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2 Verstrecken von Polypropylen
2.1 Isotaktisches Polypropylen - Struktur und Morphologie 2.1.1 Molekulare Strukturen von Polypropylen Polypropylen ist das Polymerisationsprodukt von Propylen CH2=CH(CH3). Je nach sterischer
Anordnung der Methyl-Gruppe in der Polypropylenkette wird zwischen isotaktischem,
syndiotaktischem und ataktischem Polypropylen unterschieden. Isotaktisches Polypropylen (iPP)
zeichnet sich durch einen stereoregulären Aufbau aus, die Methyl-Gruppen sind bei dieser
Konfiguration regelmäßig zur selben Seite hin gerichtet [Nat60a], bei syndiotaktischem
Polypropylen (sPP) alterniert die sterische Anordnung der Methyl-Gruppe [Phi96]. Bei ataktischem
Polypropylen (aPP) liegt schließlich eine statistische Verteilung der sterischen Anordnung dieser
Gruppe vor.
Die technische Herstellung von isotaktischem Polypropylen erfolgt üblicherweise nach dem
Ziegler-Natta-Verfahren durch Suspensionspolymerisation. Hierbei kommen titan-
aluminiumorganische Mischkatalysatoren (z.B. α-TiCL und Al(C2H5)3) zum Einsatz [Nat60a]. Die
Polymerisationsbedingungen wie Konzentration des Katalysators, Temperatur und
Monomerkonzentration beeinflussen das Molekulargewicht und die Molmassenverteilung. Ziegler-
Natta-Katalysatoren initiieren aufgrund mehrerer aktiver Zentren eine relativ breite
Molmassenverteilung. Mit Hilfe der neueren Metallocen-Katalysatoren [Cla95] [Kun96], die
gegenüber den Ziegler-Natta-Katalysatoren lediglich ein einziges aktives Zentrum besitzen, lassen
sich hingegen Produkte mit einem sehr einheitlichen molekularen Aufbau realisieren.
2.1.2 Kristallmodifikationen Für das teilkristalline iPP kann eine dreigegliederte Strukturhierarchie aufgestellt werden. Die erste
umfasst die drei verschiedenen Modifikationen der Stereoisomerie. Der regelmäßige Aufbau der
Polymerkette ist eine wichtige Voraussetzung für die Kristallisation.
Die Stereoregularität der Moleküle beeinflusst in starkem Maße die Kristallisationsneigung und die
Gesamtkristallinität. Während aPP nicht kristallisierfähig ist, kristallisieren iPP und sPP. Die zweite
Ebene betrifft die Kristallstruktur. Isotaktisches Polypropylen kann je nach
Kristallisationsbedingungen drei verschiedene Kristallmodifikationen und eine sogenannte
smektische Phase ausbilden [Tur64] [Mil60] [Kei59] [Nat60a]. Aufgrund der Fähigkeit,
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verschiedene Kristallmodifikationen auszubilden, wird isotaktisches Polypropylen als polymorph
bezeichnet. Die Morphologie von Sphärolithen kann als dritte strukturelle Ebene angesehen werden.
Die verschiedenen polymorphen Modifikationen werden wiederum in mehrere Sphärolithtypen
unterteilt.
Die Moleküle von isotaktischem Polypropylen kristallisieren in Form einer 31-Helix. Diese
energetisch günstigste Konformation ergibt sich durch eine abwechselnde Folge von trans- und
gauche-Konformationen [Nat60b]. Da sich beim iPP die gauche-Konformation um einen
Drehwinkel von 120° von der trans-Konformation unterscheidet, werden drei konfigurative
Repetiereinheiten benötigt, um nach einer Windung der Helix die gleiche, nur durch eine
Translation verschiedene räumliche Lage zu erreichen [Heb97]. Die Identitätsperiode der 31-Helix
beträgt 6,5 Å. Prinzipiell gibt es rechts- und linksdrehende Helices, die aus energetischer Sicht aber
gleichgestellt sind. Isotaktisches Polypropylen kann mit derselben ternären helikalen Konformation
je nach Kristallisationsbedingungen verschiedene Kristallmodifikationen bilden. Für iPP sind eine
monokline α-Phase, eine hexagonale β-Phase und eine trikline γ–Phase bekannt. Eine vierte
Modifkation wird als mesomorphe oder smektische Phase bezeichnet [Tur64] [Mil60] [Kei59]
[Nat60a]. In allen kristallographischen Modifikationen von iPP sind die Molekülketten jedoch in
Form von rechts- oder linksdrehenden 31-Helices in das Kristallgitter eingebunden.
αααα-Modifikation
Die monokline α-Phase ist die wichtigste Kristallmodifikation, die sich unter üblichen
Verarbeitungsbedingungen ausbildet. In der Elementarzelle der α-Phase sind die Helices in der
Weise angeordnet, dass eine Helix des einen Drehsinns immer von drei Helices des anderen
Drehsinns umgeben ist. Je nach Orientierung der Methylgruppe bezüglich der Kettenrichtung
können die rechts- und linksdrehenden Helices ihrerseits wiederum in eine „auf“ und „ab“-Helices
unterteilt werden. Aufgrund dessen wird die monokline α-Form in zwei unterschiedliche
Raumgruppensymmetrien, C2/c (α1-Form) und P21/c (α2-Form), eingeteilt, die sich in der
Anordnung der „auf“- und „ab“-Helices in der Einheitszelle unterscheiden. Die monokline α1-
Modifikation, die zuerst von Natta und Corradini [Nat60a] bestimmt wurde, zeigt eine statistische
Anordnung der „auf“ und „ab“ Helixtypen [Nat60a] [Men72] [Hik73] [Imm80] [Cor82] [Nap90]
[DeR84] [Gue84]. Sie ist die am häufigsten vorkommende Modifikation. Gebildet wird diese Phase
durch Schmelzekristallisation bei hoher Unterkühlung [Hik73] [Cor82] [DeR84] [Gue84]. Die
stabilere α2-Modifikation entsteht bei geringer Unterkühlung oder durch Tempern bei höheren
Temperaturen [Hik73] [Cor82] [DeR84] [Gue84]. In dieser Modifikation liegen im Kristallgitter
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abwechselnde Schichten von „auf“- und „ab“-Helices vor. Die Anordnung der links- und
rechtsdrehenden Helices ist jedoch für die beiden Modifikationen gleich. Die Parameter der
Einheitszellen unterscheiden sich für die α1- und α2-Modifikation nur geringfügig. Die
Literaturwerte bewegen sich in den Bereichen a = 6,61 – 6,66 Å, b = 20,73 – 20,98 Å,
c = 6,49 –6,53 Å und β = 98,5° – 99,62° [Nat60] [Men72] [Hik73] [Imm80] [Tur64] [Phi96].
ββββ-Modifikation
Die Existenz der β-Modifikation ist zwar seit vielen Jahren bekannt [Kei59] [Tur64] [Mei94],
hinsichtlich der exakten kristallographischen Symmetrie bestehen aber nach wie vor
Unstimmigkeiten [Mei94]. In der Literatur werden verschiedene Elementarzellen beschrieben
[Kei59] [Fuj69] [Sam72] [Mei94]. Viele Autoren analysierten eine hexagonale Einheitszelle.
Neuere Strukturanalysen deuten jedoch darauf hin, dass die β-Phase in Form einer triklinen
Einheitszelle mit a = b = 11,01 Å und c = 6,49 Å kristallisiert [Mei94]. In der β-Phase liegt eine
sogenannte „frustrierte“ Struktur vor [Lot96] [Car98] . Diese Bezeichnung bezieht sich auf die
Tatsache, dass in der trigonalen Einheitszelle zwei Helixtypen unterscheidbar sind. Demzufolge
besitzen sie, trotz gleichen Drehsinns, unterschiedliche kristallographische Umgebungen.
