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Verlag und Copyright:© 2014 byGeorg Thieme Verlag KGRüdigerstraße 1470469 StuttgartISSN
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Karriere
Feminisierung des ArztberufsIm Medizinstudium in Deutschland ist ein
zunehmender Frauenanteil zu beobachten.
Die Zahl der Studienanfängerinnen über-
steigt deutlich die der Studienanfänger. Dem-
entsprechend hat sich auch die Geschlechter-
relation der zur Approbation zugelassenen
Absolventen inzwischen zugunsten der Frauen
verschoben:
• Von insgesamt 9763 Absolventen im Jahr
2011 waren 6040 (62 %) weiblich [1].
Diese sogenannte Feminisierung des Arzt-
berufs ist in anderen Ländern, beispielsweise
Skandinavien, schon länger eingetreten [2, 3].
Kinder als Karrierehindernis?Der Anteil von Frauen in Führungspositionen
ist in Deutschland vergleichsweise gering
– dies gilt auch und gerade für die Medizin.
Nimmt man quantitative Daten, so zeigt sich
typischerweise im Laufe der berufl ichen Ent-
wicklung der Geschlechter ein scheren artiges
Muster: Frauen bleiben, trotz zunächst bester
Voraussetzungen durch Ausbildung und Mo-
tivation, im Berufserfolg hinter den Männern
zurück – v. a. wenn man den Status in der
Hie rarchie und das Einkommen betrachtet.
Besonders deutlich ist dies bei Frauen mit
Kindern. Diese quantitativen Daten sagen zu-
nächst einmal nichts über die Ursachen dieser
Ungleichheit aus. Es scheint nämlich nicht die
Elternschaft per se eine Beeinträchtigung für
den Berufserfolg von Frauen zu sein, sondern
die häufi g damit verbundene Reduktion der
Arbeitszeit und der vorübergehende Ausstieg
aus dem Beruf, etwa in Form von Elternzeit.
Wenn Schwangerschaft, Kinderbetreuungs-
zeiten und Teilzeitbeschäftigung als Karriere-
hindernisse angesehen werden können, so
stellt sich die Frage, ob es psychologische,
strukturelle und soziale Merkmale gibt, die
den Berufserfolg von Ärztinnen, insbesondere
von Müttern, fördern. Die quantitativen Daten
sprechen hier eine recht eindeutige Sprache:
Wenn der Berufserfolg eintreten soll, sollte
man auch bei Elternschaft eine (mehr oder
weniger durchgehende) Vollzeitbeschäfti-
gung anstreben. Doch welche Faktoren sehen
die Ärztinnen selbst als entscheidend für ihre
Karriereentwicklung an?
Doppelkarrierepaare im FokusIn unserer Untersuchung1 zu Doppelkarriere-
paaren haben wir uns spezifi sch mit Paaren
befasst, bei denen die Frau Ärztin ist und der
Mann den gleichen oder einen anderen Be-
ruf ausübt. Ziel unserer Untersuchung ist, die
karriereförderlichen und karriere hemmenden
Faktoren zu rekonstruieren, die für den Arzt-
beruf im Allgemeinen und die Ärztin im Be-
sonderen gelten. Dabei haben wir uns v. a.
mit den Paaren beschäftigt, die Kinder haben
oder im Untersuchungszeitraum Kinder be-
kommen haben. Dazu haben wir beide Part-
ner getrennt viermal im Laufe von etwa fünf
Jahren interviewt, um so auch einen Einblick
in die Dynamik des familialen und berufl ichen
Entwicklungskontextes zu erhalten.
Auch in der Medizin dominieren in den Führungsetagen nach wie vor die Männer, obwohl es immer mehr Ärztinnen gibt. Mit welchen Strategien kann man das ändern? Welche individuellen, sozialen und arbeitsstrukturellen Einfl ussfaktoren fördern die Karriere von Frauen? Von Swantje Reimann und Dorothee Alfermann
Vier Faktoren, die Sie voranbringenKarriereentwicklung von Ärztinnen
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1 Gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und den Europäischen Sozialfonds (ESF) für eine Laufzeit von 2008-2014; Förderkennzeichen: 01FP1241, 01FP1242, 01FP1243, 01FP1244.
