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Urteil des Landgerichts Deggendorf vom 22. Februar 1960 betreffend die Verzichtsklausel im...

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Urteil des Landgerichts Deggendorf vom 22. Februar 1960 betreffend die Verzichtsklausel im ungarischen Friedensvertrag von 1947 Source: Archiv des Völkerrechts, 9. Bd., 2. H. (April 1961), pp. 225-230 Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KG Stable URL: http://www.jstor.org/stable/40797227 . Accessed: 12/06/2014 19:05 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp . JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. . Mohr Siebeck GmbH & Co. KG is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to Archiv des Völkerrechts. http://www.jstor.org This content downloaded from 185.2.32.49 on Thu, 12 Jun 2014 19:05:20 PM All use subject to JSTOR Terms and Conditions
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Urteil des Landgerichts Deggendorf vom 22. Februar 1960 betreffend die Verzichtsklausel imungarischen Friedensvertrag von 1947Source: Archiv des Völkerrechts, 9. Bd., 2. H. (April 1961), pp. 225-230Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KGStable URL: http://www.jstor.org/stable/40797227 .

Accessed: 12/06/2014 19:05

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Entscheidungen zi^

Urteil des Landgerichts Deggendorf vom 22. Februar 1960

betreffend die Verzichtsklausel im ungarischen Friedensvertrag von 1947 *)

Der in den Friedensverträgen der Alliierten mit den ehemaligen Verbündeten des Deutschen Reiches ausgesprochene Verzicht der ehemaligen Verbündeten muß von den deutschen Gerichten beachtet werden. Innerstaatliche Normen dürfen bei der Auslegung völkerrechtlicher Verträge nicht herangezogen werden, zumal dann nicht, wenn der betretende Staat bei Abschluß des völkerrechtlichen Vertrages nicht beteiligt gewesen ist. Die von der Verzichtsklausel betroffenen Forderungen

können zur Zeit nicht geltend gemacht werden.

Tatbestand :

Der Kläger hat gegen die Ungarische Fluß- und Seeschiffahrtsgesellschaft AG. in Budapest (MFTR) rückständige Pensionsforderungen von insgesamt 26 558,25 DM. Auf Grund verschiedener Vollstreckungstitel gegen die MFTR erwirkte der Kläger am 23. 2. 1959 einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluß gegen die Beklagte be- züglich der der MFTR angeblich zustehenden Forderung aus einer im Jahre 1944 an die Beklagte geleisteten Vorschußzahlung von nunmehr ca. 22 000 DM.

Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 12. 3. 1959 jegliche Zahlung ab mit der Begründung, daß sie die Anzahlung von 200000 RM für den Bau eines Schiffes nicht von der Schuldnerin des Klägers, sondern von der Königlich Ungarischen Fluß- und Seeschiffahrts AG. erhalten habe und daß auch dieser Gesellschaft keine Forderung mehr zustehe.

Der Kläger hat daraufhin Klage erhoben, und zwar zunächst beim Amtsgericht mit einem Teilbetrag von 100.- DM. Auf die Beanstandung der Beklagten, daß hierin eine Erschleichung des Gerichtsstandes zu erblicken sei, hat der Kläger seinen Antrag auf 1200.- DM erweitert. Nach Verweisung des Rechtsstreits an das Land- gericht hat der Kläger bis zur letzten mündlichen Verhandlung folgenden Antrag verlesen:

Die beklagte Partei ist schuldig, an den Kläger einen Betrag von 1200.- DM samt 4'% Zinsen seit 16. 3. 1959 zu bezahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat ferner Widerklage er- hoben mit dem Antrag:

Es wird festgestellt, daß dem Kläger und Widerbeklagten gegenüber der Be- klagten und Widerklägerin aus dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluß des AG Deggendorf M 110/59 vom 23- 2- *959 aucn keine den Klagsbetrag von 1200.- DM übersteigende Forderung zusteht - insbesondere nicht eine solche bis zu einem Be- trage von 6400.- DM.