Unter normalen Verarbeitungsbedingungen tritt die β-Phase nur sporadisch auf, ihre Bildung kann
jedoch durch Zugabe von β- Nukleierungsmitteln gezielt gesteuert werden [Hua95]. Unabhängig
von der genauen kristallographischen Symmetrie hebt sich die β-Modifikation gegenüber der α-
Modifikation durch eine niedrigere Dichte [Tur64] [Mei94], eine höhere
Kristallisationsgeschwindigkeit [Lov77] [Shi92] und einen niedrigeren Schmelzpunkt ab. Darüber
hinaus ist die β-Phase metastabil. Sie nimmt im Vergleich zur α-Form einen energiereicheren
Zustand bzw. einen Zustand einer niedrigeren kristallinen Ordnung ein. Nicht zuletzt aufgrund der
thermodynamischen und mechanischen Instabilität transformiert sie unter geeigneten
Aufheizbedingungen [Tur64] [Lov77] [Var95] [Var89] sowie unter einer aufgebrachten
Deformation [Tur64] [Ull79] [Kru99] [Chu94] [Kar96] [Var95] in die α-Form.
Neuere Untersuchungen erklären die mechanische Instabilität der β-Phase damit, dass durch eine
Dehnverformung eine dichtere Packung entsteht, die eine Rekristallisation zur Folge hat [Mei94]
[Kop94]. Die β-Phase kristallisiert in Form einer triklinen Einheitszelle.
Verstrecken von Polypropylen 6
γγγγ-Modifikation
Neben der α- und β-Modifikation ist für iPP außerdem die γ-Modifikation bekannt [Tur64].
Brückner und Meille schlagen eine kristalline Einheitszelle mit den Parametern a = 6,55 Å,
b = 21,57 Å, c = 6,55 Å, α = 97,4°, β = 98,9° und γ = 97,4° vor [Brü89] [Mei90]. In dieser Struktur
sind Schichten paralleler 31-Helices übereinander gestapelt, wobei die Kettenachsen zwischen zwei
angrenzenden Schichten um ca. 80° gegeneinander verdreht sind. Die kristalline Struktur kann auch
durch eine flächenzentrierte orthorhombische Einheitszelle mit a = 8,54 Å, b = 9,93 Å und
c = 42,41 Å (Raumgruppe Fddd) beschrieben werden. Die trikline Einheitszelle kann hierbei als
Teil der orthorhombischen Einheitszelle angesehen werden [Mei90]. Die γ-Kristallform entsteht bei
Kristallisation unter hohem Druck (ca. 200 MPa) [Var92]. Ebenso wurde sie bei der Kristallisation
niedermolekularer Fraktionen beobachtet. Unter üblichen Kristallisationsbedingungen ist die
Entstehung dieser Modifikation nahezu ausgeschlossen. Eine praktische Bedeutung dieser
Modifikation ist nicht gegeben.
Smektische Phase
Beim Abschrecken einer iPP Schmelze tritt eine mesomorphe Form auf. Der Begriff „mesomorph“
beschreibt einen Zustand, der zwischen dem der kristallinen und amorphen Phase einzuordnen ist
[Phi96] [Yan93] [Cal94]. Von Natta [Nat59] wird diese Phase als smektische Modifikation
bezeichnet. Nach [Gai63] und [Mca78] kann es sich hierbei um kleine bzw. stark gestörte Kristallite
der oben erwähnten Kristallmodifikationen handeln. Das grundlegende Strukturelement ist wie für
die anderen Modifikationen von iPP die 31-Helix [Mil60] [Cal94] [Wyc62]. Im Vergleich zur α-
Phase ist die mesomorphe oder smektische Phase thermodynamisch instabil und transformiert bei
Temperaturen zwischen 60°C und 120°C in die α-Phase [Mil60] [Wyc62] [Cal94] [Alb95]
[Oka94].
2.1.3 Morphologische Strukturen Das typische morphologische Charakteristikum von Polypropylen ist die sphärolithische Struktur.
Sphärolithe stellen Überstrukturen der eigentlichen kristallinen Strukturen, der Lamellen, dar.
Bei der Kristallisation aus der Schmelze ist die Molekülbeweglichkeit aufgrund der Durchdringung
der einzelnen Moleküle stark behindert. Die Ausbildung der Kristalllamellen nach dem
Faltungsprinzip, wie es für die Bildung eines Einkristalls aus der Lösung von Samuels beschrieben
wird [Sam74], ist deshalb nicht möglich. Die Raumerfüllung der Kettenknäuel in der Schmelze
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bleibt auch im kristallinen Zustand erhalten [Sch76]. Berücksichtigung findet dies im „Switch-
board-Modell“ [Kan82]. Durch mehr oder weniger regelmäßige Faltung der Ketten, die viel länger
sind als die sich ausbildende Kristallite hoch sind (100 - 200 Å) [Wun76], entstehen vorwiegend
Kristalllamellen. Bei der Kristallisation wird jedoch jedes Molekül in mehrere Kristalllamellen
eingebaut. Es entsteht dadurch eine große Anzahl an tie-Molekülen, die durch die amorphe Phase
hindurch die Kristalllamellen miteinander verbinden [Lut91].
Diese Lamellenkristalle wachsen ausgehend vom Kristallisationskeim radial nach außen und bilden
so die Sphärolithe. Die Morphologie von Sphärolithen wurde ausführlich untersucht und in die vier
Sphärolithtypen αI, αII, βIII und βIV klassifiziert [Bin68] [Nor85] [Var92] [Pad59].
Kennzeichnend für α-Sphärolithe sind die zugrunde liegende α-Kristallform sowie das Auftreten
von unterschiedlichen Lamellentypen, die sich hinsichtlich ihrer Orientierung zum Sphärolithradius
unterscheiden. Die Radiallamellen sind parallel zum Sphärolithradius orientiert, die
Tangentiallamellen wachsen im Winkel von 80° auf die radialen Lamellen auf. Diese
Lamellenstruktur tritt nur bei monoklinem Kristallgitter auf und wird als „cross-hatched“ Struktur
bezeichnet [Bin68] [Lot86] [Bas84] [Nor86]. Die Lamellenverzweigung entsteht auf molekularer
Ebene durch Anlagerung einer Helix mit bestimmtem Drehsinn auf eine Ebene aus Helices des
gleichen Drehsinns. Auf kristallographischer Ebene entsteht die „cross-hatched“ Struktur durch das
orientierte Aufwachsen von Kristalliten auf die Oberfläche bereits vorhandener Kristallite
(Homoepitaxie).
Für die α-Kristallform wurden drei verschiedene Sphärolithtypen identifiziert. Der Typ αI zeigt
unter polarisiertem Licht eine positive Doppelbrechung und ein gut ausgeprägtes Malteserkreuz.
Sphärolithe vom Typ αII weisen hingegen eine negative Doppelbrechung auf. Während Sphärolithe
vom Typ αI bei Kristallisationstemperaturen unterhalb von 134 °C gebildet werden, entstehen
Sphärolithe vom Typ αII bei Temperaturen oberhalb 138 °C. Bei Temperaturen zwischen 134 °C
und 138 °C bildet sich ein Mischtyp aus, der sowohl eine negative als auch eine positive
Doppelbrechung aufweisen kann. Die Unterschiede im optischen Charakter sind einzig und allein
vom Verhältnis der Radial- zu den Tangentiallamellen abhängig [Pad59]. Prinzipiell nimmt mit
sinkender Kristallisationstemperatur die Tendenz, verzweigte Lamellen auszubilden, zu. Ab einem
Anteil von etwa einem Drittel an Tangentiallamellen liegt eine positive Doppelbrechung vor
[Bin68]. Demnach besitzen αI-Sphärolithe einen höheren Anteil an Tangentiallamellen. Die
α-Sphärolithtypen kristallisieren in der α-Kristallform und sind nur durch die optische
Doppelbrechung unterscheidbar.
Verstrecken von Polypropylen 8
Für die β-Kristallform werden die Sphärolithtypen βIII und βIV beobachtet. Beide zeigen eine stark
negative Doppelbrechung und bestehen ausschließlich aus Radiallamellen. Nach Norton und Keller
bilden sich βIII-Sphärolithe bei Kristallisationstemperaturen unterhalb von 142 °C und βIV-
Sphärolithe im Temperaturbereich zwischen 126 °C und 132 °C [Nor86]. Im Gegensatz zu βIII zeigt
βIV keine konzentrisches „banding“. Die radiale Lamellenstruktur von β-Kristallen ist der
„konventionellen“ Mikrostruktur von teilkristallinen Homopolymeren ähnlicher als die der
α-Typen, die die einzigartige „cross-hatched“ Struktur zeigen. Nach Bassett sind β-Sphärolithe
gleich aufgebaut wie Sphärolithe in Polyethylen [Bas84]. Im Vergleich zu den Typen αI und αII
besitzen βIII und βIV eine kleinere Kristallisationsrate und eine um 20 – 70 % höhere
Wachstumsgeschwindigkeit [Lov77].
