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Unsere Wahrnehmung - bilder.buecher.de · unsere Sinne auch, um Einfl uss auf die Umwelt zu...

Date post: 17-Sep-2018
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6 Unsere Wahrnehmung Das Wort Wahrnehmung kommt aus dem althochdeutschen „wara neman“, was so viel bedeutet wie: einer Sache Aufmerksamkeit schenken. Wahrnehmung ist ein sehr komplexer, aktiver Vorgang, in dessen Verlauf Sinnesreize aus der Umwelt und Körperreize über die Rezeptoren der Sinnesorgane aufgenommen werden. Jedes Sinnesorgan hat sich auf bestimmte Reizqualitäten spezialisiert. So reagieren die Ohren auf Schallwellen, die Augen auf Lichtreize. Die Reize gelangen auf afferenten (aufsteigenden) Nervenbahnen zu den entsprechenden sensorischen Zentren im Gehirn. Hier wird das Wahrgenommene gespeichert und bisherigen Eindrücken gegenüber gestellt. Da nie ein Sinn alleine am Wahrnehmungsprozess beteiligt ist, werden die aufgenommenen Einzelreize, die in den unterschiedlichen sensorischen Zentren ankommen, miteinander verglichen und geordnet. Kategorien, Muster und Rangfolgen werden gebildet, Beziehungen zu anderen Reizen hergestellt. Die Sinneserfahrungen werden koordiniert und verarbeitet. Es folgt die Einordnung in bereits gewonnene Erkenntnisse und die Reizbeantwortung über efferente (absteigende) Nervenbahnen, z.B. in Form einer motorischen Handlung. Jede Reizreaktion führt wiederum zu neuen Wahrnehmungen. Der Wahr- nehmungsvorgang wird somit in einem in sich geschlossenen Kreislauf ständig aufrecht erhalten. Die einzelnen Prozesse laufen automatisch ab und gehen fließend ineinander über. Viele Hirnbereiche (Großhirn, Mittelhirn, Kleinhirn, Limbisches System, Hypothalamus) und das Rückenmark sind an der Wahrnehmungsverarbeitung beteiligt. Sie bilden das zentrale Nervensystem. Die Beschäftigungstherapeutin und Entwicklungspsychologin Anna Jean Ayres (1920 -1989) bezeichnet die sinnvolle Ordnung, Koordination, Deutung, Verwertung der Sinnesinformationen, das Zusammenspiel der Sinne als
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Unsere Wahrnehmung

Das Wort Wahrnehmung kommt aus dem althochdeutschen „wara neman“, was so viel bedeutet wie: einer Sache Aufmerksamkeit schenken.Wahrnehmung ist ein sehr komplexer, aktiver Vorgang, in dessen Verlauf Sinnesreize aus der Umwelt und Körperreize über die Rezeptoren der Sinnesorgane aufgenommen werden. Jedes Sinnesorgan hat sich auf bestimmte Reizqualitäten spezialisiert. So reagieren die Ohren auf Schallwellen, die Augen auf Lichtreize. Die Reize gelangen auf afferenten (aufsteigenden) Nervenbahnen zu den entsprechenden sensorischen Zentren im Gehirn. Hier wird das Wahrgenommene gespeichert und bisherigen Eindrücken gegenüber gestellt. Da nie ein Sinn alleine am Wahrnehmungsprozess beteiligt ist, werden die aufgenommenen Einzelreize, die in den unterschiedlichen sensorischen Zentren ankommen, miteinander verglichen und geordnet. Kategorien, Muster und Rangfolgen werden gebildet, Beziehungen zu anderen Reizen hergestellt. Die Sinneserfahrungen werden koordiniert und verarbeitet. Es folgt die Einordnung in bereits gewonnene Erkenntnisse und die Reizbeantwortung über efferente (absteigende) Nervenbahnen, z.B. in Form einer motorischen Handlung. Jede Reizreaktion führt wiederum zu neuen Wahrnehmungen. Der Wahr-nehmungsvorgang wird somit in einem in sich geschlossenen Kreislauf ständig aufrecht erhalten. Die einzelnen Prozesse laufen automatisch ab und gehen fl ießend ineinander über. Viele Hirnbereiche (Großhirn, Mittelhirn, Kleinhirn, Limbisches System, Hypothalamus) und das Rückenmark sind an der Wahrnehmungsverarbeitung beteiligt. Sie bilden das zentrale Nervensystem.Die Beschäftigungstherapeutin und Entwicklungspsychologin Anna Jean Ayres (1920 -1989) bezeichnet die sinnvolle Ordnung, Koordination, Deutung, Verwertung der Sinnesinformationen, das Zusammenspiel der Sinne als

