Kommunikation und Umgang mit PatientenEin Handbuch für Medizinisches Praxispersonal
Brigitte SallmannDenise Ebner Koller
Lehrkraftausgabe
Medizinischer Lehrmittelverlag Bieri & Weder
MUSTER
Kommunikation und Umgang mit Patienten - Verlag Bieri & Weder
Brigitte Sallmann, Denise Ebner Koller 2015
Lehrkraftausgabe
2
Kommunikation und Umgang mit Patienten
Schülerausgabe: ISBN 978-3-9524361-2-7
Lehrkraftausgabe: ISBN 978-3-9524361-3-4
© Medizinischer Lehrmittelverlag Bieri & Weder
Ausgabe 2015
Printed in Switzerland
www.myMPA.ch
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Brigitte Sallmann, Denise Ebner Koller 2015
Lehrkraftausgabe
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Impressum
Autoren
Brigitte Sallmann ist Berufsschullehrperson an diversen Schulen im Kanton St. Gallen und
Thurgau für med. Berufe.
Denise Ebner Koller lic. phil, ist eidg. anerkannte Psychotherapeutin. Seit 2003 selbständige und
delegierte Psychotherapie in der Praxisgemeinschaft Dr. Peter Grob, Dozentin
für Entwicklungspsychologie und Persönlichkeitsentwicklung, Berufsschul-
lehrperson.
Illustrationen
Iwan Reber ist Illustrator und Cartoonist und leitet zusammen mit seiner Ehefrau die
Firma www.animus-grafik.ch.
Fotos
Gabi Frei-Spirig Fotografin, Berneck, 079 727 93 81, im-blitzlicht.ch
Layout
Daniel Ledergerber ist Marketing- und Kommunikationsspezialist für Angewandte Wissenschaft
und Bildung mit Berufsschullehrerdiplom.
Druck
Schmid Mogelsberg AG Papiere und Drucksachen für Ärzte, 9122 Mogelsberg, Tel. 071 375 60 80,
Fax 071 375 60 81, www.schmid-mogelsberg.ch
Verlag
Bieri & Weder Med. Lehrmittelverlag Bieri & Weder, 9444 Diepoldsau, www.mympa.ch
Dank
Wir danken allen Personen, die uns bei der Erarbeitung dieses Lehrmittels unterstützt haben, insbesondere Bruno Spirig und Josiane Weder, sowie
Marcel Frei für Unterstützung bei den Fotoaufnahmen – Elsbeth Hofer, Thalwil für ihrer Lektoratsarbeit.
www.mympa.ch
Auf unserer Homepage bieten wir Lernenden wie Lehrpersonen
eine zusätzliche Dienstleistung an – dies als optimale Ergänzung
zum Lehrmittel.
• Fragenkatalog inkl. Lösungsvorschläge zu allen Kapiteln im Lehrmittel
• Fragenkatalog zu fast allen Unterrichtsfächern (Röntgen, Italienisch,
Pharmakologie, Anatomie, Pathologie)
• E-Learningsystem für eine optimale Prüfungsvorbereitung resp.
Vorbereitung auf das Qualifikationsverfahren (QV, früher LAP)
Bestellung
www.mympa.ch: Hier finden Sie die Möglichkeit, Ihre Lehrmittel schnell und unkompliziert zu bestellen.
Alle Rechte vorbehalten.
Ohne Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Lehrmittel oder Teile daraus in irgendeiner Weise zu reproduzieren.
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Vorwort
«Kommunikation bedeutet die gelungene Verständigung mittels
Wort, Schrift, Geste und Emotion unter dem Bewusstsein der
individuellen Kultur aller Beteiligten.»
© Björn Bellmann (*1967), Konzeptredakteur, Coach, Ethnologe
Kommunikation umfasst alle Fähigkeiten des Menschen, sich anderen mitzuteilen und andere
zu verstehen. Sie ist das Mittel, um Botschaften, Wünsche, Erwartungen und Gefühle auszu-
tauschen.
Im Berufsalltag werden so alltägliche und selbstverständliche Fähigkeiten wie Kommunika-
tion immer bedeutender dafür, wie gut und erfolgreich Sie den Praxisalltag, den Umgang mit
Patienten und den Alltag im Team gestalten.
Dieses Lehrmittel soll Ihnen helfen, im Berufsalltag und im privaten Leben die eigenen
Wünsche, Botschaften, Gefühle mitzuteilen, aber auch die des anderen zu lesen resp. zu
deuten und damit umzugehen.
Aber nicht nur die Einführung in die Grundlagen der Kommunikation ist unser Ziel mit diesem
Lehrmittel, zugleich versuchen wir erfolgreiche Strategien in schwierigen Situationen aufzu-
zeigen.
