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Von der Uni ins wahre Leben (Zum Karrierestart für Naturwissenschaftler und Ingenieure) || Und wenn...

Date post: 27-Jan-2017
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9 Und wenn es ganz anders kommt? Wir Menschen gehen planerisch an uns und unser Leben heran. Das trifft umso mehr zu, je mehr Ressourcen wir haben. Interessanterweise gehen wir aber nicht nur planerisch an unseren nächsten Hausbau oder den kommenden Urlaub heran, sondern auch ganz oft an unser ganzes Leben. Das machen wir nicht etwa deshalb, weil es Teil der menschlichen Natur ist das scheint es eher nicht zu sein sondern weil es Teil der Erziehung ist, die wir genossen haben: Wenn der Großvater einen Handwerkerbetrieb hatte, dann stand vielleicht schon fest, dass der Vater den eines Tages übernehmen würde und so wiederum für dessen Sohn, dass er ebenfalls einmal dem Vater folgen würde. Gleiches gilt bei Königs, wenn die Erbfolge geregelt ist und der Kronprinz ab Geburt weiß, dass er eines Tages die Geschicke des Landes lenken wird, oder aber, in einer repräsentativen Monarchie, dort seine Bestimmung zu finden hat. Ob er will oder nicht, es muss so sein, denn nur so ist sichergestellt, dass und wie es weitergeht. Das gilt auch für uns und unser Leben. Zuerst wurden wir geplant, egal, ob wir ein Wunschkind waren und somit geplant, oder ob wir ungeplant gezeugt, aber nicht abgetrieben wurden: Unsere Eltern haben uns das Leben geschenkt und dann für uns geplant und unser Leben organisiert. Wir wurden im Kindergarten angemeldet, dann in der Grundschule. Vielleicht haben wir ein Instrument gelernt, es vielleicht sogar gerne gespielt. Wir haben pädagogisch mehr oder weniger wertvolles Spielzeug bekommen und unsere Fähigkeiten mit anderen Kindern im Sandkasten oder auf der Straße erweitert. Wir sind auf eine weiterführende Schule gegangen, wir haben in der Pubertät unsere Hormonstaus gehabt, vielleicht mehr oder weniger geplant sogar die Chance gehabt, das eine oder andere Schuljahr zu wiederholen. Dann haben wir langsam, aber sicher die Planung des eigenen Lebens unseren Eltern aus der Hand genommen und sind selber aktiv geworden. Wir haben unsere Hochschulreife geplant und uns spätestens dann erstmals mit der Frage auseinandergesetzt, welchen Beruf wir einmal erlernen möchten, viel- leicht noch voller Träume, dass einst das Nobelkomitee auf uns zeigen möge. In unserem Studium haben wir permanent unsere eigene Ressource Arbeitskraft geplant, und wenn es nur um die Frage ging, ob wir uns im Kreis der Freunde einen netten Abend mit anschließendem Kater gönnen oder ob wir lieber lernen oder ins Kino gehen. Wir haben uns auf Klausuren vorbereitet, unsere Prüfungen bestanden, vielleicht nicht alle beim ersten Mal, aber letztlich doch erfolgreich: 223 Von der Uni ins wahre Leben: zum Karrierestart für Naturwissenschaftler und Ingenieure. 1. Auflage. Lukas von Hippel und Thorsten Daubenfeld © 2011 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA. Published 2011 by WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA.
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9Und wenn es ganz anders kommt?

Wir Menschen gehen planerisch an uns und unser Leben heran. Das trifft umsomehr zu, je mehr Ressourcen wir haben. Interessanterweise gehen wir aber nichtnur planerisch an unseren nächsten Hausbau oder den kommenden Urlaubheran, sondern auch ganz oft an unser ganzes Leben. Das machen wir nicht etwadeshalb, weil es Teil der menschlichen Natur ist – das scheint es eher nicht zu sein– sondern weil es Teil der Erziehung ist, die wir genossen haben: Wenn derGroßvater einen Handwerkerbetrieb hatte, dann stand vielleicht schon fest, dassder Vater den eines Tages übernehmen würde und so wiederum für dessen Sohn,dass er ebenfalls einmal dem Vater folgen würde. Gleiches gilt bei Königs, wenndie Erbfolge geregelt ist und der Kronprinz ab Geburt weiß, dass er eines Tages dieGeschicke des Landes lenken wird, oder aber, in einer repräsentativen Monarchie,dort seine Bestimmung zu finden hat. Ob er will oder nicht, es muss so sein, dennnur so ist sichergestellt, dass und wie es weitergeht.Das gilt auch für uns und unser Leben. Zuerst wurden wir geplant, egal, ob wir

ein Wunschkind waren und somit geplant, oder ob wir ungeplant gezeugt, abernicht abgetrieben wurden: Unsere Eltern haben uns das Leben geschenkt unddann für uns geplant und unser Leben organisiert. Wir wurden im Kindergartenangemeldet, dann in der Grundschule. Vielleicht haben wir ein Instrument gelernt,es vielleicht sogar gerne gespielt. Wir haben pädagogisch mehr oder wenigerwertvolles Spielzeug bekommen und unsere Fähigkeiten mit anderen Kindern imSandkasten oder auf der Straße erweitert. Wir sind auf eine weiterführende Schulegegangen, wir haben in der Pubertät unsere Hormonstaus gehabt, vielleicht mehroder weniger geplant sogar die Chance gehabt, das eine oder andere Schuljahr zuwiederholen. Dann haben wir langsam, aber sicher die Planung des eigenenLebens unseren Eltern aus der Hand genommen und sind selber aktiv geworden.Wir haben unsere Hochschulreife geplant und uns spätestens dann erstmals mit

der Frage auseinandergesetzt, welchen Beruf wir einmal erlernen möchten, viel-leicht noch voller Träume, dass einst das Nobelkomitee auf uns zeigen möge. Inunserem Studium haben wir permanent unsere eigene Ressource Arbeitskraftgeplant, und wenn es nur um die Frage ging, ob wir uns im Kreis der Freundeeinen netten Abend mit anschließendem Kater gönnen oder ob wir lieber lernenoder ins Kino gehen. Wir haben uns auf Klausuren vorbereitet, unsere Prüfungenbestanden, vielleicht nicht alle beim ersten Mal, aber letztlich doch erfolgreich:

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Von der Uni ins wahre Leben: zum Karrierestart für Naturwissenschaftler und Ingenieure.1. Auflage. Lukas von Hippel und Thorsten Daubenfeld© 2011 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA. Published 2011 by WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA.

