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Vl nhör dr ältrn nrtn rnnrn h nh drn, - dtv · Vl nhör dr ältrn nrtn rnnrn h nh drn, d Nz hr...

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Viele Angehörige der älteren Generation erinnern sich noch daran,wie die Nazis ihre Kindheit mißbrauchten, ohne daß sie dies da-mals erfassen konnten. Wie aber erlitten die Söhne und Töchterjüdischer Eltern diese Zeit? Inge Deutschkron, in Berlin aufge-wachsen, mußte erfahren, was es heißt, ein jüdisches Kind zu sein.Zunächst bedeutete dies nur, nicht mit Gleichaltrigen spielen zukönnen, vom Schwimmen- und Sportunterricht ausgeschlossen zusein, mehrmals die Schule zu wechseln und in andere Stadtviertelumziehen zu müssen. Allmählich kommt die Angst vor Verhaftun-gen hinzu, und bald wird der Familie klar, daß es sich um eineplanmäßige Diskriminierung handelt, an deren Ende die totaleMenschenverachtung und Mord stehen. Der Ausbruch des Kriegesverhindert die Emigration. Ab 1941 mußten die Juden den gelbenStern tragen, die ersten Deportationen unter den 66 00o BerlinerJuden setzten ein. Die verzweifelte Angst vor dem offenbar unaus-weichlichen Schicksal wurde übermächtig. Für Inge Deutschkronund ihre Mutter begann nun ein Leben in der Illegalität, unterfremder Identität, lebensbedrohend für sie selbst wie für ihreFreunde, die ihnen in menschlicher Solidarität Beistand gewährten.Nach Jahren der quälenden Angst vor der Entdeckung haben sieschließlich den bürokratisierten Sadismus des nationalsozialisti-schen Systems überlebt: zwei unter 1423 Juden in Berlin, die demtödlichen Automatismus entronnen sind.

Inge Deutschkron, 1922 in Finsterwalde (NL) geboren, war nachdem Krieg 1945 Sekretärin in der Zentralverwaltung für Volksbil-dung in Berlin. Nach acht Jahren Aufenthalt in England und Reisenu. a. nach Indien und Israel seit 1955 freie Journalistin in Bonn, seit1958 Mitarbeiterin der israelischen Zeitung >Maariv<, die sie 1960zur Deutschland-Korrespondentin ernannte. 1966 erwarb sie dieisraelische Staatsangehörigkeit und arbeitete seit 1972 bis zu ihrerPensionierung 1987 in der Redaktion von >Maariv< in Tel Aviv.1989 Premiere am Berliner Grips-Theater von >Ab heute heißt duSara< (nach: >Ich trug den gelben Stern<). Seither zu Vorträgen,Lesungen und Besuchen häufig wieder in Berlin. Von IngeDeutschkron erschienen zuletzt >Sie blieben im Schatten< (1996)und >Emigranto. Vom Überleben in fremden Sprachen (2001).

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Inge Deutschkron

Ich trug den gelben Stern

Mit 19 Abbildungen

Deutscher Taschenbuch Verlag

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Von Inge Deutschkronist im Deutschen Taschenbuch Verlag erschienen:Mein Leben nach dem Überleben (3 07 8 9)

Ungekürzte AusgabeApril 1985

21. Auflage Mai 2006Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG,Münchenwww.dtv.de

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt.Sämtliche, auch auszugsweise Verwertungen bleiben vorbehalten.© 1978 Verlag Wissenschaft und PolitikBerend von Nottbeck, KölnISBN 3-8046-8555-2

Umschlagkonzept: Balk & BrumshagenGesamtherstellung: Druckerei C. H. Beck, NördlingenGedruckt auf säurefreiem, chlorfrei gebleichtem PapierPrinted in GermanyISBN-13: 978-3-423-30000-I

ISBN-I0: 3-423-30000-0

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Inhalt

»Du bist Jüdin« 9Wechselvolle Schulzeit 23Der 9. November 34England antwortet nicht 44In Berlin gehen die Lichter aus 56Blindenwerkstatt Otto Weidt 70Vorhof der Hölle 8iDie »Listen« 90Untergetaucht 103Von einem Versteck ins andere 113In »Sicherheit« 127Ausgebombt 136Menschliches, Allzumenschliches 147Nazis und andere 157Flüchtlinge aus Guben 164»Bleib übrig» 174Danach i82

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Ein Brief Inge Deutschkrons an ihren Vater in England, nachdemAngst und Schrecken des Überlebens im Berliner Untergrund über-standen waren. Aus ihrem hier angekündigten Bericht über die Jahreder Trennung ist dieses Buch entstanden.