Sie hat geltend gemacht, daß sie nicht mit der MFTR, sondern mit der König- lichen MFTR in Geschäftsverbindung gestanden habe; die beiden Gesellschaften seien nicht identisch; die erstere sei auch nicht die Rechtsnachfolgerin der letzteren; mög* licherweise handle es sich um eine entschädigungslose Enteignung der Königlichen MFTR, die in der Bundesrepublik nicht anerkannt werde und jedenfalls keine recht- liche Wirkung für in Deutschland belegene Vermögensteile nach sich ziehen könne; die Klage sei auch deshalb unbegründet, weil die fragliche Anzahlung aus dem Jahre 1944 für die Vorarbeiten zum Schiffsbau restlos aufgebraucht worden sei. Schließlich hat sich die Beklagte noch auf den ungarischen Friedensvertrag berufen

*) Abdruck nach: Ausfertigung des Landgerichts Deggendorf (O 103/59).

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und ausgeführt, daß die Forderung der MFTR durch den dort ausgesprochenen Verzicht erloschen sei.

Der Kläger hat beantragt, die Widerklage als unzulässig abzuweisen. Er hat wei- ter vorgebracht, die Königliche MFTR und die MFTR seien identisch; eine Ent- eignung liege nicht vor, weil sich die Aktien der Königlichen MFTR ebenso wie die der MFTR stets in Händen des ungarischen Staates befunden hätten. Der im unga- rischen Friedensvertrag enthaltene Verzicht erstrecke sich nicht auf den fraglichen Anspruch auf Rückerstattung der Anzahlung, weil dieser erst nach dem 8. 5. 1945 entstanden sei, und zwar in dem Zeitpunkt, in dem die Durchführung des Auftrages nicht mehr möglich gewesen sei. Im übrigen halte sich weder der ungarische Staat noch die Bundesrepublik Deutschland an die Verzichtsklausel; seit längerer Zeit schwebten Verhandlungen zwischen deutschen und ungarischen Stellen über An- sprüche, die ungarische Staatsangehörige gegen den Bayerischen Lloyd geltend mach- ten; dabei habe sich keine Delegation auf die Verzichtsklausel berufen.

Entscheidungsgründe : Die Klage ist unbegründet. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Schuldnerin des Klägers identisch ist mit

der Königlichen MFTR oder ob sie deren Rechtsnachfolgerin geworden ist oder nicht. Das Verlangen des Klägers muß schon daran scheitern, daß die der MFTR (gleichgültig, ob es sich um die „Königliche" oder deren Rechtsnachfolgerin han- delt) allenfalls gegen die Beklagte zustehende Forderung wegen der Verzichtsklau- sel in Art. 30 Abs. 4 des ungarischen Friedensvertrages vom 10. 2. 1947 zur Zeit nicht geltend gemacht werden kann.

I. Art. 30 Abs. 4 des genannten Friedensvertrages hat folgenden Wortlaut: „Unbeschadet dieser und anderer Verfügungen der Besatzungsmächte in Deutsch-

land zugunsten Ungarns und ungarischer Staatsangehöriger verzichtet Ungarn für sich selbst sowie für ungarische Staatsangehörige auf alle Forderungen gegen Deutsch- land und deutsche Staatsangehörige, die am 8. Mai 1945 ausstanden, mit Ausnahme der Forderungen aus Verträgen und anderen eingegangenen Verbindlichkeiten und aus erworbenen Rechten aus der Zeit vor dem 1. September 1939. Dieser Verzicht umfaßt alle Schulden, alle zwischenstaatlichen Forderungen aus Abmachungen, die im Verlauf des Krieges vereinbart wurden, sowie alle Forderungen aus Verlusten oder Schäden, die während des Krieges entstanden sind."

