Date post: | 06-Apr-2016 |
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Umgang mit quantitativen DatenModellierung von Zeitprozessen
(erste Einheit)
Ao. Univ. Prof. Dr. Günther OssimitzUniversität Klagenfurt
G. Ossimitz: Umgang mit Daten Seite 2
Mottos
„Rowing harder does not help if the boat is headed in the wrong direction.“
(Keinichi Omahe: „Borderless World“)
„I waas zwar net, wo i hinwill, aber dafür bin i schnölla durt!“
(Helmut Qualtinger: „Der Wülde auf seiner Maschin“)
G. Ossimitz: Umgang mit Daten Seite 3
Prolog: Eine Geschichte zum praktischen Umgang mit Daten• Neuer CEO eines Nudelherstellers: Zu viele Spaghetti im Fertiglager!• CEO holt Marketing Direktor: „Tun Sie was!“• Marketing Direktor lanciert eine große Kampagne: Nimm 2, zahl 1“• Kampagne schlägt voll ein – 3 Monate später ist das Lager fast leer.• Chef lobt den Marketing Direktor: „Gut gemacht!“• Etwa zur selben Zeit: Produktionssachbearbeiter berichtet dem
Produktionschef: Unsere Verkäufe sind dramatisch angestiegen!“ • „Laut Prognose werden wir in sechs Monaten unsere Verkäufe von
200 auf 400 Tonnen verdoppelt haben. Wir müssen die Produktion dramatisch steigern!“
G. Ossimitz: Umgang mit Daten Seite 4
Spaghetti-Absatz: Sicht des Disponenten
Spaghetti Absatz
0
50
100
150
200
250
300
350
400
Jul Aug Sep Okt Nov Dez Jän Feb Mär Apr Mai Jun Jul Aug Sep
Tonn
en/M
onat
Verkauf
Forecast Verkauf
G. Ossimitz: Umgang mit Daten Seite 5
G. Ossimitz: Umgang mit Daten Seite 6
Wie reagierte der Produktionsleiter?• Der Produktionsleiter ist geschockt über die Lücke zwischen
Produktion und Absatz: „Wir fahren schon zwei Schichten. Jetzt brauchen wir auch noch eine Nachtschicht.“
• Aus dem Forecast schloss er, dass ohne Steigerung der Produktion diese Lücke noch größer werden würde.
• Er entschied, die Produktionskapazitäten dramatisch auszuweiten. Alle Urlaube wurden gestrichen, neues Personal aufgenommen und eine dritte Schicht gefahren.
• Die Produktion sollte binnen 6 Wochen um ein Drittel gesteigert werden – und das gelang auch...
G. Ossimitz: Umgang mit Daten Seite 7
Was passierte tatsächlich mit dem Spaghettiabsatz?• Die Verbraucher aßen genauso viel Spaghetti wie immer. • Die im Rahmen der Aktion „2 für 1“ zusätzlich verkauften Packungen
wurden bei den Konsumenten in der Speisekammer gehortet. • Der tatsächliche Absatz sank nach der „2 für 1“ Aktion dramatisch unter
den Schnitt von 200 Tonnen pro Monat! • Der absolut nicht systemgerechte Forecast durch lineare Extrapolation
deutete komplett in die falsche Richtung. Tatsächlich war Ende Juni der Lagerstand höher als zu Beginn der „2 für 1“ Aktion!
PS: Im Juni wurde der Marketing-Chef gefeuert, weil er nach Ende der Marketing-Aktion „2 für 1“ nach Meinung des CEO offensichtlich versagt hat.
G. Ossimitz: Umgang mit Daten Seite 8
Was können wir aus dieser Geschichte lernen?• Spezifische Struktur eines Lagers: Unterscheidung Bestände
vs. Flüsse (Zu- bzw. Abflüsse) ist essenziell!
• Zwei Sichtweisen: Mit und ohne Bestand „Speisekammern“• Trendextrapolation führt TOTAL in die Irre• kurzfristige „Lösungen“ verschlimmern das Problem langfristig
LagerProduktion Verkauf
Lager.Produktion.
Speise-kammerVerkauf. Verbrauch
Hintergrund: Umgang mit Zeitprozessen ist schwierig!
G. Ossimitz: Umgang mit Daten Seite 9
Schnittpunkt zwischen den beiden Kurven
Ankünfte und Abreisen in einem Hotel: Wann waren die meisten Gäste im Hotel?
N=154 Korrekt gelöst: 19%
Wie kann man aus der Grafik rasch und elegant (ohne mühsames Nachrechnen, sondern direkt durch Hinschauen) ermitteln, wann die meisten Gäste im Hotel waren? Erklären Sie, wie Sie dies bewerkstelligen würden!
G. Ossimitz: Umgang mit Daten Seite 10
6. Jänner
Ankünfte und Abreisen in einem Hotel:Wann gab es die meisten Abreisen?
Korrekt gelöst: 95 %
An welchem Tag gab es die meisten Abreisen?