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auch ein Ausdruck unserer Fähigkeit, nachhaltig und erfolgreich zu planen undunsere Ressourcen aufzuteilen. In der Abschlussarbeit haben wir vielleicht für unserkennen müssen, dass wir doch nicht so begabt sind und die Nobelpreise dochnachvollziehbar nicht an uns gehen werden. Wir haben einen Wechsel desStudienortes ebenso geplant wie unsere erste große eigenständige Arbeit, wirhaben Nebenjobs geplant, aber auch erfahren, dass wir die besten Nachhilfelehrersein können, die es gibt – wenn gerade keiner Nachhilfe braucht, dann gibt es fürunsere Dienstleistung ebenso keinen Markt, wie wir vielleicht zum Nachtportiernicht wirklich taugen. Dann haben wir eben fleißig umgeplant und unsere Energieauf andere Themen gesetzt. Wir planen alles und jedes, wesentliche Teile diesesBuches haben sich damit beschäftigt, wie wir rechnen, wie wir ein Unternehmenbetrachten und welche Grundlogiken wir dabei zu berücksichtigen haben, alsoletztlich mit den Methoden, die uns zur Verfügung stehen.Wir planen unser ganzes Leben, mehr oder weniger intensiv: Welchen Beruf wir

haben möchten, wo und wie wir leben, mit welchen Menschen wir uns umgeben,welche Bücher wir lesen, welche Musik wir hören, in welche Konzerte wir gehen,welche Möbel wir haben, ob und wo wir unseren Urlaub verbringen, welches Autowir haben, ob wir einmal ein Haus haben wollen, eine Familie, Kinder, Auslands-aufenthalte, unseren Arbeitgeber. Das alles machen wir, weil wir so unglaublichlogisch sind und so gut planen können. Und dann kam der Moment, als wirunsere erste Partnerschaft eingegangen sind. Das kann alles ganz anders gegangensein. Ein Blick und schon verliebt. Den Klang der Stimme gehört und Hormonstaubekommen. Ernüchternd, wenn wir nun feststellen, dass wir mehr Zeit für denKauf eines Autos verwenden, das uns die kommenden maximal zehn Jahrebegleiten soll, als wir benötigen, um zu entscheiden, wer uns den Rest unseresLebens begleiten möge. Beides sind natürlich weitreichende Entscheidungen, aberdoch von deutlich unterschiedlicher Qualität. Nun könnte es natürlich auch sein,dass unser zukünftiges Partnermodell sich nachhaltig dagegen wehrt, wenn wir esden gleichen Auswahlkriterien unterwerfen, wie unser neues Auto oder wenn wirmit einer Checkliste auf Partnersuche gehen. Moderne Singlebörsen machen abergenau das.Die Grundlage der Planung ist dabei unsere Logik, aber auch unser Wunsch-

denken. Die Logik, die wir erlernt haben, ist nicht zwingend eindeutig, wie wir indiesem Buch schon gesehen haben: Wenn schon die Rechensysteme der Mathe-matik unterschiedlich sein können, ist logisch, dass es unterschiedliche Logikengeben kann. Dabei ist nicht eine Logik per se besser als die andere, es haben sichaber verschiedene Logiken als für bestimmte Fächer besonders geeignet erwiesen.Eines haben aber alle Logiken gemeinsam: Man sollte sie komplett durchdenkenund nicht auf halber Strecke aufhören, nur, weil es zu unbequem wird. Unerle-digte Hausaufgaben holen einen im Leben immer gnadenlos ein – sei es in derdann erfolgenden Abfrage durch den Lehrer oder dadurch, dass eine nicht gutdurchdachte Situation eine Wendung in eine Richtung nimmt, die man nichthaben wollte und sich auch konsequent geweigert hat zu denken.

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Grenzen der Planbarkeit

Wir haben auch erkannt, dass wir nicht alles durch die Logik und die Sichtweiseunseres Studiums erkennen und beschreiben können. Dazu gehören unter ande-rem die Themen, die dieses Buch versucht zu besetzen. Alleine die Erkenntnis,dass es neben dem, was uns so liegt und was wir für uns als wesentliche Treiberund Denkmodelle in unserer Ausbildung kennen gelernt haben, auch nochweitere Sichtweisen gibt, die ihre Berechtigung haben, ist an sich schon viel wert,wir müssen es uns aber auch immer wieder vor Augen führen.Unser Wunschdenken kann uns in vielen Situationen einen Streich spielen:

Vielleicht möchten wir alle gerne Vorstandsvorsitzender eines global agierendenUnternehmens werden. Sicher, ein Gehalt von mehreren Millionen Euro pro Jahrzu bekommen, ist attraktiv. Attraktiv mag auch sein, nach nur wenigen JahrenArbeit theoretisch für den Rest des Lebens saturiert zu sein, nur: Ist das denn auchalles? Ist nicht Teil der Aufgabe, in einer Woche, die sieben Tage hat, immererreichbar sein zu müssen? Ist nicht Teil der Aufgabe, in relativer Unkenntnis derDetails Entscheidungen treffen zu können, die das Leben vieler Menschen betref-fen? Ist nicht Teil der Aufgabe, vielleicht darüber zu entscheiden, wie vieleMenschen ihren Arbeitsplatz verlieren? Darüber zu befinden, in welche Richtungein Unternehmen sich entwickeln soll? Die Zukunft zu antizipieren, auch wennsie noch nicht da ist? Die Zukunft zu gestalten, um dem eigenen Unternehmeneine gute Position zu geben? Ziemlich viele Aufgaben, die noch spielerisch umweitere Kompetenzen wie Führen, Einbinden, Kommunikation und natürlich auchSachkompetenz erweitert werden könnten.Vielleicht träumen wir auch davon, einmal einen großen wissenschaftlichen

