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Verletzungen des Beckens

Date post: 07-Feb-2017
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Update Unfallchirurgie · Verletzungen des Beckens 968 | Der Unfallchirurg 11 · 2013 Korrespondenzadresse Prof. Dr. C. Josten Klinik für Unfall-, Wiederherstel- lungs- und Plastische Chirurgie Universitätsklinikum Leipzig Liebigstraße 20 04103 Leipzig [email protected] leipzig.de Die Beiträge stammen aus dem Handbuch Orthopädie/Unfallchirur- gie 2013 und entsprechen den Semi- narunterlagen des 5. Ortho Trauma Update 2013 der medupdate GmbH. Unfallchirurg 2013 · 116:968–969 DOI 10.1007/s00113-013-2511-1 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013 Häufigkeit von okkulten Sakrumfrakturen   bei vorderen Beckenringfrakturen In einer ringförmigen Konstruk- tion wie dem menschlichen Becken ist es relativ unwahr- scheinlich, dass Kräfte durch den Bruch des Ringes an nur einer Stelle abgeleitet werden können. Nach Stürzen vorwiegend älterer Menschen sehen wir nativradio- logisch häufig Schambeinast- frakturen. Ohne zusätzlicher Schnittbildgebung ist es möglich, dass nichtdislozierte Frakturen im hinteren Teil des Beckenrin- ges übersehen werden und die anschließende Behandlung kom- plizieren. Bei retrospektiver Analyse von 177 Patienten mit durchge- führter CT-Schnittbildgebung bei vorderer Beckenringfraktur Originalpublikation Scheyerer MJ, Osterhoff G, Wehrle S et al (2012) Detection of posterior pelvic injuries in fractures of the pubic rami. Injury 43:1326-1329 ATLS-konforme Behandlungen führen bei hämodynamisch instabilen Patienten   mit instabilen Beckenfrakturen zu schlechten Überlebensraten Es wurden retrospektiv 48 Be- handlungsverläufe nach Nutzung des ATLS-Protokolls ausgewer- tet. Diese wurden nach Anord- nung des Traumaleaders angio- graphiert oder extern stabilisiert. Ein festgeschriebenes Schema bezüglich eines Transfusions- managements bestand nicht. Der mittlere ISS der Patienten betrug 43,2 Punkte, der mittlere systoli- sche Blutdruck betrug 75 mmHg bei Einlieferung. Es wurden durchschnittlich 7 Erythrozy- tenkonzentrate sowie 4,2 fresh frozen Plasma-Einheiten in den ersten 6 Stunden verabreicht. Bei 14 wurde eine Angiographie vor- genommen, bei 12 Patienten eine Embolisation durchgeführt. Im Durchschnitt vergingen 3 Std 55 min bis zur Angiographie. 20 Patienten (41,7%) verstarben. 13 (27,1%) in den ersten 24 Stun- Originalpublikation Hou Z, Smith WR, Strohecker KA et al (2012) Hemodynamically unsta- ble pelvic fracture management by advanced trauma life support gui- delines results in high mortality. Orthopedics 35:e319-324 konnte bei 28,8% eine zusätz- liche Azetabulumfraktur detek- tiert werden. In 96,8% der Fälle, in denen auf der Nativröntgen- aufnahme abgesehen von der vorderen Beckenringfraktur keine weitere Verletzung identi- fiziert werden konnte, bestanden Frakturen des Os sacrum. Diese wurden initial alle konservativ behandelt, 30% von ihnen muss- ten sekundär jedoch noch opera- tiv versorgt werden. den. Nach dem angeschlossenen Vergleich mit Literaturberichten alternativer, spezialisierterer Behandlungsschemata, die Be- ckentamponaden einschließen, kommen die Autoren zu dem Fazit, dass das ATLS-Schema für die suffiziente Behandlung hämodynamisch instabiler Patienten mit instabilen Becken- frakturen nicht ausreichend ist. Auswirkungen von Beckenringverletzungen   auf das Geburtsverhalten Bei erfolgreicher Behandlung von Beckenringfrakturen von Frauen im gebärfähigen Alter tritt früher oder später in jedem Behand- lungsverlauf die Frage nach dem Erhalt der Reproduktions- und Geburtsfähigkeit auf. In der retro- spektiven Analyse von 31 Patien- tinnen, welche nach Behandlung von 10 B-Frakturen und 21 C- Frakturen (17 operative Ver- sorgungen) schwanger wurden, konnten 54 Schwangerschaften nachuntersucht werden. Bei 16 Frauen fanden 25 vaginale Ent- bindungen statt. 7 Frauen waren in postoperativem Zustand. Von ihnen behielten 4 vordere und 4 vordere oder hintere Implantate. 3 Patientinnen gebaren ihr Kind trotz Symphysenverplattung vagi- nal. 13 Frauen hatten 26 Kaiser- schnittentbindungen hinter sich, von diesen waren 48% operativ versorgt worden. Die Kaiser- schnittentbindungen korrelierten nicht mit dem ursprünglichen Be- ckenringfrakturtyp oder der ver- Originalpublikation Vallier HA, Cureton BA, Schubeck D (2012) Pregnancy outcomes after pelvic ring injury. J Orthop Trauma 26:302-307 bliebenen Dislokation. Es bestand aber ein Trend zu Kaiserschnitten, wenn noch Osteosynthesemate- rial in situ war. Es wird von der Autorin zusammengefasst, dass vaginale Entbindungen nach Be- ckenringfraktur bei unauffälligen Schwangerschaften möglich sind und auch belassenes Osteosynthe- sematerial per se keine Kontrain- dikation darstellen. Es werden Leitlinien eingefordert, die die In- dikationen zu Kaiserschnittent- bindungen nach Beckenringfrak- turen bezüglich Dislokationsgra- den und verbliebenem Osteosyn- thesematerial objektivieren sollen.
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Page 1: Verletzungen des Beckens