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XX • 04 2014
Die Studie stellt durch ihren längsschnitt-
lichen Ansatz und die Fokussierung auf
Ärztinnen in Partnerschaft, vorzugsweise
mit Kindern, eine Neuheit in der Forschung
zur berufl ichen Entwicklung von Ärztinnen
in Deutschland dar. Mittels der Ergebnisse
können Vorschläge zur Karriereförderung
von Ärztinnen am Arbeitsplatz Kranken-
haus formuliert werden, was wiederum
zur Geschlechtergleichstellung beiträgt
und die Personalgewinnung und Personal-
entwicklung in Kliniken verbessern könnte.
Der hier vorgestellte Beitrag ist aus Teiler-
gebnissen von längsschnittlichen Einzel-
interviews mit Ärztinnen und ihren Partnern
entstanden, die zwischen 2008 und 2013
erhoben wurden. Zum ersten Zeitpunkt ha-
ben wir insgesamt 27 Einzelinterviews mit
Ärztinnen und zusätzlich mit ihren jeweili-
gen Partnern (in einem Fall eine Partnerin)
geführt. Im Abstand von je 12 bis 18 Mona-
ten wurden drei weitere Interviews geführt.
Zum vierten Erhebungszeitpunkt waren
noch 17 Ärztinnen und ihre Partner bereit
zu einem Interview. Aus deren biografi schen
Angaben sowie aus den Aussagen in den In-
terviews, die jeweils über einen Zeitraum
von bis zu fünf Jahren geführt wurden, las-
sen sich inhaltsanalytisch Karrieremuster [4]
und Karrierebedingungen für Ärztinnen re-
konstruieren, die sich aus vier Komponenten
zusammensetzen, die ausführlich in Abb. 1
dargestellt sind:
• die Ärztin selbst und ihre Motivation
• die soziale Umgebung, v. a. der Partner
• die Bedingungen am Arbeitsplatz
• Kinderbetreuung
Diese Komponenten tragen alle dazu bei,
die berufl iche Karriere von Ärztinnen hin
zur Chefärztin zu befördern oder (bei Fehlen
von nur einer Komponente) zu behindern.
Anhand von zwei Fallbeispielen erfolgrei-
cher Karrieren werden wir dies im Folgen-
den konkretisieren (alle Namen wurden
geändert und die Daten anonymisiert). Bei
der Beschreibung führen wir die genannten
Einfl ussfaktoren 1 bis 4 nacheinander auf.
Abb. 1 Determinan-ten der Karriere von Ärztinnen.
Die 4 Säulen bei der Förderung der Karriere von Ärztinnen
Die Ärztin selbst: mit ihren Fähigkeiten und Zielen, ihrer Motiva tion und Einsatz bereitschaft
Eine Karriere erfordert die entsprechenden Fähig keiten und den un-bedingten Willen dazu, auch wenn Widerstände, z. B. fehlende Unterstüt-zung, auftreten.
Die soziale Umgebung, allen voran der Partner sowie weitere Familien-mitglieder
Die aktive, instrumen-telle und emotionale Unterstützung des Partners spielt eine wesentliche Rolle für die Karriere entwicklung der Frau. Dabei lässt sich auch beobachten, dass der Partner selbst in sei-nem berufl ichen Streben zurücksteckt (zumindest vorübergehend) – bis die Karriere der Partnerin gesichert ist.