1. Daß die Reichsmark-Anzahlung aus dem im Jahre 1944 abgeschlossenen Ver- trag hierunter fällt, kann keinem Zweifel unterliegen, denn die Forderung rührt aus einer Abmachung her, die im Laufe des Krieges vereinbart worden ist. Die ur- sprüngliche Vertragsverpflichtung der Beklagten ging zunächst auf Lieferung eines Schiffes. Selbst wenn der Beklagten die Erfüllung unmöglich geworden sein sollte und der Erfüllungsanspruch der MFTR sich deshalb in einen Anspruch auf Rück- gewähr der Anzahlung verwandelt haben sollte (wie der Kläger geltend macht), ändert das nichts an der Tatsache, daß der Verpflichtungsgrund bereits bei Ver- tragsabschluß im Jahre 1944 entstanden ist, also zu einer Zeit, die unter die Ver- zichtsklausel fällt.

2. Die Verzichtsklausel muß von den deutschen Gerichten beachtet werden. Es ist allgemein anerkannt, daß internationale Verträge grundsätzlich Rechte und

Pflichten nur unter den Vertragsstaaten schaffen. Insbesondere erhalten Verträge, die Gegenstände des internationalen Privatrechts behandeln und damit auch das eigene Recht des Staates berühren, nicht bereits durch ihren Abschluß den Charak- ter einer Rechtsordnung, sondern sie bedürfen hierzu eines innerstaatlichen Gesetz- gebungsaktes (Ratifizierung, Ausfertigung und Verkündung). Falls sie hierdurch innerstaatliche Kraft erhalten, können die in solchen Verträgen enthaltenen Vor-

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Entscheidungen zij

Schriften unmittelbar privatrechtliche Wirkungen ausüben, wenn Inhalt, Zweck und Fassung der einzelnen Vorschrift mit aller Klarheit die Annahme zulassen, daß eine solche Wirkung gewollt ist (vgl. hierzu BGHZ 17/309, 313; 18/22, 26).

Die Bundesrepublik Deutschland gehört zwar nicht zu den Unterzeichnerstaaten des ungarischen Friedensvertrages. Sie ist auch nicht etwa von den alliierten Mäch- ten bei diesem Vertragsabschluß vertreten worden. Die Siegermächte haben die sämtlichen Friedensverträge mit den Verbündeten Deutschlands (die sogenannten Nebenfriedensverträge) vielmehr im eigenen Namen abgeschlossen. Das gilt auch für die in sämtlichen Verträgen vom 10. 2. 1947 enthaltene Verzichtsklausel, in wel- cher die ehemaligen Verbündeten Deutschlands gegenüber den Alliierten für sich und ihre Staatsangehörigen auf alle Forderungen aus dem 2. ■Weltkrieg gegen Deutschland und deutsche Staatsangehörigen verzichtet haben. Der Verzicht ist ihnen von den Siegermächten auferlegt worden in erster Linie, um die deutsche Fä- higkeit, Reparationen zu erbringen, durch Forderungen der Verbündeten nicht zu schwächen, zweitens aber wohl auch als gewisse Sühne für das seinerzeitige Bündnis mit Deutschland. Die Bundesrepublik kann sonach bezüglich des ungarischen Frie- densvertrages nicht als Vertragsstaat im völkerrechtlichen Sinne angesehen werden. Der ungarische Friedensvertrag ist auch nicht als Gesetz in Deutschland verkündet worden. Es scheint demnach an allen wesentlichen Voraussetzungen zu fehlen, die für die innerstaatliche Beachtlichkeit des Verzichts vorliegen müssen. Gleichwohl be- steht in Rechtsprechung und Schrifttum - mit Recht - allgemeine Einigkeit darüber, daß der in den Nebenfriedensverträgen ausgesprochene Verzicht der ehemaligen Verbündeten Deutschlands von den deutschen Gerichten beachtet werden muß (BGHZ 16/207, 18/22, 19/259; Granow in Archiv des öffentlichen Rechts Bd. 77 S. 74, Gurski in Der Betriebsberater 1954/909, Willmanns und Tedesko in Betriebs- berater 1955/820, Henn in Betriebsberater 195 5/1 11 5, Wolff in Neue Juristische Wochenschrift 1953/1412, Peter und Escher in Betriebsberater 1958/153, Landgericht München in Neue Juristische Wochenschrift 59/2312). Das Bindeglied zwischen dem ungarischen Friedensvertrag und der deutschen Rechtsordnung stellt das Abkommen über deutsche Auslandsschulden vom 27.2.1953 (Londoner Schuldenabkommen, LSchA) dar. In Art. 5 Abs. 4 LSchA ist festgelegt worden, daß die gegen Deutsch- land oder deutsche Staatsangehörige gerichteten Forderungen von Staaten, die nach dem 1.9. 1939 mit dem Reich verbündet waren, und von Staatsangehörigen dieser Staaten aus Verpflichtungen, die zwischen dem 1. 9. 1939 und dem 8. 5. 1945 ein- gegangen worden sind, gemäß den Bestimmungen behandelt werden, die in den einschlägigen Verträgen getroffen worden sind oder noch getroffen werden. Unter den „einschlägigen Verträgen" sind die Nebenfriedens vertrage vom 10. 2. 1947 und der österreichische Staatsvertrag vom 15. 5. 1955 zu verstehen. Das LSchA ist vom Bundestag durch Gesetz vom 24.8.1953 (BGB 1. II S. 331) genehmigt worden und am 16. 10. 1953 in Kraft getreten. Dadurch ist es für die Bundesrepublik geltendes Recht geworden. Infolge der Bezugnahme auf die „einschlägigen Verträge" im LSchA sind aber auch die in diesen Verträgen getroffenen Vereinbarungen, soweit sie Deutschland betreffen, vor allem also die Verzichtsklauseln, für die deutsche Rechtsordnung verbindlich geworden. Wollte man dies leugnen, dann wäre Art. 5 Abs. 4 LSchA ebenso wie die einschlägige Bestimmung in den Friedensverträgen in- haltslos und eine leere Phrase.