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sensorische Integration (SI). Eine gut funktionierende SI ermöglicht uns eine sinnvolle Auseinandersetzung mit unserer Umwelt. Sie ist die Voraussetzung für unser zielgerichtetes und geplantes Handeln in Bezug auf die Umweltreize.Über die Sinne nehmen wir nicht nur die Welt um uns wahr. Vielmehr nutzen wir unsere Sinne auch, um Einfl uss auf die Umwelt zu nehmen, um sie in unserem Sinne zu steuern und sinnvoll zu gestalten. Da wir nicht gleichzeitig auf alle auf uns einströmenden Reize reagieren können, fi ndet bereits zu Beginn des Wahrnehmungsprozesses eine Reizselektion statt. Diese erfolgt ebenfalls weitestgehend automatisch und unbewusst. Die Auswahl der aufgenommenen Reize geschieht nicht nur selektiv, sondern auch sehr subjektiv. Individuelle Erfahrungen, Erlebnisse und Bewertungen fl ießen in den Vorgang mit ein und beeinfl ussen sowohl unsere Wahrnehmung, als auch unsere daraus resultierenden Reizreaktionen. So kommt es, dass zwei Menschen, die scheinbar das gleiche sehen, hören oder fühlen, unter Umständen völlig unterschiedliche Aussagen darüber machen und unterschiedlich darauf reagieren.An jeder Sinneswahrnehmung ist neben den Sinnen auch die Motorik beteiligt. Wir sprechen daher von sensomotorischer Wahrnehmung. Sie bildet die Grundlage für die Kognition.

Wahrnehmung geschieht über die Sinnesorgane. Hier unterscheidet man sieben verschiedene Systeme: 1. die taktile Wahrnehmung (der Tastsinn)2. die vestibuläre Wahrnehmung (der Gleichgewichtsinn)3. die kinästhetische Wahrnehmung (die Eigenwahrnehmung)4. die gustatorische Wahrnehmung (der Geschmackssinn)5. die olfaktorische Wahrnehmung (der Geruchssinn)6. die akustische Wahrnehmung (der Hörsinn)7. die visuelle Wahrnehmung (der Sehsinn).

Die taktile, die vestibuläre, die kinästhetische und die gustatorische Wahrnehmung zählen zu den Basissinnen. Sie werden auch als Körpersinne oder

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Nahsinne bezeichnet. Die Basissinne stellen die Grundwahrnehmungsbereiche dar. Hier hat die Reizquelle unmittelbar Kontakt zum Körper. Die Basissinne sind im Mutterleib bereits voll entwickelt. Sie arbeiten weitestgehend unbewusst.Die Fernsinne dagegen erlauben es uns, Informationen zu sammeln, ohne direkten Kontakt mit dem Wahrnehmungsgegenstand aufzunehmen. So können wir über die Ohren Geräusche in weiter Entfernung hören und mit den Augen Dinge sehen, die sich in großer Distanz zu uns befi nden.Aufgrund dieser Tatsache zähle ich auch den Geruchssinn zu den Fernsinnen. Manche Autoren ordnen ihn den Nahsinnen zu. Da aber auch die Nase Reize ohne direkte Berührung aufnimmt, erscheint die Zuordnung zu den Fernsinnen logisch.Leider sind in der heutigen Zeit die körperfernen Sinne, also die visuelle und akustische Wahrnehmung einer immensen Reizüberfl utung ausgesetzt, während die Basissinne eher unterversorgt werden.

Die Bedeutung der Wahrnehmung in der Entwicklung des Kindes

Über die Sinne nimmt das Kind sich selbst, seine dingliche Umwelt und die Lebewesen darin wahr. Dieser Wahrnehmungsprozess beginnt bereits im Mutterleib, denn schon vor der Geburt sind die Sinne entwickelt und weitestgehend funktionsfähig. So kann das Ungeborene hören, fühlen, schmecken, hell und dunkel unterscheiden. Der Gleichgewichtssinn ist ausgereift. Die Nase ist vollständig entwickelt. Vor allem die vestibuläre, die taktile und die kinästhetische Wahrnehmung bilden die Grundlage der Wahrnehmungsentwicklung. Sie sind dem Kind zu Beginn seines Lebens Hauptorientierungshilfen und liefern ihm z.B. Informationen über den eigenen Körper und über seine Beziehung zur Anziehungskraft der Erde. Mit der Geburt verfügt das Neugeborene über ein gut angelegtes Sinnessystem, das in der Lage ist, Reize aufzunehmen und zu verarbeiten. Die Wahrnehmung

