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VonSarahLarksindbeiBasteiLübbeTaschenbücherlieferbar file1 »SiesindMrs.O’Keefe?« William...

Date post: 30-Mar-2019
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Von Sarah Lark sind bei Bastei Lübbe Taschenbücher lieferbar:

15 713 Im Land der weißen Wolke

Über die Autorin:

Sarah Lark, geboren 1958, arbeitete lange Jahre als Reiseleiterin.Ihre Liebe für Neuseeland entdeckte sie schon früh. Seine faszinie-renden Landschaften haben sie seit jeher magisch angezogen. Mitihrem farbenprächtigen und fesselnden Schmöker entführt sie dieLeser buchstäblich ans andere Ende der Welt.Sarah Lark arbeitet derzeit an einer Fortsetzung von Das Lied derMaori.

BASTEI LÜBBE TASCHENBUCHBand 15 867

1. Auflage: Juni 2008

Bastei Lübbe Taschenbücherin der Verlagsgruppe Lübbe

Originalausgabe� 2008 by Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG,

Bergisch GladbachDieses Werk wurde vermittelt durch

die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH,30827 Garbsen

Lektorat: Wolfgang NeuhausTitelillustration: Jochen Schlenker/Masterfile und

Oxford Scientific/Mauitius imagesUmschlaggestaltung: Bettina ReubeltSatz: Urban SatzKonzept, Düsseldorf

Druck und Verarbeitung: GGP Media, PößneckPrinted in Germany

ISBN 978-3-404-15867-6

Sie finden uns im Internet unterwww.luebbe.de

Bitte beachten Sie auch:www.lesejury.de

Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlichder gesetzlichen Mehrwertsteuer.

Das Lied der Maori

Greymouth �

Greymouth �

DIE ERBIN

Queenstown, Canterbury Plains1893

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»Sie sind Mrs. O’Keefe?«William Martyn schaute verdutzt auf das rothaarige, zier-

liche Mädchen, das ihn an der Rezeption des Gästehauses will-kommen hieß. Die Männer im Goldgräberlager hatten ihmHelen O’Keefe als ältere Dame geschildert, ja als eine Art weib-lichen Drachen von der Sorte, die mit zunehmendem AlterFeuer spie. In Miss Helens Hotel herrschten strenge Sitten, hießes. Das Rauchen sei verboten, ebenso Alkohol, erst recht dasMitbringen von Gästen anderen Geschlechts, sofern keine Hei-ratsurkunde vorlag. Die Erzählungen der Goldgräber hatteneher ein Gefängnis als ein Gasthaus erwarten lassen. Immerhingäbe es keine Flöhe und Wanzen in Miss Helens Etablissement,dafür aber ein Badehaus.

Letzteres hatte William endgültig davon überzeugt, alleWarnungen seiner Bekannten in den Wind zu schlagen. Nachdrei Tagen auf dem Gelände der alten Schaffarm, die sich dieGoldgräber als Unterschlupf gesichert hatten, war er zu allembereit gewesen, um dem Ungeziefer dort zu entrinnen. Sogarden »Drachen« Helen O’Keefe wollte er über sich ergehen las-sen.

Nun aber begrüßte ihn hier keineswegs ein Drache, sonderndieses ausnehmend hübsche, grünäugige Geschöpf, dessenGesicht von einer unbezähmbaren rotgoldenen Lockenprachteingerahmt war. Alles in allem der erfreulichste Anblick, seitWilliam in Dunedin, Neuseeland, das Schiff verlassen hatte.Seine Laune, seit Wochen auf dem Tiefpunkt, hob sich beträcht-lich.

Das Mädchen lachte.

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»Nein, ich bin Elaine O’Keefe. Helen ist meine Großmut-ter.«

William lächelte. Er wusste, dass er damit Eindruck machte.In Irland hatte sich stets ein aufmerksamer Ausdruck auf dieGesichter der Mädchen geschlichen, wenn sie den Schalk in sei-nen blauen Augen aufblitzen sahen.

»Das tut mir ja fast leid. Sonst hätte ich nämlich glatt eineGeschäftsidee gehabt: ›Wasser aus Queenstown – entdeckenSie den Jungbrunnen!‹«

Elaine kicherte. Sie hatte ein schmales Gesicht und eine klei-ne, vielleicht ein bisschen zu spitze Nase mit unzähligen Som-mersprossen.