Die Kammer ist nach alledem in Übereinstimmung mit der allgemeinen Meinung der Auffassung, daß der von Ungarn für sich und seine Staatsangehörigen erklärte Verzicht von den deutschen Gerichten zu beachten ist.

II. Die Bedeutung und die Wirkung der in den Nebenfriedensverträgen enthaltenen

Verzichtsklausel ist in Rechtsprechung und Schrifttum umstritten.

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i. Als erster hat sich mit diesem Fragenkomplex - soweit ersichtlich - Granow (Archiv des öffentlichen Rechts Bd. 77 S. 74) befaßt. Er hat die rechtliche Bedeu- tung des Verzichtes zwar nicht näher untersucht, läßt aber keinen Zweifel darüber, daß der Verzicht die betreffenden Staaten und ihre Staatsangehörigen ihrer An- sprüche aus der Bündniszeit gegen das Deutsche Reich und gegen die deutschen Staatsangehörigen „beraubt" hat.

Nach Abschluß des LSchA hat Gurski (Betriebsberater 1954/909) die Forderun- gen der Verbündeten des Deutschen Reiches gegen deutsche Schuldner einer grund- sätzlichen Untersuchung unterzogen, nachdem er schon vorher gegen eine Entschei- dung des Bundesgerichtshofes (Fall Bothnia - Juristenzeitung 54/121) und gegen die dortige Auslegung des Art. 5 des LSchA zu Feld gezogen war (Betriebsberater 1954/ 397). Gurski vertritt die Auffassung, daß mit dem Verzicht die in Betracht kom- menden Forderungen im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Nebenfriedensverträge (15. 9. 1947) erloschen seien.

Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat sich dieser Rechtsansicht in seinem Urteil vom 31. 1. 1955 ausdrücklich angeschlossen (BGHZ 16/207 = Neue Juristi- sche Wochenschrift 55/631).