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ist aber zunächst noch sehr komplex und damit stark eingeschränkt, denn die unterschiedlichen Sinnesreize werden noch isoliert voneinander verarbeitet. Die Zusammenarbeit der einzelnen Sinnessysteme muss sich im Laufe der Zeit erst entwickeln. Dies geschieht nicht automatisch. Die Sinne benötigen vielmehr entsprechende Nahrung. Nahrung bedeutet: Aufnahme vielfältiger Sinnesreize. Je mehr Sinne gleichzeitig angesprochen werden, umso effektiver lernen Kinder. Es bilden sich im Gehirn Synapsen. Synapsen sind die Verbindungsstellen zwischen zwei Nervenzellen (Neuronen). Je häufi ger sie angesprochen werden, umso intensiver formen und festigen sie die bereits bei der Geburt angelegten Nervenbahnen und bauen sie weiter aus. Werden immer wieder die gleichen neuronalen Wege genutzt, so führt dies zu einem „Wiedererkennen“. Die entsprechenden Bahnen werden gefestigt. Wenig genutzte Nervenverbindungen verkümmern jedoch. Das bedeutet: Alles, was ein Kind über die Sinne wahrnimmt, alles, was es hört, fühlt, sieht usw. intensiviert den Aufbau von Nervenbahnen. Vor allem solche Verknüpfungen, die durch die wiederholte Aufnahme gleicher Reize in leicht variierenden Interaktionssequenzen immer wieder gefordert werden, können Reize immer schneller, immer effi zienter und immer versierter weiterleiten. Sie übermitteln immer genauere Informationen und tragen zur zunehmenden Entwicklung des Gehirns bei. Gerade die ersten 7 – 10 Lebensjahre sind für die Anregung, Entwicklung und Prägung einer gesunden Sinneswahrnehmung entscheidend, da das Gehirn in der frühen Kindheit noch über eine sehr große Kapazität und Plastizität verfügt. Die Wahrnehmung ist die Basis, auf der weitere Entwicklungsbereiche (Sprache, Emotionalität, Sozialisation, Motorik, Kognition) aufbauen. Hier werden die Grundlagen kindlicher Entwicklung, kindlichen Handelns und die Voraussetzungen für den Aufbau des Gehirns gelegt. Durch vielfältige, aktiv, lustvoll und ganzheitlich gewonnene Sinneserfahrungen differenziert sich die Wahrnehmung des Kindes mehr und mehr. Es kann sich immer komplexere Ebenen erschließen, seine Fähigkeiten und Fertigkeiten erweitern und seine intellektuellen Fähigkeiten ausbilden.

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Die meisten Menschen besitzen unterschiedlich stark ausgeprägte Sinnes-bereiche. Meist wird ein Sinneskanal generell oder auch nur in bestimmten Situationen gegenüber den anderen Wahrnehmungskanälen bevorzugt. Diesen Ansatz stellte der Biochemiker Frederic Vester erstmals 1973 in der Fernsehsendung Denken, Lernen, Vergessen und später in seinem gleichnamigen Buch vor. Er unterscheidet vier verschiedene Lerntypen auf Grund ihrer bevorzugten Lernkanäle: den visuellen, den haptischen, den auditiven, den verbal-abstrakten Typ.Die einzelnen Lerntypen treten nach Vester meist als Mischtypen auf. Diese Klassifi kation ist jedoch wissenschaftlich umstritten und entspricht nicht mehr unbedingt den neuesten Forschungsergebnissen. Sie hält sich aber beständig und wird vor allem von Pädagogen immer noch übernommen. Die Lerntypentheorie hat sich sogar weiter entwickelt und die unterschiedlichsten Kategorisierungen von Typen hervorgebracht (z.B. kontakt–personenorientierter Typ, medium-orientierter Typ). Sicherlich sieht der ein oder andere in diesem Konzept ein brauchbares Konstrukt für den pädagogischen Alltag. Es bleibt dem Leser selbst überlassen, inwieweit er es anwendet. Generell ist sich die Wissenschaft aber darüber einig, dass die Lerneffektivität gesteigert werden kann, wenn möglichst viele Sinnesbereiche in Lernprozesse integriert werden. Je mehr Sinne aktiv sind, umso mehr Verknüpfungen können im Gehirn entstehen. In der Praxis bedeutet dies, dass zum Thema „Katzen“ nicht nur Katzenbilder gezeigt werden. Eine Katze sollte auch zu Besuch kommen. Sie kann beobachtet und gestreichelt werden. Die Kinder ahmen die Bewegungen einer Katze nach. Es wird mit ihnen über Katzen gesprochen. Hier werden durch die Nutzung mehrerer Wahrnehmungskanäle viele Kinder in einer Gruppe sinnvoll angesprochen. Lernen mit allen Sinnen bietet die optimalsten Lernbedingungen und fördert eine vielseitige Verknüpfung sensorischer Zentren.