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»Du bist Jüdin«

»Du bist Jüdin«, hörte ich die Stimme meiner Mutter. »Du mußtden anderen zeigen, daß du deshalb nicht geringer bist als sie. «

Was war das, eine »Jüdin« ? Ich fragte nicht danach, dennmeine Aufmerksamkeit galt dem, was sich auf der Hufelandstraßeim Berliner Nordosten abspielte, auf die ich aus dem Fenstermeines Zimmers schaute. Das tat ich gerne, denn obgleich dieHufelandstraße nur eine stille Nebenstraße war, gab es für einzehnjähriges Mädchen viel zu beobachten. Ich sah anderen Kin-dern beim Spielen zu. Meine Eltern hatten mir untersagt, aufder Straße zu spielen. Sie meinten, dort lauerten zu viele Gefah-ren für ein kleines Mädchen. Das Verbot erschien mir sehr hart.Obgleich ich alle Kinder bei ihrem Namen kannte, konnte ichan ihren Spielen nur aus der Ferne meines Beobachtungspostensteilnehmen. Das war bitter.

Meine Mutter bemühte sich darum, mir verständlich zu ma-chen, was sie gesagt hatte. Ich weiß heute nicht mehr, welcheErklärung sie mir gab. Ich weiß nur, daß ich sie nicht verstand.Aber auch zu einem späteren Zeitpunkt unterließ ich es, aufdieses Thema zurückzukommen und auf eine Erläuterung zudrängen. Ich fühlte, daß ich damit für sie wie für mich Konflikteheraufbeschworen hätte. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt — Anfangdes Jahres 1933 — andere Probleme, die mich viel unmittelbarerberührten. Der Übergang in die höhere Schule stand bevor.

Der Direktor des Königstädtischen Oberlyzeums in BerlinNO, den meine Eltern mit mir aufgesucht hatten, um michanzumelden, war offensichtlich überrascht gewesen zu erfah-ren, daß ich die ersten vier Schuljahre in einer weltlichen Schuleim Norden Berlins absolviert hatte, in der Religion nicht aufdem Lehrplan stand und der Unterricht in einer Form gehaltenwurde, die viel freier und moderner war als zu jener Zeit üblich.So hatte er nicht ohne Sarkasmus festgestellt: »Ach was, eineweltliche Schule hat Ihre Tochter besucht?!« Nach diesem Ge-spräch hatte meine Mutter mir gesagt: »Du mußt es ihnen zei-gen, daß eine weltliche Schule eine ebenso gute, ja eine bessereSchule ist als die anderen. « Diese mütterliche Mahnung war mirsehr viel verständlicher als die Enthüllung, daß ich Jüdin sei.

Ich wußte, daß meine Eltern Sozialisten waren, und ich iden-tifizierte mich mit ihren Anschauungen wie jedes Kind, das in

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einem harmonischen Familienleben heranwächst. Mein Vaterwar Funktionär der SPD, und seine Freizeit — über die er alsLehrer reichlich verfügte — gehörte ebenso selbstverständlichder Partei, wie es selbstverständlich war, in allen Lebensäuße-rungen ein bewußtes und kompromißloses Bekenntnis zum So-zialismus abzulegen, etwa Mitglied der Volksfürsorge zu sein,beim Konsum einzukaufen usw.

Die politische Überzeugung meiner Eltern teilte sich mirnicht nur mit, sie machte mich selbstbewußt und stolz. Es magseltsam klingen, aber zu meinen schönsten Kindheitserinnerun-gen gehört nicht irgendeine Ferienreise oder ein kindliches Ver-gnügen, sondern die Tatsache, daß ich gemeinsam mit den Er-wachsenen in einem verräucherten Hinterzimmer einer BerlinerKneipe sitzen und helfen durfte, Wahlflugblätter zu falten.Auch die Teilnahme am sogenannten Symbolbummel, bei demsich Sozialdemokraten auf verkehrsreichen Straßen »zufällig«begegneten und einander mit dem Ruf »Freiheit« grüßten, warfür mich ein stolzes Vergnügen. Die Kundgebungen am i . Maiim Berliner Lustgarten ließen mich die Begeisterung spüren, diepolitisch engagierte Menschen beseelt und stark und einig ma-chen kann.

Natürlich war mir die Zuspitzung des politischen Kampfes zuBeginn der dreißiger Jahre nicht entgangen. Dieser Atmosphärekonnte sich keiner entziehen, der an den politischen Vorgängenjener Zeit teilnahm. Nachdrücklich hatten sich mir die verschie-denen marschierenden Kolonnen eingeprägt: Die Kommuni-sten mit ihren roten Fahnen, die Schalmeien ihrer Spielmanns-züge klangen mir sehr anmutig; die Männer vom ReichsbannerSchwarz-Rot-Gold gehörten zu uns, das machte sie mir sympa-thisch; die militärisch exakt ausgerichteten braunen Kolonnender SA waren mir unheimlich. Der Anblick eines tödlich ver-letzten Kommunisten, der, seiner Sinne nicht mehr mächtig, dieStraße entlangtorkelte,_ in der Kommunisten und Nazis aufein-andergestoßen waren, hat sich mir unauslöschlich eingeprägt.Er verband sich für mich mit den Berichten über Straßen- undSaalschlachten, die sich die politischen Gegner — auch Kommu-nisten und Sozialisten — in jenen Jahren lieferten und über dieich in der Zeitung las.

