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Und das paradies gab es doch

Date post: 04-Jan-2017
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Paul Thomas Und das Paradies gab es doch! Die Wahrheit über den Garten Eden scanned by Tatanka corrected by AnyBody Das Paradies - nicht nur ein schner Traum, sondern Realitt! Sensationelle Entdeckungen besttigen die Existenz der heiligen Sttte und geben Antworten auf das lteste Rtsel der Menschheitsgeschichte: Was geschah im Paradies? Paul Thomas führt den überzeugenden Beweis, dass sich das Paradies im Kreuzungspunkt vierer historischer Bauten auf der Arabischen Halbinsel befunden haben muss. Anhand historischer Quellen und eigener Recherchen rekonstruiert er die Geschichte des magischen Ortes vor und nach seiner Zerstrung. Thomas berichtet von dramatischen Entdeckungen, die unmittelbare Auswirkungen auf die aktuelle politische Lage in dieser Krisenregion haben. ISBN 3-426-27173-7 2001 bei Droemersche Verlagsanstalt Umschlaggestaltung: Agentur Zero, München Gestaltung und Herstellung: Josef Gall, Geretsried Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!!
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Paul Thomas

Und das Paradies gab es doch!

Die Wahrheit über den Garten Eden

scanned by Tatanka corrected by AnyBody

Das Paradies - nicht nur ein schöner Traum, sondern Realität! Sensationelle Entdeckungen bestätigen die Existenz der heiligen Stätte und geben Antworten auf das älteste Rätsel der Menschheitsgeschichte: Was geschah im Paradies? Paul Thomas führt den überzeugenden Beweis, dass sich das Paradies im Kreuzungspunkt vierer historischer Bauten auf der Arabischen Halbinsel befunden haben muss. Anhand historischer Quellen und eigener Recherchen rekonstruiert er die Geschichte des magischen Ortes vor und nach seiner Zerstörung. Thomas berichtet von dramatischen Entdeckungen, die unmittelbare Auswirkungen auf die aktuelle politische Lage in dieser Krisenregion haben.

ISBN 3-426-27173-7 2001 bei Droemersche Verlagsanstalt

Umschlaggestaltung: Agentur Zero, München Gestaltung und Herstellung: Josef Gall, Geretsried

Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!!

»Als Junge dachte ich, dass alles offen, ehrlich und frei sei. Im Alter wusste ich, dass dies nur innerhalb des Käfigs gilt, in

dem ich körperlich und geistig gefangen bin.«

Ali, Eden Archäologe

Inhalt Einführung: In der Gesellschaft von Außenseiter-Archäologen ..................6

Das Auge des Horus ................................................................................9 Auf geheimen Wegen in Richtung Paradies ..........................................13 Hotelboys als Späher .............................................................................16 Reise in die Anonymität ........................................................................19 Arabische Hüter uralten Wissens...........................................................22 Warten auf Ali .......................................................................................24 Von »guten« und »bösen« Archäologen................................................29 Archäologischer Fanatismus..................................................................31 Ali trifft ein............................................................................................35 Im Labyrinth der Eden-Archäologie......................................................37 Im Schlepptau der Schmugglerkarawanen.............................................40 Höllische Bedingungen im einstigen Paradies.......................................43 Wann zerfiel das Paradies? ....................................................................45

1. Kapitel Die Anfänge der Suche nach dem Paradies...............................49 Lawrence von Arabien und ein Orientalist mit Priesterwürde...............51 Auf der Suche nach dem Berg Gottes....................................................53 Die Entdeckung der Täler der Propheten und Patriarchen.....................60 Ein Bann über den Thadra .....................................................................62 Ein Sprachforscher entdeckt das Heilige Land ......................................64 Wo wurden Adam und Eva begraben? ..................................................68

2. Kapitel: Von den Tücken einer Wüstentour ..........................................70 Die Gesetze des Bakschisch ..................................................................71 Der Schlüssel zum Glück.......................................................................74

3. Kapitel: Die Entdeckung der Täler der Propheten und Patriarchen .......76 Das Tal der Propheten ...........................................................................78 Das Tal der Patriarchen..........................................................................79

4. Kapitel: Überleben in den Wüsten Arabiens..........................................84 Die Kamelstute Viktoria ........................................................................86 Guten Appetit in der Wüste ...................................................................88 Rituale der Gastfreundschaft .................................................................90 Ein brisantes Wächteramt: das Königshaus von Saudi-Arabien............94 Pilgerzentrum Mekka.............................................................................95 Die Wahhabiten .....................................................................................97 Von der nichtislamischen Welt abgeschottet .........................................99 Der Thron des Kalifen .........................................................................100

5. Kapitel: Das wiedergefundene Paradies ..............................................102 Der erste Fund im Tal der Patriarchen.................................................103

Das Grab eines Patriarchen? ................................................................110 Die erste Grabkammer .........................................................................111 Die zweite Grabkammer ......................................................................113 Rätselraten um die Sarkophage............................................................115 Die Geheimbibliothek..........................................................................117 Mauern und Felsgänge.........................................................................118 Die Halle der Schrifttafeln...................................................................119 Die oberirdischen Tafeln .....................................................................120 Bigamie der Patriarchen?.....................................................................122 Abrahams Grab....................................................................................124 Das Geheimnis der »zwiefachen Höhle«.............................................124 Liegt das Grab Abrahams in Hebron? .................................................126 Das Märchen aus Büraydah .................................................................128 Die goldene Kugel von Jerusalem .......................................................131 Was das Märchen aus Büraydah über Abraham verrät ........................134 Das Tal der Propheten .........................................................................136 Schilder für Riesen?.............................................................................137 Zweistromland Ägypten?.....................................................................139 War Ägypten ehedem das sagenumwobene Zweistromland?..............142 Waren Mekka, Medina und Äthiopien einst Nachbarn? ......................143 Wann und wie ist das Rote Meer in seiner heutigen Breite entstanden?.............................................................................................................145

6. Kapitel: Die Arbeit mit Zirkel und Lineal ...........................................146 Die heilige Stadt Büraydah ..................................................................151 Die geheimnisvolle Zeichnung ............................................................155 Die vier Ecken der Welt.......................................................................157 Würfel: die Kaaba von Mekka.............................................................158 Zylinder 1: der Turm von Aleppo........................................................161 Zylinder II: der Turm von Babel..........................................................166 Das unbekannte Vierte: Persischer Golf ..............................................172 Das Geheimnis der vier Tore zum Paradies.........................................173 Kugel: die symbolische Mitte des Paradieses ......................................175 War Abraham im Pantheon des Paradieses?........................................176 Rückkehr aus dem Paradies .................................................................186 Endzeit in Eden: Zuflucht in Höhlenstädten ........................................188 Die Doppelhöhle..................................................................................191 Exkurs: Höhlen in Palästina.................................................................195 Der Turm mit den Landkarten .............................................................199

7. Kapitel: Ein uraltes Überwachungssystem ..........................................205 Osmanische Herrschaft: Gefahr für die heiligsten Stätten? .................207 Wahhab der Strenge.............................................................................208

Die Saudis als heutige Hüter der heiligsten Stätten .............................211 Das Schutzsystem funktioniert noch heute ..........................................213

8. Kapitel: Wer vom Tal der Patriarchen wusste .....................................214 Griechen und Römer............................................................................215 Alexander der Große............................................................................219 Die Römer............................................................................................220 Der Prophet Muhammad......................................................................222 Die Tempelritter...................................................................................224 Späher des Vatikans.............................................................................233

9. Kapitel: Eine Übung zu neutralerer Betrachtungsweise ......................237 Eine gewagte Zwischenfrage: irdisch oder außerirdisch?....................239 Vielweiberei der Patriarchen?..............................................................241 So könnte es gewesen sein...................................................................243

10. Kapitel: Ekstasen im Tal der Patriarchen...........................................247 Echnaton ..............................................................................................248 Moses...................................................................................................249 Alexander der Große............................................................................250 Johannes der Täufer und Jesus von Nazareth ......................................251 Muhammad..........................................................................................252 Gibt es heute einen Weg ins Tal der Patriarchen? ...............................253

Anhang ....................................................................................................256 Hinweis zum Karten- und Textmaterial...............................................256 Ein heiliger Landrover .........................................................................257

Schlusswort..............................................................................................259

Einführung: In der Gesellschaft von

Außenseiter-Archäologen

Ich wage es kaum, Ihnen die Umstände zu beschreiben, unter denen ich in Jordanien fast zwei Monate gelebt habe, weil ich unbedingt dem geheimen Wissen um das einstige Paradies auf die Spur kommen wollte. Die mutigen Forscher, die heimlich an den Plätzen des ehemaligen Garten Eden suchten, haben seit 1960 eine Fülle neuer archäologischer Erkenntnisse zusammengetragen. Was für eine Tragödie für die Welt, dass sie sich wie Räuber und Diebe verstecken mussten, um der modernen Inquisition zu entgehen, die sich quer durch alle mit dem Ort Jerusalem verbundenen Religionen erstreckt. Auf diese Gruppe wird sowohl von staatlichen als auch von weltanschaulichen Fanatikern Jagd gemacht.

Fast jeder zivilisierte Mensch, der diese Abenteurer sehen könnte, würde sich sofort umdrehen und versuchen, den Ort zu vergessen, an dem er sie getroffen hat. Wer gibt sich schon im Orient mit verschmutzten, verschwitzten Gestalten ab, auch wenn sie gerade so noch als Europäer erkennbar sind? Die Erfahrung lehrt (und ich war fast dreißig Jahre im Orient für einen Ölkonzern tätig), dass man solche Männer gerade wegen ihres europäischen Aussehens meiden muss. Nach landläufiger Meinung sind dies die gefährlichsten Typen überhaupt. Sie sehen aus wie Mitglieder einer mittelalterlichen Bettler- und Diebesbande aus Hollywoodfilmen der fünfziger Jahre. Verschwitzt, Dreitagebart, Hände, die Wasser und Seife seit Tagen nicht gesehen haben. Ein speckiges Käppi auf dem Kopf, am Leib ein fleckiger Kaftan. Wer würde hinter solchem, selbst für orientalische Verhältnisse verkommenen Outfit Akademiker aus dem Abendland vermuten?

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Hier also saßen sie vor mir, auf der Terrasse eines kleinen Hotels in Akaba - Männer, deren Hunger nach Zivilisation unübersehbar war. Wieder einmal hatten sie einen ihrer illegalen »Ausflüge« nach dem Irak oder nach Saudi-Arabien mit knapper Not überlebt. Wie sehr lechzten sie danach, sich endlich wieder in kurzen Hosen auf einer Sonnenliege zu räkeln und nicht auf die Gefühle von Muslimen Rücksicht nehmen zu müssen. Ebenso gierten sie nach eisgekühlten Bier- oder Coladosen, obwohl sie sich in den letzten Tagen schon ausreichend daran gelabt hatten. Sie hatten sich wochenlang in Regionen aufgehalten, in denen Kühlschränke so unbekannt waren wie Telefon- oder Faxgeräte. Es waren die kleinen Annehmlichkeiten der Zivilisation, die sie glücklich machten und ihnen bewiesen, dass sie wieder im »normalen Leben« waren. Dazu gehörte zum Beispiel auch, eine Zeitung zu lesen - und wäre sie auch sechs Monate alt.

Bei dem Anblick, den sie boten, hätte man versucht sein können, ihre Berichte von dem »verwüsteten Paradies der Menschheit« als Produkt kranker Gehirne abzutun. Gehirne, die nach der Extrembelastung in der Sonnenglut und der trockenen Hitze der Wüste hier in Akaba nur noch Wahnbilder produzierten. Doch die Stimmung, die sie verbreiteten, war eine andere: sehr selbstbewusst und sehr mit sich zufrieden.

Diese konspirative Gruppe von Archäologen, von denen ich inzwischen wusste, dass ihre heimliche Arbeit einen Religionskrieg auslösen könnte, verfolgte mich seither bis in den Traum. Nicht ihrer vermeintlichen Gefährlichkeit wegen, sondern wegen ihrer Abenteuer und Entdeckungen. All das erinnerte mich an meine Jugend. Als Kind hatte ich geglaubt, dass es solche Urtypen, die auf unserer Erde »Neuland« entdecken, seit hundert Jahren nicht mehr geben könne, weil alles schon »entdeckt« worden sei. Ich beneidete damals Menschen jener Zeiten, in denen noch spektakuläre Entdeckungen auf dieser Erde möglich waren. Mein

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Jugendtraum, einmal bei einer solchen Unternehmung dabei zu sein, hatte meine Phantasie beflügelt und meine Lesewut geschürt. Ich verschlang damals Buch um Buch - ohne zu ahnen, dass ich eines Tages leibhaftig solchen Abenteurern gegenüberstehen und aus ihrem Mund Geschichten hören würde, die jedem Außenstehenden wie orientalische Märchen vorkommen mussten.

Aber es waren alles andere als Märchen. Die Archäologen besaßen Fotos und Karten, Skizzen und Zeichnungen, Skulpturen und andere Fundstücke. Die zahllosen Einzelheiten, die da zusammengetragen wurden, fügten sich zum Puzzle des so genannten Paradieses. Jawohl, ich meine genau den Ort oder Landstrich, in dem Adam und Eva sich zum ersten Mal begegnet waren. Das Paradies also, wie es in den jüdischen Überlieferungen beschrieben wird und so von der Christenheit übernommen wurde.

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Das Auge des Horus

Jahrzehntelang hatte ich mir niemals Gedanken darüber gemacht, ob es solch einen Platz wirklich gegeben haben könnte. Mal konnte man lesen, dass die Menschheit aus Zentralafrika, dann wieder, dass sie aus Zentralasien stammen sollte. Meist war dies mit Knochenfunden oder Schädelteilen belegt worden und den Hinweisen, dass hier oder da der erste Homo erectus aufgetreten sei.

Mitte der neunziger Jahre ging ich in Kairo und anschließend in Syrien und Jordanien einer alten Legende nach, wonach das ägyptische Fabeltier, der Horusfalke, auf einem Auge erblindet sei und man noch vor Jahrtausenden vom linken und vom rechten Auge des Horus gesprochen habe. In alten Legenden heißt es, dass unter dem Blick seiner beiden Augen einst zwei Reiche erblühten. Das eine Reich war Ägypten, das zweite war untergegangen, nachdem das zweite Auge des Horus erblindet war.

Damals in Kairo stieß ich auf einige britische Archäologen, die mir geheimnisvolle Dinge von Tell el-Amarna erzählten, der einstigen Hauptstadt des Pharao Echnaton. Sie hatten bei ihren Ausgrabungen mehrfach Hinweise auf ein Ziel gefunden, das um fünfhundert Kilometer östlich liegen musste, also im heutigen Saudi-Arabien, wo es für sie unerreichbar war. Damals in Kairo wurde mir klar, dass das »erblindete Auge des Horus« entweder irgendwo tief in der Libyschen Wüste - also genau entgegengesetzt - oder auf der Arabischen Halbinsel zu suchen sei.

Genau zu dieser Zeit wurde in London ein Buch veröffentlicht, dessen Autor sachkundig nachwies, dass Amenophis IV., genannt Echnaton, mit dem jüdischen Volksführer Moses identisch sei. Kein Aufschrei ging durch die Lande. Das Buch verschwand rasch wieder aus allen Regalen.

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Diesmal war es anscheinend die arabische Seite, die an neuen Gedanken und Erkenntnissen nicht interessiert war.

Einen Zielpunkt in der libyschen Wüste, etwa fünfhundert Kilometer von Tell el-Amarna gelegen, fand ich bei meinen Recherchen nicht. Sicherlich wird diese heutige Wüste in der altägyptischen Hoch-Zeit ein blühender Garten gewesen sein, in dem viele Menschen gelebt haben dürften. Jedoch wissen wir über die Vergangenheit des Landes westlich des Nils so gut wie nichts. Das verwirrt denjenigen, der Ägypten als den Nabel der damaligen Welt sieht und daher erwartet, rechts und links davon die kulturellen Vorgärten vorzufinden.

Ganz anders verhält es sich jedoch, wenn man den Blick gen Osten richtet, auf die Arabische Halbinsel jenseits des Roten Meeres. Dort findet man im südwestlichsten Teil den Jemen und im mittleren Teil der Halbinsel Mekka - eine Stadt mit beträchtlicher Vergangenheit. Und weiter östlich finden wir Plätze, von denen gesagt wird, dass sie als Wiege der Zivilisation gesehen werden können: Im äußersten Osten liegt Babylon, wo einst die Assyrer und davor die Sumerer lebten. Nördlich davon finden wir den geschichtsträchtigen Küstenlandstrich am Mittelmeer mit den Städten Jerusalem und Damaskus.

Bemerkenswerterweise tauchen schon seit den sechziger Jahren immer wieder Schriften von Autoren auf, die den Garten Eden oder das Paradies im Südwesten Arabiens - im heutigen Asir - suchten. Doch die Leserschaft zeigte nur ein begrenztes Interesse, weil dieses Thema im Abendland in das Reich der Sagen und Märchen gedrängt worden ist. Mich dagegen bewegte die Frage sehr, ob es den Garten Eden etwa wirklich gegeben hat, zumal ich mich lange Zeit im Nahen Osten aufgehalten habe. Lag das Paradies etwa doch im Zentrum Arabiens? Diese Frage ging mir jahrelang nicht aus dem Kopf. Hätte ich beispielsweise in Rotterdam gelebt, wäre ich vielleicht nie auf die Idee gekommen, dieser Frage ernsthaft nachzugehen. So

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aber musste ich die Gelegenheiten nur am Schopf packen, sobald ich aus beruflichen Gründen vor Ort war.

Wenn das überlieferte Paradies mehr als nur ein tröstliches Märchen ist, so sagte ich mir, müssen Spuren und Überreste bis auf den heutigen Tag zu finden sein. Aber wo befand sich der Platz, wo müsste man ihn suchen, wenn er tatsächlich auf der Arabischen Halbinsel lag? Und wo lagen die Grenzen, oder wie sahen die Grenzmarkierungen des Paradieses aus?

Tatsächlich kristallisierte sich für mich mehr und mehr heraus, dass das semitische Paradies - also der Garten Eden, den die Nachkommen des Sem, Sohn des Noah, beschreiben - in Zentral-Arabien gelegen haben muss. Die Semiten sahen sich als Nachkommen des Urvaters und der Urmutter, die wir unter den Namen Adam und Eva kennen. Lässt man den frommen Glauben oder den Stolz auf den Stammbaum, der in dieser Überlieferung mitschwingt, einmal beiseite, dann ergeben sich Anhaltspunkte auf dieses Paradies allein schon dadurch, dass man eine Landkarte mit der Ausbreitung der Nachkommenschaft heranzieht. Die Nachkommen des Sem waren zunächst Nomaden, die innerhalb eines größeren Gebietes umherzogen. Dann drängten diese zu Stämmen angewachsenen Populationen nach allen Seiten, an die Ränder ihres Stammesgebietes, um sich zusätzliche Lebensmöglichkeiten zu erschließen. Auf der Arabischen Halbinsel stießen sie jedoch, wenn sie nach Westen, Süden oder Norden zogen, auf Wasser. Auch in Richtung Osten gab es für sie, bis hinauf zum späteren Bagdad, eine Begrenzung durch den Persischen Golf.

So liegt es nahe, dass sie an den Küsten sesshaft wurden, um dort ein bequemeres Leben führen zu können. Im Westen zogen sie an das Rote Meer, im Süden an das Arabische Meer, im Osten an den Golf. Hierbei sollte man im Auge behalten, dass die beiden Flüsse Euphrat und Tigris, die in alter Zeit eine sehr große Rolle gespielt haben, zumindest von Babylon abwärts neues Schwemmland schufen und somit die Küstenlinie dort

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verkürzten. Sehr bald stellte sich mir aber auch die Frage: Um was für ein

Paradies mochte es sich hier gehandelt haben? Ging es nur um das Paradies der Stammväter oder - mit Einschränkungen - auch um das Paradies der Nachkommen eines Sohnes von Noah, eben jenes Sem?

Ich versuchte also herausfinden, ob in den Überlieferungen Hinweise auf eine Region zu finden waren, die man mit dem historischen Paradies vergleichen könnte, oder ob es sogar Quellen gab, die direkt das Paradies beschrieben. Ich konzentrierte meine Recherchen auf Jordanien, ein Land, in dem es sich für einen westlich erzogenen Menschen zur damaligen Zeit recht angenehm leben ließ. Eine solche Arbeit fängt in der Regel mit der Suche nach Anklängen in Ortsnamen und Regionen an. Auf Ruinen zu stoßen, wagte ich im Zusammenhang mit dem prähistorischen Paradies nicht zu hoffen.

Ob Zufall oder Glücksfall, nach einiger Zeit traf ich auf jene Gruppe von Menschen in Jordanien, die klammheimlich nach den Überresten des Paradieses suchten. Anfangs war ich sehr misstrauisch. Gerade im Orient muss man bei neuen Kontakten anfangs sehr zurückhaltend sein. Je länger ich mich jedoch mit den Ergebnissen dieser Gruppe befasste, desto deutlicher wurde mir, dass ähnliche Teams schon vor hundert, ja vor zweihundert Jahren in genau derselben Region den Mittelpunkt des Paradieses gesucht hatten.

Mit meiner Entscheidung, ob ich dieser Gruppe trauen könnte, ließ ich mir fast ein halbes Jahr Zeit. Dann aber entschloss ich mich, auf den fahrenden Zug aufzuspringen. Fünfunddreißig Jahre nach meinen Jugendträumen von exotischen Abenteuern saß ich 1996 in Akaba, in jenem kleinen Hotel, wohin ich von einem der Abenteurer bestellt worden war.

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Auf geheimen Wegen in Richtung Paradies

Was hinter mir lag, war keine Anreise, wie man sie sich üblicherweise vorstellt. Zum Beispiel ein bequemer Flug von London nach Amman, dann weiter nach Akaba. Im Hotel einchecken und fertig. Eine Angelegenheit also, die man in wenigen Stunden bewältigt. Nein, so war es nicht, denn für die Behörden hier in Akaba existierte ich gar nicht. Für die Strecke von London bis Amman hatte ich auf dem Wasser- und Landweg rund vier Wochen gebraucht.

Die Gruppe, in deren »Basislager«, wie sie ihr Hotel nannten, ich eingetroffen war, bestand aus »vogelfreien« Archäologen. Solche Gruppen trifft man nicht nur in Akaba, sondern auch an einigen Plätzen in Syrien, im Libanon und in Israel. Kein Fernsehreporter, keine Film-Crew kommt in ihre Nähe. Das hat gute Gründe, die mit ihrer eigenen Sicherheit und der Sicherheit ihrer Helfer vor Ort, in den Wüsten Arabiens, zu tun haben.

Das Hotel war also nur einer von etlichen Stützpunkten im Orient, die von Außenseiter-Archäologen bevorzugt wurden. Jordanien ist die heimliche Drehscheibe für Archäologen, die unter anderem nach Altertümern aus dem ehemaligen Paradies suchen. Dies zu erkennen war für mich einer der wichtigsten Schritte auf dem Weg nach Eden. Die Grenze zwischen Jordanien und Saudi-Arabien ist lang und nicht Tag und Nacht konsequent zu kontrollieren. Daher führen von hier aus zahllose geheime Wege in die Wüsten Saudi-Arabiens.

Logischerweise wählen die Archäologen ihren Basisstützpunkt jeweils so aus, dass sie auf kürzestem Weg mit dem Kamel ihr Ziel erreichen. Der so genannte kürzeste Weg wird hier allerdings in »Tagesreisen« gemessen. Ein trainiertes Wüstenkamel, nicht zu verwechseln mit den Rennkamelen der Emire und Scheichs, kann etwa 50 Kilometer pro Tag

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zurücklegen. Die maximale Reichweite eines Kamels beträgt etwa sieben bis acht Tage. Dann muss genügend Wasser und Futter für eine Rast von ein bis zwei Tagen bereitstehen. Auf diese Weise errechnen sich Anreise, Aufenthalt vor Ort und Rückreise auf maximal sechzehn bis achtzehn Tage, was hierzulande als kurze Reise gilt.

Noch etwas höchst Interessantes erfuhr ich vor Ort. Es gibt eine Rückholverabredung der Eden-Archäologen untereinander.

Nehmen wir an, einige dieser Archäologen planen einen zehntägigen Aufenthalt am Ort ihres Interesses, dann entspricht das einer Gesamtdauer der Exkursion von etwa dreißig Tagen (acht Tage für die Anreise, zehn Tage Aufenthalt, acht Tage Rückreise plus zwei Tage für unkalkulierbare Verzögerungen). Natürlich werden in einem solchen Fall aufwendige Vorbereitungen getroffen und die Reiserouten entlang der geheimen Wasserstellen sorgsam geplant. Was aber, wenn eine solche Exkursion gleichwohl überfällig wird? Dann tritt ein Alarm- bzw. Rückholplan in Kraft. Die Insider nennen ihn die »Zweiundsiebzig-Stunden-Aktion«. Aus gutem Grund möchte ich hier keine Einzelheiten ausplaudern.

Ist aber alles gut gegangen, dann kehren diese Männer aus dem paradiesischen Niemandsland zurück. Meist sind sie dann erst einmal völlig ab- und ausgebrannt. Sie lechzen nach ein paar Tagen Zivilisation. Einige Beauftragte von Sammlern und Händlern aus aller Welt warten schon auf die »Mitbringsel«, so dass sie sich ihre Unternehmungen weitgehend selbst finanzieren können. Sie sind also, wie ich es selbst beobachten konnte, schon nach wenigen Tagen wieder liquide.

Diese Beobachtung bestätigte mir einer dieser Insider: »Wenn wir etwas nicht benötigen, dann ist es Geld. Wir brauchen nur für zehn Jahre die Freiheit der Wüste, dann würde ein neues Kapitel in der Geschichte der Menschheit geschrieben sein.«

Ein anderer machte eine Bemerkung, die mich ebenfalls

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nachdenken ließ: »Hollywood verfilmt alles, was sich im spekulativen Genre verkaufen lässt - von Außerirdischen und Raumschiffen bis hin zur Bundeslade. An ein Thema aber gehen die dort nicht ran: das Abenteuer, das Paradies zu finden. Warum wohl nicht? Denk mal darüber nach.«

Nach einigem Überlegen kam ich zu dem Schluss, dass man in Hollywood wohl die Verantwortung verspürt, diesen »schlafenden Hund« besser nicht zu wecken. Wenn ein Millionenpublikum auf dieses Thema aufmerksam gemacht würde, dann finge das große Rennen auf das Paradies an, einen heiligen (jüdischen, christlichen, muslimischen) Ort in einem streng muslimischen Land. Dadurch aber kämen die Saudis in Schwierigkeiten - und niemand weiß, wie das enden würde.

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Hotelboys als Späher

Das Hotel in Akaba, in dem diese Abenteurer für ein paar Tage neue Kraft schöpfen, ist nicht etwa eine jener Komfortherbergen, deren Name jeder kennt. Im Hilton oder Sheraton abzusteigen kommt für diese Art von Archäologen aus Sicherheitsgründen nicht in Frage. Ihr Inkognito und damit ihre Bewegungsfreiheit wären gefährdet, denn in den großen Hotels ist praktisch jeder Angestellte ein Späher, beauftragt, für den Staat zu spionieren, für die Religionspolizei, die Geheimdienste oder sonst eine der Interessengruppen, die Jordanien fest im Griff haben.

In den großen Hotels wird buchstäblich jeder observiert. Wer trifft sich mit wem? Wer telefoniert mit wem oder tauscht Faxe aus? Wohin geht von hier aus die weitere Reise? Wer sich frei bewegen will, meidet also tunlichst einen solchen Ort. Wer sich außerhalb der Gesellschaft gestellt hat, weiß nur zu genau, dass er in den Luxushotels besonders misstrauisch beobachtet wird.

Jeder nur mögliche Trick, sich einer Beobachtung zu entziehen, ist von den Abenteurern und Vogelfreien schon erprobt worden. Da solche Tricks meist nur einmal funktionieren, ist das Repertoire selbst für phantasievolle Tarnungen längst erschöpft. Ein Blick hinter die Kulissen zeigt, dass es besonders die Einzelreisenden sind, deren Zimmer und Gepäck unauffällig durchsucht wird. Man hat ein besonderes Augenmerk auch auf einzelne Personen, die eine Touristengruppe als Tarnung benutzen könnten. Vor allem Reisegruppen, die mit eigenem Reiseführer anreisen, erwecken großes Misstrauen. Auch Menschen mit stark wettergegerbter Haut ziehen diskretes Interesse auf sich. Ebenso weckt ein Outfit, das für eine angebliche Treckingtour in die Wüste zu professionell wirkt, in solchen Hotels sofort Verdacht.

Der mit Pass, Visum und Stempeln eingereiste Gast merkt

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kaum etwas von diesem engmaschigen Netz, das im Orient über ihn geworfen wurde. Ich erinnere mich, wie es mir erging, als ich in Akaba nach einer ersten Spur des verwüsteten Paradieses suchte. Durch Kontakte hatte ich mich mit einem Archäologen verabredet, der seit dreißig Jahren im Nahen Osten lebte und dort ein kleines Geschäft betrieb. Um zu überprüfen, wie engmaschig ich bereits überwacht wurde, stellte mein Gesprächspartner die Bedingung, dass ich bei meiner nächsten Einreise, vom Flughafen kommend, mit einem Taxi ins Hotel fahren sollte, um dort wie ein gewöhnlicher Tourist einzuchecken.

Beim nächsten Mal tat ich also wie geheißen, meldete mich umständlich an, nahm den Zimmerschlüssel in Empfang, wechselte im hoteleigenen Wechselbüro demonstrativ Geld, kaufte Postkarten und so weiter. Später traf ich mich mit dem Archäologen in einem der vielen Straßencafés im Zentrum. Ich hatte nichts bemerkt, was mein Misstrauen hätte erregen können. Doch als Nächstes verlangte mein neuer Bekannter von mir, dass ich am folgenden Tag das Hotel wechseln sollte, und zwar ohne ein Taxi zu benutzen.

Mir schienen seine Vorsichtsmaßnahmen damals ziemlich übertrieben - wie aus einem James-Bond-Film, wandte ich ein. Meine südafrikanische Naivität nervte ihn sichtlich. Also empfahl er mir, noch eine Nacht in jenem Hotel zu bleiben. Meine persönlichen Reiseutensilien, insbesondere meine schriftlichen Unterlagen, sollte ich nach einer bestimmten Methode unauffällig ordnen. Und siehe da: Schon am zweiten Tag hatte ich den Beweis. Man hatte meine Unterlagen durchsucht. Das Netz war über mich geworfen worden.

Danach behauptete ich nie mehr, dass er an Verfolgungswahn leide. Ernüchtert befolgte ich seine weiteren Ratschläge. Wer offiziell eingereist war, musste auch nach den offiziellen Regeln wieder ausreisen, durfte also die erlaubte Aufenthaltsdauer nicht überschreiten und musste seinen Aufenthaltsort nachweisen.

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Daher verließ ich einige Tage später Amman und kehrte über Zürich nach Südafrika zurück. Nicht lange danach machte ich mich auf die beschwerliche neuerliche Reise, die mich erst nach vierzig Tagen nach Jordanien brachte, wo ich mich frei bewegen konnte.

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Reise in die Anonymität

Die entscheidende Schnittstelle lag im Niemandsland zwischen der Türkei und Syrien. Zunächst aber flog ich von Südafrika zurück nach London. Dort kaufte ich in einem Vorort ein gebrauchtes Allradfahrzeug und besorgte mir, was in Großbritannien kaum Probleme macht, ein zweites Paar Autokennzeichen für die Ausfuhr. Nun ging es los, und ich fuhr auf dem Landweg von London quer durch Europa, also über Frankreich, Deutschland, Österreich, Ungarn, Rumänien und Bulgarien bis in die Türkei, wo ich endlich urlaubsreif ankam. Irgendwo auf dem Weg von Europa in den Orient wurden mir dann die Autopapiere »gestohlen«, und ich konnte mir, den Anweisungen meines Informanten folgend, auf die mitgeführten zweiten Autokennzeichen lautende Ersatzpapiere ausstellen lassen.

Wohlgemerkt, es ging nicht darum, in Europa oder in der Türkei mit falschem Kennzeichen zu fahren, das wäre auch wegen der Versicherungen nicht klug gewesen. Anders im Orient. Dort zählt eine Versicherung praktisch nichts. Bei einem Unfall hat grundsätzlich der ältere Wagenlenker Recht! Ist es gar ein deutlich älterer Fahrer, muss man sich sogar bei ihm entschuldigen, dass man ihm im Weg gestanden hat.

So gelangte ich schließlich, von Istanbul aus an der Küste entlangfahrend, bis zur Grenze nach Syrien. Die Grenzlinie dort ist zwischen den beiden Ländern politisch sehr umstritten. Die Grenzposten auf beiden Seiten haben offiziell kaum Kontakt zueinander. Daher ist hier die Tür zu einem anonymen Aufenthalt im Orient besonders weit geöffnet.

In diesem Niemandsland zwischen Türkei und Syrien tauschte ich meinen südafrikanischen Pass gegen britische Papiere aus. Mit der Einreise nach Syrien begann das Bakschischsystem zu funktionieren, und so verwischte sich nach und nach, je näher

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ich Damaskus kam, meine Spur in den Dateien der Behörden. Mein Allradfahrzeug, Marke Nissan und anonym eingeführt,

war im Orient von hohem Wert. Die Grenze zwischen Syrien und Jordanien zu überschreiten ist kein Problem, wenn man den richtigen Lotsen an Bord hat. Eine Fahrt über eine Wüstenpiste, und man ist in Jordanien. Dort wurde ich in Amman bereits erwartet, und dort war es auch, wo mein Bekannter den Nissan zu einem sehr guten Preis verkaufte. Auf diese Weise hatte ich die Geldmittel, die ich für meinen Aufenthalt in Jordanien benötigte, eingeführt, ohne sie registrieren zu lassen und eine Spur in einem Wechselbüro zu hinterlassen. Ich blieb anonym.

Die letzte Etappe war einfach. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln, mit Bussen und der Bahn kam ich schließlich nach Akaba und erreichte mit ein paar Tricks unbemerkt das Hotel, das man mir angegeben hatte.

Aus Gründen der Fairness gegenüber meinen damaligen Ratgebern und Helfern in Syrien und Jordanien verzichte ich auf eine weiter gehende Beschreibung dieses Wechsels in eine zeitweilige Anonymität im Nahen Osten. Ich konnte mir das ohnehin nur leisten, weil ich Arabisch sprach und nicht mehr berufstätig war. Und all dies geschah nicht aus Abenteuerlust, das will ich hier ausdrücklich betonen, sondern einzig im Interesse der Informationen, die ich aus erster Hand bekommen wollte. Tatsächlich hatten mich die seinerzeitigen Erfahrungen so sehr schockiert, dass ich dieses Buch ursprünglich in Form eines Abenteuerromans schreiben wollte. Anders hätte ich meinen Informanten nicht schützen können, denn es liegt auf der Hand, dass man über diese Publikation mancherorts ganz und gar nicht erfreut sein wird. Durch den überraschenden Tod des Hauptakteurs der Paradiessuchenden, den ich in diesem Buch Ali nenne, bin ich nun aber imstande, wesentlich mehr von seinen Entdeckungen preiszugeben, als ich ursprünglich vorhatte. Trotzdem muss dies aus verschiedenen Gründen, die jeder akzeptieren sollte, sehr behutsam geschehen.

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Inzwischen bin ich längst wieder in Südafrika. Für mich persönlich sehe ich keine Probleme, die mir aus der Veröffentlichung entstehen können. Meine Freunde und Informanten aus der Zeit von Akaba jedoch, in der ich mit Ali zusammen war, leben zum Teil noch vor Ort. Sie wären angreifbar, wenn man sie anhand meiner Schilderung identifizieren könnte. Ihr Leben wäre dann nur noch wenig wert. Aus diesem Grund habe ich alle Gespräche und Treffen für dieses Buch nach Akaba verlegt, auch wenn sie in Wirklichkeit Hunderte von Kilometern entfernt stattfanden. Ferner habe ich einige jordanische Ortsnamen verändert.

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Arabische Hüter uralten Wissens

Noch ein Wort zu der Frage, warum ich mich entschlossen habe, in diesem Buch viele Einzelheiten, die Saudi-Arabien betreffen, zu publizieren. Das hat nichts mit den Monarchen zu tun, die dieses Land heute regieren. Vielmehr gibt es dort Interessengruppen, die vor Jahrhunderten, also lange bevor die Säud's und die orthodoxen Wahhabiten das Territorium kontrollierten, schon um ein Geheimnis der Arabischen Halbinsel wussten. Sie sind in Arabien unsichtbar, aber allgegenwärtig, außerhalb jedoch vollkommen unbekannt. Meine Absicht ist es, an dieses uralte Wissen anzuknüpfen.

In den Kreisen dieser Geheimnisträger scheint es mehrere Fraktionen zu geben. Von einer ist bekannt, dass ihre Mitglieder alles beseitigt und zerstört haben, was ihrer Meinung und Lehre nicht entsprach. Häufig begnügte man sich auch damit, Hinweise auf noch vorhandene Originale zu verdecken oder zu vertuschen. So oder so werden nachkommende Generationen von Forschern und Archäologen auf diese Weise gezwungen, bei der Erforschung der Vergangenheit mit »Annahmen« zu operieren. Unbewiesene Annahmen oder Hypothesen stehen aber auf schwachen Beinen. Das hat in der Praxis schon oft Hypothesen diskreditiert, die eigentlich die richtige Richtung gewiesen hätten. Nach den Regeln der Wissenschaft gelten die Schlussfolgerungen aus solchen Annahmen erst recht als reine Phantastereien. Und welcher Forscher mit Ehrgeiz und Reputation wäre bereit, an einer solchen Hypothese weiterzuarbeiten? Es könnte das Ende seiner Laufbahn bedeuten.

Gerade das Thema des einstigen Paradieses war noch vor wenigen Jahrzehnten hochbrisant. Ich kenne Namen von Professoren, die noch um die Wende zum 20. Jahrhundert massiv unter Druck gesetzt wurden, damit sie ihre

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»Hypothesen« zurückzogen, wonach sich auf der Arabischen Halbinsel das Zentrum des Garten Eden befunden haben könnte.

Und wie sieht es heute aus, fragte ich mich, ein Jahrhundert später? Da gibt es einmal die erwähnten Interessengruppen, die Beweise und Belege zu vernichten versuchen. Daneben gibt es eine zweite Gruppe, zu deren Werkzeug ich mich zähle. Sie versucht, so gut es eben geht, die noch vorhandenen, jedoch gefährdeten Belege und Beweise durch Fotos oder andere Arten der Dokumentation zu sichern. Das erklärte Ziel dieser Gruppe ist es, den nachkommenden Archäologen die Formulierung einer Hypothese zu erleichtern. Mehr kann man zurzeit nicht tun. Es ist ein Spiel, das seit Generationen gespielt wird und sich anscheinend noch einige Zeit hinziehen wird.

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Warten auf Ali

Nun saß ich also hier in Akaba, anonym in dem kleinen Hotel. Ich wartete das erste Mal auf Ali. Es würde nicht das letzte Mal sein. Ali hatte mir den Weg gewiesen und diesen Ort bestimmt, an dem er mir ungestört Informationen übergeben konnte.

Was er wollte, hatte er klar formuliert. Er hatte seine Arbeit gemacht und suchte nun nach einem »Schaufenster«, in dem er das Ergebnis seiner Arbeit ausstellen konnte. Sein Hintergedanke war es, den nachkommenden Generationen von Paradies-Archäologen, die es zweifellos geben würde, Anhaltspunkte zu liefern, wie sie ihre Hypothesen leichter beweisen könnten. Eine grobe Richtung zu kennen kann Jahre erfolgloser Suche ersparen. Forscht man in unwegsamen Gebieten, die nur unter Lebensgefahr bereist werden können, ist dies von eminenter Bedeutung.

Ali war zwar ein Einzelkämpfer, aber er hatte sich in den letzten dreißig Jahren zum Kenner der innerarabischen Welt entwickelt und einen großen Freundeskreis aufgebaut. In vielen Beduinenstämmen galt er als vertrauenswürdiger Freund. Hatte er einmal die Staatsgrenze zu Saudi-Arabien überschritten, erwarteten ihn überall gute Freunde. So wusste er stets - oder konnte zumindest begründete Vermutungen darüber anstellen -, was in der innerarabischen Politik demnächst passieren könnte. Hauptsächlich interessierte er sich für die Politik der Sittenwächter und der Religionspolizei, die sich direkt auf die archäologische Exploration des Landes auswirkt. Ali traute auch den Muslimen - ebenso wie allen anderen weltanschaulich motivierten Forschern, gleich welcher Glaubensrichtung - zu, Hinweise zu verschleiern oder deren Identifizierung zu erschweren.

Während ich wartete und wartete, wurde meine Geduld auf eine harte Probe gestellt. Wären nicht die tröstenden und

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beruhigenden Worte der erfahrenen Mitbewohner des Hotels gewesen, die zufällig anwesend waren, ich hätte keine drei Wochen unter diesen Umständen dort aushalten können. Diese drei Wochen wurden für mich mehr als nur eine Geduldsprobe, sie wurden zur Tortur.

Schon nach einer Woche ging mir die deprimierende Umgebung auf die Nerven. Das machte mich körperlich krank. Mit einer Spraydose ständig hinter dem Ungeziefer her zu sein ist eine entnervende Situation. Und dann diese Fladenbrote - in den ersten Tagen fand ich sie noch recht schmackhaft, aber nach der zweiten Woche konnte ich sie nicht mehr sehen.

Orientalisches Milieu war mir seit Jahren vertraut, aber hier war es mir allzu orientalisch. Drei Wochen können eine lange Zeit sein, wenn man nicht weiß, ob der Gesprächspartner überhaupt noch kommt. Wenn ich die Anreise über Europa mitrechnete, hatte ich sogar fast acht Wochen an Zeit investiert - von Geld und Energien ganz zu schweigen. Fast stündlich fragte ich mich:

Wann sollte ich die Warterei abbrechen und wieder abreisen? Die Situation insgesamt wurde für mich von Tag zu Tag stressiger.

Natürlich, sagte ich mir auf der anderen Seite immer wieder, konnte Ali aus tausend Gründen verhindert sein. Saß er womöglich in Saudi-Arabien im Gefängnis? Saß er aus anderen Gründen an irgendeiner entlegenen Stelle fest? Oder war er gar ums Leben gekommen? Auf jeden Fall gab es viele unwägbare Umstände, die eine Wüstenexkursion ins Ungeahnte verlängern konnten.

Also weiter warten, beschwor ich mich. Wenn ich nicht

gerade in ein lockeres Gespräch eingebunden war, beobachtete ich die Gäste dieses Hotels oder hing meinen Träumen nach. Wie Freibeuter auf Urlaub wirkten diese Gestalten auf mich -

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nur dass die Zeit der Freibeuterei eigentlich längst vorbei war. Schließlich schrieben wir das Jahr 1996.

In der vierten Woche wartete ich immer noch auf Ali. Mir schien es, als ob die anwesenden Archäologen auf einmal bestimmte Themen mieden, etwa die unerträglichen Tage in der Wüste oder die Tage, an denen ihr Körper, von Durst geplagt, oft dem Nierenversagen und damit dem Tod nahe gewesen war. Ich argwöhnte, dass in ihnen langsam der Verdacht aufstieg, dass Ali in Schwierigkeiten geraten war.

Um mich aufzumuntern, redeten sie stattdessen über Entdeckungen und Erfahrungen, die sie in letzter Zeit gemacht hatten. Beispielsweise erwähnten sie, dass betende Gestalten - Skulpturen oder auf Wandzeichnungen -, die im Zusammenhang mit dem Paradies stehen, immer mit angewinkelten Armen dargestellt würden.

Diese Haltung findet man auch in Mesopotamien, bei den Phöniziern, in Karthago oder bei den Kopten. Im Randbereich des Paradieses werden betende Menschen fast durchweg auf diese Weise dargestellt. War das also die Grundhaltung der Demutsbezeugung und Gottesverehrung im Paradies (siehe Abb. 1)?

Muhammad, der Begründer des Islam, ist zumindest mit den Kopten in Berührung gekommen. Seine Anhänger beten mit dieser Armhaltung beziehungsweise beugen sich vor und berühren mit ihrer Stirn den Boden. Inwieweit, fragten sich die Archäologen, war Muhammad in die Geheimnisse um das einstige Paradies eingeweiht? In den Gesprächen ging es auch um die Frage, ob Muhammad die Überreste des Zentrums von Eden durch persönlichen Augenschein gekannt hatte. Am brennendsten war man jedoch daran interessiert, zu klären, ob Teile des Systems, das wir als Paradies bezeichnen, noch voll funktionsfähig waren.

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Abbildung 1: Die koptische Darstellung einer »Betenden« zeigt eine

auffallende Übereinstimmung mit einem der Siegel im Grab des Abraham (li.) und auf einer Münze aus Karthago ca. 800 v. Chr. (re.). Diese Figur lässt sich aus Dreieck oder Pyramide, Kreis oder Kugel und einem halben Viereck mit jeweils 90 Grad Winkel auf die Spitze des Dreiecks gesetzt konstruieren.

Als eine Woche später ein Experte für Babylon und

Grabungen im Irak eintraf, verlagerte sich das Gespräch auf Türme und Gärten. Ich notierte in meinem Tagebuch, dass ich dem Zusammenhang zwischen dem Garten Eden und den Hängenden Gärten im Euphrat- und Tigrisgebiet nachgehen sollte. Über drei Abende zog sich die Diskussion hin, ob diese

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Hängenden Gärten der Semiramis ein versuchter Nachbau des Garten Eden gewesen sein können. Die Mehrheit der Runde bejahte dies, es war für sie nahe liegend. Warum sollte es nicht Vorfahren gegeben haben, die noch über genügend Sachkenntnis verfügten, um aus den Resten des Garten Eden eine Kopie zu erbauen?

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Von »guten« und »bösen« Archäologen

In der Archäologie gibt es keine heile Welt. Vielmehr herrscht dort ein gnadenloser Kampf um attraktive Grabungsbezirke, der mit Geldmitteln und politischer Einflussnahme ausgetragen wird. Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts hat sich kaum etwas geändert. Damals fand eine der größten wissenschaftlichen Expeditionen aller Zeiten statt, die französische Expedition nach Ägypten, die vom Parlament der jungen Republik in Paris beschlossen und unter Leitung Napoleons durchgeführt wurde. Bis heute herrscht immer dann, wenn es darum geht, als Erster an bedeutungsvollen Plätzen Ausgrabungen vorzunehmen, Krieg unter den Archäologen. Damals konzentrierte sich der Wettkampf auf Briten und Franzosen. Heute haben die Amerikaner die Nase vorn, befehdet von einer Vielzahl von Interessengruppen weltweit. Denn die USA können mit eigens dafür konstruierten Satelliten mögliche Fundstätten lokalisieren und ihre Leute dorthin schicken.

Mir fiel ein, was Ali mir einmal über die »guten« und die »bösen« Archäologen erzählt hatte. »Angenommen, du wärst Ägyptologe«, sagte er damals. »Wenn du als Ägyptologe oder Archäologe in ein Wespennest stechen willst, dann fahre nach Kairo und organisiere einen Kongress, in dem es um die Frage geht, ob Pharao Echnaton der Moses der jüdischen Schriften war. Die Konsequenz wäre, dass Nofretete die Frau von Moses war. Die Beweise für die Richtigkeit dieser These liegen übrigens sicher in den Kellern des Kairoer Museums sowie zum Teil auch in den Magazinen des Britischen Museums. Aber an diese Beweise kommt niemand heran. Als Ägyptologe wärst du daher für den Rest deines Lebens unten durch. Vom Establishment verachtet und geächtet, könntest du dich nur noch einer Gruppe wie dieser hier in Akaba anschließen oder als Einzelkämpfer deine Annahmen zu beweisen versuchen. Fortan würde man dich der Fraktion der so genannten bösen

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Archäologen zurechnen. Unsere heutige Fachwelt ist nämlich in gute und böse Archäologen eingeteilt. Die Betroffenen wissen davon und bekommen es zu spüren, die Außenstehenden merken nichts davon.

Fangen wir mit den bösen Archäologen an«, fuhr Ali damals fort, »alle hier in diesem Hotel gehören in diese Kategorie. Es sind die Aussteiger und gleichzeitig sind es die Rebellen unter den Archäologen, weil sie irgendwann das System durchschaut und sich dagegen aufgelehnt haben. Das sind alles ehrenwerte

Leute, die ausgestiegen sind. Doch in gewisser Weise sind sie sogar tatsächlich die Bösen. Listig lauern sie, den Fetzen einer alten Landkarte in der Hand, auf den großen Finanzier, der sie als Privatgelehrte unterstützen kann. Wehe dem, der sich darauf einlässt, sie zu finanzieren. Seine Konten wären schnell überzogen. Bei Forschungsreisen orientiert man sich in diesem Kreis an morgenländischen Zeitvorstellungen.

Aus der Sicht der staatlich gesponserten Archäologen sind diese Außenseiter aus einem anderen Grund die Bösen: Sie haben eine Möglichkeit gefunden, legal oder illegal, über Staatsgrenzen hinweg an geheime Orte zu gelangen, um dort unabhängige Forschung zu betreiben. Die staatlichen Wissenschaftler werfen ihnen vor, unsachgemäß vorzugehen, Funde zu zerstören, wertvolle Informationen dadurch zunichte zu machen und so weiter.

Sie selbst sehen sich natürlich als �die Guten«� , sagte Ali. »Sie ärgern sich, dass die bösen Kollegen Daten, Fakten und Fragmente aufnehmen können, die für sie versperrt sind. Vordergründig könnte man glauben, dass es um die Frage der wissenschaftlichen Erstveröffentlichung und Auswertung geht. In Wirklichkeit geht es aber um den Neid des Löwen im Käfig auf den Löwen in Freiheit.«

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Archäologischer Fanatismus

Alis Sichtweise kann ich mich voll und ganz anschließen. Denn wie ich weiß haben genau diese Mitarbeiter staatlicher Institute, die sich heute zu den »Guten« rechnen, früher ihrerseits alles abgetragen, was am Ort der Grabung interessant aussah, die Steine nummeriert und nach Rom, London, Paris, New York oder Berlin und Moskau geschafft. Und wer glaubt, dass dies Vergangenheit sei, der lasse sich Folgendes sagen:

Britische Archäologen haben in Tell el-Amarna, der einstigen Hauptstadt des Pharao Echnaton (der wie gesagt der biblische Moses gewesen sein könnte), erst vor kurzem ein Fußbodenmosaik entdeckt. Man unterspritzte das Mosaik mit Beton, hob es dann als ganze Platte heraus und schaffte es nach Kairo in das dortige Museum. Auf dem Mosaik ist Echnaton abgebildet. Er spannt einen Bogen. Die Richtung des Pfeils, Winkel und weitere Details geben einen Hinweis auf einen rund fünfhundert Kilometer entfernten Ort - das Tal der Patriarchen, von dem hier noch ausführlich die Rede sein wird. Durch das Entfernen des Mosaiks ist die eigentliche Information zerstört worden.

Die Platte, hieß es zur Begründung, habe nur durch diese Maßnahme für die Zukunft gesichert werden können. Tatsächlich aber haben die britischen Archäologen sie deshalb entfernt, damit ein Zusammenhang mit einem Echnaton-Kult im Tal der Patriarchen nicht mehr hergestellt werden kann.