Kinder sind in der heutigen Zeit leider permanent einer großen Anzahl unterschiedlicher Reize ausgesetzt. Vor allem die akustische und optische

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Wahrnehmung werden stark stimuliert, während anderen Sinnesbereichen, z.B. dem Geruchsinn oder dem Geschmacksinn, nur sehr wenig Beachtung geschenkt wird. Sowohl eine ständige Reizüberfl utung, als auch anhaltende Reizarmut kann jedoch zu Verhaltensauffälligkeiten und zu Problemen in der Wahrnehmungsverarbeitung führen.Kindern mit Problemen im Wahrnehmungsbereich tut es gut, wenn in gezielten Sinnesspielen möglichst wenige Sinneskanäle gleichzeitig aktiviert werden. Hier ist es sinnvoll, die Sinne differenziert zu stimulieren. Dies führt zu klaren, unterscheidbaren Eindrücken, die wesentlich effektiver verarbeitet werden können. Auch normal entwickelten Kindern kommt die zeitweise Konzentration auf nur einen Sinn zugute. Sie können sich einzelner Wahrnehmungen bewusst werden und ein besseres Verständnis für die Funktionsweise der Sinnesorgane gewinnen. Sie werden dadurch sensibler und einfühlsamer gegenüber sich selbst und gegenüber den Lebewesen. Sie werden achtsamer im Umgang mit den Dingen, die sie umgeben.

Die Wahrnehmungsspiele

Die nun folgenden Spielideen orientieren sich an diesen Aspekten. Die Spielangebote sind hinsichtlich der besseren Übersicht und der leichteren Orientierung den einzelnen Sinnesbereichen zugeordnet. Die Reihenfolge der vorgestellten Wahrnehmungssysteme orientiert sich dabei an der Reihenfolge der Entwicklung der einzelnen Sinne. So steht an erster Stelle die taktile Wahrnehmung, da sie sich bereits von der sechsten Schwangerschaftswoche an entwickelt und als erstes Sinnessystem ausgereift ist. Körperkontakt und Berührungen sind elementare menschliche Erfahrungen, auf denen alle weiteren Wahrnehmungsprozesse aufbauen.

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An letzter Stelle steht die visuelle Wahrnehmung, da sie sich auch zuletzt vollständig entwickelt.

Jedes Kapitel beginnt mit einer kleinen Einführung in den jeweiligen Wahrnehmungsbereich. Da es sich um einen praktischen Ratgeber handelt, in dem die Spielideen zu einer sinnvollen Wahrnehmungsschulung im Vordergrund stehen, sind die einzelnen theoretischen Einführungen kurz und bündig gehalten. Zur Vertiefung der Themenbereiche möchte ich alle Leser/-innen auf entsprechende aktuelle und vor allem wissenschaftlich fundierte Fachliteratur verweisen (S.116).

Es folgen die Spielideen. Zu jedem Spiel sind die notwendigen Materialien angegeben. Da es sich um kleine kurze, eben 3-minütige Spielvorschläge handelt, sind in der Regel kaum oder nur sehr wenige Materialien erforderlich.

Unter dem Begriff Angebot ist eine Einteilung in die unterschiedlichen Bildungsbereiche zu verstehen. Hier wird berücksichtigt, dass eine sinnvolle Wahrnehmungsförderung möglichst verschiedene Spielformen ansprechen, also breit gefächert und abwechslungsreich gestaltet sein sollte. So fi nden sich z.B. Ideen zu den Themen Spiel, Sprache, Entspannung und Bewegung.