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Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung ___________________________________________________________________________ 9
2 Wahrnehmung _______________________________________________________________________ 10Wahrnehmung im Alltag ............................................................................................................. 11
Stufen der Wahrnehmung ........................................................................................................... 11
Selektive Wahrnehmung ............................................................................................................. 12
Das Umfeld .............................................................................................................................. 14
Einstellungen und Vorurteile ...................................................................................................... 15
3 Nonverbale Kommunikation – Körpersprache ______________________________________________ 19Grundlagen der Körpersprache ..................................................................................................... 19
4 Verbale Kommunikation _______________________________________________________________ 41Das Sender-Empfänger-Modell ..................................................................................................... 41
Paul Watzlawick ........................................................................................................................ 43
Kommunikationsquadrat von Schulz von Thun ................................................................................ 44
Die 4 Arten des Hörens .............................................................................................................. 47
Explizite und implizite Botschaften.............................................................................................. 49
Passives und aktives Zuhören ...................................................................................................... 50
ICH – DU – Botschaften ............................................................................................................. 54
Kommunikationsmuster .............................................................................................................. 58
Was tun, wenn man sich angegriffen fühlt? ................................................................................... 62
5 Fachbezogene Kommunikation _________________________________________________________ 63Anweisungen und Anleitungen .................................................................................................... 63
Zielorientierte Gespräche führen .................................................................................................. 65
Vermitteln von Informationen ..................................................................................................... 65
Der Patient am Telefon ............................................................................................................... 71
Bedürfnispyramide nach Maslow .................................................................................................. 72
Bedürfnisse bei Krankheit ........................................................................................................... 76
6 Patientenbeziehung __________________________________________________________________ 79Haltung gegenüber dem Patienten .............................................................................................. 79
Konsultationen ......................................................................................................................... 83
Beobachtung des Patienten ........................................................................................................ 84
Die richtigen Fragen stellen ........................................................................................................ 87
7 Krankheitsbilder und spezifische Kommunikation _________________________________________ 89Konzept der Gesundheit ............................................................................................................. 89
Umgang mit spezifischen Patientengruppen................................................................................... 92
Unheilbare Erkrankungen und Tod ...............................................................................................101
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8 Patiententypen _____________________________________________________________________ 107Der Nörgler .............................................................................................................................107
Der Besserwisser ......................................................................................................................108
Der Angsthase .........................................................................................................................109
Aufdringliche Patienten ............................................................................................................110
Schamlose Patienten ................................................................................................................110
Bekannte des Chefs ..................................................................................................................110
9 Entwicklungspsychologie _____________________________________________________________ 111Lebenszeit von Emma ...............................................................................................................111
Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung ...............................................................................119
10 Rechte der Patientinnen und Patienten, Schweigepflicht __________________________________ 133Rechte des Patienten ................................................................................................................133
Pflichten des Patienten .............................................................................................................134
Datenschutz und Schweigepflicht ................................................................................................134
11 Arbeiten im Team ___________________________________________________________________ 137Mein Team ..............................................................................................................................137
Teamarbeit und Rollenverteilung ...............................................................................................139
Die Entwicklungsphasen eines Teams ...........................................................................................140
Johari-Fenster nach Joseph Luft und Harry Ingham .......................................................................142
Feedback ................................................................................................................................145
Konflikte in der Praxis ..............................................................................................................148
Das Konfliktgespräch ................................................................................................................153
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Gesucht
Medizinische Praxisassistent/in (MPA) in der Orthopädie und Trau-matologie 80-100%
Voraussetzungen für diese Aufgabe sind eine abgeschlossene Ausbildung zur medizinischen Praxisassistentin (MPA) sowie mindestens 3 Jahre Berufserfahrung, von Vorteil in einer orthopädischen oder chirurgischen Praxis. EDV-Kenntnisse (MS Office sowie Vitomed), Kenntnisse in medizinischer Terminologie wie auch gute Deutschkenntnisse sind Voraussetzung. Französisch- und Englisch-kenntnisse sind von Vorteil. Hohe Flexibilität in den anfallenden Aufgaben, grosse Einsatzbereitschaft und eine exakte und effiziente sowie selbständige Arbeitsweise gehören zu Ihren Stärken. Gute kom-munikative und organisatorische Fähigkeiten sowie proaktives Denken runden Ihr Profil ab…
Offene Stelle
Medizinische Praxisassistentin (Au-genarzt) 60-80%
Der Aufgabenbereich setzt sich schwerpunktmässig wie folgt zusammen:Praxisadministration• Empfang der Patienten• Gesichtsfelduntersuchungen• je nach Ausbildung weitere optische Messungen
Wir wünschen uns einekommunikative Persönlichkeit mit guten Umgangs-formen und viel Freude am Beruf, abgeschlossener Ausbildung als MPA mit ein paar Jahren Berufser-fahrung. Organisationstalent, Flexibilität und Be-lastbarkeit, hohe Sozialkompetenz sowie Humor werden geschätzt…
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Einleitung
1 Einleitung
Sechs weise Männer aus Indien trafen auf ein Tier. Sie tasteten sorgfältig seine Gestalt ab,
denn sie waren blind.
Der Erste befühlte den Zahn und sagte: «Mir scheint, dass dieses Prachtstück von einem
Tier einem Speer gleicht.»
Der Zweite tastete die Flanke der Kreatur ab und meinte: «Ich weiss schon, was wir alle vor
uns haben: hoch und flach, das ist wie eine Wand.»
Der Dritte meinte, nachdem er ein Bein ergriffen hatte: «Dieses Geschöpf ist wie ein
Baum.»
Der Vierte bekam die Nase zu fassen und sprach: «Dieses Wesen ist in Wirklichkeit eine
Schlange.»
Der Fünfte bekam ein Ohr zu fassen. Er liess seine Finger darüber gleiten und rief: «Dieses
Tier ist wie ein Fächer.»
Der Sechste stiess bei seinem Suchen auf den Schwanz und tastete ihn ab: «Hört meine
Entscheidung: Dieses Tier ist wie ein Seil.»
… und so stritten die sechs Männer lange und unerbittlich über die Gestalt des Tieres.
… und obwohl jeder teilweise recht hatte, irrten sie alle.
Richtziel 1.1.1.1
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Wahrnehmung
10 Wahrnehmung
2 Wahrnehmung
Wahrnehmung bedeutet die bewusste und unbewusste Aufnahme von Informationen über die
Sinne. Wir nehmen mit Augen, Ohren, Haut, Nase, Zunge und dem Innenohr wahr – erst wenn
wir etwas mit allen Sinnen aufgenommen haben, nehmen wir vollumfänglich wahr.
Man unterscheidet folgende Sinneswahrnehmungen des Menschen:
Visuelle Wahrnehmung (Sehen)• dient der Wahrnehmung von visuellen Reizen wie Farbe, Formen, Linien, Helligkeit,
Kontrast, Bewegung und Räumlichkeit.
Das zuständige Sinnesorgan ist das Auge.
Auditive Wahrnehmung oder akustische Wahrnehmung (Hören)• dient der Wahrnehmung von Tönen, Klängen, Geräuschen und Schall (sehr laute
Schallereignisse können jedoch mit dem ganzen Körper wahrgenommen werden).
Das zuständige Sinnesorgan ist das Ohr.
Sensibilität (Tastsinn, Gefühl)• dient der Wahrnehmung von (körperlichen) Gefühlen wie Kälte, Hitze, Härte und
Berührungen.
Für diese Sinneswahrnehmung ist die Gesamtheit aller Tast-, Wärme- und Kälte-
Rezeptoren zuständig.
Olfaktorische Wahrnehmung (Geruch)• dient der Wahrnehmung von Duft- und Riechstoffen. Geruchswahrnehmungen
werden im Gedächtnis stark mit Emotionen assoziiert.