2.2 Deformationsverhalten bei einachsiger Dehnung
Eine allgemeingültige Beschreibung des Deformationsverhaltens von teilkristallinen Polymeren wie
iPP ist im Vergleich zu amorphen Polymeren wesentlich schwieriger. Ausschlaggebend hierfür ist
der komplexe morphologische Aufbau. Mittels Röntgenstreuexperimenten und
Elektronenmikroskopie wurden die in teilkristallinen Polymeren auftretenden
Deformationsmechanismen umfassend untersucht [Pet71] [Ada86] [Gal91] [Kes94]. Darüber
hinaus wurden zu diesem Themenkomplex verschiedene Übersichtsartikel veröffentlicht [Plu94]
[Mic92] [Lin94] [Bow74] [Plu96] [Plu97]. Das Deformationsverhalten des Materials wird
üblicherweise auf der Basis der Deformationsmechanismen der einzelnen Komponenten, der
amorphen und der kristallinen Phase, beschrieben.
Deformationsprozesse in der amorphen Phase
Für die amorphe Phase werden in Abhängigkeit von der Orientierung dieser zur
Deformationsrichtung verschiedene Deformationsprozesse beobachtet. In Abb. 2.1 sind diese
schematisch dargestellt.
Verstrecken von Polypropylen 9
a) b) d)c)
Abb. 2.1 Deformationsmechanismen in der amorphen Phase [Bow74]: a) Nicht deformierter Lamellenstapel b) Zwischenlamellares Abgleiten c) Zwischenlamellare Separation d) Rotation von Lamellenstapeln
Gleitvorgänge zwischen zwei Lamellen beinhalten eine Scherdeformation der amorphen Phase
(Abb. 2.1, b). Die Scherrichtung ist dabei parallel zur Oberfläche der gefalteten Lamellen.
Röntgenuntersuchungen deuten darauf hin, dass in Kristalliten interlamellare Scherungen mit
Scherprozessen auf kristallographischer Ebene konkurrieren. Infolge dessen kommt es gewöhnlich
zu einer scherinduzierten Rotation der Lamellen in Richtung der Beanspruchungsrichtung. Ebenso
tendieren die Ketten in der Lamelle dazu, sich während der Rotation der Lamellen in Richtung der
Spannungsrichtung auszurichten, was eine Reduzierung der Langperiode zur Folge hat [Bow74]
[Zho98] [Lin94]. Als Langperiode L wird die Summe aus der Lamellendicke und dem Abstand
zwischen zwei benachbarten Lamellen definiert. Zugspannungen führen aber auch zu einer
Separierung benachbarter Lamellen, da die dazwischen liegende amorphe Phase gestreckt wird
(Abb. 2.1, c). Diese Art der Deformation führt zu einer Vergrößerung der Langperiode. In
Bulkmaterialien ist die Separation von Lamellen häufig begleitet mit der Entstehung von Kavitäten,
da eine laterale Kontraktion der Probe unterbunden ist. Für die Bildung von Rissen in
teilkristallinen Polymeren ist dies ein wichtiger Zwischenschritt [Fri83].
Deformationsprozesse in der kristallinen Phase
Die Deformationsprozesse in polymeren Kristallen haben prinzipiell Ähnlichkeit mit denen in
anderen kristallinen Materialien. Einige Besonderheiten bestehen aufgrund der Langkettigkeit der
Moleküle. Die zugrundeliegenden Deformationsmechanismen in polymeren Kristallen sind
kristallographische Scher- bzw. Gleitprozesse, mechanisches „Twinning“ und spannungsinduzierte
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martensitische Phasenumwandlung [Bow74] [Lin94]. Gleitprozesse, für deren Initiierung eine
kritische Scherspannung erforderlich ist, sind hierbei die dominierenden Deformationsprozesse.
Aufgrund des makromolekularen Charakters von Polymeren sind nur bestimmte Gleitprozesse
möglich. Zwei Arten von Gleitprozessen werden unterschieden: Gleitprozesse parallel zur
Kettenrichtung (Kettengleiten), die Gleitsystemen vom Typ {hk0} [uv1] entsprechen, und
Gleitvorgänge senkrecht zur Kettenrichtung (Transversales Gleiten), die Gleitsystemen vom Typ
{hk0} [001] entsprechen. Während die Gleitmechanismen für Polyethylen relativ gut charakterisiert
sind, ist über die Gleitmechanismen in Polypropylen wenig bekannt [Gen98]. Der bevorzugte
Gleitmechanismus für die monokline α-Phase ist nach Aboufaraj (010) [001]. Andere
Mechanismen sind (100) [001], (110) [001], (-110) [001] und das transversale Gleitsystem (010)
[100] [Abo95]. Über die Gleitmechanismen der β-Phase gibt es von Aboufaraj lediglich
Vorschläge, experimentelle Beweise liegen dem jedoch nicht zugrunde [Gen98]. Für den Fall von
Kettengleiten unterscheidet man zwischen „block-slip“ und „fine-slip“ [Ada86] [Zho98] [Lin94].
Diese Mechanismen sind in Abb. 2.2 veranschaulicht.
a) b) c) d)
Abb. 2.2 Deformation von Polymerkristalliten:
a) Undeformierte Kristalllamelle b) „block slip“ c) „fine slip“ d) Aufbrechen der Lamellen und Kettenentfaltung
„Block-slip“ ist charakterisiert durch Scherprozesse entlang einer Gleitebene, wohingegen „fine
slip“ entlang mehrerer benachbarter paralleler Gleitebenen erfolgt. Das Auftreten dieser beiden
Mechanismen wurde von Adams durch TEM-Analysen an deformierten PE-Filmen mit einer
definierten Lamellenmorphologie bestätigt [Ada86]. Die Zerstörung der Lamellenstruktur durch
Aufbrechen und Entfalten der Kristalllamellen (Abb. 2.2; d) ist genau genommen kein
kristallographischer Deformationsprozess. Da sie aber ebenfalls zu einer irreversiblen Veränderung
der Lamellenstruktur führt, ist sie hier vollständigkeitshalber mit aufgeführt. Zudem spielt das
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Aufbrechen von Lamellen und deren Entfaltung vor allem für das plastische Deformationsverhalten
von teilkristallinen Polymeren bei der großen Dehndeformation eine entscheidende Rolle.
Deformationsmechanismen bei großen Dehnungen
Polyolefine mit einer ausreichend hohen Molmasse sind bei Raumtemperatur in der Regel sehr
duktil. Unter Zugbeanspruchung zeigen sie ein ausgeprägtes kaltverstreckendes Materialverhalten.
Typische Kraft-Weg-Kurven zeigen demzufolge einen Hooke´schen Bereich, eine Streckgrenze
gefolgt von einem Abfall der Kraft, einen Bereich mit einer konstanten Zugkraft und schließlich
einen erneuten Kraftanstieg bis zum Bruch (Abb. 2.3). Bei höheren Temperaturen ändert sich dieses
Deformationsverhalten dahingehend, dass keine Streckgrenze mehr auftritt und somit kein
Einschnüren der Proben stattfindet [Pet71]. In der Literatur wird dieses Deformationsverhalten
oftmals als Heißverstreckung bezeichnet.
X
!"#$%
!
"
#
$
% Hooke´scher BereichStreckgrenzeKraftabfallKonstante Abzugskraft Dehnverfestigung
Abzu
gskr
aft F
ab
Verstreckweg lS
Abb. 2.3 Typische Kraft-Weg-Kurve bei kaltverstreckendem Materialverhalten.