Preis zu gewinnen? Es muss ja nicht der Nobelpreis sein, es gibt ja auch anderenette Preise. Auch das sind dann die letzten Stufen in einer Entwicklung, die ihrenAnfang doch ganz anders genommen haben wird. Wenn man wichtige Menschenfragt, egal, ob es nun Vorstände großer Unternehmen, wichtige Wissenschaftleroder andere Prominente sind – keiner von ihnen hat seinen Weg bis in diekleinsten Details hinein planen können. Dafür sind wir in der Interaktion mitunserer Umwelt auch zu vielen von uns nicht beeinflussbaren Effekten ausgesetzt,die wir nicht bedenken und nicht steuern können. Die Zahl möglicher Schach-partien mag sich ja zumindest theoretisch durchrechnen lassen, wir werden sieaber nicht alle memorieren können, um als unschlagbarer Großmeister in dieGeschichte einzugehen. Auch die Zahl aller möglichen und schreibbaren Seiteneines Buches lassen sich durchrechnen – bei 2 800 Zeichen pro Seite und etwa 40Zeichen mit allen Sonderzeichen gibt es also 40 hoch 2 800 mögliche Seiten inBüchern. Wer eine Universalbibliothek haben möchte, könnte sich auch einengroßen Rechner kaufen und damit alle Nobelpreise für Literatur der Zukunftvorwegnehmen. Das Beispiel zeigt uns aber auch, dass die Vielfalt so groß ist,dass diese Universalbibliothek keiner realisieren wird, was beruhigend ist, denn sowird nicht alles vorweggenommen. Wenn schon die einfache Bibliothek nichtrealisierbar ist, dann wird auch unser Leben noch weniger komplett planbar undvorhersagbar sein. Das ist schon beruhigend. Deshalb ist es aber auch wichtig,

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dass wir versuchen, uns zu orientieren und zu planen; wir sollten aber nichtversuchen, die Planung auch zu erreichen.Es hat Länder gegeben, die versucht haben, nur mit Planungen ganze Volkswirt-

schaften zu steuern. Die DDR kannte die Fünfjahrespläne, die Sowjetunion auch.China versucht auch heute noch mit einer gelenkten Planwirtschaft zu agieren, hataber die Bremsen gewaltig gelockert, weshalb ja zumindest China gerade einenbeispiellosen Aufschwung erlebt. Letztlich, so kann man festhalten, ist keineRegierungsmacht der Welt in der Lage, ein Land planwirtschaftlich zu führen.Dennoch werden auch heute Unternehmen ihre Umsätze und Erträge planen, ihreAufwendungen, ihr Vorgehen, das Geld und die Menschen, die sie dafür benöti-gen und deren Verfügbarkeit. Dennoch werden die Pläne nie genau erreicht,können es nicht werden, denn wir alle als Verbraucher und damit letztlich als dieKonsumenten der gefertigten Produkte und angebotenen Dienstleistungen habenes in der Hand, welche Firma Geschäft macht und welche nicht. Milliardeneinzelner Entscheidungen, die wir alle zusammen pro Jahr treffen, entscheidenso über Wohl und Wehe von Planungen. Und ein Autounfall kann unsere gesamtePlanung von jetzt auf gleich zur Makulatur machen.Neben der Planung stellt sich auch die Frage, wie man denn die Ergebnisse

messen kann, um sie mit einer Planung zu vergleichen. Schon bei der Beant-wortung der Frage zeigen sich oft Grenzen der Planbarkeit. Als ein einfachesBeispiel mögen typische Vorgaben aus Unternehmen gelten: Den Erfolg einesVertriebs, so könnte man meinen, kann man am realisierten Umsatz ableiten.Leider falsch, denn der Umsatz an sich ist ja keine interessante Größe. Es interes-siert der Gewinn. Ist aber der Vertrieb für den Umsatz verantwortlich, so wird ernicht eine Gewinnmaximierung anstreben, sondern eine Umsatzmaximierung. Inanderen Worten: Reiß‘ die Preise runter und verkauf‘, was nur geht. Das kann einUnternehmen ruinieren.Schwerer wird es, wenn die Leistung in der Entwicklung gemessen werden soll.

Forschung und Entwicklung ist immer ein Wechsel auf die Zukunft und nicht jedeZukunft, die prognostiziert wurde, ist auch gekommen. Wir warten nun seit überfünfzig Jahren auf die Roboter, die uns, wenn wir nach einem netten Tag nachHause kommen, die Tür öffnen und das Essen servieren, während andere Roboterfür uns arbeiten. Diese Zukunft wurde für etwa 1980 prognostiziert, ist aber nichteingetroffen. Was wir schon haben, sind Industrieroboter, aber die künstlicheIntelligenz ist noch lange nicht so weit, wie erwartet wurde. Vermutlich ist dasauch ganz gut so, denn wollen wir wirklich den ganzen Tag lang faulenzen?Effizient Forschung zu planen ist schwer, aber nicht unmöglich. Auch wenn sichintuitiv viele wehren, wenn Forschung und Entwicklung geplant werden sollen, esist machbar und möglich. Wir können zwar nicht jedes Ergebnis vorhersagen, aberwir können durchaus ein Portfolio managen und auch den Misserfolg in unsereArbeiten mit einplanen.Noch schwerer wird es, wenn wir uns ganz dem Menschen zuwenden. Mitarbei-

terzufriedenheit oder die Effizienz einer Organisation zu messen, ist nicht trivial.Macht Geld glücklich? Oder macht zu viel Geld unglücklich? Wenn das Gehaltverdoppelt wird, sind wir dann bereit, auch doppelt so viel zu arbeiten? Geben wir

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Unterstützung auf, um mehr Geld zu verdienen? Sind wir dann glücklich? Sindwir glücklich, wenn wir in Relation besser gestellt sind als unser Nachbar? Sind wirdann zufrieden, wenn wir Freiräume bekommen? Für den einen mag ein Frei-raum wichtig sein, für den anderen mag zu viel Freiheit bedrohlich wirken. Fürden einen mag es wichtig sein, ein großes Büro mit erlesenen Möbeln zu haben,für den anderen mag es auch ein Container tun mit einem klapprigen Schreib-tisch. Zu schwitzen kann für den einen motivierend wirken, für den nächstenabstoßend sein. Dann viel Spaß beim Finden eines geeigneten Messsystems.Deshalb tun sich auch viele Organisationen sehr schwer damit, Mitarbeiterzufrie-denheit zu messen, was aber keine Ausrede ist, sich nicht mit der Mitarbeiter-zufriedenheit auseinander zu setzen. Das Risiko, bei falscher Wahl der Mess-systeme zu falschen Ergebnissen zu kommen und damit falsche Schlüsse zuziehen, ist groß.Auch deshalb hat Friedrich Dürrenmatt in seinen Stücken immer wieder das