Wer die Nazis waren, was sie taten und wollten, erfuhr ichaus den Äußerungen meines Vaters: »Hitler — das bedeutet Ter-ror, Diktatur, Krieg!« Im letzten freien Wahlkampf vor derMachtübernahme Hitlers gönnte er sich keine Rast. »Berlin

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bleibt rot!« rief er beschwörend in Wahlversammlungen undspontanen Straßenkundgebungen Teilnehmern und Passantenzu. Sein Engagement ließ auch nicht nach, als ein Miteinwohnerim Flur unseres Hauses von einer Kugel verletzt worden war,die meinem Vater gegolten hatte.

Obgleich ich Einzelheiten und Zusammenhänge nicht kannteund übersehen konnte, spürte ich doch die Spannung, die da-mals mein Elternhaus und auch die Straße beherrschte. Als an-läßlich der Reichstagswahl am 5. März 1933 das Leuchtplakat»Wählt Liste I« an unserem Balkon durch Steinwürfe zerfetztwurde, begriff ich intuitiv, daß wir, auch ich, in den Kampf miteinbezogen waren.

An jenem Abend des 31. März 1933 schaute ich von meinemFensterplatz nicht wie sonst spielenden Kindern zu. Es fiel mirschwer, mich zu konzentrieren. Mich beunruhigte das unbe-stimmte Gefühl der Gefahr. Ich wußte, daß die Nazis für denmorgigen Tag, den 1. April, den Boykott jüdischer Geschäfteals erste öffentliche Maßregelung von Juden geplant hatten. Im-mer wieder blickte ich in die Richtung der Kneipe an der EckeEsmarchstraße und Pasteurstraße, die ich von meinem Fensteraus nicht sehen konnte. Ich wußte, daß dieses Lokal von Nazisbevorzugt wurde. Unwillkürlich lauschte ich auf den schnellenSchritt meines Vaters, der längst hätte zu Hause sein müssen.Auch meine Mutter war beunruhigt. Ich hörte, wie sie wieder-holt die Wohnungstür öffnete und in das Treppenhaus und diemit Marmor getäfelte Eingangshalle lauschte. Dann trat meineMutter ins Zimmer, zog mich vom Fenster fort und hieß mich,barscher, als sie gewiß wollte, mit unserem Mädchen Lotte Do-mino spielen. Sie selber blieb am Fenster zurück und starrte wiezuvor ich auf die dunkle Straße.

Ich saß bei unserem Mädchen und nahm lustlos die Domino-Steine auf. Da schrillte die Glocke der Wohnungstür. MeineMutter erschien im Türrahmen und schaute mit starrem Blickauf unser Mädchen. Lotte saß regungslos da. In diesem Augen-blick schien unsere Angst Gestalt anzunehmen und das Zimmererdrückend auszufüllen. Dann sagte meine Mutter sehr be-herrscht: »So öffnen Sie doch. « Lotte ging zur Tür. Kaum hattemeine Mutter die Stimme eines unserer politischen Freundegehört, stürzte sie in den Flur und zog ihn in ein anderes Zim-mer. Alles, was ich noch hören konnte, waren die Worte: »IhrMann muß sofort verschwinden!«

Der Besucher blieb nur wenige Minuten. Dann sah ich, daß

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auch meine Mutter sich zum Ausgehen bereit machte. DieAngst schnürte mir die Kehle zu. Aber ich fragte nichts. Es war,als sähe meine Mutter mich gar nicht. Sie erklärte, scheinbarvöllig ruhig, sie wolle meinen Vater aufsuchen, der gewiß nochmitten in der Abiturientenprüfung stecke. Sie werde bald wie-der zurück sein. Ohne ein weiteres Wort der Mahnung oder derErklärung schloß sie die Wohnungstür hinter sich. Lotte hattestumm genickt. Sie mag nicht älter als 18 Jahre gewesen sein.Ich weiß nicht, wer von uns beiden damals mehr Angst gehabthat. Wir wandten uns wieder dem Domino zu, aber wir konn-ten uns nicht auf das Spiel konzentrieren. Immerzu horchtenwir auf jeden Schritt im Treppenhaus und sahen uns verstört an,wenn es nicht der Klang eines gewöhnlichen Halbschuhs zusein schien.

Ich weiß nicht, wie lange wir so gesessen hatten. Ich weißnur, daß es längst Nacht geworden war, als meine Mutter zu-rückkehrte. Wieder schien sie ganz ruhig, als sie uns erzählte,mein Vater würde die Nacht bei Freunden verbringen. EineBegründung dafür gab sie nicht, und ich begriff, daß es besserwäre, keine weiteren Fragen zu stellen. Ohne Widerspruch ließich mich zu Bett schicken. Aus meinem Zimmer konnte ichaber noch hören, wie sie unserem Mädchen sagte: »Dr.Ostrowski ist verhaftet worden und auch Herr Weber. Keinerweiß, was noch alles kommen mag. Ich werde einen Koffer mitden nötigsten Sachen bereitmachen. Es wird besser sein, wennwir alle morgen nicht hier schlafen.»