Der Begriff Spielform gibt an, ob es sich bei der Spielidee um eine Einzel-beschäftigung, um eine Partnerarbeit, um eine Klein- oder Großgruppenaktivität handelt. Eine Kleingruppe besteht idealerweise aus 6 bis 8 Kindern. In der Regel können aber bis zu 10 Kinder an den meisten Kleingruppenangeboten teilnehmen. Die Großgruppe orientiert sich an der normalerweise üblichen Zahl von bis zu 25 Kindern einer regulären Kindergartengruppe. Angebote für Großgruppen sind überwiegend Spiele, die im Stuhlkreis durchgeführt werden können.

Die zu den einzelnen Spielen beschriebenen Ziele sind hinsichtlich einer besseren Übersicht auf die jeweiligen Wahrnehmungsbereiche reduziert. Die Ziele sind

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natürlich wesentlich vielseitiger als aufgeführt. So wird z.B. in einem Spiel zum Thema Gleichgewicht neben der Schulung des angegebenen Zieles (Schulung des dynamischen Gleichgewichts) auch die Konzentration, die Ausdauer, die Koordination usw. gefördert. Alle Ziele aufzuführen würde jedoch den Rahmen des Ganzen sprengen.

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Die taktile Wahrnehmung

Das Sinnesorgan unserer taktilen Wahrnehmung (auch Tastsinn genannt) ist die Haut. Rezeptoren an der Hautoberfl äche fungieren als Empfänger unterschiedlicher Reize wie Druck, Temperatur, Berührung oder Schmerz. Die Tastkörperchen leiten die Reize als elektrisches Signal über die Nervenbahnen an das Gehirn weiter. Vor allem der Mund, die Fingerspitzen und die Füße sind dicht mit solchen Tastkörperchen besetzt. Diese Körperteile spielen in der Entwicklung des Menschen eine wichtige Rolle. So stecken Säuglinge und Kleinkinder alles in den Mund um es zu erkunden. Sie nutzen ihre Hände, um die Umwelt zu erforschen, um sich ein Bild der sie umgebenden Dinge zu machen. Sie ertasten die Form, die Größe, das Gewicht, die Oberfl ächenstruktur und die Temperatur eines Gegenstandes. Durch die Nutzung weiterer Sinne (u.a. Sehsinn, kinästhetische Wahrnehmung, auditive Wahrnehmung) können zusätzliche Informationen z.B. über die Farbe, die Konsistenz oder ein Geräusch, dass der Gegenstand macht, gesammelt werden. Die taktilen Reize tragen entscheidend zur Entwicklung des Gehirns bei. Neben der Funktion als Erkundungsorgan der dinglichen Welt kommt der Haut eine weitere, wichtige Bedeutung zu. Diese liegt im sozialen Aspekt der Berührung. So ist die Haut ein wichtiges Kommunikationsorgan. Zärtliche, achtsame, respektvolle Körperkontakte wie streicheln, im Arm halten, wiegen,

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sind elementare Voraussetzungen für die gesunde Entwicklung des Kindes und befriedigen seine Grundbedürfnisse nach Geborgenheit, Sicherheit, Schutz und Wärme. Die Berührungen vermitteln dem Kind ein Bild des eigenen Körpers, seiner Ausdehnungen und Grenzen. Sie sind die Basis für die Entwicklung seines Selbstbildes.

Ziele einer Schulung der taktilen Wahrnehmung sind:• über die Haut als Sinnesorgan sprechen• die Schulung der Fähigkeit zur Lokalisation bestimmter Berührungen• die Förderung der Wahrnehmung unterschiedlicher Berührungsqualitäten• die zunehmende Differenzierungsfähigkeit von Tasteindrücken• das Erkennen und Benennen unterschiedlicher Formen, Strukturen und

Oberfl ächen mit Hilfe des Berührens und des Berührtwerdens• die individuellen angenehmen und unangenehmen Berührungspunkte und

Berührungsformen kennen lernen• die Entwicklung der Körperwahrnehmung• das Erspüren der Körpergrenzen• der Aufbau des Selbstbildes• der Erwerb eines adäquaten Wortrepertoires;• Berührung als Entspannungsmöglichkeit kennen und nutzen zu lernen (z.B.

bei kleinen Massageeinheiten)

Die Schulung der taktilen Wahrnehmung gelingt am besten, wenn der Sehsinn ausgeschlossen wird. Laden Sie die Kinder daher ein, während der Übungen die Augen zu schließen oder eine Augenbinde zu tragen.