Kaltverstreckung ist eine irreversible Dehnung im festen Zustand der Probe bis zum Vielfachen der
ursprünglichen Ausgangslänge. Der Prozess der Kaltverstreckung kann zwischen der
Glasübergangstemperatur und der Kristallitschmelztemperatur stattfinden [Vit86a]. Mit der
Kaltverstreckung sind wesentliche strukturelle Veränderungen der Probe verbunden. In der
Literatur werden mehrere mikrostrukturelle Modelle bzw. Deformationsmechanismen beschrieben,
die das plastische Deformationsverhalten bei größeren Deformationen beschreiben [Lut91 [Abo95]
[Vin60] [Jäc54] [Mül54] [Pet71] [Jus82]. Das bekannteste bzw. weit verbreitetste Modell ist das
nach Peterlin [Pet71] [Pet87], das auf Röntgenbeugungs- und Transmissionselektronenmikroskopie-
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untersuchungen basiert. Er postuliert, dass die ursprüngliche lamellare Struktur im Bereich der
Probeneinschnürung (Necking) in eine mechanisch hoch anisotrope, mikrofibrilläre Struktur
umgewandelt wird. Die sich ausbildenden Mikrofibrillen bestehen aus alternierenden
Lamellenblöcken, die durch amorphe Bereiche voneinander getrennt, aber über gespannte
tie-Moleküle miteinander verbunden sind.
Die Länge derartiger Fibrillen kann bis zu einigen Mikrometern betragen, die laterale Dicke liegt
bei etwa 100 Å. Charakteristisch für die fibrilläre Struktur ist die höhere Orientierung der
Makromoleküle und der Kristallite sowie eine veränderte Langperiode. Peterlins Modellvorstellung
sieht eine Unterteilung des gesamten Deformationsverlaufes in drei Stufen vor. Die erste
Deformationsstufe beinhaltet die plastische Deformation der Sphärolithstruktur vor dem Necking,
wobei die äußere Form der einzelnen Sphärolithe erhalten bleibt. Hierbei erfolgt eine Deformation
der Kristalllamellen in Abhängigkeit von der Lage zur Zugrichtung. Bei senkrecht zur Zugrichtung
orientierten Lamellen wird der Abstand durch Dehnung der amorphen Bereiche vergrößert. Parallel
zur Zugrichtung liegende Lamellen werden durch die Wirkung des Spannungsfeldes komprimiert,
wodurch sich deren Abstand verringert. Schräg stehende Lamellen werden parallel zur Zugrichtung
ausgerichtet. Durch das Drehen von Lamellenpaketen sinkt die Nachgiebigkeit und ein
Kettenabgleiten in Deformationsrichtung wird möglich. An diesen ersten Deformationsschritt
schließt sich der diskontinuierliche Übergang von der lamellaren in die fibrilläre Struktur an. In der
Mikrodeformationszone, der Fließschulter, werden die einzelnen Lamellen aufgelöst und die
Makromoleküle zu Mikrofibrillen angeordnet. Die Mikrofibrillen sind untereinander durch
gespannte tie-Moleküle miteinander verbunden und bilden Makrofibrillen. Nach vollständiger
Umwandlung der lamellaren Struktur wird die fibrilläre Struktur schließlich homogen bis zum
Bruch verformt. Gegenüber der Kaltverstreckung erfolgt bei der Heißverstreckung aufgrund der
hohen Temperatur eine beschleunigte Ausrichtung der Lamellen [Heb97]. Über die höhere
Beweglichkeit der amorphen und kristallinen Bereiche im Vergleich zu niedrigeren Temperaturen
wird auch von Peterlin berichtet [Pet71].
Obwohl sich die Modelle zur Beschreibung des Deformationsverhaltens in einigen Details
unterscheiden, beschreiben sie den Deformationsvorgang in der Weise, dass zunächst die
sphärolithische und lamellare Überstruktur durch Kettengleiten, Aufbrechen von Lamellen und/oder
partielles Aufschmelzen zerstört wird. Im Anschluss werden die kristallinen Bruchstücke und
Moleküle in der lokalen Spannungsrichtung in einen höherer orientierten Zustand übergeführt.
Kestenbach beschreibt z.B. ein ähnliches Modell wie Perterlin. Unterschiede zwischen den beiden
Modellen bestehen hinsichtlich der Natur der Fibrillen. Kestenbach interpretiert das plastische
Deformationsverhalten bei großen Dehnungen als einen „Dekristallisations“-Prozess, bei dem nach
Verstrecken von Polypropylen 13
dem Aufbrechen der Kristalllamellen ein spannungsinduzierter Rekristallisationsprozess stattfindet
[Kes94]. Die Mikrofibrillen werden als kristalline Phase gestreckter Ketten betrachtet [Zho98].
Müller und Jäckel erklären die morphologischen und strukturellen Umlagerungsvorgänge durch
eine adiabatische Erwärmung aufgrund von Reibungsvorgängen über die Schmelztemperatur und
somit durch lokale Fließzonen [Jäc54] [Mül54]. Vincent vertritt hingegen die Ansicht, dass bei
langsamen Deformationsgeschwindigkeiten das kaltverstreckende Materialverhalten nicht mittels
der durch die Reibung bedingten adiabatischen Erwärmung erklärt werden kann. Er schlägt
vielmehr vor, dass die angelegte Spannung die Steifigkeit des Materials mindert [Vin60]. Die
Steifigkeitsabnahme resultiert aus dem deformationsbedingten Lösen von Vernetzungspunkten wie
Verschlaufungen oder Kristalllamellen. Bereiche niedriger Steifigkeit zeigen eine höhere Dehnung
und führen so zu einem lokalen Fließen.
Das Modell von Peterlin stützt sich im wesentlichen auf die Beobachtung, dass die Langperiode L
der fibrillären Struktur unabhängig von der Langperiode L0 des Ausgangszustandes ist und einzig
und allein von der Verstrecktemperatur abhängt. Bassett berichtet hingegen, dass aufgrund
detaillierter Vorkenntnisse sowie neuerer und verbesserter mikroskopischer Analysemethoden, von
dem heutigen Standpunkt aus betrachtet, gesagt werden kann, dass das Modell von Peterlin
einerseits zwar wesentliche Details korrekt wiedergibt, andererseits aber zu weit führt. Im
Allgemeinen liegen in verstreckten Polymeren keine Mikrofibrillen vor [Bas00]. Bestätigt wird dies
durch morphologische Untersuchungen quer zur Verstreckrichtung. Morphologische
Untersuchungen [Pet66], die das Modell von Peterlin bestätigten, beschränkten sich hingegen
ausschließlich auf die Analyse morphologischer Strukturen in Verstreckrichtung. Abo el Maaty
beobachtete in längsverstreckten Proben neue laterale Strukturen [Abo99], in denen die
höchstschmelzenden Bereiche eher „interconnected walls“ zugeordnet werden können, als den
postulierten Mikrofibrillen. Diese Untersuchungen konnten des weiteren eindeutig zeigen, dass sich
die laterale Morphologie im Gegensatz zur longitudinalen kontinuierlich mit zunehmendem
Verstreckverhältnis ändert [Abo99]. Für Polyethylen konnte von Amornsakchai gezeigt werden,
dass auch nach einer Verstreckung um den Faktor 45 die laterale Morphologie noch an die
ursprüngliche Morphologie erinnert [Amo00].
Untersuchungen des plastischen Deformationsverhaltens von Aboulfaraj beziehen sowohl die
mögliche Polymorphie als auch die unterschiedlichen Lamellenstrukturen von α- und β-
Sphärolithen (Cross-hatched Struktur bzw. Radiallamellen) in die Beschreibung des
Deformationsverhaltens von isotaktischem Polypropylen mit ein. In-situ Untersuchungen ergaben
ein unterschiedliches Deformationsverhalten von α- und β-Sphärolithen. Die Tangentiallamellen
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der α-Phase blockieren gewissermaßen eine Deformation der Radiallammellen bzw. führen zu
einem höheren Deformationswiderstand, da eine Ausrichtung von Radiallamellen unter
Deformation aufgrund der Tangentiallamellen eine gleichzeitige Ausrichtung von benachbarten
Radiallamellen erfordert. Infolge der Homoepitaxie sind α-Sphärolithe deshalb spröder. Während
sie sich bei kleinen Dehnungen kaum deformieren bzw. die Deformationen noch elastisch sind,
unterliegen die β-Sphärolithe, bei denen die Lamelle lediglich durch tie-Moleküle miteinander
verbunden sind, bereits einer deutlichen Deformation.