Zum ersten Mal waren zwei Männer aus dem engeren Freun-deskreis meiner Eltern verhaftet worden, und auch mein Vaterwar offensichtlich gefährdet. »Die Nazis weisen heute abendständig auf Ihre Wohnung«, hatte der Besucher meiner Muttergesagt. Jeder kannte uns in dieser Gegend und unsere politischeEinstellung.

Verhaftungen — das Wort hatte ich die letzte Zeit oft genuggehört und gelesen, aber es war doch ein abstrakter Begriffgeblieben. An diesem Abend erhielt es für mich eine beängsti-gende Wirklichkeit. Damals galten die Maßnahmen der Nazisnoch in erster Linie ihren politischen Gegnern und erst in zwei-ter den Juden. Die meisten Juden in Berlin waren politischnicht aktiv. Das politische Engagement meines Vaters wurdevon den wenigen jüdischen Freunden, die er noch aus seiner-Studienzeit hatte, nicht verstanden und geringschätzig belä-chelt. Gelegentlich äußerten sie auch die Ansicht, daß allein

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Hitler Ordnung in das politische Durcheinander der WeimarerRepublik bringen könnte. Die Verhaftungen jener Tage be-zeichneten sie als »Übergriffe«.

Die Nacht zum i . April verlief ruhig. Am nächsten Morgenkehrte mein Vater zurück. Mir fiel nichts Ungewöhnliches anihm auf. Er schien heiter, und fast übermütig erzählte er, daßihm der Vater einer Schülerin aus Freude darüber, daß seineTochter das Abitur bestanden hatte, ein Nachtquartier angebo-ten hätte, als ihm die Sorgen meiner Eltern bekannt wurden. Eswar ein unpolitischer jüdischer Arzt, der meinem Vater seinSprechzimmer für die Nacht zur Verfügung stellte. Wir mußtenbei seiner Erzählung über das unbequeme Lager auf der Unter-suchungscouch, umgeben von ärztlichen Instrumenten und ei-nem Skelett, das seltsame Schatten geworfen hatte, herzlich la-chen. Was sich damals drohend andeutete, hatte für uns allenoch allzusehr den Anschein des Einmaligen, des Unwirkli-chen, ja des Kuriosen. Keiner von uns konnte ahnen, daß wireines Tages für eine solche Unterkunft von Herzen dankbarsein würden.

Draußen marschierten sie »... mit ruhig festem Tritt ... «.Demonstrativ zerrissen sie in unserer Straße die schwarzrotgol-dene Fahne der Weimarer Republik in kleine Fetzen. Anderetrugen Spruchbänder und Schilder mit den Parolen: »Deutsche,kauft nicht bei Juden. Das Weltjudentum will Deutschland ver-nichten. Deutsches Volk, wehr Dich ... !« Das konnte ich ausdem Fenster unserer Wohnung mit ansehen. Auf die Straßegingen wir an diesem Tag nicht. Meine Eltern hatten Wichtige-res zu tun. Die Türen der beiden schweren Bücherschränke imsogenannten Herrenzimmer standen weit aufgerissen. Auf demgewaltigen schwarzen Schreibtisch, an dem mein Vater die Hef-te seiner Schüler korrigierte, türmten sich Broschüren, Papiereund Bücher in wüstem Durcheinander. Schonungslos lichtetemeine Mutter die Reihen der Bücher, während mein Vater einwenig hilflos und unglücklich daneben stand. Bücher gehörtenzu den heiligsten Besitztümern meiner Eltern. Ein Buch war daserste Stück gewesen, das sie sich nach ihrer Heirat gemeinsamangeschafft hatten. Noch blieben die Werke der politischenKlassiker wie Marx und Engels von der Aussortierung unbe-rührt. Sie erhielten lediglich andere Plätze, an denen sie nichtsogleich ins Auge fielen. Damals meinten auch meine Elternnoch, daß die Existenz dieser Werke und ihre Lehren dochnicht einfach geleugnet werden könnten. Wichtiger schien es,

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jene Broschüren mit militantem politischem Inhalt, die Auffor-derungen zum Kampf gegen den Nationalsozialismus enthiel-ten, und die provokatorischen Reden, die mein Vater in säuber-lich gebündelten Manuskripten aufbewahrte, zu beseitigen. Umjedes Pamphlet gab es so etwas wie einen kleinen Kampf zwi-schen meinen Eltern. Wenn mein Vater ein bereits zur Vernich-tung verdammtes Bändchen aufnahm, noch einmal darin blät-terte und zweifelnd fragte: »Meinst du wirklich?«, dann konntemeine Mutter, die stets die Aktivere von beiden war und einfein entwickeltes Gespür für Gefahren hatte, geradezu un-wirsch reagieren.