Der Arbeitsplatz und seine strukturellen sowie personellen Bedingungen
Hierzu fi nden sich in erster Linie Beispiele für eine forschungs intensive Betreuung, eine Wert-schätzung der Ärztin und Vertrauen in ihre Fähigkeiten sowie daraus resultierend eine hohe Unterstützung durch den Chef. Umgekehrt lassen sich auch Beispiele fi nden, die den Abbruch der Karriere begünsti-gen, insbesondere durch abwertende Kommentare und fehlende Unter-stützung von Chefs und Kollegen im Gefolge von Schwangerschaft und Mutterschaft.
Zugänglichkeit von Be-treuungseinrichtungen für Kinder und Entfer-nung zum Arbeitsplatz
Kinderbetreuungsein-richtungen haben eine zentrale Bedeutung, auch wenn wir von Beispielen berichten, wo Familien-mitglieder die Betreu-ung der Kinder (mit) übernehmen. So wird in vielen Fällen deutlich, dass gerade die ärztliche Karriere entwicklung zuverlässiger Kinderbe-treuungseinrichtungen bedarf. Die zeit liche Beanspruchung von Ärzten und Ärztinnen ist üblicherweise sehr hoch, sodass neben öff entlicher regelmäßig auch zusätz-liche private Betreuung notwendig wird.
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Karriere
bemüht er sich um eine berufl iche Anstellung
und plant dort nach dem Umzug seine eigene
berufl iche Karriere.
ArbeitsplatzgestaltungWährend ihrer gesamten berufl ichen Karriere
hat sie sehr gute Arbeitsbedingungen (z. B. in
renommierten Forschergruppen) vorgefun-
den, von Drittmitteleinwerbungen profi tiert
und Unterstützung durch Vorgesetzte erhal-
ten. Vor ihrem Wechsel in Stadt B hat der
dortige Vorgänger auf ihrer Professur seinen
Arbeitsvertrag verlängert, weil sie aufgrund
ihrer Schwangerschaft erst verspätet die Stelle
antreten konnte und weil ihr so die Entschei-
dung für eine Rufannahme erleichtert werden
sollte.
KinderbetreuungIn Stadt A kann das erste Kind in eine gerade
eröff nete Kinderkrippe/-tagesstätte des Kli-
nikums gehen und wird bis zum Umzug der
Familie dort betreut. Für das zweite Kind steht
zunächst kein Betreuungsplatz zur Verfügung,
sodass bis zum Umzug – während die Ärztin
in Stadt B arbeitet – sowohl der Vater wie die
Großeltern die Kinderbetreuung übernehmen
(müssen). Nach dem Umzug werden (neben
den Eltern und der Großmutter der Kinder)
Kindertagesstätten für die Betreuung zur Ver-
fügung stehen.
ZusammenfassungFrau Professorin Dr. Dr. Ines A. hat sehr viel
investiert in eine Karriere, die neben der
Patienten betreuung viel Zeit für die ständige
berufl iche Weiterbildung und insbesonde-
re die Forschung sowie die Betreuung von
Forscher gruppen erfordert. Sie bringt eine
hohe Motivation mit und macht sich mit ihren
Forschungsarbeiten, die dann auch in die Qua-
lität der Patientenbetreuung einfl ießen, einen
Namen. In ihrem berufl ichen Umfeld hat sie
besonders bzgl. ihrer wissenschaftlichen Tä-
tigkeit Förderung erfahren. In ihrem privaten
Umfeld hat ihr Partner und Ehemann sie stets
unterstützt und tut dies besonders tatkräftig
nach der Geburt der Kinder. Auch weitere
Familienmitglieder und Kindertagesstätten
helfen mit. Der Zeitpunkt der Geburten ist in-
sofern gut gewählt, als Ines A. inzwischen alle
Voraussetzungen für eine Professur mitbringt,
sodass auch die beiden Schwangerschaften
ihrer Karriere keinen Abbruch tun, ganz im
Gegenteil. Hinzu kommt, dass sie nach den
Geburten relativ schnell wieder zurück an den
Arbeitsplatz kehrt und dennoch eine Inte-
gration der Berufstätigkeit mit dem Familien-
leben gelingt. Alles in allem greifen die vier
Einfl usskomponenten also nahtlos ineinander,
wobei – wie auch im nächsten Fall – deutlich
wird, dass persönliche Initiative für die Rege-
lung der Kinderbetreuung unerlässlich ist.
