+ All Categories
Home > Documents > Und täglich grüßt die Wirbelsäule - Rückenschmerzen besser verstehen und behandeln

Und täglich grüßt die Wirbelsäule - Rückenschmerzen besser verstehen und behandeln

Date post: 08-Mar-2016
Category:
Upload: laudatio-verlag-ihr-privater-buchverlag
View: 213 times
Download: 1 times
Share this document with a friend
Description:
Gesundheitswissen,das Spaß macht! Rückenschmerzen gelten unangefochten als Volkskrankheit Nummer eins. Dabei reichte in den meisten Fällen schon ein besseres Verständnis von der Funktionsweise des eigenen Körpers, um die (Rücken-)Gesundheit in die eigene Hand zu nehmen, weiß Physiotherapeut und Autor Stefan Soiron. Im unterhaltsamen Plauderton und anhand leicht verständlicher Alltagsbeispiele erklärt der lizenzierte Gesundheitstrainer die häufigsten Ursachen für die typischen Beschwerden und zeigt, wie Sie mit ein paar wenigen Veränderungen Ihrer Bewegungs- und Lebensgewohnheiten Ihren Rückenschmerzen bald „Lebewohl“ sagen. Einfach durchführbare Testimpulse, Checklisten und interessante Fallbeispiele aus der Praxis runden diesen ganzheitlichen Ratgeber ab und sensibilisieren für ein verständnisvolleres Verhältnis zu Ihrem wertvollsten Freund und Begleiter: Ihrem Körper!
25
Stefan Soiron Stefan Soiron Wirbelsäule Und täglich grüßt die Rückenschmerzen besser verstehen und behandeln Laudatio Verg
Transcript

ISBN 978-3-941275-36-2

www.laudatio-verlag.de

14

,95

Rückenschmerzen gelten unangefochten als Volkskrankheit Nummer eins. Dabei reichte in den meisten Fällen schon ein besseres Verständnis von der Funk-tionsweise des eigenen Körpers, um die (Rücken-)Gesundheit in die eigene Hand zu nehmen, weiß Physiothe-rapeut und Autor Stefan Soiron. Im unterhaltsamen Plauderton und anhand

leicht verständlicher Alltagsbeispiele erklärt der lizenzierte Gesundheitstrainer

die häufigsten Ursachen für die typischen Beschwerden und zeigt, wie Sie mit ein paar

wenigen Veränderungen Ihrer Bewegungs- und Lebensgewohnheiten Ihren Rückenschmer-

zen bald „Lebewohl“ sagen. Einfach durchführbare Testimpulse, Checklisten und interessante Fallbeispiele

aus der Praxis runden diesen ganzheitlichen Ratgeber ab und sensibilisieren für ein verständnisvolleres Verhältnis zu Ihrem wertvollsten Freund und Begleiter: Ihrem Körper! hohlkreuz

rumpfmuskulatur

haltemuskeln

dehnfähigkeitruheposition

beckenkippung

schlafhaltung

bewegungsrezeptor

wirbelkörper

energiebahnen

gerüstprinzip

passives sitzen

karnickelfanggriff

koordination

rotation

gelenkstellung

Gesundheitswissen, das Spaß macht!

Wir

bel

säu

leU

nd

glic

h g

rüß

t d

ie

Stefan Soiron ist Physiotherapeut mit langjähriger Erfahrung in Krankenhaus

und eigener Praxis. Als Rückenschullehrer und Trainer für Gesundheitsförderung

veranstaltet er regelmäßig Kurse in Kindergärten, Schulen und Firmen. Der zweifache Familienvater versteht sich

als Mahner und Aufklärer, möglichst frühzeitig für die Vorsorge und den Erhalt der eigenen (Rücken-)Gesundheit aktiv zu werden. Seine besondere Mission erklärt

sich aus einem wichtigen Abschnitt seiner Biografie: Nach einem schweren Unfall erklärten die Ärzte Stefan Soiron 1985 für arbeitsunfähig. Während einer

alles verändernden Rehakur entdeckte er seine Liebe für den Heilberuf und setzt

seitdem sein Wissen und seine Erfahrung für unzählige erfolgreiche Behandlungen

ein. Vielleicht ist dies auch der Grund dafür, warum seine Patienten von dem

leidenschaftlichen Fußballspieler sagen, dass er Gesundheitswissen anschaulich

und leicht verständlich vermittelt.

Stefan Soiron

Stefan Soiron

WirbelsäuleUnd täglich grüßt die

Rückenschmerzenbesser verstehen

und behandeln

LaudatioVerlagLaud

atio

Verlag

Stef

an S

oiro

n

Alle Rechte vorbehalten© 2012 Laudatio Verlag, Frankfurt am Main Autor: Stefan SoironLektorat: Franziska Jentsch Buch- und Umschlaggestaltung: Andreas Grunau Titel- und Buchillustration: Klaus SommerfeldUmschlagfoto: © Fred Goldstein, Fotolia.deFotos von Sascha Maaßen (S.65): © Ulli Upietz (oben) und © Dieter Röscheisen (unten)ISBN 978-3-941275-36-2 www.laudatio-verlag.de

Und täglich grüßt die Wirbelsäule Inhalt

Bevor Sie loslegen ... 7

Mein Freund – der unbekannte Begleiter 11

Aktives und passives Sitzen – unser Baukasten im Alltag 49

Wunderwerk Wirbelsäule – Ein Crashkurs in Anatomie22

Muskeln sind die Antriebsräder unseres Körpers. Bei guter und richtiger Pflege können sie den Körper gleichzeitig stabilisieren. Folgen Sie mir auf eine Rei-se in die unsichtbare Welt der Muskeln und erfahren Sie, wieso es Ihnen eigentlich gelingt, Ihren Körper genau dorthin zu bewegen, wo Sie es gerade wollen!

Muskulatur, Körperstabilität und Gelenkstellung67

Muskelschmerz hat tausend Gesichter. Dabei fun-giert unsere Muskulatur als wichtiger Gradmesser für unser inneres Gleichgewicht. Ob Urlaub eine Spritze ersetzen kann, wieso Liebe besser wirkt als Tabletten und warum Bewegung ein gutes Schmerz-mittel ist, erfahren Sie in diesem Kapitel.