Update Unfallchirurgie · Verletzungen des Beckens

968 |  Der Unfallchirurg 11 · 2013

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. C. JostenKlinik für Unfall-, Wiederherstel-lungs- und Plastische Chirurgie Universitätsklinikum Leipzig Liebigstraße 20 04103 Leipzig [email protected] leipzig.de

Die Beiträge stammen aus dem Handbuch Orthopädie/Unfallchirur-gie 2013 und entsprechen den Semi-narunterlagen des 5. Ortho Trauma Update 2013 der medupdate GmbH.

Unfallchirurg 2013 · 116:968–969DOI 10.1007/s00113-013-2511-1 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

Häufigkeit von okkulten Sakrumfrakturen  bei vorderen Beckenringfrakturen

In einer ringförmigen Konstruk-tion wie dem menschlichen

Becken ist es relativ unwahr-scheinlich, dass Kräfte durch den Bruch des Ringes an nur einer Stelle abgeleitet werden können. Nach Stürzen vorwiegend älterer Menschen sehen wir nativradio-logisch häufig Schambeinast-frakturen. Ohne zusätzlicher Schnittbildgebung ist es möglich,

dass nichtdislozierte Frakturen im hinteren Teil des Beckenrin-ges übersehen werden und die anschließende Behandlung kom-plizieren.

Bei retrospektiver Analyse von 177 Patienten mit durchge-führter CT-Schnittbildgebung bei vorderer Beckenringfraktur

Originalpublikation

Scheyerer MJ, Osterhoff G, Wehrle S et al (2012) Detection of posterior pelvic injuries in fractures of the pubic rami. Injury 43:1326-1329

ATLS-konforme Behandlungen führen bei hämodynamisch instabilen Patienten  mit instabilen Beckenfrakturen zu schlechten Überlebensraten

Es wurden retrospektiv 48 Be-handlungsverläufe nach Nutzung des ATLS-Protokolls ausgewer-tet. Diese wurden nach Anord-nung des Traumaleaders angio-graphiert oder extern stabilisiert. Ein festgeschriebenes Schema bezüglich eines Transfusions-managements bestand nicht. Der mittlere ISS der Patienten betrug 43,2 Punkte, der mittlere systoli-sche Blutdruck betrug 75 mmHg

bei Einlieferung. Es wurden durchschnittlich 7 Erythrozy-tenkonzentrate sowie 4,2 fresh frozen Plasma-Einheiten in den ersten 6 Stunden verabreicht. Bei 14 wurde eine Angiographie vor-genommen, bei 12 Patienten eine Embolisation durchgeführt. Im Durchschnitt vergingen 3 Std 55  min bis zur Angiographie. 20 Patienten (41,7%) verstarben. 13 (27,1%) in den ersten 24 Stun-