Scheitern der Planung von Menschen aufgezeigt. Für ihn als Autor war ein Stückdann zu Ende gedacht, wenn es die schlimmstmögliche Wendung genommenhatte, wobei die handelnden Personen im Allgemeinen nicht bösartig waren. Sieplanten, und das Schicksal oder der Zufall wollten es anders. Jedem, der plant, wirdes schon so gegangen sein, dass er sich genial verplant hat: Das schöne Abend-essen, der Tisch ist nett gedeckt, Kerzen brennen, die Gäste kommen nicht. Später,wenn das Essen verkocht ist, die Kerzen das Tischtuch befleckt haben, dannkommen die Gäste und die Stimmung ist hin. Das erste Treffen. Wir haben unsso viel vorgenommen – und es kommt ganz anders. Nix mit Romantik, stattdessengießt es wie aus Eimern und die ersten Worte funktionieren auch nicht so richtig.Die Liste ließe sich unendlich fortsetzen, und jeder kennt Hunderte Situationen,in denen die Erwartung, was denn passieren sollte, sich leider nicht bewahrheitethat.

Guten Tag, liebes Risiko – schön, dass du da bist

Damit ist ein wesentliches Element guter Planung beschrieben: Das Risikomanage-ment. Es ist so einfach, den Erfolg zu planen, und wir Menschen sind ja auch heillosoptimistisch, sonst hätten wir nicht irgendwann die Bäume verlassen und wären aufdem Mond geflogen, nicht wissend, ob wir lebend zurückkommen. Trotzdemwissen wir: Shit happens. Wenn also im Rahmen unserer Planung Risiken sichtbarwerden, dann sollten wir sie nicht ignorieren, sondern uns ganz im Gegenteilfreuen, sie zu kennen. Denn nun haben wir die Chance, uns mit ihnen auseinander-zusetzen und zu schauen, ob und wie wir sie vermeiden können.Der Umgang mit Risiken ist uralt. So entstand der Beruf des Vorkosters, dessen

Aufgabe es war, im Zweifelsfall für seinen König zu sterben. Und die Tatsache,dass es den Vorkoster gab, sorgte dafür, dass weniger vergiftet wurde, dannraffiniertere Gifte gewählt wurden. Der Hauptberuf des Personenschützers ist dieRisikominimierung für einen anderen. Eine Alarmanlage wurde gebaut, umRisiken zu minimieren. Wenn chemische Anlagen gebaut werden, findet in der

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Regel eine detaillierte Risikobetrachtung statt, bei der Aggregat für Aggregat,Messstelle für Messstelle durchgegangen wird um zu prüfen, was passiert, wennetwas passiert. Meist wird dann das Anlagenkonzept modifiziert, es werdenRisiken herausgenommen. Mehr und mehr Aufwand wird im Automobilbau aufdie Sicherheit verwendet – nach den lebensrettenden Rückhaltesystemen gibt esnun die Airbags, Gurtstraffer und andere Systeme. Nun kommen immer mehrErfindungen zum sicheren Fahren: Die Autos werden stabiler in der Spur, Elek-tronik regelt das Bremsen, das tatsächliche Können des Fahrers wird immerweniger relevant. Die deutlich zurückgegangene Zahl an Verkehrstoten gibt denArbeiten Recht. All das ist Risikominimierung.Gleiches kann auch für unser Leben gelten, wenn wir planen: Prüfen wir auch

die Risiken, vergessen wir sie nicht. Manche Risiken lassen sich ganz einfachausschließen, einfach, indem wir sie kennen und sofort erkennen, dass es einfachist, sich zu schützen. Gegen manche Risiken können wir uns versichern, wiegegen Berufsunfähigkeit, gegen andere eher nicht. Ob wir einen Krieg erlebenwerden oder nicht, werden wir nur partiell beeinflussen können, vielleicht über dieWahl unseres Arbeitsorts, dagegen versichern können werden wir uns kaum.Wenn wir aber die Risiken kennen, werden wir sicher nicht mit Sandalen aufeine Gebirgstour gehen oder im Winter die Pisten verlassen. Wenn wir die Risikenkennen, werden wir vielleicht trotzdem den Beruf des Sprengmeisters ausübenoder eine Chemieanlage betreiben, die das Potenzial hat, im Schadensfall vielSchaden anzurichten. Wir werden die Risiken kennen wollen, Stück für Stück, undauch wissen wollen, wie wir mit ihnen umgehen. Das alles werden wir machen,damit Dürrenmatt am Ende nicht Recht behält. Davon aber auszugehen, dass wiralles planen und beherrschen können, das sollten wir bitte nicht. Zum Glück istunser Leben und unsere Umwelt so komplex, dass wir es nicht können. Deshalbsind ja auch die Versuche, ganze Nationen komplett zu planen, letztlich gescheitertund die dahinter stehenden Diktaturen auf lange Sicht nicht erfolgreich gewesen.

Grenzen der Planbarkeit – das Scheitern

Jeder von uns kennt auch die Situationen, in denen wir souverän reagiert habenund die, in denen wir nicht so gut ausgesehen haben. Ein Unterschied mag diejeweilige Laune gewesen sein, die wir hatten, als unsere Planung scheiterte. Einanderer Unterschied mag aber auch gewesen sein, wie sehr wir uns dagegensträubten, die Wahrheit zu akzeptieren. Die Wahrheit, dass unser so schöner Plannicht funktionierte. Nicht jedem ist es gegeben, wie Alexis Sorbas im gleichnami-gen Film zu reagieren, als er nach dem Totalschaden ruft: „Hey, Boss, hast Dujemals etwas so schön zusammenkrachen sehen?“ Dann betrinken sie sich undfeiern sich, das Leben, das Scheitern und ihre Freundschaft.Das soll jetzt kein Plädoyer dafür sein, Dinge scheitern zu lassen, auch wenn es

wirklich spektakulär aussehen kann, wenn Dinge zusammenkrachen. Es soll auchkein Plädoyer dafür sein, nicht zu planen, um dann nicht zu scheitern. Ohne einePlanung wird es in unseren Breiten nicht gehen, wie das Kapitel über interkultu-