2.3 Biaxiales Verstrecken von Polypropylen bei der Folienherstellung
Biaxiale Verstreckverfahren können nach dem Maschinenkonzept prinzipiell in Blasfolienverfahren
und Flachfolienverfahren unterteilt werden. Eine andere gängige Unterteilung zielt auf die Art des
Verstreckprozesses ab. Das Verstrecken in den beiden Reckrichtungen kann zeitlich und örtlich
getrennt voneinander oder aber in einem Verfahrensschritt erfolgen. Dementsprechend spricht man
von einem sequentiellen oder einem simultanen Verstreckprozess. Im Folgenden werden die beiden
gängigsten Herstellverfahren, das Double-Bubble-Verfahren für Blasfolien und das
Mehrstufenverfahren für Flachfolien sowie die vergleichsweise neue LISIM -Technik für die
Herstellung simultan verstreckter Flachfolien beschrieben.
Über ein spezielles Blasverfahren, das sogenannte Double-Bubble-Verfahren, können simultan
biaxial orientierte Polypropylenfolien produziert werden. Bei diesem Verfahren wird zunächst
senkrecht nach unten ein nicht verstreckter Folienschlauch der 40- bis 50-fachen Dicke einer zu
produzierenden Endfolie extrudiert und in einem Wasserbad abgekühlt. Im Anschluss daran wird
dieser Folienschlauch erneut bis zu einer Temperatur unterhalb des Schmelzpunktes von
Polypropylen aufgeheizt. Die Querverstreckung erfolgt durch das Aufblasen des in einem Blasturm
senkrecht nach unten geführten Folienschlauches zwischen zwei Abquetschwalzenpaaren. Simultan
dazu wird die Längsverstreckung durch eine höhere Abzugsgeschwindigkeit des zweiten
Walzenpaares realisiert. Letztendlich wird der biaxial verstreckte Folienschlauch aufgewickelt,
wobei gegebenenfalls eine Thermofixierung vorgeschaltet werden kann, um eine weitgehend
schrumpfarme Folie zu erreichen. Da zunächst ein Folienschlauch hergestellt wird, der in einem
weiteren Prozessschritt über eine „zweite Blase“ simultan biaxial verstreckt wird, nennt sich dieser
Prozess „Double-Bubble-Verfahren“. Heute gibt es eine Vielzahl von Abwandlungen dieser
Verstrecken von Polypropylen 15
Technologie, welche jedoch alle das simultane biaxiale Verstrecken eines Folienschlauches in einer
zweiten Blase unterhalb des Kristallitschmelzpunktes beinhalten [Wel79]. Obwohl in der
Patentliteratur einfache Vorrichtungen für das Thermofixieren von blasgeformten BOPP-Folien
vorgeschlagen werden, hat sich in der Praxis gezeigt, dass dieser Punkt eine Schwachstelle des
Verfahrens darstellt [Wel79]. Weitere Nachteile des Blasverfahrens gegenüber den Verfahren zur
Flachfolienherstellung sind die weniger gute Dickenhomogenität, die weniger guten Möglichkeiten
einer präzisen Temperaturführung sowie die schlechte Planlage der gereckten Folie aufgrund des
nicht zu vermeidenden geometrischen Fehlers beim Flachlegen des Folienschlauches vor dem
zweiten Quetschwalzenpaar. Demgegenüber stehen die Vorteile der Blastechnologie. Durch die
simultane Verstreckung können in den beiden Verstreckrichtungen sehr ausgewogene mechanische
Folieneigenschaften erzielt werden. Zudem sind die Systemkosten vergleichsweise gering. Der
Marktanteil der nach diesem Verfahren hergestellten Folien liegt bei 10 % - 15 % [Ris98] [Bre98].
85 % - 90 % der BOPP-Folien werden jedoch als Flachfolie über ein Mehrstufenverfahren
hergestellt [Ris98]. Abb. 2.4 zeigt die schematische Darstellung einer sequentiellen Reckanlage.
Abb. 2.4 Schematische Darstellung einer sequentiellen Verstrecklinie [NN02].
Hierbei wird zunächst eine Primärfolie, ein sogenannter Castfilm, über eine Breitschlitzdüse
extrudiert und auf einer Kühlwalze in Kombination mit einem Wasserbad abgekühlt. Die Dicke
dieses Castfilms kann je nach Anlagengröße einige Millimeter betragen. In einem Längsstreckwerk
wird der Castfilm anschließend erneut aufgeheizt (ca. 120 °C) und zwischen Walzenpaaren mit
unterschiedlicher Rotationsgeschwindigkeit verstreckt. In der zweiten Stufe wird der in
Verstrecken von Polypropylen 16
Längsrichtung (MD) gereckte Castfilm in den sogenannten Verstreckofen geführt. Beim Eintritt der
uniaxial verstreckten Folie wird diese seitlich von auf Schienen geführten Haltekluppen gegriffen.
Die Polypropylenfolie wird bis knapp unterhalb an die Schmelztemperatur weiter aufgeheizt und in
einer Querstreckeinheit durch divergierende Kluppen quer zur Maschineneinlaufrichtung (TD)
verstreckt. Während im Längsstreckwerk der Verstreckgrad in Maschinenrichtung (MD) über die
Abzugsgeschwindigkeiten der Walzenpaare eingestellt wird, kann durch Variation des Winkels der
divergierenden Führungsschienen für die Kluppen der Verstreckgrad quer zur Maschinenrichtung
(TD) eingestellt werden. Optional kann nach der Verstreckung im Streckofen noch eine
Thermofixierung erfolgen. Nach dem Austritt der biaxial verstreckten Folie aus dem Ofen erfolgen
ein Randabschnitt im sogenannten Pull-Rod-Stand und abschließend das Wickeln des Folienballens.
Neben diesem sequentiellen Verfahren gibt es prinzipiell drei simultane Reckverfahren für
Flachfolien, bei denen die Längs- und Querreckung in einem Verarbeitungsschritt erfolgt. Hierbei
handelt es sich um das Pentagraph-Verfahren, das Spindelverfahren und schließlich die
neuentwickelte LISIM®-Technologie. Das Pentagraph-Verfahren und das Spindelverfahren haben
aufgrund ihres aufwendigen mechanischen Prinzips und der vergleichsweise geringen
Produktionsgeschwindigkeit aus wirtschaftlicher Sicht keine Bedeutung mehr. So ist derzeit nur
noch eine nach dem Spindelverfahren arbeitende Reckanlage in Betrieb [Bre98].
Abb. 2.5 Vergleich der beiden Reckarten „sequentiell“ und „simultan“ [Bre98].
Die LISIM -Recktechnologie wurde ursprünglich von der Firma Du Pont entwickelt. 1993 erwarb
die Firma Brückner Maschinenbau GmbH alle Rechte an dieser Technologie und entwickelte eine
Verstrecken von Polypropylen 17
großtechnische Produktionsanlage. In Abb. 2.5 ist die sequentielle Recktechnologie der simultanen
LISIM -Technologie gegenübergestellt. Analog zum Mehrstufenverfahren wird auch hier zunächst
durch Extrusion ein Castfilm hergestellt. Die Längs- und Querverstreckung erfolgen jedoch im
Streckofen in einem Prozessschritt, indem die Kluppen, die den Castfilm greifen, auf Schienen
auseinanderlaufen und zugleich einzeln beschleunigt werden, wodurch sich die Abstände der
Kluppen vergrößern. Der Querverstreckung wird damit eine Längsverstreckung überlagert.
Ermöglicht wird dies durch den Antrieb der Kluppen über Linearmotoren. Da der Antrieb der
einzelnen Kluppen mechanisch getrennt ist, bietet dieses System im Hinblick auf die Variation von
Verstreckparametern im Gegensatz zu den beiden simultanen Recktechnologien,
Pentagraphverfahren und Progressivspindelverfahren, große Flexibilität. Die mechanische
Robustheit dieser Technologie ermöglicht zudem hohe Produktionsgeschwindigkeiten [Bre98].