In unregelmäßigen Abständen erschien Lotte mit einem ge-waltigen Waschkorb im Herrenzimmer, um einzusammeln, wasmeine Mutter aussortiert hatte. Bücher und Schriften, die vonmeinen Eltern stets sorgsam bewahrt worden waren, packteLotte nun rücksichtslos und warf sie in ihren Korb. Währendmeine Eltern nach der Radikalrevision der Bücherschränke denInhalt des Schreibtisches einer ebenso rigorosen Prüfung unter-zogen und damit einige Stunden beschäftigt waren, mußte sichLotte um die Vernichtung der Bücher und Manuskripte bemü-hen. Das wäre in der Waschküche, die sich im Keller des Miets-hauses befand, gewiß ein leichtes gewesen, aber das hätte so-wohl bei der Portierfrau wie auch bei den Nachbarn unweiger-lich Verdacht erregt.

Über Nacht hatte sich das Mißtrauen in unser Leben einge-schlichen. Wie unsere Nachbarn dachten, das wußten wir nicht.Über einen unverbindlichen Gruß im Treppenhaus hinaus hattees keine Kontakte gegeben. Konnten wir sicher sein, daß aus soindifferenten Nachbarn über Nacht nicht überzeugte oder op-portunistische Anhänger der neuen Ordnung geworden waren?Dann aber bedeuteten sie eine Gefahr für uns, deren Gegner-schaft zum Nationalsozialsimus nie geleugnet worden war.Früher hatten wir uns nicht darum gekümmert, wes GeistesKind der Nachbar war. Nun beobachteten wir unwillkürlich,ob in seinen Bewegungen, seinen Blicken etwas entdeckt wer-den konnte, was auf seine Einstellung schließen ließ.

Nein, es war undenkbar, die unumgängliche Vernichtung deraussortierten Bücher und Schriften gewissermaßen vor dem Fo-rum aller Nachbarn in der Waschküche vorzunehmen. Daskonnte und mußte in unserem Küchenherd bewältigt werden.Er war diesen Papiermassen nicht gewachsen. In kürzester Zeitwar unsere Küche vom Qualm erfüllt. Das ergab ein neues

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unerwartetes Problem. Wir konnten nicht wagen, den Qualmdurch unser Küchenfenster in den Hof abziehen zu lassen. DieBewohner der Hinterhäuser hätten Verdacht geschöpft und unsPolizei oder Feuerwehr ins Haus geschickt. Diese Hinterhäu-ser, die als Seitenflügel und Quergebäude den engen Hof um-schlossen, hatte ich nie betreten. Ich wußte nur, daß dort armeLeute lebten, ohne daß der Begriff Armut recht klar war. Andiesem Tag erschienen die Hinterhäuser mit Leben erfüllt. AusRundfunkgeräten dröhnten Marschmelodien in den Hof. Inden Treppenhäusern herrschte geschäftiges Kommen undGehen.

Lotte scheuchte mich vom Küchenfenster fort, das nur einenSpalt offenstand, um wenigstens einen Teil des Rauches unauf-fällig abziehen zu lassen. Wie eine Hexe aus dem Märchen standLotte am Herd, Gesicht und Hände geschwärzt vom Ruß undverzweifelt darum bemüht, den Papierberg zu »verarbeiten«.Ich verließ die Küche mit der strengen Mahnung von Lotte, janicht wiederzukommen oder die Küchentür offenstehen zu las-sen. Es war äußerst ungemütlich für ein kleines Mädchen, dasan dem geschäftigen Treiben der Erwachsenen nicht teilnehmendurfte und ihnen im Wege stand, das aber auf seine Weise sichvor dem Unbestimmten fürchtete, das diese unverständlichenund unheimlichen Aktivitäten veranlaßte. Wer hätte mir damalserklären können, was 1933 in Deutschland vor sich ging? War-um Menschen wegen ihrer Rassenzugehörigkeit, ihres Glau-bens oder ihrer politischen Überzeugung verfolgt, erniedrigtund gepeinigt wurden? Habe ich es später verstanden? Ich glau-be nicht.

Als die Flammen im Kochherd erloschen und das letzte Pa-pier zu Asche verglommen war, atmeten wir auf. Meine Mutterüberlegte bereits, was als nächstes getan werden mußte. »Sobaldes dunkel wird, fahren wir nach Spandau«, entschied sie. Dashörte ich gerne. In Spandau wohnte Tante Elsa Hannes, eineSchwester meines Vaters, mit ihrem Mann. Sie hatten selberkeine Kinder und verwöhnten mich bei jeder Gelegenheit. DieHannes waren wohlhabende Leute, denen in Spandau ein Her-ren- und Knabenbekleidungshaus gehörte. Bei ihnen gab es imÜberfluß, was in unserem sparsamen Beamtenhaushalt nur sel-ten auf den Tisch kam.

