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Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. September 1958: in Sachen der Anwendung der...

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Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. September 1958: in Sachen der Anwendung der Flüchtlingskonvention von 1951 Source: Archiv des Völkerrechts, 8. Bd., 4. H. (August 1960), pp. 478-482 Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KG Stable URL: http://www.jstor.org/stable/40796541 . Accessed: 12/06/2014 19:24 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp . JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. . Mohr Siebeck GmbH & Co. KG is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to Archiv des Völkerrechts. http://www.jstor.org This content downloaded from 62.122.79.31 on Thu, 12 Jun 2014 19:24:50 PM All use subject to JSTOR Terms and Conditions
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Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. September 1958: in Sachen der Anwendung derFlüchtlingskonvention von 1951Source: Archiv des Völkerrechts, 8. Bd., 4. H. (August 1960), pp. 478-482Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KGStable URL: http://www.jstor.org/stable/40796541 .

Accessed: 12/06/2014 19:24

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478 Entscheidungen

Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. September 1958

in Sachen der Anwendung der Flüchtlingskonvention von 195 1*)

Der Status als ausländischer Flüchtling im Sinne des Art. IA der Genfer Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 19s1 8ent weder durch den recht- mäßigen noch durch den illegalen Übertritt aus einem Land verloren, in dem der Flücht- ling nicht mehr bedroht ist. - Die Tatbestände der national security und public order in Art. 32 der Genfer Konvention setzen überwiegende Interessen des Staates voraus und sind nicht schon erfüllt, wenn der Betroffene straffällig wird. - Die Aufenthaltnahme oder Wohnsitzbegründung eines illegal eingereisten Ausländers kann nachträglich durch Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis rechtmäßig werden. - Die sofortige Vollziehung eines Aufenthaltsverbots gegen einen heimatlosen Ausländer oder gegen einen ausländi- schen Flüchtling ist, abgesehen von dem Fall der Abschiebungshaft und in den Fällen des Art. 33 Abs. 2 der Genfer Konvention, unzulässig.

Aus dem Tatbestand :

Der Kläger wurde als ungarischer Staatsangehöriger geboren. Er kam Ende Mai 1949 aus seiner Heimat in das Bundesgebiet. Von hier ging er im August 1949 nach Belgien. Am 4. Februar 195 1 kehrte er ohne die erforderlichen Grenzübertrittspapiere von Belgien in das Bundesgebiet zurück. Wegen unerlaubten Grenzübertritts und zu- gleich wegen fortgesetzter Fahrgeld- und Steuerhinterziehung wurde er in F. am 1. März 195 1 zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt. Danach blieb der Kläger im Bundesgebiet. Er erhielt einen Fremdenpaß und eine Aufenthaltserlaubnis. Am 20. Januar 1955 wurde er vom Landgericht in M. wegen Einbruchdiebstahls und an- derer Vergehen zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt. Daraufhin erließ die Beklagte am 12. Mai 1955 gegen den Kläger ein unbeschränktes Aufenthaltsverbot; sie ordnete gleichzeitig die sofortige Vollziehung an, ohne sie allerdings durchzuführen. Der Klä- ger beschritt den Verwaltungsrechtsweg. Er berief sich darauf, daß er im Besitz eines IRO-Ausweises sei und die Rechtstellung eines heimatlosen Ausländers habe. Er trug vor, daß die besonderen Voraussetzungen, die für den Erlaß eines Aufenthalts- verbots gegen einen heimatlosen Ausländer vorliegen müßten, in seinem Fall nicht gegeben seien.

Die Klage war in zwei Instanzen ohne Erfolg. Der Bayerische Verwaltungsgerichts- hof führte u. a. aus : Der Kläger sei nicht heimatloser Ausländer im Sinne des Ge- setzes über die Rechtsstellung heimatloser Ausländer, da er seinen Wohnsitz an dem im Gesetz vorgesehenen Stichtag, dem 30. Juni 195 1, nicht im Geltungsbereich des Grundgesetzes oder in Westberlin gehabt und seinen Wohnsitz auch nicht recht- mäßig aus Belgien zurückverlegt habe. Auch auf die Genfer Konvention über die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge könne sich der Kläger nicht berufen, da er aus Belgien gekommen sei, einem Land, in dem sein Leben und seine Freiheit nicht bedroht seien. Auf ihn seien daher die Vorschriften der Ausländerpolizeiverordnung in vollem Umfang anzuwenden. Nach diesen Vorschriften könne ein Aufenthaltsver- bot gegen einen Staatenlosen oder Ausländer u. a. erlassen werden, wenn er im Bun- desgebiet wegen eines Verbrechens oder Vergehens rechtskräftig zu Strafe verurteilt sei oder gegen die auf dem Gebiet der Ausländerpolizei, des Paß-, des Ausweis- oder