Auch gegenüber der sequentiellen Recktechnologie bietet das LISIM -Verfahren eine Reihe von
Vorteilen. So lassen sich gleichmäßig hochverstreckte Folien mit isotropen mechanischen
Eigenschaften produzieren. Die Verstreckung ohne Kontakt zu Verstreckwalzen führt zu einer
besseren Folienoberfläche und damit zu besseren optischen Eigenschaften. Des weiteren ermöglicht
die kontaktfreie Verstreckung die Produktion von Folien mit deutlich niedrigeren
Siegeltemperaturen. Die vergleichsweise geringe Einlaufgeschwindigkeit des Castfilms in den
Verstreckofen stellt einen weiteren Vorteil dar, da dies neue Möglichkeiten der in-line-
Beschichtung und Laminierung eröffnet. Schließlich ist es mit dieser Technologie möglich, die
verstreckte Folie einer simultanen oder sequentiellen Relaxation in Maschinenrichtung zu
unterziehen, indem die Abstände der Kluppen nach dem Verstrecken reduziert werden. Dadurch ist
eine gezielte Einstellung des Folienschrumpfes in den beiden Verstreckrichtungen MD und TD
möglich. Nicht zuletzt zeichnet sich die neue simultane Recktechnologie durch eine hohe
Laufsicherheit und Effizienz aus [NN01], wodurch es möglich ist, sehr dünne Folien herzustellen
[Bre98] [Ris98]. Obwohl die LISIM -Technologie gegenüber allen anderen Verstreckverfahren
eine Vielzahl von Vorteilen bietet, dürfte sie aufgrund des hohen Systempreises keine direkte
Konkurrenz zu sequentiellen Verstreckanlagen darstellen, sondern ihren Einsatz bei der Herstellung
qualitativ hochwertiger Folien finden, die nicht oder nur bedingt im sequentiellen Prozess
hergestellt werden können [Ris98].
Verstrecken von Polypropylen 18
2.4 Mechanische Eigenschaften verstreckter Polypropylenfolien
Die Herstellung von verstreckten Polypropylenfolien ist von enormer wirtschaftlicher Bedeutung.
Durch das Verstrecken kann eine Verbesserung zahlreicher Folieneigenschaften, wie Mechanik,
Optik und Barrierewirkung erzielt werden. Die Eigenschaften verstreckter Polypropylenfolien
werden im wesentlichen durch die Morphologie der Folien bestimmt. Die Folienmorphologie, die in
erster Linie durch den Kristallinitätsgrad, die Kristallmorphologie und den Grad der
Molekülorientierung charakterisiert wird, wird ihrerseits entscheidend von den
Verarbeitungsbedingungen beeinflusst. Zu nennen sind hier vor allem die Abkühlgeschwindigkeit,
das Verstreckverhältnis in den jeweiligen Verstreckrichtungen, die Verstreckgeschwindigkeit und
die Verstrecktemperatur [Yuk99]. Aufgrund der kommerziellen Bedeutung orientierter
Polypropylenfolien wurden vielfach Zusammenhänge zwischen der Polymerstruktur, den
Verarbeitungsbedingungen und den Endeigenschaften von verstreckten Folien und Fasern
untersucht [Ajj99]. Die Interpretation von Zusammenhängen setzt jedoch die genaue Kenntnis der
Folienmorphologie und deren Entwicklung während der Herstellung voraus.
Nach Ruland kann isotaktisches Polypropylen, auch bei Vorliegen einer smektischen Phase
[Vit86a], vereinfacht als ein zweiphasiges System, bestehend aus einer amorphen und einer
kristallinen Phase, angesehen werden [Rul64]. Diese Modellvorstellung wird für die Darstellung
von Eigenschaftsveränderungen bei teilkristallinen Polymeren während einer Deformation und
somit auch für die Deutung von Folieneigenschaften verbreitet eingesetzt [Pin82] [Sam68]
[Unw85]. Dabei wird davon ausgegangen, dass die beiden Phasen jeweils eine eigene innere
Eigenschaft besitzen und in einem nicht orientierten Polymer statistisch verteilt vorliegen. Darauf
basierend setzt sich die makroskopische Eigenschaft von unverstrecktem Polypropylen, unter
Berücksichtigung der Anteilsverhältnisse der beiden Phasen, additiv aus den Eigenschaften der
beiden Phasen zusammen.
acccno PPP )1( αα −+= (2.1)
Pno ist die Eigenschaft des nicht orientierten Polymers, Pc und Pa sind die inneren Eigenschaften der
kristallinen und amorphen Phase und αc bzw. (1-αc) sind die Anteile der jeweiligen Phasen. Infolge
eines Deformationsprozesses kann sich ein anisotroper Charakter dieser Phasen ausbilden. Die
Anisotropie der Phasen findet im Hinblick auf die makroskopische Eigenschaft des verstreckten
Polymers durch die Orientierungsfunktionen fc und fa Berücksichtigung, die die mittlere molekulare
Orientierung in der kristallinen bzw. amorphen Phase beschreiben. Die anisotrope Eigenschaft eines
orientierten Polymers lässt sich nach Samuels [Sam74] wie folgt ausdrücken:
Verstrecken von Polypropylen 19
aacccco fPfPP )1( αα −+= (2.2)
Für eine fundierte Interpretation von Eigenschaften verstreckter Folien oder Fasern ist die
Bestimmung des Orientierungsgrades der amorphen und kristallinen Phase von entscheidender
Bedeutung. Zur Charakterisierung dieser Orientierungszustände werden unterschiedlichste
Methoden angewandt [Col00] [War75] [Whi87] [Vri81]. Vor allem werden hierfür die
Röntgenweitwinkelstreuung (WAXS), die Fluoreszenzspektroskopie, die Messung der
Doppelbrechung und die Fourier-Transformations-Infrarotspektroskopie (FTIR) eingesetzt. Für die
Bestimmung der molekularen Orientierung in der kristallinen Phase eignet sich am besten die
Röntgenweitwinkelstreuung [Vri81]. Die Messung der Doppelbrechung liefert hingegen ein Maß
für die gesamte Orientierung sowohl die der kristallinen als auch die der amorphen Phase.
Infrarotspektroskopische Messungen können Aufschluss sowohl über den Orientierungszustand der
amorphen als auch der kristallinen Phase geben. Einen umfassenderen Einblick in die molekularen
Orientierungszustände eines orientierten teilkristallinen Polymers gibt jedoch erst die Kombination
von verschiedenen Methoden wie WAXS-, FTIR- und Brechungsindexmessungen [Kar93]. Mit
Hilfe der letztgenannten Methoden wurde von Karacan et al. der Orientierungszustand von bei
155°C uniaxial, simultan und sequentiell biaxial verstreckten Folien untersucht [Kar93]. Sowohl bei
uniaxial als auch bei äquibiaxial simultan verstreckten Folien liegt unabhängig vom
Verstreckverhältnis in den kristallinen Bereichen eine stärkere Orientierung vor als in den
amorphen Bereichen [Vri83] [Kar93] [Mir87]. Eine sequentielle äquibiaxiale Verstreckung führt
dazu, dass die Orientierungen der amorphen und kristallinen Bereiche in der zweiten
Verstreckrichtung höher sind als in der ersten. Während die Orientierung der kristallinen Phase in
der Folienebene vorliegt, ist die amorphe Phase fast ausschließlich uniaxial in der zweiten
Verstreckrichtung orientiert.
Allgemein sind die Eigenschaften von verstreckten Polymeren in Zusammenhang mit dem
Verstreckverhältnis, das die Polymere während oder nach der Verarbeitung erfahren haben, zu
sehen. Samules hat gezeigt, dass die durchschnittliche Orientierung der amorphen und kristallinen
Phase mit dem Verstreckverhältnis korreliert [Sam68] [Sam69] [Sam70] [Sam74]. Unterschiedliche
Verstreckprozesse und Verarbeitungsbedingungen können zu einem vergleichbaren
Orientierungszustand führen. Aufgrund dessen sollte der Orientierungszustand und nicht das
Verstreckverhältnis herangezogen werden, um mechanische Eigenschaften von Fasern und Folien
zu charakterisieren [Vit86a].
Nadella et al. haben festgestellt, dass die mechanischen Eigenschaften von verstreckten Fasern
sowohl von den Verstreck- als auch von den Spinnbedingungen abhängen. Sie untersuchten eine
Verstrecken von Polypropylen 20
Vielzahl unterschiedlicher Morphologien, die auf unterschiedliche Spinn- und
Verstreckbedingungen bzw. Molekulargewichte zurückzuführen waren. Die verschiedenen
Ausgangsmorphologien haben zwar einen wesentlichen Einfluss auf das Verstreckverhalten, die
mechanischen Eigenschaften der gesponnenen und verstreckten Fasern korrelieren jedoch mit der
mittleren molekularen Orientierung der amorphen und kristallinen Bereiche der Fasern, und das
unabhängig von den Ausgangsmorphologien und den Verarbeitungsbedingungen [Nad77] [Nad78].