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Wie fühlt es sich an?

Material: keinesAngebot: GedichtSpielform: KleingruppeZiele: über bestimmte taktile Wahrnehmungen sprechen, Aneignung

eines angemessenen Wortrepertoires, sich an Gefühltes/Gefüh-le erinnern

Wie fühlt es sich an, barfuß über eine Wiese zu gehen?Wie fühlt es sich an, auf einem großen Stein zu stehen?Wie fühlt es sich an, im warmen Wasser zu liegen?Wie fühlt es sich an, sich in Mamas Arme zu schmiegen?Wie fühlt es sich an, wenn eine Wespe dich sticht?Wie fühlt es sich an, krabbelt ein Tier über dein Gesicht?Wie fühlt es sich an, wenn der Wind dir die Haare zerzaust?Wie fühlt es sich an, ballst du fest deine Faust?Wie fühlt sich dies und jenes an?Probier es aus, du spürst es dann!

Das Gedicht kann als Einstieg dienen, um mit den Kindern über das Fühlen und über Gefühle zu sprechen.Wie fühlt sich dies und jenes an? Die Kinder stellen sich die einzelnen Situationen vor oder probieren es nach Möglichkeit aus. Sie überlegen weitere Fragen. Ein Kind fragt ein anderes, wie sich dies und jenes anfühlt. Die Antwort wird mit der eigenen Wahrnehmung verglichen. Hierbei wird den Kindern deutlich, dass Wahrnehmung sehr subjektiv ist.

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Das große, leere Blatt Papier

Material: evtl. eine Bodenunterlage pro PaarAngebot: Entspannung/RückenmassageSpielform: PartnerarbeitZiele: Schulung der Körperwahrnehmung, Wahrnehmen unterschied-

licher Berührungsreize, Berührung als Entspannung erleben, Förderung der Entspannungsfähigkeit, taktile Wahrnehmungen deuten und benennen

Du bist ein großes, leeres Blatt Papierliegst zum Malen heute hier.Und da geht es auch schon los.Doch was malt der Maler bloß?

Versuche es zu erkennen und beim Namen zu nennen.

Über den Rücken wischen

Etwas darstellen (z.B. Blume, Haus,Sonne ...)Das sitzende Kind versucht zu spüren,was auf seinem Rücken gemalt wirdund äußert seine Vermutung.

Ein Kind legt sich auf den Bauch oder setzt sich auf einen Stuhl, so dass die Arme auf der Rückenlehne ruhen können. Der Partner übernimmt die Rolle des Malers und malt mit den Fingern ein Motiv auf den Rücken (= Staffelei) des sitzenden/ liegenden Kindes. Kann das Kind erkennen, was da gemalt wird? Die Kinder tauschen sich leise miteinander aus. Nach einer Weile wechseln die beiden die Plätze.

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Igel Kasimir

Material: keinesAngebot: EntspannungSpielform: KleingruppeZiele: Berührung spüren, die Tastqualität Druck wahrnehmen, Berüh-

rung als Entspannungsmittel kennen lernen, Entwicklung der Fähigkeit zur Lokalisation taktiler Reize, Schulung des Zählens

Igel Kasimir schläft unter einem Baum.Dass Blätter auf ihn fallen, merkt er kaum.Als die Igelmama ihn weckt, fragt sie:„Kasimir, mit wie vielen Blättern bist du bedeckt?“

Ein Kind legt sich auf den Boden. Es spielt den Igel Kasimir. Drei bis vier Kinder knien sich um Kasimir herum. Sprechen Sie mit den Kindern als Einleitung des Spiels die ersten beiden Zeilen des kleinen Textes. Fordern Sie die Kinder nacheinander durch Blickkontakt auf, eine oder auch beide Hände fl ach auf eine beliebige Stelle am Körper des liegenden Kindes zu legen. Nach einer kleinen Pause sprechen Sie die beiden letzten Zeilen. Damit ist das Spiel zunächst beendet. Das liegende Kind soll nun sagen, wie viele Hände es auf seinem Körper spürt. Stimmt seine genannte Zahl mit der Anzahl der auf dem Rücken liegenden Hände überein?Eine Variation des Spieles besteht darin, dass die Kinder ihre Hände nur auf bestimmte Körperteile legen. Kann das liegende Kind erkennen, wo sich keine Hände befi nden? Es soll die entsprechenden Körperteile benennen.