»Sie sollten sich mit meinem Vater zusammentun. Der machtständigsolcheSprüche: ›Spatengut, allesgut.Goldgräber,kaufteure Ausrüstung im O’Kay Warehouse!‹«

»Ich werde es beherzigen«, versprach William und merktesich den Namen tatsächlich. »Wie ist es jetzt? Bekomme ichein Zimmer?«

Das Mädchen zögerte. »Sie sind Goldgräber? Dann . . . na ja,es gibt schon noch freie Zimmer, aber die sind ziemlich teuer.Die meisten Goldgräber können sich die Unterkunft hier nichtleisten . . .«

»Sehe ich so aus?«, fragte William mit gespielter Strenge. Da-bei runzelte er die Stirn unter seinem blonden, üppigen Haar-schopf.

Elaine musterte ihn jetzt ungeniert. Auf den ersten Blickunterschied er sich nicht allzu sehr von den anderen Goldgrä-bern, die sie in Queenstown täglich zu sehen bekam. Er wirkteein wenig schmutzig und abgerissen, trug einen Wachsman-tel, blaue Denimhosen und feste Stiefel. Auf den zweiten Blickjedoch erkannte Elaine – als Tochter eines Kaufmanns – dieQualität seiner Ausstattung: Unter dem offenen Mantel wareine teure Lederjacke zu sehen; an den Beinen trug er lederneChaps; die Stiefel waren aus hochwertigem Material, und das

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Hutband um seinen breitkrempigen Stetson war aus Pferde-haar geflochten. Das kostete ein kleines Vermögen. Auch seineSatteltaschen – er hatte sie zunächst lässig über seine rechteSchulter gehängt, jetzt aber zwischen seinen Beinen auf demBoden deponiert – schienen eine solide und teure Arbeit zusein.

Das alles war keineswegs typisch für die Glücksritter, dienach Queenstown kamen, um in den Flüssen und Bergen nachGold zu suchen, denn nur die wenigsten wurden reich. Diegroße Mehrheit verließ die Stadt früher oder später so arm undabgerissen, wie sie gekommen war. Das lag auch daran, dassdie Männer die Erträge ihrer Minen in der Regel nicht sparten,sondern gleich in Queenstown wieder verprassten. Wirklichzu Geld gekommen waren nur die Zuwanderer, die sich hierangesiedelt und ein Geschäft gegründet hatten. Zu ihnengehörten Elaines Eltern, Miss Helen mit ihrer Pension, StuartPeters’ Schmiede und Mietstall, Ethans Post- und Telegrafen-amt – und vor allem natürlich der verrufene, aber allgemeinbeliebte Pub in der Main Street und das darüberliegende Freu-denhaus namens Daphne’s Hotel.

William erwiderte Elaines abschätzenden Blick geduldigmit leicht spöttischem Lächeln. Elaine schaute in ein jungen-haftes Gesicht, in dessen Wangen Grübchen erschienen, wenner den Mund verzog. Und er war frisch rasiert! Auch das warungewöhnlich. Die meisten Goldgräber griffen höchstens amWochenende zum Rasiermesser, wenn bei Daphne Tanz war.

Elaine beschloss, den Neuankömmling ein bisschen zu ne-cken und damit vielleicht aus der Reserve zu locken. »Sie rie-chen zumindest nicht so streng wie die meisten.«

William lächelte. »Bislang bietet der See ja auch kostenloseBademöglichkeit. Aber nicht mehr lange, hat man mir gesagt,und es wird kalt. Außerdem scheint das Gold Körpergeruchzu mögen. Wer am seltensten badet, holt die meisten Nuggetsaus dem Fluss.«

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Elaine musste lachen. »Daran sollten Sie sich aber kein Bei-spiel nehmen, sonst gibt’s Ärger mit Grandma. Hier, wennSie das ausfüllen würden . . .« Sie schob ihm ein Anmeldefor-mular zu und versuchte, nicht allzu neugierig über den Tre-sen zu linsen. Möglichst unauffällig las sie mit, während Wil-liam schwungvoll seine Eintragungen machte. Auch das warungewöhnlich; die wenigsten Goldgräber schrieben so flüs-sig.

William Martyn . . . Elaines Herz schlug höher, als sie seinenNamen las. Ein schöner Name.