Damit befinden wir uns auf höchst gefährlichem Terrain, denn Archäologie hat sehr viel mit Weltanschauungen zu tun. Fromme Überlieferungen treffen auf rätselhafte Funde aus der Vergangenheit. Was geschieht, wenn Überlieferungen und empirische Befunde nicht übereinstimmen? Die Antwort ist kurz: Dann werden die Befunde eben mit der Überlieferung in Übereinstimmung gebracht. Das ist die eigentliche Tragödie.

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Diejenigen, die diese Manipulationen vornehmen, gelten in der Gesellschaft als die »guten Archäologen«. Sie bekommen den Segen ihrer Religionsgemeinschaft, einen Orden vom Staat und, falls sie wollen, auch einen Lehrstuhl in ihrem Heimatland. Diejenigen, denen die empirischen Befunde wichtiger sind, werden dagegen meist bestraft, indem man ihnen regelmäßige Zuwendungen und Forschungsmittel verwehrt.

Wie stark Archäologie und Politik im Nahen Osten miteinan- der verzahnt sind, ahnt in Europa kaum jemand. Im Auftrag dieser Staaten haben Archäologen gefälscht und vertuscht, wo es nur ging.

Das erklärt auch, warum die »bösen Archäologen« so eifrig bemüht sind, an bisher unberührte Fundorte heranzukommen, um dort die Fakten zu sichern. Wenn erst einmal Fotos von den Originalstätten gemacht und in einem Schweizer Banksafe in Sicherheit gebracht wurden, haben die »guten Archäologen« mit ihrem Vertuschungs- und Verfälschungswerk das Nachsehen.

Im Nahen Osten werden die Archäologen, die man als die »Bösen« ansieht, systematisch ausgespäht, indem man beispielsweise versucht, die Telefonate abzuhören oder Faxnachrichten mitzulesen. Falls erforderlich, greift man auch zu härteren Maßnahmen. Ihnen gegenüber ist alles erlaubt. Ziel ist es, auf den Wissensstand beziehungsweise in den Besitz der Geheimnisse der »Bösen« zu kommen. Versucht man zu verstehen, was hier vor sich geht, dann weiß man am Ende kaum mehr zu sagen, wer für die »gute Seite« und wer für die »böse« agiert.

Wer sind nun die so genannten Bösen? Wie verläuft charakteristischerweise ihr Leben? Es sind fanatische Außenseiter. Ohne diesen Fanatismus würden sie sich weder der Gefahr noch den Entbehrungen aussetzen, die ihr Leben bestimmen. Sie sind aber keine Grabräuber! Für mich war es auffällig, dass alle Männer, die ich in Akaba traf, die Funde an ihrem Platz belassen hatten. Ihnen kam es nur auf die

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Dokumentation der vorgefundenen Einzelheiten an. Wurden Gegenstände vorübergehend entnommen, dann nur, um ihr Alter zu bestimmen. Anschließend wurden sie wieder zurückgebracht.

Es sind Archäologen, die von ihren Heimatfakultäten wegen »ungewöhnlicher Hypothesen« für längere Zeit oder für immer verstoßen und aus jeder archäologischen Verantwortung entfernt wurden. Meist hat man sie so lange schikaniert, bis sie freiwillig aus dem zermürbenden Tagesgeschäft ausgestiegen sind. Manche haben die Schikanen und Entbehrungen auch irgendwann nicht mehr ausgehalten. Ali erzählte mir von einigen Kollegen, die heute als Reiseführer tätig sind und sich nicht mehr darum scheren, was richtig und was falsch ist.

Die Fanatiker jedoch haben nicht aufgegeben. Sie haben mit der Zeit alles verkauft, was sie besaßen, und ihr Erbe verpfändet, um in den Libanon zu ziehen. Vor den dortigen politischen Ereignissen sind sie ab 1960 nach Jordanien ausgewichen und schließlich in Akaba - dem jordanischen Teil - bzw. Elat - dem israelischen Teil - hängen geblieben.

»Ich kenne auch einige«, sagte mir Ali, »die nach ihrer Entlassung aus dem britischen Militär vor Ort geblieben sind.« Erst dort wurden sie auf die archäologischen Besonderheiten der Golfstaaten und Arabiens aufmerksam. Sie alle leben nun seit Jahrzehnten an der Peripherie des vielleicht letzten weißen Flecks auf der archäologischen Landkarte. Was sie gesehen haben, hat in ihnen einen archäologischen Fanatismus entfacht, der mich immer wieder verblüfft hat. Ich selbst hätte niemals, so wie sie, dauerhaft auf die Annehmlichkeiten der westlichen Zivilisation verzichtet, um zum Beispiel den Berg Gottes zu suchen. Doch einige von ihnen haben es getan.

Manche von ihnen haben sich auch beschneiden lassen und sind zum Islam übergetreten - und das alles, um das verwüstete Paradies mit eigenen Augen zu sehen und zu erforschen. Sie haben ihr Leben der Aufgabe gewidmet zu beweisen, dass der biblische Garten Eden tatsächlich existiert hat und noch heute

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genügend steinerne Dokumente von dem einstigen Paradies zeugen.

Als ich in meine südafrikanische Heimatstadt Durban zurückgekehrt war und von hier aus zu recherchieren begann, zeigte sich, dass das Tal der Patriarchen in antiker Zeit durchaus bekannt gewesen sein muss. Das Wissen darum hatten später auch die Kopten, die ersten Christen in Jerusalem und in Alexandrien, später offenbar Muhammad und sein Schwiegersohn Ali, noch später die Templer und in den letzten dreihundert Jahren einige Leute, die als Reisende getarnt vor Ort spähten. Sie sollten offenbar aufklären, wo man Zugang und Basislager für eine Besetzung der Reste des Paradieses durch ein europäisches Korps errichten sollte.

Der sonst viel gescholtene Vatikan hielt sich, was dieses Thema angeht, sehr zurück. Insgesamt sind die Christen stärker auf das Neue Testament und Jesus eingeschworen als auf Abraham, Moses und Elias, um nur einige Gestalten des Alten Testaments zu nennen.

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Ali trifft ein

Noch ein Wort zu meinem wichtigsten Informanten. »Ali« ist der Deckname für einen nicht in der islamischen Welt geborenen Menschen, der jedoch in den Wüsten Iraks, Syriens, Jordaniens und Saudi-Arabiens mehr zu Hause war als in London, Paris oder New York, wo er ursprünglich hingehörte. Es ist der Deckname eines Archäologen, mit dem ich dieses Pseudonym abgesprochen habe, um seine künftige Arbeit (nach der Veröffentlichung dieses Buches) nicht noch weiter zu erschweren. Ihm ging es bei dieser Publikation, wie gesagt, nicht um Geld, sondern um die Sicherung seiner Erkenntnisse, seiner Lebensarbeit, mit deren Hilfe künftige Generationen von Kundigen schneller an die entscheidenden Orte gelangen können.

Mit fünfwöchiger Verspätung traf Ali endlich in Akaba zu unserem verabredeten Treffen ein. Ich mochte es kaum glauben, aber er war wirklich gekommen. Das Fladenbrot schmeckte mir wieder, das Ungeziefer machte mir nichts mehr aus. Die Welt war für mich in Ordnung, denn nun wusste ich, dass ich den beschwerlichen Weg nach Akaba nicht umsonst gemacht hatte.

Tagelang saßen wir beisammen, und er berichtete. Ich ließ das Tonband mitlaufen und machte mir überdies Gesprächsnotizen. Handgezeichnete Karten, um die Wende zum 20. Jahrhundert angefertigt, lagen vor uns auf dem Tisch. Wir hatten uns in den Raum zurückgezogen, in dem ich nun seit über einem Monat hauste. Ein Bett, zwei Stühle, ein Tisch. An der Wand und an der Tür Haken für die Kleider. Vor uns lagen neue Karten von Syrien, Jordanien, dem Irak und Saudi-Arabien, wie man sie in jeder Buchhandlung oder am Flughafen kaufen kann.

In diesen Karten brachte Ali Korrekturen an, denn sie enthielten Fehler, die für 99,99 Prozent aller Kartenbenutzer völlig unerheblich waren. Wer jedoch einen bestimmten Punkt

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in der Wüste erreichen will, würde in den sicheren Tod gehen, wenn beispielsweise der Weg zur nächsten Wasserquelle zehn Kilometer weiter entfernt wäre, als auf der Karte verzeichnet.

Am Schluss unseres Gesprächs sagte er mir: »Für mich wäre es viel einfacher gewesen, wenn ich den Kundigen der nächsten Generation bereits gekannt hätte und ihm diese Informationen hätte persönlich vermitteln können.« Aber er wisse ja nicht einmal, ob der Betreffende bereits geboren sei. Um Zeitspannen unbekannter Länge zu überbrücken, sei das Buch bis auf weiteres wohl das geeignetste Medium. »Darum weihe ich dich hier ein!« Das war also die knappe Erklärung, warum ich dieses Buch mit seinen Erkenntnissen schreiben durfte.

Falls Sie, lieber Leser, der Kundige der nächsten Generation sind, den Ali im Auge hatte, dann freut es mich für Sie. Vergessen Sie aber bitte nicht, wie viele vor Ihnen mühselige Vorarbeit geleistet haben, damit Sie an dem besagten Tag vor laufenden TV-Kameras die unterirdischen Stätten der Patriarchen und Propheten begehen können. Sie werden feststellen, wie genau Alis Beschreibungen waren, die Sie zur richtigen Stelle führten.

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Im Labyrinth der Eden-Archäologie

Freibeuter der Meere gibt es längst nicht mehr, aber Freibeuter der Wüste noch immer. Das gilt für Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen und Ägypten wie auch für Saudi-Arabien. Über die geheimen Umtriebe in den Wüstengebirgen und -tälern Libyens, Ägyptens und vor allem Saudi-Arabiens hört man jedoch wenig. Auch ich werde mich hüten, die Karawanen allzu genau zu beschreiben, die heimlich durch diese Gebiete ziehen. Sie werden selbst von staatlichen Aufsichtsorganen weder zu Kamel noch auf andere Art verfolgt, weil dies für Polizisten oder Militärs den Tod bedeuten könnte. Nicht weil es zu einer blutigen Auseinandersetzung käme, sondern weil die Verfolger sich verirren könnten und verdursten würden.

Die Koexistenz zwischen staatlichen Organen und den Karawanenführern, die diese Wege illegal nutzen, ist bekannt. Beide Seiten verstehen es, einander aus dem Weg zu gehen. Die Karawanen werden so gelenkt, dass sie immer außer Sichtweite der behördlichen Aufpasser bleiben. Ob diese Koexistenz auf Bakschisch und Absprachen beruht, weiß ich nicht. Aber das seltsame Zusammenspiel faszinierte mich immer wieder, wenn davon berichtet wurde. Dann wurde es meist Allahs unerforschlichem Willen zugeschrieben, dass die Kamele der einen Gruppe gerade rechtzeitig getränkt und weitergezogen waren, wenn die andere Gruppe mit ihren durstigen Kamelen das Wasserloch erreichte.

Lässt sich aber das Problem der Überwachung im Zeitalter der Satelliten nicht viel einfacher lösen? Tatsächlich kann man mit Hilfe von Satelliten auch in der Wüste jede Ansammlung von Mensch und Tier erkennen. Was nützt einem das aber, wenn man an diese Gruppe mitten in der Wüste herankommen will? Flugzeuge sind da wenig hilfreich: Sie fliegen zu schnell und

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können in der Wüste nicht landen. Hubschrauber wirbeln in Bodennähe zu viel Sand auf, so dass sie sich bei 50 Prozent aller Wüsteneinsätze selbst außer Funktion setzen. Und wenn der Helikopter einmal gelandet ist, müssen die Insassen überdies zu Fuß die Verfolgung aufnehmen, während sich die Karawane mit ihren Kamelen rasch davonmacht. Man kann also in der Wüste gegen Mensch und Tier nur Mensch und Tier einsetzen, und diesem Vorgehen setzt die erwähnte »Koexistenz« enge Grenzen.

Hinzu kommt ein weiterer Aspekt. Heute ist es Spezialisten in aller Welt möglich, sich der so genannten Blackbox im weltweiten Netz zu bedienen. Diese Blackbox ist der Teil des Internet, der für die Öffentlichkeit nicht zugänglich ist. Eigentlich sollte er nur von den Regierungen für ihre jeweiligen geheimen Operationen benutzt werden. Aber das ist Theorie. In der Praxis sitzen rund um die extrem konservativen Länder des Islam eine Vielzahl muslimischer Computer-Freaks, die jeweils das sehen, was die für die Satellitenüberwachung der Wüstenregionen offiziell Zuständigen zu sehen bekommen. Zeitgleich mit den Informationen, die an die Apparate der Regierungen gehen, erhalten auch die »Geisterkarawanen« ihre Anweisungen per Satellitentelefon oder per Funk. Eine Pattsituation also.

Der einzige etwas riskantere Aufenthaltsraum bleibt für die Karawanen das Gebiet außerhalb der Wüstenregionen, zum Beispiel im organisierten Staatsgebiet von Jordanien. Doch hier sorgt eine auf orientalische Weise funktionierende Infrastruktur dafür, dass Menschen und Kamele so geschickt verteilt werden, dass niemand ihre Zugehörigkeit zu der geheimen Karawane erkennen kann.

Vielleicht noch ein Wort zu den Kamelen. Auch die Archäologen haben ihre eigenen Kamele, mit denen sie Jahr um Jahr unterwegs sind. Kamele sind sehr intelligente Tiere, und es ist ratsam, sich auf zwei oder drei Tiere auf Dauer festzulegen.

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»Genau genommen«, erklärte mir Ali, »sucht das Kamel den Reiter und nicht der Reiter sein Kamel aus.« Wenn es darum geht, ein trainiertes Wüstenkamel zu kaufen, das Distanzen bis zu fünfzig Kilometer am Tag zurücklegen kann, dann muss man sich ein paar Tage Zeit nehmen. Am Verhalten der Tiere sieht der geübte Beduine sofort, welches der Tiere mit dem zukünftigen Reiter harmonieren wird und welches diesen Reiter aus unerklärlichen Gründen ablehnt. So kommt es, dass die Eden-Archäologen meist über zwei bis drei Stamm-Kamele verfügen. Eines davon ist das Reittier, die anderen sind die Lasttiere. Die drei Kamele müssen aufeinander abgestimmt sein, d. h. die Hierarchie muss stimmen. Jeder Archäologe hat außerdem noch mindestens einen Helfer und Begleiter bei sich, der ebenfalls Last- und Reittiere braucht. Die meisten Archäologen, die ich in Akaba angetroffen hatte, erzählten mir, dass sie zwei Begleiter beschäftigten.

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Im Schlepptau der Schmugglerkarawanen

Wie sehen nun die verschlungenen Wege der Eden-Archäologen aus? Für die erste Etappe - heraus aus der Zivilisation des Nahen Ostens und über die Grenze nach Saudi-Arabien hinein - schließen sich die Archäologen meist den Schmugglerkarawanen an. Die Karawanenführer kennen beispielsweise die geheimen Pfade, die bereits T E. Lawrence (Lawrence von Arabien) bei seinem Aufstand gegen das Osmanische Reich benutzte, um überraschend in Akaba aufzutauchen. Es ist eine Kombination aus Knowhow und Kontakten, die von den Archäologen mitgenutzt werden, wenn sie sich solchen Karawanen anschließen.

Die größte Gefahr, von einer Wüstenpatrouille gefasst zu werden, laufen die Archäologen, während sie mit der Schmugglerkarawane unterwegs sind. Denn man weiß nie hundertprozentig, ob die Kontakte der Karawanenführer noch funktionieren oder nicht. Trotzdem können die Archäologen auf diese Hilfe nicht verzichten. Nicht wenige von ihnen sind vorübergehend im Gefängnis gelandet, weil die Karawane als Ganzes für ein Vergehen bestraft wurde. Dann zeigt es sich, wer wessen Freund ist und wer an den richtigen Stellen vorsorglich Bakschisch hinterlassen hatte. In dieser Hinsicht hat sich seit den Tagen der Kreuzfahrer nichts geändert: Man tauscht Gefangene gegen Lösegeld. Das geschieht alles unterhalb der Ebenen, die an einer lückenlosen Kontrolle interessiert sind. Ali beispielsweise war im Laufe der letzten dreißig Jahre mehrmals auf diese Weise wieder freigekommen.

Zum illegalen heimlichen Grenzübertritt benutzen die Eden-Archäologen also die Ortskenntnisse der Schmugglerkarawanen. Gegen Bezahlung nimmt man sie mit. Meist ist dem Karawanenführer aber die Bezahlung weniger wichtig. So wie

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auf dem Schiff »Hand gegen Koje« vereinbart werden kann, wird hier »Hand und Kamel gegen Platz in der Karawane« geboten: Dank der zusätzlichen Kamele kann der Karawanenführer etliche Kilo Schmugglerware mehr mitnehmen. Trotzdem spielt natürlich auch zusätzliches Bakschisch eine Rolle.

Ein Wort noch zum Schmugglergut dieser Karawanen. Zwei

Handelszweige blühen im grenznahen Bereich zwischen Akaba und Elat: der Handel mit geschmuggelten Autoteilen und mit Antiquitäten aus dem Irak, aus Syrien, Jordanien und Saudi-Arabien. Hierbei muss man wissen, dass im gesamten Nahen Osten ein reger Handel mit Autoersatzteilen aus Saudi-Arabien herrscht. Man lebt von der Eigenart der Saudis, die sich ihres Reichtums erfreuen, sich aber niemals sicher sind, ob ihr Wohlstand Allah wohlgefällig ist. Folglich achten sie auf alle »Omen«, die ihnen während des Tages widerfahren.

Das ist der Grund, warum man mitten in der Wüste manchmal eine verlassene Luxuslimousine vorfindet: Der Besitzer hatte wohl an dieser Stelle eine kleine Panne oder einen Defekt an seinem Auto bemerkt. Eine Sicherung ist vielleicht durchgebrannt, oder die Klimaanlage funktionierte nicht mehr. Der Fahrer sah darin einen Ausdruck des Unwillens von Allah gegenüber seinem Luxusleben. So ließ der Lenker das Fahrzeug einfach stehen, um Allah zu besänftigen, ging nach Hause und kaufte sich ein neues Auto.

Ein solches nagelneues Fahrzeug steht natürlich nicht lange in der Wüste herum. Denn die Schmuggler im kleinen Grenzverkehr nehmen sich der herrenlosen Fahrzeuge an und zerlegen sie in ihre Einzelteile, um diese jenseits der Grenzen zu verkaufen.

Im Grenzbereich der arabischen Länder herrscht demnach ein reger Warenverkehr. Nach dorthin wird alles verschoben, was in

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Arabien »gefunden« wurde und für den dortigen kleinen Mann von Interesse ist. Der Rest wandert in die ärmeren Länder der Region, nach Syrien, in den Libanon und den Irak. Genau dieses (offiziell mit der Todesstrafe bedrohte) Hin und Her des Warenaustauschs nutzen fanatische Eden-Archäologen wie Ali, um die Grenzen zu überschreiten und auf verschlungenen Wegen an die Geheimnisse Zentral-Saudi-Arabiens und deren versandete archäologische Attraktionen heranzukommen.

In Gegenrichtung importieren die Karawanen übrigens weit brisantere Güter: Rauschgift vom Iran für die Länder des Nahen Ostens sowie Pornokassetten für Saudi-Arabien und den Iran. Vor allem im konservativen Saudi-Arabien werden solche Videos in Diamanten aufgewogen. Ob auch Waffen transportiert werden? Darüber schwieg sich Ali aus.

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Höllische Bedingungen im einstigen Paradies

Tief in der Wüste, in einiger Entfernung von ihrem Ziel, löst sich der Forscher mit seinen zwei bis drei Helfern, die ihn begleiten, und seinen Kamelen von der Karawane und zieht allein weiter.

Das ist deshalb möglich, weil die Schmugglerwaren, die bisher von den Kamelen des Archäologen und seinen Begleitern getragen wurden, nun auf die anderen Kamele verteilt werden können. Denn deren Last ist inzwischen um das Gewicht der verbrauchten Versorgungsgüter leichter geworden.

Haben die Archäologen ihr Ziel erreicht, so sehnt sich manch einer sogar an Orte zurück, die gemeinhin als äußerst unwirtlich gelten - beispielsweise in ein saudiarabisches Gefängnis. Denn selbst die Haftstrafen, die man als Begleiter der Schmuggelkarawanen riskiert, sind harmlos im Vergleich zu den Strapazen und Gefahren der archäologischen Arbeit vor Ort. Mitten in der Wüste zu graben ist lebensgefährlich. Hochgiftige Schlangen, Skorpione und Käfer greifen sofort an, wenn sie in ihrer Ruhe gestört werden. Wer in der Wüste gräbt, kann diese Gefahren jedoch nicht vermeiden. Weitere Risiken sind der Wasserverlust des Körpers und die ständige Gefahr zu verunglücken, weil kaum Sicherungsmaterial mitgeführt werden kann. Bei Temperaturen bis zu sechzig Grad im Schatten wähnte sich schon mancher bei lebendigem Leib in der Hölle.

Ali hat jahrzehntelang ein Gebiet von etwa 50 mal 50 Kilometern erforscht, bis er endlich fündig wurde. Auf den ersten Blick sollte man meinen, dass es mit den heutigen technischen Mitteln kein Problem sein dürfte, ein solches Areal zu erforschen. In der Tat könnte es in anderen Weltgegenden zumindest mit einem geländegängigen Fahrzeug jederzeit angesteuert und erforscht werden. Die Sache sieht aber ganz

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anders aus, wenn man sich in eine schroffe Sand- oder Steinwüste Arabiens mit Erhebungen bis weit über tausend Meter begeben will, um dort nach Verborgenem oder nach uralten Überresten zu suchen. Staatliche Erlaubnis vorausgesetzt, kann man auch in der Wüste weite Strecken mit dem Fahrzeug schnell zurücklegen. Das gilt aber nur für die ausgebauten Straßen und Pisten, die meist eine militärstrategische Bedeutung haben. Sie werden engmaschig überwacht und sind für diskretere Vorhaben kaum zu gebrauchen. So oder so führen diese Wege natürlich nicht zu dem geheimen Zielort, sondern enden irgendwo in Tälern und Schluchten, die mit Geröll und Felsbrocken übersät sind.

Von dort an ist an ein Weiterkommen mit Fahrzeugen kaum zu denken. Selbst Spezialreifen sind schnell zerschlissen, daher führen in solchen Fällen die Archäologen, die diesen Anreiseweg benutzen wollen, nicht weniger als drei bis vier Sätze Reifen mit. Bedenken Sie bitte, wie viel Raum schon diese Reifen erfordern! Ein anderes Problem ist das Fahrzeug selbst. Durch die starke Belastung wird das Getriebe über kurz oder lang defekt. Ohnehin kommt so ein Fahrzeug trotz Seilwinde und allen nur denkbaren technischen Tricks manchmal nur noch 1000 Meter am Tag voran. Ein Kamel hingegen schafft unter solchen Bedingungen bis zu 12 Kilometer am Tag. Der erfahrene Wüstenreisende setzt also von vornherein auf Kamele.

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Wann zerfiel das Paradies?

Wenn man zum ersten Mal mit solchen Aktivitäten konfrontiert wird, fragt man sich, warum Archäologen sich derartigen Risiken und Strapazen unterziehen. Doch bald schon erkennt man, dass Entdeckungsfieber und Leidenschaft hier ein würdiges Ziel gefunden haben: eines der letzten großen Geheimnisse unserer Erde. Diese Forscher wissen, dass sie, wenn sie fündig werden, den Entdeckerruhm für sich beanspruchen können.

Ali meinte, »dass es Aspekte des einstigen Paradieses gibt, die wir in Europa bisher noch nicht erkannt haben. Weltanschauliche Dogmen, besser gesagt, Vorgaben der Lehrmeinung verhindern dies bislang. Kennt man das Original, den Ursprung, kann man besser erkennen, was zum Beispiel in Europa oder Afrika an Markierungen existiert, die bis auf jene Zeit zurückgehen.«

Mein Gewährsmann erzählte mir auch von einem Klimatologen, den er kennen gelernt hatte. Dieser Fachmann suchte den idealen Lebensraum während der letzten Eiszeit auf der nördlichen Halbkugel. »Aber auch ihm erging es wie uns allen«, sagte Ali, »man erkennt auffällige Punkte in einem Gelände. Man konzentriert sich darauf und denkt, dass man nun den Faden in der Hand hält. Aber nichts dergleichen. Schließlich erkennt man, vielleicht nach Jahrzehnten, dass das Gesamtareal, innerhalb dessen der Garten Eden zu suchen ist, nicht eine Größe von 50 mal 50, sondern von 1400 mal 1400 Kilometern haben dürfte. Natürlich weigert man sich, es zu glauben.«

Das Problem ist, dass vom einstigen Paradies nichts exakt Messbares mehr vorhanden ist: keine Ecken und Tore, nichts. Der archäologische Sucher nimmt also einzelne Stücke von den Fundstätten mit, um deren Alter zu bestimmen. Ein ganz normaler Vorgang, möchte man meinen. Aber die Ergebnisse

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der Altersbestimmung aller Fundstücke aus dem Paradies, die bisher geborgen und in London untersucht wurden, verwirren den Wissenschaftler erst recht: Die Resultate liegen eher bei 85 000 Jahren als bei den (nach biblischer Überlieferung zu erwartenden) 5600 Jahren.

Das wiederum kann eigentlich gar nicht sein. Also beginnt eine Ursachenforschung. Das braucht alles seine Zeit. Ali meint, dass Radioaktivität, die er vor Ort gemessen hat, die Zeitbefunde verfälscht haben könnte. Um diese Annahme zu bestätigen oder zu widerlegen, benötigt man Zeit und Geld. Währenddessen nagt der Zweifel. Und wenn es doch nichts mit der Radioaktivität zu tun hat? Wenn die Fundstücke doch 85 000 Jahre alt sind? Wo liegt der Fehler?

Bleiben wir bei diesem Beispiel: 85 000 Jahre. Unmöglich, müsste man meinen. Nach jüdischer Überlieferung müsste die Vertreibung aus dem Paradies vor 7500 bis 5600 Jahren geschehen sein. Oder hat da einer der Chronisten des Alten Testaments irgendwann eine Null gestrichen?

»Ich muss zugeben«, sagte mir Ali, »dass ich anfänglich bereit war, Jahreszahlen wie 12 000 oder 14 000 v. Chr. als möglich anzusehen. Aber ein Sprung gleich um 75 000 Jahre?« Ali schüttelte den Kopf. Er rollte eine Karte von der Arabischen Halbinsel auf. Das Zentrum des empirischen Garten Eden hat nach seiner Überzeugung eine Fläche von höchstens 50 mal 50 Kilometern, wobei die 50 hier keine mystische oder sonstige geheimnisvolle Zahl sein soll. Es handelt sich lediglich um eine geschätzte Größe, die eine Vorstellung vermittelt, wo eine der archäologischen Hauptschwierigkeiten liegt:

Das Areal, in dem das Zentrum vermutet wird, ist einfach zu groß. Es liegt in der Mitte Saudi-Arabiens, ist schwer zugänglich, und ohne umfassende Logistik kann man dort keine Einzelheiten erforschen. Ein Archäologe mit zwei Helfern kann diese Aufgabe nicht bewältigen. Er kann nur Stichproben machen und allenfalls oberflächlich die für ihn zugänglichen

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und offensichtlichen Auffälligkeiten inspizieren. Von systematischer Grabung kann keine Rede sein. Seine Lage ist vergleichbar mit der Situation der ersten Reisenden, die alle ägyptischen Monumente zu zwei Dritteln unter Sand begraben vorfanden - und daraus vielfach irrige Schlüsse zogen. Sie waren aber nicht imstande, die Tempel freizulegen und in ihrer ganzen Ausdehnung zu erforschen.

Weil das Zentrum von Eden selbst für Spezialisten wie Ali nicht zu erreichen ist, hatte er sich nur um die markanten Punkte auf den Grenzlinien (siehe 6. Kapitel: »Die Arbeit mit Zirkel und Lineal«) des von ihm vermuteten Paradieses gekümmert. Selbst eine Generation von Eden-Archäologen könnte die Aufgabe unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht bewältigen. Dagegen war es für ihn deutlich einfacher, den Horeb-Sinai, das Tal der Patriarchen und das Tal der Propheten zu ergründen.

Das Material, das Ali mitgebracht hatte, betraf hauptsächlich diese Täler. Auf dem Tisch zwischen uns, über die Landkarten verstreut, lagen Schwarzweißfotos von Felsen, von massiven Verschlusssteinen vor Eingängen in unterirdische Gangsysteme. »Das hier ist«, sagte er, »mit Sicherheit die erste Bestandsaufnahme von den Wegen in die (offiziell nicht registrierte) Vergangenheit der Menschheit.«

Die Geschichte dieser Fotos wäre ein Kapitel für sich. Die Negative waren seinerzeit nach Ägypten gebracht worden. Sie wurden in Kairo entwickelt und von einem Reiseführer nach Jordanien zurückgebracht. Anders wäre es nicht gegangen, so Ali, denn die Entwicklung der Bilder in Jordanien hätte sofort die Späher alarmiert. Verfolgungswahn oder Realität? In jenen Tagen in Akaba habe ich mich oft gefragt, ob ich in einen James-Bond-Film geraten war. Aber die Männer in meiner Umgebung, die Jahrzehnte ihres Lebens damit verbracht hatten, das Paradies zu suchen, waren unzweifelhaft Wirklichkeit. Und ebenso alt wie die Suche nach dem Garten Eden war das

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konspirative Gebaren der Suchenden: Schon vor achthundert Jahren hatten die Templer von Jerusalem aus insgeheim genau dieselben Punkte angesteuert, die heute Ali so faszinierten. Diese Übereinstimmung mit Alis Berichten faszinierte mich nicht weniger als seine Berichte selbst. Also hatten schon die Eingeweihten des Mittelalters von der Stätte des prähistorischen Paradieses gewusst? (Siehe 8. Kapitel: »Wer vom Tal der Patriarchen wusste«.)

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1. Kapitel Die Anfänge der Suche nach dem

Paradies

Wie ist es überhaupt möglich, dass das Paradies der Menschheit für so lange Zeit in Vergessenheit geraten war? Das kann ich bis heute nicht verstehen. Was Ali betrifft, er wurde eher durch einen Zufall als durch höhere Fügung zum Paradiessucher.

Als Orientalist kannte er alle Veröffentlichungen, die sein Gebiet betrafen. Das galt auch für die zwischen 1850 und 1960 in englischer Sprache erschienenen Beiträge in den Mitteilungsblättern der verschiedensten Gesellschaften in London. Handelsgesellschaften oder Vereine, die von Heimkehrern aus den britischen Kolonien gegründet worden waren, gaben Jahres- oder Quartalsheftchen heraus, um ihre Mitarbeiter oder Mitglieder zu informieren. Diese Dokumente in den Archiven erweisen sich heute als wahre Fundgrube, wenn man nach historischen Details sucht.

In den fünfziger Jahren erhielt Ali von einem Insider eine Information, die ihn auf die Spur jener Orientalisten brachte, die diskret nach historischen Orten und Landstrichen des Alten Testaments suchten. Über diese Anfänge seiner »Karriere« als Außenseiter sagte Ali zu mir: »Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat es nur sehr wenige Köpfe gegeben, denen die Zusammenhänge zwischen der französischen Ägypten-Expedition und dem Eingreifen der Engländer am Nil bekannt waren. Hintergrund war ein Streit zwischen der Großloge der Freimaurer in Frankreich, die seit der Abschaffung der Monarchie das Parlament beherrschten, und ihrem Pendant in England. Beide versuchten - teilweise militärisch - näher an die Quellen heranzukommen, die direkt aus dem einstigen Paradies

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stammten. Zu dieser Zeit war man der Meinung, dass die Wiege der Menschheit in Afrika stand und Ägypten ein Bindeglied gewesen sein könnte. Man mag die Geschichte drehen und wenden, wie man will, die Briten bestanden darauf, dass die Franzosen das wissenschaftliche Material der Expedition an sie herausgaben. Darauf kam es an!

Auffällig ist auch«, fuhr Ali fort, »dass keine fünf Jahre später die deutsche Freimaurerei einen Einzelreisenden namens Doktor Seetzen als Späher über Wien, Istanbul und Aleppo in den Orient schickte. Es ist nirgendwo dokumentiert, mit welchem geheimen Auftrag Seetzen reiste, nur seine Reiseroute zeigt uns, dass er auf der Suche nach der Stätte des einstigen Paradieses gewesen sein muss. Seine Reise führte ihn über Dschidda, Medina und Mekka in das Innere der Arabischen Halbinsel. Im Auftrag und mit finanzieller Unterstützung der Freimaurer in Gotha kaufte er arabische Literatur und Kunstwerke auf, um sie nach Gotha zu verschiffen. Möglich, dass auch die Herren Herder und Goethe in Weimar involviert waren, denn das alles spielte sich in den Jahren 1803 bis 1807 ab.

Wer sich in das Thema und die Betrachtungsweise eingearbeitet hat«, sagte Ali abschließend, »stößt bei Durchsicht der Berichte anderer Reisender hier und da auf Ungereimtheiten in ihren Reiserouten. Die lassen sich aber leicht erklären, wenn man annimmt, dass sie - zumindest nebenher - nach Hinweisen auf ein einst real existierendes Paradies gesucht haben.«

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Lawrence von Arabien und ein Orientalist mit Priesterwürde

Mit solchen Informationen im Kopf stieß ich bei eigenen Recherchen wenig später auch auf T E. Lawrence. Er hatte einige private Notizen hinterlassen, die mir zur Kenntnis gelangten. Nun verhält es sich mit T E. Lawrence wie mit allen, die einem Club oder einer Loge in Großbritannien angehörten: Nach seinem Auftritt in Arabien fertigte er Berichte an, die er mehrfach redigieren musste. Offiziell heißt es, er habe seine Manuskripte verloren oder sie wurden ihm gestohlen. Tatsächlich aber wurden seine Aufzeichnungen systematisch gesäubert. Als ich an einer Studie über die Haschemiten-Herrscher arbeitete, fiel mir auf, dass T E. Lawrence seinerzeit anscheinend einen Gegenspieler hatte. Auf ihn bezogen sich die privaten Notizen von Lawrence. Sein Rivale war Professor Alois Musil, ein Orientalistik-Forscher und - was mich aufhorchen ließ - katholischer Priester! Was suchte ein Mann des Vatikans damals in Arabien?

Ich forschte weiter und förderte noch manche Überraschung zutage. So zum Beispiel, dass wohl eher T E. Lawrence seinem österreichischen Gegenspieler Musil auf den Fersen war als umgekehrt. London hatte Lawrence - zusätzlich zu seinen militärischen Aufgaben - auf Musil angesetzt, weil dieser im Begriff stand, das Ziel zu erreichen: die Wiederentdeckung des einstigen Paradieses (siehe Abbildung 2).

Jahre später zeigte man selbst in den USA mehr Interesse an den Arbeiten Musils als an den Veröffentlichungen der »Sieben Säulen der Weisheit« von T E. Lawrence. Dies wird aus einer Bemerkung in der »New York Times« von 1928 deutlich:

Das Gold, das Oberst T E. Lawrence kübelweise in den Sand Arabiens schüttete, hinterließ keine Spuren, gar nicht zu reden vom Dynamit. Aber die mit viel Hingabe und Ausdauer

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geschriebenen Werke eines Doughty, eines Musil und der anderen aufrichtigen Männer werden überdauern.

Abbildung 2: Die Reiseroute von Lawrence of Arabia zeigt, dass er

tatsächlich in unmittelbarer Nähe des Tals der Patriarchen gewesen ist. Was in der offiziellen Karte seiner Reisewege nicht verzeichnet ist: der Abstecher in das Tal der Patriarchen. Er durfte mit den Stammesführern zwei Nächte im

Tal der Patriarchen verbringen. Dies scheint den Charakter des britischen Offiziers nachhaltig verändert zu haben.

Diese Anmerkung der »New York Times« bezog sich zum Beispiel auf Musils Kartographie und seine Erkenntnisse über antike Plätze auf der Arabischen Halbinsel. Oder wusste der Verfasser mehr, womöglich durch ein persönliches Gespräch mit Musil? Hatte Musil während seines USA-Aufenthaltes im privaten Kreis über die Hintergründe seiner Expeditionen gesprochen?

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Auf der Suche nach dem Berg Gottes

Auf meine Frage, wie Ali denn nun eigentlich auf die Spur des Paradieses gekommen sei, erzählte er mir: »Das war damals, als ich in den Archiven in London recherchierte, auf der Suche nach Hinweisen auf den wirklichen Berg Sinai. Mir fielen zwei Veröffentlichungen aus den Monaten Juli und Oktober 1930 in die Hände, in denen aus der Beschreibung in der Bibel gefolgert wurde, dass der Berg Sinai ein aktiver Vulkan gewesen sein müsse.

Im Mittelpunkt stand hierbei eine private Mitteilung von T E. Lawrence. Sie besagte, dass er sich mit Stammesführern in einem Talkessel getroffen habe, der von Lavafeldern umgeben war. Dort soll die Entscheidung, die Partei der Briten zu ergreifen, nach zweitägigem Warten gefallen sein. Meine Hypothese lautete, dass sich Lawrence mit den Stammesführern am Fuß des Berges Sinai getroffen haben könnte. Ich war der Meinung, dass es bei den ganzen Aktionen Anfang des 20. Jahrhunderts um die Sicherung des Gebiets ging, in dem der Sinai zu finden war.

Heute weiß ich«, fuhr Ali fort, »dass sich die Stammesführer aus anderen Gründen gerade in diesem Lavafeld versammelt hatten. Sie warteten auf die Entscheidung der so genannten �Großen Mutter�. Wie immer diese Entscheidung übermittelt worden sein mag - T. E. Lawrence hat in dieser Nacht für seine britische Majestät die Arabische Halbinsel gewonnen.«

Als ich mich später wieder in London aufhielt, besorgte ich mir Kopien der Dokumente, von denen Ali gesprochen hatte. Es handelte sich um die Quartalsmitteilungen des »Palestine Exploration Fund (Founded 1865)«. Die beiden Beiträge waren im Juli und im Oktober 1930 erschienen. Sie bezogen sich auf die Arbeit von Doktor Alois Musil, Professor für Orientalische Studien der Karls-Universität in Prag.

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Die Gesellschaft hielt es offenbar für sehr wichtig, dass ihre Mitglieder 1930 über die topographischen Expeditionen von Professor Musil, »durch das antike Land von Midian, d.h. von Ma'an bis an die Grenze von Edom, bei den Lavafeldern von Harrat al-Awaridh«, informiert wurden. Verfasser war ein Reverend W. J. Phythian-Adams, M. A. D. S. 0., M. C. Der Titel seiner beiden Artikel lautete »The Mount of God«, »Der Berg Gottes«.

Bezeichnenderweise begann der erste Beitrag so: »Die genaue Lage des �Berg Gottes� zu entdecken ist der künftigen Forschung vorbehalten.« Offensichtlich wusste der Schreiber bereits 1930 über das, was die Welt eines Tages vorfinden würde, grob Bescheid. Wer hatte ihn informiert - T. E. Lawrence? Oder Professor Musil?

Wie viel er tatsächlich wusste, werden wir nie erfahren, denn auch Reverend Phythian-Adams beugte sich der britischen Staatsräson und wohl auch den Interessen der anglikanischen Kirche. Vor dem Hintergrund der biblischen Berichte um den Berg Sinai und die vierzigjährige Wanderschaft der Israeliten diskutiert der Reverend in der ersten Folge seines Beitrags die Frage, ob sich der biblische Berg Sinai tatsächlich auf der heute so genannten Halbinsel Sinai befinden könne. Er bezweifelte dies und folgerte in der Einleitung zu seinem zweiten Beitrag aus dem Oktober 1930: »Es ist das Ergebnis unserer Untersuchung, dass der Berg Gottes ein Vulkan war... Aus dieser Sicht kann es kein Ort auf der Sinai-Halbinsel sein, denn dort gibt es keine Anzeichen für vulkanische Aktivitäten.«

Im Nachhinein ist festzustellen, dass er den Kundigen in einer

ferneren Zukunft geschickt informiert hat, dass er also Bescheid wusste, aber nicht offener sprechen durfte. Ali sagte mir in diesem Zusammenhang: »Reverend Phythian-Adams ging es damals genau wie mir. Man beißt sich auf die Zunge, bis es schmerzt, aber trotz allem inneren Drang kann man über einen

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bestimmten Punkt hinaus die Öffentlichkeit nicht informieren. Entweder würde sie es nicht verstehen oder die Information würde nicht in die augenblickliche politische Situation passen. Was also tun, wenn ich trotzdem der Nachwelt ein Zeichen hinterlassen möchte, dass ich �gewusst� habe?«

Abbildung 3: Zweimal versuchte der tschechische Priester Alois Musil das

Tal der Patriarchen zu erreichen. Es gelang ihm bis auf 60km heranzukommen.

Auf der zweiten Seite seines Beitrags hat Reverend Phythian-Adams eine Karte eingeschaltet, in der die ersten vulkanischen Felder und Berge eingezeichnet sind, die man vom Sinai aus auf dem Landweg auf der Arabischen Halbinsel erreichen kann. Ungefähr dort befindet sich aber auch der Talkessel, von dem T E. Lawrence anscheinend gesprochen hat (siehe Abbildung 3).

Die Position 27 Grad 16 nördlicher Breite und 36 Grad 16

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östlicher Länge ist am unteren rechten Rand der Karte gerade noch zu erkennen. Genau das ist die Stelle, um die sich in irgendeiner Zukunft vieles drehen wird und um die eines Tages vielleicht sogar Religionskriege geführt werden.

Damit gab Reverend Phythian-Adams verdeckt brisante Informationen preis und gleichzeitig zu erkennen, dass er eingeweiht war. Seine Ausführungen lassen sich wie folgt zusammenfassen:

1. Der Berg Sinai war ein Vulkan. Diese Annahme lässt sich aus der Beschreibung in den alten Schriften der Israeliten ableiten.

Erscheinungen wie Wasserdampf an der Spitze des Berges werden dort als Wolken beschrieben. Flammen auf dem Berg (vermutlich Eruptionen des Vulkans) und das Erbeben der Erde (geht Eruptionen in der Regel voraus) wären somit naturwissenschaftlich zu erklärende Phänomene. Wie auch immer man die biblischen Texte übersetzt, hier werden offenkundig die typischen Anzeichen eines ausbrechenden Vulkans beschrieben:

Und der Herr sprach zu Mose: Gehe hin zum Volk und heilige sie heute und morgen, dass sie ihre Kleider waschen. Und bereit seien auf den dritten Tag, denn am dritten Tage wird der Herr vor allem Volk herabfahren auf den Berg Sinai. Und mache dem Volk ein Gehege umher und sprich zu ihnen: Hütet euch, dass ihr nicht auf den Berg steiget noch sein Ende anrühret, denn wer den Berg anrührt, soll des Todes sterben. Keine Hand soll ihn anrühren, sondern er soll gesteinigt oder mit Geschossen erschossen werden, es sei ein Tier oder Mensch, so soll er nicht leben. Wenn es aber lange tönen wird, dann sollen sie an den Berg gehen. (2. Moses 19,10-13)

Als nun der dritte Tag kam und es Morgen war, da erhob sich ein Donnern und Blitzen und eine dicke Wolke auf dem Berge und ein Ton einer sehr starken Posaune. Das ganze Volk aber,

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das im Lager war, erschrak. Und Mose führte das Volk aus dem Lager Gott entgegen und es trat unten an den Berg.

Der ganze Berg Sinai aber rauchte, darum dass der Herr herab auf den Berg fuhr mit Feuer und sein Rauch ging auf wie ein Rauch vom Ofen, dass der ganze Berg sehr bebte. Und der Posaune Ton wurde immer stärker Mose redete und Gott antwortete ihm laut. (2. Moses 19,16-19)

Nicht nur Moses hatte eine Begegnung mit Gott am vulkanischen Berg. Der Prophet Elia erfuhr die Gottesoffenbarung ebenfalls an einem Vulkan. Hier die Texte, die in die christliche Bibel übernommen wurden:

Und kam dort in eine Höhle und blieb dort über Nacht. Und siehe das Wort des Herrn kam zu ihm über Nacht. Was machst du hier, Elia?

Er sprach: Ich habe geeifert um den Herrn, den Gott Zebaoth, denn die Kinder Israels haben deinen Bund verlassen und deine Altäre zerbrochen und deine Propheten mit dem Schwert getötet und ich allein bin übrig geblieben und sie trachten nach meinem Leben.

Er sprach: Gehe hinaus und tritt auf den Berg vor den Herrn! Und siehe, der Herr ging vorüber und ein großer, starker Wind, der die Berge zerriss und die Felsen zerbrach, ging vor dem Herren her Der Herr war nicht in dem Winde. Nach dem Winde aber kam ein Erdbeben, aber der Herr war nicht im Erdbeben.

Und nach dem Erdbeben kam ein Feuer, aber der Herr war nicht im Feuer Und nach dem Feuer kam ein stilles, sanftes Sausen.

Da das Elia hörte, verhüllte er sein Antlitz mit seinem Mantel und ging heraus und trat in die Tür der Höhle. Und siehe, da kam eine Stimme zu ihm und sprach: Was hast du hierzu tun, Elia? (1. Könige 19,9-13)

Die Rückreise des Elia:

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Aber der Herr sprach zu ihm: Gehe wiederum deines Weges durch die Wüste gen Damaskus und gehe hinein und salbe Hasael zum König über Syrien. (1. Könige 19,15)

Diese Wegbeschreibung, wie wir sie in der Bibel finden, könnte zwar auch auf die Sinai-Halbinsel deuten, jedoch ist es ebenso wahrscheinlich, dass hier der Rückreiseweg - quer durch die Arabische Wüste oder entlang des Zivilisationsstreifens - beschrieben wird. Kehren wir zu den wichtigsten Thesen und Überlegungen von Reverend Phythian-Adams zurück.

2. Rätselhaft im biblischen Text sind einzig noch die Gesetzestafeln, die durch die Hand Gottes geschrieben und durch Moses den Israeliten gebracht wurden.

3. Könnte es sein, dass die ganze Geschichte um den Berg Sinai eine heilige Mär ist, den Israeliten zum Trost und zur Begründung der Riten von der Priesterschaft gegeben? Reverend Phythian-Adams antwortet: »Sieht man jedoch, wie seit Jahrtausenden die Überlieferung den Horeb-Sinai betreffend die Nachkommen dauerhaft und nachhaltig geprägt hat, sollte man diese Möglichkeit eher verneinen.«

4. Wenn also der Berg Sinai in Wahrheit ein Vulkan war, kann er sich nur im Land Midian befunden haben. Vieles deutet darauf hin, dass das Midianische Land östlich von Araba und dem Golf von Akaba gelegen hatte. Seine Ausdehnung in alten Zeiten reichte von Moab im tiefen Süden (Jemen) mindestens bis Dedan (el-Äla).

5. Es gibt nur zwei vulkanische Regionen in geographischer Nähe zu dem antiken Midian. In beiden Regionen gibt es zweifelsohne seit uralter Zeit aktive Vulkane. Eines der Vulkanfelder befindet sich weit im Norden, nahe Maran, das andere formt den heutigen Harat des nördlichen Hijaz.

6. Die Archäologen, die den Berg Sinai der Bibel suchten, haben die Möglichkeit, dass sich der Berg Gottes außerhalb der Sinai-Halbinsel befinden könnte, völlig außer Acht gelassen.

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Zu der Frage, warum sich die Führer des Judentums in der Antike so schwer taten, über Jerusalem hinaus südwärts zu blicken, merkte Ali im Gespräch mit mir an: »Dafür hatten sie gute Gründe. Einmal wegen der Nähe zu einer Region, die den Israelis als �Edom� bekannt war. Diese Nähe war ihnen nicht angenehm.

Dann auch, weil die Entfernung zu Ägypten, aus dem die Israelis laut biblischen Berichten ausgezogen waren, einfach zu groß ist. Sie hielten es für unmöglich, dass Moses mit so vielen Menschen eine so weite Wegstrecke in neunzig Tagen hätte bewältigen können. Die Strecke dürfte über das heutige Suez weiter nach Akaba verlaufen sein, dann südlich hinab bis in die Gegend mit der vulkanischen Aktivität, den Lavafeldern. Das waren zwischen achthundert und 1400 Kilometern, demnach zehn oder mehr Kilometer pro Tag. Rechnet man die Tagesleistung eines Kamels mit fünfzig Kilometern, wäre dies durchaus möglich - falls es sich um hundert oder zweihundert Reisende handelte, die durch ein perfektes System versorgt würden. Wenn ich aber mit zehntausend oder mehr Menschen eine solche Strecke zurücklegen muss, bricht jede Logistik zusammen. Wir reden hier ja nicht von der Leistung eines Einzelnen oder einer kleinen Gruppe, sondern von der Bewegung eines Trecks von zehntausend Menschen und mehr, die mit Wasser und Lebensmitteln versorgt werden müssen.«

7. In den vulkanischen Regionen von Harat findet man ohne Mühe eine Örtlichkeit, die der Beschreibung der Bibel entspricht. Dort befindet sich folglich der gesuchte Berg. Die Überlieferungen der israelischen Berichterstatter von den Geschehnissen mit und um Moses stimmen in zahlreichen Details mit den dortigen Verhältnissen überein.

8. Nach Abwägung aller Gesichtspunkte ist zu schlussfolgern, dass der Berg mit dem heutigen Namen Thadra hadr el Bedr der biblische Berg Horeb-Sinai ist. »Wir suchen nach einem Berg Gottes, einem Vulkan. Hier ist er.«

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Die Entdeckung der Täler der Propheten und Patriarchen

Wie ging die Suche nach dem Berg Gottes weiter? In den dreißiger und vierziger Jahren wüteten der Nationalsozialismus und der Zweite Weltkrieg. Während dieser Zeit gerieten auch die Bemühungen um die Suche nach dem Berg Gottes wieder in Vergessenheit. Nach dem Krieg wurde in Palästina eine neue Situation geschaffen, indem man den Staat Israel proklamierte. Dadurch konzentrierte sich das öffentliche Interesse auf die Stadt Jerusalem.

In der Folge begannen israelische Archäologen ihrerseits, systematisch nach der geschichtlichen Identität ihres Volkes zu suchen. Das führte zu Reaktionen der angrenzenden islamischen Staaten. Sie unterbanden den Zugang zu archäologischen Fundstätten auf ihren Territorien, wann immer es um historische Hintergründe des Alten Testaments ging, um keine Gebietsansprüche des neu entstandenen Staates Israel zu begünstigen.

Für die Eden-Forscher war diese Entwicklung seit Mitte des

20. Jahrhunderts eine Katastrophe. Das bereits Bekannte drohte in den Auseinandersetzungen um Palästina in Vergessenheit zu geraten. Fundstätten wurden noch schwerer zugänglich als zuvor. Politische Interessen engten die Freiheit der Wissenschaft noch ärger ein.