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Ich wische alle Sorgen fort

Material: keinesAngebot: Entspannung/MassageSpielform: Partnerarbeit oder KleingruppeZiele: Förderung der Wahrnehmung unterschiedlicher Berührungs-

qualitäten, Schulung der Differenzierungsfähigkeit von Tastein-drücken, individuelle angenehme und unangenehme Berüh-rungsreize wahrnehmen, Berührung als Entspannung erfahren, Schulung der Körperwahrnehmung; Erspüren der Körpergrenzen

Ich wische alle Sorgen fort,wische hier und wische dort.Ich puste alle Sorgen fort,puste hier und puste dort.Ich zupfe alle Sorgen fort, zupfe hier und zupfe dort.Ich klopfe alle Sorgen fort,klopfe hier und klopfe dort.Ich vertreibe alle Sorgen.Die von heute und von morgen.

Die Kinder bilden Paare. Ein Kind stellt oder legt sich bequem hin. Der Partner übernimmt die Aufgabe des Sorgen-Vertreibens. Er wischt, zupft, klopft usw. über und an dem Rücken des Partners. Alle Berührungsformen sollten angenehm sein und nicht schmerzen. Dabei führen

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Die taktile Wahrnehmung

die Bewegungen immer von der Wirbelsäule zu den Außenseiten. Beim letzten Satz reiben die Kinder noch einmal kräftig über den ganzen Rücken des Partners.Die Paare tauschen sich nach einer kleinen Nachspürphase kurz untereinander aus. Dann erfolgt der Rollenwechsel.Das Spiel lässt sich auch mit einer Gruppe spielen. Die Kinder bilden einen Kreis und führen die Bewegungen an ihrem Vordermann aus. So muss nach dem Ende des Textes kein Rollentausch stattfi nden.

Drachenatem

Material: eine Luftpumpe pro Paar; evtl. BodenmattenAngebot: Entspannung/PhantasiereiseSpielform: PartnerarbeitZiele: Schulung der Körperwahrnehmung, Luft als Berührung spüren,

Förderung der Entspannungsfähigkeit, Schulung der Fähigkeit zur Lokalisation von Berührungsreizen

Stell dir vor, du machst einen Spaziergang im Wald.Da siehst du eine kleine Höhle, die etwas abseits des Weges liegt.Du gehst etwas näher heran und schaust dir das Innere der Höhle an.Sonnenstrahlen fallen ein und verbreiten ein freundliches, einladendes Licht.Der Boden der Höhle ist mit weichem Moos ausgepolstert.Du legst dich auf dieses weiche Mooskissen, schließt deine Augen und ruhst dich ein paar Minuten aus.Plötzlich hörst du neben dir ein Geräusch.Es hört sich an, als ob jemand schnauft.

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Die taktile Wahrnehmung

Du öffnest die Augen ein wenig und siehst einen kleinen Drachen.Er sieht freundlich aus.Um ihn nicht zu vertreiben, schließt du deine Augen schnell wieder und stellst dich schlafend.Neugierig schnüffelt der Drache an dir. Du kannst seinen Atem an verschiedenen Stellen deines Körpers spüren. Der Atem des kleinen Drachens fühlt sich warm an auf deiner Haut. Du fühlst dich wohl, wenn er dich berührt.Der Drachen beschnuppert deine Füße, deine Beine, deinen Bauch,deine Brust,deine Arme,deine Hände,deinen Halsund auch dein Gesicht.Das weiche Moos des Bodens, die Sonnenstrahlen und der warme Atem des kleinen Drachen tun dir gut.Du fühlst dich wohl.Du liegst ganz ruhig und entspannt im Moos, während der kleine Drache dich von oben bis unten beschnüffelt.Als du nichts mehr hörst und auch keinen Atem mehr spürst, öffnest du die Augen. Der kleine Drache ist verschwunden.Du reckst und streckst dich kräftig und stehst auf.Es geht dir gut.Guter Dinge machst du dich auf den Nachhauseweg.

Die Kinder sollten zu dieser Übung möglichst wenig Kleidung tragen. Daher bietet es sich an, die Phantasiereise im Sommer nach Möglichkeit auch im Freien durchzuführen. Vielleicht fi ndet sich sogar im Wald ein schöner Platz, der zum Verweilen einlädt.


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