Am Abend dieses 1. April verließen wir das Haus. Wir ver-mieden jedes laute Geräusch. Fast schlichen wir uns davon.Nach dem Lärm des Tages, nach Trommeln, Querpfeifen und

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Marschmusik war die Stille des Abends fast spürbar. Wir trafennur wenige Menschen auf der Straße. An einigen jüdischen Ge-schäften waren Spuren des Geschehens zu erkennen. Ein Da-vidstern in weißer Ölfarbe auf eine Schaufensterscheibe gemaltoder Glasscherben auf dem Pflaster vor einem Geschäft, diedarauf hindeuteten, daß es hinter den herabgelassenen Rollädenkeine Scheiben mehr gab. Das war alles, was wir an diesemAbend sehen konnten. Ich bin überzeugt, daß meine Eltern sichangesichts dieses friedlichen Abends fragten, ob wir nicht auchhätten zu Hause bleiben können und ob alles, was wir in denletzten Tagen erlebt hatten, nicht mehr als ein böser Spuk war,der so schnell, wie er gekommen war, wieder verschwindenwürde.

Was wir in Spandau zu hören bekamen, wirkte ebenfalls be-ruhigend. Gewiß, SA-Posten hatten vor dem Geschäft von On-kel Hannes gestanden. Einer dieser SA-Männer hatte sich sogarentschuldigt: »Es ist nur so eine Maßnahme ... « Gute Kundenhatten, ohne belästigt zu werden, das Geschäft betreten kön-nen. Es herrschte eine seltsame Stimmung an jenem Abend. Eswar, als hätte die Hoffnung, daß alles doch noch gut werdenkönnte, ein Stückchen Wirklichkeit gewonnen.

Nach diesem Ausflug nach Spandau, der mehrere Tage ge-dauert hatte, waren wir wieder in unsere Wohnung zurückge-kehrt. Mir schien es dennoch nicht mehr das gleiche »Zuhause«zu sein. Mit ihm verband sich nicht mehr das einstige Gefühlder Geborgenheit. Immer wieder horchte ich auf Schritte imTreppenhaus, als könnten sie eine nahende Gefahr ankündigen.Meine Eltern schienen nicht mehr so besorgt zu sein. Einigeunserer Freunde waren aus der Gestapo-Haft in der Prinz-Al-brecht-Straße entlassen worden. Ich hörte nur Bruchstücke ih-rer Berichte: »... da war ein langer Gang, durch den ich rennensollte, und als ich ihrem Befehl nicht schnell genug folgte,schlugen sie aus allen Richtungen auf mich ein, bis ich wiebewußtlos dahintorkelte ... « Andere schwiegen über ihre Er-lebnisse, und wieder andere gelangten nie mehr in die Freiheit.Sie wurden sofort in ein Konzentrationslager eingewiesen, undnur die wenigsten von ihnen überlebten. Der Begriff Konzen-trationslager hatte damals noch nicht die Bedeutung erlangt wieheute. Hinter vorgehaltener Hand wurden Namen genannt:Oranienburg oder Dachau.

Eine Woche später erhielt mein Vater ein Schreiben des Pro-vinzialschulkollegiums. Es enthielt die Mitteilung, daß das erste

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von der neuen Reichsregierung gegen ihre politischen Gegnerund gegen Juden erlassene Gesetz auch gegen meinen Vaterangewandt wurde. Ich sehe ihn noch heute vor mir, wie ererblaßte und jeden Satz, jedes Komma dieses Schreibens genaustudierte, als könnte er in ihm doch noch einen anderen Sinnfinden. Der Text war eindeutig. Das Gesetz zur Wiederherstel-lung des Berufsbeamtentums bestimmte die Entlassung all dereraus dem Staatsdienst, deren »politische Betätigung nicht dieGewähr dafür bot», daß sie jederzeit rückhaltlos für den Natio-nalstaat eintreten würden, und solcher, die nichtarischerAbstammung waren, sofern sie nicht als Frontsoldaten im Er-sten Weltkrieg gedient hatten. Mein Vater hatte als Freiwilligeram Ersten Weltkrieg teilgenommen. Mit Stolz hatte meineGroßmutter stets erwähnt, daß ihre drei Söhne ihre Pflicht ge-genüber dem »Vaterland« erfüllt hätten. Auf meinen Vater trafalso jene Bestimmung des Gesetzes nicht zu, die sich gegen»nichtarische« Beamte richtete. Seine politische Einstellung undBetätigung waren der Grund seiner Entlassung. Diese gesetzli-che Maßnahme bedeutete für die davon Betroffenen praktischdie Vernichtung ihrer beruflichen Existenz. Von einem Tag zumanderen waren sie ihrer Posten enthoben und wurden damitzunächst arbeitslos. Drei Monate wurden ihnen noch die vollenBezüge belassen, danach sollte denjenigen, die über zehn Jahreim öffentlichen Dienst gestanden hatten, das Recht auf dreiViertel ihrer Pension zugestanden werden. Ob und wie sie wie-der in den Arbeitsprozeß eingegliedert werden sollten, bliebvöllig offen.