Der I.Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat in seinem Urteil vom 21.6. 1955 (es handelt sich um das 4. Revisionsurteil in der gleichen Sache) ausgeführt, Art. 5 LSchA komme „für die nicht unter das Abkommen fallenden Forderungen" bis zum Zustandekommen der im einzelnen vorgesehenen internationalen Regelungen einem auf unbestimmte Zeit abgeschlossenen Stillhalteabkommen (Moratorium) gleich; die genannten Forderungen seien also vorläufig „gestundet" und müßten deshalb man- gels Fälligkeit „als zur Zeit unbegründet" abgewiesen werden (BGHZ 18/20). Nun ist allerdings zu bemerken, daß sich das Urteil des I. Zivilsenats mit dem Schadens- ersatzanspruch eines schwedischen Staatsangehörigen, also eines neutralen Landes, befaßt. Forderungen neutraler Staaten und deren Staatsangehörigen fallen nach Art. 5 Abs. 3 nicht unter das LSchA. Die Prüfung dieser Forderungen ist vielmehr zurückgestellt worden. Es liegt insoweit aber auch kein Verzicht vor. Die Bedeutung des Abs. 4 und der Verzichtsklausel in den Nebenfriedensverträgen hat der I. Zivil- senat nicht erörtert. Die Entscheidung des I. Zivilsenats enthält demnach keinen Gegensatz zu der des II. Zivilsenats, wie der IV. Senat offenbar angenommen hat (BGHZ 19/264).

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes, der sich mit der Forderung eines italienischen Staatsangehörigen zu befassen hatte, hat die Frage, wie der Verzicht im Sinne des bürgerlichen Rechtes wirkt, offen gelassen und sich darauf beschränkt, zu erklären, daß die Forderung jedenfalls nach dem Sinn und Zweck des von Ita- lien erklärten Verzichts im Augenblick keinesfalls dem Kläger mehr zustehe; falls die Forderung nicht gänzlich erloschen sei, sondern als Verpflichtung des Schuldners fortbestehe, sei es Sache der Bundesrepublik, deren gesetzgebender Gewalt der Schuldner unterstehe, zu bestimmen, wer Gläubiger der Forderung ist, nachdem Italien für sich und seine Staatsangehörigen auf die Gläubigerrechte verzichtet habe (BGHZ 19/259, 266 = Neue Juristische Wochenschrift 56/343). Der IV. Zivil- senat hat sich im Anschluß an Gurski auch noch auf ein Urteil der Vereinigten Zi- vilsenate des italienischen Kassationshofes vom 2.2. 1953 berufen. In diesem Urteil heißt es unter anderem: „Art. 77 Abs. 4 des italienischen Friedensvertrages enthält einen völligen und umfassenden Verzicht Italiens und seiner Staatsangehörigen auf jegliches Vorgehen gegen Deutschland und deutsche Staatsangehörige . . . Der Ver- zicht ist in vollem Umfang wirksam. Internationale Verträge sind als auf Treu und Glauben gegründete Verträge zu betrachten. Sie sind als solche auszulegen und durchzuführen . . . Der ausgesprochene Verzicht ist vermittels der nachfolgenden Verkündung des Vertrages als Gesetz in ein nationales Gesetz transformiert wor-

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den. Daraus erklärt sich seine Wirksamkeit gegenüber italienischen Staatsangehöri- gen. Man mag darüber streiten, ob die italienische Regierung infolge dieses Ver- zichts gehalten sei, ihre eigenen Staats angehör igen für den ihnen erwachsenen Nach- teil zu entschädigen oder nicht. Über die Rechtswirksamkeit des Verzichts kann kein Zweifel aufkommen." (Auszugsweiser Abdruck in Betriebsberater 1954/148).

Willmanns (Betriebsberater 1955/820) hält die in den „Satellitenverträgen" ent- haltenen Verzichtsklauseln nur für „Provisorien", die zur Folge hätten, daß die betroffenen Forderungen der ausländischen Gläubiger gegen deutsche Schuldner bloß für die Dauer des Bestehens dieser Klauseln nicht gerichtlich geltend gemacht wer- den könnten. Er meint vor allem im Hinblick auf andernfalls entstehende unüber- windliche praktische Schwierigkeiten, daß die Klauseln kein rechtliches Erlöschen der betroffenen Forderungen bewirkt hätten.