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relles Management beschrieben hat, denn wir werden schlichtweg verhungernoder erfrieren. Aber Planung ist nicht alles, auch wenn es nicht wirklich gelingenwird, ohne eine Planung irgendwo anzukommen. Es wird aber wichtig sein, dasswir alle, jeder für sich, für uns Methoden entwickeln, wie wir mit dem Scheiternumgehen, und dass das Scheitern für uns fast ein Freund wird.Wir planen nicht, in einen Autounfall verwickelt zu werden, aber jährlich sterben

Menschen im Straßenverkehr. Wir planen nicht, an einer Blinddarmoperation zusterben, aber es kann passieren. Wir planen nicht, in einem Flugzeug sitzend,abzustürzen, aber wenn es geschieht, wird darüber in den Nachrichten berichtet.Alle diese spektakulären Ereignisse sind nicht planbar, aber wir können daranarbeiten, dass sie möglichst unwahrscheinlich werden. So sind Rettungsinstru-mente wie der Gurt im Auto, der Airbag und andere Sicherheitssysteme entstan-den. So hat sich der Beruf der im OP stehenden Schwestern und Pfleger verändert,die nicht nur dem Chirurgen geben, was er will, sondern auch Buch führen. Damitnichts im Bauch zurückbleibt und später Schlagzeilen macht. Und so hat sich auchder Beruf der Piloten und Flugbegleiter verändert, ebenso wie der des Boden-personals und der Fluglotsen. Eine Genauigkeit von 99,9 % fänden viele wirklichgut. Für den Flughafen in Frankfurt bedeutete es, wenn die Starts und Landungenmit solcher Genauigkeit durchgeführt würden, pro Tag ein bis zwei Totalverlustean Maschinen. Die Schlagzeilen braucht wirklich niemand.Damit kann man sehen, dass auch die Grenzen der Planbarkeit zu neuen Plänen

führen können. Um besser zu werden, können wir planen, was wir machenkönnen, um Unvorhergesehenes zu vermeiden. Das sollte uns aber vor allemnicht daran hindern, daran zu arbeiten, uns neuen Anforderungen anzupassen.Es gab einmal einen Trainer, dessen Lieblingsspruch war: „Übe täglich, Dich zu

blamieren. Wenn dann die Blamage kommt, kannst Du mit ihr umgehen.“ Er starbleider viel zu früh und ungeplant an Krebs, sein Spruch ist aber geblieben. So, wiees wichtig ist, mit Blamagen umgehen zu lernen, so wichtig ist es auch, damitumzugehen, was denn passiert, wenn wir nun nicht den Nobelpreis bekommen,nicht der Vorstandsvorsitzende des größten Unternehmens der Welt werden, nichtdas Bundesverdienstkreuz erster Klasse bekommen. Ist dann unser Leben ver-pfuscht? Das kommt darauf an, welche Ziele wir uns gesetzt haben und wieflexibel wir damit umgehen können, wenn es Abweichungen von unserer Ideal-linie geben wird.

Flexibilität hilft

Damit ist das Zauberwort auch schon gefallen: Flexibilität.Als wir unser Studium begonnen haben, hat uns keiner sagen können, was wir

später einmal machen werden. Wir haben noch nicht einmal das Thema unsererDiplomarbeit oder Masterthesis gekannt. Vermutlich hätten wir das Thema nochnicht einmal verstehen können. So sehr hat sich unser Wissen und unsere Kompe-tenz in den letzten Jahren verändert, dass wir auf einmal in der Lage waren, Dingezu bearbeiten, von denen wir einige Jahre zuvor noch nicht einmal hätten träumen

Flexibilität hilft 229

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können. Das ist ganz normal und zeigt eben auch, wie schwer eine Planung seinkann. Wer weiß schon im Voraus, was er wann können kann?Wir haben aber im Laufe unseres Studiums mehr und mehr Kompetenzen erlernt,

die uns dann auch nicht nur unseren Schwerpunkt im Studium haben legen lassen,sondern uns auch über den Tellerrand haben schauen lassen, beispielsweise, wennwir an eine andere Hochschule wechselten. Niemand aber hat uns vorher garantiert,dass wir einen Tag nach unserem Abschluss unseren ersten Arbeitstag in welcherFirma oder Institution auch immer haben würden. Auch hat uns niemand garan-tieren können, dass wir jemals in dem von uns erlernten Beruf arbeiten würden. Eshat uns ja auch niemand gefragt, ob wir das denn auch wollen. Vielleicht stellen wirja fest, oder haben festgestellt, dass wir eigentlich lieber etwas ganz anderes machenwürden. Zum Beispiel Unternehmen beraten. Oder Würstchen braten. Oder eineGalerie aufmachen. Oder Fußballspieler trainieren.All das wird es geben. All das kann in uns drin stecken. Es kann sein, dass wir

Horrorvorstellungen haben, was passieren wird, wenn wir nicht bei einer bestimm-ten Firma anfangen und nicht in den Vorstand kommen. Dann sollten wir zwischenzwei unterschiedlichen Elementen solcher Vorstellungen unterscheiden. Aber zu-nächst: Es ist ganz normal, wenn es in einem Leben Horrorvorstellungen gibt. Auch,wenn es solche Momente in unserem Leben gibt. Das nennt man dann moment ofpanic, kurz MOP. Wenn solche Momente auftreten, dann ist das erstmal eine ganznatürliche und gesunde Reaktion des Körpers, der uns meist besser kennt, als wirmeinen. Um aber nicht in einer Schockstarre zu verharren, ist es wichtig, Kom-petenzen zu entwickeln, wie diese Momente bewältigt werden können. Viele Leis-tungssportler kennen das Phänomen, wenn der Körper scheinbar am Ende ist undnicht mehr weiter will. Dann kann man durch einfache Tricks schon viel bewirken.Dazu kann auch gehören, sich nur noch auf die jeweils nächsten Schritte zukonzentrieren. Soldaten kennen das von Leistungsmärschen ebenfalls, wenn mannur noch die Schritte zählt. Bis hundert und dann wieder von vorne. Schauspielerund Musiker kennen Atemtricks, um diese Momente zu bekämpfen, und kleineLockerungsübungen. Da kann schon einmal tief Durchatmen wieder helfen. Oderden Blick nach oben richten. Menschen, die weinen, haben die Tendenz, nach untenzu gucken. Menschen, die nach oben gucken und dabei weinen, sind eher selten.Passend zu den moments of panic gibt es natürlich auch die moments of excellence,