Muskelschmerz als Spiegel unserer Seele100

Grundlegendes Fachwissen über Aufbau und Eigenschaften der Wirbelsäule sind nicht nur etwas für Mediziner. Lernen Sie dieses Wunderwerk Ihres Körpers und seine Funktionsweise etwas besser kennen, um den häufigsten Ursachen für Rücken-schmerzen vorzubeugen.

Inhalt Und täglich grüßt die Wirbelsäule

Schmerz – Notruf unseres Körpers 86

Schlafen wie ein Murmeltier – Die Wahl der richtigen Matratze 115

Vorbeugen ist besser als Kurieren 189

Akupunktur – Scharlatanerie oder schlüs-siger Erklärungsansatz für viele Funkti-onsstörungen? Die Lehre von den Ener-giebahnen in unserem Körper ist ganz einfach zu verstehen, und stellt für alltäg-liche Befindlichkeitsstörungen alternative Behandlungsmethoden ohne Nebenwir-kungen zur Verfügung.

Grundzüge der Akupunkturlehre 122

An die 80 Prozent aller Rückenbeschwer-den haben keine klare Diagnose. Und doch muss es einen Grund dafür geben, wenn Sie sich vor Schmerzen nicht mehr rühren können. In diesem Kapitel lernen Sie anhand von praktischen Fallbeispie-len die häufigsten Ursachen für Hexen-schuss, Ischias und eingeklemmten Ner-ven kennen. Und Sie erfahren, wie Sie Verspannungskopfschmerzen mit dem richtigen Handgriff zu Leibe rücken oder ihn einfach weglächeln können.

„Hab ich Ischias?“ Aus meiner Praxis139

Muskelschmerz als Spiegel unserer Seele

Und täglich grüßt die Wirbelsäule Inhalt

Fangen Sie an! – Es ist nie zu spät, etwas zu ändern 208

Ach, noch was … 215

Das etwas andere Stichwortverzeichnis 218

Bei diesem Training werden durch freie mehrgelenkige Bewegungen gezielt Mus-kelgruppen angesprochen, die für die Alltagsbewegungen eine Rolle spielen. Durch zusätzliches Üben von Gleichge-wicht und Beweglichkeit gehen komple-xe Bewegungsabläufe in Fleisch und Blut über; der gesamte Bewegungsapparat wird für die alltäglichen oder sportlichen Herausforderungen fit gemacht.

Funktionelles Training176

Bewegung ist gut. Training ist besser. Aber trainieren mit einem klar definierten Ziel ist unschlagbar, wenn es z.B. darum gehen soll, Ihren Bewegungsapparat fit für die alltäglichen Herausforderungen zu machen. Ein optimal auf Ihr Trainingsziel angepasstes Körpertraining setzt daher niemals allein auf eine reine Kraftstei-gerung, sondern bezieht eine Verbesse-rung der Körperhaltung und -koordinati-on ebenso mit ein.

Richtig trainieren –„Klasse statt Masse“172

Haltung

Koordination

Kraft

22 3. Wunderwerk Wirbelsäule

3. Wunderwerk Wirbelsäule – Ein Crashkurs in Anatomie

Wat isn Dampfmaschin?

So, jetzt habe ich Ihnen schon einiges über das ganze Drumher-um erzählt. Da Sie auch hier an dieser Stelle noch weiterlesen, gehe ich davon aus, dass Sie mir in einigen meiner Argumente Recht geben und nun bereit sind, Ihre Verständnisebene zu erweitern. Schreiten wir nun endlich zur Tat und machen uns ans Eingemach-te, an den menschlichen Körper bzw. den schwersten Teil von ihm, den Rumpf.

Da stellen wir uns einmal ganz dumm … Der Rumpf besteht aus Becken, Rücken, Bauch und Brust, und weil unter anderem auch zum Lesen am wichtigsten nehmen wir den Kopf noch mit dazu. Arbeiten wir uns nun von unten nach oben. Das Becken ist, wie der Name schon sagt, ein Körperteil, das aussieht wie ein Becken, ein schüsselartiges Gebilde aus flachen, aber recht festen Knochen. Das Becken ist die Auffangschale für die Därme und andere lebens-wichtige Organe und bildet mit den seitlich angelegten Hüftge-lenkspfannen die Verbindung zu unseren Beinen. Das Becken ist im hinteren Bereich offen. In dieser Öffnung sitzt als Verbindungsstelle der zwei Beckenhälften das Kreuzbein. Das Kreuzbein geht mit dem Becken an den beiden äußeren Rändern eine gelenkartige verzahn-te Verbindung ein, welche durch viele kleine Bänder gehalten wird. Diese Nahtstelle zwischen Becken und Kreuzbein bildet das Ilio-sacralgelenk, zu Deutsch „Kreuzbein-Darmbeingelenk“, abgekürzt ISG. Dieses Gelenk unterscheidet sich durch seine flächige und unsymmetrische Kontaktfläche deutlich von allen anderen Gelen-ken in unserem Körper. Auch deshalb werden Sie dazu im weiteren Verlauf des Buches noch mehr hören. Über dem Kreuzbein beginnt die Wirbelsäule. Diese wird grob in drei größere Abschnitte unter-

233. Wunderwerk Wirbelsäule

teilt: Lenden-, Brust- und Halswirbelsäule, abgekürzt LWS, BWS und HWS. Diese drei Teile setzen sich zusammen aus fünf Len-denwirbelkörpern, zwölf Brustwirbelkörpern und sieben Halswir-belkörpern, die jeweils durch eine Bandscheibe getrennt werden. Diese drei Hauptbestandteile müssen Sie sich vorstellen wie drei übereinander angeordnete Zahnräder. Drehen Sie eins dieser drei Zahnräder nach vorne oder nach hinten, bewegen sich die anderen zwei ebenfalls. Das heißt, Sie können keinen dieser drei Abschnitte richtig isoliert bewegen, ohne dass die zwei anderen nicht zumin-dest etwas an Bewegung mitmachen. Spüren kann man dieses Phänomen am besten, wenn Sie sich einmal so gerade wie möglich hinsetzen und versuchen, nur den mittleren Teil Ihrer Wirbelsäule zu bewegen, ohne dass der Kopf oder das Becken ihre Position ver-ändern. Probieren Sie es mal … Es geht nicht, egal wie sehr Sie sich auch bemühen.