In ähnlichem Sinne haben sich auch Peter und Escher in Betriebsberater 1958/153 geäußert. Sie vertreten bezüglich der Frage, ob die Verpflichtungen deutscher Schuld- ner gegenüber Gläubigern in Ungarn, Rumänien, Bulgarien und Italien (aus Reichs- mark-Anzahlungen) weiterhin passiviert bleiben sollen, die Auffassung, daß die Verzichtsklauseln nicht endgültig seien, sie halten zwischenstaatliche Regelungen über das Schicksal dieser Forderungen für möglich, die von den Bestimmungen der Verzichtsklausel abweichen, und fordern deshalb weitere Passivierung dieser Ver- pflichtungen, bis entschieden sei, ob und in welchem Umfang durch noch zu schlie- ßende Verträge mit den ehemaligen verbündeten Staaten diese Verpflichtungen er- füllt werden müssen.

Demgegenüber hat Henn (Betriebsberater 195 5/1 11 5) der Auffassung Gurskis und des II. Zivilsenats des BGH beigepflichtet. Ein wirksamer Verzicht Ungarns, Bulgariens, Rumäniens, Italiens und Österreichs steht für ihn außer Zweifel. Von einem „Provisorium" kann nach seiner Ansicht keine Rede sein. Er hält es zwar für denkbar, daß mit der Bundesrepublik Deutschland später entsprechende Ver- einbarungen geschlossen werden, die ein Wiederaufleben jener Forderungen zum Gegenstand haben, meint aber, daß die Forderungen bis dahin nicht beständen.

2. Die Auffassung, daß die fraglichen Forderungen infolge des Verzichts erlo- schen seien, ist bisher nicht näher begründet worden. Die Vertreter dieser Meinung leiten diese Wirkung des Verzichts offenbar aus einer innerstaatlichen schuldrecht- lichen Norm her, wonach der Verzicht (= Erlaß) das Erlöschen der Forderung bewirkt (§ 397 Bürgerliches Gesetzbuch). Das ist in mehrfacher Beziehung nicht ganz unbedenklich. Nach § 397 BGB ist ein Vertrag zwischen Gläubiger und Schuld- ner erforderlich. Ein Erlaßvertrag zwischen dem Gläubiger und einem Dritten zu- gunsten des Schuldners (wie es sich nach dem ungarischen Friedensvertrag darstellt) ist hiergegen nach dieser Bestimmung nicht möglich. Es ist auch wohl nicht vertret- bar, innerstaatliche Normen bei der Auslegung völkerrechtlicher Verträge heranzu- ziehen, zumal dann nicht, wenn der betreffende Staat bei Abschluß des völkerrecht- lichen Vertrages gar nicht beteiligt gewesen ist. Maßgebend können bei der Aus- legung von Staatsverträgen nur die allgemeinen internationalen Gepflogenheiten und die Rechtsordnungen der Vertragsstaaten sein. Vor allem aber muß bei der Beur- teilung der Tragweite einer Bestimmung in einem völkerrechtlichen Vertrag der von den Vertragspartnern damit verfolgte Zweck herangezogen werden. Wie schon er- wähnt, ist den ehemaligen Verbündeten Deutschlands der Verzicht von den Sieger- mächten in erster Linie deshalb auferlegt worden, um die deutsche Fähigkeit, Re- parationen zu erbringen, nicht zu schwächen. Es handelt sich also eindeutig um eine nicht im Interesse Deutschlands, sondern im Interesse der Alliierten aufgenommene Bestimmung. Die Alliierten sind an ihrer Einhaltung naturgemäß nur interessiert, solange Reparationsleistungen noch ausstehen und soweit die Erfüllung der Repa- rationsverpflichtungen gefährdet würde. Es erscheint im Hinblick auf diese Inter-