Unsere jüdischen Freunde, die nicht von den neuen Gesetzenbetroffen worden waren, klopften meinen Eltern auf die Schul-ter und meinten, es würde sich schon irgendeine Lösung aus derMisere finden lassen. Jemand wie Hitler hätte schließlich kom-men müssen, um der Arbeitslosigkeit und der AusbeutungDeutschlands durch die Alliierten ein Ende zu machen. So hättees doch nicht weitergehen können. Sie zitierten dann das Bei-spiel Mussolinis und die Trockenlegung der PontinischenSümpfe. So und nicht anders würde es mit Hitler auch werden.

Daß auch unter Mussolini Menschen ihrer Gesinnung wegenhatten sterben müssen, wurde in diesem Zusammenhang nichterwähnt. Für diejenigen, die schon damals Deutschland verlie-ßen, weil ihnen die neuen Gesetze keinerlei Existenzmöglich-keiten boten, hatten die meisten Juden in Berlin nur ein mitlei-diges Lächeln übrig. Wie konnte man sich nur so von Panik

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erfassen lassen! Auch meinen Eltern erschien der Gedanke aneine Auswanderung absurd. »Ich bin schließlich preußischerBeamter, der nicht einfach alles im Stich lassen kann«, meintemein Vater.

Die Hoffnung, daß sich in nicht allzu ferner Zeit alles wiederzum Besseren wenden könnte, war keineswegs erloschen.Überdies galt auch für die Juden in Deutschland das Gesetz derGewöhnung. Man gewöhnte sich an die Tatsache, als Jude dis-kriminiert zu werden. Man nahm es hin und richtete sich ein.Der Grundsatz, daß Juden, die im Ersten Weltkrieg gedienthatten, nicht zu maßregeln seien, sofern sie nicht politisch anti-nationalsozialistisch engagiert waren, wurde im wesentlicheneingehalten. Um die »privilegierte« Stellung dieser Juden zubetonen, wurde ihnen noch im August 1935 »im Namen desFührers und Reichskanzlers« das von Hindenburg gestifteteEhrenkreuz für Frontkämpfer zur Erinnerung an den ErstenWeltkrieg überreicht. Auch mein Vater wurde aus diesem Anlaßauf unser Polizeirevier in der Grolmannstraße bestellt. Es wareine groteske Situation: Vor ihm, dem wegen seiner politischenEinstellung gemaßregelten Juden, salutierten die diensthaben-den Polizeibeamten, um ihm für seinen Einsatz im Ersten Welt-krieg zu - danken. Mit Handschlag gratulierten sie ihm zu derEhrung, die sie im Auftrag des Führers und Reichskanzlersvornehmen durften. Die vom Polizeipräsidenten Berlins unter-zeichnete Ehrenurkunde befindet sich noch heute im Besitzmeines Vaters. Allerdings galt diese Sonderstellung der ehemali-gen Frontkämpfer nicht für die Provinz, wo Ausschreitungenauch vor ehemaligen Frontkämpfern nicht haltmachten.

Die politischen Parteien und die Gewerkschaften waren zer-schlagen, ihre Führer verhaftet. Widerstand einzelner gegen dieÜbermacht des Staates schien sinnlos zu sein. Der Massen-rausch der Sieger hielt an. Der 1. Mai 1933 war für uns beson-ders schwer zu ertragen. Gewaltige Marschblöcke von HJ, SA,SS zogen durch Berlin. Spielmannszüge begleiteten sie mitMarschmusik. Immer wieder von neuem brandete Gesang auf:»Es zittern die morschen Knochen ... « oder »... wenn's Juden-blut vom Messer spritzt, dann geht's noch mal so gut ... «. Wirschlossen an diesem 1. Mai die Fenster, um nicht zu hören, wiedieser Tag von den neuen Machthabern politisch verwandeltund geschändet wurde.

Die durch die vorzeitige Pensionierung erzwungene Untätig-keit war für meinen Vater eine schwer erträgliche psychische