»Was soll ich denn hier eintragen?«, fragte William undwies auf das Feld, das nach seiner Heimatadresse fragte. »Ichbin gerade erst angekommen. Das ist meine erste Adresse inNeuseeland.«

Elaine konnte ihr Interesse jetzt nicht mehr verbergen.»Wirklich? Wo kommen Sie denn her? Nein, lassen Sie michraten. Das tut meine Mutter bei neuen Kunden auch immer.Man hört es am Akzent, woher jemand kommt . . .«

Bei den meisten Einwanderern war es einfach. Natürlichirrte man sich hin und wieder. Für Elaine beispielsweise klan-gen Schweden, Niederländer und Deutsche fast gleich. AberIren und Schotten konnte sie meist ohne Schwierigkeiten aus-einanderhalten, und Leute aus London waren besonders leichtzu erkennen. Experten konnten sogar den Stadtteil benennen,aus dem jemand kam. William allerdings war schwer einzu-schätzen. Er klang wie ein Engländer, doch irgendwie sprach erweicher, dehnte die Vokale ein bisschen mehr.

»Sie sind aus Wales«, riet Elaine auf gut Glück. Ihre Groß-mutter mütterlicherseits, Gwyneira McKenzie-Warden, warWaliserin, und Williams Aussprache erinnerte ein bisschen ansie. Allerdings sprach Gwyneira keinen ausgeprägten Dialekt.Sie war die Tochter eines Landadeligen, und ihre Erzieherin-nen hatten stets Wert auf akzentfreies Englisch gelegt.

William schüttelte den Kopf, doch ohne dabei zu lächeln,

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wie Elaine gehofft hatte. »Wie kommen Sie denn darauf?«,meinte er. »Ich bin Ire aus dem County Connemara.«

Elaine wurde rot. Darauf wäre sie nie gekommen, obwohl esviele Iren auf den Goldfeldern gab. Die aber sprachen meisteinen ziemlich plumpen Dialekt, während William sich ehergewählt ausdrückte.

Wie um seine Herkunft zu unterstreichen, setzte er jetztseine letzte Adresse mit großen Buchstaben in das Kästchen:Martyn’s Manor, Connemara.

Das klang nicht nach dem Hof eines Kleinbauern, das klangnach einem Landgut . . .

»Dann zeige ich Ihnen jetzt Ihr Zimmer«, sagte Elaine.Eigentlich sollte sie die Gäste nicht selbst hinaufbegleiten, erstrecht keine männlichen. Grandma Helen hatte ihr eingeschärft,für diese Aufgabe stets den Hausdiener oder eins der Mädchenzu rufen. Aber bei diesem Mann machte Elaine gern eine Aus-nahme. Sie kam hinter der Rezeption hervor und hielt sichdabei so gerade, wie ihre Großmutter es ihr als »damenhaft«,beigebracht hatte: den Kopf mit natürlicher Anmut erhoben,die Schultern zurück. Und bloß nicht in den aufreizenden, wie-genden Gang verfallen, den Daphnes Mädchen so gern zurSchau trugen!

Elaine hoffte, dass ihr gerade erst halbwegs zur Reife gelang-ter Busen und ihre seit neuestem geschnürte, sehr schmaleTaille zur Geltung kamen. Eigentlich hasste sie es, sich zu schnü-ren. Aber wenn dieser Mann dadurch auf sie aufmerksamwurde . . .

William folgte ihr und war froh, dass sie ihn dabei nicht imBlick hatte. Konnte er sich doch kaum bezähmen, ihre zier-liche, an den richtigen Stellen aber schon sanft gerundeteFigur lüstern anzustarren. Die Zeit im Gefängnis, dann achtWochen Überfahrt und jetzt der Ritt von Dunedin zu denGoldfeldern bei Queenstown . . . insgesamt war er seit fast vierMonaten keiner Frau mehr auch nur nahegekommen.

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Eigentlich undenkbar lange. Es wurde Zeit, hier Abhilfe zuschaffen! Die Jungs im Goldgräberlager hatten natürlich vonden Mädchen bei Daphne geschwärmt; angeblich waren sieziemlich hübsch und die Zimmer sauber. Doch die Vorstellung,dieser süßen kleinen Rothaarigen den Hof zu machen, gefielWilliam erheblich besser als der Gedanke an eine schnelle Be-friedigung in den Armen einer Prostituierten.

Auch das Zimmer gefiel ihm, das Elaine jetzt für ihn auf-schloss. Es war ordentlich und mit Möbeln aus hellem Holzschlicht, aber liebevoll möbliert. Es gab Bilder an den Wän-den, ein Krug mit Wasser zum Waschen stand bereit.