In diesem Zusammenhang ist ein Aspekt interessant, auf den mich Ali in Akaba aufmerksam machte: die Rückgabe der Sinai-Halbinsel an die Ägypter. Bekanntlich hatten die Israelis im Zusammenhang mit dem ägyptischisraelischen Konflikt auch die Sinai-Halbinsel besetzt. Der Mosesberg auf dem Sinai und das umliegende Gelände wurde in der Folge - unter Ausschluss der Öffentlichkeit - systematisch von uniformierten israelischen

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Archäologen untersucht. Es sei eine fieberhafte, ja geradezu ver- zweifelte Suche gewesen, so Ali, unter Einsatz aller modernen Aufklärungsgeräte. Doch das Ergebnis war niederschmetternd: Es fanden sich keinerlei Beweise für eine frühere israelische Anwesenheit auf dem Sinai. »Wenn sie dort irgendetwas gefunden hätten«, kommentierte Ali, »hätten sie den Sinai sicher nie mehr an Ägypten zurückgegeben.« Auch diese Episode stützt also die Annahme der Außenseiter-Archäologen, dass der Berg Gottes nicht auf der heutigen Sinai-Halbinsel zu suchen sei.

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Ein Bann über den Thadra

»Ohne direkte politische Beteiligung«, so erzählte Ali weiter, »wurde in den sechziger Jahren nochmals versucht, das Gebiet um den Horeb-Sinai auf saudiarabischem Territorium auszukundschaften. Diesmal war es eine belgischfranzösische Gruppe, die in den Lavafeldern auf dem Plateau des Thadra forschte. Dies dürfte in Absprache mit den Saudis geschehen sein, und nach meinen Informationen war genau festgelegt worden, in welchem Rahmen die Ergebnisse zu publizieren seien.«

Doch die Forscher hielten sich nicht an diese Absprache. »Im Jahr 1969«, erinnerte sich Ali, »veröffentlichte diese Gruppe in Paris ein Buch und verstieß damit gegen die Abmachung. Ich weiß aus der Umgebung des Königs, dass daraufhin die weitere Erforschung der Lavawüste um den Thadra endgültig verboten wurde.«

Waren die Belgier und Franzosen damals noch erpicht, den Berg Moses zu identifizieren, so war Ali schon einen gewaltigen Schritt weiter: Ihm ging es nicht mehr nur um einen Berg - ihm ging es um alles!

Ali kannte eines der Mitglieder der französischbelgischen Gruppe, denn er arbeitete zu jener Zeit parallel im selben Gebiet. Nur suchte er in der Lavawüste nicht den Horeb-Sinai, sondern nach Pharaonengräbern, also nach einer Stätte, die dem Tal der Könige in der Nähe des heutigen Luxor zum Vorbild gedient haben muss. Von dem Belgier erfuhr er später, dass die besagte Gruppe ernst zu nehmende Morddrohungen seitens islamischer Untergrundgruppen wie auch seitens israelischer Kreise erhalten habe. Die Belgier und Franzosen zogen sich umgehend aus dem Gebiet zurück. So war ein Thema, das die Juden, die Christen und die Moslems brennend interessieren müsste, im 20. Jahrhundert zu einem fast unüberwindlichen

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Tabu geworden.

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Ein Sprachforscher entdeckt das Heilige Land

Gut fünfzehn Jahre später, im Jahr 1985, veröffentlichte Kamal Salibi, ein Linguistikprofessor aus Beirut, eine These über die Herkunft der Israelis. Sein Buch beginnt mit folgenden Worten: »Es war eine Entdeckung, wie sie nicht alle Tage vorkommt. Ich suchte in Westarabien nach Ortsnamen nichtarabischen Ursprungs und entdeckte das Heilige Land.«

Ali hatte mich auf dieses Buch aufmerksam gemacht, weil Kamal Salibi zu dem Ergebnis kam, dass die Ursprünge Israels in der Region Asir, südlich von Mekka, an der Küste des Roten Meeres zu finden seien. Dies folgerte er nicht aus archäologischen Funden, sondern aus den Ortsnamen in der dortigen Gegend, die eindeutig nichtarabischen Ursprungs sind, sich aber mit Ortsangaben und -namen in der jüdischen Überlieferung decken.

Fürwahr, ein brisantes Resultat. Ali pries mir die Genialität dieses Mannes, der seiner Meinung nach auf der Suche nach dem Paradies weiter gekommen war als er selbst mit all seinen Expeditionen in die Wüsten Arabiens.

Untersucht man, wie Kamal Salibi es getan hat, die organisatorische Struktur der Siedlungen an der Küstenlinie des Roten Meeres, dann findet man

� südlich von Mekka das Land Asir, � in Mekka den Ehrenstein (Kaaba), den der Überlieferung

nach Abraham und sein Sohn Ismael errichteten, � nördlich davon das Tal der Propheten und das Tal der

Patriarchen sowie eine unterirdische Nekropole. Dieses System ist erkennbar der Symbolik des alten Ägypten

verpflichtet. Dort galt der Norden als Totenreich. Nördlich von Asir liegen die Gräberanlagen. Aber auch andere altägyptische

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Ansichten wurden auf der Arabischen Halbinsel umgesetzt: Der Osten galt in Ägypten als Region der Geburt oder des

Eintritts ins Leben, der Westen als Region des Austritts der Seele aus dem Körper. Und tatsächlich liegen, vom Mittelpunkt des Paradieses aus gesehen, die Täler der toten Ahnen im Westen, also genau in der nach altägyptischer Ansicht richtigen Position.

Kamal Salibi wies außerdem nach, dass die bedeutenden Persönlichkeiten in Asir Gärten anlegen ließen, da der Vornehme ohne eigenen Garten dort nichts galt. Verschiedene Orte in Südwest-Arabien tragen den Namen von Gärten, die Salibi mit dem Garten Eden vergleicht. Es liegt nahe, zu vermuten, dass die im dortigen Raum siedelnden Menschen solche Gärten im Miniaturformat für sich anlegten, da sie sie an eine gute und schöne Zeit erinnerten.

Kamal Salibi verfolgt die Frage nicht weiter, warum die Juden in biblischer Zeit gerade in Asir siedelten, also südlich der Grabanlagen ihrer Urväter. Anders Ali: »Man muss es im Zusammenhang mit einem größeren Ganzen sehen«, erklärte er mir. »Die in Asir siedelnden Juden waren nicht die Gesamtheit der Nachkommen des Sem, sondern ein Bund von Familien und Stämmen, die sich zusammengehörig fühlten und in südwestlicher Richtung aus dem Zentrum des Paradieses auswanderten.«

Alis Hypothese: »Warum sie ausgewandert sind, liegt auf der Hand. Die Lebensbedingungen in Zentral-Arabien waren unerträglich geworden. Tatsächlich gibt es im zentralarabischen Raum schon seit sehr langer Zeit keine vernünftige Lebensmöglichkeit mehr für eine größere Anzahl Menschen. Die Beduinen, die in den verwüsteten Landstrichen herumziehen, sind Überlebenskünstler, die allenfalls bewahren können, was sie ererbt haben. Sie sind weit davon entfernt, das, was wir unter Zivilisation oder Kultur verstehen, selbst zu entwickeln oder gar weiter zu entwickeln. Derzeit kaufen sie

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sich die Errungenschaften westlicher Kultur mit ihren Petrodollars. Ohne diese Einnahmen wären sie heute nicht weiter als ihre Vorfahren.«

Dann lenkte Ali meine Aufmerksamkeit auf die Frage, wohin die einstigen Bewohner unbewohnbar gewordener innerarabischer Regionen gezogen sein mochten.

Eine Gruppe könnte nach Osten gewandert sein: »Im Osten Arabiens entstanden mehr oder weniger plötzlich die Reiche Sumer, Assyrien und Babylon. Sicher profitierten sie von den Kulturgütern, die die Auswanderer aus dem zentralen Arabien dorthin mitbrachten. Für die Auswanderer selbst lag es nahe, gerade dorthin zu ziehen. Der gesamte Osten war fruchtbar und stellte ein gutes Leben in Aussicht. Interessant sind in diesem Zusammenhang auch die Hängenden Gärten der Semiramis. Hat sie einst versucht, für sich den Garten Eden en miniature nachzubauen?«

Als Nächstes schauten wir nach Westen. Wenn eine weitere Gruppe dorthin zog, so wurde ihre Wanderung durch das Rote Meer gestoppt. In der Nähe der Küste hätten sie jedoch erträgliche Lebensbedingungen vorgefunden. Im Nordwesten gab es allerdings Regionen mit vulkanischer Aktivität, in denen man auf Dauer nicht angenehm siedeln konnte. »Dort befinden sich«, erklärte Ali, »wie wir heute wissen, die Grabanlagen der Patriarchen der ersten nachparadiesischen Zeit. Darin kann man eine gewisse Logik erkennen: Der weniger attraktive Norden wird zum Reich der Toten, weil man dort ohnehin nicht auf Dauer leben kann.«

Jedenfalls muss für diejenigen, die nach Westen auswanderten, der nordwestliche Teil tabu gewesen sein. So blieb ihnen nur der südwestliche Abschnitt Arabiens. Dorthin scheinen sie auch tatsächlich gegangen zu sein, denn genau dort fand der Linguist Kamal Salibi die Ortsnamen der Bibel wieder und stieß auf die uralte Sitte, nach der ein vornehmer Mann einen Garten besitzen muss.

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Salibis These, dass Abraham und seine Nachkommen aus diesem Teil Arabiens kommen, hat viel für sich. Nur sollte man nicht aus dem Blick verlieren, dass es sich um die Nachfahren von nur einer Gruppe gehandelt haben dürfte, die gezwungen waren, das mehr und mehr versandende Paradies zu verlassen.

Danach wandten wir uns dem Bereich zu, der nördlich des Paradieses lag. Auch die Küstenlinie vom Nildelta bis hinauf nach Syrien muss als Siedlungsraum für mögliche Auswanderer aus dem Paradies gesehen werden. Die günstige strategische Lage am Mittelmeer und als Durchzugsgebiet von und nach Ägypten machte den Norden zum »Gelobten Land«. Die nördliche Grenzregion des Paradieses war folglich - nach Ägypten sowie Mesopotamien - attraktiv genug, um als Zuwanderungsland für die mit weniger Glück gesegneten Auswanderer zu gelten. Es sollte nicht verwundern, dass die in abgelegenere Regionen verzogenen Auswanderer aus dem Garten Eden, zum Beispiel die Bewohner von Asir, später auch zu den Honigtöpfen des Lebens und der Kultur in der Nordregion strebten. Dies geschah tatsächlich, wie im Alten Testament nachzulesen ist.

Wer in den Süden auswanderte, den heutigen Jemen, darüber konnte Ali nichts sagen, denn das war nicht sein Arbeitsfeld gewesen. Aber da gab es noch einen anderen Punkt, auf den er mich aufmerksam machen wollte.

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Wo wurden Adam und Eva begraben?

Diese beiden Namen sind für uns untrennbar mit dem Garten

Eden verbunden. In der christlichen Überlieferung wird kein Wort über die Grabstätte der Stammeltern verloren. Dagegen sind in den Märchen und Legenden der Juden viele Anekdoten über sie zu finden. In einer davon heißt es: »Adam und Eva ruhten in ihrem Grabgewölbe. Da kam Abraham und wollte sein Weib Sara dort selbst bestatten.« Weiter berichtet die Legende, dass Adam und Eva sich geweigert hätten, zusammen mit Sara, dem Weib Abrahams, zu ruhen. In der Geschichte wird geschildert, dass Adam und Eva ihre Gräber verließen, als Sara beigesetzt werden sollte. Sie begründeten ihre Haltung damit, »dass sie sonst ständig an ihre Sünde, die sie im Paradies begangen hätten, erinnert werden würden«. Abraham versöhnte schließlich Adam und Eva, und Sara wurde in ihrer Nähe beigesetzt.

Ali grinste mich an und fügte hinzu: »Laut dieser Überlieferung sind also Adam und Eva in derselben Grabanlage beigesetzt wie Sara.« Ich bejahte. »Folglich liegen irgendwo in der Nähe des Berges Gottes nicht nur Abraham und Sara«, fuhr er fort, »sondern auch Adam und Eva und somit auch Isaak, der Sohn der Sara, und vielleicht auch Ismael, der Sohn der Hagar, und womöglich Moses und Elias und Jeremias... ob es nun den heutigen Politikern im Islam, in Israel und der christlichen Welt gefällt oder nicht.«

In diesem Augenblick wurde mir die ganze Brisanz des Themas bewusst. Spontan beschloss ich damals, meinen Informanten in diesem Buch nur unter dem Pseudonym Ali vorzustellen, um ihn und seine Helfer in Saudi-Arabien nicht zu gefährden.

»Ich bin überzeugt davon, dass sie dort alle ruhen«, sagte Ali,

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»in der Nekropole im Tal der Patriarchen. Per Zufall bin ich durch einen Nebeneingang hineingelangt, in die unterirdische Anlage mit den Hohlräumen und Kammern der Toten. Dort habe ich nur den Zipfel eines Tuches angehoben. Was ich zu sehen bekam, hat mich weder erschreckt noch überwältigt. Was würde aber geschehen, wenn diese Entdeckung politisch bzw. religionspolitisch ausgeschlachtet würde?«

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2. Kapitel: Von den Tücken einer Wüstentour

Damit meine Leser würdigen können, welch unglaubliche Leistung Ali mit seinen Entdeckungen vollbracht hat, führe ich an dieser Stelle noch einige weitere Hintergrundinformationen an.

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Die Gesetze des Bakschisch

Wer eine private Erkundung in den Wüsten Arabiens vornehmen will, benötigt in erster Linie Insiderwissen - und eine Menge Geld. Schon die Ausrüstung für eine solche Unternehmung ist kostspielig. Ein Allradfahrzeug könnte schnell gekauft werden, es eignet sich aber nicht für den Einsatz auf Pfaden, die mit Geröll und Felsbrocken teilweise versperrt sind. Und wer eine Ausrüstung für sich und seine Begleiter nach den tatsächlichen Erfordernissen zusammenstellt, fällt in Arabien sofort auf.

Man stelle sich vor: ein Ausländer, der auf dem Markt nach wüstentauglichen und trainierten Kamelen fragt! Wozu braucht er solche Transportmittel? Und weshalb ist er von einheimischen Begleitern umgeben? Was hat diese Gruppe vor? Überall sind Späher im Interesse des Weiterbestehens des Königreiches aktiv. Und jeder Offizielle, der von solchen Käufen erfährt, durchschaut in Jordanien sofort, wofür die Kamele benötigt werden. Und das gilt genauso für alle anderen Waren und Ausrüstungsgegenstände.

Trotzdem ist im Orient heute wie vor hundert Jahren grundsätzlich alles möglich. Das Zauberwort heißt Bakschisch. Doch die hohe Schule des Bakschisch-Gebens verwirrt den unerfahrenen Europäer.

Wer gelernt hat, warum man Bakschisch geben muss, um Bakschisch geben zu dürfen, ist auf dem Weg, die wahren Geheimnisse des Orients kennen zu lernen, der keine politischen Grenzen kennt. Darauf kommt es eben an. Der Einsatz der richtigen Mittel zur richtigen Zeit, unter Berücksichtigung des Aberglaubens der Muslime, unterstützt das Glück auf der Reise und optimiert den Erfolg am Reiseziel.

Wer dagegen glaubt, mit einem Budget von mehreren Millionen Pfund oder Dollar anreisen zu können, um alle

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illegalen und legalen Wege mit Bakschisch zu pflastern, der erreicht gar nichts. Allenfalls riskiert er seinen gewaltsamen Tod. Bis zum anvisierten Ziel wird er zwar fast immer mit seinen Bakschischgaben kommen, aber dann wacht er eines Morgens mit durchschnittener Kehle auf.

Warum so kurz vor dem Ziel? Zwei Punkte spielen hier eine Rolle: Zum einen sehen die treulosen Helfer voraus, dass der Reisende, wenn das Ziel erreicht ist, freiwillig kein weiteres Bakschisch mehr geben wird. Zum anderen hegen die begleitenden Muslime Zweifel, dass die Ziele des Reisenden Allah wohlgefällig sind. Wer den Reisenden unterstützt, könnte demnach Allahs Zorn auf sich ziehen. Sollten Sie also selbst ein solches Abenteuer planen, berücksichtigen Sie unbedingt, dass ein Bakschisch zum Beispiel zwar Türen öffnen kann, sich aber die Erlaubnis, durch diese Tür zu schreiten, niemals erkaufen lässt.

Auf diese Erlaubnis kommt es jedoch an. Um sie zu erhalten,

muss man sich in den arabischen Ländern noch heute einem mehrstufigen Ritual unterziehen. Was der Reisende benötigt, ist eine Sicherheitsgarantie für die Dauer der Reise, des Aufenthaltes an einem bestimmten Ort und der Rückreise bis zum Ausgangspunkt. Hierbei muss man versuchen, die Hierarchie von oben nach unten, also bis zur untersten Stufe, in eine Pflicht zu nehmen, der sich niemand entziehen kann.

Um eine Vorstellung zu vermitteln, was dies in der Praxis bedeutet, gebe ich hier ein schematisiertes Beispiel: Als Erstes muss man sich darum bemühen, das Einverständnis der Familie zu bekommen, die die Oberhoheit über das Staatsgebiet besitzt. Das kann sich über Wochen hinziehen. Bei den Gesprächen sind stets islamische Schriftgelehrte dabei, die jeden Beschluss der weltlich Mächtigen auf Übereinstimmung mit dem Koran prüfen.

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Die Erlaubnis schließt eine Sicherheitsgarantie für den Reisenden und seine Begleitung ein. Stößt ihm dennoch etwas zu, dann hat der König selbst in gewissem Sinne in der Gesellschaft sein Gesicht verloren. Daher wird er sich bemühen, den Betreffenden mit der nächstunteren Instanz in Kontakt zu bringen. Von diesem Augenblick an begleiten seine Sicherheitskräfte den Schutzbefohlenen.

Nun wiederholt sich das Ritual um die Genehmigung und die Bitte um Schutz auf dieser hierarchischen Ebene. Die Genehmigung wird auch diesmal gewährt. Schutzleute des ersten und des zweiten Garanten begleiten den Reisenden nun zur nächsten Instanz. Das wiederholt sich meist noch mehrmals, bis man schließlich bei den Familien der künftigen Begleiter angelangt ist, die auch gefragt werden müssen.

Sechs Monate kann es durchaus dauern, bis ein solches Genehmigungsverfahren überstanden ist. Inzwischen mag vielleicht eine für die geplante Unternehmung ungünstige Jahreszeit angebrochen sein. Juni bis Ende August - die Zeit der größten Hitze. Oder der Ramadan. Und schon ist in Frage gestellt, ob die Garantien noch gültig sein werden, wenn man endlich aufbrechen kann.

Ali hatte anfangs versucht, diese orientalischen »Dienstwege« einzuhalten. Damals war er noch ordentlicher Professor an einer Universität in Großbritannien. Diese Position musste er jedoch bald aufgeben: Wenn ein offizielles Institut dahinter stand, konnte eine solche Prozedur bis zu zwei Jahren dauern. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als den Weg aller hier in Akaba anwesenden Eden-Archäologen zu gehen, illegal seine Arbeit zu tun und mit einem diskreten Bakschisch-System zu operieren.

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Der Schlüssel zum Glück

Während meines Aufenthalts in Jordanien nahm Ali mich einmal mit nach Amman. Er wollte sich in der Hauptstadt mit einem Briten treffen, der ihm in Damaskus einen Karton voll potenzsteigernder Mittel besorgt hatte. Es waren Testosteron-Präparate, die man in Europa nicht ohne ärztliche Verordnung bekommen konnte. In Damaskus war das kein Problem, nur gab es nicht genug davon. Potenzsteigernde Mittelchen gehörten zu den begehrtesten Gastgeschenken, die ein Wüstenreisender seinem Gastgeber mitbringen konnte.

Wie Ali mir erzählte, sind ein paar Schachteln dieser Präparate der beste Passepartout, falls man in den Wüsten der Arabischen Halbinsel einer Patrouille begegnet. Das gilt vor allem dann, wenn man aus früheren Begegnungen schon bekannt ist als jemand, der sich an die orientalischen Spielregeln hält: Dann ist die Patrouille beim nächsten Mal pünktlich zur Stelle und wartet mehr oder weniger schon auf ihre Ration.

Was steckt hinter diesem seltsamen Verhalten? mag sich der westlich erzogene Leser fragen. Ali erklärte es mir so: Wenn die orientalische Frau auch im Schatten ihres Mannes steht, gilt dies doch nur in der Öffentlichkeit und auf der Straße. Im Haus, in der Wohnung oder im Zelt ist sie dagegen die Herrin. Der Mann hingegen wird mit zunehmendem Alter, wenn seine Manneskraft nachlässt, zum Spottobjekt der Frau. Dies scheint eine Art Rache der Herrinnen der Zelte für die vorangegangenen Jahre des Zusammenseins zu sein.

Im Übrigen hat Muhammad verfügt, dass jede Frau den Anspruch hat, von ihrem Mann mindestens einmal in der Woche glücklich gemacht zu werden. Sie kann dieses Recht in der Moschee geradezu einklagen. Laut Ali gibt es daher für den älteren Mann nur zwei Möglichkeiten, um die vom Propheten ihm auferlegten Pflichten zu erfüllen: Entweder er erhält sich die

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männliche Lendenkraft, oder er erfreut das Herz seiner Frau mit Schmuck.

Kein Wunder also, dass diese Testosteron-Mittel bei den Beduinen derart geschätzt werden! Ali erzählte mir, dass er einmal in einem Nomadenzelt für einige Schachteln solcher Tabletten Wasser für sich, seine Begleiter und die Tiere bekam und noch zusätzlich Kamelfutter für mehrere Tage erhielt. Ein anderes Mal verhandelte er drei Tage lang um das Recht, an mehreren geheimen Brunnen der Beduinen in der Wüste Wasser entnehmen zu dürfen. Die Vereinbarung sah vor, dass er jeweils eine Schachtel jener Mannesstärkung in einer Plastikdose luftdicht verpackt beim Brunnen hinterließ.

»Glaube ja nicht«, sagte er mir, »dass dich die Augen der Beduinen nicht ständig begleiten. Die wissen über jeden deiner Schritte Bescheid. Ich habe niemals eine solche Vereinbarung gebrochen. Und die Stammesvorsteher hatten allen Grund, für meine gesunde Wiederkehr zu diesen Brunnen zu beten.«

Solches »Bakschisch« ist in der Steinwüste jedenfalls unschätzbar wertvoll. Nicht immer und in allen Regionen konnte Ali sich problemlos bewegen. Es gab, meist auf der Rückreise, manch brenzlige Situation, in der er sich mit ein paar Schachteln Lendenkraftverstärker freikaufen konnte. Oftmals musste er auch versprechen, wiederzukommen und mehr von dem Zaubermittel mitzubringen. Ali meinte damals, dass dies die beste Lebens- und Sachversicherung sei, die man heutzutage in den Wüsten Arabiens abschließen könne - immer vorausgesetzt, dass man die Sitten genau kennt und sich auch daran hält.

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3. Kapitel: Die Entdeckung der Täler der Propheten und Patriarchen

Die Namen der beiden Täler stammen von Ali. Die Kombination aus Berg- und Feldmassiv in der Umgebung der Lavafelder erinnerte ihn sehr an das Tal der Könige nahe dem heutigen Luxor, dem einstigen tausendtorigen Theben in Ägypten.

Aber es gab noch eine weitere Übereinstimmung. In Luxor nimmt der Tourist kaum zur Kenntnis, dass in weitem Umkreis um das Tal der Könige seinerzeit die Gräber der vornehmen Ägypter angelegt wurden. Noch heute ist dies ein Eldorado für einheimische Grabräuber mit Familientradition. Wer in einem der Luxushotels einen Kellner anspricht, merkt schnell, ob dieser aus einem der Dörfer der Westbank stammt. Wenn er es versteht, das Vertrauen einer solchen Familie zu erlangen, kann er auch heute noch viel von heimlich geöffneten Gräbern erfahren, von entwendeten Statuen und von Großvätern und Vätern, die auf diese Weise reich geworden sind und nun ein Geschäft im Basar betreiben.

Doch auffälliger als diese Ähnlichkeiten ist der Unterschied zwischen den arabischen Tälern, die Ali benannt hat, und dem Tal der Könige in Ägypten. Dieses befindet sich unweit des Nils in einem durchaus noch bewohnbaren Landstreifen, die Täler der Propheten und Patriarchen dagegen liegen in einer lebensfeindlichen Region Arabiens. Das Gebiet ist daher auch menschenleer, sieht man von einigen wenigen Beduinenfamilien ab, und selbst die leben zwei bis drei Kamel-Tagesreisen von den Tälern entfernt.

Ali vermutet, dass es dort zwei Nekropolen gibt. Ob diese Einschätzung zutrifft, wird sich aber erst bei einer genaueren

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Exploration zeigen. Daher nannte er das Gebiet, in dem er die Grabanlage des Abraham betreten hatte, das Tal der Patriarchen und das andere, etwa sechs Kilometer entfernte Tal mit Gräbern das Tal der Propheten.

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Das Tal der Propheten

Das Prinzip, dass sich Menschen in der Nähe von Gräbern prominenter Staats- oder Religionsführer beisetzen lassen, ist auch in den Tälern der Propheten und Patriarchen wirksam. Ali schilderte mir die Situation im Tal der Propheten wie folgt:

»Dringt man durch die für Fahrzeuge unzugängliche enge Schlucht in diesen Talkessel ein, dann stößt man seitlich an den Felshängen, die zum Teil unter Lavaströmen der letzten aktiven Phase vor mehreren hundert Jahren begraben sind, auf die Reste von sichtbaren Grabanlagen. Eine ähnliche Anordnung findet man überall, wo in der Antike Nekropolen entstanden sind, nur dass hier Kammern in die Felswände gehauen wurden.

Ein Grab im Sand zu finden, wie im Umkreis des Tals der Könige in Ägypten«, fuhr Ali fort, »ist dort nicht möglich. Alles ist felsig, von Geröll bedeckt. Die Winde haben die Vulkanasche wohl schon vor Jahrhunderten wieder weggeblasen. An einigen Stellen sieht man die erodierten Fassaden ehemals wohl sehr prächtiger Gräber.«

In dem Talkessel herrschen von Juli bis September bis zu 65 Grad Celsius im Schatten. Erbarmungslos scheint die Sonne. Das Gestein kann bis zu 70 Grad Celsius heiß werden, weshalb Ali immer Asbesthandschuhe dabeihatte. Halbwegs erträglich sind die Monate von November bis März, doch in dieser Zeit gibt es stattdessen Probleme mit giftigem Ungeziefer.

Die Menschen, die dort einst eine Totenstadt oder ein Kultzentrum nebst Nekropole betrieben, hatten die Felswände prachtvoll verziert. Dahinter befindet sich eine Art Gangsystem, das Höhlenwohnungen miteinander verbindet.

Sehr viel weniger offensichtlich sind die uralten Spuren im Tal der Patriarchen.

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Das Tal der Patriarchen

Das Gebiet dort ist, wie gesagt, vulkanisch und erlebte in der Vergangenheit immer wieder schwere Erderschütterungen, die Vulkanausbrüche begleiteten oder diesen vorausgingen. Die Lava hat den größten Teil der Nekropole unter sich begraben.

Wer das erste Mal vor Ort weilt, so Ali, würde dort niemals eine archäologische Sensation vermuten. Von prächtigen Grabanlagen der Patriarchen ist nichts zu sehen. Nur wer mit dem Bibeltext im Kopf, wissend, worauf er zu achten hat und wonach er suchen muss, das Gelände begutachtet, wird Übereinstimmungen finden. Doch das allein würde nicht genügen - es gehörte schon eine Portion Glück dazu, dass er auf einen Zugang in die unterirdische Totenstadt stieß.

Der Talkessel selbst hat einen Durchmesser von einigen Kilometern und ist von ovaler Form. Innerhalb dieses Ovals erhebt sich eine unregelmäßige Felsformation, die heute wie ein roher Felsblock wirkt. Eine etwas kleinere befindet sich dicht daneben. Beide sehen aus, als ob sie einst Teile eines Ganzen gewesen sein könnten.

Die Abmessungen betragen etwa 175 Meter in der Länge und 110 Meter in der Breite. An der höchsten Stelle misst man etwa achtzehn Meter, sonst um die zwölf Meter (siehe Abbildung 4).

»Diese Felsformation fällt deshalb auf«, so Ali weiter, »weil man bei ihrer Umrundung an der einen Spitze die in den Stein gehauenen, völlig verwitterten Umrisse eines Löwenkopfes erkennt.« Nach seiner Entdeckung der Felsgräber im Tal der Propheten stach dieser Löwenkopf Ali sofort ins Auge. Sein erster Eindruck damals war, dass es sich um die Verzierung eines Brunnens handeln müsste, denn der Fels war an dieser Stelle gespalten, und ein Riss von einer Handbreite klaffte dort, in leichter Schräge von links unten nach rechts oben. Allerdings floss kein Wasser. Ob dort je Wasser geströmt ist, konnte Ali bei

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seinen ersten Untersuchungen nicht feststellen. In der Felsformation hatte sich ein weiterer Riss gebildet, eine

Querspalte. Ali führte dies auf die Erdbebenaktivität in diesem Gebiet zurück. Vorsichtig untersuchten er und einer seiner Begleiter beim ersten Besuch des Tals diese Spalte. Sie war gerade so breit, dass ein Kamel hindurchpasste. Nach etwa dreißig Metern verbreiterte sich der Spalt zu einem künstlich gehauenen, aber in seinen Ausmaßen unregelmäßigen Raum von sieben bis fünfzehn Metern Breite und zwischen sechs und neun Metern Höhe. Was auch immer einst hier geschehen war, der Felsen war entlang seiner Längsachse gespalten worden. Vielleicht, weil er künstlich ausgehöhlt worden war. Fast über die gesamte Länge zog sich der Spalt und gab den Blick auf den Himmel frei, so dass

Sonnenlicht eindrang. Der Boden unter dem Spalt war knapp einen Meter hoch mit Geröll bedeckt.

Abbildung 4: Die Felsformation im Tal der Patriarchen.

Langsam drangen Ali und seine zwei Begleiter weiter in den

Felsen vor. Dabei mussten sie sehr vorsichtig vorgehen. Sie waren damals schon ein von Ali gut trainiertes und eingespieltes Team, das sich umsichtig bewegte, um giftige Bisse und Stiche durch aufgeschrecktes Getier zu vermeiden.

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Ein Mann - meist Ali selbst - konzentrierte sich auf die Erkundung der Stätte. Der eine Begleiter kontrollierte jede Fuge, jede Spalte, jeden Riss vom Boden bis zur Schulterhöhe, ob dort ein Tier lauerte. Der andere Begleiter kontrollierte den Gang oberhalb der Schulterhöhe auf mögliche Unterschlupfe der Tiere. Die beiden Wächter mussten jeden Quadratzentimeter im Umkreis von zwei Metern um Ali im Auge behalten und sofort aktiv werden, wenn sich eine Gefahr zeigte. Besonders gefährlich waren aufgeschreckte Schlangen, die sich in der etwas kühleren Umgebung dieses Spaltes eine Ruhenische gesucht hatten. Während der Untersuchung des Felsgangs, die damals insgesamt drei Tage dauerte, gab es mehrere Zwischenfälle dieser Art. Das professionell vorgehende Team konnte jedoch jede Gefahr sofort entschärfen.

Das Ergebnis der Erkundung selbst war enttäuschend. Der Gang wies in etwa vier Meter Höhe ab und zu kleine Nischen und Steinplatten mit Verzierungen auf. Sonst war dort nichts Auffälliges zu entdecken. Nachdem bereits vier von elf Tagen ihres geplanten Gesamtaufenthalts verstrichen waren, mussten die drei zurückkehren, um neue Ausrüstung und vor allem frische Wasservorräte zu besorgen.

»Das Glück war uns bei dieser Exkursion nicht hold gewesen«, sagte Ali. »Wir hatten zwar den Löwenkopf und diesen Gang entdeckt, sonst aber nichts, was uns gute Gründe für eine eingehendere Unternehmung gegeben hatte. Ich hatte kaum mehr als eine Ahnung, dass dort mehr zu holen sein könnte.«

In weiterem Abstand befand sich zwar eine Nekropole, aber die war seit der Antike bekannt. Möglicherweise hatte Alexander der Große sie errichten lassen, jedenfalls stammten aus dieser Zeit die Ruinen eines griechischen Tempelchens, etwa sechs Kilometer Luftlinie vom Tal der Patriarchen entfernt. Mit Sicherheit konnte Ali also voraussetzen, dass der Felsen mit dem Löwenkopf in der Zeit Alexanders bekannt gewesen war.

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Der kleine Tempel bewies allerdings nicht, dass Alexander selbst vor Ort gewesen war. Auch die Chronisten berichten hierüber nichts. Aber von Alexander war bekannt, dass er sehr orakelgläubig war und stets in den Zentren der Seher und Seherinnen nach seinem weiteren Schicksal als Eroberer der Welt fragte. An jeder großen Orakelstätte, von Griechenland über die damaligen griechischen Kolonien - etwa Milet und seinem Orakelheiligtum in Didyma in der heutigen Türkei -, ließ er sich von den Sehern bescheinigen, dass er der Größte sei und die Aufgabe habe, Herrscher der Welt zu sein. Warum sollte er also nicht auch an diesem Ort gewesen sein, um den es zu seiner Zeit offenbar weniger Geheimnisse gab?

Die Tempelruine des Alexander brachte Ali damals auf den Gedanken, dass hier eine große, vermutlich ägyptische Anlage gewesen sein musste. Denn so ohne weiteres hätte Alexander dort keinen Tempel errichtet. »Ich war damals überzeugt«, erzählte er mir, »dass ich eine Keimzelle, einen Punkt entdecken würde, der mit dem plötzlichen Erblühen der ägyptischen Kultur zusammenhing. Alexander, der Pyramiden gesehen haben muss und auch Heliopolis, eines der großen geistigen Zentren des alten Ägypten, besucht haben dürfte, könnte doch von den dortigen Priestern Hinweise auf diesen Platz bekommen haben. Ich nahm damals an, dass dieser Ort mit dem Berg Gottes zu tun haben musste, dass also Moses dort gewesen war. Moses war schließlich Ägypter. Biblische Beschreibungen passten auf diese Gegend. Das alte Ägypten reichte etwa bis hierher, denn die Ostküste des Roten Meeres war ägyptisches Territorium gewesen.

Ich war also überzeugt davon«, fuhr Ali fort, »mich an einem altägyptischen Ort von besonderer Bedeutung zu befinden. Dennoch hatte ich nichts Handfestes gefunden, das meine Ahnung bestätigte. Und ich musste mit meinen Begleitern diesen Ort fürs Erste wieder verlassen, denn unsere Versorgung mit Wasser und Vorräten wurde knapp. Doch damals beschloss

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ich, so bald wie möglich hierher zurückzukehren. Ich wollte das Geheimnis dieses Tals lüften.«

So fing in den sechziger Jahren alles an. Inzwischen waren über dreißig Jahre vergangen. Insgesamt vierzehn Mal war Ali dort, im Tal der Patriarchen. Zum Schluss konnte er seine Aufenthalte auf jeweils fast dreißig Tage ausdehnen, da sie Wasser gefunden hatten. »Ich habe etwas gesehen, das die Welt in Erstaunen versetzen wird«, sagte er zu mir. »Inzwischen habe ich mich daran gewöhnt«, fuhr er fort, »ob die Welt sich daran gewöhnen wird, weiß ich nicht. Anfangs glaubte ich, ich hätte eine Stätte des alten Ägypten gefunden. Aber heute weiß ich, es war der Begräbnisplatz derjenigen, die noch im Garten Eden gewohnt haben und danach von dort fortziehen mussten.«

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4. Kapitel: Überleben in den Wüsten Arabiens

Es gibt wahre Wüstenfreundschaften zwischen Mensch und Tier. Ali benutzte jahrelang für die letzten Kilometer zu seinen geheimen Fundstätten immer nur ein bestimmtes Kamel. Ein Kamel fällt bei der Luftüberwachung durch Flugzeuge und Satelliten nicht auf, weil es keine deutlichen Spuren hinterlässt, verglichen mit einem vierrädrigen Fahrzeug. Die Mitglieder des dortigen Beduinenstamms, mit dem Ali eine Freundschaft verband, wussten zwar, wohin ungefähr er sich begab, aber so genau wollten sie es dann auch nicht wissen. Das hatte für sie den Vorteil, dass sie nicht gegen den Koran verstoßen mussten. Denn die Gräber der von Muhammad ausdrücklich anerkannten jüdischen Propheten und Patriarchen waren auch für Muslime tabu.

Da eine der entscheidenden Entdeckungen Alis mit einer älteren Kamelstute zusammenhängt, möchte ich seine Erzählungen von dieser »Mutter aller Kamele« nicht unterschlagen. Seine Organisation sah so aus, dass er aus Kostengründen und aufgrund der Luftüberwachung der Saudis immer nur mit zwei Begleitern unterwegs war. Das bedeutete also drei trainierte Wüstenkamele als Reittiere für die drei Männer und neun weitere Lastkamele für die Ausrüstung.

Ein Kamel kann bis zu 90 Kilogramm Ausrüstung tragen. Also konnten sie zirka 800 Kilo Nutzlast mitnehmen. Die drei Männer benötigten jeder mindestens acht Liter Wasser am Tag, eine für europäische Vorstellungen unglaublich große Menge. Um der Gefahr eines Nierenversagens vorzubeugen, trank jeder von ihnen in winzigen Schlucken Wasser aus Plastikflaschen. Sie ergänzten mit dieser Technik ihren körpereigenen Wasserhaushalt praktisch von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang - ohne Unterbrechung. Das sah in der Praxis

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so aus, dass sie mit einer Hand ihre Arbeit taten, mit der anderen die Flasche Wasser zum Mund führten. Bei der weiteren Wiedergabe der Schilderung von Ali mag sich der Leser also dieses permanente Wassertrinken hinzudenken.

Die Lastkamele mussten demnach für elf Tage und drei Männer je acht Liter Wasservorrat tragen, zusammen 264 Kilogramm. Über die Hälfte der Nutzlast machte somit bereits der Wassertransport aus, denn auch für die Kamele musste Wasser mitgeführt werden.

Alis Faustregel lautete: Ein Reittier und drei Lasttiere pro Person, dann bist du auf der komfortablen Seite. »Im Laufe der Jahre«, erzählte er, »verband mich eine Freundschaft mit den Beduinen vor Ort. Das ergab sich durch die gegenseitige Hilfe, die aus den Verpflichtungen erwachsen war. Von da ab wurde vieles leichter, weil sich eine Art Tradition einspielte. Die nötige Ausrüstung war im Lande. Die Versorgungsgüter wurden im Lande gekauft. Dann wurde alles auf Fahrzeuge geladen, die den besagten Beduinenfamilien gehörten. Da ich immer wesentlich mehr Waren einkaufte, als wir für die Expeditionen benötigten, konnte ich unsere Helfer gleich mit einem Teil der Waren entlohnen. Dann ging es in Richtung der Lavafelder. Die geländegängigen Fahrzeuge kamen nur bis zu einem bestimmten Punkt. Dort wurde auf die Kamele umgepackt, und dort blieben auch die letzten Stammesangehörigen zurück.«

Nur noch die Kamele konnten die letzten vierzig bis fünfzig Kilometer zurücklegen. Die Strecke war so schwierig, dass selbst die Kamele nochmals fast zwei Tage dafür brauchten.

»So ergab es sich«, erzählte Ali weiter, »dass mir die Beduinen von Anfang an eine alte Kamelstute als Reittier empfahlen. Auf allen meinen Expeditionen zum Tal der Patriarchen hat mich dieses Tier getragen.«

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Die Kamelstute Viktoria

Das Kamel hatte einen arabischen und einen westlichen Namen. Ali gab der »Mutter aller Kamele«, wie sie in der blumenreichen Sprache der Araber wohl hieß, schon ganz am Anfang den Spitznamen Viktoria. »Wenn man mit einem Tier tagelang auf Gedeih und Verderb zusammen ist«, berichtete er, »dann beobachtet man sich in der Einöde gegenseitig, weil es sonst kaum etwas zu sehen gibt. Damals nannte ich das Tier Viktoria, weil die Kameldame so dreinschauen konnte wie meine Tante Viktoria. Auch vom Charakter her verhielt sie sich manchmal so zickig wie meine Tante.«

Indem er dem Kamel den Namen Viktoria gab, verspottete Ali keineswegs seine Tante, ganz im Gegenteil. Die Kameldame Viktoria hatte ihm einmal das Leben gerettet, weil sie, wie Kamele dies können, einen verborgenen Wasserbrunnen roch. Ali hatte sich wieder einmal nicht vom Objekt seines archäologischen Fanatismus trennen können und die Rückkehr zum Basislager zu spät angetreten - genau genommen erst zwölf Stunden, nachdem ihm das Wasser, das er für sich ohnehin rationiert hatte, ausgegangen war. In diesen zwölf Stunden ging es auf dem Rückweg für ihn um Leben und Tod. Er spürte bereits die Symptome eines beginnenden Nierenversagens.

»Viktoria muss irgendetwas von meinem Zustand gemerkt haben«, erzählte Ali weiter. »Plötzlich gehorchte sie mir nicht mehr, sondern verließ den Weg, blieb stehen und scharrte mit den Vorderhufen im Sand. Ich war schon halb besinnungslos und verstand nicht, was das störrische Tier wollte. Irgendwie kam ich wohl doch noch zu einem klaren Gedanken und merkte, dass Viktoria mich auf etwas aufmerksam machen wollte. Ich rutschte vom Kamel, so gut es ging, grub an der bezeichneten Stelle und fand Wasser. Entweder hatte Viktoria selbst Durst - oder sie hatte gemerkt, dass mit ihrem Reiter etwas nicht in

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Ordnung war.« Nachträglich konnte Ali nur noch resümieren, dass dieses

Wasser ihn wohl vor dem Versagen seiner Nieren bewahrt hatte. Als er halb tot wieder bei seinen Beduinen ankam, mussten diese eilends einen Militärhubschrauber anfordern, der ihn in das nächste größere Krankenhaus flog. Dort lag Ali fast vier Wochen und kämpfte mit den Folgen seines Leichtsinns.

Viktoria war schon so alt, dass sie nur noch gelegentlich geritten wurde - insbesondere von Ali. Wurde eine Karawane zusammengestellt, so musste sie keine Lasten mehr tragen und konnte sich frei bewegen. Sie wurde nachts nicht fixiert. Manchmal, so berichteten die Beduinen, verschwand sie für einige Tage und war plötzlich wieder da, obwohl die Karawane bereits achtzig oder hundert Kilometer weitergezogen war.

Bei seinen Exkursionen in die Wüste band auch Ali sie niemals fest. So war Viktoria ständig im Gelände unterwegs, meist in Sichtweite. Ali war dahinter gekommen, dass die alte Kameldame im Laufe ihrer Wüstenkarriere einige Tricks entwickelt hatte, um Schlangen oder Wildkatzen zu vertreiben. Der wüstenerfahrene Ali wusste natürlich, dass es besser war, unerwünschte Wüstentiere zu vertreiben, als sie zu töten. Sonst nämlich übersäte man das Gelände mit Kadavern von Schlangen und anderen Tieren und lockte so alle Lebewesen im Umkreis von Kilometern an. Viktoria aber scheuchte das Getier davon, so dass Ali und seine Begleiter ruhig arbeiten konnten.

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Guten Appetit in der Wüste

Die Bewohner der Wüste bereiten ihr Essen schnell zu und verspeisen es sehr heiß - »über 70 Grad Celsius«, wie Ali präzisierte. Erstaunt sah ich ihn an und dachte, dass man sich bei solcher Gastfreundschaft aber ziemlich die Zunge verbrannte. Doch dann erläuterte mir Ali die Hintergründe:

»In der Wüste lebt jedes Lebewesen, vom Menschen bis zum kleinsten Getier, ständig im äußersten Extrem eines Versorgungsmangels. Flüssigkeit und Nährstoffe werden in der Wüste daher zu hundert Prozent verwertet. Kommt es zur Notschlachtung eines Tieres, etwa eines Pferdes, Esels oder - welch ein Unglück - eines Kamels, weil es sich schwer verletzt hat, dann läuft folgender Ritus ab:

Als Erstes erfolgt eine sofortige, fachkundige Zerlegung des Tieres. An Vorratshaltung ist ja bei den Tagestemperaturen in der Wüste nicht zu denken. Alle für die Menschen noch verwertbaren Fleischteile werden unverzüglich auf alle Familien der Sippe aufgeteilt. Dort wird das Fleisch umgehend gekocht und gegessen.«

Hierbei gibt es eine Rangordnung, die mit den Funktionen der Betreffenden für die Sippe und innerhalb der Familie zusammenhängt. Man muss sich das laut Ali so vorstellen:

Zuerst essen die Männer, weil sie Kraft brauchen, um die Sippe zu schützen, dann die Frauen und Kinder, dann die alten Menschen. Was übrig bleibt, bekommen die Hunde und Katzen oder anderen Haustiere.

Der dann noch verbleibende Rest wird sofort weit außerhalb des Lagers abgelegt. Innerhalb von wenigen Minuten scheint alles Getier im weiten Umkreis versammelt zu sein und sich über die Reste herzumachen. Nirgends ist die Nahrungskette besser zu beobachten als in der Wüste, wie Ali trocken kommentierte.

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Aber was hat das alles mit dem Verzehr siedend heißer Speisen zu tun? Ganz einfach: Fliegen und Ungeziefer setzen sich nicht auf etwas, das derart heiß ist. Die Hitze der Speisen dient also der Hygiene in der Wüste. Was die Temperatur des Essens angeht, beruhigte mich Ali im Übrigen: Die Beduinen der Wüste seien von klein auf daran gewöhnt. Auch der Tee wird dort aus diesen Gründen sehr heiß getrunken.

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Rituale der Gastfreundschaft

»Islam ist nicht gleich Islam«, erzählte mir Ali am selben Abend. »Das wird jeder Andersgläubige feststellen, sobald er einen Vergleich zwischen Saudi-Arabien, Ägypten, Jordanien, Syrien oder gar der Türkei ziehen kann.«

Der gläubige Muslim wird hierbei mehr an die Richtungen innerhalb des Islam denken, etwa an die Alewiten, Sunniten, Schiiten, Sufi und Wahhabiten. Je nach seinem eigenen Standpunkt wird er diese religiösen Unterscheidungen beurteilen, die sich aus dem Lebensstil auf dem Weg zu Allah ergeben mögen - etwa im Hinblick auf die heutige Türkei, die sich durchaus Muhammad in Jeans und ein Fahrzeug fahrend vorstellen kann. Die Wahhabiten dagegen, die heute Saudi-Arabien kontrollieren, würden darin eine Lästerung des Propheten sehen. Aber Ali wollte auf etwas anderes hinaus: Was ihn Anfang der sechziger Jahre verblüffte, war die Entdeckung, dass es innerhalb Saudi-Arabiens Regionen gibt, die von einem Matriarchat beherrscht werden.

Tatsächlich leben dort Stämme, bei denen ein

stammesfremder Mann auf keine Weise Kontakt zu einem der (vermeintlichen) Stammesführer aufnehmen kann, wenn er sich nicht in Begleitung seiner Frauen - oder mindestens einer von ihnen - befindet.

Dieses Ritual geht möglicherweise auf die erste Zeit nach der Vertreibung aus dem Paradies zurück. Die Stämme, in denen dieses Ritual noch immer praktiziert wird, leben jedenfalls hauptsächlich im Umkreis der Lavafelder, wo sich die Grabstätten der Altvorderen befinden. Das Wohlwollen eines Emirs ist dort nicht leicht zu erlangen, wenn nicht vorher die mitreisende Frau den »richtigen Eindruck« bei einer weiblichen grauen Eminenz des Stammes hinterlassen hat. Zahllose

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»arabische Prüfungen«, wie Ali sie nannte, die sich über Tage hinziehen, gehen der Erfüllung der Bitte um Sicherheitsgarantie voraus. Es gibt unzählige kleine Fallen für einen nichtarabischen Reisenden. Wer arabisch aussieht, hat es da etwas leichter. Die Tests beginnen mit der Klärung der Frage, ob der Gast an Gott glaubt. Dann folgt die Frage, ob er beschnitten ist. Diese Fragen werden im Übrigen nicht offen gestellt, sondern Hunderte von Augen versuchen sie während des Aufenthalts zu klären. Auf welche Weise und wie oft betet der Gast? Sind seine Worte, wenn er von Gott spricht, angemessen?

Anfang der siebziger Jahre wollte Ali seine Entdeckungen bekannt geben, indem er sie auf breiter Basis dokumentierte. Daher hatte er einen niederländischen Finanzier seiner Unternehmungen bei sich, dem er die Gräber vor Ort zeigen wollte. Bei der Vorbereitung zu dieser Reise hatte er auf alles zu achten versucht, was erforderlich war, damit der Niederländer vom Emir und den anderen Entscheidungsträgern akzeptiert wurde. Es ging hierbei nicht um Sicherheitsgarantien, denn die besaß Ali schon für sich und sein Gefolge, also auch für seine Gäste während der Tour. Er trug aber die volle Verantwortung für jeden Gast, den er mitbrachte.

Die Frau des Niederländers wollte von einer Reise unter solchen Extrembedingungen nichts wissen und fuhr von Akaba nach Amman, als ihr bewusst wurde, worauf sie sich da einlassen würde. Mit vier arabischen Begleitern in zwei Jeeps machten sich Ali und der Niederländer auf den Weg. Ich lasse hier bewusst aus, wie er es schaffte, für den Niederländer ein Einreisevisum zu erhalten. Dies ist keine Frage des Geldes, sondern des Gewusst wie. Zum Beispiel, wie der Antrag zu stellen und zu begründen ist. Die Einreise nach Saudi-Arabien verlief jedenfalls ohne Probleme. Nun ging es zu einem bestimmten Emir innerhalb des Landes. Dort wurden sie freundlich aufgenommen, denn Ali war mit dem Emir befreundet.

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Wie nicht anders zu erwarten, zogen sich die Rituale der Gastfreundschaft in die Länge. In den ersten drei Tagen hatte der Emir andere Verpflichtungen. Dagegen ließ sich nichts einwenden, denn in dieser Region ist es nicht möglich, mit dem Terminkalender und der Uhr in der Hand seine Zeit einzuteilen. Diese Erfahrungen machten und machen alle Arabienreisenden, in den vergangenen Jahrhunderten und in heutiger Zeit. Vielleicht geht es heute sogar etwas zügiger voran. Seetzen beispielsweise wartete um 1835 noch sechs bis neun Monate, Alois Musil drei bis sechs Monate. Ali hatte für das gleiche Ritual bis zu zwei Wochen einkalkuliert.

Die erste Woche verging. Die beiden Reisenden hatten Kontakt zu ihrem Gastgeber bekommen. Es wurde Tee getrunken, es wurde gesprochen. Es wurde gegessen und abermals Tee getrunken und aufs Neue gesprochen.

Nach einem Gastmahl machte der Emir ein bekümmertes Gesicht. Seine beiden Gäste reisten ohne Frauen, sagte er. So könnten sie nicht das Herz Allahs erfreuen, da sie auf Reisen nicht in der Lage seien, mindestens einmal in der Woche eine Frau glücklich zu machen. Aus diesem Grund habe er zwei weibliche Wesen ausgewählt, die den beiden Gästen helfen würden, die Himmel zu erfreuen.

»Das war eine heikle Situation«, sagte Ali. Abzulehnen war nicht möglich, es sei denn, der Gast wäre über fünfundfünfzig Jahre alt und für alle sichtbar geschwächt.

Es kam, wie es kommen musste. Ali hatte an wirklich jedes Detail der Expedition gedacht, nur nicht an die menschliche Komponente. Ihm und dem Niederländer blieb es nicht erspart, die Himmel zu erfreuen. Dann verbreitete sich aber in Windeseile die Nachricht, dass der Niederländer nicht beschnitten sei. Ali schilderte mir die Situation, und ich erkannte, dass er bis heute noch nicht darüber hinweggekommen war.