Das Fundament der Wirbelsäule – Das Becken

Kommen wir nun zu einer genaueren Analyse unserer knöcher-nen Rumpfbestandteile. Wieder fangen wir am besten ganz unten an, am Becken. Das Becken ist das Fundament unserer Wirbelsäule. Die Grundfläche, auf der unsere Wirbelsäule aufgebaut ist. Stellen Sie sich das Becken vor wie das Fundament für Ihr Haus. Wenn das

Becken von innen. Links (also von Ihnen aus rechts) mit den durch Tapes ange-deuteten (im wahren Leben vielen kleinen) Stabilisationsbändern, rechts (von Ihnen aus links) im rohen Zustand. Man erkennt gut die verzahnte Gelenkfuge.

24 3. Wunderwerk Wirbelsäule

Fundament gut in der Waage und prima ausgerichtet ist, können Sie beruhigt anfangen, Ihr Haus darauf zu bauen. Bauen Sie jedoch mal ein Haus auf einem schiefen Fundament. Lieber nicht! Wenn Sie schon beim Fundament geschludert haben und es nicht gera-de ist, brauchen Sie sich nicht zu wundern, wenn auch Ihr Haus schief wird und irgendwann, nach kurzer oder längerer Zeit, Ris-se bekommt. Im schlimmsten Fall entstehen daraus sogar statische Probleme. Beim Becken verhält es sich ähnlich. Schiefe und statisch zweifelhafte Wirbelsäulen sind häufiger als Sie vielleicht denken, und wenn wir die angeborenen Fälle ausklammern, sind diese Gebil-de überwiegend erworben über eine Fehlstellung oder Fehlbedie-nung des Beckens. Deshalb spricht man beim Becken auch von dem „Lenkrad der Wirbelsäule “.

Stopp, nicht dass Sie jetzt denken, jetzt fängt der wieder mit seinen Autovergleichen an. Nein, Lenkrad der Wirbelsäule heißt,

HWS-Streckung

Brustkorb-anhebung

Beckenkippung

Links: Zahnradmodell nach Brügger. Die Beckenkippung dreht das unters-te Zahnrad nach vorne. Dadurch wird automatisch der Brustkorb (das zwei-te Zahnrad) angehoben und die Halswirbelsäule gestreckt (drittes Zahnrad). Rechts: Das Zahnradmodell auf den Menschen übertragen.

253. Wunderwerk Wirbelsäule

dass die Aufrichtung der Wirbelsäule über das Becken gelenkt bzw. gesteuert wird. Ich kann über die Bewegung des Beckens die Wir-belsäule aufrichten oder auch – nicht abrichten – einrollen. Die Wirbelsäule biegt sich dann zu einem wunderbaren runden C (C wie der Buchstabe oder auch die bekannte Banane mit selbigem Anfangsbuchstaben).

Das Becken lässt sich in zwei Richtungen bewegen. Die Bewe-gung nach vorne nennt man Beckenkippung und diese erzielt eine Aufrichtung in der Wirbelsäule (siehe Abb. S. 24).

Ein Beispiel der Beckenkippung im Sitzen: Stellen Sie sich das Becken wieder als Schüssel vor, gefüllt mit Wasser. Durch eine Bewegung im Becken wollen Sie diese Schüssel jetzt so auskippen, dass das Wasser darin langsam über die vorderen Oberschenkel aus-läuft. Oder versuchen Sie sich mal im Sitzen so groß wie möglich zu machen, ohne die Beine mitzubenutzen. Schließen Sie dabei die Augen und „erspüren“ Sie, welcher Teil für diese Vergrößerung ver-antwortlich ist. Die Bewegung des Beckens nach hinten nennt man Aufrichtung, und die führt wie erwähnt dazu, dass die Wirbelsäule sich in die so geschmähte C-Position begibt. Achtung: Sollten Sie leidenschaftlicher Reiter sein, werden Sie diese Zeilen jetzt etwas verwirren. Zu dem, was in der Medizin Beckenkippung genannt wird, sagen die Reiter Beckenaufrichtung. Wer diese Verwirrung jetzt zu verantworten hat, ich weiß es nicht. Wer war zuerst da, der Reiter oder der Medizinmann? Die Beckenkippung ist das A und O für die optimale Einstellung der Wirbelsäule. Ohne die Becken-kippung kann die Wirbelsäule nicht in die bestmögliche Position gebracht werden. Punkt.

Ab hier wird es jetzt ziemlich kompliziert, besonders für die Her-ren der Schöpfung. Viele Männer schauen mich bei dem Erlernen der Beckenkippung an, als sei es ein persönlicher Affront gegen sie und ihre Männlichkeit. Blicke und verständnisloses Kopfschütteln, als würde ich Unmenschliches von ihnen verlangen oder sie bewegungs-technisch auf eine Geschlechtsumwandlung vorbereiten wollen.

26 3. Wunderwerk Wirbelsäule

Aber ich kann nichts dafür. Ich teile nur mit und zeige ihnen, dass es so ist wie es ist! Mangelndes Körpergefühl und fehlende Beweglich-keit tun dann noch ihr Übriges. Die Natur hat der Weiblichkeit nun mal eine bessere Beweglichkeit und Koordination im Becken mit in die Wiege gelegt. Das ist wohl auch der Grund, warum es so wenige männliche Bauchtänzer auf dieser Welt gibt. Und die nächste Unge-rechtigkeit lässt nicht lange auf sich warten. Das ist der Zeitpunkt, an dem man(n) sich bewusst das erste Mal mit dieser Bewegung aus-einandersetzen muss.