Fallbeispiel 1Die Ärztin selbstInes A. ist 1969 geboren und einzige Tochter
von sehr leistungsorientierten und berufs-
motivierten Eltern (keine Ärzte). Schon früh
lernt sie Musikinstrumente spielen und treibt
Wettkampfsport. Nach dem Medizinstudium,
das sie als Stipendiatin der Studien stiftung
des Deutschen Volkes absolviert, erwirbt sie
zwei Doktortitel (Dr. med. und Dr. rer. nat.),
anschließend den Facharztabschluss für Anäs-
thesiologie, habilitiert sich und wird für ihre
Forschungsarbeiten mehrfach mit Preisen
ausgezeichnet. Zum Zeitpunkt des ersten
Interviews ist sie stellvertretende Klinikchefi n
einer Universitätsklinik in Stadt A, hat zusätz-
lich mehrere ehrenamtliche Tätigkeiten ihres
Berufsstands übernommen und ist außerdem
gerade schwanger. Zwei Jahre später hat sie
eine Professur an einem Universitätsklinikum
in Stadt B angenommen, das etwa 5 Fahrstun-
den von Stadt A entfernt liegt. Sie bekommt
ein zweites Kind und nach beiden Geburten
steigt sie nach der Mutterschutzzeit wieder
in ihre berufl iche Tätigkeit am jeweiligen Kli-
nikum ein, reduziert allerdings die Zahl der
Überstunden und ihre weiteren (ehrenamt-
lichen) Verpfl ichtungen.
Partner und FamilieIhr Partner, den sie über ihr Hobby kennen-
gelernt hat, ist selbstständig als Berater tätig
und unterstützt ihre Karriere, indem er nach
der Geburt der Kinder einen hohen zeit lichen
Anteil der Kinderbetreuung übernimmt. Bis
zum Umzug in Stadt B helfen außerdem sei-
ne Eltern bei der Kinderbetreuung aus, nach
dem Umzug ihre Eltern. Darüber hinaus wer-
den Kindertagesstätten und Tagesmutterbe-
treuung in Anspruch genommen. In Stadt B
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Fallbeispiel 2Die Ärztin selbstJeanne G. ist 1965 geboren und ebenfalls
einziges Kind von sehr leistungsorientierten
Eltern. Sie studiert Medizin, lernt dabei ihren
späteren Mann kennen. Ihr Sohn wird bald
danach geboren, ist zum Zeitpunkt des ers-
ten Interviews 19 Jahre alt und zieht gerade
aus dem Elternhaus zum Studium in eine an-
dere Stadt. Frau Dr. med. Jeanne G. und ihr
Mann sind inzwischen Fachärzte für Innere
Medizin. Nach jahrelanger Tätigkeit an der-
selben Universitätsklinik in Stadt C wechselt
ihr Mann in eine Arztpraxis, während Jeanne
an der Uni klinik bleibt, sich dort habilitiert
und als apl. Professorin zur stellvertretenden
Klinikdirektorin ernannt wird. Ihre Partner-
schaft schildern beide als gleichberechtigt
und harmonisch. Zwischen dem ersten und
zweiten Interview bekommt Frau G. eine
Chefarztstelle angeboten, die sie annimmt.
Ihr Ehemann verstirbt plötzlich kurz darauf.
Zum Zeitpunkt des letzten Interviews ist Frau
G. weiterhin ärztliche Leiterin des Kranken-
hauses mit erweitertem Aufgabenspektrum.
Sie lebt inzwischen mit einem neuen Partner
zusammen, der eine Chefarztstelle an dem-
selben Krankenhaus wie sie hat („er versteht
meinen Beruf“).