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Der Emir war Ali wohlgesonnen, doch auch ein Emir hatte sich nach der Stimmung in seiner Umgebung zu richten. Zwei Tage lang war er für die beiden Fremden nicht zu sprechen. Inzwischen hatte Ali den Niederländer gebeten, sich nicht mehr als gleichrangiger Reisender, sondern als angeheuerter Experte unter der Hoheit und in Begleitung Alis auszugeben. Einwände des Emirs entkräftete Ali mit der Bemerkung, dass er diesem Niederländer aus Höflichkeit die Gleichrangigkeit gewährt hatte. Endlich durften sie weiterreisen. Aber die Atmosphäre zwischen Ali und dem Emir war seitdem getrübt.

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Ein brisantes Wächteramt: das Königshaus von Saudi-Arabien

Dies ist wohl der richtige Zeitpunkt, um einige Wort zu Saudi-Arabien zu sagen. Die Politik hat in diesem Land auf die Religion Rücksicht zu nehmen. Unter den arabischislamischen Staaten gilt Saudi-Arabien als »Zentrum des Islam«, liegen doch die Stätten, an denen sich der Prophet Muhammad aufgehalten hat, innerhalb seiner Grenzen.

Um sich die Bedeutung des heutigen Saudi-Arabien in der islamischen Welt zu verdeutlichen, müsste man sich vergleichsweise vorstellen, dass die Kreuzfahrer vor neunhundert Jahren erfolgreich in Jerusalem ein christliches Königreich gegründet hätten. Rom käme dann für die Christenheit allenfalls noch der zweite Rang hinter Jerusalem zu. Der Papst der weströmischen Christenheit und der Patriarch der oströmischen Christen hätten sich entweder auf eine Koexistenz einigen müssen oder, was vernünftiger gewesen wäre, ihre Ämter in einer Person vereinigt. Unvorstellbar.

In der islamischen Welt dagegen gibt es eine vergleichbare Koexistenz verschiedener Richtungen. Sie haben sich auf mehrere Heiligtümer und ein Hauptheiligtum geeinigt. Letzteres heißt bekanntlich Mekka.

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Pilgerzentrum Mekka

Im Umkreis der dortigen heiligen Stätten hat sich eine gigantische Pilgerindustrie entwickelt. Alljährlich versammeln sich bis zu zehn Millionen Gläubige an bestimmten hohen Festtagen dort an der Kaaba.

Eine solche Idee gab es offenbar bei den Christen im Mittelalter auch. Ein »König von Jerusalem« wäre für den ungestörten Zugang zu den Stätten und den Verlauf der Pilgerrituale im Heiligen Land verantwortlich gewesen. Sein Einfluss als Amtsträger in Jerusalem wäre innerhalb der Christenheit mit den Jahrhunderten wohl gewachsen.

Allerdings hätte er auch stets die reine Lehre vorleben müssen.

Genauso ist es in Saudi-Arabien. Seine Königliche Hoheit wacht über die heiligen Stätten des Islam und ist der Beschützer dieser Orte. Gleichzeitig sehen Millionen von Augen auf ihn und seine Familie und registrieren jeden Schritt in der Öffentlichkeit und jedes von ihm gesprochene Wort. Daher umgibt sich die Familie des Throninhabers und der Thronanwärter mit einem engmaschigen Netz von Korangelehrten aus den vier Koranschulen.

Das war nicht immer so. Mehrfach in der Geschichte hat die jeweilige islamische Vormacht versucht, Mekka und die heiligen Stätten unter ihre Herrschaft zu bringen. So herrschten die Osmanen zwischen 1516 und 1635 und von 1840 bis 1918 über Mekka und Medina und kontrollierten die Arabische Halbinsel.

Das Zentrum der Halbinsel jedoch blieb, zumindest abseits der Karawanenstraßen, das unerklärte Hoheitsgebiet der einzelnen Beduinenstämme und Familien, die dort lebten. Istanbul und Kairo mussten an die abseits der Karawanenwege lebenden Beduinen hohe Geldsummen für den Durchzug ihrer

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Pilgerkarawanen bezahlen. Zwischen 1801 und 1804 riss dann der Stamm der

Wahhabiten die Oberhoheit über die heiligen Stätten Mekka und Medina an sich. Mohammed Ali von Ägypten schlug die Wahhabiten im Auftrag des osmanischen Sultans 1812 zurück und zerstörte schließlich das Zentrum der al-Saud bei Riad.

Nach dem Zerfall des Osmanischen Weltreiches im Jahr 1918, durch die Politik Großbritanniens und dank des hier mehrfach erwähnten T E. Lawrence gelang es wieder einem Abkömmling vom Stamm al-Saud, die Beduinenstämme unter seiner Herrschaft zu vereinigen. Im Jahr 1932 waren die endlosen Verhandlungen mit den Stämmen der Wüste so weit fortgeschritten, dass er das Territorium einschließlich der heiligen Stätten in einem Königreich zusammenfassen konnte.

Aber damit fingen die Problem für die al-Sauds erst richtig an. Sie sind seither unablässig Angriffen aus dem gesamten politischen islamischen Lager ausgesetzt, durch die man sie aus dem Wächteramt in Mekka vertreiben will. Diese ständigen Erschütterungen der islamischen Welt, die heiligen Stätten betreffend, haben die saudiarabische Königsfamilie gelehrt, sich nur im Beisein der höchsten Würdenträger des Islam in der Öffentlichkeit zu zeigen. Selbst bei privaten Audienzen werden Entscheidungen erst nach mehrfachem Anlauf und nach Billigung der so genannten Ulema (Schriftgelehrten) getroffen.

Weltlich und wirtschaftlich gesehen geht es den Saudis seit den sechziger Jahren sehr gut, da sie die größten Ölvorkommen der Welt besitzen. Das Königreich genießt seither den besonderen militärischen Schutz der USA.

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Die Wahhabiten

Zum besseren Verständnis einiger in dieses Buch aufgenommenen Geschichten möchte ich noch nachtragen, dass im heutigen Saudi-Arabien der Wahhabismus, eine besonders strenge islamische Richtung, den innenpolitischen Ton angibt.

Abd al-Asis III. Ibn Saud eroberte zwischen 1902 und 1926 mit Hilfe der Wahhabiten (auch genannt »Ichwan«) Ost- und Westarabien und drang nach Jordanien und in den Irak vor. Mit Hilfe der Briten und deren militärischen Hilfslieferungen konnte er sich danach die Bewegung der Ichwan gefügig machen, so dass sie bis heute zumindest nicht mehr offen rebellierten.

Höchste Alarmstufe wurde bei allen politischen Insidern ausgelöst, als Saddam Hussein im August 1990 Kuwait besetzte. Ob es wirklich nur um Kuwait ging, werden eines Tages die Historiker klären müssen. Die Meinung von Ali und seinen Freunden in Akaba war eine andere: Wäre es Saddam Hussein gelungen, in Saudi-Arabien einzudringen, hätten sich die Ichwan gegen das Königshaus erhoben, mit weitreichenden Folgen. Die Stämme wären nicht mehr zusammenzuhalten gewesen. Die heiligen Stätten wären an Hussein gefallen. Er wäre kraft seiner Gewalt über

Mekka zum Führer der islamischen Welt geworden. So war der Golfkonflikt eher eine Aktion, um die bestehende Ordnung in der islamischen Welt aufrechtzuerhalten, und erst in zweiter Linie von energiepolitischen Interessen bestimmt.

Die militärischen Aufgaben sind in Saudi-Arabien geschickt auf die einzelnen Gruppen verteilt:

� Es gibt eine reguläre Armee, die den Grenzschutz übernommen hat - und deren Schutz der Reisende benötigt.

� Dann gibt es eine so genannte Weiße Armee (Nationalgarde), die eine Art Polizeifunktion ausübt. Sie wurde

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aus den dem Königshaus freundlich gesonnenen Stämmen rekrutiert, insbesondere aus dem Stamm Schammar. Die Nationalgardisten sorgen noch heute für Ruhe und Ordnung. Und auch ihren Schutz benötigt der Reisende.

� Dann gibt es noch die königliche Garde, welcher der Schutz der königlichen Familie übertragen wurde. Genau genommen bekommt der Reisende keinen Schutz, wenn nicht auch diese Gruppe die Garantie übernommen hat.

Diese Gliederung der Armee und Polizei geht auf Abd al-Asis III. Ibn Saud zurück, der den Stämmen das Gefühl der Unabhängigkeit innerhalb des Gesamten bewahrte. Sein Kalkül ist aufgegangen und hat sich seit fast siebzig Jahren bewährt. Das System Abd al-Asis' III. respektiert die innere Ordnung der Stämme und stellt Truppen zu deren Schutz bereit, die allein durch ihre Anwesenheit die Eskalation von Stammesfehden verhindern. Es garantierte den Stämmen Sicherheit und die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung. So ist es bis heute.

In diesem System ist es durchaus möglich, dass Menschen ein »Liberty of Desert« erhalten - die »Freiheit der Wüste« -, vorausgesetzt, sie sind Eingeweihte mit besten Kenntnissen der Familien, Stämme und sonstigen Hierarchiestufen.

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Von der nichtislamischen Welt abgeschottet

Im Westen zeigt man sich an den religiösen Eigenarten Saudi-Arabiens desinteressiert, weil die eigenen Interessen überwiegend politisch-ökonomischer Art sind. Hinzu kommt, dass sich Saudi-Arabien wirkungsvoll von den Einflüssen der nichtislamischen Welt abgeschottet hat.

Immer dann, wenn über eine drakonische Bestrafung nach islamischem Recht berichtet wird, erhebt sich großer Unmut außerhalb Saudi-Arabiens. Doch die Saudis zeigen sich gänzlich unbeeindruckt. An den Touristenströmen des Westens ist man ohnehin nicht interessiert. Wer aus dem islamischen oder nichtislamischen Ausland als Einzelperson anreist, hat kaum eine Möglichkeit, sich im Land frei zu bewegen. Das hat natürlich seine Gründe.

Selbst wenn es in Saudi-Arabien das Undenkbare geben würde, eine Demokratie nach westlichem Muster, würde spätestens nach zwanzig Meilen in der Wüste, abseits der Siedlungen, Gärten und Autopisten, ein für jeden Fremden feindliches Niemandsland beginnen. Der unerwünschte Reisende würde auf Nimmerwiedersehen zwischen Sand und Geröll verschwinden - auch ohne Beteiligung einer menschlichen Hand. Die lebensfeindlichen Bedingungen der Wüste sind seit Jahrhunderten die gleichen.

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Der Thron des Kalifen

Es gibt noch eine Besonderheit in der islamischen Welt, die im Westen kaum jemand beachtet: Durch den Niedergang des Osmanischen Reiches und die Abschaffung des Kalifats im Jahr 1924 ist das höchste Amt im Islam seit damals vakant.

Kraft seiner Oberhoheit über die heiligen Stätten in Mekka und Medina hätte der Begründer des saudiarabischen Königreiches einen gewissen Anspruch auf den Kalifenthron besessen. Zwar stand diese Würde nach den Regeln nur Angehörigen aus der Sippe des Propheten zu, so etwa der Herrscherfamilie der Haschemiten, also dem König von Jordanien oder den Throninhabern in Marokko. Jedoch hatte man in der Vergangenheit mehrfach diese Würde auf erfolgreiche und große Herrscher übertragen, beispielsweise auf Harun al-Raschid oder Kanuni Sultan Süleyman. Abd al-Asis III. Ibn Saud wurde indessen weder von den Wahhabiten im eigenen Land noch von König Fuad von Ägypten als Kalif akzeptiert. So ist der königlichen Familie bis heute diese Ehrung der islamischen Welt versagt geblieben. Sicher ist dies auch einer der Gründe, warum der Prinzenrat, in dem alle innen- und außenpolitischen Funktionen und Verantwortungen verteilt sind, so strikt auf die Einhaltung aller Gebote des Islam achtet.

Das gilt sowohl für die eigene Bevölkerung als auch für Ausländer, die im Land leben und arbeiten. Daher sollte sich jeder Ausländer, ob Muslim oder Andersgläubiger, als potenziellen Störenfried sehen, den die Herrschenden wenn nötig unschädlich machen würden, um sich selbst nicht zu gefährden.

Diese Umstände werden auch in Zukunft verhindern, dass das Tal der Patriarchen, das Tal der Propheten und der wirkliche Sinai für die breite Masse der Gläubigen - ganz zu schweigen von den Ungläubigen - erschlossen werden. »Und das ist auch

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gut so«, bekräftigte Ali, »der königlichen Familie sei Dank.« Ob Sie es glauben oder nicht, ich bin ganz der Meinung von

Ali. Zurzeit ist es noch sehr viel wichtiger, die archäologischen Sensationen zu bewahren und zu sichern, als sie auf breiter Basis freizugeben. Momentan ist jedenfalls nicht zu erkennen, wie man (las (verwüstete) Paradies öffnen könnte, ohne es zugleich einer Legion von Räubern, Fälschern und dogmatisch verbohrten Zerstörern preiszugeben.

So haben es offenbar auch schon andere gesehen. Indirekt lässt sich der Auftrag, die Zeugnisse aus dem einstigen Paradies zu bewahren, auch den Geboten des Propheten Muhammad entnehmen: Er gebot, nicht in der Erde zu graben und keine Gräber zu öffnen und zu betreten. Er verbot, die Worte der Patriarchen in Frage zu stellen. Auf diese Weise hat Muhammad in den letzten rund 1450 Jahren dafür gesorgt, dass die heiligen Plätze der Juden, Christen und Muslime nicht angetastet wurden.

Vielleicht ist es ja der Wille Gottes, dass die Vertreter seiner

Weltreligionen sich eines Tages im Mittelpunkt des verwüsteten Paradieses versammeln, um dort den überlieferten Tatsachen ins Auge zu sehen. Eigentlich müsste dann ein Glaubensfriede über die Welt kommen.

Aber ich bin Realist. Darum ist es fürs Erste mein Wunsch, dass die Wahhabiten und die königliche Familie in Saudi-Arabien möglichst lange alles so erhalten, wie es heute ist.

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5. Kapitel: Das wiedergefundene Paradies

In den vorangegangenen Kapiteln habe ich die Umstände dargestellt, unter denen Alis Entdeckungen möglich wurden, um meine Schilderung jetzt möglichst auf die Entdeckungen selbst konzentrieren zu können. In diesem Bericht habe ich bewusst auf die Wiedergabe der Bedingungen verzichtet, unter denen gearbeitet und campiert wurde. Sie sind an anderer Stelle in diesem Buch hinlänglich beschrieben. Bitte beachten Sie aber, dass dies die Zusammenfassung von fast dreißig Jahren härtester archäologischer Arbeit darstellt.

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Der erste Fund im Tal der Patriarchen

»Lass mich eine Bemerkung vorausschicken«, sagte Ali, »dann versteht man das Nachfolgende besser. Ich habe das Grab Abrahams durch einen Seitenausgang betreten. Die Situation dort zeigte mir, dass es eine Art Notausgang war, der sich in einem Hohlraum befand und durch eine Spalte in einem Felsen betreten werden konnte. Diese Spalte hat sich offensichtlich durch vulkanische Aktivitäten gebildet. Wenn man Geröll, Steine und Staub beseitigt, zeigt sich, dass der Boden des Hohlraums relativ glatt ist. Er muss also von Menschenhand bearbeitet worden sein. Man erkennt, dass es einen Verschlussstein gibt, eine Platte. Hebt man die Steinplatte ab, die den Eingang versperrt, dann findet man wiederum Steine und Geröll vor, mit denen der Zugang absichtlich zugeschüttet wurde.«

Beim ersten Mal mussten Ali und seine Begleiter mehrere Meter Schutt aus dem Einstieg herausholen, bevor er die Stufen erblickte, die gewunden (ähnlich einer Wendeltreppe) in die Tiefe führten. Diese Stufen waren dann frei zu begehen.

Auf die Innenseite der Steinplatte, die sie abgehoben hatten, waren zwei Fußabdrücke gemeißelt. »Was immer man auch später für eine Erklärung finden wird«, sagte Ali, »mein erster Eindruck war, dass hier die Bauleute ein Zeichen gesetzt hatten. Vermutlich bedeutet es einfach �Ausgang�. Wenn ich von der anderen Seite emporgestiegen wäre und die Platte mir den Weg versperrt hätte, hätte ich es sicher so gedeutet. Wären die Fußskizzen auf der Platte außen angebracht gewesen, dann hätte ich sie als Zeichen verstanden, hier einzutreten, nachdem ich die Platte entfernt hätte.«

Um den Einstieg freizulegen, also das Geröll über dem Treppenschacht zu beseitigen, brauchten Ali und seine beiden Helfer fast sechs Tage. Das lag auch daran, dass sie größere

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Gesteinsbrocken mit äußerster Vorsicht anheben mussten, da sie nie wussten, was sie als Nächstes erwartete.

»Danach blieben uns noch vier Tage«, fuhr er fort, »bis wir aus Nachschubgründen - das Wasser ging uns aus - unseren Arbeitsplatz wieder verlassen mussten. In diesen vier Tagen gelangten wir nach insgesamt neununddreißig Stufen, die bis auf den Staub der Jahrhunderte oder sogar Jahrtausende fast frei von Geröll waren, zu einem Eingang in der Tiefe, einer Tür aus Holz. Ich für meinen Teil war wie von Sinnen vor Entdeckungsfieber. Meine Begleiter dagegen waren wie vom Schlag gerührt, denn sie hatten nun ein Glaubensproblem. Standen wir vor einem Grab?«

Die unregelmäßig und relativ grob in den Stein geschlagenen Treppenstufen, so Ali weiter, ließen keine Sensation erwarten. Offensichtlich waren sie auf einen Not- oder Nebenausgang gestoßen. Aber einen Nebenausgang von was?

In etwa 8 bis 9 Metern Tiefe hatte sich der Gang etwas verbreitert. Waren es anfangs 60 Zentimeter bis 1 Meter, so war der Gang jetzt 1,20 Meter bis 1,50 Meter breit. Die hölzerne Tür war nach typischer Art der Ägypter versiegelt. Die Tür selbst zeigte aber keine Ähnlichkeit mit ägyptischen Vorbildern (Abbildung 5).

»Ich erinnere mich an die ersten Minuten«, sagte Ali, »als ich vor dieser Tür stand. Mein Herz jubelte. Ich hatte das erste Pharaonengrab außerhalb der Nilzone entdeckt, dachte ich. In meiner Aufregung hatte ich allerdings übersehen, dass dies eigentlich keine ägyptische Grabanlage sein konnte, denn es gab hier keine Mauer, die das Holz schützte. Auch gab es keine Blindtüren oder Ausschmückungen des Zugangs. Wir hatten den Eindruck, dass wir die Tür ohne Brechwerkzeuge hätten öffnen können. Es hätte genügt, die Siegel zu erbrechen.«

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Abbildung 5: Skizze der Zugangstreppe und des hölzernen Portals

Doch daran war in diesem Stadium nicht zu denken. Sie hatten weder Schutzanzüge noch Atemmasken dabei. Ferner benötigten sie mehr Licht und eine Absauganlage, wenn sie die Tür öffnen wollten. Mit einer solchen Entdeckung hatte Ali nicht gerechnet. »Ich war überglücklich«, erzählte er. »Ich konnte nachts trotz Erschöpfung nicht schlafen.«

Die Öffnung musste somit auf das nächste Mal verschoben werden. Voller Bedauern sah Ali noch einmal auf die Tür. Es handelte sich um eine zweiflüglige Tür, die nach außen aufging. Um die Türknäufe beider Flügel waren die für Ägypten typischen Ritualknoten geflochten und mit mehreren Siegeln versiegelt worden. Die Türflügel waren weder bemalt, noch waren Spuren von Verzierungen zu erkennen.

Oberhalb der beiden Türflügel befand sich eine Art Sims, auf dem sieben Figuren aus verschiedenen Steinsorten, also auch in verschiedenen Farben, standen. Die Figuren waren alle nach gleicher Vorlage gearbeitet: ein Dreieck mit einem Kreis an der Spitze und zwei angewinkelten Teilen, die nach oben ragten. Die Gesamthöhe jeder Figur betrug etwa 40 Zentimeter. Ali nahm die zwei ersten Figuren von links mit ans Tageslicht.

In seiner ersten Euphorie nannte Ali diese Figuren Isis-

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Göttinnen. Schon bei seinem nächsten Aufenthalt vor Ort, nach Öffnung der beiden Türflügel, erkannte er, dass dies unzutreffend war. Mit Ägypten hatten diese Figuren nichts zu tun.

Bevor sie sich für dieses Mal widerstrebend zurückzogen, fertigten sie noch Wachskopien der Siegel an, fotografierten den Einstieg und sicherten ihn dann wieder mit Geröll. Sie hievten die Verschlussplatte zurück an ihren Platz und kippten ebenfalls Geröll darüber. Nachdem alle Spuren von Grabungstätigkeit im Umkreis verwischt waren, kehrten sie mit den Kamelen zurück nach Akaba.

Dort begann dann das große Rätselraten um die Abdrücke der Siegel. Die Zeichen darauf gehörten zu keiner bekannten Schrift. Zwar erinnerten sie entfernt an sumerische Keilschrift, aber die Experten konnten keine tiefere Verwandtschaft erkennen. Wie Ali mir berichtete, erfüllte sich seine Hoffnung, von den Siegelinschriften auf den Inhaber des Grabes schließen zu können, nicht. Währenddessen hatten die Monate ärgster Hitze begonnen. Ali musste ein gutes halbes Jahr warten, bis er heimlich an den Ort der Ausgrabung zurückkehren konnte.

Hier nun einige zentrale Fotos und Dokumente, damit kein Leser glaubt, einen verkappten Schatzsucher-Roman zu lesen.

Abbildung 6.1

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Abbildung 6.2: Die Zugangsschlucht in das Tal der Propheten.

Abbildungen 7.1 und 7.2: Zwei Aufnahmen aus der Zentralpassage durch

den gespaltenen Felsen.

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Abbildungen 8.1 und 8.2: Der Steindeckel, der den Nebeneingang zum Grab Abrahams verschließt, und die beiden Fußabdrücke auf seiner

Innenseite.

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Abbildung 9: Alis Skizze der zweiflügligen Tür und der beiden Kammern (von oben gesehen)

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Das Grab eines Patriarchen?

Bei seinem zweiten Besuch nahm Ali einen kleinen Generator mit, um die Fundstätte besser ausleuchten und die Öffnung der beiden Türflügel vorbereiten zu können. Diesmal hatte er auch zwei Gummischutzanzüge, Masken mit Atemfilter und Kopfhauben sowie bessere Stirnleuchten und ein kleines Gerät dabei, um Luft abzusaugen. Es wurde vor Ort mit einer Solarzelle verbunden.

Die nächste Arbeitsetappe gingen sie sehr vorsichtig an. Ali und einer seiner Helfer streiften die Schutzanzüge über. Der eine Helfer blieb auf halbem Weg nach unten stehen, oben sicherte der zweite Helfer. Zur Beruhigung der beiden muslimischen Begleiter hatte Ali ein Tonband dabei, mit dem Aufzeichnungen von Gebeten abgespielt wurden.

Ali selbst stieg mit einer Leine gesichert hinunter. Als Erstes bohrte er ein etwa sechs Millimeter großes Loch durch das Türholz. Kaum hatte er den Bohrer aus dem Bohrloch gezogen, begann Luft aus dem Raum hinter der Tür zu entweichen. Er verstopfte das Loch mit Kaugummimasse, die er eigens bereitgelegt hatte. Denn dieses Phänomen war ihm bekannt. Eine Erfahrung der Archäologen besagt, dass bei Erstöffnung von meist hermetisch verschlossenen Grabanlagen ein Überdruck entweicht. Daher war der Effekt vorherzusehen gewesen. So unterbrach Ali seine Arbeit, schloss die mitgebrachte Luftabsaugeinrichtung an und entfernte dann den Kaugummi. Den restlichen Tag und die ganze Nacht hindurch wurde die Luft aus dem Treppenraum zum Grab abgesaugt.

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Die erste Grabkammer

Am nächsten Tag stieg Ali erneut ein. Diesmal versuchte er die Tür zu öffnen. Das gelang ihm jedoch nicht, so dass der eine Helfer, geschützt durch den zweiten Gummianzug, heruntersteigen musste. Das war ein Problem, mit dem Ali nicht gerechnet hatte: Die umsichtige Öffnung des einen Türflügels kostete zu viel Zeit. Drei Tage und Nächte arbeiteten die beiden Männer daran, bis der erste Flügel ganz vorsichtig geöffnet werden konnte. Er war zweifellos uralt und so sehr in sich verzogen, dass er sich nachher auch nicht mehr schließen ließ.

Wie Ali mir erzählte, zog er unter seiner Maske ein langes Gesicht vor Enttäuschung, als der Raum hinter dem Türflügel sichtbar wurde. Die Breite dieses Raums entsprach genau der einen Hälfte der Flügeltür. In der Mitte befand sich also eine Mauer, und der Türflügel hatte nur einen Teil des Raums dahinter freigegeben.

Nachdem er einige Fotos geschossen hatte, betrat Ali als Erster den Raum. Gleich links thronte auf einem Stuhl eine weiße Figur, etwa einen Meter hoch bei einer Grundfläche von sechzig mal sechzig Zentimetern. Sie hatte keinerlei auffälligen Kopfputz. Vasen und Gefäße, die an Vasen erinnerten, standen in dem Raum verteilt. Doch es gab keine Gerätschaften, wie man sie von den ägyptischen Gräbern her kennt. Desgleichen keinerlei Wertgegenstände.

In der hinteren linken Ecke, zirka 40 Zentimeter vor der Wand, befanden sich ein Sarkophag und davor ein Tisch. In der rechten Hälfte der Rückwand dieses Raums sah Ali eine weitere Tür. Also ging es dort weiter.

Die Wände selbst waren, zumindest schien es ihm so, von oben nach unten in Längsstreifen unterteilt, wie wir es von Tapetenbahnen her kennen. Es waren in erster Linie wieder Schriftzeichen wie auf den Siegeln zu sehen, aber eindeutig

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keine ägyptischen Hieroglyphen. Sie waren als Relief aus dem Stein gehauen worden, also erhaben.

Das war es jedoch nicht, was zu sehen er erwartet und erhofft hatte. »Ich war wütend«, sagte er mir, »ich wollte nicht irgendein Grab entdecken, ich wollte unversehrte Pharaonengräber finden, wie einst Carter im Tal der Könige!«

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Die zweite Grabkammer

Er stand vor einer schweren Entscheidung: weiterzumachen oder aufzugeben. Sie hatten zu viel Zeit für die Öffnung des ersten Türflügels benötigt. Die weiterführende Tür an der hinteren Wand zu öffnen wollte er nicht riskieren, solange er nicht wusste, was sich im Nebenraum befand, hinter dem zweiten Türflügel.

Ali beschloss, vorerst weiterzumachen und zumindest noch den zweiten Flügel zu öffnen. Dafür benötigten sie zwar nur einen Tag. Doch das bedeutete, dass ihnen nur noch zwei Tage verblieben. Dann mussten sie zurückkehren.

Hinter dem zweiten Türflügel fanden sie einen Raum, besser gesagt eine Kammer, die in Einrichtung und Ausdehnung der Nachbarkammer glich. Auch hier stand ein Sarkophag, diesmal in der rechten hinteren Ecke. An der Rückwand befand sich ebenfalls eine zweite Tür. Und am Eingang stand auch ein Stuhl mit genau der gleichen Gestalt darauf wie drüben, einer »Wächterfigur«, wie Ali sie nannte. Wieder machte er Fotos und sicherheitshalber auch Skizzen. Die Maße der Kammer betrugen 6,19 beziehungsweise 6,17 Meter in der Länge, 3,94 bis 3,96 Meter in der Breite. Bis zur Decke waren es durchschnittlich 2,10 Meter, jedoch mit Abweichungen bis zu 6 Zentimetern. Beide Räume waren durch eine etwa 25 Zentimeter dicke Wand aus natürlichem Fels getrennt.

Am Tag, vor ihrem Aufbruch zurück nach Akaba schoben Ali und ein Helfer mit Hilfe von Werkzeugen den Sarkophagdeckel beiseite. Das war für zwei Mann mit Schutzanzügen und Atemmasken ein hartes Stück Arbeit. Doch das Ergebnis dieser Plackerei versöhnte ihn, wie mir Ali sagte, wieder mit seinem Schicksal. Es kam ein weiterer Sarg zum Vorschein, der ihn an ägyptische Sarkophage erinnerte.

Aus der Bemalung ließ sich schließen, dass es sich um einen

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äußeren Sarg handelte, in dem eine Frau beigesetzt war. Weiter konnte Ali jedoch mit Rücksicht auf seinen Begleiter nicht gehen, für den die Entweihung eines Beerdigten eine Todsünde gewesen wäre. Ali fügte sich.

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Rätselraten um die Sarkophage

In Akaba beschrieb er mir auch, dass beide Sarkophage an den Seiten Schleifspuren und an den Ecken Beschädigungen aufwiesen. Er hatte den Eindruck, dass die beiden Kammern nicht der ursprüngliche Standort der Särge seien. Über die Treppe, die er und seine Begleiter entdeckt und benutzt hatten, konnten die wuchtigen Gebilde unmöglich befördert worden sein, dafür war der Treppenschacht zu schmal. Ali nahm an, dass die beiden Sarkophage durch die hinteren Türen in die Kammern verbracht worden waren, vermutlich auf Rollen.

Die Beschädigungen ließen vermuten, dass die Sarkophage in großer Eile transportiert worden waren. Für diese Annahme sprach auch, dass einiges in den beiden Kammern wie rasch hingestreut oder hastig aufgestellt wirkte.

Aber wer war die tote Frau in dem einen Sarkophag? Und wessen Leichnam ruhte in dem anderen Raum? Ali vermutete, dass es eine männliche Leiche war. Doch für diese Untersuchung blieb keine Zeit mehr, zumal die beiden Begleiter zum Aufbruch drängten.

Das Verschließen der Sarkophage und der Grabkammern sowie des Eingangs dauerte eineinhalb Tage. Da Ali nicht wusste, ob er noch einmal Gelegenheit haben würde, hierher zurückzukehren, legte er in den einen Sarkophag eine Coca-Cola-Glasflasche und in den anderen Sarkophag eine südafrikanische Krügerrand-Münze, bevor er sie beide verschloss.

Damit folgte er einer alten Tradition der Außenseiter-Archäologen. Wenn man schon gezwungen war, eine Entdeckung zu verschweigen, so hinterließ man zumindest ein zeitgenössisches Souvenir am Ort, um nachfolgende Kollegen zu verwirren und zu ärgern.

Sollte also die Grabanlage etwa in den nächsten dreißig oder

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auch hundertfünfzig Jahren wieder entdeckt und geöffnet werden, dann würden die Nachfolgenden den Schabernack erkennen, weil sie die Souvenirs noch zuordnen könnten. Was aber, wenn die Gräber für die nächsten 1500 Jahre verschlossen bleiben? Ein Archäologe der Zukunft wird dann sicherlich das Alter der Coca-Cola-Flasche und der Münze bestimmen lassen und sich über das Ergebnis verwundern. Genau das ist beabsichtigt.

Ali ist jedoch noch mehrmals in das Tal der Patriarchen zurückgekehrt, bevor er sich dem Zentrum des prähistorischen Paradieses zuwandte. Diese Änderung seiner Ziele wurde durch Tafeln ausgelöst, die er bei einer seiner letzten Touren in das Tal durch Zufall entdeckte und deren Bedeutung er sofort erkannte.

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Die Geheimbibliothek

Bei der nächsten Exkursion ins Tal der Patriarchen gelang es ihnen, die Grabanlage innerhalb eines Tages neuerlich zu öffnen. Ali stellte die beiden Statuetten wieder an ihren Platz oberhalb der Flügeltür. Er hatte das erforderliche Material mitgebracht, um eine der beiden Mumien vorsichtig weiter aus ihrem Sarg zu befreien. Hierbei arbeitete er natürlich allein, da es für seine muslimischen Begleiter eine Todsünde gewesen wäre, an einem Sarg herumzumanipulieren.

Immerhin half ihm der eine Begleiter, den Sarkophag in dem zweiten Raum zu öffnen. Sie wussten noch immer nicht, wer in dieser Grabanlage bestattet worden war. Weder in London noch in Bagdad noch in Kairo war es gelungen, die Schriftzeichen zu entziffern, die entfernt an Keilschrift erinnerten.

Zu seiner großen Enttäuschung fand er auch in dem zweiten Sarkophag einen weiblichen Leichnam. »Das bedeutete höchstwahrscheinlich«, wie er mir erklärte, »dass ich es mit einem unbedeutenden Nebengrab eines Höhergestellten zu tun hatte. Darum auch die kärgliche Ausstattung der beiden Kammern.«

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Mauern und Felsgänge

Er war am Boden zerstört. Ohne ein Wort zu seinem Helfer lief er nach draußen. Doch schon nach einer halben Stunde hatte er sich wieder gesammelt. Noch war das Geheimnis dieser Anlage nicht gelüftet. Sie würden weitermachen.

Mit Rücksicht auf die religiösen Gefühle seiner Begleiter hatte Ali einen Ballen dünnes, grün eingefärbtes Gazegewebe von etwa zwei Meter Breite mitgenommen. Diesen Stoff spannten sie nun jeweils zwischen der Mittelwand und den Sarkophagen. Auf diese Weise waren die Grabtruhen vor den Blicken abgeschirmt, so dass er einen Begleiter dazu bewegen konnte, ihm bei der Öffnung der Hintertüren zu helfen. Hinter diesen Türen vermutete Ali Kultgegenstände oder sonstige Funde, die ihm helfen würden, die Identität der beiden hier Bestatteten zu klären.

Diese Durchlässe zu öffnen erwies sich als sehr aufwendig.

Zunächst mussten sie einen Verschlussstein entfernen, was mühsam war, aber nicht allzu viel Zeit in Anspruch nahm. Dahinter jedoch erhob sich eine Mauer. Sie versuchten es in der anderen Kammer, mit dem gleichen Resultat.

Ali war immer noch nicht bereit aufzugeben. Er beschloss, ein Loch durch die Mauer bohren. Ohne Motor war das ein schweres Stück Arbeit, für das sie zwei Tage brauchten. Doch endlich waren sie durch, und Ali schob ein kleines Sichtgerät mit Beleuchtung durch die Öffnung. Zu seinem Erstaunen befand sich hinter der Mauer kein weiterer Raum, sondern ein 2 bis 3 Meter langer Gang.

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Die Halle der Schrifttafeln

Erst bei ihrem nächsten Aufenthalt gelang es ihnen, die Mauer so weit zu durchbrechen, dass sie den Gang betreten konnten. Der Gang mündete in einen Vorraum, ebenso wie der parallele Gang, der von der zweiten Grabkammer abging.

In dem Vorraum befand sich eine weitere Tür. Sie bestand aus einem einfachen Türblatt und war unversiegelt. Es folgte abermals die bekannte Prozedur. Sie bohrten ein Loch durch die Tür. Wieder entwich Überdruck. Diesmal war Ali besser vorbereitet: Er hatte sich ein altes Instrument besorgt, mit dem man wie bei einer Biopsie ausleuchten und gleichzeitig Bilder machen konnte.

Im Handumdrehen verschlossen sie das Bohrloch und schoben das Instrument durch die verbliebene winzige Öffnung. Was Ali nun zu sehen bekam, verschlug ihm die Sprache.

Er erblickte eine Halle ohne Ecken, soweit er sehen konnte, ein geräumiges Oval. Die Ausdehnung schätzte er auf 10 bis 15 Meter. Später stellte sich heraus, dass es fast 25 Meter waren. In gewissen Abständen waren in die Wände Nischen eingelassen. In den meisten Nischen standen männliche Statuen, die jeweils eine Tafel mit Schriftzeichen vor der Brust hielten. In dem Raum befanden sich außerdem Vasen und andere Behälter in großer Zahl und unterschiedlicher Größe. Die meisten waren etwa 1,20 Meter hoch und bis zu 80 Zentimeter dick. Einen Sarkophag aber entdeckte Ali in dieser Halle nicht.

In der Nacht nach dieser Entdeckung blieb Ali, trotz großer Erschöpfung, noch stundenlang wach. Er musste nun seine Vorstellungen von Art und Zweck dieser Anlage endgültig korrigieren. In den Vorräumen gab es zwei Särge mit bestatteten Frauen. Vor der doppelten Kammer befand sich ein ovaler Raum mit verschiedenen Behältern, der wie eine Bibliothek auf ihn wirkte.

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Die oberirdischen Tafeln

Musste es in einer Grabanlage aus der Zeit der Patriarchen neben den weiblichen Leichnamen nicht auch einen männlichen Toten geben? Ali beschloss eine Pause einzulegen und auf andere Weise vorzugehen.

Diesmal verfolgte er den Plan, die Abmessungen, die er in der unterirdischen Anlage gefunden hatte, auf den Platz oberhalb zu projizieren. Doch auf der Erde über dem ovalen Raum erhob sich ein kolossaler Felsen. Also begann Ali den Felsen nach einem geheimen Zugang abzusuchen. Ohne Erfolg - abgesehen von zwei Tafeln, die in etwa 7 bis 8 Metern Höhe angebracht waren und die man vom Boden aus nicht sehen konnte.

Ali kopierte die beiden Tafeln. Mehr konnte er im Augenblick nicht tun. Als er eines Tages wieder in Akaba war, um eine längere Pause einzulegen, beschäftigte er sich mit diesen Zeichnungen. Er zeigte sie auch seinen anwesenden Kollegen, und einer von ihnen entdeckte, dass die Zeichen auf den Tafeln im Tal der Patriarchen das ägyptische Zweistromland darstellten.

Bis Ali erkannte, welcher Patriarch in der Grabanlage bestattet war, sollten allerdings noch viele Jahre vergehen - und wieder war es ein Kollege, der ihm mit einem Hinweis auf die Sprünge half. Etwa zehn Jahre, nachdem Ali zum ersten Mal die Anlage betreten hatte, wusste er endlich, um wen es sich handelte: Er war in die Grabanlage des biblischen Abraham eingedrungen. Die beiden Sarkophage beherbergten die Leichname der beiden Frauen Abrahams, Sara und Hagar, der Mütter seiner beiden Söhne.

Die künftige Forschung wird an den Tag bringen, aus welchen Gründen sich Anhänger oder Nachkommen Abrahams gezwungen sahen, die beiden Sarkophage dorthin in Sicherheit zu bringen. Möglicherweise ist die ursprüngliche Grabstätte von

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Sara und Hagar heute unter der Lava begraben. Man hat sie in großer Eile in die unterirdische Anlage gebracht - vielleicht kurz vor dem Ausbruch eines Vulkans? Das ist jedenfalls die derzeit einzige einleuchtende Erklärung, die Ali gefunden hat.

Könnte es also sein, dass die Anlage dort unten ursprünglich gar nicht als Grabstätte gedacht war? Der ovale Raum mit den Figuren, die Tafeln vor der Brust halten, scheint Informationen zu enthalten, die dort absichtlich für die Nachkommen aufbewahrt worden sind. Dieser Raum erweckt nicht den Eindruck, dass man dort irgendetwas verstecken wollte. Auch befinden sich dort keinerlei Kultgegenstände, wie man sie in einer Grabanlage erwarten würde. Eher scheint es sich um eine geheime Bibliothek zu handeln.

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Bigamie der Patriarchen?

»Die Welt wird Beweise verlangen«, sagte ich, nachdem Ali mit seiner Geschichte fertig war.

»Wenn du jemals darüber schreiben solltest«, antwortete er, »wird man von dir diese Beweise verlangen. Mit Recht. Ich dagegen würde die Leute dort hinführen und sagen: Seht, seht, seht. Und dann käme der erste Schock: Zwei Frauen sind nicht die Ausnahme, in Bigamie zu leben war bei den Patriarchen der Bibel die Regel, wahrscheinlich sogar Gesetz. Denn die Grabanlagen der Patriarchen, die in jüdischen Schriften erwähnt werden, weisen immer zwei Kammern als die der Ehefrauen aus. Ob Abraham, Moses oder David, sie hatten jeweils zwei gleichberechtigte Ehefrauen. Man erkennt dies daran, dass die Sarkophage in Räumen stehen, die vollkommen gleich ausgestattet sind.«

Wie würde die westliche Öffentlichkeit auf eine solche Enthüllung reagieren? Wir brauchten nicht lange zu überlegen.

»Totschweigen«, sagte ich, »oder die Fakten möglichst so lange hin und her rücken, bis sie in das gängige Vorstellungsbild passen.«

Er stimmte mir zu. »Und trotzdem«, sagte er dann, »habe ich mich dafür entschieden, den ersten Schritt zu tun. Die Welt muss sich an den Gedanken gewöhnen, dass es das Paradies tatsächlich gegeben hat und dass es eine Nekropole mit den Patriarchen und Propheten des Alten Testaments zu entdecken gilt. Darum wäre es gut, wenn du darüber schreibst.«

Viele Skizzen und Zeichnungen hatte Ali in den letzten Tagen angefertigt, von Felsspalten, Bergmassiven, Zugängen zu Grabkammern, außerdem von Peilungen auf bestimmte Bodenauffälligkeiten, Fels- oder Bergzacken. Alles war nach der Art und Weise von Expeditionsleitern vorbereitet, die ein Territorium betreten, das auf der Landkarte noch ein weißer

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Fleck ist. Ein paar alte, zerfetzte Bücher, allesamt um die Wende zum 20. Jahrhundert gedruckt, lagen auf dem Boden. Die Autoren hatten seinerzeit ähnliche Expeditionen versucht. Ali hatte seine Ziele wenigstens im Ansatz erreicht.

Wenige Tage darauf verschwand er mit einem Versprechen und einem Handschlag. Ich konnte nicht ahnen, dass ich ihn nie wiedersehen würde.

In der Folgezeit kehrte ich nach Europa zurück. In London ließ ich eine Statuette begutachten, die er mir zu diesem Zweck mitgegeben hatte. Laut mehrfacher unabhängiger Altersbestimmung in einschlägigen Labors ist die Figur rund 8500 Jahre alt, also zweifellos echt. Sie befindet sich heute wieder in Jordanien, denn sie wurde als Päckchen beim Wirt des Hotels übergeben und soll, wie ich inzwischen weiß, noch von meinem damaligen Gesprächspartner Ali abgeholt worden sein. Für mich bedeutet es, dass er seine Absicht wahr gemacht hat, die kleine Statue zu den sechs anderen zurückzubringen, die über der zweiflügligen hölzernen Tür stehen.

Ali war überzeugt davon, dass in den beiden Kammern Hagar und Sara ruhen, die Frauen des Patriarchen Abraham. Das Ziel seiner nächsten Expedition sollte das Zentrum des biblischen Paradieses sein.

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Abrahams Grab

Später in Durban recherchierte ich alle greifbaren Überlieferungen zur Bestattung des biblischen Abraham. Was sprach für, was gegen Alis Annahme, dass er die Grabanlage Abrahams gefunden hatte?

Das Geheimnis der »zwiefachen Höhle«

Die Überlieferung beschreibt den Begräbnisplatz des Abraham als »zwiefache Höhle«. In den Sagen der Juden gibt es zwei Versionen, die berichten, wie Abraham die geheimnisvolle Höhle fand.

Version 1: Abraham hatte eine Vereinbarung mit den Völkern der Erde

geschlossen. Als nun die drei Engel zu ihm kamen, dachte er, sie seien Pilger Also ging er ihnen entgegen, um sie willkommen zu heißen. Danach wollte er sie in Gastfreundschaft aufnehmen und bewirten. In der Absicht, ein Mahl vorzubereiten, ging er hinaus, um ein Kalb zu holen. Doch das Kalb ließ sich nicht von Abraham einfangen und lief davon. Abraham verfolgte es und sah, dass es in eine zwiefache Höhle flüchtete. Dort sah er Adam und Eva auf ihren Totenbetten schlafen. Lichter brannten zu ihren Häuptern, und ein Duft umgab sie. Seitdem wünschte sich Abraham, die zwiefache Höhle als Erbbegräbnisstätte zu besitzen.

Version II: Eines Tages besuchten die Engel Abraham. Er lief mit dem

Knaben Ismael hinaus und wollte drei Ochsen holen. Der Engel mit Namen Raphael folgte ihnen unbemerkt. Als Abraham zwei Ochsen eingefangen hatte, übergab er sie seinem Sohn Ismael,

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damit der sie ins Lager brachte. Er brauchte aber noch einen dritten Ochsen. Da stellte sich ihm Raphael als schönes, großes Rind dar Abraham wollte es fangen, aber der Stier lief und zog den Erzvater nach sich, bis sie vor die Tür der zwiefachen Höhle kamen. Raphael öffnete die Tür für Abraham, und dieser sah Adam und Eva. Sie ruhten in ihren Grüften, und der Duft des Gartens Eden strömte in die Nase Abrahams, und er spürte die Erhabenheit des Ortes und wünschte sehnlichst dort zu ruhen.

Als Abraham in die Hütte zurückkehrte, siehe, da waren nur die zwei Ochsen, die Ismael hergebracht hatte. Ehe Abraham die zwiefache Höhle fand, wollten schon viele dort begraben werden. Aber die Engel bewachten diesen Ort. Die Menschen sahen dort ein Feuer beständig glimmen und konnten nicht hinein. Da kam Abraham und fand Einlass und erwarb das Feld.

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Liegt das Grab Abrahams in Hebron?

Heute wird eine dreifache Höhle in Hebron als Grab des Patriarchen angesehen. Wenn aber die Stammväter des Alten Testaments in einer eigenen Nekropole in der Nähe des wahren Berges Sinai ruhen, könnte es sein, dass das Grab Abrahams in Hebron ein Nachbau ist? Eine zwiefache Höhle, die eigentlich eine dreifache Höhle zu sein scheint? Durch die heutige Verbauung lässt sich kein genauer Eindruck von diesem möglichen Grab gewinnen. Ein Reisender aus dem Mittelalter jedoch berichtete darüber:

Zwischen Bethlehem und Hebron sind es etwa sechs Meilen. Hebron liegt auf einer Anhöhe. Die Stadt ist heute zerstört. Im Tale ist das Feld der zwiefachen Höhle. Daselbst ist das Heiligtum, das nach unserem Heiligen Erzvater Abraham benannt wird. Vormals, zur Zeit der Kinder Ismaels, war es ein jüdisches Bethaus.

Zum Grabe gelangt man durch eine eiserne Tür, die in eine Höhle führt. Aber darin ist nichts zu sehen; alsdann kommt man in eine zweite Höhle, die ebenfalls leer ist; in der dritten Höhle aber erblickt man sechs Gräber, die Gräber Abrahams, Isaaks und Jakobs und ihnen gegenüber die Grüfte Saras, Rebekkas und Leas. Die Gräber sind geschlossen. Von außen sind Schriftzeichen eingegraben. Das Grab Abrahams trägt die Inschrift: Das ist das Grab Abrahams, unseres Vaters. Auf dem Grabe Isaaks ist zu lesen: Das ist das Grab Isaaks, des Sohnes Abrahams, unseres Vaters. Auf dem Grabe Jakobs steht geschrieben: Das ist das Grab Jakobs, des Sohnes Isaaks, des Sohnes Abrahams, unseres Vaters. Auf den übrigen Gräbern ist vermerkt: Das ist das Grab Saras, das ist das Grab Rebekkas, das ist das Grab Leas. Am Randes des Feldes der zweifachen Höhle befindet sich das Haus Abrahams, unseres Vaters, und davor ist eine Wasserquelle.

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Warum fehlt Ismael, ein legitimer Sohn Abrahams, in der

Anlag( von Hebron? Vielleicht hilft uns ein orientalisches Märchen au: der heiligen arabischen Stadt Büraydah weiter.

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Das Märchen aus Büraydah

Eines Abends in Akaba erzählte mir Ali von seinem Aufenthalt ii Büraydah. Eine Überlieferung, ein Märchen, hatte ihn besonders fasziniert. Es handelte von zwei Brüdern, die von ihrem Vater, eine goldene Kugel geerbt hatten. Ich gebe die Geschichte wie der, wie Ali sie erzählt hat.

Es war einmal ein Vater, der hatte zwei Söhne und vier Töchter Er lebte inmitten einer Oase, die wie ein schöner Garten war Zusammen mit seiner Familie pflegte er alle Pflanzen und hegte alle Tiere in seinem Garten. Damit alles so blieb, wie es war, hatte er um seinen Garten eine Mauer gebaut. An jeder der vier Seiten dieser Mauer hatte er je ein großes Tor errichtet. Die Tore blieben vom Neumond bis zum Vollmond offen und wurden vom Vollmond bis zum Neumond geschlossen. Die Jahre gingen dahin, und es kam die Zeit, da Allah dem Vatergebot, sich zum Sterben niederzulegen. Dieser war ein frommer und gehorsamer Mann. Also versammelte er seine Söhne und Töchter um sich, um ihnen ihr Erbe zuzuteilen. Also sprach er zu seinen Erben: »Den Garten kann ich euch nicht vererben, denn er gehört nicht mir, sondern Allah. So will ich euch, meine Töchter, jeweils den Schlüssel zu einem der Tore geben, damit ihr und die Nachkommen aus eurem Leibe Zugang zu unserem Garten habt. Was immer ihr tut, meine Töchter, eure Kinder und Kindeskinder bis zum Ende der Zeit werden mit einem Schlüssel zu unserem Garten in der Hand geboren werden. Mit diesem Schlüssel können sie den Garten betreten. «

Dann wandte er sich an seine Söhne: »Euch beiden vermache ich die goldene Kugel, die in der Mitte des Gartens steht, und dies schon lange, bevor ihr geboren wurdet. Diese Kugel soll euch und euren Nachkommen gemeinsam gehören bis zum Ende der Zeit. «

Der Vater starb.

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Alles blieb, wie es zu Lebzeiten des Vaters in dem Garten gewesen war Doch eines Tages gerieten die beiden Brüder wegen einer Nichtigkeit in Streit. Da sie sich nicht mehr versöhnen konnten und wollten, gingen sie sich aus dem Weg. Doch jedes Mal mussten sie sich zwangsläufig sehen, wenn sie zu ihrer goldenen Kugel, die ihnen gemeinsam gehörte, in der Mitte des Gartens kamen. Also sann jeder für sich, wie er dem Bruder trotzdem aus dem Weggehen konnte. Die Schwestern waren über das Verhalten ihrer beiden Brüder sehr ungehalten. Eines Tages beschlossen sie, die goldene Kugel genau in der Mitte zu teilen, so dass jeder Bruder eine Hälfte bekam.

Und so geschah es. Jeder Bruder nahm seine Hälfte und verließ den Garten, der eine entfernte sich in die eine, der andere in die entgegengesetzte Richtung.

Nun geschah in der folgenden Zeit etwas Merkwürdiges. Die wohlriechendsten Blumen im Garten blühten kaum mehr, das reinste Wasser der Quellen bekam einen bitteren Beigeschmack. Die Pflanzen wurden immer kleiner und kärglicher. Schließlich verödete der Garten, und das Land vor der Mauer glich dem Land im Garten, so dass es wenig Sinn machte, das Tor zu öffnen oder zu schließen. So kam es, dass auch die vier Schwestern fortzogen. Wo immer auch ihre Nachkommen leben, sie sollten wissen, dass sie mit einem Schlüssel geboren wurden, der zu einem der vier Tore des Gartens passt. Allah schenke ihnen die Gnade, dass sie sich daran erinnern, wenn sie alt und weise genug geworden sind.