Bei der Nachwuchserzeugung übernehmen die Herren bekann-termaßen nur den gebenden Part. Was zur Folge hat, dass die Damen nun mal die praktischen und theoretischen Seiten des Kinderkrie-gens erfahren müssen. Die pflichtbewusste Erstmutter geht dann auch treu und brav zum Geburtsvorbereitungskurs und hört spätes-tens da das erste Mal den Begriff „Beckenkippung“. Da es in diesen Kursen meistens nicht nur mit Zuhören getan ist, erlernen sie die Bewegung dort auch. Das ist spitze: für die Geburtsvorbereitung und für das weitere Leben. Die meisten männlichen Erdbewohner hören das Wort Beckenkippung jedoch erstmals beim Aufeinan-dertreffen mit einem Physiotherapeuten. Durch den natürlichen Verlust der Beweglichkeit im Laufe des Lebens, gepaart mit dem gleichzeitigen Verlust des Bewegungsgefühls und der Körperwahr-nehmung, ist diese Bewegung aus der Mitte unseres Körpers für die gebeutelten Herren bis dahin eine kaum zu nehmende Hürde

Ohne eine gute Beckenbeweglichkeit ist eine optimale Wirbelsäulenhaltung

nicht möglich!

273. Wunderwerk Wirbelsäule

geworden. Sie versuchen, wie bei vielen anderen Dingen auch, das fehlende Gefühl durch Kraft zu ersetzen, was aber gerade bei dieser Bewegung eher kontraproduktiv ist. Ich habe sogar einige Exempla-re kennengelernt, wo ich im Laufe der Behandlungsjahre kapituliert habe. Es ist für sie absolut unmöglich, diese im Grunde angeborene, einfache isolierte Bewegung auszuführen. Man kommt sich vor, als müsste man einem Pony das Rollschuhlaufen nicht nur erklären, sondern auch beibringen.

Aber nicht nur der Therapeut, auch der Patient müht sich red-lich, aber vergeblich. Irgendwie kriegen sie es einfach nicht hin. Das ist der Punkt, an dem man Kompromisse machen muss, frei nach dem Motto lieber etwas falsch bewegen als gar nicht. Wenn man über Monate hoffnungslos an dieser kleinen Bewegung verzweifelt, permanent auf seine Unfähigkeit hingewiesen und ohne Aussicht auf Erfolg korrigiert wird, kann man(n) schon mal entnervt die Flinte ins Korn werfen. Und das wollen wir ja nicht … Also mer-ken wir uns das Wichtigste: Ohne eine gute Beckenbeweglichkeit ist eine optimale Haltung in der Wirbelsäule nicht möglich. Das ist wie Autofahren mit Lenkradschloss.

LWS, BWS … LMAA? – Durchblick statt Ärztelatein

Aber weiter nun zur LWS. Na, wissen Sie noch, wofür diese Abkürzung steht? Nein? Kein Problem: Also, die Lendenwirbelsäu-le (LWS) sitzt bzw. balanciert auf einer eigens dafür vorgesehenen Fläche des Kreuzbeins. Genauer gesagt auf einer Bandscheibe, die auf einem wiederum eigens dafür erbauten Plateau direkt auf dem Kreuzbein liegt. Die LWS besteht aus fünf Lendenwirbelkörpern, die relativ groß und klobig sind und jeweils durch eine Bandscheibe voneinander getrennt werden (s. Abb. S. 28). Aber dazu später mehr.

Behalten sollten Sie Folgendes: Die Deckplatte des Wirbelkör-pers ist die Auflagefläche für die Bandscheibe. Der Wirbelkörper hat als Anhängsel im hinteren Teil an jeder Seite zwei knöcherne

28 3. Wunderwerk Wirbelsäule

Nasen, die Querfortsätze, und eine fiese dicke Nase am hinteren Teil, den Dornfortsatz. Diese Anhängsel bilden den sogenannten Wirbelbogen, mit einem schönen geschützten Hohlraum für das Rückenmark. Die Dornfortsätze können Sie im Übrigen auch sehr gut ertasten. Machen Sie Ihren Rücken rund und lassen Sie dann Ihre Finger durch die Kuhle in der Mitte Ihrer Wirbelsäule gleiten. Sie spüren immer wieder harte herausstehende Punkte. Das sind die Dornfortsätze. Der LWS folgen die zwölf Brustwirbelkörper. Die Wirbel der BWS werden abgekürzt mit TH1 bis TH12 (vom latei-

Links: (der Wirbelkörper von oben): Der Wirbelbogen ist ein gebogenes knö-chernes Gebilde mit einem Hohlraum für den sensibelsten Teil unseres Körpers, das Rückenmark, welches vom Gehirn ausgehend die Steuerung unseres Körpers übernimmt. Durch diesen Knochenpanzer bestehend aus Quer- und Dornfortsätzen wird unser Rückenmark bestmöglich geschützt. (Nicht zu verwechseln mit dem kreisrunden Loch in der Deckplatte des Wir-belkörpers. Das gibt es nur bei Wirbelsäulenmodellen und ist, hoffentlich, in Ihrem Wirbelkörper nicht vorhanden). Seitlich herausstehend sehen Sie die Querfortsätze. Das spitze Ende oben ist der Dornfortsatz. Rechts: (der Wirbelkörper in Bauchlage von der Seite): Ganz rechts oben sehen Sie den weit herausstehenden Dornfortsatz. Etwas mittig die oberen und unteren Gelenkfortsätze, die mit dem darüber- und darunterliegenden Wirbel die Facettengelenke bilden.

293. Wunderwerk Wirbelsäule

nischen Wort thorakal). Alle Wirbelkörper werden von unten nach oben kleiner. Das heißt, die zwölf Wirbel der BWS sind schon etwas feiner als die der LWS. Zwischen dem 12. BWS-Körper und dem 1. BWS-Körper (gezählt wird von oben, das heißt, der 12. Brustwirbel ist dem Po näher als dem Kopf ) besteht schon ein relativ beträcht-licher Größenunterschied. Welcher ist also der kleinere Wirbelkör-per, der 1. oder der 12. Brustwirbelkörper????? Na …? Der erste. Weil es ja von unten nach oben feiner und kleiner wird … oder doch umgekehrt? Kurz überlegen … ein Turm ist am Fuß breiter als an der Spitze … deshalb sind die unteren Wirbel auch … richtig! Der 12. Brustwirbel ist größer, demnach der 1. kleiner und Sie haben das Prinzip schon verstanden.