Originalpublikation

Hou Z, Smith WR, Strohecker KA et al (2012) Hemodynamically unsta-ble pelvic fracture management by advanced trauma life support gui-delines results in high mortality. Orthopedics 35:e319-324

konnte bei 28,8% eine zusätz-liche Azetabulumfraktur detek-tiert werden. In 96,8% der Fälle, in denen auf der Nativröntgen-aufnahme abgesehen von der vorderen Beckenringfraktur keine weitere Verletzung identi-fiziert werden konnte, bestanden Frakturen des Os sacrum. Diese wurden initial alle konservativ behandelt, 30% von ihnen muss-ten sekundär jedoch noch opera-tiv versorgt werden.

den. Nach dem angeschlossenen Vergleich mit Literaturberichten alternativer, spezialisierterer Behandlungsschemata, die Be-ckentamponaden einschließen, kommen die Autoren zu dem Fazit, dass das ATLS-Schema für die suff iziente Behandlung hämodynamisch instabi ler Patienten mit instabilen Becken-frakturen nicht ausreichend ist.

Auswirkungen von Beckenringverletzungen  auf das Geburtsverhalten

Bei erfolgreicher Behandlung von Beckenringfrakturen von Frauen im gebärfähigen Alter tritt früher oder später in jedem Behand-lungsverlauf die Frage nach dem Erhalt der Reproduktions- und Geburtsfähigkeit auf. In der retro-spektiven Analyse von 31 Patien-tinnen, welche nach Behandlung von 10 B-Frakturen und 21 C-Frakturen (17 operative Ver-

sorgungen) schwanger wurden, konnten 54 Schwangerschaften nachuntersucht werden. Bei 16 Frauen fanden 25 vaginale Ent-bindungen statt. 7 Frauen waren in postoperativem Zustand. Von ihnen behielten 4 vordere und 4 vordere oder hintere Implantate. 3 Patientinnen gebaren ihr Kind trotz Symphysenverplattung vagi-nal. 13 Frauen hatten 26 Kaiser-schnittentbindungen hinter sich, von diesen waren 48% operativ versorgt worden. Die Kaiser-schnittentbindungen korrelierten nicht mit dem ursprünglichen Be-ckenringfrakturtyp oder der ver-

Originalpublikation

Vallier HA, Cureton BA, Schubeck D (2012) Pregnancy outcomes after pelvic ring injury. J Orthop Trauma 26:302-307

bliebenen Dislokation. Es bestand aber ein Trend zu Kaiserschnitten, wenn noch Osteosynthesemate-rial in situ war. Es wird von der Autorin zusammengefasst, dass vaginale Entbindungen nach Be-ckenringfraktur bei unauffälligen Schwangerschaften möglich sind und auch belassenes Osteosynthe-sematerial per se keine Kontrain-dikation darstellen. Es werden Leitlinien eingefordert, die die In-dikationen zu Kaiserschnittent-bindungen nach Beckenringfrak-turen bezüglich Dislokationsgra-den und verbliebenem Osteosyn-thesematerial objektivieren sollen.

Page 2: Verletzungen des Beckens

Ticker

 ▶ Verletzungsmuster und Dislokationstypen bei lateralen Kompressions-frakturen des Beckens 

Bei einer retrospektiven Analyse von 318 lateralen Beckenkompressions-frakturen war in jedem Fall der vor-dere Beckenring betroffen. In 96% bestanden Verletzungen des hinte-ren Beckenringes. In 87% bestanden Sakrumfrakturen. Diese waren in 51% der Gesamtfälle anteriore in-komplette Frakturen, in 17% einfach komplette Frakturen und in 15% Trümmerfrakturen. In 13% traten Sichelfrakturen auf. 33% der dete-kierten Frakturen waren bei Erstvor-stellung disloziert. Bei beidseitigen vorderen Beckenringfrakturen tra-ten Dislokationen im hinteren Beckenring häufiger auf.

Weaver MJ et al (2012) Clin Orthop Relat Res 470:2104-2110

969Der Unfallchirurg 11 · 2013  | 

DVeranstaltungshinweis

Köln, 14.–15.03.2014Ortho Trauma Update 20146. Orthopädie-Unfallchirurgie- Update-Seminar – Unter der Schirm-herrschaft der DGOU/DGSP

Ist ein verkürzter ilioinguinaler Zugang  bei der Behandlung von Azetabulumfrakturen vorteilhaft?

Eine geringere Zugangsgröße ist hypothetisch mit geringerem Blutverlust und evtl. kürzeren Operationszeiten durch geringe-ren Präparations- und Wundver-schlussaufwand verbunden.

