Date post: | 05-Apr-2015 |
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Verhaltenstherapie im Alter
G. GattererPsychologisch-psychotherapeurische Ambulanz
Geriatriezentrum am [email protected]
www.drgatterer.at.tt
Aspekte des Alterns
• Kalendarisches Alter• Biologisches Alter• Psychologisches Alter• Soziales Alter• Ökologischer Aspekt• Systemischer Aspekt
Theorien zum Altern
• Biologische Theorien (Molekular, Zelle, Genetik, Zellstoffwechsel, Organe, Organismus)
• Psychologische Theorien (Aktivitätstheorie, Austauschtheorie, kognitives Modell, Kompetenzmodell, Kontinuitätstheorie)
• Ökologisches Modell
Definition Verhaltenstherapie
Alle Therapieformen, die sich in der Methodik an den Ergebnissen der empirischen Lernforschung, der allgemeinen experimentellen Psychologie, Sozialpsychologie, Psychophysiologie (Verhaltensmedizin) und anderen wissenschaftlichen Erkenntnissen orientieren.
„Pathologische“ Verhaltensweisen entstehen nach den selben Gesetzesmässigkeiten wie „normale“; Lernprozesse
Grundüberlegungen zu Psychotherapie im Alter
• Beobachtung des Verhaltens• Aufbauend auf Diagnostik• kognitives Niveau (Ressourcen)• Individuell (Biografie)• Kontinuierlich• Integration in Gesamtbehandlungskonzept• Integration der Angehörigen• Flexibilität des Therapeuten
Gesundheit und Krankheit im Alter
Was ist pathologisch und was stört uns nur?
Definition Gesundheit/ Krankheit (Normalität)
Medizinisches Sichtweise; Statistisches Sichtweise;
Subjektive Sichtweise
Medizinische Sichtweise
• Fehlen von Krankheiten • Angabe von Normwerten• Kriterium der „Funktionsfähigkeit“• Definition von Kht. durch Symptome• Probleme durch „Alternsveränderungen“• Fehlen von Normwerten für normales Alter• Problem soziale Normen/Psychische Krankheiten
Statistische Norm
• Vergleichsgruppe als Maß• Statistische Abweichung• Problem der „Normalität von Krankheit“ im
Alter• Sind alterskorrelierte Veränderungen und
Beeinträchtigungen normal?• Problem der „Abweichung von Norm“• Unterschiedliche Normen
Subjektive Sichtweise
• Subjektiv empfundene Einschränkungen und deren Wertigkeit
• Abweichung von subjektiver Norm
• Problem der Vergleichbarkeit
• Wertigkeit durch Betroffenen definiert oft ohne Krankheitswert
• Subjektives Altern/Bewertung
Allgemeine Problembereich
• Wann ist man „normal“ und „gesund“ im Alter?• Wann Therapie notwendig?• Unterschiedliche Sichtweisen der Wertigkeit für
Altern• Nicht „krankheitswertige“ Veränderungen z.B.
Schlafdauer• „Normale“ Leistungsfähigkeit (Verlangsamung,
Gedächtnis,...)• Biologische Parameter (RR, Diabetes,....)
Psychische Normalität
• Definition über:– Verhalten– Häufigkeit und Intensität– Kontext– Soziale Normen– Erklärbarkeit und Nachvollziehbarkeit– Leiden des Betroffenen (oder der Umwelt)
• Veränderungen unterworfen• Systematische Beschreibungen (ICD; DSM)
Normalität
normalÜber normal individuellauffällig
grenzwertig
pathologisch
VerhaltenStimmungAntriebDenkenSchlaf,.....
Nicht „normale“oder nicht erklärbare„Symptome“z.B. Halluzinationen
Die Bewertung der Bereiche erfolgt nach „zu viel“ oder „zu wenig“
Behandlungsbedürftigkeit
• Auf Wunsch des Patienten (Leidensdruck)
• Im Auftrag der Gesellschaft (Zwangsbehandlung bei Selbst- und/oder Fremdgefährdung)
• Auf Wunsch der Gesellschaft, da Mensch stört?