Das zuständige Sinnesorgan ist die Nase.
Gustatorische Wahrnehmung (Geschmack)• dient der Wahrnehmung des Geschmacks der Nahrung z. B. bitter, süss, sauer, salzig.
Das zuständige Sinnesorgan ist die Zunge.
Vestibuläre Wahrnehmung (Gleichgewichtssinn)• dient der Wahrung des Gleichgewichts, der Kontrolle von Bewegungen und Lagever-
änderungen.
Das zuständige Sinnesorgan ist das Gleichgewichtsorgan.
Wahrnehmung
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Wahrnehmung im Alltag 11
Wahrnehmung
2.1 Wahrnehmung im Alltag
Unsere Sinne nehmen täglich eine Vielzahl von Informationen aus der Umwelt auf. Wir sind
ständig Sinnesreizen ausgesetzt, welche wir gar nicht alle vollumfänglich wahrnehmen
können. Wir wären überfordert und könnten uns kaum mehr auf etwas konzentrieren.
2.2 Stufen der Wahrnehmung
Es gibt insgesamt 3 Stufen der Wahrnehmung:
1. Aufnahme eines Reizes und Weiterleitung ans Gehirn.
2. Einschätzung der Grösse, der Form, der Bewegung, der Entfer-
nung und Ausrichtung eines Gegenstandes.
Dabei werden Eindrücke wahrgenommen und vor allem auch
Gefühle ausgelöst (ein warmes Gefühl ums Herz, Ekel, Freude,
Sympathie, sich abgestossen fühlen etc.)
3. Den wahrgenommenen Dingen werden bestimmte Bedeutungen
zugewiesen, indem wir interpretieren.
2.2.1 Arbeitsteil
Unsere Meinung beginnt in unseren Köpfen. Beschreiben Sie diese Personen.
Wahrnehmung im Alltag
Stufen der Wahrnehmung
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Wahrnehmung
12 Wahrnehmung
2.3 Selektive Wahrnehmung
Würden wir alle Farben, Gerüche, Geräusche, überhaupt alle Eindrücke aus unserer Umwelt
immer vollumfänglich wahrnehmen, wären wir überfordert. Die selektive Wahrnehmung
schützt uns davor, gleichzeitig birgt sie eine Gefahr, nämlich, dass wir Fehler machen.
Sinneswahrnehmung
Die Schlussfolgerung kann also nur heissen, vorsichtiger und zurückhaltender zu sein, im
Bezug auf das, was wir mit unseren Sinnen wahrnehmen (oder nicht wahrnehmen) und
was für Schlussfolgerungen wir daraus ziehen.
Die Grenzen der sinnlichen Wahrnehmung der Wirklichkeit müssen erkannt werden, sonst
kann es zu fatalen Fehleinschätzungen kommen.
Um Sie, bezüglich Ihres Vertrauens in Ihre Sinneswahrnehmungen ein wenig nachdenklich zu
machen, hier ein paar Beispiele. Vermutlich sehen Sie manchmal etwas, was nicht ist oder
sehen etwas nicht, was ist.
2.3.1 Arbeitsteil
Sehen Sie eine junge oder eine alte Frau?
Ihr erster Eindruck könnte von Bedeutung sein.
Junge Frau:Kopf zur Seite gewandt
Alte Frau:Hakennase, hervorstehendes Kinn
Was für ein Tier ist hier zu sehen?
Zu Ostern antworteten 77% der Befragten im Zürcher Zoo, dass sie einen Hasen sehen würden. Im Herbst tippten 88% auf einen Vogel (Gans, Ente, Storch).
Selektive Wahrnehmung
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Selektive Wahrnehmung 13
Wahrnehmung
Erscheinen graue Punkte in den Gitternetzkreuzen?
Sehen, was gar nicht da ist.
An den Schnittstellen der weissen Linien zwischen den Quadraten erscheinen kleine, graue Punkte. Wenn Sie jedoch versuchen, einen dieser Punkte zu fixieren, verschwindet dieser.
Was sehen Sie hier?
Auch das ist eine mehrdeutige Darstellung.
Haben Sie beide Figuren einmal wahrgenommen, können Sie die eine
nicht mehr fixieren, ohne dass die andere von Zeit zu Zeit ins Blickfeld
rückt.
Darstellung eines Eskimos mit Iglu im Hintergrund oder einen Indianer mit Kopfschmuck.
Wie viele Dreiecke sehen Sie hier?
Hintergrundtäuschungen und wechselhafte Abbildungen.
Es sind keine vollständigen Dreiecke vorhanden. Unser Auge neigt dazu Lücken zu füllen und somit können 2, 6, 8 oder gar kein Dreieck zu sehen sein.
Können Sie Ihrer Wahrnehmung trauen?
Zumindest ist Vorsicht angesagt und vorschnelles Urteilen fehl am Platz.
Es gibt eine Reihe von Wahrnehmungsfehlern, denen jeder Mensch ausgesetzt ist – ähnlich
wie bei den optischen Täuschungen der Sinneswahrnehmung. Diese Fehler zu kennen, kann
helfen, Menschen objektiver zu beurteilen und Vorurteile zu vermeiden.
Unsere Ur-Vorfahren mussten innerhalb von Augenblicken erkennen, ob ihr Gegenüber einen
potenziellen Partner, Freund oder Feind darstellen könnte. Auch war es wichtig, ein neues
Mitglied in der Gruppe gleich auf eine mögliche Position einschätzen zu können.
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Wahrnehmung
14 Wahrnehmung
2.3.2 Arbeitsteil
In welchen Situationen müssen Sie selbst schnell entscheiden und wie reagieren Sie?
2.4 Das Umfeld
Ein Mensch fühlt sich sicherer und selbstbewusster, wenn er sich unter Menschen befindet,
die er als gleichwertig oder unterlegen empfindet. Begegnet er Menschen, die er als besser,
intelligenter, schöner (je nach Vergleichsmassstab) einschätzt, fühlt er sich minderwertig.
Wie bereits erwähnt findet zu jedem Zeitpunkt eine Auswahl der Sinneseindrücke statt.
Welche Faktoren sind es nun, die diese Auswahl beeinflussen – was bestimmt, verzerrt oder
verändert unsere Wahrnehmung?
