Herta und Walter. Damit war die aufregende, ereignisreiche, denkwürdige und erfolgreiche Reise der KHS endgültig beendet.


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