Problembereiche
• Grundbedürfnisse (Essen, Schlafen,....)• Wünsche• Einstellungen• Verhaltensweisen (Rauchen, Alkohol, Drogen,...)• Institutionelle Normen• Gesetzliche Vorschriften• Individuelle Sichtweisen
Beispiel
• Demenzkranker Bewohner geht viel herum und öffnet alle Türen
• Ist das Krankheitswertung und muss behandelt werden?
• Kann es gegen seinen Willen erfolgen?
• Wo liegen die Grenzen?
Bespiel alkoholkranker Mensch
• Trinkt zu viel Alkohol und randaliert
• Kriterium der Selbst- und Fremdgefährdung?
• Situativer Kontext (Polizei vs. Psychiatrie)
Abschließende Bemerkungen
• Rahmen für „Pathologie“nicht immer klar definierbar• Psychiatrie kann nur bei Selbst-bzw.
Fremdgefährdung gegen Willen behandeln (nur akut)• Individualitäten sind auch bei Demenzkranken, wenn
keine eindeutige Pathologie, (Halluzinationen, Wahn, ...) kein Kriterium für Behandlung gegen den Willen
• Sicherheitsbeschränkende Maßnahmen müssen dokumentiert und begründet werden
Aspekte der Behandlung
• Biografischer Aspekt (Lebensgeschichte/ Konflikte)
• Situativer Aspekt (aktuelle Situation)
• Personaler Aspekt (subj. Verarbeitung)
• Sozialer Aspekt
• Kontextueller Aspekt (Umweltfaktoren)
Ziele psychotherap. Maßnahmen
• Stabilisierung des Krankheitsbildes
• Verbesserung in Teilbereichen
• Ausnützen der Ressourcen
• Erhöhung der Kompetenz/Autonomie
• Erhöhung der Lebenszufriedenheit
• Bessere Integration
• Unterstützung anderer Maßnahmen
Bereiche
• Prävention (Gerontoprophylaxe): Informationen, Training, Vorbereitung „use it or loose it“
• Rehabilitation: Behandlung und Wieder-herstellung
• Management funktionaler Restzustände: Cooping und Management bei irreversi-blen Störungen
Probleme bei Psychotherapie im Alter
• Von Seiten des Therapeuten– „Defizitmodell“– Eigene Einstellung zum älter werden– Angst, der Patient könnte sterben– Umkehrung der Übertragungskonstellation– Reaktivierung eigener Konflikte mit Eltern-
generation– Abwertende Vorurteile von Fachkollegen
Probleme (Therapeut II)
– Multimorbidität– primär organische Sichtweise– Notwendigkeit der Modifikation des
therapeutischen Ansatzes entsprechend der Bedürfnisse und Ressourcen des älteren Menschen
– Änderung der Zieldefinition
Probleme
• Vom Patienten– Angst vor Neuem und Unbekanntem– Primär organisch/medizinische Ausrichtung– erschwerter Zugang zur Psychotherapie– Einstellung der Betroffenen zum Alter als
Schicksal (Unveränderbarkeit)– Störungsbilder oft nicht eindeutig
klassifizierbar
Probleme
• Von der Therapiemethode– Änderung der therapeutischen Zielsetzung
(Wiedererlangung/Stabilisierung der psychosozialen Autonomie)
– Modifikation der Methode– Interdisziplinäre Sichtweise (Kooperation)– Fehlende Effizienznachweise– Fehlende Ausbildung der Therapeuten im
Bereich Gerontologie
Psychische Störungen im höheren Lebensalter
• Demenzen• Depressionen• Suicid• Neurotische-, Belastungs- und somatoforme
Störungen• Psychische und Verhaltensstörungen durch
psychotrope Substanzen• Persönlichkeitsstörungen
(Lern)Theorien
• Klassisches Konditionieren (Reflexe)• Operantes Konditionieren (Verstärker)• Kognitives Lernen (Wiederholung)• Modelllernen (Beobachtung)• Emotionales Lernen• Sozialpsychologische Aspekte (Attributionen)• Systemische Ansätze• Schemata
Ursachen der Depression im Alter
• Endogene Ursachen (Neurotransmitter)• Somatogene Ursachen (Krankheiten,
Medikamente)• Psychogene Ursachen (reakt. Depression) Im Alter oft Kombination verschiedener
Faktoren, unspezifischer, von körperlichen Krankheiten überlagert. Symptome oft verwaschen und mit „alt“ assoziert.