*) Abdruck nach: Ausfertigung des Bundesverwaltungsgerichtes (BVerwG IC 172. 57)·

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des Meldewesens erlassenen Vorschriften verstoßen habe. Diese Voraussetzungen seien gegeben.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger Revision eingelegt. Er trägt vor, daß er aus poli- tischen Gründen Ungarn verlassen habe, und beruft sich auf die Genfer Konvention. Er ist der Meinung, daß die besonderen Voraussetzungen, die vorliegen müssen, um nach den Vorschriften dieser Konvention einen ausländischen Flüchtling auszuweisen, in seinem Falle nicht gegeben seien. Auf keinen Fall ist nach seiner Ansicht die Be- hörde berechtigt, ihn nach Ungarn oder in einen anderen Ostblockstaat abzuschieben oder auszuweisen. Die Beklagte erklärt, daß es nicht beabsichtigt sei, den Kläger nach Ungarn oder in die Ostblockstaaten abzuschieben. Im übrigen widerspricht sie den Ausführungen des Klägers. Die Staatsanwaltschaft beim Bayerischen Verwaltungs- gerichtshof hält auch die Voraussetzungen für eine Ausweisung nach Ungarn für ge- geben.

Aus den Gründen: Das angefochtene Urteil konnte nicht aufrechterhalten werden. Die Voraussetzungen, unter denen nach der Ausländerpolizeiverordnung vom

22. August 1938 (RGB1. IS. 1053) - APVO - gegen einen Ausländer ein Aufenthalts- verbot erlassen werden kann, genügen nicht, um das Verbot gegenüber solchen Aus- ländern zu rechtfertigen, die die Rechtsstellung eines heimatlosen Ausländers oder eines ausländischen Flüchtlings im Sinne der Genfer Konvention haben. Die Aus- länderpolizeiverordnung ermächtigt die Behörde zum Erlaß eines Aufenthaltsverbots u. a. dann, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens oder Vergehens rechtskräftig zu einer Strafe verurteilt worden ist (§ 5 APVO). Der heimatlose Ausländer dagegen kann nach § 23 des Gesetzes über die Rechtsstellung heimatloser Ausländer im Bun- desgebiet vom 25. April 195 1 (BGB1. 1 S. 269) - HAG - nur aus Gründen der öffent- lichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden (vgl. Urteil BVerwGE 3, 355). Gegen den ausländischen Flüchtling, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, darf, wie dem Art. 32 der Genfer Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 195 1 (BGB1. 1953 II S. 559) zu entnehmen ist, mit einem Aufenthalts- verbot nur aus Gründen der Staatssicherheit oder der öffentlichen Ordnung vor- gegangen werden. Die Gerichte prüfen im Falle der Ausländerpolizeiverordnung nach, ob die Behörde sich in den Grenzen des ihr eingeräumten Ermessens gehalten hat. Handelt es sich aber um einen heimatlosen Ausländer oder einen ausländischen Flüchtling, hat das Gericht in vollem Umfang zu prüfen, ob die Voraussetzungen für den Erlaß eines Aufenthaltsverbots vorliegen. Es ist daher von entscheidender Be- deutung, ob der Kläger heimatloser Ausländer oder ausländischer Flüchtling ist. Das Berufungsgericht hat diese Frage verneint. Den Rechtsauffassungen, von denen das Berufungsgericht dabei ausgegangen ist, kann sich der Senat nicht anschließen.