Partner und FamilieDer (später verstorbene) Partner von Jeanne
G. hat zunächst eine ähnliche Karriere wie sie
gemacht, aber dann die Uniklinik verlassen
und sich in einer Praxis niedergelassen, um
ihrer Karriere nicht im Wege zu stehen, denn
eine Tätigkeit an derselben Klinik hielt er für
problematisch. Er war auch darauf eingestellt
und bereit, im Falle eines zu erwartenden
berufl ichen Wechsels von Jeanne in eine an-
ZusammenfassungFrau apl. Professorin Dr. Jeanne G. hat als
Internistin die Leitung eines Krankenhauses
übernommen. Sie bleibt dort und ihr Aufga-
benspektrum wird zusätzlich erweitert. An-
ders als Ines A. hat sie ihr Kind schon vor der
Facharztausbildung bekommen und muss da-
durch zunächst zurückstecken, indem sie 10
Monate Elternzeit nimmt; andererseits aber
ist ihr Sohn zum Zeitpunkt ihrer weiteren Qua-
lifi zierung aus dem Gröbsten raus. Ohne ihre
Schwiegermutter hätte sie die Betreuung des
Kindes zunächst aber nicht sichern können.
In der Zeit ist ihr Mann berufl ich sehr einge-
spannt – später tritt er zugunsten der Karriere
seiner Frau berufl ich kürzer. Nach dem Abitur
ihres Sohnes wird sie Klinikchefi n, der plötz-
liche Tod ihres Mannes triff t sie unmittelbar
danach. Auch ihr neuer Partner ist Arzt und
hat eine berufl iche Karriere am Krankenhaus
vorzuweisen. Beide Partner werden als wich-
tige Unterstützer ihrer berufl ichen Karriere
wahrgenommen. Weiterhin berichtet sie von
unterstützendem Verhalten ihrer Vorgesetz-
ten während ihrer Facharztweiterbildung und
danach auf dem Weg zur Habilitation.
Insgesamt hat Jeanne G. eine sehenswerte
Karriere gemacht, obwohl sie – teils durch
Tod ihrer Mutter und ihres Mannes, teils durch
fehlende Kinderbetreuungseinrichtungen
– Schwierigkeiten hatte, soziale Unterstüt-
zung in ihrem familiären und außerfamiliären
Umfeld zu bekommen. In ihrer berufl ichen
Karriereentwicklung lassen sich die vier Ein-
fl ussgrößen deutlich sichtbar machen, und
bei einem Fehlen von Unterstützung werden
kompensatorische Anstrengungen erkennbar,
um die berufl iche Karriere abzusichern.
dere Stadt mitzukommen und sich dort eine
neue Existenz aufzubauen. Er kann also als
unterstützende Person in ihrer Karriereent-
wicklung gelten. Bei der Kinderbetreuung
hat anfänglich Jeanne 10 Monate Elternzeit
genommen, dann hat die Großmutter des
Jungen die Betreuung übernommen, da in
Stadt C (in Westdeutschland) zum damaligen
Zeitpunkt Kindertagesstätten für Kleinkinder
nicht vorhanden waren. Später übernehmen
Tagesmutter, Kindertagesstätte und Hort
die außer familiäre Betreuung des Sohnes.
Der neue Partner von Jeanne unterstützt sie
in ihrem Beruf und lebt mit ihr eine gleich-
berechtigte Partnerschaft.
ArbeitsplatzgestaltungIm ersten Interview erwähnen Jeanne G. wie
auch ihr damaliger Mann mehrfach die beson-
deren Hindernisse, die eine Frau im „männ-
lichen“ Medizinbetrieb erleben kann. Sie
selbst hat während ihrer fachärztlichen Wei-
terbildung Unterstützung durch eine Oberärz-
tin bekommen, die auf die damalige Familien-
situation mit einem Kleinkind Rücksicht bei
den Dienstplänen nahm. Danach hat sie an
der Uniklinik Förderung durch ihren damali-
gen Chef erfahren, der Wert auf Forschung
und Habilitation legte und sie „entgegen aller
anderen männlichen Intrigen“ gefördert hat.