MOE. Diese Momente kennen wir alle. Das sind die Momente, in denen die Weltuns gehört, wir uns einfach gut und stark fühlen, in denen wir genießen können,wie gut wir doch sind, weil wir etwas geschafft haben, was nicht alltäglich ist. Weiles einfach schön ist, zu leben und weil – wieder für Studenten von MINT-Fächerneher selten – es einfach ein gutes Gefühl ist, das wir haben. Die Momente, indenen wir uns so fühlen, lohnt es zu erinnern, denn dadurch können wir uns vielEnergie erhalten, die wir dringend brauchen.Wenn nun also eine Situation kommt, die in dieser Form nicht geplant war, dann

lohnt es immer, zunächst zu versuchen, einen klaren Kopf zu bekommen. Dannkann schon wieder unsere professionell erlernte Logik zugreifen und uns helfenzu strukturieren. Als Beispiel soll ruhig die Frage stehen, was für einen Beruf wirgerne haben möchten.

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Ich möchte nur einen Job…

Keine Bange. Dem, der so fragt, kann geholfen werden. Wie wäre es mit Taxifah-rer? Warum nicht bei einer großen Kette Hamburger braten? In einem Hotel imAkkord Betten machen? Als Nachtportier die Hotelgäste bewachen? Als ungelernteServicekraft bedienen? Unser Gedächtnis, unsere Jobs und die unserer Freundewerden uns einiges an Möglichkeiten aufzeigen, wie wir Geld verdienen können.Das ist dann ein Job. Wir werden ihn bekommen, wenn wir wollen. Wir müssennur danach suchen.

… oder doch lieber eine Arbeit?

Der Unterschied zwischen einem Job und einer Arbeit wird sich letztlich aus derErfüllung ergeben, die wir verspüren, wenn wir arbeiten. Auch die eben genanntenBerufe können einem Menschen Erfüllung geben, vielleicht sogar uns. Wir solltenuns aber durchaus die Frage stellen, ob die Arbeit, die uns erfüllen kann, nichtanders aussehen wird. In anderen Worten und nicht so schwülstig: Was wollen wirwirklich machen? Und jetzt ganz auf uns bezogen: Was will ich machen mit demRest meines Lebens?Nun sind wir in der Beantwortung der Frage ganz bei uns gelandet und bei dem,

was wir möchten und was nicht. Speziell in Deutschland sind wir unglaublich gutdarin, festzustellen, was wir nicht möchten, aber nicht annähernd so präzise, waswir denn wollen. Deshalb lohnt es immer, sich mehrfach im Jahr zurückzulehnenund darüber nachzudenken, was wir denn nun wirklich wollen. Dabei darf auchgeträumt werden. Es wird aber immer wichtig sein, aufzupassen, dass wir unsnicht in uns selber oder mit uns verlaufen.Nehmen wir an, jemand formuliert als Ziel für sein Leben: „Ich möchte

Millionär werden.“ Dann haben wir als einziges Ziel ein pekuniäres. Wie, istzweitrangig. Ob das Geld durch legale oder illegale Arbeit erworben wird, bleibtebenso offen wie die Frage, welchen Lebensstil der Mensch haben möchte. Esbleibt offen, ob der erlernte Beruf auch der der späteren Wahl sein wird. PrimäresZiel ist Geld und eine zunächst abstrakt hoch erscheinende Summe. Nun, wennwir davon ausgehen, dass der Mensch dreißig Jahre lang im Schnitt 70 000 Euroim Jahr verdient, sparsam ist und das Geld gut anlegt, dann wird dieser Menschtatsächlich am Ende Millionär sein. Das kann ein hart erkaufter Reichtum sein.Nehmen wir an, dass jemand als Ziel für sein Leben formuliert: „Ich möchte

viele Kinder haben und die gut ernähren können.“ Dann geht die Frage zunächstdarum, wer denn der geeignete Partner sein wird, um die Kinder gemeinsam zubekommen. Auch hier reden wir letztlich über Geld, denn Kinder kosten Geld undbringen emotionale Rendite, wir reden aber völlig anders über Geld und die sichdahinter verbergenden Themen.Nun könnte man auch formulieren: „Ich will in meinem Leben viele Brücken

bauen.“ Damit scheidet dann ein Pharmaunternehmen als Arbeitgeber aus. „Ichwill wenigstens ein neues Medikament entwickelt haben“ passt nicht wirklich zu

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einer Schuhfabrik, und der Wunsch, eine Gentherapie für den Menschen zuentwickeln, nicht zu einem Automobilbauer. Wenn wir uns auf die Suche nachden Dingen machen, die uns umtreiben, dann werden wir ziemlich schnellverstehen, was wir wirklich gerne machen möchten.Wenn wir verstanden haben, was wir wirklich gerne machen möchten, dann

haben wir im Prinzip schon eine Vorstellung davon, wer denn bitte unser Arbeit-geber werden sollte oder aber was wir eigentlich machen wollen, wenn man unsdenn nur ließe. So können dann Karrieren entstehen, die nicht im Krankenhausenden, weil sich jemand krank geärgert hat, sondern weil jemand das gemacht hat,was er möchte: Schlagersänger, Chef einer Messe, Gallerist, Schriftsteller. All dieseBerufe kann man mit einer naturwissenschaftlichen oder technischen Ausbildungerfolgreich ausüben und das nicht erst seit gestern. Goethe und Novalis haben einebreit angelegte Ausbildung erhalten, die es ihnen ermöglichte, zu schreiben undüber die Natur nachzudenken. von Humboldt schrieb über die Natur, die ererforschte, in wirklich gutem Stil. Das kann auch heute noch funktionieren, wennwir uns Karrieren ansehen: Coelho und Bönt, um nur zwei zu nennen, habenwunderbare Bücher geschrieben und doch einmal naturwissenschaftlich gearbei-tet. Es gibt Models, die erfolgreich Medizin studiert haben, und auch beimfliegenden Kabinenpersonal findet man fast alle Berufe. Es gibt Chemiker imPersonalmarketing und Ingenieure als Coaches. Sie alle haben sich irgendwanneinmal die Frage gestellt, ob es denn tatsächlich so sein soll, wie ein scheinbarlogischer Weg es vorgibt. Und sie alle kamen zu anderen Antworten.Aber auch wenn es um die scheinbar klassische Entwicklung geht, ganz nach