G. Ossimitz: Umgang mit Daten Seite 11
Testaufgabe "Staatsverschuldung vs. Budgetdefizit"
68%36%
64%44%
53%
45%
In Fantasien nennt man den Betrag, um den die Staatsausgaben in einem Jahr höher sind als die Staatseinnahmen, "öffentliches Budgetdefizit". Im Jahr 1998 betrug das öffentliche Budgetdefizit in Fantasien 60 Mrd. Taler, Ein Jahr später lag es bei 40 Mrd. Taler. Kreuzen Sie an, welche der folgenden Aussagen richtig bzw. falsch bzw. nicht beantwortbar sind!
Im Jahr 1999 wurden 20 Mrd. Taler Schulden zurückbezahltDer Finanzminister konnte die Staatsschulden von 1998 auf 1999 um ein Drittel senkenWenn es gelingt, das Budgetdefizit auf 0 zu senken (ausgeglichen zu budgetieren), dann hat Fantasien keine Schulden mehr.
Wenn es gelingt, das Budgetdefizit auf 0 zu senken, dann hat Fantasien seinen höchsten Schuldenstand erreicht.
Ein geringeres Budgetdefizit bedeutet eine geringere Staatsverschuldung.
Die Schulden sind sowohl 1998 als auch 1999 gewachsen.
Diese Performance hätte man auch durch Münzwurf erreicht!
N=154 (BWL-Stud.)
G. Ossimitz: Umgang mit Daten Seite 12
Hintergrund: Unterscheidung Bestände vs. Flüsse
Unterscheidung Bestände-Flüsse ist essenziell für das Verständnis verschiedenster Systeme!
Bestände werden mit Flüssen verwechselt!
Bestand Zufluss AbflussLagerWörtherseeBevölkerungPersonalGäste im Hotel
LagerstandWassermenge/PegelBevölkerungsstandPersonalstandAnzahl Gäste(nächt.)
LagerzugangZuflussGeb. / Zuwand.Pers. ZugängeAnkünfte von G.
LagerabgangAbflussSterbef. / Abwand.Pers. AbgängeAbreísen
Rechenregel Best(neu) = Best(alt) + Zuflüsse – Abflüsse
G. Ossimitz: Umgang mit Daten Seite 13
Dynamische Modellbildung/Simulation: Bestandsgrößen vs. Flussgrößen
• Bestandsgrößen: Bevölkerungsstand, Lagerstand, Kontostand, Bilanzgrößen (math.: Integratoren)
• Bestandsgrößen sind immer zeitpunktbezogen!• Flussgrößen: Zuflüsse und Abflüsse, die einen Bestand
verändern: Geburten, Sterbefälle, Lager- veränderungen, Kontobewegungen, G&V-Rechnung
• Flussgrößen sind immer zeitintervallbezogen!
G. Ossimitz: Umgang mit Daten Seite 14
Darstellung von Beständen und Flüssen inStock-Flowdiagrammen: Bevölkerungsmodelle
P0 19 P20 39 P40 59 P60 99A20 A40 A60Geb
S0 19 S20 39 S30 49 S60 99
SR019 SR2039 SR4059 SR6099
GebRate
BevölkerungGeburten
Zuwanderung
Sterbefälle
Abwanderung
G. Ossimitz: Umgang mit Daten Seite 15
Mögliche Eingriffe in die Bevölkerungsentwicklung
• Bevölkerungsverläufe sind zwangsläufig: Die Babys von heute sind – sofern noch am Leben – in 30 Jahren 30 Jahre alt.
• Es gibt nur wenige Möglichkeiten der Beeinflussung einer Bevölkerungsentwicklung:– Babys fördern oder verhindern– Zuwanderung/Abwanderung fördern oder bremsen– Menschen umbringen
• Auswirkungen sind meist langsam und langfristig, aber dafür umso zwangsläufiger.
G. Ossimitz: Umgang mit Daten Seite 16
Ein-Kind-Politik in China
• Bis 1979: Fertilität pro Frau bei ca. 4-5 Kindern• „Ein-Kind-Politik“ ab 1980: Fertilität ca. 1,8 Kinder/Frau• Chinesen bevorzugen massiv männlichen Nachwuchs• Geburtsjahrgang 1990: 11 Mio Mädchen vs. 13 Mio Knaben• Ab 2000: Männer im heiratsfähigen Alter werden rar;
ca. 40 – 70 Mio männlicher Chinesen finden keine Frau!• In jüngster Zeit: Verbot von Mädchenabtreibungen,
Mädchenförderung
G. Ossimitz: Umgang mit Daten Seite 17
Stock-Flow-Diagramm (Flussdiagramm)Beispiel Epidemie
Angesteckte Kranke
ImmuneInfizierbareImpfungen
Ansteckungen
Erkankungen
HeilungRemissionen
Remissionsrate
G. Ossimitz: Umgang mit Daten Seite 18
Stock-Flow-Diagramm Feinstaub
FEINSTAUB IN LUFT
FEINSTAUB AM BODEN
AblagerungAufwirbelung
Industrie-Emissionen
Hausbrand-Emissionen
Verkehrs-Emissionen
Wind-Verfrachtung
Regen-Auswaschung
Regen-Abtransport
Straßenreinigung
G. Ossimitz: Umgang mit Daten Seite 19
Bestände und Flüsse: Beispiel Erdölförderung
Der Bestand an „noch nicht entdeckten Vorkommen“: - seine Größe ist unbekannt – nicht im Bewusstsein - unsichtbar- kein Zufluss – wird immer kleiner – ist einmal am Ende
Das Problem liegt dort, wo man es NICHT sieht!