Das Gesetz über die Rechtsstellung heimatloser Ausländer stellt in § 1 bestimmte Voraussetzungen auf, unter denen ein Ausländer als heimatloser Ausländer im Sinne des Gesetzes anzuerkennen ist. Da das Gesetz dazu dienen sollte, die heimatlosen Ausländer, die bisher von der IRO betreut waren, ursprünglich schon zum 30. Juni 1950 in die Obhut der deutschen Dienststellen überzuführen, begrenzt es den Kreis der von dem Gesetz erfaßten Personen, indem es grundsätzlich verlangt, daß die be- treffenden Ausländer am 30. Juni 1950 im Geltungsbereich des Grundgesetzes oder in Westberlin ihren Aufenthalt hatten. Das Gesetz soll aber auch auf diejenigen Per- sonen angewandt werden, die sich nach dem 1. Juni 1948 zunächst im Bundesgebiet aufhielten, dann mit Hilfe der IRO ausgewandert waren, deren Auswanderungspläne aber scheiterten, und die innerhalb einer Frist von zwei Jahren nach ihrer Ausreise ihren Wohnsitz oder dauernden Aufenthalt rechtmäßig in das Bundesgebiet zurück- verlegten (§ 2 Abs. 3 HAG). Da der Kläger am 30. Juni 1950 seinen Aufenthalt nicht im Bundesgebiet hatte, aber nach dem 1. Juni 1948 hier ansässig war, dann ausgewan-

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dert ist und innerhalb von zwei Jahren nach seiner Ausreise zurückkehrte, ergibt sich die Frage, ob er seinen Aufenthalt rechtmäßig in das Bundesgebiet zurückverlegt hat.

Die Meinung des Berufungsgerichts, daß der Kläger seinen Wohnsitz nicht recht- mäßig in das Bundesgebiet zurückverlegt habe, weil er ohne die erforderlichen Grenz- übertrittspapiere eingereist sei, wird der Vorschrift des § 2 Abs. 3 HAG nicht gerecht. Das Gesetz will die Ausländer, die infolge des Krieges und der Nachkriegszeit heimat- los in das Bundesgebiet gekommen sind, großzügig behandeln. Es würde dem Sinn dieses Gesetzes nicht entsprechen, wenn man die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Zurückverlegung des Wohnsitzes oder Aufenthalts in das Bundesgebiet nur nach dem Zeitpunkt der Einreise beurteilen wollte. Auch wenn ein Ausländer ohne Erlaubnis, also illegal in das Bundesgebiet eingereist ist, kann doch seine Aufenthaltnahme und Wohnsitzbegründung im Bundesgebiet nachträglich rechtmäßig werden. Ob dies schon dann anzunehmen ist, wenn die Behörde einem solchen Ausländer die Wohn- sitzbegründung und Aufenthaltnahme stillschweigend gestattet, mag dahingestellt bleiben. Jedenfalls aber ist dies der Fall, wenn dem betreifenden Ausländer, wie hier, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Es mag Fälle geben, in denen eine kurzfristige und ausdrücklich ζ. Β. nur für Zwecke der Auswanderung ausgestellte Aufenthalts- erlaubnis hierzu nicht ausreicht. Wenn sich aber der Kläger mehrere Jahre lang bis 1954 mit einer Aufenthaltserlaubnis rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat, so kann es nicht entscheidend darauf ankommen, ob die Erlaubnis ursprünglich der Vor- bereitung einer Auswanderung dienen sollte. Wenn es also zutreffen sollte, daß der Kläger, wie er behauptet, der Obhut der IRO unterstand, wird ihm die Anerkennung als heimatloser Ausländer nicht zu versagen sein.

Sollte sich bei der erneuten Prüfung herausstellen, daß die Behauptung des Klägers über seine Betreuung durch die IRO nicht zutrifft und er daher nicht als heimatloser Ausländer anerkannt werden kann, so bleibt zu untersuchen, ob er nicht den Schutz der Genfer Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge für sich in Anspruch nehmen kann. Die Konvention gewährt den Personen, die von ihr erfaßt werden, un- mittelbare Rechte. Die Meinung des Berufungsgerichts, daß der Kläger sich schon deswegen nicht auf die Genfer Konvention berufen könne, weil er zuletzt aus Belgien, also nicht aus einem Land in das Bundesgebiet gekommen sei, in dem sein Leben oder seine Freiheit aus den in der Genfer Konvention genannten Gründen bedroht sei, entspricht nicht den Vorschriften der Konvention. Maßgebend ist Kap. I Art. 1 der Konvention. Danach ist Flüchtling im Sinne der Konvention, wer infolge von Er- eignissen, die vor dem 1. Januar 1951 eingetreten sind, und aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörig- keit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürch- tungen nicht in Anspruch nehmen will (Art. ι Α der Genfer Konvention). Der so um- schriebene Personenkreis behält den Flüchtlingsstatus so lange, bis er ihn auf Grund der Vorschriften der Konvention verliert. Der Verlust des Flüchtlingsstatus ist in Art. 1 C, Ε und F der Konvention geregelt. Davon, daß der Flüchtling seinen ihm durch die Genfer Konvention zuerkannten Status verliert, wenn er von einem Land in ein anderes Land überwechselt, also wie der Kläger von Belgien nach Deutschland einreist, ist in den Vorschriften der Genfer Konvention keine Rede. Die Genfer Kon- vention geht vielmehr, wie insbesondere den Vorschriften über die Reiseausweise zu entnehmen ist, sogar davon aus, daß die Flüchtlinge ihren Aufenthalt oder Wohnsitz von einem Land in ein anderes verlegen.