»Sie können auch das Badehaus benutzen«, erklärte Elaineund wurde dabei ein bisschen rot. »Aber da müssen Sie sichvorher anmelden. Fragen Sie Grandma, Mary oder Laurie.«

Mit diesen Worten wollte sie sich abwenden, doch Williamhielt sie sanft zurück.

»Und Sie? Sie kann ich nicht fragen?«, erkundigte er sichmit weicher Stimme und blickte sie aufmerksam an.

Elaine lächelte geschmeichelt. »Nein, ich bin meist nichthier. Nur heute vertrete ich Grandma. Aber ich . . . also, nor-malerweise helfe ich im O’Kay Warehouse. Das Geschäft ge-hört meinem Vater.«

William nickte. Also war sie nicht nur hübsch, sondernauch aus gutem Hause. Das Mädchen gefiel ihm immer bes-ser. Und diverse Utensilien zum Goldgraben brauchte er so-wieso.

»Ich schau bald mal vorbei«, sagte William.

Elaine schwebte förmlich die Treppe hinunter. Es war einGefühl, als hätte ihr Herz sich in einen Heißluftballon ver-wandelt, der sie nun in lebhaftem Aufwind über alle Erden-schwere hinweghob. Ihre Füße berührten kaum den Boden,und ihr Haar schien im Wind zu wehen, obwohl sich im Haus

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natürlich kein Lüftchen regte. Elaine strahlte; sie hatte dasGefühl, am Beginn eines Abenteuers zu stehen und dabei soschön und unbesiegbar zu sein wie die Heldinnen in denRomanheften, die sie heimlich in Ethans Kramladen las.

Mit diesem Ausdruck im Gesicht tanzte sie in den Gartendes großen Stadthauses, das Helen O’Keefes Pension beher-bergte. Elaine kannte es gut; sie war in diesem Haus geboren.Ihre Eltern hatten es für ihre wachsende Familie errichten las-sen, als das Geschäft erste Gewinne machte. Dann aber wares ihnen mitten in Queenstown zu laut und zu städtisch ge-worden. Vor allem Elaines Mutter, Fleurette, die von einer dergroßen Schaffarmen in den Canterbury Plains stammte, ver-misste das freie Land. Deshalb hatten Elaines Eltern auf einemtraumhaften Grundstück am Fluss neu gebaut, dem eigent-lich nur eines fehlte: Goldvorkommen. Elaines Vater hatte esursprünglich als Claim abgesteckt, doch gleich wie viele Ta-lente Ruben O’Keefe auch besaß – als Goldsucher war er einhoffnungsloser Fall. Zum Glück hatte Fleurette das schnell er-kannt und ihre Mitgift deshalb nicht in das aussichtsloseUnternehmen »Goldmine« investiert, sondern in Warenliefe-rungen. Hauptsächlich Spaten und Goldpfannen, die sich dieGoldgräber aus den Händen rissen. Später war daraus dasO’Kay Warehouse entstanden.

Das neue Haus am Fluss nannte Fleurette scherzhaft »Gold-nugget Manor«, doch irgendwann hatte der Name sich ein-gebürgert. Elaine und ihre Brüder waren dort glücklich auf-gewachsen. Es gab Pferde und Hunde, sogar ein paar Schafe,ganz wie in Fleurettes Heimat. Ruben fluchte, wenn er dieTiere alljährlich scheren musste, und auch seine Söhne Ste-phen und George fanden wenig Gefallen an der Farmarbeit.Ganz im Gegensatz zu Elaine. Für sie kam das kleine Land-haus nie an Kiward Station heran, die große Schaffarm, dieihre Großmutter Gwyneira in den Canterbury Plains leitete.Zu gern hätte sie auch auf so einer Farm gelebt und gearbeitet,

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und so war sie ein bisschen neidisch auf ihre Cousine, die denHof später erben sollte.

Elaine war allerdings kein Mädchen, das lange grübelte.Sie fand es fast genauso interessant, im Laden zu helfen oderihre Großmutter in der Pension zu vertreten. Dagegen hattesie wenig Lust, aufs College zu gehen wie ihr älterer BruderStephen, der nun in Dunedin Jura studierte und damit denTraum seines Vaters erfüllte, der sich als junger Mann selbstgewünscht hatte, Anwalt zu werden. Ruben O’Keefe war seitfast zwanzig Jahren Friedensrichter in Queenstown, und fürihn gab es nichts Schöneres, als mit Stephen über juristischeThemen zu fachsimpeln. Elaines jüngerer Bruder, George,ging noch zur Schule, schien aber der Kaufmann in der Fami-lie zu sein. Schon jetzt half er mit Feuereifer im Laden undhatte tausend Verbesserungsideen.