• Frühere Erfahrungen Beispiel: Wer von einem Hund gebissen wurde, nimmt Hunde eher als gefährlich
wahr.
• Erwartungen Beispiel: Ein weit entferntes Objekt auf dem Meer wird als Schiff wahrgenommen.
Bekanntes wird eher gesehen als Fremdes. Irritierend wäre hingegen eine blaue
Zitrone.
• Vorurteile/Einstellungen
Beispiel: Wenn ein egoistischer Mensch sich einfühlsam und uneigennützig verhält,
nimmt man dieses Verhalten nicht wahr oder unterstellt ihm egoistische Motive.
• Interessen/Motive
Beispiel: Beim Autofahren nimmt der Fahrer andere Dinge wahr als der Beifahrer.
• Körperlicher Zustand Beispiel: Ablenkung der Aufmerksamkeit durch Schmerzen oder Müdigkeit –Senkung
der Wahrnehmungsschwelle.
• Gefühle/Stimmungen
Beispiel: Einem ängstlichen Menschen erscheint die Umwelt bedrohlich – einem
wütenden Menschen aggressiv – Verliebte sehen alles durch die «rosa Brille».
Das Umfeld
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Einstellungen und Vorurteile 15
Wahrnehmung
Einstellungen und Vorurteile
2.5 Einstellungen und Vorurteile
Eine persönliche Einstellung ist die Bereitschaft, bestimmte Menschen, Situationen, Gruppie-
rungen und Objekte in einer bestimmten Art und Weise wahrzunehmen und dementsprechend
zu reagieren.
Beispiel:
Sie sind misstrauisch einer neuen Kollegin gegenüber, da diese Sie an eine ehema-
lige Bekannte erinnert – die eine sehr faule Person war. Als Sie eines Morgens in die
Praxis kommen, liest die neue Kollegin Zeitung, trinkt Kaffee und hat die Füsse auf
dem Schreibtisch liegen. Was denken Sie? «Ich habs gleich gewusst!» … ohne zu
hinterfragen, was die Kollegin heute vielleicht schon geleistet hat.
Häufig genügt ein einzelnes Merkmal, um eine bestimmte Person zu beurteilen.
2.5.1 Aufgabe
Was fällt Ihnen zu folgenden Personen ein?
Hilfsarbeiter/innen
Manager/innen
Geschiedene Personen
Polizisten/innen
Behinderte
Psychologen/innen
Alte Menschen
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Wahrnehmung
16 Wahrnehmung
2.5.2 Wie entstehen Vorurteile?
Unsere Wahrnehmung ist ein subjektives Bild der Wirklichkeit. Dabei können Fehler
entstehen, weil die subjektive Wirklichkeit nicht der objektiven Welt entspricht.
Interpretationsfehler
Wir gehen davon aus, dass Personen, die bestimmte Ähnlichkeiten mit uns haben (gleiches
Hobby, in der gleichen Stadt geboren, gleiche politische Einstellung) auch in anderen
Bereichen wie wir selber denken. Aber das muss überhaupt nicht sein: Wer dasselbe Hobby
hat wie ich, kann eine vollkommen andere Weltanschauung haben.
Primacy-Effekt
Diesen ersten Eindruck bilden wir in Sekundenschnelle, wenn wir jemanden kennenlernen.
Ein neuer Patient betritt die Praxis, ich sehe ich kurz an und habe sofort ein Bild von ihm.
Ich sehe bei einem Bewerbungsgespräch zum ersten Mal meinen neuen Chef und finde ihn
sympathisch oder bin eingeschüchtert.
Halo-Effekt
Im Gegensatz zum Primacy-Effekt beruht der Halo-Effekt nicht auf dem ersten Eindruck,
sondern konzentriert sich auf eine hervorstechende Eigenschaft. Eine Person, die immer sehr
laut spricht, wirkt auf mich unsympathisch, weil sie sich in den Vordergrund stellt. Dass
dieselbe Person sehr hilfsbereit sein kann und sich gut in andere einfühlen kann, nehme ich
auf Grund der hervorstechenden Eigenschaft «sehr laute Stimme» gar nicht mehr wahr.
Soziale Stereotype
Dabei verurteilen wir Menschen alleine wegen ihrer Gruppenzugehörigkeit. So existiert z. B.
das Vorurteil, dass alle jungen Menschen sowieso egoistisch sind. So wird einer Person, nur
weil sie jung ist, von vorneherein diese Eigenschaft zugeordnet: «Die Jungen denken sowieso
nur an sich.» Dieses Denken ist stereotyp, also starr und verallgemeinernd. Auf eine Einzel-
person aus einer bestimmten Gruppe angewendet, stimmt das sicher nicht.
Wie entstehen Vorurteile?
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Einstellungen und Vorurteile 17
Wahrnehmung
2.5.3 Arbeitsteil
Wahrnehmung des GegenübersSuchen Sie zu den einzelnen Wahrnehmungsfehlern ein Beispiel aus Ihrem Praxisalltag. Das
kann ein Beispiel sein, das die Patientinnen und Patienten betrifft (cave: Schweigepflicht!)
oder aber Ihre Arbeitskolleginnen oder Ihren Arbeitgeber betreffend. Stellen Sie Ihre
Beispiele einer Kollegin vor.
Interpretationsfehler
Halo-Effekt
Soziale Stereotype
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Wahrnehmung
18 Wahrnehmung
Reframing
Was tun, wenn wir einmal ein hartnäckiges Vorurteil gegenüber einer Person einfach nicht
loswerden? Hier kann das Reframing als Technik helfen, das Vorurteil aufzuweichen und eine
starke Eigenschaft einer Person neu zu sehen. Zum Beispiel die faule Kollegin vom Anfang des
Kapitels: Wir können auch wahrnehmen, dass sie das Leben zu geniessen weiss, sich nicht
stressen lässt, es ruhig angehen kann. Ein Reframing kann als positive Sichtweise einer
vorerst als negativ wahrgenommenen Eigenschaft gesehen werden. Ein Reframing kann aber
auch eine Erklärung für eine bestimmte Verhaltensweise sein. Beispiel: Eine Person ist sehr
geizig – vielleicht hat sie wenig Geld.