Von den beiden Brüdern erzählt man, dass der eine aus seiner Hälfte der goldenen Kugel eine riesige Schale machte und in seinem Haus er und alle, die davon tranken, gesund und zufrieden lebten. Der andere zierte das Dach seines Hauses mit seiner Hälfte der Kugel, die er als Kuppel anbrachte. Alle, die darunter wohnten, wurden weise und erkannten die Himmel Allahs.

Niemand kennt den Willen Allahs, so dass niemand sagen

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kann, ob die beiden Hälften der Kugel jemals wieder vereinigt werden. Allah schenke ihnen die Gnade, dass sie die Hälften ihrer goldenen Kugeln wieder in den Garten zurückbringen und vereinigen.

Was Ali an dieser Geschichte faszinierte, waren folgende Komponenten:

� die vier Mauern um eine Oase, � die vier Tore in den Mauern, � die Kugel in der Mitte der Oase, � dann zwei Halbkugeln irgendwo außerhalb der Oase. »Als ich dieses Märchen in Büraydah hörte«, sagte er,

»schrieb ich mir abends alles auf, was mir an der Geschichte aufgefallen war. Später in Akaba habe ich versucht, mich von arabischen Sichtweisen völlig freizumachen und wie ein Detektiv an die Sache heranzugehen. Also fragte ich mich: Welche Menschen mit einem Schlüssel könnten gemeint sein? Wo sind die Tore, zu denen solche Schlüssel aus dem Märchen passen können? Außerdem suchte ich nach Hinweisen auf den Verbleib der beiden Hälften der goldenen Kugel. Ich hatte Zeit, denn der Golfkrieg beziehungsweise seine Nachwirkungen machten eine illegale Einreise nach Saudi-Arabien unmöglich.

Erstaunlicherweise fand ich keine Variante oder Vorlage der Erzählung aus Büraydah, von der man sagen könnte, dass sie irgendwo zwischen Ägypten und Aleppo erzählt würde. Im Nachhinein kam mir der Verdacht, dass ein in der damaligen Gesprächsrunde anwesender �Eingeweihter� mit voller Absicht dafür gesorgt hatte, dass ich dieses Märchen zu hören bekam.«

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Die goldene Kugel von Jerusalem

Während ich noch über seine Worte nachdachte, sprach Ali schon weiter. Seine Erklärung des möglichen Verbleibs der goldenen Kugel möchte ich meinen Lesern nicht vorenthalten, da sie sehr plausibel erscheint.

»Die islamische Welt«, sagte er, »kennt Familien, die ihre Abstammung auf Muhammad zurückverfolgen können. Dazu gehören heute unter anderem der König aller jordanischen Stämme und der König aller Marokkaner. Es gibt wesentlich mehr Familien im Orient, die auf ein solches Privileg pochen, doch das tut hier nichts zur Sache. Die Familie des heutigen Königs von Jordanien hatte noch bis vor einigen Jahrzehnten direkten Zugriff auf Mekka. Durch die Gründung des Königreiches Saudi-Arabien ging zumindest politisch dieser Zugriff verloren. So verblieben ihnen nur der Tempelberg und die Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem, die sie auch in den vierziger Jahren verteidigten.

König Hussein II. von Jordanien ließ die Kuppel auf dem achteckigen Unterbau restaurieren und vergolden. Warum? Eine Antwort, die heute als allgemein richtig angesehen wird, lautet, dass er als Schirmherr einer der großen heiligen Stätten des Islam diesem Symbol eine angemessene Präsenz verschaffen wollte.« Ali schaute mich aus dem Augenwinkel an. »Fällt dir etwas auf?«

»Nein«, antwortete ich ihm damals verständnislos, »vielleicht wollte er sich nur ein Denkmal setzen?«

»Ich merke, dass du mit dem Tempelberg und seiner Geschichte nicht allzu vertraut bist.« Ich nickte.

»Du solltest dich einmal näher mit dem Tempel Salomons und dem dort praktizierten jüdischen Ritus beschäftigen. Im Tempel stand nämlich ein von den Juden als �ehernes Meer� bezeichnetes Kultgefäß von recht beachtlichem Ausmaß. Sticht

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dir das nicht geradezu ins Auge? Ich meine, dass dies der unteren Hälfte der goldenen Kugel aus dem Garten des Märchens entspricht oder symbolisch entsprechen könnte.«

Abbildung 10: Entspricht das eherne Becken im Tempel Salomons (linke

Seite unten) der einen Hälfte der Kugel und die Kuppel des Felsendoms (Abbildung oben) der anderen?

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Ich sah ihn skeptisch an. »Warte«, sagte er. »Nun kommt König Hussein II. von Jordanien ins Spiel. Symbolisch restauriert er die Kuppel auf dem Tempelberg, wo einst das �eherne Meer� stand. Er lässt diese Kuppel mit Mitteln aus seinem Privat- oder Familienvermögen vergolden. Ist das vielleicht, wiederum symbolisch, der Versuch, vor aller Augen zu dokumentieren, dass man die obere und untere Hälfte der goldenen Kugel wieder zusammenbringen sollte?«

Er wartete einen Moment, während ich über seine Worte nachdachte. »Schau dir die Situation auf dem Tempelberg nur aus der Sicht des Märchens an«, fuhr er fort. »Lass die aktuelle Tagespolitik um Jerusalem völlig außer Acht. Dann erkennst du Folgendes:

Salomon ist ein Abkömmling desjenigen Sohnes aus dem Garten, der die untere Hälfte der goldenen Kugel bekommen hat. Damit ist keine Wertung verbunden. Beide Hälften einer gleichmäßig gearbeiteten Kugel, hohl oder massiv, aus purem Gold oder vergoldet, müssten gleich wertvoll sein. Nur hat jeder der beiden seine Hälfte auf andere Weise eingesetzt. Was also wussten die Vorfahren der Haschemiten, die sich bis auf Muhammad zurückführen, über den Verbleib des zweiten Sohnes aus dem Garten, der mit der oberen Hälfte der Kugel davongezogen ist? Hat Hussein II., ohne es in die Welt hinauszuschreien, versucht (symbolisch), die obere Hälfte der goldenen Kugel nach Jerusalem zu bringen, um die Einheit, wie sie einst in dem Garten herrschte, (symbolisch) wiederherzustellen?«

»Man könnte darüber nachdenken«, sagte ich damals nur. Heute jedoch, nachdem ich in diese Richtung lange Zeit

recherchiert habe, bin ich persönlich davon überzeugt, dass Ali Recht hatte. Zumindest das jeweilige Oberhaupt der jordanischen Königsfamilie weiß um die Existenz der Orte und Überreste des biblischen Paradieses, das auch die Grundlage zu jenem Märchen bildet.

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Was das Märchen aus Büraydah über Abraham verrät

Seinerzeit, als ich mit Ali über das Märchen aus Büraydah diskutierte, fiel mir sofort Abraham mit seinen beiden Söhnen ein. Aber wie passten die vier Töchter dazu? Wäre der Vater aus dem Märchen Abraham, so wären die beiden Söhne jedenfalls Ismael und Isaak, die in Streit geraten und sich die goldene Kugel teilen. Wobei die Kugel das Erbe Abrahams - was man auch immer darunter zu verstehen hat - symbolisiert.

Wenn dies zutrifft, dann wäre das Becken im Tempel des Salomon auf dem Tempelberg tatsächlich die untere Hälfte der Kugel - von Isaak dorthin gebracht, der sich ja in die nördliche Richtung wandte. Es würde auch erklären, weshalb in Hebron nur die Nachfahren der Linie Isaaks aufgeführt wurden: Sein Halbbruder Ismael wandte sich mit der oberen Hälfte der goldenen Kugel in eine andere Richtung, vermutlich in Richtung Südwesten. Weshalb schließlich auch zu erwarten wäre, dass sich das Grab des Abraham, der Hagar, des Ismael und seiner Nachkommen an einem anderen Ort befindet.

Natürlich wendet der fromme jüdischorthodoxe Gläubige sofort ein, dass das alles nicht sein kann, weil er diese oder eine ähnliche Geschichte in seinen Überlieferungen nicht findet. Das wäre für mich jedoch kein Grund, darüber nicht weiter nachzudenken und zu forschen.

Denn die Indizien sprechen durchaus für Alis und meine Hypothese: Die Nachkommen des erstgeborenen Sohnes von Abraham, Ismael, wie auch seines Halbbruders Isaak haben offenbar darauf verzichtet, ihren Vater Abraham und ihre Mütter aus der wahrhaftigen zwiefachen Höhle in ihre Heiligtümer umzubetten. Es war anscheinend der erklärte Wunsch ihres Vaters Abraham, gemeinsam mit Adam und Eva in dieser Höhle und im Duft des Garten Eden zu ruhen. Keine tausend

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Hohepriester der Synagoge von Jerusalem oder selbst ein Prophet vom Rang Muhammads hätten sie sonst vom Fluch Abrahams für diesen Frevel freisprechen können. Und wer wäre bereit gewesen, einen solchen Fluch auf sich zu laden, nur damit die Nachkommen in der Nähe ihres Vaters und der Mütter ruhen konnten?

Falls sie weise gehandelt haben, und daran sollte man nicht zweifeln, errichteten sie zwei Kopien der Originalgruft: eine für Abraham und Hagar und eine für Abraham und Sara. Dort konnten sie die Nachkommen ihrer Mütter vorübergehend bestatten, solange es keine Möglichkeit gab, diese ebenfalls in der Originalgruft beizusetzen.

Die Kenntnis des genauen Ortes der zwiefachen Höhle hatten sie verloren.

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Das Tal der Propheten

Wenden wir uns nun der Entdeckung zu, die Ali im Tal der Propheten gemacht hat. Die Anreise dorthin verlief unter ähnlich mühseligen Bedingungen wie die Touren ins Tal der Patriarchen, das nur wenige Meilen davon entfernt ist. Wieder wurde Ali von seinen beiden Helfern begleitet. Die einzige Entdeckung, die ihm in diesem Tal geglückt ist, verdankt er seiner Kameldame Viktoria, der »Mutter aller Kamele«.

In der mit Geröll und Schutt übersäten Schlucht, durch die Ali mit seinen Begleitern gezogen war, hatten sie Felszeichnungen entdeckt. Es waren merkwürdige Gestalten mit sehr langen Oberkörpern und auffällig kurzen Beinen, die an Höhlenzeichnungen in Europa erinnerten. Nun suchte er in der Nähe einer Felswand nach Markierungen, Schriftzeichen oder was auch immer, das auf menschliche Eingriffe hinwies. »Im Nachhinein«, sagte Ali, »muss ich annehmen, dass Viktoria mich beobachtete und glaubte, ich würde nach Wasser suchen. Sie streifte umher, blieb, wie uns nach einiger Zeit auffiel, an einer Stelle stehen und scharrte ständig im Geröll.«

Einer der erfahrenen Begleiter von Ali ging daraufhin zu ihr und räumte die Steine beiseite. Zum Vorschein kamen künstlich bearbeitete Bodenplatten, so dass auch der Begleiter im ersten Augenblick glaubte, es handle sich um die Abdeckung eines Brunnens. Das stellte sich jedoch rasch als Irrtum heraus. Sie hoben die drei Platten beiseite. Doch darunter war nichts - außer einer Felsspalte.

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Schilder für Riesen?

Unter den üblichen Sicherheitsvorkehrungen drangen sie in die Felsspalte ein. Sie gelangten in einen Gang, der etwa 27 Meter lang und zwischen 3 und 5 Metern breit sowie etwa 4 bis 5 Meter hoch war. Dieser Gang führte jedoch nirgendwohin. Es war ein natürlicher Riss, der mit Werkzeugen erweitert worden war. Infolge von Erdbeben, die in dieser Region nicht selten sind, hatten sich Steinbrocken von der Decke und von den Wänden gelöst. Geröll lag auf dem Boden, ebenso Sand und Staub. Oberhalb von 3 Metern befanden sich in den Seitenwänden Nischen. Doch diese Nischen waren leer.

Zwischen den Nischen aber fanden Ali und seine Begleiter zahlreiche Tafeln mit Abmessungen von etwa 55 mal 80 Zentimetern. Die Tafeln waren unterschiedlich groß und nicht auf Augenhöhe angebracht, sondern in etwa 3 Meter Höhe. Unterhalb von 2 Metern waren überhaupt keine Verzierungen oder Schriftzeichen zu erkennen.

Ali berichtete, dass er aus Zeltstangen, Zelttuch und Fixierbändern ein provisorisches Gerüst zusammenbinden musste, um diese Tafeln fotografieren und sicherheitshalber auch abzeichnen zu können.

Natürlich wurde im Hotel der Außenseiter-Archäologen auch in meiner Gegenwart über die Körpergröße der ehemaligen Bewohner spekuliert. Es macht offenkundig keinen Sinn, zum Beispiel ein Schild »Zutritt verboten« in 3 Meter Höhe zu befestigen, wenn man möchte, dass dieses Gebot beachtet wird. Der Gang im Felsen könnte demnach von Menschen eingerichtet worden sein, die eine Augenhöhe zwischen 2,70 und 3,30 Metern hatten. Damit wären auch die leeren Flächen unterhalb von 3 Metern zu erklären.

Dem hielt Ali entgegen, dass nirgends in der Umgebung auch nur der geringste Hinweis auf Menschen mit Übergröße zu

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sehen war. In Akaba stellte er seine Kopie der einen Tafel zur Diskussion. Er wies darauf hin, dass er sie nicht auf den Millimeter genau anfertigen konnte. Um es vorwegzunehmen, seine Zeichnung führte zu einer Änderung der Sichtweise in dieser Runde.

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Zweistromland Ägypten?

Teatime im Hotel der Außenseiter-Archäologen in Akaba. Ali saß herum und befragte jeden, der in seine Nähe kam, ob er verstehe, was er da vor sich liegen habe. Das ging schon eine ganze Weile so. Einer seiner Kollegen verschwand auf sein Zimmer und kam mit ein paar Karten von Ägypten und Arabien wieder, die nach Satellitenaufnahmen gefertigt worden waren. »Ali, das kostet dich einen Pfefferminztee.«

Es war eine unbeschreibliche Situation. Hier saß Ali, keinen Cent in der Tasche, aber gut Freund mit Emiren, Scheichs und Würdenträgern in den Wüsten Arabiens, Besitzer von zehn bis zwölf Kamelen. Dort werkelte jemand an einem Fotokopierer herum. Ein Mann, dessen Bedeutung ich nicht einschätzen konnte. Und Ali warf mit seinen Geheimnissen aus der Wüste nur so um sich. Der Kollege kopierte die Blätter, die er mitgebracht hatte, nahm eine Schere und schnitt, zur Verblüffung der Anwesenden, einfach das Rote Meer aus. Dann legte er die Küstenkonturen deckungsgleich aneinander und siehe da, fertig war ein Zweistromland, das den Umrissen auf Alis Kopie genau entsprach. Wenn man vom Sinai-Bereich einmal absieht, fügte sich alles wunderschön zu einem Land mit zwei Strömen (siehe Abbildung 12).

Jetzt aber schrien ein paar Anwesende durcheinander. »Das ist die Lösung! So bekommt alles einen Sinn! Abessinien, das heutige Äthiopien, und Teile der arabischen Küstenlinie am Roten Meer gehören zusammen. Was wir in Südwestarabien vergeblich suchen, finden wir im heutigen Äthiopien.« Ein Experte der Templergeschichte in Jerusalem, der zufällig auch anwesend war, meinte verblüfft, dass das wiederum das große Interesse der Templer an Äthiopien erkläre. Man glaubt allgemein, dass es ihnen damals um die Bundeslade ging. Aber vielleicht haben sie etwas anderes gesucht: das Paradies, besser

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gesagt Teile des biblischen Eden. Noch etwas wurde offenkundig. Wenn man, das Rote Meer

ignorierend, eine Verbindungslinie von den Pyramiden von Sakkara nach Mekka zog und von diesen beiden Endpunkten einen rechten Winkel konstruierte, dann ergab sich ein besonderes Muster, wenn man hierbei die Orte berücksichtigte, die in der Bibel erwähnt wurden.

Ali schloss die Augen und sagte, dass er das Zentrum des Paradieses vor seinem geistigen Auge sehe.

Abbildung 11: Satellitenaufnahme von Ägypten, Äthiopien und Saudi-

Arabien.

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Abbildung I2: Dieselbe Aufnahme jedoch ohne das Rote Meer.

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War Ägypten ehedem das sagenumwobene Zweistromland?

Alis Kopie der Tafel aus dem Tal der Propheten zeigte offensichtlich das Land, das wir als Ägypten kennen - darüber waren sich alle aus der Runde in Akaba einig. Zumindest ließ sich auf der einen Seite ein Flusslauf ausmachen, der von Süd nach Nord verlief und dem des Nils ähnelte. Aber uns verwirrte, dass es sich um ein Land mit zwei Flüssen zu handeln schien.

Was sollte das für ein zweiter Fluss sein, der von Norden nach Süden verlief und den es heute offensichtlich nicht mehr gab - ebenso wenig wie das Bett, in dem er geflossen sein müsste?

Der Kollege, der vorhin das Rote Meer aus der Kartenkopie geschnitten hatte, untersuchte Alis Kopie nochmals sorgsam. »Kein Zweifel«, sagte er, »diese Skizze hat mit dem Gebiet, das wir normalerweise als Zweistromland bezeichnen, nichts zu tun.«

Wie sich herausstellte, beschäftigte dieser Archäologe sich intensiv mit der Hypothese, dass Echnaton und Moses ein und dieselbe Person gewesen seien. Erregt überprüften nun alle Anwesenden Details ihrer Arbeit, auf die auf einmal ein ganz neues Licht fiel. Wie sich zeigte, warf diese Hypothese fürs Erste mehr Fragen auf, als sie beantwortete.

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Waren Mekka, Medina und Äthiopien einst Nachbarn?

Ein Spezialist für Sunniten und Alewiten, zwei geistige Richtungen innerhalb des Islam, schaltete sich in das Gespräch ein. Er hatte in der Landkarte, aus der das Rote Meer herausgeschnitten worden war, eine Übereinstimmung ganz anderer Art entdeckt.

Wäre dort das Rote Meer einst nicht gewesen, erläuterte er, so wäre das auch eine Erklärung für die Maslama, eine rätselhafte Gestalt, die vollständig verhüllt auftrat, ständig von einer Anzahl Begleiter umringt war und nur in Gebärden sprach, die von den Begleitern gedeutet und in Sprache umgesetzt wurden. Könnte es nicht sogar sein, überlegte er weiter, dass diese Maslama dem Propheten Muhammad geholfen hat, in das Gebiet der Täler der Patriarchen und Propheten zu gelangen?

Hier der Hintergrund dieser Überlegungen. Auf der Karte, aus der das Rote Meer ausgeschnitten wurde, findet man das heutige Äthiopien und Eritrea benachbart zu Mekka und Medina. Dort aber, im Raum von Mekka und Medina, soll zu Zeiten des Propheten eine Gestalt aufgetreten sein, die Mariam genannt wurde. Sie war verschleiert, mit Amuletten und Zierrat behängt, von Begleitern umringt und sprach nur in Gebärdensprache, die von den Begleitern übersetzt und verkündet wurde - genau wie die Maslama, mit der Muhammad Kontakt gehabt haben soll. Die Äthiopier sagen, dass die Maslama aus der Gegend zwischen Mekka und Medina stamme. Umgekehrt trug sowohl der letzte Kaiser von Äthiopien als auch der Offizier, der ihn gestürzt hat, den Beinamen Mariam.

Hierzu noch ein weiterer Hinweis. Der Prophet hat den Frauen des Islam vorgeschrieben, in der Öffentlichkeit nur tief verschleiert aufzutreten. Darin wird eine Schutzmaßnahme vor lüsternen Blicken der Männerwelt gesehen. Die Weisen des

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Islam sollten aber einmal darüber nachdenken, ob in der Verschleierung der Frauen nach Art der Mariam oder Maslama nicht ein Ehrenkleid der Frauen zu sehen ist. Eine Art stummer Huldigung der »Großen Mutter« und Auszeichnung einer jeden Frau. Dass die Rolle der Frauen im Islam eine ganz andere Entwicklung genommen hat, hängt mit den Übeltätern zusammen, die nach dem Tod des großen Propheten die amtierende Maslama und ihre gesamte Anhängerschaft ausgerottet haben. Damit wurde die Rolle der Frau im Islam auf verhängnisvolle Weise verändert.

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Wann und wie ist das Rote Meer in seiner heutigen Breite entstanden?

Eine Antwort auf diese Frage können nur die Geologen geben. Folgt man der herrschenden Lehrmeinung, dann löste sich vor etwa zwanzig Millionen Jahren die Arabische Halbinsel von Afrika, also lange vor dem Erscheinen des Homo sapiens sapiens - der erschien erst vor etwa 150000 Jahren in Afrika. Diese Antwort wird den Historikern nicht gefallen, denn die Traditionen diesseits und jenseits des Roten Meeres müssen älter sein.

Aber da gibt es noch eine andere Hypothese. Demnach war das Rote Meer ursprünglich ein Becken unterhalb des Meeresspiegels, also ein Pendant zum Mittelmeer. Eines Tages lief dieses Becken voll, ähnlich wie zwischen dem heutigen Gibraltar und Marokko die Wasser des Atlantik einbrachen. Dadurch könnte auch das Rote Meer entstanden sein, indem Wasser zwischen dem Horn von Afrika und dem Jemen in das vorher leere Becken einfloss.

Das könnte auch erklären, warum die Grabstätten der Patriarchen und Propheten auf einem Hochplateau errichtet wurden. Kam es in der Folge zur Klimaveränderung in Arabien, in deren Endphase das Paradies durch die unbarmherzig brennende Sonne ausgetrocknet und verwüstet wurde?

Ich vermute, dass es eines Tages nicht nur Eden-Archäologen, sondern auch Eden-Geologen geben wird, die sich unter anderem mit dieser Frage beschäftigen werden.

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6. Kapitel: Die Arbeit mit Zirkel und Lineal

Um zu erklären, warum Ali sich plötzlich von den Tälern der Patriarchen und Propheten abwandte und das Zentrum des Paradieses zu suchen begann, muss ich noch etwas ausholen. Er hatte in einem Beduinenzelt ein Stück Pergament gesehen, auf dem mathematische Körper skizziert waren. Normalerweise hätte er kaum auf diese Zeichnung geachtet, die auf den ersten Blick wie eine Vorlage für Teppichmuster aussah. Aber das Pergament schien außerordentlich alt zu sein. Er sah es genauer an und konnte sich keinen Reim darauf machen. Sicherheitshalber fertigte er damals eine Kopie für sein Archiv an (siehe Abbildung 13).

Abbildung 13: Kopie einer Zeichnung, die Ali in einem Beduinenzelt sah

Die Skizze enthielt einen Oktaeder, einen Würfel, eine Kugel,

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einen Kegel und einen Zylinder. Die Positionen dieser Körper waren offensichtlich genau festgelegt. Als Ali mir seine Kopie zeigte, konnte ich keinen Zusammenhang mit mir bekannten Strukturen oder Verhältnissen erkennen.

Ali kramte ein Lineal hervor und drehte das Blatt mit seiner Skizze, so dass der Oktaeder etwa bei elf Uhr zu liegen kam. Dann zog er einen Strich vom Oktaeder zum Würfel. Ich verstand noch immer nicht. Vermutlich schaute ich ihn an wie ein Mensch, dem man ein Stück Löschpapier mit Tintenflecken überreicht hatte und der nun einen Vortrag darüber halten soll.

Ali kannte diese Reaktion, daher holte er eine Karte vom Nahen Osten und legte seine Skizze darauf. »Stell dir vor, der Oktaeder steht für die Pyramiden in Ägypten und der Würfel für die Kaaba in Mekka. Wenn ich die Grundlinie zwischen den Pyramiden und dem Würfel gezogen habe, also eine Linie von Kairo nach Mekka, dann wird sich alles Weitere mit Zirkel und Lineal schon finden.« Er holte eine weitere Karte hervor, auf der er diese Linien schon eingezeichnet hatte.

»Spielte Geometrie im Paradies eine Rolle?« fragte er mich und antwortete sich selbst: »Ja, ich bin heute fest davon überzeugt, dass die Rekonstruktion von, wie ich es nenne, sensitiven Punkten des Paradieses mit Zirkel und Lineal möglich sein muss.«

Er demonstrierte mir, was er meinte. »Nimm die Linie von Kairo nach Mekka als Grundlinie und zieh durch die Position des Tals der Patriarchen eine parallele Linie. Auf diese Weise kannst du auch weitere heilige Orte des Islam zuordnen. Ihre Lage lässt sich in einem schachbrettähnlichen Gitternetz definieren.« Auf der Karte zeigte er mir drei Orte von größter Bedeutung für den Islam, und siehe da, es ergab sich ein Dreieck - »das Heilige Dreieck des Paradieses«, wie Ali es nannte.

Mit Hilfe eines Zirkels konstruierte er sodann ein gleichseitiges Dreieck, wobei die Seitenlänge der auf der Karte

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gemessenen Distanz zwischen Medina und dem Tal der Patriarchen entsprach. Der dritte Punkt lag in der Nähe der heiligen Stadt Büraydah. »Ob du diesen Punkt zum Mittelpunkt eines Kreises machst oder den Mittelpunkt des Dreiecks konstruierst«, erklärte er, »in beiden Fällen stößt du auf Orte von religiöser Bedeutung.«

Abbildung 14: Das Heilige Dreieck in Saudiarabien

Nimmt man das Tal der Patriarchen, die Kaaba in Mekka und die heilige Stadt Büraydah als Eckpunkte, dann erhält man das erste Heilige Dreieck des historischen Paradieses in Arabien (siehe Abbildung 14). Sein Mittelpunkt weist direkt auf den Ort hin, an dem Muhammad seine Erleuchtung hatte.

Dieser Ort ist von Medina bequem zu erreichen, bedeutete also für Muhammad einst keine Weltreise. Um ihn rankt sich

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übrigens eine Legende: Danach soll Jahrhunderte nach Muhammad wieder einmal eine Periode vulkanischer Aktivitäten diese Region heimgesucht haben. Es begann plötzlich und unvermutet. Große Mengen Lava ergossen sich aus den Kratern und begruben das Land unter sich. Auch der Ort, an dem Muhammad zum Propheten wurde, war in Gefahr, von Lava bedeckt zu werden.

Die Gläubigen wandten sich im Gebet an Allah. Da gebot Allah im letzten Augenblick der Lava Einhalt, so dass der Ort verschont wurde.

Die Frage, warum die heilige Stätte Mekka in relativer Nähe zu einem Bereich mit häufiger vulkanischer Aktivität angelegt wurde, wird so gut wie nie gestellt. Hat das mit den Gasen zu tun, die durch Spalten und Risse aus der Erde aufsteigen? Mekka selbst ist ja frei davon. Warum empfiehlt der Prophet Muhammad jedem Muslim, wenigstens einmal in seinem Leben nach Mekka zu pilgern? Warum soll er gerade dort nach einem bestimmten Ritus verweilen - teilweise auch außerhalb Mekkas -, um nach seinem Tod in den siebten Himmel einzugehen?

Für den westlich erzogenen Christen ist Mekka unerreichbar und von seinen vordergründigen Interessen ebenso weit entfernt wie von seiner Vorstellung eines Lebens nach dem Tod. Er wird solchen Fragen nicht auf den Grund gehen. Dem Muslim dagegen sind solche Fragen nicht erlaubt, denn er hat die Gebote des Propheten zu erfüllen, aber darf sie nicht hinterfragen.

Das Phänomen, dass man im weiteren Umkreis von Mekka und Medina zur Erleuchtung kommt, kann derzeit einzig durch Gase, die aus der Erde austreten, erklärt werden. Schon in Griechenland bereiteten sich die Seherinnen in den Orakelstätten auf ihre Visionen vor, indem sie Dämpfe einatmeten, die aus der Erde aufstiegen. Offenbar werden die Sinne dadurch angeregt.

Seine Arbeit mit Zirkel und Lineal, so berichtete mir Ali, ging über Jahre weiter. Er hatte wie beschrieben ein Gitternetz über

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ganz Arabien gelegt, wobei die Strecke Kairo-Mekka die Grundlinie bildete. Parallel zog er weitere Linien durch alle ihm bekannten mysteriösen Orte. Der dritte Punkt in dem heiligen Dreieck war neben dem Tal der Patriarchen und Medina nun Büraydah (siehe Abbildung 15).

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Die heilige Stadt Büraydah

Büraydah gilt als heiliger Ort des Islam, in dem »Wissen im Sinne Allahs« gepflegt und gelehrt wird. Um beurteilen zu können, ob Büraydah ihm bei seiner Arbeit weiterhelfen würde, reiste Ali Anfang der neunziger Jahre dorthin. Es war die Zeit der Besetzung Kuwaits durch Truppen des Irak, was für ihn ohnehin eine Zwangspause bedeutete. Bei diesem Besuch der heiligen Stadt Büraydah hörte er auch das Märchen von dem Garten und der goldenen Kugel, das uns beiden so bedeutungsvoll erschien.

Abbildung 15: Deutet dieses Gitternetz auf prähistorische

Großraumplanung in Arabien hin? Während alle Welt Mekka kennt und weiß, dass nur Gläubige

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dort geduldet werden, nimmt kaum jemand Notiz von Büraydah und der dortigen Verbotszone. Auch hier gibt es Bezirke, in denen Ausländer, ja selbst Muslime unerwünscht sind. Ali reiste im Gefolge eines Emirs, mit dem er »sehr gut bekannt« war, wie man der Landessitte entsprechend sagt, um den Ausdruck »befreundet« zu vermeiden. Solange er, wie es sich für jemanden im Tross eines reisenden Emirs ohnehin ziemte, schweigsam war, erkannte niemand in ihm den Ausländer.

Damals registrierte Ali sofort, dass Eingeweihte in Büraydah vom »verlorenen Paradies« wussten. Doch die Gesetze des Islam verboten ihnen, die Lehre des Propheten in Frage zu stellen und die betreffenden Plätze aufzusuchen, zumal dann, wenn diese unter der Erde lagen. Eines wurde Ali jedoch damals klar: Die Überreste des biblischen Paradieses mussten genau dort zu finden sein.

Statt vom Paradies sprachen die Schriftgelehrten in Büraydah in Anwesenheit des Emirs über Dinge, die sie selbst und ihre hehrer nie mit eigenen Augen gesehen hatten. Ali schilderte mir diese Zeit in Büraydah als ein nicht enden wollendes Herumsitzen, blumenreiches Palavern und gegenseitiges Belauern. In Anwesenheit des Emirs durfte sich Ali sowieso nicht an den Gesprächen beteiligen, was diesem quicklebendigen, unternehmungslustigen Menschen sehr schwer fiel. Er hatte offiziell den Rang eines »Teaboy«, was nach unseren Begriffen etwa dem eines Kammerherrn im Mittelalter entspricht. Später, wenn sich die Runde aufgelöst hatte, konnte Ali mit dem Emir in dessen Räumen einige Worte wechseln und seine Fragen stellen, damit der Emir sie am nächsten Tag in das Gespräch einbringen konnte.

Zwischendurch erfolgten einige Ausfahrten mit dem Jeep und diverse Ausritte. Unter anderem besuchten sie eine Steinwüste, in der Allah »die Riesen ge- und zerschlagen« haben soll. Dort lagen unförmige Trümmer riesiger Skulpturen umher. »Wie groß muss eine Statue gewesen sein«, fragte mich Ali, »wenn

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der Überrest eines Fingerglieds des Mittelfingers bereits vier Meter lang war?«

Die kleine Karawane, die den Ausritt machte, ritt an den Fragmenten hochmütig vorbei und bespuckte symbolisch diese Überbleibsel der Gottlosen, die hier einst gelebt hatten. Für die nun hier lebenden Moslems waren diese Trümmer eher unangenehme Relikte einer frevlerischen Zeit, »die man am liebsten in die Luft sprengen würde«. Ali musste einsehen, dass es wenig Sinn hatte, hier eines Tages aufzutauchen und eben das zu tun, was den Hiesigen verboten war: zu suchen und zu graben. Aufgrund der Nähe Büraydahs gab es eine Vielzahl kleiner »wilder« Siedlungen mit Pfaden, Wegen und Pisten. Außerdem gab es dort noch die staatlichen Autostraßen, die sich wie ein Netz um Büraydah gelegt hatten.

Ali benötigte zwischen seinen Grabungsplätzen und der nächsten arabischen Siedlung eine Distanz von mindestens sechs Tagesritten mit dem Kamel. Das müssen nicht unbedingt die erwähnten 50 Kilometer pro Tag sein, die ein trainiertes Wüstenkamel zurücklegen kann, vielmehr kommt es auf die Schwierigkeiten des Geländes an. In der Gegend um Büraydah aber konnte man mühelos 150 Kilometer mit dem Auto und 60 Kilometer mit dem Kamel in jede Richtung reisen. Daher hätte Ali dort nicht ungestört arbeiten können. So blieb er auf die Überlieferungen und Märchen angewiesen, die er in Begleitung des Emirs zu hören bekam.

Der Ort selbst ist eine Stadt der islamischen Gelehrten. Die Traditionen sind einzig auf den islamischen Weg zu Gott ausgerichtet. An weltlichen Wissenschaften ist man nicht interessiert. Und Archäologie, die Entweihung von Grabstätten, ist im streng islamischen Saudi-Arabien ohnehin verboten. Trotzdem gab es auch in Büraydah Eingeweihte, die mehr wussten, aber schwiegen.

Alis Rolle als Teaboy erlaubte ihm ohnehin nicht, mit diesen Eingeweihten in Kontakt zu treten. So ging die Reise zu Ende,

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und er kehrte über Riad nach Amman zurück. In Akaba machte er mir gegenüber eine Bemerkung, dass man

wohl etwa dreißig bis fünfzig Kilometer nordwestlich von Büraydah auf die »eigentliche Stelle« stoßen werde, die er mit Zirkel und Lineal als Eckpunkt des Heiligen Dreiecks ermittelt hatte.

Damit verblieb nur noch eine Region, die auffälligerweise in der relativen Nähe zu einem Lavafeld liegt. Die Umgebung von Ha'il. Dort waren auch die Voraussetzungen für Alis Arbeit etwas besser. Und dort wurde Ali schließlich fündig. Ob er jedoch wirklich das Zentrum des biblischen Paradieses gefunden hat, konnte - oder wollte - er bis zuletzt nicht sagen.

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Die geheimnisvolle Zeichnung

Ali kramte in seinen Unterlagen die Kopie der Skizze heraus, die er damals von dem alten Pergamentstück kopiert hatte »Passt diese Skizze nicht«, fragte er, »ganz genau zur Beschreibung des Gartens in dem Märchen, das ich in Büraydah gehört habe?« Und dann legte er los:

»Die vier Schlüssel, die die Töchter erhielten, wären demnach die Pyramide in Ägypten, der Würfel in Mekka, der Kegel oder Turm in Aleppo oder Babel und ein unbekanntes viertes Monument in der rechten unteren Ecke. Dem Vater gehörte einst die Kugel in der Mitte. Die beiden Söhne brachten die eine Hälfte nach Jerusalem, wo sie zum Becken im Tempel Salomons wurde, und die andere an einen unbekannten Ort, eventuell in den Jemen. All das zusammengenommen«, schloss Ali, »war die Beschreibung der Markierungen des Paradieses.«

Viele mochten schon nach dem Zentrum des Paradieses gesucht haben, sagte er dann, aber wahrscheinlich sei vor ihm in jüngerer Zeit niemand dem Ziel so nahe gewesen wie Professor Alois Musil, der katholische Priester aus Prag. Seine Reiserouten ließen die wahre Absicht oder seinen Auftrag deutlich erkennen. »Ob er im Auftrag des Wiener Institutes für Orientalistik reiste oder ob der Vatikan ein vages Interesse an der Klärung dieser Frage hatte, bleibe dahingestellt.«

»Du meinst also, dass auch Musil das Heilige Dreieck kannte?« fragte ich.

»Ganz bestimmt«, erwiderte Ali. »Sieh es dir nur an: Musil hält sich in Aleppo auf - bei dem Turm oder Kegel, wie man ihn auf einem Gemälde mit Dante sieht, demnach in der linken oberen Ecke der Skizze. Dann bereist er Mesopotamien. Also eine weitere Reise im Zeichen eines Turmes, des Turms von Babel. Von Damaskus aus versucht er auf einer anderen Reise in das Innere Arabiens vorzustoßen - zum Zentrum des Paradieses,

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was der Kugel auf der Skizze entspricht. Dann wendet sich Musil dem nördlichen Hijaz zu, wo er bis auf 65 Kilometer an die Täler der Propheten und Patriarchen herankommt! Ich als Kenner der Materie«, sagte Ali, »versichere dir, das war ein systematisches Vorgehen, wie ich es auch geplant hätte, wenn ich über Istanbul und Damaskus nach dem Paradies gesucht hätte.«

Dann kam er auf jenen Dr. Seetzen zu sprechen, den ich weiter oben schon erwähnt habe. »Seetzen wählte hundert Jahre früher eine ganz ähnliche Reiseroute: über Aleppo, Jerusalem, Kairo, Medina/Mekka und den Jemen. Also zum Kegel, zur Halbkugel, dann zu Pyramide, Würfel und zur zweiten Halbkugel. Beide scheinen genau gewusst zu haben, was es an diesen Orten zu ergründen gab. Und die Beduinen, die Musil am Ende seiner Reise in das Herzstück des Paradieses überfielen und ausraubten, taten es nicht wegen der Wertgegenstände, sondern wegen seiner kartographischen Aufzeichnungen. Die Beduinen übten ihr Wächteramt aus.

Was Dr. Seetzen betrifft«, schloss Ali mit ernster Miene, »der hatte sich in Mekka wohl zu weit aus dem Fenster gelehnt. Meiner Ansicht nach befand auch er sich auf dem Weg zum Zentrum des biblischen Paradieses, als er vergiftet wurde. Oder sollen wir es als Zufall betrachten, dass er, seine Ausrüstung und seine Aufzeichnungen seither verschollen sind?«

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Die vier Ecken der Welt

Was könnte für die Hypothese sprechen, nach der die vier Ecken des einstigen Paradieses mit auffälligen Körpern markiert wurden? Also mit Kugel, Würfel und Zylinder, die uns heute als platonische Körper bekannt sind?

In weltanschaulichen Überlieferungen wird von einer Stadt Gottes berichtet. An den vier Ecken befinden sich Türme und jeweils in der Mitte zwischen zwei Türmen ein Tor. Ob es sich nun um Nachbauten im großen Stil handelt, wie einst von Diokletian um 300 n. Chr. in der heutigen Stadt Split in Kroatien, oder um Forts in der jordanischen Wüste - sie alle könnten einem uralten Vorbild entsprechen.

Vielleicht ist es das gewaltige Ausmaß dieses Paradieses, das von der Antike bis heute den Blick für diese Möglichkeit trübte. Immerhin handelt es sich um ein Gebiet, das sich über viele tausend Quadratmeilen erstreckt und Teile Ägyptens, ganz Arabien und Teile des mesopotamischen Gebietes umfasste. Ich möchte hier nicht apodiktisch behaupten, dass dieses ganze Gebiet in vorgeschichtlicher Zeit als »Garten Eden« bezeichnet wurde. Über diese Möglichkeit nachzudenken lohnt sich aber auf jeden Fall.

Schauen wir uns also die Ecken des Paradieses im Einzelnen an.

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Würfel: die Kaaba von Mekka

Unübersehbar für denjenigen, der den möglichen Zusammenhang zu erkennen beginnt, markiert ein Kubus die südwestliche Ecke des Gebietes, das ich als Land des einstigen Paradieses ansehe. Der Überlieferung nach hat der Patriarch Abraham zusammen mit seinem Sohn Ismael dieses Bauwerk errichtet. Möglicherweise haben aber Abraham und sein Sohn Ismael nur ein bereits bestehendes Bauwerk mit ihren Mitteln restauriert. Der markante Punkt könnte schon vor ihrer Zeit bekannt gewesen sein.

Diese Feststellung sollte man nicht als Angriff auf Abraham oder den Propheten Muhammad sehen. Es sollte nur ein Hinweis sein, dass der Prophet des Islam genau wie Abraham gute Gründe hatte, entweder diesen Ort oder das Gebilde an diesem Ort zu markieren. Muhammad bestimmte den Ort sogar zum Mittelpunkt für die Versammlung im Geiste: Bis heute beten alle muslimischen Gläubigen in Richtung Mekka.

Die Kaaba, das kubische Gotteshaus in Mekka, hat folgende Abmessungen: eine Höhe von etwa 15 Metern, eine Grundfläche von zirka 10 mal 12 Metern. Wer heute eine Übertragung des Gebets während des Ramadan aus dieser Moschee am Fernsehen mitverfolgt, sieht nicht mehr die ursprüngliche Anlage. Um möglichst vielen Gläubigen gleichzeitig die Möglichkeit zum Gebet zu geben, hat man eine gewaltige, über mehrere Stockwerke verteilte Versammlungsfläche errichtet.

Auf alten Darstellungen ist aber noch zu sehen, dass das ursprüngliche Prinzip an die Anlage in Ägypten erinnert, in deren Mittelpunkt die Stufenpyramide von Sakkara des Pharao Djoser stand. In Ägypten war eine Pyramide von einem rechteckigen Hof umgeben. In Mekka ist es ein Kubus, der ursprünglich von einem rechteckigen Hof begrenzt wurde. Eine solche Anlage, also der Mittelpunkt und die Umzäunung

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zusammen, wurde als Haus bezeichnet. Der Name Pharao wird unter anderem mit »Herr des Großen Hauses« oder »Vater des Hauses« übersetzt. Es ist sicher kein Zufall, dass auch die Kaaba unter anderem als Bait Allah (Haus Gottes) oder Bait alharam (geheiligtes Haus) bezeichnet wird.

Noch einen Bezug zu Ägypten gab es bis in das 20.

Jahrhundert hinein. Die Kaaba ist mit einem Behang aus schwarzem Brokat oder schwarzer Seide bedeckt. Stickereien mit Gold- und Silberfäden zitieren Koranverse. Seit den Mameluken im 13. Jahrhundert christlicher Zeitrechnung hatte Ägypten das Privileg, den Behang der Kaaba jährlich zu erneuern.

So ergibt sich eine Verbindung von Ägypten nach Mekka und zurück. Ist das wirklich nur Zufall? Oder wollten Eingeweihte der damaligen Zeit einen Hinweis geben? Mit der erwähnten Tradition wurde erst im Jahr 1924 gebrochen, aus politischen Gründen im Zusammenhang mit der nationalen Souveränität Saudi-Arabiens.

In Ägypten erfahren heute die Pyramiden keinen besonderen Schutz durch staatliche oder religiöse Führer, und der heilige Ort Heliopolis wurde schon vor zweitausend Jahren dem Erdboden gleichgemacht. Dagegen wird der Ort, an dem die Kaaba steht, in höchsten Ehren gehalten. Die Ehre, Hüter der heiligen Stätten zu sein, fiel an die Wahhabitische Dynastie der Banü Sa'üd, die im Westen heute als Saudis bezeichnet werden. Das Bauwerk, zu dem ein Nichtmuslim keinen Zutritt hat, ist aus gräulichem oder graublauem Stein aus der Umgebung von Mekka errichtet worden. Zwei Meter oberhalb des Bodens befindet sich der schwarze Stein, den jeder Pilger während seiner Pilgerreise zu küssen hat. Ursprünglich soll der Stein ein weißer Hyazinth gewesen sein, der sich durch die Sünden der Menschen langsam schwarz verfärbt hat. Der Stein selbst ist mit einer ovalen Einfassung versehen, der auf das ursprüngliche

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Ritual - aus welcher Zeit auch immer stammend - verweist. Die Kaaba wird übrigens als »weiblich« angesehen.

Eingeweihte sagten mir, dass man mit ihrer Hilfe der Mütterlichkeit huldigt, der Quelle allen Lebens.

Aber da ist noch etwas, das für das Thema dieses Buches von großer Bedeutung ist. Es befindet sich im Inneren der Kaaba. Hierzu schreibt Ibn Battütta (1304-1377 n. Chr.):

Der erlauchten Kaaba Inneres ist mit Marmor in den Farben Weiß, Blau und Rot ausgelegt. Die Wände sind mit Marmor verkleidet. Sie besitzt drei sehr hohe Säulen aus Teakholz, die im Abstand von vier Schritten voneinander stehen. Sie sind in der Mitte des Raums, der das Innere der erlauchten Kaaba bildet. Die mittlere Säule liegt gegenüber der Mitte der Seiten zwischen den beiden Ecken, die in Richtung Irak (Jemen) und Syrien zeigen.

Das Erstaunliche für denjenigen, der nach den Ecken des Paradieses Ausschau hält, ist die Richtungsangabe. Welchen Sinn die Innenausstattung der Kaaba einst auch gehabt haben mag, wir haben in diesem rund siebenhundert Jahre alten Reisebericht genau das gefunden, was wir brauchen, um eine weitere Linie zu ziehen, diesmal von Mekka aus: Es ist die Diagonale, die durch das verwüstete Paradies geradewegs auf das Gegenstück des ovalen, weiblichen Symbols der Kaaba weist, auf den Zylinder. Dies entspricht der Anordnung auf der Zeichnung (siehe Abbildung 13).

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Zylinder 1: der Turm von Aleppo

Wenn wir die Kaaba/Mekka als »weibliche« Komponente ansehen, liegt es natürlich nahe, Zylinder oder Türme als ihr Gegenstück aufzufassen, als männliche Komponente. Das ist allerdings keine Vorbedingung, um die einzelnen Ecken des Paradieses zu identifizieren.

Von allen Orten, die als Eckpunkte des Paradieses angesehen werden können, gehört Aleppo zu den am wenigsten bekannten. Diesen Platz scheinen die Altvorderen bewusst unkenntlich gemacht zu haben, oder er wurde etwa durch Naturereignisse für immer verschlossen. Nichts weist heute in Aleppo darauf hin, dass hier vor fünftausend Jahren ein auffälliges Monument gestanden haben könnte, das als Markierung für das Areal des Paradieses gedient hat.

Unter den Gästen im Hotel der Außenseiter-Archäologen in Akaba befand sich auch ein Syrer. Er brachte mir auf meine Bitte hin einige Unterlagen mit, die er im Basar einer kleinen Stadt nördlich von Damaskus besorgt hatte. Wir beide diskutierten nächtelang, als ich wieder einmal auf Ali wartete, wie und aufgrund welcher Merkmale sich zumindest ein Ansatz für die weitere Suche nach einem Monument ergeben könnte. Ich konnte die Zurückhaltung des Syrers verstehen. Er wollte weder Christen noch Juden auf Dinge aufmerksam machen, aus denen sie Rechte ableiten würden, im heutigen Syrien eine christliche oder jüdische Enklave zu errichten. Man muss auch diese Sichtweise akzeptieren. Der Schock der Staatsgründung Israels in den vierziger Jahren dieses Jahrhunderts und die Methoden, die dabei angewendet wurden, stecken den meisten Intellektuellen des Vorderen Orients noch in den Knochen. Ihre Vernunft hat bei ihnen zu einer Haltung geführt, die ich als eine Art arabischer Koexistenz bezeichnen möchte: Man redet über Tatsachen, die durch Gewalt geschaffen wurden, erst dann,

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wenn ein Zeichen Allahs allen deutlich macht, dass nun gehandelt werden soll.

Dieses Warten auf ein Zeichen Allahs ist so typisch für den gesamten muslimischen Raum, dass man damit vieles erklären kann. Dass politische Gruppen Allah zuweilen helfen, ein Zeichen zu setzen, sieht man allerdings auch, wenn man die Augen offen hält. Wenn sich Syrien von der westlichen Welt abgeschottet hat, dann hat das Gründe, die von Eingeweihten hinreichend in Büchern beschrieben wurden. Aber sie alle beachten ein Tabu, nämlich die jüdische und christliche Geschichte dieses Landes nach Möglichkeit nicht zu erwähnen. Nach Meinung des Syrers wurden bisher alle Bewegungen der Christen, Kopten und Juden, die sich in Syrien formierten, stillschweigend wieder eliminiert. Man nannte das Kind nie beim Namen, sondern führte als Anlass für das Durchgreifen der Regierung stets politische Unruhen oder Rebellion der eigenen Muslimbrüder an.

Es geht in diesem Buch nicht darum, innenpolitische Angelegenheiten Syriens zu erörtern, obwohl ich nächtelang mit dem Syrer über diese diskutierte. Es geht mir darum, dass uns im Westen heute kaum mehr bewusst ist, dass der ganze Landstrich Syriens am Mittelmeer entlang von jüdischen Flüchtlingen bewohnt war, und zwar schon lange vor Alexander dem Großen. Als 70 n. Chr. der Tempel in Jerusalem durch die Römer zerstört wurde, wandte sich ein Teil der jüdischen Gläubigen in Richtung Ägypten, also nach Alexandrien. Das kann man nachvollziehen. Der andere Teil aber, und sogar die Mehrheit, wandte sich in Richtung Antiochien. Warum?

Anscheinend bot das Gebiet, das heute zu Syrien gehört, genügend Platz und fruchtbare Erde. Wir dürfen aber davon ausgehen, dass es dort auch eine Art Ersatzheiligtum gab, um das sich Juden und jüdische Christen scharten, nachdem sie aus ihrem Hauptheiligtum vertrieben worden waren.

Warum aber gingen sie nicht nach Mekka? Schließlich gab es

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dort zu der damaligen Zeit noch keine Moscheen, denn der Islam war noch nicht gegründet. Vater Abraham hatte dort aber, der Überlieferung nach, ein Bauwerk errichtet - eben die Kaaba. Genau genommen wäre man dort vor dem Zugriff Roms relativ sicher gewesen, denn von Mekka aus war und ist Rom weit entfernt. Es gibt eine Hypothese, wonach der innere Zirkel der Vertriebenen tatsächlich in Richtung des heutigen Mekka ausgewichen ist und den geringeren Glaubensbrüdern Alexandrien und Aleppo überließ. Hierfür lassen sich gute Gründe finden, denn die weitere Region war damals schon sehr kärglich, so dass dort größere Flüchtlingsströme auf Dauer keine ausreichenden Lebensgrundlagen gefunden hätten.

Aleppo und seine Umgebung, insbesondere zum Mittelmeer hin, waren dagegen noch sehr fruchtbar. Eines Tages werden auch im heutigen Syrien die Touristenströme wieder fließen, und viele Besucher werden sich davon überzeugen können, dass dort mehr gut erhaltene, aber verschüttete Ruinen und Überreste des Christentums zu sehen sind als in Rom! Erinnert sei auch an die Kreuzritter-Festungen, die den Landweg nach Jerusalem sichern sollten.

Was hat Aleppo heute noch Besonderes zu bieten? Wenn man nicht weiß, wonach man sucht, eigentlich gar nichts. Auf den zweiten Blick aber könnte die heutige Zitadelle auf dem Sockel, also dem Überrest des gesuchten Turms errichtet worden sein.

Das Plateau des Tafelbergs erstreckt sich über 150 mal 250 Meter und beträgt am Fuß der natürlichen Böschung 200 mal 300 Meter.