Untersuchungen von de Vries an einer Serie von sequentiell verstreckten Folien mit einem in MD
und TD unausgewogenen Verstreckverhältnis führten zu einem ähnlichen Zusammenhang zwischen
Orientierungszustand und mechanischen Folieneigenschaften [Vri82] [Vri83]. Darüber hinaus
konnte de Vries zeigen, dass die Zugfestigkeit unaxial und biaxial verstreckter Folien in gleicher
Weise mit dem Orientierungszustand korreliert. Nicht der Herstellungsprozess, sondern der
Orientierungszustand scheint somit ausschlaggebend für die mechanischen Eigenschaften zu sein.
In der Literatur werden deshalb -ungeachtet des Herstellungsprozesses- oftmals Zusammenhänge
zwischen der Kristallinität, dem Orientierungszustand und den mechanischen Eigenschaften
diskutiert. Nadella fand, dass bei Fasern mit zunehmendem mittleren Orientierungsgrad bzw.
steigendem Reckverhältnis der E-Modul sowie die Zugfestigkeit ansteigen, die Bruchdehnung
hingegen abnimmt [Nad78]. De Vries et al. kamen für uni- und biaxial verstreckte Folien zu einem
ähnlichen Ergebnis [Vri82] [Vri83]. Strobel et al. konnten für nachverstreckte biaxial orientierte
Polypropylenfolien zeigen, dass mit zunehmendem Reckverhältnis die molekulare Orientierung der
amorphen Phase und der kristallinen Phase steigen. Infolge dessen steigen der E-Modul und die
Zugfestigkeit an, die Bruchdehnung hingegen wird geringer. Misra et al. konnten an versponnenen
Fasern zeigen, dass unabhängig von den Bedingungen des Spinnprozesses mit steigender mittlerer
molekularer Orientierung die Zugfestigkeit der Fasern größer wird und die Bruchdehnung abnimmt
[Mis95]. Untersuchungen von Nordmeier et al. an simultan äquibiaxial verstreckten Folien führten
im Hinblick auf die Zugfestigkeit und die Bruchdehnung zu einem ähnlichen Ergebnis [Nor86].
Vor allem bei biaxial verstreckten Folien mit einem hohen Kristallinitätsgrad wird die mittels
Doppelbrechung bestimmte Gesamtorientierung durch die Orientierung der kristallinen Phase
bestimmt [Vri83]. Da die Beiträge von kristalliner und nicht kristalliner Phase zur
Gesamtorientierung jedoch in unterschiedlicher Weise von den Herstellungsbedingungen abhängig
sind, wurde von de Vries im Hinblick auf eine gezielte Einstellung von Endeigenschaften eine
Differenzierung der Effekte, die von der orientierten amorphen und der orientierten kristallinen
Phase ausgehen, angestrebt.
Die Untersuchungen der mechanischen Eigenschaften von sequentiell äquibiaxial verstreckten
Folien haben gezeigt, dass sich die meisten mechanischen Eigenschaften in MD- und TD-Richtung,
Verstrecken von Polypropylen 21
trotz einer nahezu identischen kristallinen Orientierung, deutlich unterscheiden [Vri83]. De Vries
leitet daraus einen signifikanten Einfluss zwischen der molekularen Orientierung der nicht
kristallinen Phase und den Eigenschaften biaxial verstreckter Folien ab [Vri83]. Samuels war
bereits früher bei uniaxial verstreckten Folien zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen. Vor allem
mechanische Eigenschaften korrelieren mit dem molekularen Orientierungszustand der amorphen
Phase [Sam76] [Sam79]. Diese Orientierungen werden entscheidend durch die thermomechanische
Vorgeschichte beeinflusst und können in einem gewissen Bereich variiert werden, ohne dass der
Orientierungszustand der kristallinen Phase beeinflusst wird [Sam73].
Eine steigende Deformationsgeschwindigkeit während der Verstreckung wirkt sich dahingehend auf
die Folieneigenschaften aus, dass die Zugfestigkeit signifikant zu- und die Bruchdehnung
entsprechend abnimmt [Nor86]. Die mit steigender Verstreckgeschwindigkeit zunehmende
Orientierung der Molekülketten ist hierbei als Haupteinflussgröße zu sehen. Bei relativ kleinen
Flächenreckverhältnissen konnte jedoch kein signifikanter Einfluss der Verstreckgeschwindigkeit
beobachtet werden [Nor86]. Bestätigt wird dies durch die Untersuchungen von Jabarin [Jab92]
[Jab93]. Bei einem vergleichbaren Flächenreckverhältnis war von Jabarin nur ein geringer Einfluss
der Verstreckgeschwindigkeit auf die mechanischen Folieneigenschaften, wie den E-Modul, die
Bruchspannung und die Bruchdehnung, festgestellt worden [Jab93].
Gegenüber uniaxial verstreckten Folien kann die Bruchdehnung von biaxial orientierten
Polypropylen bei einem vergleichbaren Orientierungsgrad um den Faktor 10 und mehr höher liegen.
Demzufolge ist auch die Stoßfestigkeit biaxial verstreckter Folien größer als die uniaxial
verstreckter Folien. Je höher die Ausgewogenheit der Orientierungsgrade in den beiden
Verstreckrichtungen ist, desto höher ist prinzipiell die Durchstoßfestigkeit. Hierbei scheint die
molekulare Orientierung der nicht kristallinen Phase die entscheidende Rolle zu spielen. Bei den
von de Vries untersuchten äquibiaxial verstreckten Folien lag die Bruchdehnung nicht unterhalb
von 40 – 50 % [Vri83]. Eine geringe Orientierung in den nicht kristallinen Bereichen ist mit einer
höheren Mobilität der Moleküle verbunden, was sich schließlich in einer höheren Bruchdehnung
und einer höheren Durchstoßfestigkeit äußert.
Savolainen untersuchte die Morphologie blasgeformter Polypropylenfolien mit dem Ergebnis, dass
mit zunehmendem Verstreckverhältnis und somit zunehmendem Orientierungsgrad die
Schmelztemperatur und die Gesamtkristallinität der verstreckten Folien zunehmen [Sal90]. Den
Kristallinitätsanstieg erklärt er damit, dass sich durch das Abschrecken des noch unverstreckten
Vorschlauches parakristalline und metastabile kristalline Strukturen ausbilden, die sich aufgrund
Verstrecken von Polypropylen 22
thermischer Effekte in die stabilere α-Phase umwandeln. Unterstützt wird diese Transformation
durch den eigentlichen Verstreckprozess.
Ein Anstieg der Schmelzenthalpie bzw. der Kristallinität von Polypropylenfasern mit zunehmendem
Verstreckverhältnis wird auch von anderen Autoren geschildert [Vit86b] [Nad78]. Vlassov
berichtet, dass mit steigender Orientierung nur ein sehr geringer Anstieg der Kristallinität
verbunden ist [Vla95]. Im Gegensatz dazu haben Taraiya et al. für biaxial verstreckte Folien
gefunden, dass die Dichte, die mit der Kristallinität korreliert, bei Verstrecktemperaturen zwischen
145°C und 160°C mit zunehmendem Flächenreckverhältnis abnimmt [Tar93].
Ward et al. haben systematisch den Einfluss der Verstrecktemperatur und der
Verstreckgeschwindigkeit auf die Reckbarkeit von Polypropylenfasern untersucht, mit dem Ziel,
orientiertes iPP höchstmöglicher Steifigkeit zu erhalten [Can76] [Cap79] [Wil80]. Bis zu einem
Verstreckverhältnis von 18 fanden sie, dass mit zunehmendem Verstreckverhältnis der E-Modul
ansteigt. Obwohl bei Temperaturen von 130 °C und 150 °C gegenüber einer Temperatur von
110 °C ein Verstreckverhältnisse von 18 und höher erzielt werden konnte, war dies mit keinem
weiteren Anstieg des E-Moduls verbunden. Zudem wurden für die Verstrecktemperatur von 110 °C
die höchsten E-Module ermittelt. Bei simultan verstreckten Folien, die im Temperaturbereich
zwischen 140 °C und 150 °C verstreckt wurden, wirkte sich eine höhere Verstrecktemperatur
hingegen in der Weise aus, dass sich ein höherer E-Modul, eine höhere Bruchdehnung und eine
geringere Zugfestigkeit der Folie einstellten [Jab92] [Jab93]. Liu et al. stellten fest, dass mit
zunehmender Verstrecktemperatur die Schmelzenthalpie von uniaxial verstreckten Proben
signifikant zunimmt. Die sich einstellende Schmelzenthalpie ist zudem unabhängig von der
Ausgangsmorphologie [Liu86]. Taraiya fand für biaxial verstreckte Folien, dass die Dichte biaxial
verstreckter Folien in einem Temperaturbereich zwischen 145 °C und 160 °C mit steigender
Verstrecktemperatur zunimmt [Tar93].