2.5.4 Arbeitsteil
ReframingMachen Sie bitte zu folgenden negativen Begriffen ein Reframing:
Adjektiv Reframing
aggressiv kann sich durchsetzen
kleinlich ist sorgfältig
geizig ist sparsam
verschwenderisch ist grosszügig
faul kann geniessen
ungeduldig kann schnell denken
Das Wichtigste in Kürze• Wahrnehmung passiert in Sekundenschnelle, deshalb kann es Fehler geben.
• Es kommt zu Vorurteilen.
• Vorurteile lassen sich nicht verhindern – wenn wir sie jedoch kennen, können wir
sie korrigieren.
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Lehrkraftausgabe
Grundlagen der Körpersprache 19
Nonverbale Kommunikation Körpersprache
3 Nonverbale Kommunikation Körpersprache
Die Sprache gilt als das zentrale menschliche Kommunikationsmittel. Doch oft erkennen wir
auch ohne sie, wie sich unser Gegenüber fühlt, was er denkt oder verschweigt – dank zahl-
reicher, fein nuancierter nonverbaler Signale unseres Körpers. Ein strafender Blick, ein
sanftes Streicheln der Haare reichen oft aus, um uns eine bestimmte Botschaft zu vermitteln.
Manche dieser Signale senden wir bewusst, viele jedoch, ohne es zu merken. Gemeinsam ist
allen: Sie werden blitzschnell verstanden und sind darum ein zentraler Aspekt menschlicher
Interaktion: «Ich sehe, was du fühlst».
3.1 Grundlagen der Körpersprache
Ein wesentlicher Bestandteil des zwischenmenschlichen Verhaltens ist die Körpersprache. Sie
steuert die menschlichen Beziehungen ohne Sprache, bewusst und unbewusst. Es ist sogar
so, dass nur rund 20 % der Kommunikation verbal abläuft – 80 % sind nonverbal.
Die Körpersprache ist unterteilt in verschiedene Teilbereiche nonverbaler Kommunikation:
• Mimik
• Gestik
• Körperhaltung und -bewegung
• Tonfall
• räumliches Verhalten (Nähe/Distanz)
Durch den Ausdruck der Augen, die Stellung der Mundwinkel, die Bewegung der Hände, die
Haltung von Armen und Beinen verraten Menschen eine Menge über ihre Gedanken und ihre
Ängste. Im weitesten Sinne gehören auch Eigenschaften wie Körperfülle, Kleidung, Stimme,
Frisur und sogar Details des Gesichts zu den Informationsquellen, aus denen man auf Charak-
tereigenschaften oder Stimmungen schliessen kann.
Verhalten wird nur zum Teil bewusst gesteuert. Es wird vom Unterbewusstsein und von vielen
Kleinigkeiten, die oft dem Gefühl zugeschrieben werden, angetrieben. Das Gegenüber nimmt
das nonverbale Verhalten teilweise bewusst, aber zu einem grossen Teil unbewusst wahr. Es
interpretiert und reagiert darauf.
Grundlagen der Körpersprache
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Nonverbale Kommunikation Körpersprache
20 Nonverbale Kommunikation Körpersprache
Einflüsse auf die Körpersprache
Individuelle Einflüsse Unser Denken hat ebenfalls einen Einfluss auf die Körpersprache. Welche Erfahrungen wir in
unserem Leben bereits gemacht und welche persönlichen Ansichten (Urteile, Vorurteile) wir
haben, prägen unsere Körpersprache.
Allein schon die Erwartungen, die man an einen anderen Menschen stellt, können bereits
dessen Verhalten beeinflussen.
Natürlich gibt es gewisse Gewohnheiten, die berücksichtigt werden müssen.
Berufssoldaten oder Hotelportiers haben ihre Prägungen erhalten. Der eine durch eine
funktionale, präzise Form des Auftretens und Bewegens, der andere durch ständiges
Zurschaustellen von Zuvorkommenheit und Höflichkeit. Das jahrelange Unterdrücken bzw.
Vorspielen von Körpersprache beeinflusst deren grundsätzliches Verhalten in allen Lebenssi-
tuationen, nicht nur im Beruf.
Äussere ErscheinungDie äussere Erscheinung hat eine (fast zu) grosse Bedeutung für den ersten Eindruck. Je
nachdem, welche Wertigkeit Kleidung und Aussehen haben, werden unter Umständen schon
damit die Weichen für die nonverbalen Äusserungen gestellt. Zur äusseren Erscheinung
zählen Kleidung, Schmuck, Frisur, Figur, Abzeichen usw. Alles zusammengenommen hat
tatsächlich einen gewissen Aussagewert – vielleicht möchte die Person durch ihre Kleidung
oder Frisur eine Gruppenzugehörigkeit oder ihren Status zeigen? Die aufgezählten Dinge sind
beeinflussbar und unterliegen in der Regel der persönlichen Kontrolle. Dabei können solche
Zeichen das Verhalten beeinflussen: Menschen, die eine Uniform tragen, verhalten sich
anders, wenn sie Freizeitkleidung tragen. Manche Berufe werden eben deshalb gewählt, weil
eine Uniform einen gewissen Status verleiht.
Auch körperliche Merkmale, die nicht unserer persönlichen Kontrolle unterliegen, können bei
anderen zu unmittelbaren Reaktionen führen. Vergleichbar den kulturellen Vorurteilen,
haben die meisten Menschen ein Schubladendenken in Bezug auf die äussere Erscheinung:
Dicke gelten als gemütlich, athletisch gebauten Menschen wird Selbstsicherheit und Durch-
setzungsvermögen unterstellt.
Alles an uns kommuniziertMeistens sind wir uns der Interaktion ausserhalb der Sprache gar nicht bewusst. Nonverbale
Zeichen schleichen sich automatisch in unser Verhalten ein. So denken wir gewöhnlich nicht
nach, bevor wir uns an der Nase kratzen oder mit den Schultern zucken. Zuweilen wundern
wir uns daher auch über die scheinbar plötzlichen Reaktionen anderer, die eigentlich nur eine
Antwort auf unser unbemerktes Verhalten sind. Andere verstehen diese Bewegungen jedoch
als unmissverständliche Botschaften: «Mir stinkt's!» oder «Ist mir doch egal!»