dem Motto: „Ich möchte einfach nur forschen oder entwickeln.“, bleiben nochgenug Möglichkeiten übrig, um sich weiter mit Fragen zu beschäftigen: Wasdenn? Soll es ein großes Unternehmen sein, ein lieber kleines? Wie groß oderklein darf es denn sein? Möchte ich gerne in einem bestimmten Land arbeiten,oder in einer bestimmten Stadt? Ist eine bestimmte Firma mein Wunscharbeit-geber, egal, wo ich eingesetzt werde? So werden sich Prioritäten ergeben, aber auchunterschiedliche Hierarchien von unseren Wünschen. Was ist wichtiger: DieMillion, die Brücke oder die Kinder? Wenn wir das verstanden haben, dann habenwir nicht nur viel über uns selbst gelernt, sondern auch für uns verstanden, waswir wirklich möchten.

Der Realitätstest

Wenn wir dann verstanden haben, was wir wirklich möchten, dann haben wir dieChance, auch die richtigen Schritte zu gehen. Wir alle kennen Menschen, dieschon viele Hundert Bewerbungen geschrieben haben. Mal ehrlich: Das kann dochkein Ziel sein, der Weltmeister im Bewerbungsschreiben zu werden, es sei denn,wir möchten gerne Weltmeister im Bewerben werden. Wenn wir verstandenhaben, was wir möchten, dann haben wir im Prinzip auch beschrieben, welchewenigen von allen denkbaren Arbeitgebern tatsächlich die für uns interessantensind. Das sind nicht viele Hundert, sondern vielleicht nur ganz wenige, vielleicht

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ist es auch nur einer. Und ganz nebenbei haben wir auch verstanden, was wir demArbeitgeber sagen müssen, warum wir gerne dort arbeiten möchten. Dann darfruhig die Realität kommen, wir sind gewappnet. Wenn wir also klug sind, werdenwir nicht einfach einen Stapel Bewerbungen schicken und dann mal hoffen, dassirgendjemand sich meldet, sondern wir werden mit einem Arbeitgeber, für den wirwirklich gerne arbeiten möchten, das Gespräch suchen. In diesem Gesprächkönnen wir erfahren, ob gerade Stellen frei sind, was gesucht wird, an wen wiruns wenden sollten und – für den Fall dass wir gerade nicht fündig werden – auchdie Frage stellen, wann es denn wieder lohnen kann, sich zu melden. Haben wirbei dem Gespräch etwas verloren? Sicher nicht. Wir hatten vorher eine Idee, dortarbeiten zu wollen, aber nun keine Absage, sondern verstanden, dass es geradekeine Chance gibt. Das ist doch schöner, als sich zu fragen, warum man eineAbsage erhalten hat und nicht zu wissen, dass schon die Bewerbung der Fehlerwar. Ein Arbeitgeber kann nur dann eine Stelle vergeben, wenn er eine Stelle zuvergeben hat.Nun kann die Realität einen doch ganz schnell einholen. Die ideale Konstellation

wäre ja gegeben, allein, wir schaffen es nicht, dort hinzukommen, denn anderesind besser, schöner, größer als wir oder es gibt gerade keine Möglichkeit einerZusammenarbeit. Natürlich ist das schade, aber wir haben ja bei der Übung, waswir denn gerne machen würden, viel über uns gelernt. Und wir haben auch nebender Liste der ersten Wünsche noch Rückzugsmöglichkeiten entdeckt. Die könnendann in logischer Reihenfolge ebenfalls angegangen werden.Wir fangen also an, uns ebenfalls mit Rückzugsmöglichkeiten auseinander-

zusetzen. Das ist gut so und sollte auch so sein. Wenn die Zeit ganz schlecht ist,könnte es ja sein, dass wir tatsächlich in der ersten Runde nicht bei unseremWunscharbeitgeber landen. Dann kann das ja zum einem bei einem späterenWechsel passieren, es kann aber auch sein, dass wir von dort Hinweise bekom-men, was gerade oder in Zukunft benötigt werden wird. So können wir unsvielleicht versuchen, uns dahingehend zu qualifizieren, damit es später besserpasst.Oder wir gehen wirklich bewusst zunächst zu einem anderen Arbeitgeber und

stellen dann verwundert fest, dass wir uns dort auch sehr wohl fühlen, weil unsereVorstellungskraft uns getäuscht hat und das andere Unternehmen auch interes-sant sein kann, die Kollegen nett sind und die Themen ebenfalls spannend. Manmuss nicht Brücken bauen, um große Dinge zu realisieren, ein Tunnel kannmindestens ebenso spannend sein, und ein Abgaskatalysator muss nicht nur imAuspuff eines Automobils stecken, es kann auch ein Kraftwerk oder ein Schiffsein.Und wenn es für uns nun partout keinen Arbeitgeber zu geben scheint, dann

kann das auch ein Hinweis darauf sein, dass wir eigentlich etwas ganz anderesmachen sollten. Wenn wir unsere Motivatoren kennen, uns mit dem beschäftigthaben, was uns wirklich anspornt, Höchstleistungen zu bringen, dann haben wirvielleicht Hinweise darauf, was wir wirklich machen sollten und vielleicht auchHinweise darauf, was noch in uns steckt. Vielleicht sollten wir tatsächlich unsereigenes Geschäft gründen, eine ganz andere Richtung einschlagen. Vielleicht

Der Realitätstest 233

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wollen wir eigentlich etwas machen, was uns früher noch nicht klar war, vielleichtwird es Zeit, unseren wirklich eigenen Weg zu gehen? Vielleicht sind wir ja dochein zukünftiger Nobelpreisträger, nur eben für den Frieden oder für Literatur?Vielleicht ergeben sich aber auch aus den Umständen Situationen, die es uns

ermöglichen, etwas zu machen, an das wir nicht gedacht hätten. Das kann sein,dass wir in eine Familie einheiraten, die uns Möglichkeiten eröffnet. Es kann sein,dass wir in unserem Umfeld auf einmal Notwendigkeiten erkennen, tätig zuwerden, und so ein ganz neues Geschäftsmodell entdecken. Die Betreiber vonKinderbetreuungen haben einen Markt erkannt und Geschäftsmodelle entwickelt.Wenn man sich die Betreiber ansieht, dann sind es in der Regel keine Erzieher, diedie Geschäfte aufgebaut haben. Stattdessen wurde ein gesellschaftlicher Trenderkannt und einem Bedarf eine Problemlösung gegenübergestellt. So gibt esimmer wieder Chancen, ganz neue Dinge zu tun. Mit den Ausbildungen, die wirhaben, haben wir das Handwerkszeug, vieles zu können. Mit der Erkenntnis, waswir alles nicht können, haben wir die Chance, uns die Menschen zu suchen, dieuns unterstützen können.