Der Flüchtling verliert seinen Flüchtlingsstatus auch dann nicht, wenn er sich in illegaler Weise von einem Aufnahmeland in ein anderes begibt. Es kann sich in einem solchen Fall allein um die Frage handeln, ob das Land, in das er unerlaubterweise ein-

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gereist ist, verpflichtet ist, ihm alle Vergünstigungen zuteil werden zu lassen, die die Genfer Konvention vorsieht. Während ein Flüchtling, der unmittelbar aus dem Land, in dem er bedroht ist, in das Bundesgebiet kommt, wegen illegalen Grenzübertritts nicht bestraft werden darf (Art. 31 der Genfer Konvention), findet diese Vorschrift auf einen solchen Flüchtling, der unerlaubt von einem Land, in dem er nicht bedroht ist, hierher einreist, keine Anwendung. Ein solcher Flüchtling kann wegen der illegalen Einreise bestraft werden, wie dies im Falle des Klägers auch geschehen ist. Der illegal aus einem anderen Land als seinem Fluchtland eingereiste Flüchtling kann ferner ohne die einschränkenden Voraussetzungen des Art. 32 Abs. 1 der Genfer Konvention aus- gewiesen werden, solange seine Aufenthaltnahme oder Wohnsitzbegründung nicht als rechtmäßig anzusehen ist. Auch bei einer solchen Ausweisung aber ist Art.33 zu beachten. Des Schutzes, der ihm in Art. 33 der Genfer Konvention zugesichert ist, geht der Flüchtling keinesfalls verlustig. Im vorliegenden Fall also hätte der Kläger, falls er nicht den noch weitergehenden Schutz des heimatlosen Ausländers in An- spruch nehmen kann, alsbald nach seiner illegalen Einreise nach Belgien ausgewiesen werden können. Eine Ausweisung ohne Vorliegen der in Art. 32 Abs. 1 der Konven- tion genannten Gründe der national security und des public order ist aber dann nicht mehr möglich, wenn der Flüchtling jahrelang rechtmäßig hier gelebt hat. Ebenso wie im Fall des heimatlosen Ausländers kann die Aufenthaltnahme oder Wohnsitz- begründung eines illegal eingereisten Flüchtlings nachträglich rechtmäßig werden. Wann dies im Einzelfall anzunehmen ist, kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls wird die Aufenthaltnahme eines illegal eingereisten Flüchtlings dann rechtmäßig, wenn er, wie hier, jahrelang auf Grund einer Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet lebt. Der Kläger kann sich also, falls er die übrigen Voraussetzungen der Genfer Konvention erfüllt, auf die Art. 32 und 33 der Genfer Konvention in vollem Umfang berufen. Der Umstand, daß er bisher nicht nach der Asylverordnung als Flüchtling anerkannt ist, steht der Anwendung dieser Vorschriften hier nicht entgegen.