Einflüsse auf die Körpersprache
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Lehrkraftausgabe
Grundlagen der Körpersprache 21
Nonverbale Kommunikation Körpersprache
Es gibt aber auch Gesten und Körperbewegungen, die bewusst in die Sprache eingebaut
werden können, um beispielsweise bestimmte Wörter zu betonen oder zu ersetzen. In einer
Diskothek, in der wegen der lauten Musik Gespräche unmöglich sind, kann so die halb
geöffnete Faust mit einer Bewegung Richtung Mund das Trinken aus einem Glas simulieren.
3.1.1 Aufgabe
Kennen Sie weitere Gesten oder Körperbewegungen, die bestimmte Aussagen unterstützen?
Machen sie einige Beispiele dazu.
Manchmal setzen wir auch bewusst mit unserem Körper falsche Signale – etwa mit einem
höflichen Lächeln, auch wenn wir eigentlich genervt sind.
Aber es geht beim Verständnis der Körpersprache nicht nur um wenige Grundregeln,
sondern um das Zusammenwirken vieler Einzelheiten. Nur durch sorgfältiges Beobachten des
Umfeldes kann der Gefahr grober Missdeutungen begegnet werden.
Es mag sein, dass Körpersprache sehr eindeutig ist, aber sie ist gewiss nicht eindeutig zu
deuten. Dazu kennt man in jeder Situation einfach zu wenige Details. Verschiedene Menschen
verhalten sich nicht zwangsläufig gleich.
Sowohl im Privatleben als auch im Beruf kommt es nicht nur darauf an, was jemand sagt,
sondern auf die unbewussten Signale seines Körpers. Diese sind oft ehrlicher und man ist
auch bereit, diesen Signalen – wiederum unbewusst – viel mehr Glauben zu schenken. Es ist
wichtig, solche Signale richtig zu deuten.
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Nonverbale Kommunikation Körpersprache
22 Nonverbale Kommunikation Körpersprache
Für denjenigen, der Körpersprache verstehen will, gilt immer: Jemand, der sich seiner
eigenen körpersprachlichen Signale nicht bewusst werden kann, wird die Signale anderer nie
sehr exakt registrieren können. Je mehr Einfühlungsvermögen ein Mensch in die eigene
Gefühlswelt hat, desto mehr wird er auch für die anderer entwickeln können.
Das Wichtigste in Kürze• Ein grosser Teil unserer Kommunikation geschieht ohne Worte – durch Mimik,
Gestik und Körpersprache.
• Nonverbale Signale sind meist unbewusst.
• Körpersprachliche Zeichen können auch bewusst eingesetzt werden, um Wörter
beispielsweise mit Gesten zu betonen oder lautsprachliche Ausdrücke zu
ersetzen.
3.1.2 Mimik
Jeder Mensch zeigt seine Gefühle über die Mimik in seinem Gesicht, ob er will oder nicht. Das
Antlitz des Gegenübers verrät viel über dessen Seelenleben, man kann dessen Gefühle und
Gedanken teilweise ablesen. Schon Babys können Gesichtsausdrücke deuten!
Mit Mimik ist die Bewegung der Gesichtsmuskulatur gemeint, also der Gesichtsausdruck.
Auch die Gesichtsfarbe sagt uns einiges: Ist jemand bleich, kann dies Angst oder Nervosität
bedeuten – hat jemand ein gerötetes Gesicht, signalisiert dies Wut oder Aufregung.
Studien haben gezeigt, dass ein bestimmtes Mimik-Repertoire allen Menschen auf dieser Welt
gemeinsam ist, ob sie nun Japaner, Schweizer oder Inder sind. Auch Menschen, die von
Geburt an blind sind, zeigen eine identische Mimik.
Neueste Forschungen zeigen allerdings, dass es auch Unterschiede zwischen den einzelnen
Kulturen gibt.
Mimik
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Nonverbale Kommunikation Körpersprache
Die Basisemotionen sind: Freude, Trauer, Wut, Angst, Überraschung, Ekel und Verachtung(nach Dr. P. Ekman)
Freude Ein echtes Lachen beinhaltet immer:
• Lachfältchen, Krähenfüsse• hochgezogene Wangen• involvierte Augenmuskulatur
Trauer/Traurigkeit
• hängendes, oberes Augenlid• fokuslose Augen• Mundwinkel leicht nach unten
gezogen
Wut/Ärger
• gesenkte, zusammengezogen Augenbrauen
• starrer Blick• Lippen zusammengepresst
Angst
• hochgestellte, zusammengezogene Augenbrauen
• oberes Augenlid angehoben • unteres Augenlid angespannt• Lippen horizontal zur Seite gezogen
Überraschung
• angehobene Augenbrauen • geweitete Augen• geöffneter Mund
Ekel/Abscheu
• gerümpfte Nase • angehobene Oberlippe
Verachtung
• Mundwinkel auf einer Gesichtsseite angehoben
Die Basisemotionen
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Nonverbale Kommunikation Körpersprache
24 Nonverbale Kommunikation Körpersprache
Gefühle erkennen hilft beim ZusammenlebenDurch die Mimik zeigen wir anderen unbewusst, was wir fühlen, welche Ursache dieses Gefühl
möglicherweise hat und was wir vermutlich als Nächstes tun werden. Gerade in grossen
Gruppen ist eine solche Art der Verständigung von Vorteil: Denn auch wenn man jemanden
nicht kennt und deshalb nicht richtig einschätzen kann, reagiert man doch instinktiv auf sein
Mienenspiel. Wirkt es verärgert oder aggressiv, zieht man sich eher zurück, als das Gegenüber
noch zu provozieren.
Nachmachen, um nachzuempfindenWir ahmen Mimik instinktiv nach – und können so die Gefühle, die damit verbunden sind,
nachempfinden. Hierfür spricht, dass bestimmte Gesichtsausdrücke beim Betrachter oft die
entsprechenden Emotionen auslösen:
Wer angelächelt wird, muss selbst lächeln, wer in ein ärgerliches Gesicht blickt, wird meist
selbst wütend.
Was aus einem Gesicht spricht, ist allerdings keineswegs immer die Wahrheit. Manche
Menschen sind Meister darin, ihre Emotionen im Gesicht zu verbergen.