Das Leben ist eine Reise

Mit jedem Ende eines Lebensabschnitts werden wir mehr Möglichkeiten bekom-men, uns aber auch neu orientieren müssen: Nach dem Kindergarten waren wirtrocken und lernten dann Lesen und Schreiben. Nur nicht mehr in die Hose zumachen reichte nicht mehr aus, um bei unseren Eltern Begeisterungsstürmehervorzulocken, wir mussten und wollten uns weiterentwickeln. Nach der Grund-schule konnten wir auch noch die Grundrechenarten und einige Spielregeln fürunser Leben, hätten aber nur schwerlich unseren Lebensunterhalt verdienenkönnen, dazu reichte es noch nicht wirklich. Nach dem Abschluss der weiter-führenden Schule haben wir viele Fertigkeiten erreicht, von denen wir nie gewagthätten zu träumen. Nun konnten wir es und haben als Belohnung den Zugang zunoch mehr Bildung und Wissen bekommen.Jede Veränderung in unserem Leben hat auch bedeutet, dass wir neue Wege zu

gehen hatten. Daneben haben wir auch neue Menschen kennen gelernt und uns ineinem neuen und veränderten sozialen Umfeld orientiert. Wir haben neueFreunde gewonnen, vielleicht auch neue Feinde. Wenn wir Glück hatten, konntenwir uns unsere Feinde aussuchen, ebenso wie unsere Freunde. Wir haben unsereSicht der Welt neu sortiert, sie wurde weiter. Wenn wir in unserem Leben umge-zogen sind, haben wir das Gefühl kennen gelernt, wie es sich anfühlt, wenn man ineiner ganz neuen Umgebung ist, in der einen niemand kennt und sich niemandum einen sorgt. Wir haben gelernt, mit so einer Situation umzugehen, auch mitder, wenn das Wochenende kommt und man niemanden kennt, um sich zuverabreden. Wir sind an unsere Grenzen gegangen, vielleicht sogar darüberhinaus. Wir haben vielleicht intuitiv gespürt, dass wir, wie das Buch zeigte, unsdoch viel emotionaler verhalten, als wir es wahrhaben wollen, und als es vermeint-lich zu unserem Berufsbild passt.

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Mit jedem Schritt in unserem Leben haben wir uns aber auch viele neueKompetenzen angeeignet, die wir nicht erwartet haben, und vielleicht auch anStellen unser Können erweitert, an denen wir nicht wussten, dass wir Kompeten-zen haben könnten, oder nicht ahnten, dass wir dort Defizite haben könnten. Wirhaben Dinge gemacht, die uns liegen, und andere, die uns eher schwerfielen. Wirhaben auch Widerstände in uns beseitigt und unsere Kompetenzen deutlichgemehrt. Auch dieses Buch mag an der einen oder anderen Stelle dazu beigetragenhaben, den Horizont zu erweitern und zu zeigen, was alles helfen kann, uns imLeben etwas besser zurechtzufinden und unseren Platz in der Gesellschaft zusuchen und zu finden.Das führt uns auch zu unserem Kernanliegen als Autoren: Wir wollten unseren

Lesern zeigen, dass alle, die intelligent sind, die sich selber kennen und die offensind, sich auf Neues einzustellen, Themen finden werden, die spannend sind undherausfordernd. Das kann dann, dem amerikanischen Traum folgend, die Ge-schichte vom Tellerwäscher und dem Millionär werden, das kann, ganz bürgerlich,die Geschichte von der glücklichen Familie sein, oder auch eine ganz außerge-wöhnliche wissenschaftliche oder wirtschaftliche Karriere. Es kann auch ganzeinfach die Geschichte eines gelungenen Lebens werden, das seine Höhen undTiefen hat, am Ende aber gelungen sein wird.Jeder von uns hat es selber in der Hand, diese, seine Reise durch das Leben zu

steuern. Es ist keine Pauschalreise, und es sollte auch keine Pauschalreise ange-strebt werden, auch wenn wir vielleicht manche Pauschalreise machen werden.Was wir aus unserem Leben machen, liegt weitgehend an uns und erst dann anden Zeiten, in denen wir leben und den Technologien, die es gibt. Auch wennschon im Mittelalter Menschen von Fliegen träumten, es dauerte noch Generatio-nen, bis es so weit war, dass Menschen fliegen konnten. Den Traum gelebt habendennoch viele und so dazu beigetragen, dass es einmal ganz normal war, sich inein Flugzeug zu setzen. Auch heute haben wir noch Herausforderungen, dienachkommende Generationen als natürlichen Bestandteil ihres Lebens sehenwerden. Ob es sich um die Heilung von Krankheiten handelt oder die Übermitt-lung von Nachrichten, ob es um den Transport der Zukunft oder die Versorgungder Menschheit mit Nahrung geht, es gibt noch viel zu tun. Natürlich werdenunsere Möglichkeiten, uns hier sinnvoll einzubringen, auch von der uns umge-benden Gesellschaft abhängen, aber vor allem auch von uns und unseren Kom-petenzen. Wenn wir offen und neugierig bleiben, werden wir lange Spaß an derReise haben und immer mehr Kompetenzen erwerben. Wenn wir auch offen sindfür die Themen, die uns nicht wirklich liegen, werden wir immer erfolgreicherwerden. Nur wenn wir abstumpfen, dann besteht die Gefahr, dass die Reisemisslingt.Deshalb wünschen wir Ihnen viel Erfolg bei Ihrer Reise. Möge sie gelingen.

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