Bei der BWS haben die Dornfortsätze eine andere Neigung, eher steil nach unten zeigend und „einander überlappend“, und sind deshalb auch bei Ihrem Selbsttastversuch schwieriger zu erfüh-len. Aber das braucht Sie, falls Sie nicht durch die Lektüre dieses

Buches doch dazu tendieren, den Beruf zu wechseln, nicht so richtig zu interessieren. Wichtig aber ist, dass die BWS im Vergleich zu LWS und HWS keine „frei schwebenden“ Querfortsätze hat. Jeder der zwölf Querfortsätze der Brustwirbelsäule bildet seitlich mit einer Rippe eine Gelenkverbindung. Die nennt man Rippenwirbelgelenke oder Costo-vertebralgelenke. („Was? Rippenge-lenke? Nie gehört! Ist das erblich?“) Im Ernst. Dieses Wort erzeugt oft unbändiges Erstaunen. Testen Sie es mal aus und lassen bei der nächsten „Krankheitsbesprechungskaffeeta-

fel“ dieses Wort fallen und erfreuen Die Halswirbelsäule mit angren-zendem Schädel.

30 3. Wunderwerk Wirbelsäule

sich dann an den entweder ungläubigen oder dank Ihres fundierten Fachwissens anerkennenden Blicken.) Diese Gelenke spielen auch im weiteren Verlauf des Buches noch eine wichtige Rolle. Durch die Anbindung an die Rippen und den Zusammenschluss dieser vorne am Brustbein ist der Bereich der Brustwirbelsäule der unbe-weglichste Teil unserer Wirbelsäule, aber dadurch auch der „verlet-zungsunanfälligste“. Nur so nebenbei. Die Rippen dienen u. a. als Aufhängung für die Lunge und als Schutz für den sparsamsten und umweltfreundlichsten Motor der Welt, unseren Motor, das Herz.

Gehen wir nun zum sensibelsten Teil unserer Wirbelsäule, der HWS. Die Wirbel der HWS werden abgekürzt mit C1–C7 (vom lateinischen Wort cervikal). C7 ist also der 7. Halswirbel und getreu

unserer Größen-theorie der größte. Die Halswirbel-säule ist im Ver-gleich zur LWS sehr grazil und dünn. Der Zwi-schenraum zwi- schen den Gelen-ken ist sehr be-grenzt, die Ge-lenkflächen sind sehr fein und steil übereinander ste-hend angeordnet. Die Bandschei-ben sind ganz zart und klein und die Nervenaustritts-öffnungen lassen dem Nerv nicht so

Oben: Obere HWS von der Seite .Unten: Obere HWS von vorne. Man sieht die seitlichen hellen Nervenaustrittsöffnungen und die im Wirbel ein-gebettete Arteria vertebralis (dunkel) dargestellt.

313. Wunderwerk Wirbelsäule

wirklich viel Spielraum wie noch in der LWS. Hinzu kommt, dass die ersten sechs Halswirbel, also C1–C6 noch eine Öffnung für eine der wichtigsten Blutadern in unserem Körper beherbergen, die Kopfarterie, genannt Arteria vertebralis. Besonders zu erwähnen ist, zwischen dem 1. Halswirbel, dem Atlas, und dem 2. Halswirbel, dem Axis, gibt es keine Bandscheibe.

Durch die feine Mechanik ist die HWS der beweglichste – aber auch der sensibelste und am schwersten zu reparierende (OP-tech-nisch gesehen) – Teil unserer Wirbelsäule, gerade weil sie so fein und grazil ist. Durch muskuläre Verbindungen von Muskeln der Halsvorderseite und der Nackenmuskulatur hat die Stellung der HWS sehr großen Einfluss auf Wohlbefinden und Schmerz. So ist sie z. B. mitverantwortlich für Kopfschmerz, Ohrengeräusche (Tinnitus), Sprachentwicklung, Schulter- und Kieferbeschwerden und noch einiges mehr. Ein weiterer Grund, der Halterung unse-res Kopfes, der HWS, ein möglichst langes und beschwerdefreies Leben zu ermöglichen und zu bescheren.

Es ist schon ein Kreuz mit dem Hohlkreuz

Der glaube ich meistgebrauchte und deplatzierteste Begriff in Bezug auf die Wirbelsäule ist das Wort … (kleiner Tusch) „Hohl-kreuz“. Es gibt kaum ein Wort, das so negativ behaftet für einen eigentlich erwünschten Ist-Zustand ist wie das Wort „Hohlkreuz“. Hohlkreuz ist schlecht, nicht erwünscht, eine angeborene Fehlbil-dung, schlichtweg alles, was man sich nur denken kann, außer etwas Positivem. Der Mythos Hohlkreuz. Das Hohlkreuz muss für alles herhalten und wird immer wieder gerne als erste Ausrede bei Hal-tungsschäden und Problemen in der Wirbelsäule verwendet. „Sie haben aber eine schlechte Haltung!“ „Ich weiß, ich weiß, ich hab ja auch ein Hohlkreuz.“ Das ist so, als wenn ich Ihnen sage, „So kriegen Sie Ihr Auto aber nicht durch den TÜV“ und Sie mir antworten „Ich weiß, ich habe ja auch einen Sicherheitsgurt!“. Ach so, na dann …!