Helen O’Keefe, die von der Hochstimmung ihrer Enkelin undderen Ursprung, dem Neuankömmling William Martyn, vor-erst nichts ahnte, füllte mit eleganten Bewegungen Tee in dieTasse ihrer Besucherin Daphne O’Rourke.

Diese Teeparty in aller Öffentlichkeit bereitete beiden Damenein diebisches Vergnügen. Sie wussten, dass halb Queenstownüber die seltsame Beziehung zwischen den beiden »Hotel«-Besitzerinnen tuschelte. Helen hatte jedoch keine Berührungs-ängste. Ungefähr vierzig Jahre zuvor war die damals erst drei-zehnjährige Daphne unter ihrer Aufsicht nach Neuseelandgeschickt worden. Ein Londoner Waisenhaus wollte sich einigerZöglinge entledigen, und in Neuseeland wurden Hausmäd-chen gesucht. Auch Helen reiste damals in eine ungewisseZukunft mit einem ihr noch unbekannten Mann. Die Churchof England bezahlte ihr die Überfahrt als Aufsichtsperson derMädchen.

Helen, bislang Gouvernante in London, nutzte die dreimo-

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natige Reise, um den Kindern ein wenig gesellschaftlichenSchliff beizubringen, wovon Daphne heute noch zehrte. IhreAnstellung als Dienstmädchen war dann allerdings zu einemFiasko geworden – genau wie langfristig Helens Ehe. BeideFrauen fanden sich in unerträglichen Verhältnissen wieder,aber beide hatten das Beste daraus gemacht.

Nun sahen sie auf, als sie Elaines Schritte auf der hinteren Ter-rasse hörten. Helen hob ihr schmales, von tiefen Falten durch-zogenes Gesicht, dessen spitze Nase die Verwandtschaft mitElaine verriet. Ihr Haar, ursprünglich dunkelbraun mit kasta-nienfarbenem Schimmer, war inzwischen von grauen Strähnendurchzogen, aber immer noch lang und kräftig. Helen steckte esmeist zu einem großen Knoten im Nacken auf. Ihre grauenAugen leuchteten lebensklug und immer noch neugierig – vorallem jetzt, da sie den strahlenden Ausdruck auf Elaines Gesichtbemerkte.

»Nanu, Kind! Du sieht aus, als hättest du eben ein Weih-nachtsgeschenk bekommen. Gibt’s was Neues?«

Daphne, deren katzenartige Züge selbst dann ein wenig hartwirkten, wenn sie lächelte, schätzte Elaines Ausdruck wenigerunschuldig ein. Sie hatte ihn auf den Gesichtern Dutzenderleichter Mädchen gesehen, die meinten, unter ihren Freiernden Märchenprinzen gefunden zu haben. Und dann hatteDaphne jedes Mal lange Stunden damit verbracht, die Mäd-chen zu trösten, wenn der Traumprinz sich schließlich doch alsFrosch oder gar als widerwärtige Kröte erwies. In DaphnesGesicht spiegelte sich deshalb Wachsamkeit, als Elaine jetzt sovergnügt auf sie zukam.

»Wir haben einen neuen Gast!«, erklärte sie eifrig. »EinenGoldsucher aus Irland.«

Helen runzelte die Stirn. Daphne lachte, und ihre leuchtendgrünen Augen blitzten spöttisch.

»Hat der sich nicht verlaufen, Lainie? Irische Goldsucherlanden sonst eher bei meinen Mädchen.«

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Elaine schüttelte heftig den Kopf. »Es ist nicht so einer . . .Verzeihung, Miss Daphne, ich meine . . .« Sie verhaspelte sich.»Er ist ein Gentleman . . . glaube ich.«

Die Falten auf Helens Stirn wurde noch tiefer. Mit Gentle-men hatte sie so ihre Erfahrungen.