Auf Grund gesellschaftlicher Konventionen oder einfach nur, um unnötigen Komplikationen
aus dem Weg zu gehen, sehen wir uns im sozialen Miteinander tagtäglich gezwungen, unsere
wahren Emotionen zu verbergen, aus Höflichkeit zu lächeln oder Mitgefühl zu heucheln.
Manch einer versteht sich sogar meisterlich darauf, anderen Absichten oder Gefühle vorzu-
gaukeln, die er gar nicht empfindet.
3.1.3 Arbeitsteil
Selbsterfahrung: ÜbungenStellen Sie Ihrer Banknachbarin eine schwierige Rechnung und beobachten Sie die
Mimik. Was fällt Ihnen auf?
Oft wird entweder:
• Der Unterkiefer fallen gelassen• Der Mund geschlossen• Die Zunge leicht nach vorne geschoben
Versuchen Sie, eine aggressive Aussage bei erhobenen Augenbrauen zu machen.
Machen Sie dasselbe mit zusammengezogenen Augenbrauen. Was geht besser?
Aussage mit zusammengezogenen Augenbrauen
Sagen Sie mit leiser Stimme, eingezogenen Schultern und gesenktem Kopf, dass Sie keine
Angst haben. Wie fühlt sich das an?
Körpersprache nicht kongruent zur Aussage
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3.1.4 Arbeitsteil
(die einzufügenden Wörter finden Sie auf der nächsten Seite)
MimikDrei Ebenen des mimischen Ausdruckes nach Vera F. Birkenbihl (zit.
nach Wingchen, S. 158 – 160)
1. Im StirnbereichWenn eine Person erschrocken, ängstlich, überrascht oder verwun-
dert ist, dann zeigt sich das, indem die waagrechten Stirn-falten vertieft sind. Die senkrechte Stirnfalte ist dann sichtbar, wenn jemand hochkonzentriert ist oder sehr
aufmerksam zuhört.
2. Im Mittelgesicht Viele Informationen über den emotionalen Zustand unseres Gegen-
übers erhalten wir aus der Augenpartie. Menschen, die lange Blicke senden, werden als dominant wahrgenommen, wer
hingegen nur kurze Blicke sendet, kann als arrogant,
herablassend oder verachtend wahrgenommen werden. Wenn ich
jemanden mit gesenktem Kopf anschaue und ihn von unten anblicke, signalisiere ich Unterwerfung. Aber Achtung: Ein Mensch,
der den Kopf gesenkt hält, eine gewisse Anspannung in Gesicht und
Körper aufweist, mich von untern direkt anschaut, ist auf
Angriff aus! Bemühe ich mich dann, meinen Blick abzu-wenden , reagiere ich beschwichtigend und beruhigend auf die
Bedrohung.
3. Mund- und KinnpartieWer sich intensiv anstrengt und konzentriert ist, hat den Mund oft geschlossen oder
aber die Zungenspitze schaut noch leicht hervor. Hat jemand weit aufgerissene
Augen und gleichzeitig einen offenen Mund, interpretiere ich das sofort als Angst und
Schrecken und versuche herauszufinden, was bedrohlich sein könnte. Auch sich «auf
die Zunge beissen » sendet mir eine Information aus, nämlich, dass mein Gegenüber
mir nicht unbedingt alles sagen will, was er weiss.
Die Mundwinkel sind ein aussagekräftiger Teil der Mimik: Sind sie nach oben gezogen zu einem Lächeln, wirkt der Mensch meist zugewandt. Wer jedoch die Mundwinkel
hängen lässt, kann die Leute vergraulen. Lächeln ist auch am Telefon wichtig – auch wenn
der Gesprächsteilnehmer mich nicht sehen kann, kann er heraushören, ob ich lächle oder die
Mundwinkel hängen lasse! Das Kinn ist eher entspannt , wenn jemand passiv
geniesst. Will man sich durchsetzen, ist das Kinn nach vorne geschoben.
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Das Wichtigste in Kürze• Im Gesichtsausdruck treten Gefühle zu Tage, ohne dass sich das willentlich
beeinflussen lässt. Die Basisemotionen Trauer, Wut, Ekel, Überraschung, Angst
und Freude äussern sich quer durch alle Kulturen auf die annähernd gleiche
Weise. (nach P. Ekman)
• Die Sprache der Mimik zu verstehen, ist dem Menschen in die Wiege gelegt, weil
diese Fähigkeit grosse Bedeutung für das soziale Zusammenleben hat.
• Studien zeigen, dass das Nachahmen der Mimik entscheidend dazu beiträgt,
Gesichtsausdrücke anderer zu deuten und die dahinterstehenden Emotionen
nachzuempfinden.
• Gesichtsausdrücke sind oft gespielt, um die wahren Gefühle zu verbergen. Doch
das lässt sich an verräterischen Zeichen wie den Lachfältchen um die Augen
beim echten Lächeln erkennen.
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Nonverbale Kommunikation Körpersprache
3.1.5 Gestik
3.1.6 Arbeitsteil
Deuten Sie folgende Gesten!
Toll gemacht! Zahlen bitte!
Stopp! Lass uns telefo-nieren!
Komm! Tschüss!
Beeil dich! Fertig!
Gestik
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Definition «Gestik»: Kommunikative Bewegungen, insbesondere der Hände, der Arme und des Kopfes.
Gestik wird vor allem zur Untermalung des verbalen Inhaltes benutzt. Je stärker die Gefühle
angesprochen werden, desto akzentuierter wird auch die Gestik.
Sehr deutlich wird dies beim Telefonieren: Obwohl der Gesprächspartner die Gestik nicht
wahrnehmen kann, macht man sehr häufig Hand- oder Fingerbewegungen. Genauso werden
Hände und Arme benutzt, wenn für einen Gegenstand nicht sofort die richtige Beschreibung
parat ist.
Gesten können auch unbeabsichtigt Gefühlszustände zum Ausdruck bringen.
Ein paar nützliche Zusatzinformationen:
• eine offene Handinnenfläche bedeutet, man ist jemandem zugewandt/friedlich.
• gekreuzte Finger zeigen eine Abwehrgeste an.
• Fingerspiele oder das Spielen an Gegenständen sind Ausdruck von Nervosität.
• das Umklammern von Dingen gilt als Zeichen verhaltener Wut.