32 3. Wunderwerk Wirbelsäule

Der Mythos vom übelsten Feind der Menschheit, dem Hohlkreuz, ist generationsübergreifend ein Thema und wird anscheinend wie eine lästige Erbkrankheit an die nachfolgende Generation weiterge-geben. Selbst mir klingt es noch aus Kindheitstagen und mit Jahr-gang 66 nicht wirklich steinalt in den Ohren: „Mach kein Hohl-kreuz!!!“ Zeit, einmal den Versuch zu starten, großflächig gegen diesen in der Bevölkerung verbreiteten Irrglauben in den Kampf zu ziehen. Hallo zusammen … Hohlkreuz ist keine Krankheit, sondern die natürliche und angeborene Form der Lendenwirbelsäule. Im Gesicht haben Sie ja auch eine Nase. Die ist ja auch keine Krankheit, auch wenn sie manchmal ungewollt läuft oder sie dieselbige mal wie-der voll haben. Und mit der Nase ist es so wie mit dem Hohlkreuz: Mal ist sie etwas größer, mal etwas kleiner und feiner, aber immer ist sie da. Von Geburt an bis zum Tage unseres Ablebens (außer z. B. bei Cher und Michael Jackson). Der Unterschied ist aber, unsere Nase bleibt unsere Nase. Bis auf den Chirurg oder eine kleine Sparrin-grunde mit den Klitschkos kann das auch keiner ändern. Sie können Ihre Nase nicht wegatmen oder kleiner putzen. Das jedoch können Sie mit Ihrem angeborenen Hohlkreuz. Sie können es sich wegbe-wegen beziehungsweise vergammeln lassen und auf einmal … wie von Geisterhand, da ist es einfach weg.

Das Leben ohne Hohlkreuz ist auch kein erstrebenswerter Zustand, wenn man denn einmal verstanden hat, warum und wes-halb uns der liebe Gott mit eben diesem Hohlkreuz ausgestattet hat. Die Wirbelsäule ist in ihrer ursprünglich gedachten Form gebogen wie ein doppeltes S. Das heißt, in der LWS, oh Schreck lass nach, ist sie hohl, in der BWS ist sie rund und in der HWS wieder hohl. Die-ses Hohle nennt man medizinisch „Lordose“. Was für eine Unord-nung! Welcher Bauherr hat uns ein so verbogenes Teil in den Kör-per geschoben? Das kann doch nicht gewollt sein, also weg damit. Wir lieben es, wenn alles schön gerade und akkurat ist. Auch wenn Sie es jetzt vielleicht noch nicht verstehen: Merken Sie sich diesen Satz: Unsere LWS ist hohl, soll hohl sein und auch nach Möglich-

494. Aktives und passives Sitzen

4. Aktives und passives Sitzen – unser Baukasten im Alltag

Probieren geht über studieren – Eine Anleitung zum Selbsttest

Erinnern Sie sich noch an den – zumindest als Patienten – unsympathischen Herrn aus dem1. Kapitel? Der, der partout nicht den Sinn seines Lebens darin gesehen hat, bis an sein Lebensende etwas aktiv gegen seine Beschwerden zu tun. Nun gehe ich dazu über, das Gleiche bei Ihnen zu versuchen. Ich möchte bei Ihnen gerne das Verständnis wecken und die Bereitschaft einfordern, aktiv an Ihrer Gesunderhaltung oder an Ihrem Wohlbefinden mitzuhel-fen. Das fängt bei dem an, was wir vielleicht nicht unbedingt am liebsten, aber am häufigsten tun: Dem Sitzen. Sitzen an sich ist, für uns zivilisierte Erdbewohner schwer vorstellbar, keine gedachte und erfundene Haltung für Menschen. Wir sind nicht für das Sitzen, zumindest als Dauerposition, erfunden oder gebaut worden. Wir sind Bewegungstiere. So viel schon einmal vorweg. Der Schlüssel zum richtigen Sitzen liegt im Becken. Oweiowei, da ist sie wieder, diese verdammte Beckenkippung. Und jetzt nicht nur theoretisch, sondern sogar praktisch. Es ist für viele nicht einfach, die Becken-kippung zu erlernen und noch schwieriger ist es, sie zu „erlesen“. Daher können Sie die Bewegung am besten gleich mal in einem der folgenden Selbsttest (siehe S. 44) ausprobieren. Sollten Sie hierbei größere Schwierigkeiten haben und auch keinen kennen, der Sie Ihnen gut und richtig beibringen kann, lassen Sie mal fünfe gerade sein und nehmen Sie ein bis zwei Termine bei einem Physiothera-peuten wahr!

Es hat geklappt? Wunderbar, damit haben Sie schon die wichtigs-te Grundlage für alles Folgende gelegt. Denn ohne diese einfache und doch so schwere Bewegung ist ein rückengerechter Bewegungs-

50 4. Aktives und passives Sitzen

Testimpuls 1: Beckenbeweglichkeit

Setzen Sie sich auf einen Stuhl, am bes-ten so, wie Sie immer sitzen, schön eingerollt.

Nun umfassen Sie mit beiden Händen Ihre Beckenschaufel, sodass der Daumen hinten

im Bereich des Gesäßmuskels ist. Versuchen Sie nun mit den Daumen etwas Hartes zu ertasten.

Gefunden? Gut, dann haben die Daumen an der harten Stelle nun Pause. Ihre Zeigefinger versuchen nun, die

Knochenvorsprünge vorne am Becken zu ertasten. Wenn Sie das geschafft haben, liegen Ihre Innenseiten von Zeige-

finger und Daumen auf dem recht gut fühlbaren jeweiligen Beckenkamm. Nun versuchen Sie sich aufzurichten. Um diesen

Bewegungsvorgang zu verdeutlichen, kleben Sie sich ein Fäd-chen oder ein Stück Kordel auf Ihr T-Shirt. Das obere Ende ungefähr mittig auf dem Brustbein und das untere Stück circa 2 cm oberhalb des Bauchnabels. Die Hände nehmen die oben beschriebene „Beckentaststellung“ ein. Sie sitzen so richtig schön in der runden Lümmelstellung. Das Fädchen hängt locker vor Ihrem T-Shirt. Nun versuchen Sie, das Fädchen zu spannen. Dafür müssen Sie Ihre Wirbelsäule aufrichten. Das Brustbein macht tendenziell die Bewegung nach vorne oben. Sollten Sie jetzt, mit den Händen immer noch am Becken, spüren, dass das Becken sich dabei nach vorne Richtung vorderer Oberschen-kel bewegt, sind Sie schon einen wichtigen Schritt weitergekommen. Diejeni-gen, die das Fädchen richtig gut spannen können, versuchen jetzt einmal die Bewegung nur vom Becken her einzuleiten. Das gespannte Fädchen und die tastenden Finger werden Ihnen Ihren Erfolg zeigen.