Psychologische Theorien zur Depression
• Verstärkertheorie
• Gelernte Hilflosigkeit
• Kognitive Modelle – Auslöser-Kognition-Bewertung-Gefühl-
Verhalten– Attributionen– Schemata
Verhalten ist Resultat von
Biologischem Substrat
Psychischen sozialen
Faktoren Faktoren
Ökologisch/kontextuellen Faktoren
Verhalten
Globales Modell
Auslöser
Intern
extern
Verar-beitung
Erfahrungen, Normen,...
Situation
Bewertung Reaktion Konsequenz
Wahrneh-mung
Verhaltenstherapeutisches Vorgehen
DiagnostikGesprächVerh. AnalyseFunkt. Bed. Modell
Psychometr.Untersuchung
Motivation
TherapiePsych. Störung Kogn. Störung
Evaluation
Verhaltensanalyse
• Analyse der aktullen Problemsituation auf– Makroebene: Systemebene (Genese und
Aufrechterhaltung unter Berücksichtigung der Familiengeschichte, Lerngeschichte, Persönlichkeit, etc.)
– Mikroebene: Symptomebene
• Erhebung von Regeln, Normen und kognitiven Schemata
Stimulus - Organismusvariable - Reaktion - Konsequenz
Problemanalyse
Psychologische Theorien Behandlung
• Aktivitätstheorie Aktivierung• Kognitive Alternstheorie kognitive
Umstrukturierung• Kompetenzmodell Ressourcenorientierung• Kontinuitätstheorie Lebensstile/ Biografie• Ökologisches Modell Umweltgestaltung
Verhaltenstherapie bei Depressionen
• Mehrdimensional
• Aktivitätsstraining/-aufbau
• kogn. Umstrukturieren automat. Gedanken
• Förderung sozialer Kompetenz
• Genußtraining/Resensibilisieren
• Wahrnehmungstraining
• Milieutherapie
Analyse der Schemata
• Grundlage für Verhalten sind oft kognitive Schemata (z.B. geliebt werden)
• Diese zeigen sich in Regeln und Normen (z.B. angepasst sein)
• In Kognitionen (ich darf nichts sagen)• Im Verhalten (sozial angepasster Mensch)
Praktisches Beispiel
• Frau M., 81 a, depressive Symptomatik mit diversen Schmerzen seit Tod des Partners vor 8 a.
• Symptome: Schlafstörungen, verminderte Akt., Antriebsmangel, Appetitlosigkeit, Stimmung depressiv, keine Lebensfreude
• Verhaltensanalyse: D. verstärkt bei Einsamkeit. Zuwendung durch Kinder. Überfordert sich leicht.
Bespiel Fortsetzung
• Kognitionen: Ich kann nichts mehr, bin schon zu alt. Warte auf Sterben.
• Verhalten: inaktiv, sucht Hilfe• Emotionen: ängstlich, depressiv• Physiologisch: Schmerzen, geringe
Belastbarkeit• Schemata: Nur wer etwas leistet ist
wertvoll.
Therapie
• Analyse des Tagesablaufes
• Strukturierung des Tagesablaufes
• Wahrnehmungstraining
• Umbewertung von „Erfolg“
• Selbstverstärkung
• Genuss ohne Leistung
• Kombination mit SSRI
Ergebnis
• Verminderung der Depression (GDS)
• Vermehrt Aktivitäten ohne sich zu überfordern
• Vermehrte soziale Kontakte
• Neue „Genüsse“ (Reisen, Heurigenbesuche, ….)
• Dauer 34 Sitzungen
VT-bei Demenzen
• Demenz: Multiple kogn. Defizite, Verminderung zu früherer Leistung, organische Ursache.