Es handelt sich hierbei um einen Felsen, der sich sehr imposant erhebt. In den vergangenen zwei Jahrtausenden wurde dieser Sockel in erster Linie als Schutzburg für die Mächtigen und als militärische Einrichtung gesehen. Er präsentiert sich heute als Zitadelle mit zwei Moscheen und einem Palast. Geschichtlich lässt sich zurückverfolgen, dass noch vor den Hethitern die Amoriter diesen Berg für religiöse Kulte

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benutzten. Zwei aus Basalt gehauene Löwen aus dem 10. Jahrhundert v. Chr. belegen dies. Im Zuge der Befestigung baute man ab 1211 einen Zugang zum Plateau, eine mächtige Brückenanlage.

Abbildung 16: Steht die Zitadelle von Aleppo auf den Überresten des

Turmes? Doch schon der Sockel allein macht Eindruck. Stellt man sich

vor, dass auf diesem Felsen nochmals ein (vermutlich ovaler) Turm von 150 Metern Höhe errichtet wurde, dann übertrifft der optische Eindruck den Effekt der Pyramiden in Ägypten um ein Vielfaches. Nur: Die Pyramiden stehen heute noch, von einem Turm in Aleppo ist dagegen nichts mehr zu sehen.

Dennoch lässt der Berg von Aleppo noch heute erkennen, dass er durchaus als Basis für ein gewaltiges Bauwerk gedient haben konnte. Ein Kegel oder Zylinder von mindestens der doppelten Höhe der Kaaba in Mekka wäre hier möglich gewesen und hätte dem Berg ein monumentales Aussehen verliehen.

Werfen Sie bitte auch einen Blick auf die Abbildung 17. Auf diesem Gemälde sind Dante und der Turm von Babel zu sehen. Es ist weniger ein Turm im herkömmlichen Sinn, das Bauwerk wirkt auf den heutigen Betrachter mehr wie ein Hochhaus. Genau ein solches Bauwerk hätte man auf dem Hang über Aleppo errichten können, um dann auf dem Plateau weiter nach oben zu bauen. So wäre der optische Eindruck eines Turms entstanden.

Dantes Familie übrigens stellte seinerzeit Kreuzritter. Hatte

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einer seiner Vorfahren Informationen aus dem Morgenland mitgebracht, über die man außerhalb der Familie nicht sprechen durfte, um die Inquisition nicht auf den Plan zu rufen? Wollte Dante aber mit diesem Gemälde für die Nachwelt ein Zeichen setzen? Wir wissen es nicht.

Abbildung 17: Dante und der Turm von Babel.

Der Turmbau zu Babel jedenfalls war für die Christen des Mittelalters eher ein Symbol des Bruches mit Gott als ein Zeichen der Versöhnung mit dem Schöpfer. Kurzum, alles, was mit dem Turmbau zu Babel zusammenhing, war damals mit dem Makel der Sünde behaftet und tabu.

Für unsere Überlegung, ob wir es hier mit einer der Ecken des Paradieses zu tun haben, ist es nützlich, uns die Situation mit den Pyramiden, also die nordwestliche Ecke, vor Augen zu halten. Dort wurden über einen ganzen Landstrich, am Nil entlang, nicht nur eine, sondern zahlreiche Pyramiden gebaut. Hier in der nordöstlichen Ecke des Paradieses muss in der Folgezeit eine Vielzahl von Türmen entstanden sein. Es sieht so aus, als ob das erste, monumentale Bauwerk vielfach kopiert wurde.

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Zylinder II: der Turm von Babel

Im alten Babilu, der »Pforte des Herrn«, stand ein Turm. Nichts ist Zufall, auch der Name eines Ortes nicht - und vor allem dann nicht, wenn dieser Ort, wie ich vermute, eine der vier Ecken des Paradieses gebildet haben könnte.

Zu der Zeit, als ich mich 1996 in Akaba aufhielt, sprachen die dort anwesenden Eden-Archäologen immer von zwei Türmen, so genannten Zwillingstürmen. Einer der Anwesenden, der ein sehr kritisches Verhältnis zu seinem Heimatland USA hatte, verglich die Zwillingshochhäuser des World Trade Centre mit diesen Zwillingstürmen des antiken Babylon. Wir hatten uns daran gewöhnt, dass er von Babylon sprach, wenn er New York meinte.

Bei der Durchsicht der Liste berühmter Personen, die in das antike Babylon gereist waren, erstaunt es nicht, Herodot zu finden, der ja bekanntlich mehrmals auch in Ägypten weilte. Herodot wird von vielen Forschern der Neuzeit beneidet. Nichts ist uns geblieben von dem historischen Babylon mit seinen Gärten, Kanälen und seiner Pracht. Öde, Wüste, nachts durchdrungen vom Geheul der Schakale, so beschrieben es Forscher schon um die Jahrhundertwende, nachdem Robert Koldewey um 1900 den Turm von Babel ausgrub.

Zwischen Ägypten und Babylon gibt es eine interessante Übereinstimmung. Das altägyptische Weset oder Nut, das in der Bibel No heißt, wurde vom Griechen Homer als das tausendtorige Theben bezeichnet. Ähnlich wird auch Babylon als hunderttorige Stadt mit einer Doppelmauer beschrieben. Innerhalb des Vierecks, in dem das Paradies durch auffällige Bauwerke markiert wurde, gab es auf jeder Seite ein Tor oder einen Zugang. Demnach war das Babylon gegenüberliegende Tor - Theben in Ägypten!

Wenn das antike Babylon beschrieben wird, ist stets auch von

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prachtvollen Tempeln voll goldener Bildsäulen, gewaltiger Wandreliefs, von gepflegten Häusern mit bis zu vier Dächern, von Gärten und Schatten spendenden Palmenhainen die Rede. Außerdem gab es dort der Überlieferung nach den »Nabel der Welt«. Er wurde auch der Hochtempel Etemenanki genannt, die Zikkurat von Babylon, von den Bewohnern bezeichnet als »Haus, das die Fundamente des Himmels und der Erde trägt«.

Schon der Turm, den Herodot vor unserer Zeitrechnung sah, war längst nicht mehr jenes Bauwerk, dessen Spitze bis an den Himmel reichte und das die Phantasie der Christen so nachdrücklich über zweitausend Jahre beschäftigt hat. Der Turm wurde in der Vergangenheit gern als Argument gegen alles Neue, den Fortschritt, Erfindungen und neue Ideen angeführt. Die Bewahrer unter den Christen malten das Schicksal der Gotteslästerer von Babel in allen nur denkbaren Versionen aus. Aber nirgends steht, dass ich, wenn ich etwas bewahre, auch wirklich die Wahrheit bewahre. Es könnten auch eine Fälschung oder ein Irrtum sein, um nur diese beiden Möglichkeiten zu nennen.

Herodot sah einen Nachbau des Turms, entweder an derselben Stelle errichtet, wo der alte, sagenumwobene Turm gestanden hat, oder sogar nur einen Nachbau des Nachbaus, der einfach in die Hauptstadt verlegt wurde, um so diese Stätte als zentralen Ort des Kultes zusätzlich hervorzuheben. Ob nun Pyramide, Zylinder, Kegel, die prächtigsten Tempel in der Kapitale eines Reiches wurden errichtet, um dem Volk zu beweisen, dass der Souverän mit dem Gott, den das Volk verehrte, in enger Verbindung stand.

Bei dem Turm dagegen, den wir als Markierung einer Ecke des einstigen Paradieses suchen, muss es sich nicht unbedingt um einen Turm handeln, der in unmittelbarer Nähe des Mittelpunktes eines solchen Reiches steht. Auch die Pyramide beispielsweise, die als Markierung in Ägypten zu suchen ist, hat mit Sicherheit nicht im Mittelpunkt des alten Ägypten

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gestanden. Herodot, der irgendwann um 500 v. Chr. Babylon und sein

Um- land besuchte, sah dort die Überreste eines Bauwerkes, das zu diesem Zeitpunkt 350 Jahre alt gewesen wäre. Der gesuchte Turm müsste aber so alt wie die Cheops- oder Chephren-Pyramide sein, also mindestens zweitausend Jahre älter. Ägyptenreisenden ist bekannt, dass es dort eine Vielzahl von Versuchen gegeben hat, die großen Pyramiden nachzubauen. Die kläglichen Überreste sind besonders in der Umgebung von Sakkara als Schutthaufen zu besichtigen.

Man geht nach wie vor von der Annahme aus, dass besagter Turm, den Herodot sah, auf den Fundamenten früherer Rundbauten der Zikkurat stand. Die ersten dieser Bauart werden bis in die Zeit der Sumerer datiert. Damit kommen wir in eine Zeitperiode, in der in Ägypten die Pyramiden entstanden. Die Sumerer bauten ihre »Gottesberge«, wie sie ihre Türme nannten, wie die Ägypter ihre Pyramiden vor fünftausend Jahren auch.

Irgendwo dort jedenfalls, wenn auch nicht gerade da, wo sich Herodot aufhielt, stand auf der Linie zwischen dem heutigen Aleppo und Babel ein Turm oder Zylinder an der nordöstlichen Ecke des Paradieses. Warum der große Eckturm des einstigen Paradieses heute nicht mehr steht, möchte ich mit einer Geschichte erklären, die ich von dem Syrer zu hören bekam.

»In der orientalischen Phantasie«, erklärte er mir, »waren die Monumente von Babylon Türme des Hochmuts und der Eitelkeit seiner Erbauer. Zumindest in den Augen derjenigen, die zu solchen bautechnischen Höchstleistungen nicht fähig waren. Umso mehr Versionen ranken sich um den Fall oder die Zerstörung des Turms und seiner Erbauer. In den Herzen der Menschen wohnen von Anfang an, einer alten Mär der Wüste zufolge, zwei Brüder.

Der eine Bruder sagt: �Ich muss bauen.� Der andere Bruder: �Ich muss zerstören.�

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Ob diese Brüder die Vorbilder der Geschichte um Kain und Abel bei den jüdischen Stämmen der Wüste waren, ist nicht nachzuweisen. Auf jeden Fall geht es hier um Hochmut und Neid. Es ist daher nicht verwunderlich, dass diejenigen, die den wahren Turm nicht erbaut hatten, ihn aus Neid zu zerstören versuchten, um niemals daran erinnert zu werden, dass sie geringer waren als diejenigen, deren Land sie soeben erobert hatten. Sie taten alles, um die Erbauer in Zukunft zu verunglimpfen. Was ihnen ja gelungen ist.«

So weit mein syrischer Gewährsmann. Warum konnte der Turm zerstört werden? Innen sind unsere

heutigen Hochhaustürme hohl, weil sie Büroräume oder Wohnungen enthalten müssen. Entsprechend ist der Druck auf den Untergrund deutlich geringer, als wenn sie ganz aus Stein wären.

Der Druck auf jeden Quadratzentimeter Grundfläche, wie er beim Auftürmen eines weitestgehend massiven Turms von, sagen wir, 145 Meter Höhe auftreten würde, wäre fast doppelt so hoch wie der Druck bei den von den alten Ägyptern realisierten Pyramiden, deren Spitzen gleichfalls bis zu 145 Meter in den Himmel ragen.

Allein dieser Umstand dürfte die Erbauer der Gottestürme im Raum Aleppo bis Babylon und der weiteren Umgebung gezwungen haben, Türme mit verhältnismäßig vielen Hohlräumen zu erbauen. Diese wiederum waren der Hohlräume wegen leichter zu zerstören, zum Einsturz zu bringen und abzutragen als die Steinkolosse in Ägypten.

Neben der Muskelkraft der Menschen war auch eine geistige Höchstleistung erforderlich, um solche Bauwerke zu errichten. Welche menschlichen Leistungen des Geistes aber stammen aus dieser Region? Damit landen wir wieder bei den Sumerern, denn dieses Kulturvolk:

� besaß eine Keilschrift,

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� betrieb Astronomie, � legte die Grundlage der Mathematik, � verfügte über eine Technik des Ziegelbaus und � besaß eine Gesetzgebung zur Führung eines Volkes. Es liegt nahe zu vermuten, dass die Sumerer all dies gar nicht

selbst erfunden haben, sondern von ihren Vorfahren vermittelt bekamen, die noch im einstigen Paradies lebten.

Wir haben keinen Grund, die Berichte um den Turmbau zu Babel, so wie sie im Alten Testament stehen, anzuzweifeln. Man sollte sie heute jedoch noch um einige jüdische Texte ergänzen.

Die im Westen vorherrschende christliche Weltanschauung bedingt, dass noch immer nur das als Wahrheit gilt, was von den damaligen jüdischen Stämmen überliefert ist. Diesem Dogma beugt sich selbst der Entdecker Sumers, Sir Leonard Woolley, wenn er ausführt, dass alle materielle und geistige Kultur des Abendlandes von den Völkern des Zweistromlandes ausgegangen sei. (Sir Woolley gehörte nach der in diesem Buch getroffenen Unterteilung zu den »guten Archäologen«)

Man mag versucht sein, ihm zugute zu halten, dass er es zu seiner Zeit nicht besser wusste. Mir dagegen ist durch Mitteilungen seitens der »bösen Archäologen« bekannt, dass er sich einer britischen Weisung hatte beugen müssen.

Noch einmal zurück zum Turm von Babel: Herodot konnte nur berichten, was er sah und was ihm selbst berichtet wurde. Demnach war der sagenumwobene Turm zu Babel an seinem Sockel, umgerechnet in heutige Maße, etwa 90 Meter breit. 2r x 3,14 = 282,6 Meter - somit betrug der Umfang des Turms an seiner Basis um die 300 Meter. Aus Gründen der Statik war er verschachtelt gebaut: Herodot beschreibt, dass das Bauwerk aus sieben auf- und ineinander geschachtelten Türmen bestand. Um den ganzen Turm herum verlief eine Treppe, auf der man den Turm bestieg. Auf halbem Weg soll es Ruhebänke gegeben haben.

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Ein Besucher von heute sieht jedoch keinen imposanten Turm mehr, so wenig wie Gärten, Brücken, Paläste. Die ganze Pracht ist zu Wüstenschutt und Sand geworden, der vom Wind Tag für Tag weiter verweht wird. Auch diese ersten Stätten der Auswanderer aus dem Paradies sind also, wie das Paradies selbst, durch die Veränderung des Klimas im Sinne des Wortes verwüstet worden.

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Das unbekannte Vierte: Persischer Golf

Die vierte Ecke des Paradieses ist wie einst Atlantis im Meer versunken. Konstruiert man sie aus den bekannten drei Punkten, dann liegt sie im Wasser des Persischen Golfs. An seinen Ufern suchen Archäologen nach einer alten Zivilisation, von der schon 4300 Jahre alte Gräber gefunden wurden.

Leider liegt mir jedoch kein Material vor, das irgendwelche Rückschlüsse auf die einstige bauliche Beschaffenheit dieser vierten Ecke des Paradieses zulässt.

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Das Geheimnis der vier Tore zum Paradies

In manchen christlichen Überlieferungen wird, wie oben schon kurz erwähnt, eine »Stadt Gottes« beschrieben. Stets ist dort von Ecktürmen die Rede, ebenso von vier Toren, nach jeder Hirnmelsrichtung eines. Für den einen mag diese Übereinstimmung Zu fall sein, für mich ist es ein Punkt, über den die künftigen Eden-Archäologen noch nachzudenken haben.

Drei dieser Tore wären demnach bekannt: 1. Zwischen den durch Pyramide und Würfel gebildeten

Ecken, also der Strecke Heliopolis-Mekka, liegt das gesuchte Tor im oder bei dem tausendtorigen Theben in Ägypten. Der Eingang liegt jedenfalls zwischen Kairo und Mekka. Wenn es nicht Theben in Ägypten war, könnte es auch in der Region mit den Gräbern der Patriarchen und Propheten gewesen sein. Dies passt auch zu der traditionellen Ansicht, dass im Osten (Sonnenaufgang) das Leben beginnt und im Westen (Sonnenuntergang) der Tod. Würde das Tor als solches erkannt, wäre es ein Heiligtum.

2. Zwischen den durch Pyramide und Zylinder (Turm) gebildeten Ecken, also auf der Strecke Heliopolis-Aleppo, ist Jerusalem das gesuchte Tor. Dort errichtete später Salomon einen Tempel, eingeweihte Muslime erstellten einen Kuppelbau. Eigentlich müsste es ein Heiligtum sein.

3. Zwischen den Ecken, die durch den Zylinder (Turm) und die unbekannte vierte Komponente im Persischen Golf gebildet werden, ist es Babylon oder ein Ort in der Region Assyriens. Diesem Eingang zum Paradies soll Gott selbst zwei Säulen errichtet haben. Wäre es nicht zerstört worden, müssten wir das Heiligtum kennen.

4. Zwischen den durch Mekka (Würfel) und den Persischen

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Golf gebildeten Ecken, irgendwo nördlich des Jemen, liegt die vierte, noch unbekannte Pforte zum Paradies. Sie wäre das Pendant zu Jerusalem. Würden wir diesen Ort kennen, wäre die Welt um ein Heiligtum des Wissens reicher.

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Kugel: die symbolische Mitte des Paradieses

Als letzten Punkt auf der Zeichnung müssen wir nun nur noch die Mitte des Paradieses identifizieren. Für sie wurde das Symbol der Vollkommenheit gewählt, die Kugel.

In den Tälern der Patriarchen und Propheten hatte Ali bemerkenswerte Entdeckungen gemacht, die ich in den voranstehenden Kapiteln geschildert habe. Im Zentrum des Paradieses aber scheint er nicht so weit gekommen zu sein. Bei unserem letzten persönlichen Kontakt sprach er ständig von zwiefachen Höhlen, die er mir mehrfach skizzierte, um mir Details zu erklären. Aber die »große Kuppel oder Kugel« fand er meines Wissens nicht.

Bei den Grabungen vor Ort erlitt er bei einem schweren Unfall eine Querschnittsverletzung und weitere innere Verletzungen. Er verstarb noch auf der Rückreise durch die Wüste, auf das Kamel Viktoria gebunden, in hilflosem Zustand und sicher fast besinnungslos vor Schmerzen. Armer Ali. Aber er hatte einen solchen Tod vorausgesehen: als Opfer seiner Leidenschaft, seines archäologischen Fanatismus, dem sein ganzes Leben gewidmet war. Sein Unfall dürfte für Jahrzehnte jede Möglichkeit verschüttet haben, mehr über das Zentrum des Paradieses zu erfahren.

Auffällig ist jedoch, dass die Zeichnungen aus der zwiefachen Höhle, die Ali in der Mitte des Paradieses entdeckt hatte, mit der Lage der Ecken und Eingänge übereinstimmen. Eine Erklärung hierfür gibt es bis heute nicht. Daran wird sich erst dann etwas ändern, wenn das Areal des zentralen Ortes im Paradies vollständig von Wüstensand und Geröll befreit worden ist.

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War Abraham im Pantheon des Paradieses?

Abraham kannte das Paradies seiner Ahnen höchstwahrscheinlich nicht aus eigener Anschauung, er wusste aber, wo es lag. Das mag manchen Gläubigen erschüttern, aber er erfuhr es in Zwiesprache mit Gott. Das wiederum mag manchen Ungläubigen aufhorchen lassen: Wie geschah das?

Es war weit nach Mitternacht in unserem kleinen Hotel in Akaba. Die Abkühlung der Nachtstunden beflügelte den Geist der immer noch Tee trinkenden Gäste Alis. Es ging um »Abram, den Ausländer«, der in 1. Mose 14 in Zusammenhang mit dem König von Salem erwähnt wird. Erstaunlich, was der zusammengewürfelte Haufen von Außenseiter-Archäologen, deren Arbeitsgebiete in Syrien, Jordanien, Saudi-Arabien und dem Jemen liegen, im Laufe einer kühlen Nacht so alles besprach.

Worüber werden die wohl erst reden, wenn ich nicht dabei bin? fragte ich mich. Von Ali wusste ich, dass sich dann meist alles um Funde und Entdeckungen drehte, um die Frage etwa, in welcher Position oder innerhalb welchen erkennbaren Systems die Objekte gefunden worden waren. In meiner Anwesenheit jedoch waren es allgemeinere Themen, über die man unbekümmert sprach.

Ali hatte die Runde informiert, dass ich mich um die Ecken und den Mittelpunkt des Paradieses bemühte, wie sie in der Bibel beschrieben werden. Sie versuchten also ihre Erkenntnisse, ihr Knowhow auf ihrem jeweiligen Spezialgebiet in das Gespräch einzubringen. Besonders ergiebig waren für mich die Beiträge eines etwa vierzig Jahre alten Syrers, der seit Jahren die Sitten in der Region südlich Mekkas und des Jemen erforschte. Er war dabei, wie ich von Ali wusste, sehr erfolgreich und hatte in alten Urkunden, die er in Medina

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gefunden hatte, Hinweise auf eine Zivilisation entdeckt, die mindestens 3500 v. Chr. existiert hat. Fundstücke aus dieser Zivilisation befinden sich bereits in einigen Privatsammlungen.

Bei unserem Gespräch ging es unter vielem anderem um die

Tischsitten, also um die Rituale während des Essens in einem Beduinenzelt. Ich erfuhr, dass der Gast auch heute noch »ein Mund voll des Angebotenen isst«. Nun gilt die Speise, die dem Gast angeboten wird, seit alters her als etwas Besonderes. Der Beitrag des Syrers in dieser Diskussion lautete:

»1. Mose 14-18 muss so gelesen werden, dass Abraham wie folgt geehrt wurde: �Und der König von Salem trug ein Mund voll des Angebotenen, Brot und Wein herbei und er ist Priester von El'Elyon.�« Sein Beitrag bezog sich vor allem auf die Frage, wo diese Begegnung zwischen Abraham und dem Priester des Höchsten stattgefunden haben mochte, denn das würde mir einen Hinweis auf den Ort geben, den ich suchte.

Schriftgelehrte mit westlicher Bildung legen aber gerade diese Textstelle anders als arabische Hebraisten aus. Das wurde in der Runde deutlich, als eine Diskussion der arabischen Sprachwissenschaftler um die Frage der »Speise« entstand. Je nach Auslegung des Geschriebenen kann ein und dieselbe Wendung einmal als »Speise reichen«, dann aber auch als »den Zehnten von allem geben« gelesen werden. Es gibt somit zwei Lesarten: »Der König von Salem lädt Abram zum Essen ein�; oder: »Abram gibt dem König von Salem ein Zehntel seiner Beute aus einem Kriegszug.«

Die Situation wurde mir folgendermaßen erklärt: Abraham kam von einem Kriegszug zurück. Er wusste um die Bedeutung »Gottes des Höchsten« und ehrte ihn durch seine Gabe an den Priester dieses Gottes.

Diese Diskussion war für mich deshalb so bedeutsam, weil der Ort des Geschehens in der Bibel »Salem« genannt wird.

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Handelt es sich um einen Ort in Palästina, oder ist damit Jerusalem gemeint? Im Westarabischen gibt es zwei Orte, die arabisierte Varianten des Namens Salem tragen, der sowohl als »Gebiet der Gerichtsbarkeit« wie auch als »Gebiet der Herde« übersetzt werden kann.

So ergibt es durchaus einen Sinn, wenn Abraham, von einem Beutezug zurückkehrend, bei den Priestern der Gerichtsbarkeit vorspricht, um den Preis zu entrichten, den er zu zahlen hat, damit ihm der Raubzug nicht angelastet werden kann.

Eigentlich aber ging es mir um die Ortsbestimmung: Wo also hat Abraham den Priester des Höchsten getroffen? Der Syrer war sich sicher, dass aufgrund der topographischen Gegebenheiten nur ein Ort südlich oder nördlich des heutigen Mekka in Frage kam. Auf keinen Fall könne es ein Ort inmitten der saudiarabischen Wüsten sein, denn dann hätte Abraham, vom Roten Meer kommend, erst einmal mächtige Bergketten überwinden müssen. Im Raum Medina, Mekka und südlich davon weisen über- dies viele Ortsnamen auf Abraham und seine Nachkommen hin. Also wird er sich dort in erster Linie aufgehalten haben.

Schließlich legte sich der Syrer fest: Das biblische Salem sei mit dem heutigen Al-Salama (»Gott der Sicherheit, des Wohlergehens, Friedens«) im Distrikt von Nimas im Hochland von Asir identisch. Er kannte diesen Ort. Was hatte er dort vorgefunden, was anderen Besuchern verborgen geblieben war? Darüber schwieg er, vermutlich weil ich dabei war. Blicke und Mienen in der Gesprächsrunde zeigten mir, dass man darüber Bescheid wusste, und Ali signalisierte mir, dass ich lieber nicht weiter fragen solle.

Mir jedoch passte es nicht ins Konzept, dass dieses Al-Salama nicht zentral in Saudi-Arabien lag, sondern am südwestlichen Rand. Wenn man an einer Beweiskette bastelt, findet man keinen Spaß daran, ein zerbrechliches Kettenglied akzeptieren zu müssen. Ich war überzeugt, dass der Syrer genau wusste,

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wovon er sprach, nur passte es ganz und gar nicht zu meiner bisherigen Annahme, dass die Helden der alttestamentarischen Schriften am Rand des Paradieses und nicht in dessen Zentrum agiert hatten.

Rückblickend muss ich sagen, dass ich in dieser Nacht mein Weltbild verändert habe. Den letzten Anstoß dazu gab mir ein Ägypter, der Mekkapilger während ihres Aufenthaltes in Saudi-Arabien betreute und sich nun zu Wort meldete. Zwar liegt die Führung zu den Wallfahrtsstätten in der Hand von Clans aus Mekka, aber die Reisebüros, die überall in der Welt die Pilgerreisen der Muslime organisieren, haben stets einen oder mehrere eigene Vertreter vor Ort. Der Ägypter weilte im Hotel der Außenseiter-Archäologen, weil er auf zwei Freunde wartete, die im Irak unterwegs waren, um dort assyrische Fundstücke abzuholen. Er war hier sehr gut bekannt. Fundstücke werden meist über Ägypten weitergeleitet, so dass man gute Verbindungsleute benötigt. Er gehörte zu der Gruppe von Gästen, die durch ihre Zahlungsfähigkeit die anderen mitfinanzierten. Also war er der Freund aller Anwesenden.

Lassen Sie mich noch etwas weiter ausholen. Der besagte Ägypter war Spezialist für jüdische Texte, die er mit Texten im Koran verglich. Er suchte nach alten arabischen Schriften, die er in Medina bei den alteingesessenen Familien aufkaufte und nach Akaba brachte. Hier wurden sie gegen Fundstücke aus dem Irak getauscht. Gegen Aufpreis, versteht sich, damit der Hotelier zu seinem Geld kam. Die alten Schriften aus Medina nahmen dann ihren Weg nach Irak und Iran, wo sie wiederum gegen Fundstücke aus dem Besitz der Stämme eingetauscht wurden.

Der Ägypter schaltete sich in das Gespräch ein, weil er merkte, dass ich eher ungläubig auf die Ausführungen des Syrers reagierte. »König David kam ursprünglich vom Wadi Adam nahe dem Bait al-Sadiq in Zahran«, warf er ein, »und man wird irgendwann akzeptieren müssen, dass er als König in Siyan (Zion) in Rijal Alma herrschte.«

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Ich muss wohl etwas verwirrt ausgesehen haben, denn nun redeten gleich mehrere Männer auf mich ein. Am Ende aber ergaben ihre Erklärungen für mich einen Sinn. Die Kernpunkte ihrer Ausführungen waren:

1. Die Patriarchen der Bibel wählten für sich einen Bestattungs- platz weitab von ihren Stammesgebieten.

2. Diese Plätze lagen, warum auch immer, im Norden ihres Siedlungsgebietes. Laut Ali führten sie damit nur die Tradition aus Paradieszeiten fort.

3. Auch David lebte im Süden, von Eden aus gesehen. Der Ägypter fuhr fort: »Licht in die bisher weniger

erforschten Darstellungen aus der jüdischen Bibel und dem Koran bringt der Vergleich des jeweiligen konsonantischen Bestands. Doch diesen Vergleich scheut man sowohl auf jüdischer als auch auf arabischer Seite. Denn die Erkenntnis der Wahrheit hätte politische Konsequenzen, die von arabischer Seite unerwünscht sind.«

Um das zu verstehen, fuhr er fort, müsse man sich Folgendes vergegenwärtigen: Ob Beduinenstämme, Clans oder Familien - niemand will nur der Ehre wegen in dem Gebiet leben, in dem ein König David geboren wurde und geherrscht hatte, wenn dies die Gefahr einer Vertreibung nach sich ziehen könnte. Also unterstützt man lieber diejenigen, die behaupten, das Jerusalem Palästinas sei dieser Ort gewesen. So hält man Streit, Kampf und Ärger von der eigenen Heimat fern, indem man die Auseinandersetzungen zu diesem Thema möglichst weit davon entfernt schürt. Hierfür gibt es viele Beispiele in der Geschichte.

Zwei Versammlungsplätze mit dem Namen Dar al-Salam (Haus, Ort) sind im Koran Sure 6,127 und Sure 10,25 erwähnt. Traditionell ist dieses »Dar al-Salam« von den Koranschulen als abstrakter Begriff ausgelegt worden (»Heiligtum, Tempel, Wohnstatt des Friedens, Behausung des Heils«). Dies ist absichtlich geschehen, denn die Weisen des Islam wollten

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vermeiden, dass innerhalb des islamischen Glaubens ein Streit entbrannte.

Die Versammlungsplätze hatten gemeinsam, dass sich dort so genannte Schreine befanden. Recherchiert man in den Überlieferungen der Familien in dem dortigen Gebiet, dann erfährt man, dass der Gott slm (Salem, Salim) in einer westarabischen Eingott-Religion aus uralter Zeit verehrt wurde. Er wohnte in einem Schrein oder nahm dort Wohnung. Ist dies die Bundeslade?

Recherchiert man in Medina in den noch vorhandenen Schriften, die den Menschen Muhammad und seine Entwicklung zum Propheten betreffen, dann erfährt man, dass der Kult, Gott in einem Schrein zu verehren, zur Zeit Muhammads im 7. Jahrhundert in Hochblüte stand.

Der Name des Gottes lautete Rahman (der Erbarmer). Der Rahman-Kult wurde von Hohepriestern betrieben, die sich Maslama nannten. Diesen Titel trugen sie nur während ihrer Amtszeit, ähnlich wie in der katholischen Kirche der Papst.

Gräbt man noch tiefer in der Geschichte des Islam, findet man bemerkenswerte Berichte aus den Gründerjahren der Religion. Arabische Historiker nehmen an, dass sich Muhammad mit dem/der letzten Maslama von Qamama (Kahin al-Yamama) arrangierte oder, dem Propheten gegenüber höflicher ausgedrückt, sich der letzte Maslama mit Muhammad arrangierte.

Eine Begegnung Muhammads mit diesem Hohepriester wird in den Überlieferungen wie folgt geschildert:

Maslama Ibn Habib kam zu einer Unterredung mit Muhammad. Er war von Anhängern umringt und tief verschleiert. Aus Palmblättern trug er eine Krone, und ein Palmenzweig diente ihm als Zepter Seine Begleiter taten alles, damit sein Gesicht nicht zu sehen war Sie umringten ihn unentwegt, damit man nicht zu nahe an ihn herankommen

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konnte. Er sprach nicht direkt mit Muhammad. Er sprach mit Handgesten. Seine religiösen Aussprüche wurden von einem seiner Anhänger über- und vorgetragen.

So weit die gelehrten Ausführungen des Ägypters, die von den Anwesenden immer wieder durch Einwürfe und Kommentare ergänzt worden waren. Ohne die Vorinformationen, die ich bereits von Ali bekommen hatte, wäre mir an der Geschichte von Maslama nichts Besonderes aufgefallen. So jedoch wusste ich, was der verschwiegene Grund für die Verschleierung und das Schweigen des geheimnisvollen Maslama war: Die Person, mit der sich Muhammad traf, war eine Frau. Sie war niemand anderes als die »Große Mutter«, die spätere Hüterin der Täler der Propheten und Patriarchen.

In diesem Zusammenhang ist folgende historische Überlieferung von Interesse: Die Feinde Muhammads beschuldigten ihn, dass nicht Allah, sondern Maslama, der »Priester von Yamama«, ihm den Koran vermittelt habe. Angeblich wandten sich die Anfänger Muhammads nach dessen Tod gegen den letzten Maslama, töteten ihn im Kampf und erschlugen dessen Gefolgsleute. Letzteres ist durchaus möglich, Ersteres bezweifle ich, denn wie kann ich jemanden zum Kampf stellen, dessen Aussehen ich nicht kenne? Es wird vielmehr so gewesen sein, dass die Anhänger dieser Frau ausgerottet wurden. Die Würdenträgerin zog sich daraufhin zu den Vulkanen und Lavafeldern im Norden zurück, wo sie weiterhin als »Große Mutter« verehrt wurde.

Die Entstehung der Bezeichnung Islam ist in diesem Zusammenhang ebenfalls interessant. Demnach wäre das Wort Islam von salem (Wurzel slm) abgeleitet.

Nach den Überlieferungen sah der Prophet sich nicht als Begründer eines neuen Monotheismus, sondern als derjenige, der sich auf den Monotheismus aller Patriarchen, der Himmlischen und Propheten Israels (einschließlich Jesus) stützt

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und deren Botschaft weiterführt. Sie alle seien als muslimun - Überzeugte des slm - zu sehen.

Einiges spricht für die Annahme, dass auch Muhammad, ebenso wie Jesus, den wirklichen Berg Horeb-Sinai und die Täler mit den Gräbern der Propheten und Patriarchen gekannt oder sogar aufgesucht hat. In jener Nacht in Akaba waren sich die Anwesenden jedenfalls in einem Punkt einig: Falls Abraham, wie die Bibel berichtet, nach Entrichtung des Zehnten seiner Beute von dem Hohepriester (oder der Hohepriesterin) mit dem Titel Maslama in der geheimnisvollen Priesterstadt von Salem gesegnet wurde, so muss er auch Zugang zum Zentrum des ehemaligen Paradieses gehabt haben.

Denn nur wer diesen heiligsten Ort besucht hatte, auch darin war man sich einig, wurde in späteren Zeiten als Patriarch verehrt. Im ersten Buch Mose wird Abraham in der Tat als Patriarch geschildert. Das erklärt, warum er eine Grabstätte im Tal der Patriarchen erhielt, und es könnte desgleichen erklären, warum Korangelehrte annehmen, dass die Religion Abrahams der Islam gewesen sei.

Vor dem Hintergrund der westlichen Weltanschauung mag das Wissen um das Geheimnis von slm (Salem/Islam) zurzeit noch recht irritierend wirken. Aber man sollte sich darauf einstellen, dass jeder, der jemals davon erfuhr, zum Bekenner des slm (islam) wurde und dass jeder, der dort sein wird und alles mit eigenen Augen schauen darf, zum Patriarchen erhoben wird. Es muss also etwas Gewaltiges sein, das es dort zu sehen und zu erfahren gibt.

Hierbei kommt es natürlich nicht auf traditionelle Titel wie Patriarch, Vater, Mutter oder Prophet an. Vielmehr geht es darum, dass den betreffenden Personen große Ehre zuteil wird, da sie im Angesicht dieses Geheimnisses die Zusammenhänge aus den Urtagen verstehen werden.

Die Nacht war zu Ende, über Akaba ging die Sonne auf. Wir

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begaben uns in unsere Schlafräume, um ein wenig zu ruhen. Die gläubigen Muslime aus unserer Gruppe verrichteten ihre Gebete.

Wenig später begann der im Orient übliche Tagesrhythmus: Der kühlere Vormittag wurde für das Tagesgeschäft genutzt. Von Mittag bis zum Abend wurde Siesta gehalten. Zwischen neun Uhr abends und Mitternacht wurden weitere Geschäfte erledigt, woraufhin man sich wieder zur Diskussion zusammenfand.

Ali war den ganzen Tag unterwegs: Er bereitete seine heimliche Einreise nach Saudi-Arabien vor. Ich dagegen hatte mich bei einer südafrikanischen Familie in der Stadt aufgehalten. Nun war es wieder Nacht geworden. Für mich war es natürlich wichtig, die Brücke vom Zentrum des Paradieses - das möglicherweise Salem genannt wurde - zum Tal der Patriarchen zu schlagen. Solange der Syrer noch im Hotel war, musste ich versuchen, mehr über seine Ansichten zu erfahren.

Ich hatte eine Palette Dosenbier gestiftet, um die Laune meiner Gesprächspartner noch zu heben. Dennoch gelang es mir erst nach zwei Stunden, mit Alis Hilfe das Gespräch noch einmal auf das Thema des vorigen Abends zu lenken.

Aus dem Mund des Syrers, der ein herausragender Experte war, erfuhr ich nun, dass der jüdische Begriff Elyon in gut zwanzig Bibeltexten mit Jahwe, dem Gott von Israel, verknüpft ist. Das allein wäre nicht allzu sensationell. Aber Abraham setzt überdies El'Elyon mit dem König von Salem gleich.*

Der Syrer erläuterte: »Es scheint wohl so zu sein, dass abweichend von der heutigen jüdischen Betrachtungsweise ein Zusammenhang zwischen Salem, dem Zentrum des Paradieses, und der Stadt oder dem Sitz des Allerhöchsten besteht. Auffallend ist, dass dieser Ort mit einem Schrein verbunden ist.«

Aufbewahrungsort eines Schreins? Christen wie Juden denken * So auch Kamal Salibi: »Die Bibel kam aus dem Land Asir«. Reinbek 1985, S. 169 f.

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hierbei sofort an die Bundeslade. Der Syrer fuhr fort: »Der Name des Schreins lautet Sedeq

oder Sidq, was so viel wie �Rechtschaffenheit� bedeutet. Der Aufbewahrungsort dürfte mit einer Ansiedlung im Südwesten Arabiens, südlich von Mekka, identisch sein.« Er sei dort gewesen, habe aber keinerlei Anzeichen entdeckt, etwa Ruinen oder Geländeauffälligkeiten, die auf die Aufbewahrung eines Schreins schließen ließen.

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Rückkehr aus dem Paradies

Die folgenden fünf Wochen, während Ali wieder heimlich in Saudi-Arabien arbeitete, reiste ich in Begleitung seiner Archäologen-Freunde durch Jordanien. Kaum war Ali aus dem Gebiet der elRaschid zurückgekommen, bestellte er mich wieder nach Akaba, in das bekannte Hotel.

Aufgrund seiner jüngsten Recherchen eröffnete er mir, dass es sich bei dem Ort südlich von Mekka nicht um das Zentrum des einstigen Paradieses handeln könne. Allenfalls habe dort ein Erinnerungsbau gestanden, ähnlich wie auf dem Tempelberg im heutigen palästinensischen Jerusalem.

Nachdem man seinerzeit das Paradies verlassen musste, fuhr er fort, seien am Rand des Paradieszentrums möglicherweise etliche solcher Nachbauten errichtet worden, vermutlich um den Menschen einen Ersatz für das Verlorene zu bieten.

Ich fragte Ali direkt: »Was, glaubst du, steht im Mittelpunkt des Paradieses?«

»Meiner Meinung nach«, sagte er, ohne zu zögern, »müsste das zentrale Gebilde ein würfelförmiges Gebäude mit einer Kuppel darauf sein. Denn das ist einer der häufigsten �Nachbauten� hier in Arabien. Selbst die Türen werden oft so gestaltet: ein Rechteck und obendrauf eine stilisierte Kuppel.« Er war sich aber nicht sicher, ob es eine Anlage in einem Berg oder Felsmassiv oder um ein Gebäude auf der Erdoberfläche gewesen war. »Ähnlich dem Tempelberg in Jerusalem«, fuhr er fort, »befindet sich das Vorbild, das Zentrum des Paradieses, auf einem Felsplateau. Im Prinzip sieht es etwa so aus: Berge ringsherum, in der Mitte erhebt sich eine Art Tafelberg. Um die Überreste sichtbar zu machen, muss man eine Menge Sand und Geröll beseitigen. Darunter stößt man rasch auf Reste künstlich errichteter Mauern, die Teile einer Stadt, einer Tempelstätte oder eines Palastes sein könnten.

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Eines Tages, wenn die Zeit gekommen ist, wird man eine Expedition mit ausgeklügelter Logistik einsetzen müssen. Aber es kann noch Jahrzehnte dauern, bis die politischen und weltanschaulichen Verhältnisse hierfür günstig geworden sind.«

Sprachlos hörte ich ihm zu. Also war Ali doch schon dort gewesen, im Zentrum des Paradieses, dachte ich. Aber noch wollte er mit mir nicht darüber sprechen.

Er kam wieder ins Philosophieren: »Ja, es sieht geradezu so aus, als ob vor langer Zeit Wissende genau diese Situation an anderen Plätzen getreulich nachzubauen versuchten - dasselbe Grundmuster wie im Zentrum des Paradieses...«

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Endzeit in Eden: Zuflucht in Höhlenstädten

Als ich ihn kennen lernte, hatte sich Alis Interesse schon von den Tälern der Propheten und Patriarchen auf den Mittelpunkt des Paradieses verlagert. Für ihn war die Entdeckung und Erforschung dieses geheimnisvollen Zentrums der Schlüssel zum Ganzen. Aber gerade zu diesem Thema gab es keinerlei Material, das er als Anhaltspunkt benutzen konnte, abgesehen von ein paar Erzählungen und Märchen. Auch die Bibel gibt in dieser Hinsicht nicht sehr viel her:

Den Eingang des Gartens ließ Gott durch die Kerubim und das flammende Schwert bewachen. Kein Mensch sollte zum Baum des Lebens gelangen. (1. Moses 3,23-24)

Wäre ich tief gläubig, würde ich diese Zeilen so auslegen, dass die Glut der Sonne dem flammenden Schwert gleichzusetzen sei. Demnach wäre es die Sonne, die schon zu Zeiten Moses den Zugang zur zentralen Region des Paradieses bewacht hat. Damals, als er versuchte, mit seinen Israeliten dorthin zu gelangen, was ihm vierzig Jahre lang nicht gelang.

Es verwechsle bitte niemand den Zugang zum Paradies mit dem (wahren) Berg Sinai. Das sind zwei sehr verschiedene Dinge.

Ali berichtete mir, dass zumindest die letzten Bewohner des Paradieszentrums in Höhlenstädten gewohnt haben müssen. Für ihn gab es hierfür nur eine plausible Erklärung: Sie mussten sich vor der Hitze schützen, wenn sie ganzjährig vor Ort ausharren wollten. Wasser zu bekommen dürfte für sie das geringere Problem gewesen sein. Wer über das notwendige Knowhow der Wüste verfügt, der kann durch Beobachtung der Tierwelt sehr leicht einen Wüstenbrunnen ausfindig machen.

Auch Ali hatte im Zentrum des Paradieses, in der Nähe

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einiger Ruinen, eine solche Wasserstelle vermutet. Daraufhin musste er nur Viktoria, sein Kamel, beobachten. Es dauerte keinen Tag, da erkannte er an der Art, wie Viktoria mit den Vorderhufen den steinigen Boden bearbeitete, dass sie Feuchtigkeit »gerochen« hatte.

Nach diesem Fund konnten sie jeweils maximal eine Woche vor Ort arbeiten. Allerdings waren sie auch gezwungen, sich überwiegend in der Nähe dieser Wasserstelle aufzuhalten. Die Tiere seiner kleinen Gruppe stillten ihren Durst in dem Wasserloch, so dass sich die Menschen an die mitgebrachten Wasservorräte halten konnten.

Bei seinem ersten Aufenthalt hatte Ali das gesamte Areal erkundet. Tagelang hatte er Ausschau nach Ruinen gehalten, jedoch ohne den geringsten Erfolg. Erst als er nach künstlich verändertem Felsgestein suchte, wurde er fündig. Sehr schnell zeigte sich nun, dass das Zentrum des Paradieses keineswegs ein Ort war, an dem über der Erde Hochbauten gleich welcher Art errichtet worden waren. Es ging in die Erde hinein.

Außerdem hatte er erwartet, dass er, wie in den Tälern der Propheten und Patriarchen, seitlich in die Felswände gehauene Räume finden würde, ähnlich wie im jordanischen Petra. Aber auch diese Annahme erwies sich als falsch: Es waren Zugänge mit Luken, mit Deckeln aus Massivgestein, die über und über mit herabgefallenem Geröll bedeckt waren.

Als Ali das Prinzip der unterirdischen Bauten erkannt hatte, fing die eigentliche Arbeit erst an. Zum Teil beseitigten sie mit bloßer Hand Massen von Geröll. Dann entdeckte Ali den ersten Verschlussdeckel. Doch als er ihn endlich aufgehebelt hatte, war die Enttäuschung groß: Darunter öffnete sich ein Gang, der etwa 10 Meter unter die Erde führte und dann wieder anstieg. Nun stand Ali vor einer Verschlussplatte, die er von innen nicht öffnen konnte. Sie musste nach außen aufgedrückt werden, doch irgendetwas hinderte ihn daran, sie zu öffnen. Selbst hydraulisches Werkzeug versagte.

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Nun war Ali kein Anfänger in solchen Dingen. Doch die Zeit saß ihm im Nacken. Von den sechs bis sieben Tagen, die ihm zur Verfügung standen, hatte er bereits drei Tage lang vergeblich versucht, weiterzukommen. Die Vermessung ergab, dass sich der Verschlussstein im Zentrum des Felsgesteins befand.

Am fünften Tag entschloss er sich, mit einem mechanischen Gesteinsbohrer zu arbeiten. Das Gestein war nicht so kompakt wie befürchtet, trotzdem verbrachten Ali und seine Helfer fast den ganzen Tag in dem stickigen Gang bei Minimalbeleuchtung und schweißtreibender Arbeit.

Am sechsten Tag hatten sie den Stein endlich durchbohrt. Ali schob ein optisches Gerät durch das Bohrloch, in der festen Überzeugung, dahinter ein Grab vorzufinden. Zunächst erkannte er überhaupt nichts: Geröll, das von der Decke heruntergefallen war, verhinderte nicht nur die Öffnung des Deckels, sondern auch die Justierung des optischen Instruments. Als diese endlich geglückt war, konnte Ali seine Enttäuschung nicht verbergen: Der Raum hinter dem Verschlussstein war leer.

Ihr Wasservorrat war erschöpft. Ali hinterließ eine Coca-Cola-Glasflasche mit einem Zettel und einer Zeichnung dessen, was sie vorgefunden hatten, gleich am Eingang des Gangs. Dann traten sie den Rückweg an.

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Die Doppelhöhle

Einige Zeit darauf suchte Ali abermals das Zentrum des einstigen Paradieses auf. Vorher hatte er sich - natürlich inoffiziell - Satellitenaufnahmen von dem Gebiet besorgt sowie Spezialaufnahmen, die nur Geologen deuten können. Auf einer Satellitenaufnahme war eine geologisch auffällige Stelle zu sehen. Mit Hilfe eines Geologen errechnete er, dass diese Auffälligkeit etwa fünfhundert Meter Luftlinie von der Stelle entfernt war, an der er den Verschlussdeckel angebohrt hatte.

Wochenlang hatte er zuvor in Akaba diese Aufnahme studiert, bis er fast jedes Detail, sogar spiegelverkehrt, hätte identifizieren können. Über jene geheimen Wege war er sodann wieder nach Saudi-Arabien eingereist und mit seinen Begleitern bis in das betreffende Gebiet vorgedrungen. Diesmal ging er gezielt vor und suchte nach jener geologisch auffälligen Stelle.

Was auf einem Foto eindeutig zu sehen ist, kann man in der Wüste nicht nur nachts, sondern auch tagsüber sehr schlecht erkennen, wenn die gleißende Sonne die Landschaft flimmern lässt. Die geologische Auffälligkeit ließ sich also vor Ort nicht ohne weiteres identifizieren. Schriftliche Unterlagen, wie die Aufnahmen oder Skizzen von dieser, hatte er nicht mitgenommen. Das wäre das Todesurteil für ihn und seine Begleiter gewesen, wenn sie einer Patrouille in die Hände gefallen wären. Stattdessen hatte er ein altes Buch über Mekka und die Kaaba dabei. Es enthielt eine Miniatur aus dem 15. Jahrhundert. Über diese hatte Ali einen vergrößerten, auf eine Folie kopierten Ausschnitt der Satellitenaufnahme gelegt und so die geologisch auffällige Stelle mit Nadeln in das Buch übertragen.

Vor Ort angekommen, steckte er die mitgebrachten Stecknadeln in die Löcher und hatte so alle Koordinaten zur Verfügung, die er als erfahrener Archäologe brauchte. Dank

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dieses Kunstgriffs ging es nun ganz schnell. Ali und seine Begleiter benötigten nur einen Tag, um die Stelle zu identifizieren. Tatsächlich fanden sie dort einen weiteren Zugang in die unterirdischen Bauten.

Am zweiten Tag gelang es ihnen, den Zugang freizulegen. Hinter diesem Zugang, der nicht durch eine feste Platte, sondern durch mehrere, versetzt hintereinander angeordnete Felsstücke verschlossen war, kam ein aufsteigender Gang zum Vorschein, der glatt in den Felsen gehauen war. Es gab keine weiteren Türen und Tore, die den Weg versperrten. Sehr vorsichtig, so erzählte mir Ali, arbeiteten sie sich Schritt für Schritt voran. Es bestand ja wie immer die Gefahr, dass hochgiftige Schlangen, Skorpione oder Insekten sich in ihrer Ruhe gestört fühlten und sie angriffen.

Schließlich erreichten sie das Ende des Gangs. Sie standen in einer zweifachen Höhle mit zwei Kuppeln und einem Becken. In dieser Höhle versuchte Ali mit der Kamera Aufnahmen zu machen. Wie sich später zeigte, reichte das Blitzlicht nicht aus, um die Kuppeln auszuleuchten. Das bedeutete, dass ihr Durchmesser mindestens 10 Meter groß war.

Als Erstes fiel den dreien jedoch das riesige Becken auf, das in den Felsen gehauen und offensichtlich poliert war. Es ähnelte einer riesigen Parabolschüssel. Darüber erhoben sich die Kuppeln mit denselben Ausmaßen. Unter der Doppelkuppel war es stickig heiß. Die Außenluft konnte ja ungehindert durch den Gang hineingelangen.

Sicherheitshalber trugen Ali und seine Helfer die Schutzanzüge aus Gummi und die Masken mit Filtern und verglasten Gucklöchern für die Augen, die sie immer anlegten, wenn sie das erste Mal in unbekannte Räume eindrangen. Die Gucklöcher in den Masken waren vom Schweiß beschlagen, die elektrischen Leuchten gaben nicht genügend Licht, um den gesamten Raum auszuleuchten.

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»Wir waren auf solche Ausmaße nicht eingestellt«, sagte mir Ali. »Aber jetzt waren wir hier und mussten, so gut es ging, unsere Entdeckung vorantreiben.«

Hier die wichtigsten Einzelheiten der Begehung, wie sie mir Ali hinterlassen hat: Nach seiner Ansicht war das Becken einst mit Wasser gefüllt gewesen. Das Wasser muss aus dem Bereich der zweiten Höhle über den Boden direkt in das Becken geflossen sein. Von dort ist es offenbar gleichmäßig aus dem Becken geströmt und über den Gang, durch den er gekommen war, wieder abgeflossen. Jetzt verstand Ali auch, warum der Gang nicht hermetisch verschlossen war.