Diese Fragestellung wurde an einem Kollektiv von 143 Pa-

tienten im Alter über 55 Jahren untersucht. In die retrospektive Auswertung konnten 24 Patien-ten eingeschlossen werden, bei denen alle 3 Fenster des klassi-schen ilioinguinalen Zugangs genutzt wurden, welche 17 Pa-tienten gegenübergestellt werden konnten, die nur durch die late-ralen beiden Fenster reponiert und fixiert wurden.

Es waren bei vergleichbaren Verle t zu ngsschweren u nd Patientendaten sowie Behand-lungsparametern in beiden Gruppen gleiche Quoten von

sekundären Prothesenimplan-tationen von 27% sowie glei-che Ergebnisse in SF-36, Short Musculosceleta l functional assessment und Musculosceletal functional assessment erreicht. Die Nutzung aller 3 Zugangs-fenster war mit signif ikant höherem Blutverlust und länge-rer Operationsdauer verbunden.

Die Nutzung eines verkürz-ten ilioinguinalen Zuganges er-scheint also in diesen beiden Ka-tegorien dem klassischen Zugang überlegen.

Originalpublikation

Jeffcoat DM, Carroll EA, Huber FG et al (2012) Operative treatment of acetabular fractures in an older po-pulation through a limited ilioin-guinal approach. J Orthop Trauma 26:284-289

Vollbelastung in der konservativen Therapie  minimal dislozierter lateraler Kompressionsfrakturen

Analysiert wurden retrospektiv 118 Patienten mit lateralen Kom-

pressionsfrakturen, welche <10mm disloziert waren. Bei mittlerem ISS von 16 betrug das Durchschnittsalter der Patienten 46 Jahre. Die Patienten durften sofort schmerzorientiert voll be-lasten. In den Kontrolluntersu-chungen nach Belastung, nach 1  Woche sowie 4-6 und 10-12 Wochen posttraumatisch, die

durch konventionelle Röntgen-aufnahmen vorgenommen wur-den, zeigte sich nur bei einem Patienten eine Zunahme der Dis-lokation >5mm und anhaltende Schmerzen. Dieser Patient wurde dann durch geschlossene Reposi-tion und Beckenfixateur ausbe-handelt. Die Autoren halten eine konservative Therapie mit sofor-

Originalpublikation

Sembler Soles GL, Lien J, Tornetta P (2012) Nonoperative immediate weightbearing of minimally dis-placed lateral compression sacral fractures does not result in displace-ment. J Orthop Trauma 26:563-567

Behandlungsalgorithmus von hämodynamisch instabilen Patienten in extremis mit Beckenringfrakturen

Gänsslen gibt in seinem Review über die Behandlung der Sub-gruppe der sich in extremis be-findlichen Patienten mit Becken-

Ressourcen in einem Beckengurt oder in einer invasiven Anlage einer Beckenzwinge oder eines Beckenfixateur erfolgen soll. Diese soll direkt von einer extra-peritonealen Beckentamponade gefolgt werden, die die in 80-90% der Fälle venösen Blutungen des präsakralen Plexus stoppen kann. In Fällen, in denen weitere Hämoglobinabfälle zu verzeich-nen sind, soll eine Blutstillung

Originalpublikation

Gänsslen A, Hildebrand F, Pohle-mann T (2012) Management of hemodynamic unstable patients „in extremis“ with pelvic ring frac-tures. Acta Chir Orthop Traumatol Cech 79:193-202

tiger schmerzorientierter Voll-belastung für eine sichere Behandlungsoption.

Kommentar: Das hier untersuch-te Patientengut entspricht in sei-nem geringen Durchschnittsalter leider nicht unseren häufig gese-henen älteren Patienten mit osteoporotischer Sakrumfraktur. Wir nehmen an, dass es in dieser Subgruppe deutlich differierende bei konservativer Therapie unter Vollbelastung gäbe.

frakturen, welche er als Patienten im Schock mit systolischem Blut-druck unter 70 mmHg und wei-terem Katecholaminbedarf trotz Transfusion von mehr als 12 Ery-throzytenkonzentraten in den ersten 2 Stunden nach Einliefe-rung definiert. Für diese 2%ige Subgruppe aller Beckenfraktur-pationen sieht er einen hohen Stellenwert in einer externen Sta-bilisierung, die je nach lokalen

durch selektive Angioembolisa-tion erreicht werden.


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