Für all die, bei denen es nicht gleich auf Anhieb klappt, Variante 2. Hierbei lösen Sie jetzt bitte nur das unten angeklebte Stück. Lümmeln Sie sich wie-der richtig schön auf Ihren Sitz und stellen sich vor, Sie wären eine wehrlose Marionette. Sie ziehen sich selbst an dem Faden nach vorne oben, peilen mit der Hand die Kante an, an der sich Wand und Decke Ihres Zimmers treffen. Leisten Sie keine zu große muskuläre Gegenwehr, sonst reißen Sie den Faden ab. Lassen Sie sich wie eine wehrlose Marionette in die angezeigte Richtung ziehen. Mit der anderen Hand, die ja noch immer am Becken weilt, versuchen Sie wieder, die Bewegung des Beckens nach vorne zu spüren. Wenn Sie diese Bewegung im Becken wahrnehmen, versuchen Sie dann, die Übung ohne den Faden zu wiederholen. Es klappt? Wunderbar!

514. Aktives und passives Sitzen

ablauf nicht möglich. Demzufolge auch keine Haltungsverbesse-rung im Ganzen und erst recht nicht in einem bestimmten Wirbel-säulensegment (Sie erinnern sich, die Sache mit den Zahnrädern).

Mir würden vermutlich, wenn wir uns jetzt Aug in Aug gegen-überständen, die Tränen vor Freude in die Augen schießen, wenn Sie mir sagten: „Ich kann die Beckenkippung und ich habe auch verstanden, warum sie wichtig ist!“ Gerade weil es so wichtig ist, noch ein Versuch. (All diejenigen, die es verstanden haben, können bis zum nächsten Absatz blättern oder noch besser: einfach weiter üben.)

Sie legen jetzt beide Hände wieder in die „Beckentaststellung“. Stellen Sie sich vor, Sie umfassen eine Schüssel mit Wasser und müssen diese langsam über die vorderen Oberschenkel ausgießen. Sie müssten spüren, dass sich der Knochenvorsprung unter Ihrem Zeigefinger Richtung vorderer Oberschenkel bewegt. Außerdem müssten Sie beim Sitzen mit gekipptem Becken deutlich größer sein als in der Lümmelposition. Aber Vorsicht (jetzt meine ich alle, die Schnellversteher und die, für die diese Bewegung eine relativ neue Erfahrung darstellt), es kommt auch immer noch auf andere Fakto-ren an:

• Die Höhe der Sitzfläche: Sollte Ihre momentane Sitzfläche nicht auf gleicher Höhe oder höher als Ihre Knie sein, ist eine Bewegung im Becken schwer bis unangenehm bis nicht aus-führbar. Also nicht auf Omis alter Couch probieren, auf der man schon bis zu den Ohren in die Polster eintaucht.

• Die Stellung der Füße: Die Fußstellung ist ungemein wichtig. Die günstigste Position ist so: Die Füße stehen etwas vor den Knien, also vom Körper weg. Die Beine sollten nicht press gegeneinander sein, sondern mindestens hüftbreit auseinander oder auch gerne etwas mehr.

52 4. Aktives und passives Sitzen

Testimpuls 2: Gewichtsbelastung Wirbelsäule

Heben Sie Ihr Gesäß kurz an und schieben Ihre Hände mit den Handflächen nach unten

unter den Po. Die Hände müssen recht weit nach hinten geschoben werden, also in den Bereich, wo auch unsere Wirbelsäule sitzt. Nun lassen Sie sich wie-der einmal richtig gehen und hängen nun herrlich passiv an der Rückenlehne

des Stuhls. Spüren Sie, wie viel Gewicht nun auf Ihren unter dem Po versteckten Händen lastet? Das ist eine

ganze Menge. Sie merken es daran, dass Sie die Hände – wenn überhaupt – nur mit sehr großem Kraftaufwand aus ihrer Gefan-genschaft befreien können. Ohne die Stellung der Hände zu

verändern, versuchen Sie nun, von unten nach oben den akti-ven Sitz einzunehmen. Füße richtig stellen, Becken kippen, Wirbelsäule aufrichten und schon können die Hände in die

neugewonnene Freiheit fliehen. Fluchtversuch geglückt dank rapider Gewichtsabnahme.

Nachdem nun das Für (Oh, ist das Rumlümmeln bequem) und das Wider (Mensch, was müssen meine Bandscheiben beim Sitzen für ein Gewicht ertragen) besprochen ist, beschäftigen wir uns nachfolgend mit den Strukturen beim aktiven Sitzen. Also, Füße wieder nach vorne, Becken kippen und auf geht’s mit dem Kopf erst einmal mindestens ein Stockwerk höher. Nun sitzen Sie wieder richtig. Stopp. Schauen Sie jetzt auf die Uhr und versu-chen Sie, diese Position so lange wie möglich zu halten. Sollten Sie Ihre Hände nicht als Kontrolle im Beckenbereich brauchen, führen Sie eine Hand jetzt mal nach hinten in die LWS und pro-bieren Sie, die tiefste Stelle in der Mitte zu ertasten (richtig, die Stelle, wo die Dornfortsätze sind). Dann wandern Ihre Finger 2 cm nach rechts und links. Sie spüren, dass dort die Muskulatur des langen Rückenstreckers angespannt ist. Das ist der Grund, warum die Dornfortsätze jetzt wie in einem Tal liegen.

534. Aktives und passives Sitzen

Sollten Sie eben bei den drei verschiedenen Erklärungsversuchen Schwierigkeiten gehabt oder sollte es gar nicht funktioniert haben, prüfen Sie bitte nach, ob eine oder beide der beschriebenen Grund-voraussetzungen eventuell nicht gestimmt haben und wiederho-len Sie die Übungen noch einmal. Jetzt versuchen Sie bitte erneut, die Beckenkippung auszuführen, und zwar, indem Sie die Füße so weit es geht unter dem Stuhl parken. Wenn Ihnen die Beckenbe-wegung jetzt schwerer fällt, haben Sie eigentlich alles verstanden und gespürt, welches die beste Ausgangsposition für diese wichtige Bewegung ist.