An diesem Punkt seiner Ausführungen fragte ich Ali, worin seiner Ansicht nach die Funktion der Doppelhöhle bestanden hatte. Doch er wich mir aus. »Wir haben Gesteinsproben aus dem Becken entnommen, von den Wänden, von überall. Möglichst vorsichtig, versteht sich. Die Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen. Es wird sehr schwer sein, eine Altersbestimmung beziehungsweise eine Analyse auf Rückstände durchzuführen. Ich kann zur Zeit nur so viel sagen: Der Ort, den wir gefunden haben, war ein Brunnenhaus oder das Brunnenhaus auf dem Areal, von dem ich sage, es muss das Zentrum des Paradieses gewesen sein. Und wir haben dort eine ungewöhnlich hohe Radioaktivität gemessen. Mach dir deinen Reim drauf.«

Das versuchte ich in der Folge natürlich auch. War der biblische »Brunnen des Lebens« in Wirklichkeit ein mit radioaktivem Abwasser gespeistes Gebilde? Wurde über der Platte der zweiten Höhle das Wasser gekühlt, bevor es in das Becken gelangte? Das war jedenfalls gewiss kein Brunnen, zu dem Massen von Menschen Zutritt hatten. Ali hat dort auch keine breiteren und prachtvolleren Zugänge entdeckt, die üblicherweise für rituelle Zeremonien gebaut würden. Im Übrigen, erklärte er mir, sei es wenig produktiv, sich ausschließlich auf dieses Objekt zu konzentrieren, solange wir

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keinen Überblick über das Gesamtsystem gewonnen hätten. Mehr war ihm zu diesem Thema nicht zu entlocken, sein

Interesse an der Doppelhöhle schien erloschen. Stattdessen suchte er die »operative Schaltzentrale des Paradieses«, wie er sich ausdrückte. Noch hatte er sie nicht gefunden. Das frustriert einen fanatischen Sucher, und dafür hatte ich volles Verständnis.

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Exkurs: Höhlen in Palästina

Auf Schritt und Tritt stößt man in Arabien und Palästina auf Höhlen. Die Kalkgebirge von Palästina und Syrien erleichterten den Bewohnern in prähistorischer Zeit den Ausbau geräumiger Höhlen, weil das Kalkgestein problemlos zu bearbeiten war. Die Ureinwohner erweiterten mühelos natürliche Höhlen und schufen Verbindungen, so dass ganze unterirdische Städte entstanden.

Reste solcher prähistorischen Höhlenwohnungen konnte man noch um die Wende zum 20. Jahrhundert im jemenitischen Haura problemlos auf eigene Faust erkunden. Heute lässt die politische Lage dies nicht mehr zu. Eine ganze unterirdische Stadt bei Deraa (Edrei) deutet darauf hin, dass die Ureinwohner dort ebenso in Höhlen wohnten, genau wie in Bet Dschibrin nordwestlich von Hebron.

Hieronymus, der in frühchristlicher Zeit die Bibeltexte im

Auftrag des Papstes zusammenstellte, reiste nach getaner Arbeit selbst an die Schauplätze der biblischen Geschichten. Er verbrachte sein restliches Leben in und um Jerusalem und identifizierte die Wohnsitze der Hörim (Berg- und Höhlenbewohner) in dieser Gegend. Er berichtet, dass die Iudumäer von hier bis nach Petra der Hitze wegen in Höhlen gewohnt hätten.

Schon vor hundert Jahren wurde in archäologischen Berichten darauf hingewiesen, dass die kunstvolle Anlage vieler dieser Höhlenkomplexe den geschickten Gebrauch von Metallwerkzeugen voraussetzte. Von primitiven Höhlenbewohnern konnte keine Rede sein. Dass man in Höhlen hauste, hing in Palästina also offenbar weniger von dem kulturellen Niveau der Bewohner als von der Beschaffenheit des Bodens und des Klimas ab.

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Es muss demnach eine Klimaperiode in Arabien gegeben haben, in der es unerträglich heiß wurde. Die Bewohner zog es zu den Grenzen des Territoriums hin, wo das Leben in küstennahen Höhlen gerade noch erträglich war. Hierbei muss es sich um eine Periode handeln, die vor dem Aufstieg der dortigen Kulturen lag. Wann war diese Zeit der letzten großen Erderwärmung? Eine Frage, die auch die Klimatologie uns derzeit noch nicht beantworten kann. Erst nach dieser Hitzeperiode jedenfalls erblühten Assyrien, Babylon, Ägypten, Äthiopien, Palästina und brachten die bekannten Wunderwerke hervor.

Ali und die anderen Archäologen spekulierten daher auch immer wieder über einen möglichen Zusammenhang zwischen der Klimaerwärmung und der Paradiesvertreibung, wie sie in der Bibel überliefert wird. Die unterirdischen Anlagen im Herzstück des Ganzen lassen nur den Schluss zu, dass es zumindest in der Endzeit von Eden dort bereits zu heiß war, um oberirdisch zu wohnen. Das Geschehen könnte ähnlich verlaufen sein wie der Klimawechsel, der in der Zeit Ramses' II. einen blühenden Garten in die heutige Libysche Wüste verwandelte. Allerdings ging Ali davon aus, dass die Höhlenanlagen in den Tälern der Propheten und Patriarchen deutlich älter als 3500 Jahre seien. Von Ramses II., in dessen Regierungszeit die Verwüstung des Libyschen Gartens begonnen hatte, weiß man, dass sein Volk ihm, dem Gottkönig, die katastrophale Klimaänderung anlastete. Für seine Untertanen war es klar, dass die plötzlich auftretende Hitze von dem Zorn Gottes über den Pharao herrührte.

Könnte es sich im einstigen Garten Eden nicht sehr ähnlich verhalten haben - wenn auch lange Zeit vor dem Geschehen in Libyen? In der Bibel heißt es, Adam und Eva hätten gegen das Gebot Gottes verstoßen. Daraufhin habe Gott gezürnt und sie des Paradieses verwiesen. Äußerte sich der Zorn Gottes vielleicht schon damals im plötzlichen Anstieg der Sonnenhitze? Der Effekt wäre jedenfalls derselbe gewesen: Die Menschen

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mussten den Landstrich, der sich in eine Wüste verwandelte, notgedrungen verlassen.

Damit wären wir wieder bei der Frage, inwieweit Arabien das Mutterland aller Semiten - also der Nachkömmlinge des Sem, Sohn des Noah - ist. Als ich zur Vorbereitung dieses Buches in Londoner Bibliotheken nach Meinungen zu diesem Punkt suchte, stieß ich auf etliche Arbeiten aus dem späten 19. Jahrhundert. So schreibt Benzinger in der »Hebräischen Archäologie« 1894:

Die Frage nach den Ursitzen der Semiten ist noch immer viel umstritten. Gegenüber der in neuerer Zeit vielfach beliebten Hypothese, dass die Semiten aus Zentralasien stammen, scheint immer noch die andere Ansicht größere Wahrscheinlichkeit zu haben, dass die semitischen Kulturvölker »Ablagerungen« der Beduinenstämme der arabischen Wüste sind, dass also die arabische Wüste die Heimat aller Semiten ist, das Land, aus welchem von der ältesten Zeit an zu wiederholten Malen Teile der Beduinenbevölkerung sich in die angrenzenden fruchtbaren Weidegebiete von Mesopotamien und Syrien vorgeschoben haben...

Die noch weiter zurückliegende Frage, wie und woher die Semiten in die Wüste gekommen sind, ist nichts anderes als die Frage nach dem Ursprung und Ursitz der Menschheit überhaupt, welche für den Historiker unlösbar und gleichgültig ist.

Wie schade, dass ich Ali diese Textstelle nicht mehr zeigen konnte. Schließlich war er im Begriff, als verdeckt arbeitender Archäologe den entscheidenden Hinweis auf den »Ursprung und Ursitz der Semiten« zu geben. Er hatte immer wieder versucht, mir den Irrtum unserer Zeit vor Augen zu führen, indem er aufzeigte, was tatsächlich geschehen war. »Die Beduinen in den Stein- und Sandwüsten«, sagte er, »sind die letzten Überlebenden einer Hochkultur, vergleichbar mit Menschen, die unter keinen Umständen ihre angestammte Heimat verlassen wollen und daher unter kärglichsten Bedingungen überleben.

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Ihre Verwandten dagegen hatten es vorgezogen, die Heimat zu verlassen. Sie regenerierten sich in ihrer neuen Umgebung und setzten neue Maßstäbe. Selbst ein Abraham war nur ein Nachkomme dieser �Verwandten�.«

Ali wurde jedes Mal ärgerlich, wenn der Eindruck aufkam, dass die Nachkommen des Sem einfache, kamelreitende Nomaden gewesen seien. »Genau das Gegenteil trifft zu«, rief er dann aus. »Für alle, die nach Sem geboren wurden und aus dem Zentrum Arabiens fortziehen mussten, war dies ein sozialer Abstieg. So wird es in den Überlieferungen, beispielsweise der Bibel, deutlich dargestellt.« Und mit seiner Arbeit bewies Ali, dass es zugleich ein kultureller Abstieg war.

Die unmittelbaren Nachkommen des Sem waren laut ihm nicht etwa »Neandertaler«, aus denen sich dann Abraham, Moses, David, Salomon entwickelt haben. Vielmehr verhielt es sich genau umgekehrt: Abraham, Moses, David, Salomon und so weiter versuchten alle, ihre Nachkommen wieder auf die kulturelle Höhe der verlorenen Urheimat zu führen.

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Der Turm mit den Landkarten

Lassen Sie mich an dieser Stelle an ein Thema anknüpfen, in (las mich Ali während meines zweiten Aufenthalts in Akaba einführte. Wir waren einander sehr nahe gekommen. Es war ein Verhältnis wie zwischen einem älteren und einem jüngeren Bruder. Ali kramte in einem Behälter, der die Ausmaße eines Schrankkoffers hatte, bis er endlich eine Rolle fand. Er grinste mich mit zusammengekniffenen Augen an und fragte: »Was meinst du, was ich hier habe?«

»Eine Rolle - das könnte ein Plan oder eine Skizze sein.« Ich (lachte an einen Lageplan oder einen Grundriss.

»Ich will es spannend machen«, entgegnete er, indem er die Rolle öffnete. Wie er mir nun erzählte, handelte es sich um eine Folie, die mit einem weichen Medium beschichtet war. In der Archäologie verwendet man dieses Material, um in relativ kurzer Zeit Abdrücke von Friesen, gemeißelten Schriften oder Kopien ganzer Wandflächen zu erhalten. Ali hatte sich solche Rollen von Kollegen in Ankara besorgt.

Was er mir nun zeigte, ähnelte auf den ersten Blick einer Landkarte. Die Umrisse des dargestellten Landes waren mir absolut nicht bekannt. Ich konnte mich nicht erinnern, einen Staat mit einem derartigen Grenzverlauf je gesehen zu haben. Wir bewegten uns gedanklich in der Antike, folglich kombinierte ich, dass es sich um politische Grenzlinien aus der damaligen Zeit handelte.

Ali ließ nicht locker. »Woran erinnert dich das? Achte weniger auf Details, konzentriere dich auf den Gesamteindruck, den Stil. Hier in den Ecken ist der Abdruck verwischt, kümmere dich nicht darum. Das hängt mit der Technik zusammen, mit der man diese Abdrücke herstellt.«

Der einzige Vergleich, der mir dazu spontan einfiel, war die Karte des Seefahrers Piri Reiis - vom Stil her, nicht dem Inhalt

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nach. Ali schien mit mir sehr zufrieden zu sein, denn er fragte nicht

weiter, sondern stellte nur fest: »Die Karte von Piri Reiis ist von einer anderen Vorlage abgezeichnet worden, da bin ich mir sicher. Möglicherweise war die Vorlage sogar mehrmals von anderen Vorlagen in einer Art Generationenkette kopiert worden, dadurch wird sie zwangsläufig verändert worden sein. Aber das ist für die heutige Zeit nicht weiter wichtig, denn so etwas dient nur noch als historisches Dokument. Kein Kapitän oder Pilot eines Flugzeugs muss sich nach der Karte des Piri Reiifs richten. Wichtig ist nur noch die Frage: Wo befindet sich die Urmutter all dieser Vorlagen?«

Ich sah ihn nur wortlos an. Es war förmlich mit Händen zu greifen, dass er im Begriff war, mir ein weiteres wichtiges Puzzlestück zu offenbaren.

»Dieses Urbild aller Karten befindet sich in einem Raum«, fuhr er fort, »im Zentrum des einstigen Paradieses. Stell dir diesen Raum wie einen viereckigen Turm von 15 mal 15 Metern Grundfläche vor. Die Höhe beträgt etwa 8 Meter. Der Zugang ist nicht sonderlich schwierig. Die Halle ist leer, vermutlich ist sie schon vor langer Zeit geplündert worden.

Als ich diesen Raum betrat, war mein erster Eindruck, dass dies eine Art Lagerraum gewesen sein muss. Man erkannte noch die Reste von Behältern, die an den Wänden gestanden hatten und nun zerbrochen waren. Nur ganz wenige Trümmer lagen herum. In den verkleideten Granitwänden konnte man reliefartige Muster erkennen. Sie waren eingraviert oder gemeißelt. Staub und Schmutz bildeten eine Art Belag, den ich unberührt ließ, weil ich hier ohnehin nichts tun wollte.

Damals, bei meinem ersten Besuch, konnte ich mich nicht

lange dort aufhalten, weil meine Zeit begrenzt war und ich mir erst einen Überblick verschaffen musste, auf was ich bei

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meinem nächsten Aufenthalt als Erstes zu achten hatte. Dieser Raum gehörte mit Sicherheit nicht dazu.

Auch bei meinem zweiten Besuch war ich noch zu sehr mit archäologischen Vorarbeiten beschäftigt. Ich hatte aber etwas mehr Zeit, mir zu überlegen, wie ich diese Muster kopieren konnte. Fotos habe ich zwar auch davon gemacht, aber wie sich dann herausstellte, waren die Einzelheiten nicht so scharf zu erkennen, wie es für eine weitere Bearbeitung am Schreibtisch notwendig gewesen wäre. Den alten Trick, die Wände mit Wasser zu besprühen, konnte ich mangels ausreichender Wasservorräte nicht anwenden. Auch hätte ich Skrupel gehabt, weil es zu Veränderungen der Oberfläche hätte führen können. Die Methode mit Besen und Pinsel wäre die richtige gewesen, aber das hätte mich gezwungen, mit einer Atemschutzmaske zu arbeiten, und das wollte ich nach Möglichkeit vermeiden.

Bei meinem dritten Besuch hatte ich dann diese Folien dabei. Nun gab es aber ein neues Problem: Ich hätte einen ganzen Truck mit Gerüstmaterial gebraucht. Daran war natürlich nicht zu denken. So mussten zwei Leitern reichen. Sie wurden aus dünnen Stangen zusammengebunden, die Sprossen aus Tauen geknüpft, und dann mit Gottvertrauen voran.

Das war eine sehr wacklige Angelegenheit. Höher als bis etwa 2,75 Meter kam ich nicht, da wir keine längeren Stangen hatten. Auch hatte ich nicht genügend Folienmaterial, um die gesamte Fläche von 15 mal 8 mal 4 Metern zu kopieren. Ich wählte daher die für mich auffälligsten Teile in dem mir zugänglichen, unteren Bereich. Die Kopie eines Wandstücks, das mir besonders auffiel, habe ich hier.«

Es war etwa 1 mal 1,20 Meter groß. Er breitete es aus, und ich erkannte auf den ersten Blick, dass es sich um ein Gitternetz handelte, ähnlich wie bei einem Schachbrett.

»Ich bin nicht ganz fair zu dir«, fuhr Ali fort, »denn ich habe dir keine weiteren Details dieses Raums beschrieben. Die vier

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Wände dienten wohl als großflächige Übersichtskarten, die umso detaillierter werden, je weiter man nach unten kommt. Mir fiel auch auf, dass die vier Wände nach den Himmelsrichtungen ausgerichtet sind, auf die sich die Karten jeweils beziehen.«

Er rollte ein weiteres Stück Folie aus. »Hier habe ich noch ein Detail. Sieht das nicht wirklich so ähnlich aus wie die Karte des Piri Reiis? Gut, es fehlen hier einige Details, andere Details fehlen dagegen auf der Piri-Reiis-Karte. Aber die Ähnlichkeit ist deutlich genug. Wie aber kam Piri Reiis zu dieser Vorlage? Oder zumindest: Wie kam er zu der Karte, die eine ferne Kopie dieses Urbildes zu sein scheint? Da seine Karte das erste Mal im Osmanenreich aufgetaucht ist und die Osmanen über Jahrhunderte Arabien kontrollierten, liegt die Vermutung auf der Hand: Seine Karte stammte aus diesem Turm oder aus einem ähnlichen Kartenhaus irgendwo in den Wüsten Arabiens.«

In dem Raum, erzählte Ali weiter, befanden sich auch noch Überreste von Behältern, ähnlich den ägyptischen Sarkophagen, aber aus sehr weichem Stein. Weder Granit noch Basalt. Behälter zur Aufbewahrung von Mumien konnten es nicht sein, dafür waren sie zu kurz und breit. Es war aber offensichtlich, (lass den Turm der Landkarten schon andere vor Ali aufgesucht hatten.

Gerade in heutiger Zeit, sagte er, tauchten in den Basaren von Bagdad, Damaskus und Amman immer mehr Skulpturen und andere Dinge auf, die man in keinem Museumskatalog finden könne. Bedingt durch die Not der Menschen in diesen Regionen, würden die letzten Sachwerte gegen Lebensmittel, ärztliche Versorgung etc. getauscht. Selbst Dinge, die sie lange Zeit kaum beachtet hätten, versuchten die Leute nun, als letzte Möglichkeit, zu Geld zu machen. Daher würden vielfach Gegenstände hervorgeholt, die sich zum Teil seit vielen Jahrhunderten im Besitz einer Sippe befänden. »Und darunter«, fügte er hinzu, »sind auch Gegenstände, die frühere Besucher von Fundstätten im Paradies mitgenommen hatten.«

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Vermutlich, überlegten wir nun zusammen, dürfte so das Original jener Karte während der türkischen Herrschaft aus diesem oder einem anderen Kartenraum des einstigen Paradieses entnommen worden und über die verschlungenen Wege des Orients bis nach Byzanz gelangt sein.

Ali erzählte mir auch von einer uralten Anlage im Hijaz, in der eine Figurine abhanden gekommen sei. Etwa 40 Zentimeter hoch, anscheinend eine Göttin darstellend. Eines Tages sei in London eine Figur aufgetaucht, deren Alter hinter vorgehaltener Hand auf 8500 Jahre taxiert wurde. Die Nachforschungen ergaben, dass die Figur über Amman aus Bagdad eingeschmuggelt worden war. Als Ali ein Foto dieser Figur zu sehen bekam, konnte er sie sofort als die fehlende Figur aus jener Gruppe der Göttinnen identifizieren. Heute soll sich diese Statuette in einer Privatsammlung befinden.

Wenn man mit dicken Bündeln von Dollars und dem Blick des Kenners durch die Länder des Nahen Ostens reist und viel Zeit mitbringt, kann man sich, die richtigen Kontakte vorausgesetzt, eine Sammlung von seltensten Gegenständen zusammenkaufen, die allesamt älter als 8500 Jahre sind.

Was hatte es nun mit der Karte aus dem Turm der Landkarten auf sich? Welches Land der Antike oder Vorzeit stellte sie dar? Von Ali erhielt ich keine klare Antwort, und ich selbst kam zu keinem Ergebnis. Nebenher hatte ich eine Skizze dieser Karte auf einem Briefumschlag angefertigt. Sie ist das Einzige, was mir von diesem Gespräch geblieben ist. Als ich nach Alis Tod vereinbarungsgemäß seinen Nachlass im Hotel der Außenseiter-Archäologen in Akaba einlöste, fehlten der Schrankkoffer und die Folien mit Kopien aus dem Kartensaal. Sinnlos, dachte ich mir damals sofort, sich über den Verbleib Gedanken zu machen. Zwischen unserem Gespräch und meiner Übernahme des Nachlasses lagen fast zweiunddreißig Monate. In dieser Zeit konnte Ali vieles verkauft oder auf andere Weise geregelt haben.

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Nachtrag: Jahre später saß ich eines Abends auf der Terrasse des Hotels Isis in Luxor, am Ufer des Nils. Vor mir lag eine Übersichtskarte des Nahen Ostens. Auf dem Umschlag waren Teile von Ägypten, Saudi-Arabien, die ans Mittelmeer angrenzenden Länder Israel, Jordanien, Syrien sowie die Türkei und der Iran zu sehen. Das Ganze war mit einem Gitternetz überzogen, ähnlich wie die Kartenkopie, die Ali mir damals gezeigt hatte. Auf einmal begann ich zu ahnen, was er mir seinerzeit verschwiegen hatte.

Ein Wappensymbol der Templer fiel mir ein, das ein ähnliches Schachbrettmuster aufwies, mit fünf mal fünf Feldern. Hatten die Ordensritter auf diese Weise der Nachwelt signalisiert, dass sie vom Zentrum des Paradieses gewusst hatten? Die mit dem Gitternetz versehene Karte Alis, da war ich mir auf einmal völlig sicher, hatte eine Art Nabel aufgewiesen, bestehend aus fünf mal fünf Feldern. Und warum sonst hätte Ali mir damals diese Karte zeigen sollen, wenn nicht deshalb, weil in jenen fünf mal fünf Feldern alles lag, was er so fanatisch gesucht hatte - das Heilige Dreieck und der Mittelpunkt des Paradieses?

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7. Kapitel: Ein uraltes Überwachungssystem

Lange vor unserer so genannten Antike scheint es ein mehrstufiges und mehrschichtiges Überwachungssystem für deponierte Informationen in den Tälern der Patriarchen und Propheten gegeben zu haben. Dies war deshalb erforderlich, weil die heiligen Stätten in relativer Nähe zu bewohnten Landstrichen lagen. Ein solches System scheint es aber im Zentrum des Paradieses nicht gegeben zu haben, wie mir Ali eines Tages erklärte.

Warum nicht? Hierzu gibt es verschiedene Vermutungen. Eine davon wäre, dass die wichtigsten Dinge, welche es auch immer gewesen sein mögen, aus dem Zentrum des Paradieses in die beiden Täler gebracht worden waren. Das würde teilweise auch erklären, warum am Berg Horeb-Sinai und in den Tälern der Patriarchen und Propheten überhaupt so aufwendige Anlagen errichtet wurden.

Warum aber wählte man gerade diese vulkanisch aktive Zone? Das ist zurzeit noch nicht zu erklären. Schließlich boten sich den Planern dieses Systems eine ganze Reihe von Alternativen an. Dennoch entschieden sie sich für diesen geologisch unsicheren 1 reich in einer Grenzzone zwischen Ägypten und seinen Nachbarn im Osten. In späteren Jahrhunderten zogen immer wieder Menschenströme auf Karawanenwegen links und rechts dieser Region nach Mekka. Und trotzdem - aus heutiger Sicht war es die richtige Entscheidung, denn niemand hatte auch nur das geringste Interesse, in die Steinwüste vorzudringen, um nachzusehen, was es dort zu finden gab.

Oder gab es zwar Interessenten, die jedoch durch die Wächter der Maslama fern gehalten wurden? Ohne Erlaubnis der

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»Großen Mutter« darf bis heute keinem Besucher der Kernbereich des Gebietes zugänglich gemacht werden. Die »Große Mutter« ist nach wie vor die wahre Hüterin des Tals der Patriarchen ebenso wie des Tals der Propheten. Ablauf und Zuständigkeiten innerhalb des Überwachungssystems sind in einem uralten Ritual der Beduinen festgelegt, die das Herzstück der Anlagen bewachen.

Um dieses Zentrum ist ein weiterer Sicherheitsring gelegt. An Teilstücken dieses Schutzsystems lassen sich unterscheiden:

1. Die Beduinen bewachen das Zentrum der Anlagen in den Tälern. Sie werden unauffällig durch die »Große Mutter« gelenkt und sind zwar Muslime, aber laut Ali »nicht in ihrem Herzen, wenn man sie besser kennt«.

2. Der Emir der islamischen Stämme kontrolliert die Umgebung mittels seiner Rechte und mit seinen bewaffneten Kräften. Er orientiert sich an den Richtlinien der Wahhabiten, folgt also der konservativen Auslegung der Gebote des Propheten Muhammad.

3. Als übergeordnete Macht treten derzeit die Saudis auf, die ebenfalls nach den Richtlinien der Wahhabiten regieren und das Staatsgebiet Saudi-Arabien nach außen hin abschotten.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich dieses System seit langer Zeit bewährt hat.

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Osmanische Herrschaft: Gefahr für die heiligsten Stätten?

Im 16. und frühen 17. Jahrhundert herrschten die Osmanen über Arabien. Anscheinend wurde diese Regentschaft von den alteingesessenen Hütern als Risiko für die heiligsten Stätten angesehen. Der Osmanenherrscher Süleyman der Prächtige saß fern dieser Region in Istanbul auf dem Kalifenthron. Sein Hauptaugenmerk galt den beiden Pilgerströmen, die von Damaskus und von Kairo aus alljährlich nach Mekka zogen.

Aus der Sicht der Verantwortlichen für die Bewahrung der Stätten konnten der Pascha in Kairo und der Kalif in Istanbul keine konstante Sicherheit für die Täler der Patriarchen und Propheten garantieren. Aber erst Anfang des 18. Jahrhunderts verbesserte sich die Lage durch Mohammed ibn Abd al-Wahhab.

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Wahhab der Strenge

Mohammed ibn Abd al-Wahhab lebte etwa von 1703 bis 1792 unserer Zeitrechnung. Ihm gelang es, eine der einflussreichsten Familien des Najd, das ist heute die mittlere Provinz Saudi-Arabiens, für seine strengen religiösen Vorstellungen zu gewinnen. Meiner Ansicht nach konnte er sie deshalb überzeugen, da er die Geheimnisse des ehemaligen Paradieses entdeckt hatte.

»Wenn die �Große Mutter�«, so sagte mir Ali, »einen Gläubigen zu den Geheimnissen des Glaubens führen lässt, an den Ort, wo Muhammad seine Erleuchtung hatte und nach dessen Besuch man sich selbst Prophet nennen darf, dann tut sie dies alles aus einem einzigen Grund: um die gesamte Anlage, die aus dem einstigen Paradies gerettete Hinterlassenschaft, besser schützen zu können.«

So gesehen war Wahhab der Strenge also ein Instrument der Glaubenshüter und wurde eingesetzt, um die Gläubigen an den orthodoxen Islam zu erinnern und die Weisungen Muhammads konsequenter durchzusetzen. Vermutlich mit Hilfe der »Großen Mutter« gelang es Wahhab, sich bei den das Gebiet kontrollierenden Stämmen und Familien Gehör zu verschaffen. So ist es gewiss kein Zufall, dass die Familien, denen das Najd gehörte, im Osten auch die Region al-Hassa, im Westen den Hijaz mit den heiligen Städten Mekka und Medina und der Provinz Asir im Südwesten besaßen. Der von Mohammed ibn Abd al-Wahhab begründete Wahhabismus war eine Verknüpfung von Glaube und Schwert, der bis in die traditionellen Auseinandersetzungen zwischen den arabischen Familien hineinwirkte.

Vor diesem Hintergrund lässt sich im Übrigen auch verstehen, warum die Briten, damals die erklärten Feinde der Türken, am Anfang des 20. Jahrhunderts in Arabien letztlich in einer

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besseren politischen Ausgangsposition waren als die Österreicher und Deutschen, die mit Byzanz freundschaftlichen Umgang gepflegt hatten.

Als Abd al-Asis III. Ibn Saud um 1932 die meisten Stämme der Arabischen Halbinsel vereinigen konnte und ein geschicktes System der Machtverteilung zwischen den Stämmen aufgebaut hatte, konnte er ein Königreich ausrufen. Die Wahhabiten waren am Ziel. Rund hundertvierzig Jahre nach dem Tod von Mohammed ibn Abd al-Wahhab kontrollierten sie das Gebiet des einstigen Paradieses. 1932 entstand somit ein Land, das nicht nur über die größten Ölvorkommen der Welt verfügte, sondern auch zum neuen Zentrum der islamischen Welt wurde.

Bereits Anfang des 19. Jahrhunderts gelang es den Wahhabiten, Kerbala (1801), Mekka (1803) und Medina (1804) zu erobern. Doch dieser erste Versuch, die Oberhoheit über die Arabische Halbinsel zu gewinnen, scheiterte: Mohammed Ali von Ägypten erhielt vom osmanischen Sultan den Befehl, die alte Ordnung wiederherzustellen. Er drängte die Wahhabiten gewaltsam zurück, und sein Sohn Ibrahim Pascha zerstörte schließlich Diria, das Zentrum der al-Saud nicht weit von Riad. Emir Abdallah wurde gefangen genommen, nach Istanbul gebracht und dort gehängt.

Wir sehen die Osmanen dann nochmals von 1840 bis 1918 als oberste Herrscher über Arabien. Nach 1918, der Zerschlagung des Osmanischen Reiches, setzten die Briten (T E. Lawrence) ihren Einfluss durch. Österreich und der Vatikan (Alois Musil) zogen den Kürzeren bei dem Versuch, die arabischen Stammesführer als Verbündete zu gewinnen.

Nicht lange nach dem Ersten Weltkrieg wurden allerdings auch die Briten wieder aus Arabien verdrängt, und zwar durch den wachsenden Einfluss der USA. Nach der Gründung des Königreichs Saudi-Arabien dominierten dort die amerikanischen Interessen. 1933 wurden die ersten Ölkonzessionen an US-Firmen vergeben. Der amerikanische Einfluss wuchs konstant,

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mit einem vorläufigen Höhepunkt im Golfkrieg Anfang der 1990er Jahre.

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Die Saudis als heutige Hüter der heiligsten Stätten

Der Familie al-Saud gelang es, wie gesagt, sich die Autorität über alle Stämme im Land zu sichern und die Staatsgewalt in ihrer Hand zu konzentrieren. 1932 gab Abdel Aziz al-Saud einem Territorium von 2,15 Millionen Quadratkilometern den Namen » Al-Mamlaka al-Arabiyya al-Saudiya«.

Der Großmufti und viele führende Ulema, islamische Schriftgelehrte, als Nachkommen der Familie Mohammed ibn Abd alWahhab sind heute mit der königlichen Familie verwandt. Daher identifizieren die Wahhabiten meist ihre Interessen mit denen der königlichen Familie. Auch bei allen Fragen, die das Tagesgeschäft betreffen, übt die religiöse Oligarchie auf den Entscheidungsprozess einen großen Einfluss aus. Die Ulema sind bei jeder Audienz dabei, die der König gewährt. Die Antwort, die der König einem Ratsuchenden gibt, wird vorher mit den Ulema besprochen. Diese prüfen, ob die Entscheidungen des Königs mit den religiösen Gesetzen übereinstimmen. Es geht um rechtliche Grundlagen für politisches, ökonomisches, soziales und kulturelles Handeln des Königs. Auch dürfen die Gefühle des Volkes nicht verletzt werden, das streng nach wahhabitischer Ethik lebt.

Reisende haben berichtet, wie weit diese Ethik in früheren Zeiten den Alltag beeinflusste. Beispielsweise ging man davon aus, dass nur das Vollkommene Allah wohlgefällig sei. Sich bei einem Gastmahl zu verschlucken, während man Speise im Mund hatte, galt als grober Verstoß gegen dieses Perfektionsgebot. Verspürte man ein Kratzen im Hals, dem man durch ein Räuspern abzuhelfen suchte, so bedeutete dies, dass Allah dem Betreffenden nicht wohlgesonnen war und man ihn nicht bewirten sollte. In früherer Zeit konnte ein solcher Vorfall dazu führen, dass dem Gast kurzerhand die Kehle durchgeschnitten

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wurde. Heute kann er immerhin noch bewirken, dass selbst eine lange Freundschaft urplötzlich endet.

Prinzipiell ernähren sich die Wahhabiten nur von makellosem Obst. Keine Druckstelle, kein Fleck darf die Vollkommenheit mindern. Dieses Gesetz der Perfektion gilt für alle Dinge des täglichen Lebens. Wenn in einer nagelneuen Luxuslimousine der Zigarettenanzünder nicht funktioniert, wird dies, wie weiter oben erwähnt, als Zeichen Allahs angesehen: Der Allgewaltige wünscht, dass der Besitzer dieses Fahrzeug aufgibt.

Also lässt der Gläubige das Auto dort stehen, wo es bei Entdeckung des Defekts gerade stand, und gibt es für immer auf.

So fremdartig solches Verhalten uns westliche Menschen anmutet, so sehr befähigt es diese Strenggläubigen auf der anderen Seite zu ihrem geheimen Wächteramt. Alle Eingeweihten sind sich einig, dass die Wahhabiten als Wächter im Außenbereich des einstigen Paradieses ein Glücksfall sind. Indem sie den Islam vor Verunreinigung schützen, bewahren sie das Geheimnis der Geheimnisse auf ihre Weise vor unkontrollierter Entdeckung durch die so genannten guten Archäologen.

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Das Schutzsystem funktioniert noch heute

Es gibt in Saudi-Arabien demnach ein sehr wirkungsvolles Schutzsystem für die heiligsten Orte. Ziehen wir als Beispiel noch einmal die Täler der Propheten und der Patriarchen heran. Im Zentrum fungiert die »Große Mutter« als praktisch unsichtbare Wächterin. Hierbei stützt sie sich auf einige Beduinenfamilien und -stämme, die unter extremsten Bedingungen seit Jahrtausenden in der Wüste überleben. Sie nehmen die Religion der jeweiligen Herrscher an. Im Grunde ist ihnen dieser aufgezwungene Glaube aber gleichgültig, denn sie leben mit einem ganz anderen Weltbild. Kein Eroberer ist an ihrem unbewohnbaren Terrain interessiert, so dass sie auf Dauer nichts zu befürchten haben. Den äußeren Ringwall des Schutzsystems bilden heute die Wahhabiten Saudi-Arabiens.

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8. Kapitel: Wer vom Tal der Patriarchen wusste

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Griechen und Römer

Sicher hat mancher Eingeweihte schon einmal darüber nach gedacht, wie unsere Welt heute aussehen würde, wenn das Römische Weltreich rund um das Mittelmeer auf Dauer Bestand gehabt hätte. Dann würden wir heute auf zweitausendfünfhundert Jahre kultureller Entwicklung unter der Führung Roms zurückblicken können.

Ein solches Denkmodell wurde mir während meines Aufenthalts in Akaba immer wieder vorgetragen. Ich hatte den Eindruck, dass dies zu den Strategiespielen der Wüstenprofis gehörte, tu, die sie auf den Rücken der Kamele beständig im Geiste durchspielten, um in der sengenden Sonne Arabiens nicht den Verstand zu verlieren. Jedenfalls waren sie allesamt Meister darin, gedanklich zu entwickeln, was gewesen wäre, wenn...

Mit der Zeit wurde mir jedoch klar, dass es bei diesem Ritual um mehr ging als um geistige Selbstdisziplinierung während der Wüstenritte. Sie versuchten jeweils das Ergebnis einer solchen Überlegung für sich vorwegzunehmen, um später mit anderen in Einzelschritten diese Strategie erneut zu entwickeln. Der Spielspaß bestand also darin, zu einer Übereinstimmung mit dem zu kommen, was sie während einer Wüstentour allein vorgedacht hatten.

Leider kann ich aus dem Gedächtnis keine solche Diskussion wiedergeben, denn hierbei kommt es auf die Feinheiten an, und ich habe damals den Fehler gemacht, kein Tonband mitlaufen zu lassen. Das Ergebnis einer solchen Diskussion, das Römische Weltreich betreffend, kann ich jedoch leicht wiedergeben. Vorweg: An dieser Runde waren arabische, englische, syrische, dänische und australische Forscher beteiligt. Es ging um die Frage, wie die Gebäude der Gottesverehrung unter den Bedingungen römischer Weltherrschaft aussehen würden. Hier das Ergebnis: Hätte das Römische Weltreich überdauert, so

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würden heute an der Stelle von Kirchen oder Moscheen überall runde Kuppelgebäude vom Typ des Pantheon in Rom stehen.

Bau- und kunstgeschichtlich lässt sich die Entstehungsgeschichte des Pantheon in Rom scheinbar lückenlos darstellen. Die dahinter stehende Frage ist damit aber noch nicht beantwortet: Woher kam überhaupt die Idee, ein derart ausgefallenes Bauwerk zu errichten?

Meine Antwort wird Sie an dieser Stelle nicht mehr überraschen: Das Vorbild dieses Pantheon und aller ähnlichen Bauten stand höchstwahrscheinlich im Zentrum des Paradieses. Dort war es entweder als oberirdisches Gebäude oder als Gewölbe unter der Erde errichtet beziehungsweise ausgebaut worden.

Vor zweitausend Jahren hatte sich Rom keineswegs den von außen kommenden Ideen gegenüber verschlossen, wie manch einer meinen könnte. Überliefert ist etwa der Brauch, nach der Eroberung eines Gebietes die Tempelschätze fremder Götter nach Rom zu überführen, sie aber keinesfalls einzuschmelzen, zu zerstören oder auf sonstige Weise zu entweihen. Die Tempelschätze fremder Gottheiten wurden den dortigen Priesterinnen zur Aufbewahrung übergeben. Das zeigt den respektvollen Umgang, den die Herrscher in Rom mit besiegten Gottheiten pflegten.

Rom, dessen Macht sich auch über den heutigen Küstenstrich am Mittelmeer, Palästina und das Hinterland erstreckte, besaß Kaufleute, Späher, Seeleute, die ihr Glück im unbekannten Hinterland suchten. Dort suchten sie nach in Rom noch unbekannten Waren oder versuchten exotische Sklaven für die Reichen und Mächtigen Roms einzukaufen. Ein solches Netz von Spähern und Händlern dürfte auch an den Küsten des Roten Meeres und des Persischen Golfs bestanden haben. Im inneren Arabien hat man bisher zwar kaum Spuren römischer Präsenz in alter Zeit entdeckt. Anders aber im nördlichen Hijaz, also genau im Gebiet der Patriarchen und Propheten.

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In respektvoller Entfernung (Luftlinie 5 bis 6 Kilometer) vom Tal der Propheten findet man Überreste von kleinen Tempeln aus römischer Zeit. Eines Tages, wenn der Zugang zu diesen Gebieten für Altertumsforscher möglich sein und die Technik unserer Zeit die Arbeit in lebensfeindlicher Umgebung erleichtern wird, könnten diesbezüglich Überraschungen auf uns warten.

In Asir im Südwesten Arabiens, an der Küste zum Roten Meer, findet man die architektonische Idee des Pantheon verschiedentlich umgesetzt. Aber das waren kleine Gebäude, die man ohne Schwierigkeiten erbauen konnte. Das Pantheon in Rom ist damit nicht zu vergleichen. Das war eine bautechnische Meisterleistung, die ein Vorbild gehabt haben musste. Dieses Vorbild hat nach Einschätzung der in Akaba versammelten Eden-Archäologen im Zentrum des Paradieses gestanden.

Noch ein paar Worte zum weltanschaulichen Hintergrund. Rom duldete keinen Machtkampf der Götter und ihrer Priester. Man schreibt es dem Aberglauben der Römer zu, dass sie die Schätze von ausgeraubten Tempeln als Kriegsbeute nach Rom führten, wo sie dann aber im Tempel eines anderen Gottes deponiert wurden. Beispielsweise soll es so auch mit allen Schätzen des Tempels von Jerusalem geschehen sein, welche die Römer nach der Niederwerfung des jüdischen Aufstands und der Zerstörung des Tempels etwa 70 n. Chr. nach Rom schafften. Man sagt, dass die Schätze aus dem Tempel von Jerusalem bis zum Jahr 410 in Rom im Tempel der Vestalinnen verwahrt wurden.

Die Römer scheinen in den Jahrhunderten ihrer Anwesenheit im Vorderen Orient auch vom Tal des Gottes Jahwe erfahren zu haben. Da ihnen damals keine Hoheitsgrenzen den Weg versperrten, drangen sie mit Sicherheit dorthin vor. Die Ruinen der kleinen Tempel dort belegen dies. Genauso dürften sie durch Karawanen, die Arabien durchquerten, von Ruinen oder intakten Einrichtungen in der Wüste gehört haben. Oder sie erfuhren

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durch Gelehrte, die sich mit Alexander dem Großen befassten, von dem kleinen Tempel, den der Eroberer am nördlichen Zugang zum Tal der Propheten errichten ließ, ehe er nach Assyrien weiterzog.

Laut Ali gibt es auch im Tal der Patriarchen Hinweise auf das Zentrum des Paradieses. Es sind Steinplatten, die man mit etwas Hintergrundkenntnissen als Karten im weitesten Sinne erkennen kann. So ist es also durchaus möglich, dass sowohl das Pantheon in Rom als auch die Hagia Sophia, welche oströmische Christen im damaligen Konstantinopel erbauten, auf das geheimnisvolle Gebäude im innersten Zentrum des einstigen Paradieses zurückgehen. Entfernt man von der Hagia Sophia gedanklich alle Nebenbauten, so erkennt man auch dort die gleiche Grundform: einen würfelförmigen Hauptbau mit einer Kuppel darüber.

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Alexander der Große

Der große Eroberer war in Ägypten, suchte dort die heiligsten Stätten auf und machte sich dann in Richtung Babylon auf den Weg. Er kannte somit die Pyramiden. Wurden ihm, der zum Herrscher der Welt vorgesehen war, auch die Geheimnisse der Welt in Ägypten offenbart? Da Alexander einen Tempel im Gebiet des Tals der Propheten errichten ließ, ist anzunehmen, dass er selbst sich dort aufgehalten hat.

Die Kaaba ist vergleichsweise nicht weit von diesem Gebiet entfernt. Dieses Bauwerk gab es zu Alexanders Zeiten bereits. (Sie soll von Abraham und Ismael gebaut worden sein.) Er oder zumindest Leute aus seinem Tross müssten auch dort gewesen sein, den Kubus gesehen und darüber berichtet haben. Auffällig ist das Interesse, das Alexander in Mesopotamien an den Zikkurats zeigt, die den Zylindern/Türmen in unserem Schema entsprächen.

Verbinden wir diese Formen miteinander, welche fehlt? Es ist die Kugel, der Hinweis also, dass Alexander oder seine Männer auch in das Zentrum des Paradieses vorgedrungen waren. Dass sie bis dorthin kamen, ist in der Tat unwahrscheinlich, denn der Weg, den das Heer des Mazedoniers nehmen musste, konnte nicht durch die Arabische Wüste führen.

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Die Römer

Einige hundert Jahre später finden wir die Römer in Ägypten, in den Küstenstrichen des heutigen Palästina und rund um das Mittelmeer. Wir schreiben das Jahr 70 n. Chr. Das herausragende historische Ereignis ist der Freiheitskampf der Juden in und um Jerusalem und die Schleifung ihres Tempels auf dem Tempelberg.

Was könnte die römischen Machthaber in Judäa bewogen haben, den Tempelberg in Jerusalem zu zerstören und zu verfügen, dass die Stadt fortan nicht bewohnt werden darf? Jüdische und christliche Interpreten sehen darin meist nur den Versuch, den Mittelpunkt des jüdischen Glaubens zu vernichten. Die Frage sei jedoch erlaubt: Wussten die Römer, dass sie mit dem Tempel in Jerusalem einen Nachbau zerstörten, einen Ersatz für den Mittelpunkt des Paradieses - und nicht etwa das Original?

Welche Gründe also könnten sie gehabt haben? Vielleicht bestand die geheime Absicht ja darin, mit dem Pantheon eine Kopie des Paradieszentrums in Rom zu errichten. Wir sollten jedenfalls davon ausgehen, dass die damals mächtigen Römer durch die Ägypter und durch die Nachfahren der semitischen Stämme in Arabien von einem alten Paradies wussten.

Ob auch der vierzigtägige Aufenthalt von Jesus in der Wüste mit dem Wissen um das Paradies zu tun hatte, möge jeder für sich intuitiv entscheiden. Ich für meinen Teil bin davon überzeugt.

Aus politischen Gründen konnten die Römer das Zentrum allen Glaubens in der Wüste Arabiens offiziell nicht zur Kenntnis nehmen. Sie hätten sonst ihre Hauptstadt Rom aufgeben und das Zentrum des Paradieses zur Hauptstadt machen müssen. Das war jedoch in jeder Hinsicht unmöglich. Es lag für sie also nahe, ihr Wissen um das Zentrum des

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Paradieses geheim zu halten, damit ihnen niemand die Macht streitig machen konnte. Denn zu allen Zeiten war es so, dass diejenigen, die das »größte Heiligtum« besaßen, früher oder später auch die Macht über die Menschen beanspruchten.

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Der Prophet Muhammad

Was um das Jahr 600 christlicher Zeitrechnung geschah, hat indirekt wohl auch mit dem Tal der Patriarchen zu tun: Muhammad traf die »Große Mutter«. Die Begegnung mit ihr ist im islamischen Schrifttum überliefert.

Um zu verstehen, worin die eigentliche Macht der »Großen Mutter« besteht, sollte man sich Folgendes vor Augen halten (ich beziehe mich hier auf Informationen, die mir aus der islamischen Welt zugespielt wurden): Um 620 n. Chr. scheint die Gefahr bestanden zu haben, dass die in das oströmische Territorium einfallenden Völker bis in den Hijaz vordringen würden. In dieser Situation entschloss sich die damals amtierende Maslama, eine religiöse Bewegung ins Leben zu rufen, deren Anhänger das Gebiet durch strenge Glaubensregeln abschirmen und die heiligen Stätten mit ihrem Leben verteidigen sollten. Die Gefolgsleute der »Großen Mutter« fanden in Muhammad die geeignete Person, die dann in das Geheimnis des Hijaz eingeweiht wurde.

Muhammad war zu diesem Zeitpunkt noch kein Prophet. Er wurde es, weil die »Große Mutter« ihn als denjenigen erkannte, den Gott zu seinem Propheten machen wollte. Dies ist ein Vorgang, den man in den alten Schriften der Juden des Öfteren beschrieben findet. Die einzige Hilfestellung der »Großen Mutter« bestand wohl darin, dass Muhammad befähigt wurde, die Vorgänge im Tal der Propheten, denen er begegnen würde, zu erkennen und zu verstehen.

Dazu gehörte unter anderem eine bestimmte Lebensweise und Ernährung. Wir wissen aus den Berichten von Ali, dass der Aufenthalt vor Ort durch extreme Hitze, Trockenheit, Wassermangel und giftiges Getier sehr gefährlich ist. Es besteht jedoch die Möglichkeit, durch eine bestimmte Diät den Körper auf diese Extrembelastung vorzubereiten. Diese Hilfestellung

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wurde Muhammad vermutlich gegeben. Den Muslimen ist diese Diät noch heute bekannt - möglich sogar, dass der Fastenmonat Ramadan auch unter diesem Gesichtspunkt als eine Art Erinnerung an die Vorbereitung Muhammads zu sehen ist. Muslimische Geistliche werden dies im Angesicht der vollen Wahrheit eines Tages zu entscheiden haben.

Nach entsprechender Vorbereitung gelangte Muhammad sodann in die Täler, sah, erkannte und handelte. Er war ohne Zweifel fortan berechtigt, sich Prophet zu nennen, denn er hatte das Geheimnis gesehen und die Folgen erkannt, die aus diesem Mysterium resultierten.

Was sagt Muhammad über Jesus, der vermutlich in den vierzig Tagen seines Wüstenaufenthalts auch dort gewesen war? Er erkennt auch ihn als Propheten an. Christen missverstehen dies meist als Abwertung, denn sie haben ihr Idol zum Gott erhoben, feiern aber gleichzeitig in Maria die »Große Mutter«! Es könnte sein, dass die Besinnung auf die gemeinsamen Anfänge auch eine Belebung des christlichen Glaubens mit sich bringen wird.

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Die Tempelritter

Kamen die Templer dem Geheimnis um das einstige Paradies auf die Spur? Die Muslime schützten das Geheimnis auch vor den Christen, aber anscheinend nicht lückenlos.

Dies zeigte sich mir deutlich, als ich Ali eines Tages nach Amman begleitete. Wir fuhren von Akaba aus mit dem Zug. Im Waggon mussten wir uns über unverfängliche Themen unterhalten, denn wir konnten nicht wissen, wer von den Mitreisenden ein außergewöhnlich großes Ohr hatte. Unterwegs erzählte er mir, dass man sich im Westen über Bedeutung und Tragweite des heimlichen Treibens der Tempelritter im palästinensischen Jerusalem nicht im Klaren sei.

In Amman wollte sich Ali mit jenem Briten treffen, der auf Gegenstände aus der Templerzeit in Antiochien und Palästina spezialisiert war. Er kaufte von der syrischen Bevölkerung Bruchstücke von Friesen oder Steinen mit Templersymbolik und in den Hinterzimmern des Basars von Damaskus Pergamentdokumente und alles, was es aus der Zeit der frühen Christen sonst noch gab. Sein Abnehmer in London organisierte den Transport ab Amman. Der Templer-Spezialist musste nur dafür sorgen, dass die Altertümer von Damaskus nach Jordanien gelangten. Aber das war keine unlösbare Aufgabe für ihn, zumal er seit dreißig Jahren im Geschäft war.

Wir trafen den Briten in einem Kaffee- und Teehaus in Amman. Er war darüber orientiert, wer ich war. Als er überdies erfuhr, dass mich Ali zum Verwalter seiner Unterlagen auserwählt hatte, behandelte er mich so, als ob wir einander schon seit Jahrzehnten kannten. Er war ein Experte für Templergeschichte im Morgenland. So hatte ihn mir Ali beschrieben, und so erlebte ich ihn auch. Zwangsläufig kamen wir auf die Templer zu sprechen. Ein Mensch, der sich fast ausschließlich mit einem Thema beschäftigt, spricht

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unweigerlich auch beim Pfefferminztee darüber. Vor allem dann, wenn er merkt, dass er einen interessierten Zuhörer hat. Und ich war an seinen Erkenntnissen sogar brennend interessiert.

Ali hatte ihm über seine letzten beiden Expeditionen zu den Orten seines archäologischen Interesses berichtet. Er hatte zwar Spuren der Templer im Tal der Patriarchen gefunden, aber keine Hinweise, dass Templer bis zum Zentrum des Paradieses vorgestoßen waren. Da er jedoch nur einen winzigen Bruchteil des Geländes untersucht hatte, musste das nichts bedeuten. Erstmals erfuhr ich hier von einem bestimmten Detail: Im Zentrum des Paradieses suchte Ali nach einem Gewölbe mit zwei Kammern, die nicht als Grabmal gedient hatten.

Anders verhielt es sich mit den Tälern der Propheten und Patriarchen. Dort suchte er nach Gräbern und Informationen über die dort Bestatteten. Er hatte mir schon in Akaba Fotos von Steinplatten gezeigt, auf denen in einer merkwürdigen Technik mehrere Köpfe und Gestalten übereinander dargestellt waren. Er hatte zwei der Schwarzweißfotos bei sich, die ich schon kannte, und legte sie schmunzelnd auf den kleinen Tisch. Dann schaute er den Briten an, nippte an seinem Pfefferminztee und schwieg.