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essenlage fraglich, ob die Vertragsmächte als privatrechtliche Wirkung des Ver- zichts ein Erlöschen der fraglichen Forderungen gewollt haben. Lassen aber Inhalt, Zweck und Fassung der Verzichtsklausel nicht mit voller Klarheit die Annahme zu, daß eine solche Wirkung gewollt ist, dann kann diese privatrechtliche Wirkung auch nicht als eingetreten angesehen werden (BGHZ 17/309, 313; 18/22, 26). Die Meinung von Willmanns, Peter und Escher (aaO), die Verzichtsklauseln seien nicht endgültig, seien nur Provisorien, dürfte der Rechtslage wohl am nächsten kommen. Es darf nicht übersehen werden, daß das Verhältnis der Völker zueinander nicht starr ist, sondern sich stets in Fluß befindet und daß völkerrechtliche Verträge nicht nur durch Krieg, sondern auch in gegenseitigem Einvernehmen geändert werden können. So können auch über das Schicksal der von den Verzichtsklauseln betrof- fenen Forderungen im Laufe der politischen Entwicklung eines Tages noch zwi- schenstaatliche Vereinbarungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Un- garn getroffen werden, die von den Verzichtsklauseln abweichen, sofern die Inter- essen der Alliierten nicht beeinträchtigt werden. Die Richtigkeit dieser Auffassung (die außer von Willmanns, Peter und Escher auch von Henn aaO vertreten wird) wird durch die Tatsache erhärtet, daß mittlerweile bereits Verhandlungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Ungarn aufgenommen worden sind, die An- sprüche deutscher und ungarischer Staatsangehöriger zum Gegenstand haben (vgl. das vom Kläger in Abschrift überreichte Schreiben des Vorsitzenden der deutschen Delegation an den Vorsitzenden der ungarischen Delegation vom 7. 12. 1959 und das Schreiben des Bundesministers für Wirtschaft vom 15. 1. i960). Aus letzterem Schreiben ergibt sich, daß bei den deutsch-ungarischen Wirtschaftsverhandlungen Ungarn nicht nur Lohnansprüche seiner Staatsangehörigen gegen den Bayerischen Lloyd, sondern auch Restitutionsansprüche aus der Kriegszeit geltend macht.

Die Kammer glaubt aus all diesen Gründen, sich bezüglich der Wirkung der Verzichtsklausel weder der Auffassung des II. Zivilsenats noch der des IV. Zivil- senats des Bundesgerichtshofes anschließen zu können. Sie sieht sich nicht in der Lage auszusprechen, daß die fraglichen Forderungen erloschen seien oder daß sie dem ungarischen Gläubiger nicht mehr zustehen. Sie hält vielmehr dafür, daß die Gerichte bei der Auslegung völkerrechtlicher Verträge im Hinblick auf die außen- politischen Auswirkungen größtmögliche Zurückhaltung üben und durch ihre Ent- scheidungen nicht zwischenstaatliche Verhandlungen und Vereinbarungen verhindern oder erschweren sollten. Die Kammer beschränkt sich daher auf die Feststellung, daß die von der Verzichtsklausel im ungarischen Friedensvertrag betroffene und vom Kläger gepfändete Forderung zur Zeit (bis zur Beseitigung oder Abänderung der Verzichtsklausel) nicht geltend gemacht werden kann und daß die Klage zu- nächst allein aus diesem Grunde abzuweisen ist, ohne daß es einer Prüfung bedarf, ob die Forderung an sich besteht oder ob die Pfändung schon deshalb ins Leere ge- gangen ist, weil Gläubigerin der Beklagten nicht die Schuldnerin des Klägers ist oder weil die Anzahlung von 200 000.- RM bereits restlos für den Auftrag ver- braucht worden ist. Letztere Fragen müssen erst auf Grund der Widerklage einer Untersuchung unterzogen werden.

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