Wie der erkennende Senat in dem Urteil BVerwGE 3, 355 (358) ausgeführt hat, entsprechen die Begriffe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 23 HAG den in Art. 32 der Genfer Konvention verwendeten Begriffen der national secu- rity und public order. Nur aus derartigen Gründen darf gegen einen heimatlosen Aus- länder oder gegen einen ausländischen Flüchtling ein Aufenthaltsverbot verhängt werden. Die bisherigen tatsächlichen Feststellungen reichen nicht aus, um ein Auf- enthaltsverbot aus Gründen der national security zu rechtfertigen. In Betracht kom- men allein Gründe des public order. Nicht jede Straftat rechtfertigt eine Ausweisung aus Gründen des public order. Die Vorschriften in § 23 HAG und in Art. 32 der Gen- fer Konvention wollen die Möglichkeit zur Ausweisung eines heimatlosen Ausländers oder ausländischen Flüchtlings einschränken. Dies ist dem Sinngehalt der Vorschrif- ten zu entnehmen. Ein straffälliger Ausländer wird in der Regel in seinen Heimat- staat ausgewiesen oder abgeschoben. Dieses Verfahren ist aber bei einem heimatlosen Ausländer und einem ausländischen Flüchtling nicht ohne weiteres möglich, weil er in seinem Heimatstaat aus den in der Konvention genannten Gründen in seiner Frei- heit oder an seinem Leben bedroht sein und es den Grundsätzen einer rechtsstaatlich denkenden Gemeinschaft widersprechen würde, einen so bedrohten Menschen der Willkür eines solchen Staates auszuliefern. Andere Staaten sind kaum bereit, einen straffälligen Ausländer, auch wenn es sich um einen ausländischen Flüchtling han- delt, bei sich aufzunehmen. Die Ausweisungsbefugnisse der Aufnahmeländer sollten aus diesen Gründen eingeschränkt werden. Nur wenn überwiegende Interessen des Staates, also Gründe der national security oder des public order vorliegen, soll der Staat - das ist der Sinn des § 23 HAG und des Art. 32 der Genfer Konvention - das Recht haben, gegen einen solchen Ausländer eine Ausweisung zu verfügen. Insoweit bedarf es noch weiterer tatsächlicher Feststellungen.

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Dabei wird auch die Frage der sofortigen Vollziehung des Aufenthaltsverbots er- neut zu prüfen sein. Es mag hier dahingestellt bleiben, ob die sofortige Vollziehung eines gegen einen heimatlosen Ausländer erlassenen Aufenthaltsverbots lediglich zu dem Zweck angeordnet werden darf oder gar muß, um eine Abschiebungshaft zu er- möglichen. Auf jeden Fall kann vor Rechtskraft des Ausweisungsbefehls eine sofor- tige Vollziehung nicht in einem darüber hinausgehenden Umfang angeordnet werden. Das ergibt sich aus § 23 HAG. Nach dieser Vorschrift steht den Betroffenen gegen einen Ausweisungsbefehl der Rechtsweg offen und, wenn der Rechtsweg beschritten wird, ist der Vollzug der Ausweisung bis zur Rechtskraft auszusetzen. Der Sinn des § 23 HAG geht dahin, bis zum Ablauf der gesetzlichen Fristen dem heimatlosen Aus- länder die Möglichkeit zu lassen, Rechtsmittel zu ergreifen, und sicherzustellen, daß ein Ausweisungsbefehl in diesem Falle nicht ohne vorherigen Abschluß des richter- lichen Verfahrens erfolgt. Diesen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen, würde dem heimatlosen Ausländer erschwert, wenn nicht sogar unmöglich gemacht, falls er vor Rechtskraft ausgewiesen oder abgeschoben würde. Eine entsprechende Regelung ent- hält Art. 32 Abs.2 der Genfer Konvention, wonach dem Flüchtling, soweit nicht zwingende Gründe der Staatssicherheit, die hier nicht ersichtlich sind, entgegen- stehen, die Möglichkeit gegeben werden muß, Rechtsmittel einzulegen.

Die Vorschriften des § 23 HAG und des Art. 32 der Genfer Konvention sind, wenn sie ihren Zweck erfüllen sollen, nicht nur dann anzuwenden, wenn es um die Frage geht, ob Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung die Ausweisung rechtfer- tigen, sondern auch dann, wenn die Frage strittig ist, ob der betroffene Ausländer den Rechtsstatus eines heimatlosen Ausländers im Sinne des Gesetzes über die Rechts- stellung heimatloser Ausländer oder eines ausländischen Flüchtlings im Sinne der Genfer Konvention hat. Solange aus irgendeinem Grunde strittig ist, ob sich ein Aus- länder auf die besonderen Vorschriften des § 23 HAG und der Art. 32 und 33 der Genfer Konvention berufen kann, ist daher - abgesehen von dem Fall der Abschie- bungshaft und den in Art. 32 Abs. 2 vorgesehenen Gründen der Staatssicherheit - die Anordnung einer sofortigen Vollziehung des Ausweisungsbefehls unzulässig.

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