»Schätzchen«, sagte Daphne lachend, »irische Gentlemengibt es nicht. Alles, was da von Adel ist, kommt ursprünglichaus England, denn die Insel ist seit Urzeiten in englischemBesitz – ein Umstand, über den die Iren immer noch heulenwie Wölfe, wenn sie ein paar Gläser getrunken haben. Diemeisten irischen Clanvorsteher wurden abgesetzt und vonenglischen Adligen verdrängt. Und die tun seitdem nichts an-deres, als sich an den Iren zu bereichern. Zuletzt ließen sie ihrePächter zu Tausenden verhungern. Echte Gentlemen! Aberdazu dürfte dein Goldsucher kaum gehören. Die hängen anihrer Scholle.«

»Woher wissen Sie denn so viel über Irland?«, erkundigteElaine sich neugierig. Die Besitzerin des Freudenhauses faszi-nierte sie, aber leider hatte sie nur selten Gelegenheit, ausführ-lich mit ihr zu sprechen.

Daphne lächelte. »Süße, ich bin Irin. Zumindest auf demPapier. Und wenn die Einwanderer bei mir ihren Moralischenkriegen, tröstet sie das ungemein. Ich hab sogar den Akzentgeübt . . .« Daphne verfiel in breites Irisch, und jetzt lachteauch Helen. Tatsächlich war Daphne irgendwo im LondonerHafenviertel geboren. Sie lebte allerdings unter dem Nameneiner irischen Einwanderin. Bridie O’Rourke hatte die Über-fahrt nicht überlebt, ihr Pass jedoch war über einen englischenMatrosen in die Hände der jungen Daphne geraten.

»Komm, Paddy, darfst mich Bridie nennen.«Elaine kicherte.»So redet er aber nicht . . . William, der neue Gast.«»William?«, fragte Helen indigniert. »Der junge Mann hat

sich mit dem Vornamen vorgestellt?«

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Elaine schüttelte rasch den Kopf, um ja keine Ressenti-ments gegen den neuen Mieter aufkommen zu lassen.

»Natürlich nicht. Ich hab’s auf dem Meldezettel gesehen. Erheißt Martyn. William Martyn.«

»Nicht gerade ein irischer Name«, bemerkte Daphne. »Keinirischer Name, kein Akzent . . . Wenn das mal alles mit rechtenDingen zugeht. Wenn ich Sie wäre, würde ich dem Knabenerst mal gründlich auf den Zahn fühlen, Miss Helen!«

Elaine warf ihr einen feindseligen Blick zu. »Er ist ein feinerMann, das weiß ich! Er wird sogar sein Goldgräberwerkzeugbei uns im Laden kaufen . . .«

Der Gedanke tröstete sie. Wenn William in den Laden kam,würde sie ihn wiedersehen, egal, wie Grandma über ihndachte.

»Das macht ihn natürlich zu einem Ehrenmann!«, spotteteDaphne. »Aber kommen Sie, Miss Helen, lassen Sie uns überetwas anderes sprechen. Ich habe gehört, Sie bekommenBesuch aus Kiward Station. Ist es Miss Gwyn?«

Elaine hörte dem Gespräch noch ein Weilchen zu, zog sichdann aber zurück. Über den Besuch ihrer anderen Großmut-ter und ihrer Cousine war in den letzten Tagen schließlichschon ausgiebig geredet worden. Wobei Gwyneiras Stipp-visite keine Sensation war. Sie besuchte ihre Kinder und Enkelöfter und war vor allem mit Helen O’Keefe eng befreundet.Wenn sie in ihrer Pension logierte, plauderten die Frauen oftnächtelang. Außergewöhnlich war eher, dass Gwyn diesmalvon Elaines Cousine Kura begleitet werden sollte. Das warbisher noch nie vorgekommen, und es schien ein bisschen . . .ja, skandalumwittert! Elaines Mutter und Großmutter senk-ten meist die Stimmen, wenn es um dieses Thema ging, undsie hatten die Kinder auch Gwyneiras Brief nicht lesen lassen.Kura schien sich sonst nämlich nicht viel aus Reisen zu ma-chen, zumindest nicht zu ihrer Verwandtschaft nach Queens-town.

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Elaine kannte Kura kaum, obwohl die beiden im gleichenAlter waren. Kura war gerade ein gutes Jahr jünger als Elaine.Trotzdem hatten die Mädchen sich bei Elaines seltenen Be-suchen auf Kiward Station nie viel zu sagen gehabt. Die Un-terschiede im Wesen der beiden waren einfach zu groß. Sohatte Elaine nichts anderes im Kopf als Reiten und Schafe zutreiben, sobald sie Kiward Station erreichte. Die Weite desendlosen Graslandes und die Aberhunderte von Wolllieferan-ten, die darauf grasten, faszinierten sie. Hinzu kam, dass ihreMutter Fleurette auf der Farm richtiggehend aufblühte. Eswar aufregend für sie, mit Elaine um die Wette zu reiten, inRichtung der schneebedeckten Gipfel der Alpen, die trotz desverwegenen Galopps keinen Zoll näher zu rücken schienen.