• Gruppen: Alzheimer,degenerat. Prozesse, vask. Demenzen, Alkohol, sonstiges
• Veränderungen im Verhalten und Erleben• Therapie: Medikamente, kogn. Training,
Milieu, Angehörigenbetreuung
VT bei Demenzen
Technik IndikationVerhaltensanalyse alle Stadien
Psychoedukation leicht/mittel
Aktivitätenaufbau leicht/mittel
Mod. Dysfunkt. Gedanken leicht
emot. Bewältigung leicht
Gedächtnishilfen/kogn.Train. leicht/mittel
Problemlösen leicht/(schwer)
Verh. Aufbau: Rollenspiele leicht
VT bei Demenzen
Technik IndikationVerh. Aufbau: Modellernen leicht/mittel
Verh. Abbau: Shaping, Prompting, leicht/mittel
Fading, Chaining
Token-Economie; Time-Out schwer
Kontingenzmanagement bei mittel/schwer
Inkontinenz
Verh. Abbau: Stimuluskontrolle mittel/schwer
Arbeit Angeh., Betreuer alle Stadien
VT bei Demenzen -Unterstützungen
Technik IndikationNeuropsychol. Training leicht/(mittel)Realitäts-Orientierungs-Training leicht/mittelKompetenz-Training leicht/mittelSelbsterhaltungstherapie leicht/mittelErinnerungstherapie leicht/mittelBiografiearbeit leicht/(schwer)Validation alle StadienResensibilisierung, Remotivation,Resozialisierung alle Stadien
VT bei Demenzen -Unterstützungen
Technik IndikationMilieutherapie alle Stadien
Kunsttherapie alle Stadien
Musiktherapie alle Stadien
Bewegungstherapie/Tanz alle Stadien
Realitätsorientierungs-Training
• Verwendung einer ROT-Tafel• Anrede mit Namen• Realitätsnahe Aufgaben/alle Bereiche• dem kogn. Niveau angepaßt/aufbauend• spielerisches Erarbeiten• Verstärkung und Korrektur (Zusatzinfo.)• Verst. von Kommunikation• Integration Familie
Nicht-medikamentöse. Maßnahmen bei kogn. Störungen
• Leben, lieben, laufen, lernen, lachen• Training von Basisleistungen wie Flexibilität,
Koordination, Speed,…• Neuropsychologische Therapien,
Gedächtnistrainings etc.• Psychosoziale Maßnahmen• Psychomotorik; Entspannung• Psychotherapie• Computertrainings
Logisches Denken
Umstellbarkeit
Fall: F.G. weiblich, 53a
• Dg.: Spast. Tetraplegie, 10 a im PH• Ziel: Entlassungsvorbereitung• Probleme: Selbständigkeit, Angst,
Hospitalismus, leichte kogn. Defizite• Therapie
– Motivation für selbständiges Wohnen– Funktionstraining (Koop. Ph.Therap.)– Selbständigkeitstraining
Fall-Fortsetzung
– Entspannungstraining– Aufbau von Selbstvertrauen und Selbst-
sicherheit/ Verstärkung– Wohnungssuche und Adaptierung (DSA)– schrittweise Ausgliederung in Whng.– Problemlösetraing (Stürze, Krankheit,..)– Entlassung und Nachbetreuung
Vorteile VT
• Gegenwartsorientiertheit
• Anwendbarkeit durch Paraprofessionelle
• Zerlegung komplexer Verhaltensweisen
• Direkte, kontin. Beobachtung der Effekte
• Effizienzbeurteilung
• Breites Methodenrepertoire
• Kombination mit anderen Therapieformen
Mögliche Probleme VT
• Zieldefinition
• Ethisch moralische Überlegungen bei operanten Methoden bei Demenzen
• „Patentrezepte“
• Vernachlässigung individueller Situation
• Anpassung des Patienten an „schlechte“ Grundstrukturen anstelle deren Änderung
Grundlegende Philosophie
Jeder Patient, auch der ältere Mensch mit schwerer Demenz ist „Kunde“ im Gesund-heitswesen. Insofern sollten sich alle getroffenen Maßnahmen an seinen Grundbedürfnissen orientieren.
Ziel ist die bio-psychosoziale Stabilisierung.