KinderbetreuungÄhnlich wie beim zweiten Kind von Ines A.
hat auch Jeanne G. zunächst keine Hilfe durch
öff entliche Kinderbetreuungseinrichtungen
erhalten, sondern muss die Kinderbetreuung
privat organisieren. Erst später, im Vorschul-
alter, übernehmen öff entliche Einrichtungen
(neben einer Tagesmutter) diese Aufgabe.
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Karriere
KarrierehemmnisseNeben erfolgreichen Karrieren an Kliniken fi n-
den sich in unserem Material aber auch krisen-
hafte Karriereentwicklungen, die schließlich
nach erfolgreichem Beginn an einer Klinik zu
einer Niederlassung in einer ärztlicher Praxis
führen bis hin zum (vorübergehenden, aber
jahrelangen) Ausstieg aus der ärztlichen Tä-
tigkeit. Gemeinsam ist all diesen Fällen, dass
der Spagat von Kind und Karriere für die
Frauen aus ihrer Sicht nicht mehr zu leisten
ist. So fehlte bei Melina Z. nach der ersten
Schwangerschaft die Weiterförderung ihrer
Forschung und Habilitationsarbeit durch den
Vorgesetzten, danach entpuppte sich der
Familien wohnsitz im ländlichen Bereich und
damit die tägliche Fahrt zur Universitätsklinik
als zu aufwändig, und schließlich erwies sich
die Übernahme der Arztpraxis des Vaters als
eine erstrebenswerte Alternative.
Bei einem Arztehepaar in Süddeutschland hat
die Frau nach erfolgreicher Facharztprüfung
wegen der Geburt von zwei Kindern jahre-
lang berufl ich ausgesetzt, um dann schließ-
lich durch den Einstieg in die Praxis ihres
Ehemanns wieder in den Arztberuf zurück-
zukehren. Hier spielten das eher traditionelle
Familienmodell des Ehepaars und fehlende
Kinderbetreuungseinrichtungen eine ent-
scheidende Rolle. Bei 18 der 27 Ärztinnen, die
wir interviewt haben, lässt sich keine Karriere-
orientierung erkennen. Bei den übrigen neun
Ärztinnen ist bei dreien (zwei wurden weiter
oben vorgestellt) eine erfolgreiche Karriere
hin zur Klinikchefi n zu beobachten. Bei den
sechs anderen sind teils Karrierebrüche, teils
noch nicht absehbare Karriereentwicklungen
zu erkennen.
Welche Schlussfolgerungen für die Karriere
von Ärztinnen lassen sich aus unseren Inter-
views ableiten? Wie können Ärztinnen auch
mit Kinderwunsch in ihrer Karriereentwick-
lung erfolgreich werden? (s. Box)
Appell an die Arbeitgeber /KlinikenKliniken haben gute Chancen, auch in Zukunft
qualifi ziertes Personal – Frauen wie Männer –
zu gewinnen: indem sie sich nicht nur um die
fachliche Weiterbildung und Karriere schulung
ihres ärztlichen Personals bemühen, sondern
auch ernsthaft um Maßnahmen zur Verein-
barkeit von Familie und Beruf; und sich gegen
Arbeitsüberlastung einsetzen. Nicht viel an-
ders drücken es Amlacher et al. [2] aus: „Wenn
wir die jungen Menschen für unsere Arbeit
begeistern wollen, müssen wir die Bedingun-
gen den Bedürfnissen und den Wünschen
anpassen. Das familienfreundliche Kranken-
haus sollte daher sowohl Teilzeitstellen als
auch an die Klinik angegliederte Kindertages-
plätze (…) bieten. Zur Familienfreundlichkeit
gehören neben fl exi bleren Arbeitszeiten und
Betreuungsangeboten für Kinder auch Dual-
Career Angebote, die dem Partner oder der
Partnerin ebenfalls eine berufl iche Perspektive
am Ort oder sogar im direkten Umfeld der Kli-
nik ermöglichen“. XX
So können auch Ärztinnen mit Kindern Karriere machen
1. Der unbedingte Wille und eine hohe Berufsmotivation vonseiten der Ärztinnen sind not-
wendig, um auch mit Kindern den Beruf weiter auszuüben. Der Zeitpunkt der Schwanger-
schaften (vor / nach der Facharztweiterbildung) und die zuverlässige Regelung der Kinder-
betreuung (privat und institutionell) sind wesentliche begünstigende Faktoren.