Kura dagegen saß am liebsten im Haus oder im Garten undhatte nur Augen für das neue Klavier, das mit einem Waren-transport für die O’Keefes von England nach Christchurch ge-kommen war. Elaine hatte sie deshalb für ein reichlich dum-mes Ding gehalten; aber natürlich war sie damals erst zwölfJahre alt gewesen. Und sicher spielte auch der Neid eine Rolle.Kura war die Erbin von Kiward Station. Ihr würden einmal alldie Pferde, Schafe und Hunde gehören – und sie wusste eskein bisschen zu schätzen!

Nun, inzwischen war Elaine sechzehn und Kura fünfzehn.Bestimmt gab es mittlerweile mehr Gemeinsamkeiten zwischenden Mädchen, und diesmal würde Elaine der Cousine ihre Weltzeigenkönnen!Sichergefiel ihrdiequirligekleineStadtQueens-townamLakeWakatipu,diedenBergensovielnäherwaralsdieCanterbury Plains und die sehr viel aufregender war, mit denvielen Goldsuchern aus aller Herren Länder und einemPioniergeist, der sich nicht auf pures Überleben beschränkte.Queenstown hatte eine florierende Laientheatergruppe unterLeitung des Pfarrers, es gab Squaredance-Gruppen, und einpaar Iren hatten sich zu einer Band zusammengeschlossen undspielten im Pub oder im Gemeindezentrum Irish Folk.

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Elaine überlegte, dass sie das auch William unbedingt ein-mal erzählen musste – vielleicht hatte er ja Lust, mit ihr zumTanz zu gehen! Jetzt, da sie die skeptischen Damen im Gartenverlassen hatte, kehrte das verklärte Leuchten in ElainesGesicht zurück. Hoffnungsvoll begab sie sich erneut an dieRezeption. Vielleicht kam William ja noch einmal vorbei . . .

Zunächst allerdings erschien Grandma Helen. Sie dankteElaine freundlich für die Vertretung und gab ihr damit zu ver-stehen, dass ihre Anwesenheit nicht länger vonnöten war.Inzwischen wurde es fast schon dunkel – sicher ein Grund,weshalb Helen und Daphne ihr Treffen nicht weiter ausdehn-ten. Gegen Abend öffnete der Pub, und Daphne musste dortnach dem Rechten sehen. Helen drängte es, einen Blick auf dieAnmeldung des neuen Gastes zu werfen, der einen so nach-haltigen Eindruck auf ihre Enkelin gemacht hatte.

Daphne, bereits im Aufbruch, schaute ihr dabei über dieSchulter.

»Er kommt von Martyn’s Manor . . . hört sich nobel an«,meinte sie. »Also doch ein Gentleman?«,

»Das werde ich sehr schnell herausfinden«, erklärte Helenresolut.

Daphne nickte und lächelte in sich hinein. Dem jungenMann standen inquisitorische Befragungen bevor. Für emo-tionale Beziehungen hatte Helen wenig Gespür.

»Und passen Sie auf die Kleine auf!«, bemerkte Daphnedeshalb noch im Hinausgehen. »Die ist diesem irischen Wun-derknaben nämlich schon verfallen, und das kann Folgen ha-ben. Gerade bei Gentlemen.«

Zu Helens Verwunderung fiel die Begutachtung ihres neuenGastes aber gar nicht so negativ aus. Im Gegenteil – als der

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junge Mann sich ihr erstmals zeigte, war er sauber gewaschen,rasiert und ordentlich gekleidet – auch Helen erkannte, dasssein Anzug aus bestem Tuch gefertigt war. Höflich erkundigteer sich, wo man hier zu Abend essen könne, und Helen bot ihmden Beköstigungsservice an, den sie für ihre Pensionsgästebereithielt. Eigentlich musste man sich dazu anmelden, dochihre eifrigen Köchinnen, Mary und Laurie, würden schon einzusätzliches Essen zaubern. William fand sich also in einemgeschmackvoll gestalteten Esszimmer an einem fein gedeck-ten Tisch wieder, gemeinsam mit einer etwas steifen jungenDame, die als Lehrerin an der neu eröffneten Schule tätig war,sowie zwei Bankangestellten. Die Bedienungen irritierten ihnzunächst: Mary und Laurie, zwei fröhliche dralle Blondinen,entpuppten sich als Zwillinge, die William auch bei genaues-tem Hinsehen nicht auseinanderhalten konnte. Die anderenGäste versicherten ihm jedoch lachend, das sei ganz normal.Lediglich Helen O’Keefe könnte Mary und Laurie auf einenBlick unterscheiden. Helen lächelte dabei. Sie wusste, dassDaphne es ebenfalls konnte.