Hinsichtlich des E-Moduls verstreckter Folien kam de Vries zu dem Schluss, dass der
Kristallinitätsgrad und die molekularen Orientierungen etwa den gleichen Einfluss auf den E-Modul
ausüben. Die Orientierung der kristallinen Phase spielt in diesem Zusammenhang hingegen nur eine
untergeordnete Rolle [Vri83]. Misra et al. fanden einen ähnlichen Zusammenhang. Der E-Modul
von aus der Schmelze versponnenen Fasern wird sowohl vom Kristallinitätsgrad als auch vom
mittleren molekularen Orientierungsgrad bestimmt. Die Haupteinflussgröße ist jedoch der
Kristallinitätsgrad.
Aufgrund der im Vergleich zu PE deutlich langsameren Kristallisationsgeschwindigkeit von PP
können die Verarbeitungsbedingungen einen wesentlichen Einfluss auf die Morphologie des
Verstrecken von Polypropylen 23
unverstreckten Castfilms nehmen. Yuksekkalayci et al. haben den Einfluss der Morphologie des
Castfilms auf die mechanischen Eigenschaften von sequentiell verstreckten Folien untersucht
[Yuk99]. Hergestellt wurden die unterschiedlichen Morphologien durch Variation der Chill-Roll-
Temperatur zwischen 40 °C und 60 °C. Eine steigende Chill-Roll-Temperatur hatte eine Zunahme
des Kristallinitätsgrades der Castfilme zur Folge. Der Kristallinitätsgrad der verstreckten Folien war
zwar höher, korrelierte aber weiterhin mit dem Kristallinitätsgrad der Castfilme. Mit steigendem
Kristallinitätsgrad nehmen auch der E-Modul, die Streckspannung und die Zugfestigkeit der
verstreckten Folien in beiden Verstreckrichtungen zu. Während bei Yuksekkalayci die sequentiell
biaxial verstreckten Folien unter Zugbeanspruchung eine Streckgrenze zeigten, konnte de Vries für
ebenfalls sequentiell verstreckte Folien keine Streckgrenze beobachten [Vri83]. Nordmeier
untersuchte ebenfalls den Einfluss einer durch die Chill-Roll-Temperatur variierten
Castfilmmorphologie auf die Eigenschaften simultan und sequentiell biaxial verstreckter Folien
[Nor86]. Die Chill-Roll-Temperaturen lagen in diesem Fall zwischen 35 °C und 90 °C. Im
Gegensatz zu Yuksekkalayci stellte er jedoch fest, dass für eine mittlere Chill-Roll-Temperatur ein
maximaler E-Modul resultierte. Er führt dies auf zwei gegenläufige Effekte zurück. Mit
zunehmender Chill-Roll-Temperatur steigt zwar die Kristallinität, gleichzeitig wird aber die Zahl
und die Größe von Defekten an Sphärolithgrenzen größer, was schließlich zu einem Abfall des
E-Moduls führt [Nor86]. Ein Vergleich des E-Moduls simultan und sequentiell verstreckter Folien
ergab, dass der E-Modul simultan verstreckter Folien unabhängig von der Ausgangsmorphologie
oberhalb des E-Moduls sequentiell verstreckter Folien liegt.
Neben den mechanischen Eigenschaften wird auch die thermische Instabilität von verstreckten
Folien bzw. deren Schrumpf wesentlich von der Morphologie bestimmt. De Vries interpretiert die
Morphologie verstreckter Folien als ein gespanntes molekulares Netzwerk, wobei kristalline
Bereiche als Vernetzungspunkte fungieren [Vri82]. In Abhängigkeit von der Temperatur können
mit dem Schrumpfen verschiedene molekulare Prozesse, wie das Relaxieren von amorphen
Bereichen [Wil74], das Schmelzen von Kristalliten [Arr78] oder die Perfektionierung von Kristallen
[Pet69] verbunden sein [Ler92]. Eine durch das partielle Aufschmelzen von kristallinen
Vernetzungspunkten verursachte Desorientierung des gespannten molekularen Netzwerkes wird als
Hauptursache für das Schrumpfen angesehen [Vri83]. Mit zunehmender Temperatur schmelzen
mehr Vernetzungspunkte, was schließlich zu einem höheren relativen Schrumpf führt [Tun80]. Bei
der Berechnung des relativen Schrumpfs wird die absolute Längenänderung während des
Schrumpfens auf die Längenänderung während des Verstreckens bezogen [Ret79]. Der bei hohen
Temperaturen maximal erreichbare thermische Schrumpf ist in erster Linie durch den
Orientierungsgrad der nicht kristallinen Phase determiniert [Sam73]. Der Folienschrumpf, der sich
Verstrecken von Polypropylen 24
bei einer Temperatur unterhalb der thermodynamischen Schmelztemperatur einstellt, hängt stark
von den Verstreckbedingungen der Folie ab, in besonderer Weise von der Verstrecktemperatur und
der Temperatur, bei der eine mögliche thermische Nachbehandlung der verstreckten Folie erfolgt
[Vri83].
Leroux et al. haben das Schrumpfverhalten von simultan äquibiaxial verstreckten Folien untersucht.
Auch sie fanden, dass mit steigender Temperatur, bei welcher der Folienschrumpf ermittelt wird,
der Schrumpf absolut betrachtet zunimmt. Eine höhere Verstrecktemperatur der Folie wirkt sich
jedoch dahingehend aus, dass der bei einer definierten Temperatur ermittelte Schrumpf kleiner
wird. Ein höheres Reckverhältnis hat demgegenüber wieder einen höheren Schrumpf zur Folge
[Ler92]. Obwohl der Kristallinitätsgrad oder die Orientierungsfunktionen fa und fc von der
thermomechanischen Vorgeschichte der verstreckten Folie beeinflusst werden, reichen diese
Strukturparameter nicht aus, um den Folienschrumpf vorherzusagen [Vri82].
Die Literaturstudie zeigt, dass das Deformationsverhalten von Polypropylen bei Raumtemperatur
sehr umfangreich untersucht und beschrieben worden ist. Vergleichbare Untersuchungen im
teilaufgeschmolzenen Zustand sind hingegen in der Literatur nur vereinzelt zu finden. Vor diesem
Hintergrund wird auf den Einfluss von verschiedenen Reckparametern wie der Recktemperatur und
der Reckgeschwindigkeit auf das Deformationsverhalten im Temperaturbereich unterhalb der
Schmelztemperatur ausführlich eingegangen werden. Dies gilt sowohl für die uniaxiale als auch für
die biaxiale Deformation. Da in der Literatur auf die Vergleichbarkeit von uni- und biaxialer
Deformation im teilaufgeschmolzenen Zustand nicht eingegangen wird, wird dies ebenfalls ein Ziel
dieser Arbeit sein. Der Einfluss der Castfilmmorphologie auf die Eigenschaften simultan
äquibiaxial verstreckter Polypropylenfolien wird in der Literatur vereinzelt beschrieben. Da hierbei
aber teils widersprüchliche Aussagen zu finden sind, gibt es diesbezüglich Klärungsbedarf. Die
Literaturstudie zeigt des weiteren, dass der Einfluss von Verstreckparametern auf die mechanischen
Eigenschaften simultan biaxial verstreckter Folien nicht sehr umfangreich untersucht worden ist.
Durch entsprechende Untersuchungen dahingehend sollen die bekannten Zusammenhänge zwischen
Verstreckbedingungen und Folieneigenschaften bestätigt bzw. ergänzt werden. Schließlich sind
auch keine Erkenntnisse darüber veröffentlicht, inwiefern molekulare Größen wie die mittlere
Molmasse, die Molmassenverteilung, die Taktizität oder die Langkettenverzweigung das
Deformationsverhalten im teilaufgeschmolzenen Zustand beeinflussen.