G. Ossimitz: Umgang mit Daten Seite 20
Bestandsgrößen vs Flussgrößen:Stocks vs. Flows
Bestandsgröße, Bestand• engl. stock variable, level• Zustandsgröße, state variable• zeitpunktbezogene Größe• Statistik: Bestandsmasse
Flussgröße, Fluss• engl. flow, rate, flow rate• Zufluss vs. Abfluss (inflow, outflow)• zeitintervallbezogene Größe• Statistik: Bewegungsmasse
Bestände werden ausschließlich durch Flussgrößen verändert:Zuflüsse erhöhen den Bestand, Abflüsse verringern den Bestand.
G. Ossimitz: Umgang mit Daten Seite 21
Hintergrund Zwei Modelle von Zeitkontinuierliche Zeit vs. diskrete Zeitintervalle
Diskrete Zeitintervalle• Zeitpunkte vs. Zeitintervalle• Zeitpunkte: Beginn und Ende von
Sendung• Zeitintervall: Dauer von Sendung• Bestände zu Zeitpunkten• Änderungen in den Zeitintervallen
Kontinuierliche Zeit• Kontinuum von Zeitpunkten• Zeitintervalle spielen keine
besondere Rolle• Änderungen werden als
momentane Änderungsraten betrachtet
• Differenzialgleichungen
t
G. Ossimitz: Umgang mit Daten Seite 22
Keynes‘sche Volkswirtschaft ohne Staat und Ausland
Haushalte Produktion
Ersparnisse S Investitionen I
Y = C+I
IC = Y - S= c*YS = s*Y;
s=1-c
Volkseinkommen Y
Konsumausgaben C
c: marginaleKonsumquote:
ca. 0,8 - 0,9
s: marginaleSparquote:ca. 0,1 - 0,2
Gleichgewicht: Y = C+I; C = Y-S; I = S;Multiplikatoreffekt: Man
erhöhe I um Betrag a. Dannerhöht sich Ygl um 1/s * a
I und Y im Gleichgewicht (Ygl):I = S und S = s*Y Ygl = 1/s*I
G. Ossimitz: Umgang mit Daten Seite 23
Keynes‘sche Volkswirtschaft: Beispiel
• Y = 1000; s=0,1 S = 100, C= 900 Gleichgewicht bei I = 100• I wird um 10 auf 110 erhöht:• Neues Gleichgewicht bei Y=1100, S=110, C=990• Multiplikatoreffekt: eine Erhöhung von I um 10 erhöht Ygl um 100!
Haushalte Produktion
Ersparnisse S Investitionen I
Y = C+I
IC = Y - S= c*YS = s*Y;
s=1-c
Volkseinkommen Y
Konsumausgaben C
c: marginaleKonsumquote:
ca. 0,8 - 0,9
s: marginaleSparquote:ca. 0,1 - 0,2
Gleichgewicht: Y = C+I; C = Y-S; => I = S;Multiplikatoreffekt: Man
erhöhe I um Betrag a. Dannerhöht sich Ygl um 1/s * a
I und Y im Gleichgewicht (Ygl):I = S und S = s*Y =>Ygl = 1/s*I
G. Ossimitz: Umgang mit Daten Seite 24
Multiplikatoreffekt: Wie umsetzen?• Schlüsselfrage: Muss man die höhere Investition einmal oder
laufend (in jeder Periode des dynamischen Systems) tätigen?
• Hintergrund: bei statischer Betrachtung des Modells stellt sich diese Frage gar nicht, weil man in einem statischen Modell keine zeitliche Dynamik hat!
• Dynamisches Modell lässt sich leicht mit Excel realisieren!
G. Ossimitz: Umgang mit Daten Seite 25
Umgang mit Daten: JA – aber bitte mit Umsicht!• Am Spagetti-Beispiel kann man erkennen:
– Daten zeigen oft nur Symptome, nicht die Ursachen (z.B. Fieber, betriebliche Kennzahlen, Bilanzen)
– Sachgerechte Interpretation von Daten braucht Verständnis des Gesamtsystems (Spaghetti in Speisekammern reduzieren Absatz)
– Simple Trendextrapolationen: können komplett in die falsche Richtung weisen!
• Unterscheidung von Beständen und deren Veränderung durch Zu- und Abflüsse ist essenziell - oft Verwechslungen!
• Bestände sind zeitpunktbezogen; Flüsse sind zeitintervallbezogenen!• Flussdiagramme helfen, Stock-Flow-Situationen darzustellen!