2. Auch Unterstützung durch den Partner im Hinblick auf die Karrieremotivation und die
Verwirklichung des Berufsalltags hat sich als wichtige Ressource herausgestellt. Darin
eingeschlossen sind die Kinderbetreuung durch den Partner und seine Bereitschaft zu
(phasenweisen) Kompromissen bei der eigenen Karriereplanung.
3. In den Kliniken ist eine Berücksichtigung der Familiensituation bei den Dienstplänen und
eine institutionelle Förderung der berufl ichen Karriere – sofern angestrebt – eine wesent-
liche Determinante. Entscheidend sind hierbei sowohl eine aufgeschlossene und positive
Einstellung gegenüber Karrierefrauen und ganz besonders gegenüber Karrieremüttern,
wie auch Regelungen an der Klinik zu Teilzeitarbeit und gegen übervolle Dienstpläne. In
den hier berichteten beiden erfolgreichen Fällen war allerdings Vollzeittätigkeit gegeben.
Dies bestätigt somit die eingangs berichtete positive Einfl ussgröße von Vollzeittätigkeit.
Darüber hinaus spielen gerade die Vorgesetzten nach unseren Ergebnissen eine wesent-
liche Rolle als Karriereförderer. Sie entscheiden über den Zugang zur Forschung, zu Rota-
tionen während der Facharztweiterbildung und über weitere Qualifi kationsarbeiten.
4. An Kliniken angeschlossene Kindertagesstätten und / oder erreichbare andere Kinder-
betreuungseinrichtungen vor Ort sind wichtige Voraussetzungen für eine erfolgreiche
Berufskarriere.
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Dr. phil. Swantje Reimann ist als Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt KarMed „Karriere-verläufe und Karrierebrüche bei Ärztinnen und Ärzten während der fachärztlichen Weiterbil-dung“ (BMBF, ESF) am Zentrum für Frauen- und Geschlechterfor-
schung an der Universität Leipzig tätig. E-Mail: [email protected]
Prof. Dr. phil. Dorothee Alfermann leitet die Leipziger Arbeitsgruppe des Projekts KarMed „Karriereverläufe und Karrierebrüche bei Ärztinnen und Ärzten während der fachärzt-lichen Weiterbildung“ (BMBF, ESF). Sie ist außerdem Direktorin
des Instituts für Sportpsychologie und Sportpädagogik und Prodekanin der Sportwissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig. E-Mail: [email protected]
Literatur 1 Statistisches Bundesamt. Bildung und Kultur. Prüfun-
gen an Hochschulen 2011. Fachserie 11, Reihe 4.2. 2 Amlacher J, Schneider F, Habel U. Nachwuchskampa-
gne Teil 12: Karriere und Familie? Geschlechterspezi-fi ka in der Medizin. Der Nervenarzt 2010; 81: 1397–1399
3 Gedrose B, von Leitner EC, van den Bussche H. Femi-nising medicine: reasons and consequences. Cahiers de Sociologie et de Démographie Médicales, numéro spécial 2010; 203–217
4 Mayring, P. Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken. Weinheim/Basel: Beltz; 2010
Beitrag online zu fi nden unter http://dx.doi.org/
10.1055/s-0034-1394178