Das gemeinsame Essen bot natürlich den idealen Rahmen,William Martyn auszuhorchen. Helen brauchte ihn nicht ein-mal selbst zu befragen, das besorgten schon die neugierigenanderen Gäste.

Ja, doch, er sei wirklich Ire, bestätigte William mehrmalsund ein bisschen unwirsch, nachdem ihn auch die beidenBanker auf seinen fehlenden Akzent angesprochen hatten.Sein Vater habe eine Schafzucht in der Grafschaft Connemara.Diese Auskunft bestätigte die Annahme, die Helen gleichhegte, seit sie William das erste Mal hatte sprechen hören: Erwar ein bestens erzogener junger Mann, dem man breitesIrisch niemals hätte durchgehen lassen.

»Aber Sie sind englischstämmig, nicht wahr?«, erkundigtesich einer der Banker. Er stammte aus London und schien sichmit der irischen Frage ein wenig auszukennen.

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»Die Familie meines Vaters kam vor zweihundert Jahrenaus England!«, erklärte William gereizt. »Wenn Sie da nochvon Einwanderern reden wollen . . .«

Der Banker hob beschwichtigend die Hände. »Schon gut,mein Freund! Wie ich sehe, sind Sie Patriot. Was hat Sie dennvon der grünen Insel fortgetrieben? Ärger über die Sache mitder Home Rule Bill? Es war zu erwarten, dass die Lords dasabschmettern. Aber wenn Sie doch selbst . . .«

»Ich bin kein Großgrundbesitzer«, bemerkte William eisig.»Geschweige denn ein Earl. Es mag sein, dass mein Vater ingewisser Hinsicht mit dem House of Lords sympathisiert,aber . . .« Er biss sich auf die Lippen. »Verzeihen Sie, das ge-hört nicht hierher.«

Helen beschloss, das Thema zu wechseln, bevor dieserHeißsporn noch heftiger reagierte. Was sein Temperamentanging, war er zweifellos Ire. Obendrein hatte er sich mit sei-nem Vater überworfen. Gut möglich, dass dies ein Grund fürdas Auswandern war.

»Und nun wollen Sie Gold suchen, Mr. Martyn?«, erkun-digte sie sich beiläufig. »Haben Sie schon einen Claim abge-steckt?«

William zuckte die Schultern. Er wirkte mit einem Mal sehrunsicher.

»Nicht direkt«, erwiderte er verhalten. »Mir wurden einpaar Stellen avisiert, die vielversprechend sind, aber ich kannmich nicht entscheiden . . .«

»Sie sollten sich einen Partner suchen«, riet der ältere derbeiden Banker. »Am besten einen erfahrenen Mann. Es sinddoch genug Veteranen auf den Goldfeldern, die schon beimGoldrausch in Australien dabei gewesen sind.«

William schürzte die Lippen. »Was soll ich mit einem Part-ner, der seit zehn Jahre schürft und immer noch nichts gefun-den hat? Diese Erfahrung kann ich mir sparen.« Seine hell-blauen Augen blitzten verächtlich.

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Die Banker lachten. Helen dagegen fand Williams herrischeAttitüde eher unpassend.

»Ganz Unrecht haben Sie nicht«, meinte der ältere Bankerschließlich. »Aber hier macht kaum einer ein Vermögen. WennSie einen ernsthaften Rat wollen, junger Mann: Vergessen Siedie Goldsucherei. Unternehmen Sie lieber etwas, von dem Siewas verstehen. Neuseeland ist ein Paradies für Gründer. Prak-tisch jeder normale Beruf verspricht mehr Einkommen als dieGoldgräberei.«

Fragt sich nur, ob dieser Jüngling einen vernünftigen Beruferlernt hat, dachte Helen. Ihr erschien er bisher als zwarordentlich erzogener, aber ziemlich verwöhnter Spross ausreichem Hause. Man würde ja sehen, wie er reagierte, wenn ersich bei der Goldsuche die ersten Blasen an den Fingernholte.

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