Aber damit nicht genug. Keine Zeit zum Ausruhen. Denn das Kapitel heißt ja „passives und aktives Sitzen“! Setzen wir uns jetzt wieder so, wie wir wissen und verstanden haben, dass es falsch ist,

Links: Der passive Sitz. Die Stellung des untersten Zahnrades lässt die darüber lie-genden Zahnräder automatisch in eine falsche Richtung drehen. In dieser Positi-on können Sie das oberste Zahnrad nicht separat in die korrekte Position bringen. Wenn doch (bei überbeweglichen Menschen ist es ansatzweise möglich), fühlt es sich aber nicht besonders gut an. Rechts: Wie schon kennengelernt, der aktive Sitz mit den richtig gestellten Zahnrädern.

54 4. Aktives und passives Sitzen

total gebogen, und lümmeln uns gemütlich an die Rückenlehne. Diese Position nennt man passives Sitzen. Warum? Weil unsere Wirbelsäule nur von passiven Elementen, also solchen, die wir wil-lentlich nicht bewegen können, gehalten wird. Den Bändern und Gelenken. Wir wissen jetzt auch, was mit unseren Bandscheiben in dieser Position geschieht. Sie werden mit der ganzen Wucht unse-res Oberkörpers nach hinten gepresst. Gleichzeitig quetscht das Gewicht unseres Körpers auch noch hervorragend die Flüssigkeit aus unseren saugfähigen Stoßdämpfern. Da der Druck mit der Zeit ja auch nicht weniger wird, also keine Entlastung für die Bandschei-ben stattfindet, ist das ein auf Dauer nicht erstrebenswerter Zustand. Be- und Entlastung stehen in einem krassen Missverhältnis. Auch das kann man in einem einfachen Test ( s. S. 46) gut spüren:

Ihre Muskulatur im Rücken wird durch die Beckenkippung auto-matisch aktiviert. Ist das nicht prima, ganz von alleine, ohne dass Sie sich bewusst drum kümmern müssen. Deshalb aktives Sitzen. Warum? Ihre Wirbel stellen sich in die bestmögliche Position und die Wirbelsäule wird nun von der arbeitenden Muskulatur gestützt. Ihre Bandscheiben haben den größtmöglichen Platz zwischen den einzelnen Wirbeln und die Wirbelgelenke stehen so zueinander, dass sie mechanisch die geringste Belastung haben. Dazu später noch ein Selbstversuch.

Wenn’s zwickt und zwackt – Tanken Sie Ihre Muskeln wieder auf!

Jetzt haben Sie sich richtig, also aktiv, hingesetzt, weiter gelesen und kommen nun an den Punkt, an dem es in Ihrem Rücken unan-genehm zu ziehen beginnt. All diejenigen, die eben auf die Uhr geschaut haben, merken sich nun die Zeitspanne, in der Sie sich in der aktiven Sitzposition halten können, ohne dass es unangenehm wird. Ich gehe davon aus, während Sie immer noch weiter aktiv sit-zen, dass das Ziehen in Ihrem Rücken sich nun langsam verstärkt.

654. Aktives und passives Sitzen

geben). Wir kau-fen uns dieselben Blusen wie Lady Gaga und die lila Fu ß b a l l s c hu h e von Frank Ribery, in der Hoffnung unsere Schuss-technik dadurch etwas zu verbes-sern. Aber meis-tens kopieren wir nur die Dinge, die uns ange-nehm erscheinen. Dabei kann man sich gerade z. B. im Leistungs-sport viele Dinge abschauen, die uns auch im Alltag besser, gesünder und auch sicherer voranbringen würden. Schauen wir uns doch z. B. einmal an, wie die „rennigsten“ aller Rennfahrer, die Formel-1-Piloten in ihren Boli-den sitzen: Gerader Rücken, den Kopf in unmittelbarer Nähe der „Kopfstütze“ und die Arme angewinkelt.

Aus meiner langjährigen Diskussionserfahrung mit Patienten kann ich den Skeptikern unter Ihnen schon Ihre Erwiderung auf meine Aussage vorwegnehmen. „Bei denen geht das nicht anders, weil so wenig Platz in den Cockpits ist.“ Okay, dann stellen Sie sich ein DTM oder sonstiges Rennauto vor. Serienautos, wie Sie und ich sie fahren, nur mit etwas mehr Spoilern und PS. Dort wäre genug

Oben: Der Rennfahrer Sascha Maassen in richtiger Arbeitshaltung an seinem Arbeitsplatz.Unten: Wieder Sascha Maassen. Diesmal in einem zum Rennwagen umgebauten Serienauto. Auch in die-sem Fahrzeug, wo er den nötigen Platz hätte, um cool in einer Liegeposition über die Rennstrecke zu heizen, behält er seine gerade Sitzposition bei. Warum wohl?

66 4. Aktives und passives Sitzen

Platz, um wie Mantamanni über den Ring zu heizen. Aber warum tun sie es nicht? Warum sitzen die Fahrer so gerade (s. Abb. S. 65 unten). Diese „Unnormalos“ bewegen sich mit ihren Fahrzeugen immer am Limit dessen, was man Mensch und Material zumuten kann. In Extremsituationen. Um diese Extremsituationen gut zu meistern ist es notwendig, die bestmöglichen körperlichen Voraus-setzungen zu erfüllen, um den Wagen im Griff und unter Kontrolle zu halten. In dieser Position hat der Fahrer die besten Kraftverhält-nisse und da gleichzeitig oder gerade deshalb seine Gelenke und Muskeln in der bestmöglichen Position sind, kann er auch aktiv am besten gegen die auftretenden Fliehkräfte ankämpfen. Na gut, regel-rechte Fliehkräfte hat Lieschen Müller jetzt nicht unbedingt, wenn sie beim Einkaufen auf den Aldiparkplatz abbiegt, aber was für Michael Schumacher gut ist, kann doch für Lieschen Müller nicht schlecht sein, oder? Zusammengefasst: Diese Sitzposition wird aus Gründen der Fahrsicherheit gewählt und nicht, weil die Fahrer die-se Position so gemütlich finden.


Recommended