Der Templer-Experte sah die Bilder sorgfältig an. »Die Motive sind nicht identisch«, sagte er. »Aber man kann auf jeden Fall sagen, dass derjenige, der die typischen Verzierungen bei den Templern kreiert hat, eine solche Vorlage besessen haben oder dort sogar vor Ort gewesen sein muss.«

»Das sehe ich auch so«, antwortete Ali. »Und für mich ist das

der Beweis, dass die Templer dort waren, zumindest einer von ihnen. Der muss dort im Felsen gewesen sein und die Vorlage abgezeichnet haben.«

»Langsam kommt Licht in die merkwürdigen ersten Jahre der Templer in Jerusalem«, sagte der Brite. Ich schaute ihn wohl

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etwas ratlos an, denn er erklärte mir, was er meinte. Über die geheimen Absichten dieses Ritterordens wird seit

jeher viel und teilweise erbittert gestritten. Der Brite sagte lakonisch, »dass es viele Historiker, insbesondere Kirchenhistoriker, gab und gibt, die es gerne sähen, wenn über das weniger Romkonforme Treiben, die sozusagen unorthodoxen Aspekte des Ordens, geschwiegen würde. In der Hoffnung, dass dann diese Details in Vergessenheit geraten.«

So hieß es im Mittelalter, dass die Tempelritter okkulte Zeremonien um einen Kopf praktizierten, den sie Baphomet nannten. Misstrauisch wurden die Außenstehenden, weil dies unter größter Geheimhaltung und strengster Abschirmung geschah. Die Inquisition legte nach der hochnotpeinlichen Befragung der Verantwortlichen Geständnisse vor, wonach die Tempelritter einen Schädel anbeteten. Da man damals engstirnig dachte, war das natürlich ein Verbrechen. Hätten die Ritter in unserem Jahrhundert in einem westlichen Land gelebt, wäre man achselzuckend zur Tagesordnung übergegangen: Sollen sie doch anbeten, was sie wollen.

Es ist durchaus möglich, dass die Tempelritter die Darstellung eines Kopfes mit langem Bart bei ihren Zusammenkünften symbolisch in die Mitte des Raums stellten. Jahrhunderte später malte William Blake ebendiesen Kopf, diesmal mit einem Körper und dem Freimaurer-Zirkel, »die Zeit messend«. Der Titel des Bildes lautete: »Der Alte der Tage«.

Warum die Templer wegen der Anbetung eines Kopfes in solche Schwierigkeiten gerieten, ist bis heute noch nicht einmal im Ansatz geklärt, obwohl es schon viele Versuche hierzu gegeben hat. Jedenfalls wurde auf dieser Grundlage ein Verfahren gegen sie eingeleitet und damit das Ende der Templer in Frankreich im 14. Jahrhundert besiegelt.

Der Brite saß mir an dem Tischchen im Kaffee- und Teehaus schräg gegenüber. Er sah mich an. »Um das Geheimnis der

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christlichen Militärorden - Tempelritter, Johanniter, Lazarusritter und all der anderen Gruppen - zu lüften«, sagte er, »muss man deren Entstehungsgeschichte kennen. Genau die ist aber heftig umstritten.

Je nach weltanschaulichem Standpunkt, Antipathie und Sympathie für die Soldaten Christi, meinen die Gelehrten, dass der Ursprung in Frankreich oder bei der geheimnisumwobenen muslimischen Sekte der Assassinen zu suchen sei. Andere vermuten, dass die Templer durch die Berührung mit der Idee der islamischen Ribat, den Wehrklöstern zum Schutze des Islam, hervorgegangen sind. Die in Europa am weitesten verbreitete Ansicht lautet, dass die Ritterorden durch eine Änderung der Rolle des Ritters im Mittelalter zu einer �Reform� genötigt waren.«

Die Miene des Briten machte mir deutlich, dass er dieser Ansicht keineswegs zustimmte. »Wer hier im Vorderen Orient«, fuhr er fort, »die Templer systematisch erforscht, erkennt, dass die Soldaten Christi bis auf die Zeit der Geheimbünde der christlichen Legionäre im vorchristlichen Rom zurückgehen. Ich habe mich mit den Templern ursprünglich nicht aus wissenschaftlichem Interesse beschäftigt, sondern der Zuordnung der Fundstücke wegen, für die ich Kunden in aller Welt habe. Das erleichtert mir die Bestimmung des Wertes. Stöbert man nur ein wenig weiter in der Geschichte, dann sieht man, dass sich die Nachfolger der römischen Soldaten Christi in Ordensgemeinschaften zu organisieren begannen. Etwa um 600 n. Chr. gingen sie dazu über, den Kampf mittels Gebeten und Weihrauch, Prozessionen und Gesängen, also ohne Schlachtgetümmel, fortzusetzen.

Als dann im Jahr 1095 der erste Kreuzzug organisiert wurde, war es mit den Lippenbekenntnissen und der gegenseitigen Verleihung von Ehren und Ordenstiteln allerdings wieder vorbei. Die Schlacht um das Heilige Land wurde als Weg zum Heil proklamiert, und die Zeit begann, in der es als ehrenvoll

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galt, für den christlichen Gott zu kämpfen und zu töten. Aber schon mit den ersten Wellen christlicher Ritter wurden auch die Suchenden nach Wahrheiten und Beweisen in den Orient gespült. Die Ritter und ihr Gefolge hatten viel Zeit für das Gebet, aber auch, um nachzudenken und zu recherchieren. Und die Summe aller Recherchen über mehrere Generationen hinweg war es, die die Templer so mächtig im Wissen und im Glauben werden ließ, dass das Papsttum Gegenmaßnahmen ergreifen musste.

Wenn du also fündig werden willst«, schloss der Brite, »dann schau dir die Entstehungsgeschichte der Tempelritter genau an. Weder die Orthodoxen noch die Kopten oder Juden werden dich zu den christlichen Geheimnissen des Orients führen können. Betrachte als Erstes die Merkwürdigkeiten bei den Tempelherren, Templern oder wie du sie auch immer nennen willst.« Und er begann, mir eine dieser »Merkwürdigkeiten« zu entwickeln:

Im Jahr 1119 kommt Hugues de Payns, Herr des burgundischen Schlosses Martigny, zusammen mit acht anderen Rittern unangemeldet zu Balduin II., König von Jerusalem. Die Umstände und der Zeitpunkt sind durch Erzbischof William von Tyrus belegt, der schriftlich niederlegte, dass dieses Treffen entgegen jeglicher höfischer Sitte stattfand.

Die burgundischen Ritter unterwerfen sich wie gewöhnliche Geistliche dem obersten Patriarchen, um Christus zu dienen, und erhalten von ihm das zeitweilige Wohnrecht in seinem Palast. Die Geistlichkeit des Tempels von Jerusalem bestimmt daraufhin einen Hof in der Nähe als Platz für den Ritterorden. Im Gegenzug geloben die neun westeuropäischen Rittersleute, dass sie all ihre Kräfte einsetzen werden, um auf den Wegen und Straßen die Pilger vor Überfällen durch Räuber und Diebe zu schützen.

Nun aber die nächste Merkwürdigkeit: In den ersten neun Jahren haben sie nichts dergleichen getan! Vielmehr haben sie

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ihr Quartier überhaupt nicht verlassen, obwohl die Pilger bis vor die Tore Jerusalems von Dieben und Mördern verfolgt wurden.

Was aber machten sie all die Jahre dort? Diese Frage lässt sich leichter beantworten, wenn man erfährt, wo sich ihr Quartier befand: Es war die Al-Agsa-Moschee am südlichen Teil des Tempelbergs, der Ort, wo der Überlieferung nach der salomonische Tempel gestanden haben soll - daher auch der Name des Ordens, die Templer. Während der neun Jahre blieben sie unter sich und nahmen keine neuen Mitglieder auf.

Aber damit noch lange nicht genug der Ungereimtheiten. Offizielles Gründungsdatum des Ordens ist nach Angaben der Templer-Historiker das Jahr 1118. Aus dem Briefwechsel zwischen Adligen und Bischöfen geht jedoch hervor, dass schon 1114 »um die Erlaubnis nachgesucht wurde, in den Orden eintreten zu dürfen«.

Was also wurde da seit Jahren im Geheimen vorbereitet? Und was wurde sodann, auf dem Tempelberg von Jerusalem, in die Tat umgesetzt? Unter ihrem Quartier und östlich der Al-Aqsa-Moschee lagen die ehemaligen Ställe des Salomon - ein riesiges unterirdisches Labyrinth. »Die Frage muss also nicht lauten«, sagte der Brite, »was die Templer neun Jahre in der Moschee taten, sondern mit welchem geheimen Projekt sie sich neun Jahre lang unter der Erde befasst haben. Hier liegt auch der Schlüssel zum Verständnis der Doppelfunktion dieses Ordens.«

Dann nannte er mir verschiedene Erklärungsversuche. Als Erstes liegt es nahe anzunehmen, dass die Templer in den ehemaligen Stallungen Ausgrabungen machten beziehungsweise nach Fundstücken aus der Zeit Salomons suchten. Möglicherweise nutzten sie die Gänge darüber hinaus auch, um unbemerkt ihr Quartier zu verlassen. Der dritte Erklärungsversuch geht am weitesten: Danach nutzten die Templer ihr Quartier mit den diskreten Ein- und Ausgängen als Stützpunkt für geheime Operationen in den Wüsten Arabiens, und zwar mit Genehmigung von allerhöchster Stelle oder sogar

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auf Weisung. Dies würde außerdem erklären, warum ihr Anführer unangemeldet beim König von Jerusalem vorsprechen konnte, sofort empfangen wurde und Quartier erhielt.

»Man kann also vermuten«, sagte der Brite, »dass es sich bei den neun vermeintlichen Ordensrittern um vorinformierte, sehr vertrauenswürdige Personen handelte, die ins Heilige Land kamen oder geschickt wurden, um hier gewisse Geheimnisse zu erforschen. Was genau sie fanden, ist unbekannt. Im 19. Jahrhundert wurden Vermessungsarbeiten unter dem Tempelberg durchgeführt. Man fand viele Gegenstände, darunter Artefakte aus dem 12. Jahrhundert, die unzweideutig Tempelrittern gehört haben müssen.«

»Und sonst fand man nichts?« fragte ich. »Nein, gar nichts. Hartnäckig hält sich aber das Gerücht, die

Templer hätten seinerzeit einen großen Schatz gefunden und fortgeschafft.«

Ich sah ihn fragend an. »Und stimmt das Gerücht, deiner Meinung nach?«

»Zur Hälfte bestimmt«, antwortete er. »Die Templer haben etwas gefunden, allerdings nicht unter dem Tempelberg, sondern dort, wohin es auch Ali immer wieder zieht.«

Für den Fall, dass Sie an dem möglichen Wissen der Templer um das Geheimnis des Paradieses zweifeln, sehen Sie sich bitte die folgenden Abbildungen an. Das Fotodokument (Abbildung 18, S. 216) aus den Unterlagen der Templer belegt, dass diese am Grab Abrahams und der anderen Patriarchen des Alten Testaments gestanden haben. Sie kannten das Geheimnis. Templer ebenso wie Christen aus Antiochien haben Zeichen hinterlassen, die belegen, dass sie dort waren (Abbildung 19, S. 217).

Die Kreuzzüge brachten viel Unruhe und Leid über die Muslime im Nahen Osten. Versuche, sich mit den Christen zu arrangieren, wurden hintertrieben oder scheiterten aufgrund von

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Vertragsbrüchen. In erster Linie war es eine sehr unrühmliche Zeit für die Christen. Von dem Ägypter in der Runde um Ali, der sich häufig als Reiseleiter in Medina und Mekka aufhielt, erfuhr ich, dass es in den Archiven von Medina Unterlagen über Geheimabkommen gibt, die auf ein Arrangement zur Beendigung der Kreuzzüge hinausliefen.

Einer der Punkte sah vor, freien Zugang zu den Stätten im Heiligen Land zu vereinbaren. Ausdrücklich ausgenommen waren aber alle Kreuzritter, also auch die Tempelritter, für die das Gebiet südlich von Akaba tabu gewesen wäre. Der Unmut der Muslime soll dann dadurch geschürt worden sein, dass sich die Christen an diese Bedingung nicht hielten. Dies leitete das Ende der Templer und somit der christlichen Präsenz im Heiligen Land ein.

Abbildung 18: Templerzeichnung (in den USA veröffentlicht) - vergleiche

dazu Alis Skizze aus dem Beduinenzelt (Abbildung 13)

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Abbildung 19: In Stein gemeißelt die Kennung für orthodoxe Christen und

Templer im Tal der Patriarchen Was aber, so wäre noch einmal zu fragen, zog die frommen

Ritter aus dem Tempel von Jerusalem überhaupt in die Gegend südlich von Akaba? Waren es die Täler der Patriarchen und Propheten? Die Muslime der damaligen Zeit wussten offenbar über das Plateau der heiligsten Stätten Bescheid. Sie wussten auch, warum sie keinen Christen oder Juden dort haben wollten. Dies hätte nur zur Ausdehnung des Territoriums der Religionskriege geführt.

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Späher des Vatikans

Ali erzählte mir, dass im 20. Jahrhundert neben T E. Lawrence und ihm selbst auch zwei »Späher des Vatikans« bis in die Täler des Lavafeldes vorgestoßen seien. Das muss irgendwann zwischen 1930 und 1955 gewesen sein. Ihre Ausrüstung war mangelhaft, da sie offenbar nicht wussten, auf welch feindliche Lebensbedingungen sie stoßen würden. Von der »Großen Mutter« hat- ten sie anscheinend keine Erlaubnis erbeten oder erhalten, das Gebiet zu betreten. Sie wussten nichts von diesem Sicherheitssystem, hatten also auch keine Ahnung von der »Hüterin«. Laut Ali war das eine Expedition unter dem Motto »Gott ist mit uns, darum kann uns nichts passieren«.

Aber vielleicht war Gott doch nicht mit ihnen. Die »Große Mutter« jedenfalls soll mit ihren Helfern nicht eingegriffen haben, als die beiden Nierenversagen infolge von Wassermangel erlitten. Wäre das Tun dieser Reisenden Allah wohlgefällig gewesen, mag sich die »Große Mutter« gesagt haben, dann wären sie nicht in diese Situation geraten.

Ohnehin, meinte Ali, seien die beiden nur deshalb bis in das Tal der Propheten gekommen, weil sie die Nordroute nahmen, also an den Tempelruinen des Alexander vorbei in das Tal mit den Felsengräbern zogen. Zur Entdeckung der unterirdischen Nekropole dürfte ihre Zeit nicht mehr ausgereicht haben. Dennoch stellt sich die Frage, woher der Vatikan von der Existenz der Täler der Patriarchen und Propheten überhaupt wusste. Die Antwort muss meiner Ansicht nach lauten: Vermutlich aus seinen Archiven.

Als ich mich in der britischen Hauptstadt aufhielt, um die Rolle zu durchleuchten, welche die City of London seit Jahrhunderten in dieser Angelegenheit spielt, diskutierte ich mit einem Eingeweihten und Mitglied desselben Clubs, dem Ali angehört hatte. In seiner typisch britischen Art lenkte er das

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Thema auf die Kreuzzüge, die Kreuzritter und schließlich auf die Templer als Gesamtorganisation.

Seine entscheidende Frage damals lautete: »Was wäre, wenn es keinen Islam gäbe und gegeben hätte?«

Ich dachte nicht lange nach. »Dann hätte es auch keine Kreuzzüge gegeben, somit auch keine Templer und keine Orientreisenden wie Professor Musil.«

»Stattdessen«, sagte der Gentleman, »hätten wir zwei mehr oder weniger friedlich nebeneinander existierende Religionen. Die ost- und weströmischen Christen und deren Länder mit dem Schwerpunkt Neues Testament, also der Ausrichtung auf Jesus Christus. Und eine organisierte semitische und jüdische Religion, deren Schwerpunkt in den Überlieferungen des Alten Testaments liegt, sich somit auf Abraham, Noah, Moses und David stützt.

Für die einen wäre Jerusalem und seine Umgebung, für die anderen wären die Täler der Patriarchen und Propheten von größter Bedeutung. Sie hätten sicher auch längst das Zentrum des Paradieses gefunden und in der Folge das heutige Ersatz-Jerusalem aufgegeben. Was ist ein Ersatz-Jerusalem schon gegen den real existierenden Platz, wo ihr Baum des Lebens gestanden hat?«

Ich stimmte ihm zu. »Die Christen dagegen«, sagte ich, »würden heute in Jerusalem und dem Heiligen Land ihr Heil suchen. Nur kam es eben, aus welchen Gründen auch immer, anders: Muhammad trat auf und begründete den Islam.«

»Nun sind die Muslime ja nicht die Bösewichter, als die man sie bei uns im Westen so gerne hinstellt«, fuhr der Gentleman aus der City of London fort. »Wer das behauptet, hat nichts verstanden. Nehmen wir einmal an, als Muhammad in die Rolle des Propheten gedrängt wurde, hatte er auch von den Geheimnissen der heiligen Stätten erfahren. Wenn er wollte, konnte er in das Tal der Patriarchen gehen und vor dem Grab

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seiner Stammeltern Abraham und Hagar beten. Wenn er wollte, konnte er auch in das Tal der Propheten pilgern. Vieles spricht dafür, dass er dies auch getan hat. Wem ist er dort begegnet? Was hat er dort erlebt? Nannte er sich selbst Prophet, oder wurde er nach seinen Erlebnissen im Tal der Propheten zum Propheten ernannt?«

Es waren genau die Fragen, die auch mich immer wieder beschäftigten. In der Antwort, die der Brite mir gab, kam aber die Maslama nicht vor. Für ihn war es Muhammad selbst, der aus eigenem Antrieb zu einem folgenschweren Entschluss kam.

»Aus seiner Sicht«, sagte der Brite zu mir, »musste er das Territorium seiner heiligen Ahnen mit allen Mitteln beschützen und bewahren. Auch der mächtigste Mensch der Welt kann jedoch nicht garantieren, dass ein von ihm begründetes Wachsystem bis zum Ende unserer Tage einen solchen Schutz gewährleistet. Anders aber, wenn man eine religiöse Gemeinschaft gründet, die dazu bestimmt wird, diese Wächterrolle zu spielen, und zwar so, dass selbst die höchsten Würdenträger dieser Gemeinschaft in das Geheimnis nicht unbedingt eingeweiht sein müssen. Möglicherweise begründete Muhammad also den Islam, um das Territorium sowohl vor seinen eigenen Anhängern und Gläubigen als auch vor den Anhängern und Gläubigen seiner Halbbrüder und -schwestern zu schützen, die von Sara abstammen. Erst recht aber sah er sich veranlasst, die Heiligtümer seiner Ahnen vor denen zu schützen, die überhaupt nicht von ihnen abstammten - vor den Christen.«

Eine solche Sichtweise verblüffte mich doch sehr, zumal sie mir mitten in London so unverblümt dargeboten wurde. Ich schluckte, denn ich begann zu ahnen, dass diese Deutung meiner Absicht, Alis Erkenntnisse zu publizieren, nicht gerade förderlich war.

Leider war der englische Sir noch nicht am Ende. »Wundern Sie sich noch immer, warum der Vatikan nach wie vor neugierig ist und Späher schickt? Mich erstaunt es nicht«, sagte er. »Bis

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jetzt hat das Sicherungssystem, das Ihnen bekannt ist, funktioniert. Jetzt liegt es an Ihnen, Mr. Thomas, wie weit Sie bei Ihrem Vorhaben gehen wollen. Ich hoffe nur sehr, dass Sie nichts preisgeben werden, was es verantwortungslosen Personen oder skrupellosen Institutionen erleichtert, die heiligsten Stätten aufzufinden.«

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9. Kapitel: Eine Übung zu neutralerer

Betrachtungsweise

Lebten die Patriarchen mit mindestens zwei Frauen zusammen? Vom Propheten Muhammad wissen wir, dass er den Gläubigen gestattet hat, bis zu vier Frauen zu »heiraten«. Der Prophet hat eine solche Regel sicherlich nicht erlassen, um die Fleischeslust der männlichen Gläubigen zu steigern. Neben handfesten Gründen, etwa dem Überleben einer Familie oder eines Stammes, dürfte Muhammad auch das Vorbild für die so genannte Vielweiberei im Auge gehabt haben, das er unmittelbar vor oder nach seiner Erleuchtung in den Anlagen der Patriarchengräber gesehen haben muss.

Vermutlich hat ihn die »Große Mutter« dorthin bringen lassen, um ihm die Zusammenhänge zu zeigen. Obwohl Ali nur in einen kleinen Teilbereich einer solchen Anlage eingedrungen ist, wurde ihm bald klar, dass man nicht von Gräbern oder von Grabanlagen sprechen kann. Es handelt sich vielmehr um eine Stätte der Ausbildung in dem Wissen, das der dort Ruhende im Laufe seiner körperlichen Existenz zusammengetragen, gelehrt und nun hinterlassen hat.

Wie mir Ali sagte, scheint dieses Prinzip, die Lehre und die Originale des Wissens weiterzugeben, untrennbar mit den Patriarchen verbunden zu sein, deren Vorfahren noch im einstigen Paradies gelebt hatten. Für künftige Eden-Archäologen werde es vor allem darum gehen, nicht nach Ruinen zu suchen, sondern nach den Räumen des hinterlassenen Wissens, die überall über das Areal verstreut sein müssten. »Wir können zwar die hinterlassenen Dokumente derzeit nicht lesen oder ihre Funktion verstehen«, sagte er, »aber auch ihnen gegenüber werden sich die Augen der Forscher eines Tages öffnen.«

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Ich fragte mich noch, woher er diese Zuversicht nahm, da sprach er schon weiter. »Nachdem ich die Entdeckung im Tal der Patriarchen gemacht hatte«, sagte er, »hatte ich keine Zeit mehr, mich systematisch im Tal der Propheten umzusehen. Wäre ich dort zuerst fündig geworden, hätte ich dir möglicherweise Bilder wie dieses präsentieren können.« Er zeigte mir die Schwarzweißaufnahme eines verwitterten Steinreliefs, auf dem ein fremdartig anmutendes Flugzeug zu sehen war.

Ich stutzte. Ob er mir etwas verheimlichte? Er schüttelte den Kopf. »Wenn ich solche Steinplatten sogar außerhalb der Gräber finde«, fragte er eher sich selbst als sein Gegenüber, »was werden erst die Gräber enthalten, die bis heute verschlossen sind?«

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Eine gewagte Zwischenfrage: irdisch oder außerirdisch?

Zwangsläufig standen wir nun vor der Frage einer möglichen außerirdischen Einflussnahme. Die Darstellung eines Flugobjekts auf einem uralten Steinrelief - wie sollte man das anders erklären? Befand sich also im Gebiet des wahren Horeb-Sinai einst ein vorzeitlicher Weltraumbahnhof?

Bekanntlich wird die Beschreibung der »Himmelfahrt« des Propheten Elias, der mit einem feurigen Wagen entschwunden sein soll, gern als Beleg für solche Thesen herangezogen. Von Muhammad wird ebenfalls berichtet, er sei in Jerusalem in den Himmel aufgestiegen. Islamische Gläubige meinen, dass es sich hierbei um das palästinensische Jerusalem handle. Das muss aber nicht so sein.

Jedenfalls ist in dem heutigen Jerusalem nichts zu erkennen, was auf einen prähistorischen Weltraumbahnhof hindeutet. Wie steht es aber mit dem (Jeru-)Salem im Zentrum des Paradieses? Ali hatte nur wenig von dort mitgebracht, darunter drei Kopien von Tafeln, die er dort fand. Sie alle zeigen merkwürdige Fahrzeuge, für die ich in keiner vergangenen Zivilisation ein Vorbild gefunden habe.

Bei der Vorbereitung dieses Buches musste ich immer wieder erleben, wie leicht eine gläubige Seele Verbindungen zu außerirdischen Geschöpfen zu erkennen glaubt. Zum Beispiel: Wie sprach Moses mit Gott? Mit außerirdischer Technologie wären alle Probleme der Kommunikation mühelos zu lösen.

In dem mir von Ali überlassenen Material kann ich aber bis zur Stunde keine Hinweise finden, die einen solchen außerirdischen Einfluss bestätigen würden. Das schließt allerdings nicht aus, dass andere Forscher nach Ali in den Gräbern solche Indizien finden könnten.

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Meines Wissens ist Ali, der ja mit seinen Mitteln und unter den beschriebenen Umständen nur Stichproben sichten und im Fall der Grabanlage Abrahams erste Einblicke gewinnen konnte, so nahe an das Erbe der Patriarchen herangekommen wie kaum jemand vor oder nach ihm. Diejenigen aber, die vor ihm möglicherweise noch tiefer in das Geheimnis eindringen konnten, scheinen alle geistig ver- oder entrückt geworden zu sein. Dies dürfte ein weiterer triftiger Grund sein, warum man den Zugang zu den Tälern der Patriarchen und Propheten so hermetisch abriegelt.

Jedenfalls scheint es mir durchaus möglich, dass die Herkunft des dort deponierten Wissens, das manch einem den klaren Verstand raubte und andere zu Propheten machte, außerhalb unseres Planeten zu suchen ist.

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Vielweiberei der Patriarchen?

Eines Abends kam Ali auf ein heikles Thema zu sprechen: die Polygamie der Beduinen, die auf die Bräuche der Patriarchen zurückzuführen ist.

»Noch heute haben die Beduinen mehrere Frauen«, sagte er. »Wie viele Gerüchte kursieren über diesen Brauch! Wer weiß schon, dass unter den Bedingungen, wie sie in den heißen Regionen Arabiens herrschen, die Frauen höchstens viermal in ihrem Leben schwanger werden können? Das gilt natürlich nicht mehr für die Frauen, die in klimatisierten Häusern und Palästen leben. Generell war es aber so bis vor fünfzig Jahren. Überhaupt ist es lebensgefährlich, als Beduinenkind zur Welt zu kommen. Die Infektionsgefahr ist sehr groß. Es gibt kaum Wasser und manch harte Lebensbedingung mehr.«

Wenn eine Frau kurz vor der Niederkunft steht, etwa zwei Wochen vorher, erzählte Ali weiter, wird einem weiblichen Kamel ein Holzpflöckchen in die Harnröhre eingeführt, so dass es sich nicht mehr entleeren kann. Unmittelbar nach der Geburt legt man das Kind auf den Bauch der Mutter. Das Kamel wird über Mutter und Kind in Position gebracht, der Verschluss der Kamelblase entfernt, und der Urin ergießt sich über Mutter und Kind. Damit desinfizieren die Beduinen sowohl das Kind als auch die Mutter. Ein relativ dicker gelblicher Rückstand schützt den Säugling dann vor Ungeziefer und vermutlich auch vor Infektionen. Der Rückstand wird vier Monate lang nicht abgewaschen.

Aber nicht nur das Kind, auch die gebärende Frau schwebt in der Wüste in ungleich größerer Gefahr als in gemäßigteren Regionen. »Daher ist die Gebärfreudigkeit der Frauen hier oft sehr gering«, sagte Ali. »Wer es nicht glaubt, möge in der Bibel nachlesen, wie es Sara ergangen ist.«

Die nachfolgende Geschichte, wie sie mir Ali erzählte, ist eine

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Kombination aus Märchen und ersten Schlüssen, die man aus der Grabanlage des Abraham ziehen kann. Es geht hier nicht darum, eine neue Theorie um den Glauben zu entwickeln, sondern darum, unseren Geist für Denkmöglichkeiten zu öffnen.

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So könnte es gewesen sein

Es war einmal eine Zeit, da mussten die Männer mehrere Frauen zum Weibe nehmen, da die Umstände und die Zeiten sehr schlecht waren und nur wenige Kinder in das Alter kamen, in dem sie selbst heiraten konnten. In dieser Zeit lebte ein Mann, der hatte nur zwei Frauen zum Weibe genommen. Zusammen mit seinem Gesinde, seinen Tieren und dem Hausrat zog er durch die Wüste. Blieb hier ein wenig, dort einige Zeit, und die Tage gingen dahin. Die Frauen gebaren ihm Töchter, aber keine Söhne. Da haderte der Mann mit seinem Schicksal, sah er doch für sich und seine Frauen ohne Söhne das Leben im höheren Alter gefährdet. Nun geschah es, dass beide Frauen wieder schwanger waren. Erst kam eine der Frauen nieder und brachte einen Knaben zur Welt, einige Monate später wollte es das Schicksal, dass die andere Frau ebenfalls einen Sohn gebar Da freute sich der Mann, hatte er doch nun schon zwei Söhne, die eines Tages ihn und seine Frauen im Alter ehren würden. Die Zeit verging, mit ihr kamen und gingen Zwistigkeiten, wie sie in jeder Familie üblich sind. Die Zeit forderte ihren Tribut, und der Mann und die beiden Frauen starben irgendwann im gesegneten hohen Alter.

Ihre Söhne und Töchter bauten ihnen eine Grabstätte. Der Vater wurde in einem Felsen beigesetzt, in den man für die beiden Müttergleich große Kammern schlug, wo sie gleichberechtigt nebeneinander beigesetzt wurden. Die Jahrhunderte vergingen. Die Geschichte des Stammvaters und der beiden Stammmütter wurde von Generation zu Generation weitergegeben.

Mit den Jahrhunderten und Jahrtausenden veränderten sich aber die Lebensumstände der Nachkommen. Sie lebten nicht mehr in der heißen Wüste, sondern suchten sich bessere Lebensräume, wo es nicht mehr erforderlich war, dass ein Mann

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des Stammes mehr als eine Frau zum Weibe nahm. Wieder vergingen Generationen.

Zweifel beschlich die Herzen der Nachkommen. Diejenigen, denen die Lebensumstände des Urahns nicht mehr bekannt waren, fingen an, sein Tun, wie es in den Überlieferungen erzählt wurde, zu kritisieren. Sie sahen und beurteilten ihn mit ihren Augen und nach ihren Umständen. Sie schämten sich seiner, weil er zwei Frauen zum Weibe genommen hatte. So kam es, dass die Nachkommen der beiden Frauen in Streit miteinander gerieten, welche von beiden das rechtmäßige Weib des Mannes und welche die Konkubine gewesen sei. Die Nachkommen beider Mütter beanspruchten für sich, die rechtmäßigen Söhne und Töchter zu sein. Erst stritten sie mit Worten, dann schafften sie Beweise für ihre Argumente herbei, schließlich stritten sie mit Waffen. Der Sieg mit der Waffe über den Bruder entschied, welche der Nachkommen der beiden Mütter zu schweigen und welche Nachkommen ihre erstrittene Rechtmäßigkeit der Herkunft in der Öffentlichkeit feiern durften. Der Sieg bedeutete nicht die Wahrheit.

An dieser Stelle müsste nun stehen, dass, wenn die beiden Stämme nicht ausgestorben sind, der eine noch immer zu schweigen hat und der andere weiterhin öffentlich feiert. Aber dieses Märchen ist noch nicht zu Ende.

Wieder vergingen Jahrhunderte, Generationen kamen und sanken in die Gräber Die einen Nachkommen mussten schweigen, die anderen schwelgten im Adel ihrer Abkunft. Aber die Abkömmlinge beider Frauen brachten kluge Köpfe hervor Diejenigen, die schweigen mussten, suchten und fanden Beweise für das große Unrecht, das ihnen einst angetan worden war.

Die klugen Köpfe der anderen Gruppe durchschauten gleichfalls den Fehler, der in der Vergangenheit von den Vorfahren gemacht worden war Eine Rückkehr und Versöhnung schien jedoch nicht möglich, weil beide Zweige sich in ihren

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Riten und Kulten seit Jahrtausenden sehr auseinander gelebt hatten.

So blieb also den klugen Köpfen derjenigen Nachkommen, die sich in ihrer Herkunft sonnten, nichts anderes übrig, als für den Tag und die Stunde vorzubeugen, da die Fälschung an die Öffentlichkeit kommen würde. Wenn man das Grab des Urvaters und die Grabkammern der beiden Urmütter finden würde und somit erkennen könnte, wie es sich wirklich ehedem verhalten hatte, käme die Wahrheit ans Licht. In dieser Angst leben sie seit Jahrtausenden. Wer nun meint, dass die Besiegten alles daransetzten, um das Grab zu finden und die Beweise für die Wahrheit zu veröffentlichen, der irrt. Auch sie taten alles, um zu verhindern, dass das Grab entdeckt und die Beweise gefunden würden. Denn es hieß, dass es ein uraltes Gebot gebe, das Grab der Ahnen nicht zu suchen.

Dennoch lebten die Prächtigen, von ihrer Abkunft Eingenommenen in ständiger Unruhe. Also fingen sie an, nach Belegen zu suchen, die eine andere Wahrheit als die ihrige ans Licht bringen könnten. Eines jedoch wagten sie nicht: Hand anzulegen an das Grab ihres Urvaters und der gleichberechtigten Mütter Also belegten sie die Grabanlage bis zum heutigen Tag mit einem Bann.

Wann immer Nachkommen dieser Linie auf das Grab der drei stießen und voll Schrecken die Wahrheit sahen, taten sie alles, um den Zugang und die Gegend, wo sich diese Wahrheit befand, wieder zu verbergen. Das ist das Tun der Nachfahren der Sieger bis zum heutigen Tag. Die anderen klugen Köpfe, die zum Schweigen verdammt sind, hüten das Geheimnis der drei Gräber und vermeiden jede Auseinandersetzung um den Besitz des Geländes, auf dem sich diese drei Gräber befinden. Auch sie tun alles, damit selbst die eigenen Brüder und Schwestern nicht auf den Gedanken kommen, die Beweise in die Öffentlichkeit zu bringen, um ihre Abkunft klarzustellen. Der Summe der Fälschungen, auf welcher Seite auch immer begangen, und der

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geschickten Tarnung des Unantastbaren ist das Chaos zu verdanken, das entstanden ist.

Wie Ali immer wieder betonte, dürfe man bei der lückenlosen Aufklärung weder auf die Gefühle eines Rabbiners noch auf die Bedenken eines Großmuftis Rücksicht nehmen. Es wird aber noch einige Zeit dauern, bis aus dieser fiktiven Geschichte eine auf vorgefundene Fakten aufgebaute Hypothese wird, die dann durch andere Funde belegt oder verworfen werden kann. Ali war überzeugt, dass noch einige Überraschungen auf uns warten.

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10. Kapitel: Ekstasen im Tal der Patriarchen

Um es gleich zu sagen: Ali war nicht erleuchtet worden. Anders dagegen Muhammad, der Begründer der islamischen Religion. Er wurde hierfür ausgebildet, von wem auch immer. Dies mögen seine Anhänger heute anders sehen, aber der Ruf, für Allah zu sprechen, traf ihn nicht unvorbereitet. Er bekam offensichtlich die Erlaubnis, sich in dem Zentrum irgendwo zwischen dem Berg Horeb-Sinai und dem Tal der Patriarchen aufzuhalten. Vermutlich wurde er dort hingeführt.

Die Überlieferungen sprechen davon, dass er »erleuchtet« zurückkam. Was dort vorgefallen war, wissen wir nicht und können es so lange nicht rekonstruieren, wie wir nicht an dem »Platz der Plätze« innerhalb der Anlage im Tal der Patriarchen waren. Fest steht jedoch, dass die meisten, die tiefer in das Geheimnis eindrangen, geistig mehr oder weniger verrückt wurden:

� Sie entwickelten ein Sendungsbewusstsein. � Sie stellten die traditionellen Ansichten ihrer Zeit in Frage. � Sie propagierten den Monotheismus mit einem allmächtigen Gott. � Notfalls zerstörten sie mit Gewalt alte Strukturen, von deren

Falschheit sie fanatisch überzeugt waren. Es lohnt sich also, sich einen Überblick über diejenigen zu

verschaffen, die im Tal der Patriarchen gewesen sein könnten oder müssen. Was ist aus ihnen geworden beziehungsweise was wurde von ihnen überliefert?

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Echnaton

Pharao Amenophis IV. (um 1350 bis 1334 v. Chr.), der Echnaton genannt wurde, brach mit den Riten der mächtigen Priester von Karnak und führte während seiner Regierungszeit den Monotheismus ein. Über mehrere Jahre seiner Regentschaft war er verschwunden, so dass man meinte, er sei bereits tot. In dieser Zeit führte seine Ehefrau Nofretete die Regierungsgeschäfte. Später hieß es, Echnatons Kopf sei immer größer geworden. Ein Mediziner könnte daraus schließen, dass er unter einer Krankheit gelitten habe, etwa dem so genannten Wasserkopf. Ägyptologen meinen aber, dass dies eine symbolische Umschreibung dafür sei, dass Echnaton geistig nicht mehr die Realität erkannt habe, also verrückt geworden war.

Echnaton steht in Ägypten für die Periode des Kultes um den Gott Aton.

Hielt er sich, so können wir nun fragen, in der Zeit, in der er als verschollen galt, im Tal der Patriarchen auf? Auf Echnaton treffen folgende der oben genannten Punkte zu, die typisch für Kenner des Geheimnisses sind:

� Eintreten für Monotheismus, � Änderung der traditionellen

Kulte zu Gunsten eines allmächtigen Gottes und � geistige Verrücktheit.

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Moses

Moses führte die Anhänger des Glaubens an einen allmächtigen Gott aus Ägypten und wanderte mit ihnen vierzig Jahre in der Wüste umher, bis die folgende Generation die alten Riten und die Vielgötterei Ägyptens vergessen hatte.

Er bestieg einen Berg Gottes, von dem angenommen werden kann, dass er sich ganz in der Nähe des Tals der Patriarchen befand. Aus den Überlieferungen weiß man, dass Moses mit Gott direkt oder indirekt sprach. Ein Hinweis, der auch so erklärt werden kann, dass Moses von dem Irdischen hin zu Gott ver- oder entrückt wurde.

Auf ihn treffen folgende Merkmale zu: � Eintreten für Monotheismus, � Änderung der traditionellen Kulte durch Auswanderung aus

Ägypten und Neuinstallation des Kultes um einen Gott, � Verkündung der Gebote eines allmächtigen Gottes, � mehrfache geistige Verrückung hin zu diesem Gott.

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Alexander der Große

Mancher mag hierüber erstaunt sein, aber auch Alexander könnte in dieses Schema passen. Ali hatte ja die Ruine eines kleinen alexandrinischen Tempels nahe dem Tal der Patriarchen gesehen. Von Alexander weiß man vor allem, dass er die Schmach rächen wollte, die von den Persern über seinen Vater und die Griechen gebracht worden war. Verfolgt man aber seinen Weg, nachdem er von Ägypten weggezogen war, dann erkennt man einige der charakteristischen Merkmale wieder:

� Er beginnt überall, wo er hinkommt, die alten Traditionen zu zerstören.

� Zeitweilig soll er geistig umnachtet gewesen sein. � Sein Sendungsbewusstsein umspannt im wahrsten Sinn die

ganze Welt. Diese Veränderung seines Charakters und Verhaltens lässt

sich unter Umständen als Folge seines Besuchs im Tal der Patriarchen verstehen.

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Johannes der Täufer und Jesus von Nazareth

Beide wurden in der Wüste erleuchtet. Beide lebten in der Tradition eines Gottes. Jesus versuchte, die traditionellen Riten zu verändern und auf einen Ursprung zurückzuführen.

Von Johannes dem Täufer weiß man, dass er im Untergrund leben musste, weil er die Traditionen des Judentums ändern wollte. Mit der Taufe führen beide gemeinsam auch ein neues Ritual ein.

Von beiden ist ein vierzigtägiger Wüstenaufenthalt mit Entrückungserscheinungen, Verklärung, dämonischer Versuchung etc. überliefert.

Auf beide hier Genannten trifft also zu: � Bekenntnis zum einen allmächtigen Gott, � Änderung der traditionellen Riten, � Entrücktsein, Verklärung, Erleuchtung, also Verrückung zu

Gott hin, � Sendungsbewusstsein und Ausbreitung der Lehre, � gewaltlose Umsetzung ihrer Erkenntnisse.

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Muhammad

Auch auf den Propheten und Begründer des Islam treffen, wie bereits ausführlich erläutert, die genannten Merkmale zu:

� Bekenntnis zu einem allmächtigen Gott, den er Allah nennt, � Veränderung der Riten des alten und Neuinstallation des

neuen Kults, � Entrückung zu Allah, Erleuchtung im Tal der Patriarchen, � Sendungsbewusstsein und Ausbreitung seiner Lehre. Jeder muss für sich entscheiden, inwieweit er oder sie diese

Auffälligkeiten bemerkenswert findet. Je fester man seinem Weltbild verbunden ist, desto schwerer ist es zu akzeptieren, dass alle Wege zum Heil möglicherweise einen gemeinsamen Ursprung haben. Noch schwerer wird für die meisten zu begreifen sein, dass man diesen Ursprung möglicherweise heute genau identifizieren kann.

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Gibt es heute einen Weg ins Tal der Patriarchen?

Ob die Vorgenannten alle im Tal der Patriarchen waren oder einige von ihnen nicht, bleibt uns bis auf weiteres verborgen. Falls sie dort waren, werden sie jedenfalls ein deutliches Zeichen für die Nachwelt hinterlassen haben. Auch die Annahme, dass sie sich in nächster Nähe dort bestatten ließen, liegt nahe. Dies scheint für Abraham und seine Söhne und Enkel zu gelten, könnte aber auch auf Moses und Echnaton zutreffen: Deren vermeintlich letzte Ruhestätten an anderen Plätzen sind leer, und es ist nicht bekannt, ob ihre Leichname jemals dort gelegen haben.

Von grauer Vorzeit bis in die Antike versuchten die Nachfahren der Patriarchen, sich in deren Nähe bestatten zu lassen. Daher nahm Ali an, dass man eines Tages eine ganze unterirdische Totenstadt unter der Lava finden werde, wenn erst die technischen Möglichkeiten bestünden, nach den Eingängen zu dieser Nekropole zu suchen.

Neben den genannten »Größen« muss es aber, auch davon war Ali überzeugt, in den letzten zweitausend Jahren eine Vielzahl von Einzelreisenden gegeben haben, die jene Gegend erreichten und deren Absicht dem Rest der Welt verborgen geblieben ist. Denn »der Zugang zu den Tälern der Propheten und Patriarchen ist prinzipiell jedem Einzelreisenden möglich«, so Ali, »vorausgesetzt, er gelangt lebend dorthin«.

Leicht gesagt, doch schwer getan. Nach Saudi-Arabien zu gelangen ist schon nicht ganz einfach, wie in diesem Buch geschildert wurde. Sodann benötigt man die Erlaubnis des Königs, der wiederum von den muslimischen Gesetzeshütern in seinen Entscheidungen beraten wird. So geht das weiter - bis zu den letzten 60 Kilometern vor dem Eingang zum Tal.

An dieser hürdenreichen Prozedur dürften 99,99 Prozent aller

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Versuche scheitern, die Täler zu erreichen. Ali hat also Recht: Prinzipiell kann jeder dorthin gelangen. Im konkreten Fall aber dürfte es auf absehbare Zeit kaum einem Abenteurer gelingen.

»Hast du es geschafft, dann geht es erst richtig los«, setzte der erfahrene Ali hinzu. Auf den letzten 60 Kilometern werden die Einzelreisenden von ungezählten Augen beobachtet. Die »Große Mutter«, die Hüterin der Gräber, ist über jeden Schritt der Reisenden auf wundersame Weise informiert. Die einheimischen Reisebegleiter wurden auf den letzten Etappen immer schweigsamer. Ali wusste, dass auch sie Angst hatten, als er sich das erste Mal dieser Bannzone näherte.

Auf den letzten zwölf Kilometern vor dem Ziel fällt die Entscheidung, ob der kleinen Gruppe gestattet wird, weiterzuziehen oder nicht. Dort befindet sich eine Wasserstelle, an der man zwangsläufig lagern muss. Bei seinem ersten Trip dorthin hatte Ali vom zuständigen Stammesführer mehrere Helfer gestellt bekommen. Sie schlugen ihr Lager auf und waren nicht bereit, mit Ali weiterzureisen. Alle denkbaren arabischen Tricks wandten sie an, um die Kamele nicht reisefertig machen zu müssen.

Ali sagte mir später, dass es hierbei um seine Prüfung durch die »Große Mutter« in den Lavabergen der Ebene ging. Er hat sie nie zu sehen bekommen, auch nicht nach dreißig Jahren. Die »Große Mutter« ließ ihm endlich - aus welchen Gründen auch immer - mitteilen, dass er die Überprüfung bestanden habe. Zwei Beduinen besuchten ihn eines Abends an seinem Lagerplatz und überbrachten ihm indirekt die Erlaubnis: Von nun an, erklärten sie, werde er von ihnen begleitet, wenn er in das Gebiet der beiden Täler wolle. Darauf entlohnte Ali die Männer, die ihn bis hierher geführt hatten und die geradezu fröhlich davonzogen.

Ali musste von nun an stets erst die beiden Männer, die ihm von der »Großen Mutter« zugewiesen worden waren, an dem jeweiligen Lagerplatz der Familie aufsuchen. Dann wurde eine

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ihm unbekannte Person zur »Großen Mutter« gesandt. Meist war sie nach zwei bis drei Tagen wieder zurück. Erst dann waren die beiden Männer bereit, Ali in das Tal hinein zu begleiten.

Einer von ihnen war für die Wasserversorgung und das Lager sowie für die Kamele vor Ort zuständig. Dieses Lager befand sich etwa eine Meile vor dem eigentlichen Ziel. Der andere begleitete Ali, indem er »meine Augen war«, wie es Ali umschrieb. Er war für Alis Gesundheit und Unversehrtheit verantwortlich.

Wir haben uns mehrfach darüber unterhalten, welchen Grund die »Große Mutter« gehabt haben könnte, ihm die Genehmigung zum Betreten des Tals der Patriarchen zu erteilen. Doch wir sind zu keinem Resultat gekommen. Ali ist jedenfalls unter dem Schutz der »Großen Mutter« nie etwas zugestoßen.

Im Laufe der dreißig Jahre wurde er allerdings zweimal aufgefordert, sich von dem betreffenden Ort in der Wüste zu entfernen. Bei der einen Gelegenheit kam eines Abends ein Beduine ins Lager und unterhielt sich mit Alis beiden Begleitern. Als er nach dem üblichen Zeremoniell des Teetrinkens und Redens wieder weggeritten war, rückten die Helfer mit der Sprache heraus. Sie baten Ali, am nächsten Morgen mit ihnen in die Zivilisation zurückzukehren.

Die andere Situation war sehr viel dramatischer. Ali und sein Helfer waren mitten in der Arbeit, als zwei Reiter angaloppiert kamen und seinen Begleiter aufforderten, sofort die Arbeit abzubrechen und abzureisen.

Die Gründe? Auch sie hat Ali nie erfahren.

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Anhang

Hinweis zum Karten- und Textmaterial

Sie finden in diesem Buch Karten, die das Territorium des heutigen Saudi-Arabien hinreichend genau darstellen. Auf diesen Karten sind Auffälligkeiten bestimmter Orte sichtbar gemacht. Trotzdem sind die Punkte nicht generalstabsmäßig genau dargestellt. Eine Suche, wenn sie überhaupt möglich wäre, würde drei Regionen von je 50 mal 50 Kilometern betreffen. Das hieße immer noch, eine Nadel im Wüstensand zu suchen, oder mit anderen Worten, kein Suchender hätte eine Chance, wenn er nicht über weiter gehende Informationen verfügte.

Bei der textlichen Darstellung benutze ich außerdem einen Trick, der zwischen Ali und mir abgesprochen war. Die Idee der Suche nach dem verlorenen Paradies ist wesentlich älter, als man vermuten würde. Wenn man etwa sieht, dass Alexander der Große vor Ort war, bevor er nach Assyrien weitergezogen ist, sollte man nachdenklich werden. Ich habe mich also in Archiven auf die Suche gemacht und einige Forscher und Besucher des verwüsteten Paradieses in der Literatur gefunden. Deren Reiseberichte sind authentisch. Ich habe aber ihre Geschichten unmerklich um den Tatsachenstand ergänzt, wie er sich Mitte der 1990er Jahre ergab. Wer ein Gespür dafür hat, kann mit viel Fleiß an die Sache herangehen und an die herausgefilterten Informationen gelangen.

Betonen möchte ich, dass es hier um keinerlei Geheimnisse von politischem oder militärischem Inhalt oder Wert geht. Wenn dieses Buch etwas auslösen kann, dann sind es Korrekturen weltanschaulicher Art. Sehr schmerzhaft möglicherweise für die

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betreffenden Gläubigen und daher gefährlich für die Ruhestörer, die das Wohlbehagen der vermeintlich Rechtgläubigen stören könnten.

Ein heiliger Landrover

Dass heilige Stätten wie Mekka von Ungläubigen nicht betreten werden dürfen, ist allgemein bekannt. Es gibt aber Orte und Landstriche in Saudi-Arabien, von denen außerhalb der Arabischen Halbinsel niemand etwas weiß und die ebenfalls für jeden Ungläubigen hermetisch abgeschlossen sind. Selbst der Intelligenzschicht der gläubigen Muslime sind nur einige wenige bekannt.

Dazu zählen Wüstenregionen in zentraler Lage, die heute zu der Provinz der Familien Raschid gehören. Hier lag das Zentrum des Paradieses, in einem Bergmassiv, von dem heute trockene Flusstäler nach den vier Himmelsrichtungen in die Steinwüste führen.

Das Plateau des Berges erinnert sehr stark an das palästinensische Jerusalem, ist jedoch unbebaut. Um dieses Plateau herum finden sich weitere Berggipfel und Felsmassive gruppiert, deren höchste Punkte maximal das Niveau des Plateaus erreichen.

Die Annäherung mit einem spezialbereiften Jeep, der für eine extreme Geröllfahrt ausgerüstet wurde, ist möglich. Ali berichtete von einer inoffiziell genehmigten beziehungsweise geduldeten Unternehmung, bei der ein schrottreifer Landrover aus alten Armeebeständen eingesetzt wurde. Es soll das einzige Fahrzeug sein, das bisher bis zum Mittelpunkt des Paradieses vorgedrungen ist. Für die An- und Abreise wurden drei Sätze Spezialreifen verschlissen. Das Fahrzeug ist heute eine Art »geheimes Heiligtum«, weil es mit Bestimmtheit als erstes technisches Gerät dort war und auch wieder zurückgekommen

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ist. Der Saudi, dem das Fahrzeug heute gehört, hat es vollkommen restaurieren lassen. Die unsichtbaren Metallteile wurden verchromt, die sichtbaren vergoldetet.

Und trotzdem wissen nur die Beteiligten, was es mit dem Fahrzeug auf sich hat. Hier Namen zu veröffentlichen wäre für die Betreffenden zu gefährlich, weil ihr Tun als solches schon ein Frevel war. Sie sind Muslime.

Das Ergebnis ihrer Reise blieb unter anderem auch aus diesem Grund im Dunkeln. Da Ali trotz bester Kontakte nichts darüber erfahren konnte, sah er sich seinerzeit gezwungen, selbst mit seinen Kamelen dorthin zu ziehen.

Wir leben heute im Zeitalter der Satelliten. Die Frage, die ich mir oft stelle, lautet: Haben die Satelliten das Zentrum des Paradieses nicht längst schon ausgemacht? Meine Antwort: Vermutlich ja. Doch zwischen einer optischen Aufklärung und einer körperlichen Anwesenheit vor Ort liegen Welten.

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Schlusswort

Ali hat mich gebeten, folgendes Schlusswort von ihm

abzudrucken: Was haben Sie erwartet? Das Paradies, das Ihnen wie ein

Schlaraffenland zufällt? Wenn dem so wäre, hätte Paul Thomas dieses Buch nie

schreiben müssen. Alles wäre bekannt. Alles wäre bewiesen. Dieses Buch ist auch nicht für Sie geschrieben worden, wenn Sie nicht derjenige sind, für den der Inhalt bestimmt ist. Sie dürfen es lesen. Sie dürfen davon träumen, dass sie noch in Ihrem Leben mehr Information über das Paradies erhalten werden.

Aber Sie dürfen nicht handeln. Mit diesem Buch taucht eine Information aus der

Vergangenheit auf, die in den Köpfen der Massen vergessen worden war Mehr nicht.

Wie es weitergehen wird? Ich weiß es nicht. Allahs Wille geschehe.


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