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Belastung. Ihm war zwar Dreiviertel seines Ruhegehalts zugebil-ligt worden, aber es reichte nicht aus, den Lebensunterhalt zubestreiten. Was sollte er tun? Er konnte sich nicht in dieser neuenSituation zurechtfinden. Freunde, die sich in einer ähnlichenLage wie er befanden, holten ihn aus seinen Grübeleien. Über-dies konnte es nachteilig sein, sich ständig zu Hause aufzuhalten.So verlagerte sich unser Leben im Sommer 1933 in eine jenerzahlreichen Berliner Schrebergartenkolonien. Freunde meinerEltern, der einstige Gewerkschaftsfunktionär und MetallarbeiterKurt Hähnel und der einstige Stadtrat und Drucker Hans Weber,besaßen eine solche Laube mit dazugehörigem Gartenland. Dorttraf sich ein kleiner Kreis jener, die wie meine Eltern wegen ihrerpolitischen Betätigung vom sogenannten Dritten Reich ausge-schieden worden waren. Dazu gehörte der Tischler Paul Garn,ein großer, kräftiger Mann mit gütigen Augen. Auch er warwegen seiner Aktivität für die SPD arbeitslos geworden. Für ihnwar damit eine Welt zusammengebrochen. An Hans Weber erin-nere ich mich nur als an einen hageren, ergrauten Mann, derselten lachte. Er schien über die Ereignisse und Vorgänge, derenZeuge er geworden war, mehr zu meditieren, als daß er ent-schlossen Stellung bezogen hätte. Meine ganze Sympathie gehör-te dem hünenhaften Kurt Hähnel und seiner Frau. Beide warenwohl die Jüngsten in diesem Kreis und fanden trotz ihrer eigenenSorgen immer wieder auch ein gutes Wort für mich. Aber das wares nicht allein, was sie mir so sympathisch machte. Von ihnenging Energie und Bereitschaft zum Kampf aus, während dieanderen sowie auch mein Vater resignierten. An Wochenendenerweiterte sich dieser Kreis ehemaliger Kampfgefährten aus derSPD. Ich erinnere mich besonders an den Sattler Jakob Hein undan die Familie Richard Junghans, weil unsere Verbindung zuihnen auch später nicht abriß. Die Männer beschäftigten sich mitGartenarbeit oder spielten Skat. So verging der Sommer 1933 inden Lauben von Webers und Hähnels.

Natürlich beherrschte die politische Lage und ihre Entwick-lung alle Gespräche in diesem Kreis. Jeder der Betroffenen warder Überzeugung, daß der nationalsozialistische Spuk imHöchstfall drei Monate dauern könnte. Auch das war die selt-same Blüte einer irrealen Hoffnung, denn die gleichen Menschenhatten zuvor ihre deutschen Mitbürger vor Hitler gewarnt:»Hitler bedeutet Krieg!» Nun war Hitler an der Macht, undnichts deutete zunächst darauf hin, daß ihm diese Macht genom-men werden könnte.

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Meine Eltern beschlossen, in eine Gegend Berlins umzuzie-hen, in der sie und ihre politische Einstellung nicht bekanntwaren. In einem Gartenhaus in der Uhlandstraße im WestenBerlins fanden sie eine kleinere Wohnung. Der Zufall wollte es,daß ein auch aus politischen Gründen suspendierter Rektor ei-ner weltlichen Schule, Walter Rieck, in dem gleichen Haus inder Uhlandstraße eine Wohnung über uns bezog. Durch seineVermittlung konnte bald darauf einer seiner Kollegen,Dr. Thaus, dem das gleiche Schicksal widerfahren war, ebenfallsin eine Wohnung dieses Hauses einziehen. Für unsere drei Fa-milien brachte das erhebliche Vorteile mit sich. Allein die neueNachbarschaft von Gesinnungsgenossen war in diesen schwie-rigen Zeiten von großem Wert. Alle drei Familien hatten zu-nächst mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen, denndie dreiviertel Pension bot keine ausreichende materielle Basis.Dr. Thaus übernahm Adressenschreiben als zusätzliche Ein-nahmequelle. Wir alle halfen bei dieser mühseligen Arbeit, so-bald wir Zeit dazu fanden. Ich tat es im Unterschied zu denErwachsenen gern. Frau Jenny Rieck begann wieder zu schnei-dern und ernährte damit ihre Familie. Mein Vater gab Auslän-dern Deutschunterricht. Zu seinen Schülern gehörten vornehm-lich chinesische Studenten, die zu jener Zeit in großer Zahl ander Berliner Universität studierten. Als er später eine andereBeschäftigung fand, übernahm Dr. Thaus diese Nachhilfe-stunden.

Den Mitbewohnern unseres Hauses konnte der enge Kontaktdieser drei Familien nicht entgehen. Es verging kein Tag, andem wir nicht in einer der drei Wohnungen zusammenkamen.Dabei wurden natürlich in erster Linie die innen-und außenpo-litischen Vorgänge und Ereignisse diskutiert. Als der Röhm-Putsch am 30. Juni 1934 bekannt wurde, schien sich der Zusam-menbruch des Hitler-Regimes anzukündigen. Im engsten Kreisum Adolf Hitler hatte die Selbstzerfleischung offensichtlich be-gonnen.

Uns störte es nicht, daß die enge Beziehung zwischen diesendrei Familien von anderen im Haus beobachtet wurde. Die neueUmgebung, in der uns niemand kennen konnte, hatte uns dieGefahren vergessen lassen, die mit einer politischen Gegner-schaft gegen das neue Regime verbunden waren. Wir wurdensehr unsanft daran erinnert, als eines Morgens zwei Beamte derGeheimen Staatspolizei erschienen und einen Haussuchungsbe-fehl vorwiesen. Meine Mutter und ich waren allein zu Hause.

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