• das Streicheln von fühlbar angenehmen Gegenständen ist Zeichen von Einsamkeit.
• das Ballen der Faust zeigt Aggression und Wut.
• das Pressen der Augen über der Nasenwurzel ist Signal für Müdigkeit und Erschöp-
fung.
• das Kratzen am Kopf widerspiegelt Ratlosigkeit.
• das Hochwerfen der Arme markiert Begeisterung.
Einzelne Gesten können sogar so klar definiert sein, dass sie die verbale Kommunikation
punktuell oder vollständig ersetzen. Diese Definitionen müssen natürlich – wie auch die
Sprache – gelernt werden und sind deswegen auf bestimmte Gruppen von Menschen oder
Kulturkreise beschränkt.
Beispiele dafür sind:
• die vertikal vorgestreckte Faust mit erhobenem Daumen für «alles in Ordnung».
• die Zeichensprache innerhalb militärischer Einheiten.
• die Gebärdensprache der Hörgeschädigten.
Wie unwillkürlich Gestik in den meisten Fällen ist, merkt man am besten bei dem Versuch,
sich mit einer vorgegebenen Stellung der Hände zu zwingen, eine Kommunikation über ein
bestimmtes Thema zu führen.
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Das Wichtigste in Kürze• Gestik wird vor allem zur Untermalung des verbalen Inhalts benutzt.
• Gesten sind mehr als ein Kommunikationsmittel, sie unterstützen vermutlich
auch Denkprozesse.
• Gesten können sich positiv auf das Sprachvermögen auswirken. Für Kleinkinder
gilt etwa: Je mehr ihre Eltern gestikulieren, desto schneller lernen die Kinder
ihre Muttersprache.
• Gestikulieren entlastet das Arbeitsgedächtnis und kann helfen, neue Problemlö-
sungsstrategien zu entwickeln.
Andere Länder, andere Gesten!Beachten Sie, dass Gesten in verschiedenen Kulturkreisen unterschiedliche Bedeutungen
haben können.
Hier einige Beispiele:
Zeichen Land Bedeutung
Schweiz, Deutschland,
Kanada, Mexiko
Perfekt! Wunderbar!
Brasilien gilt als vulgäre Beleidigung
Schweiz, Deutschland,
Portugal, Italien, Nigeria
Wir telefonieren!
Australien, Hawaii Mir geht’s super!
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Zeichen Land Bedeutung
Schweiz, Südafrika Alles klar!
Kanada, Mexiko Nimm mich mit!
Iran, Irak gilt als Beleidigung
Schweiz, Deutschland Zwei, bitte!
USA Frieden
Irland, Neuseeland gilt als Beleidigung
Schweiz, Deutschland Stopp!
Zypern gilt als Beleidigung
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3.1.7 TonfallOhne den Tonfall wären verschiedene Arten der Kommunikation nicht möglich. So wird der
Unterschied zwischen einem Befehl oder einer Frage durch die Stimmmodulation angezeigt.
Der Tonfall liegt im Grenzbereich zwischen verbaler und nonverbaler Sprache und ist eine
Interpretationshilfe für Worte und Aussagen.
Die Reaktion auf den Tonfall einer Aussage kann sehr intensiv sein, so dass es nicht selten
Auseinandersetzungen über den Inhalt gibt. Der Inhalt des Satzes kann völlig harmlos
gewesen sein, aber eine unangebrachte Betonung (oft in Verbindung mit anderen körper-
sprachlichen Signalen) kann zu ernsten Konflikten führen.
Bei einem durch einen falschen Tonfall hervorgerufenen Streit werden die Worte im Nach-
hinein sozusagen zum – tatsächlichen oder vermeintlichen – Tonfall passend gemacht: Hört
sich ein Satz vorwurfsvoll oder autoritär an, hat der Empfänger später Worte in Erinnerung,
die mit dem eigentlichen Gesagten gar nicht übereinstimmen.
Der Sprachrhythmus hat kaum Informationswert, fällt aber sofort (meist unangenehm) auf,
wenn er den Erwartungen nicht entspricht. Die Sprachmelodie beinhaltet zahlreiche Informa-
tionseinheiten, und zwar sowohl auf der Inhalts- als auch auf der Beziehungsebene.
Schliesslich können von der Lautstärke eines Gespräches Statusunterschiede abgeleitet
werden. Unsichere Menschen sprechen eher leise und erkennbar vorsichtig und signalisieren
damit, dass sie bei einem Irrtum jederzeit zum Rückzug des Gesagten bereit sind. Ranghohe
Menschen – nach Position oder sozialer Schicht – sind eher lautstark. Je sicherer jemand ist,
desto klarer wird die Aussprache einzelner Worte im Allgemeinen sein.
Tonfall
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3.1.8 Arbeitsteil
Mimik Welche Art von Kommunikation ist bei der Mimik gemeint?
Bewegung der Gesichtsmuskulatur
Was kann eine vertiefte senkrechte Stirnfalte bedeuten?
Konzentration
Was kann eine vertiefte waagrechte Stirnfalte bedeuten?
Schreck, Angst, Überraschung, Verwunderung
Gestik Welche Art von Kommunikation ist bei der Gestik gemeint?
Kommunikation mit Händen und Armen, allenfalls auch mit mit dem Kopf
Was kann es bedeuten, wenn sich jemand am Kopf kratzt?
gilt als Zeichen der Ratlosigkeit
Was kann es bedeuten, wenn jemand die Handinnenfläche nach oben hält?
empfangende Haltung, entspannt, vertrauensvoll
Redeweise/Tonfall
Welche Redeweise wirkt eher unsicher?
leises Sprechen
Ist sehr lautes Sprechen vor allem sympathisch? Wie kann es sonst wirken?
Nein! Wirkt dominant, überheblich
Wie können zu viele «ähs» und «hms» auf die Zuhörerinnen und Zuhörer
wirken?
als Verunsicherung, die Ärger provoziert
Worauf muss man als MPA aufpassen, wenn man sich mit einer schon 1000x
gesagten «Willkommensformel» am Telefon meldet?
Wichtig ist, dass man nicht zu schnell und undeutlich oder sogar genervt spricht
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3.1.9 Körperhaltung und –bewegung Rund um die Körperhaltung gibt es interessanterweise sehr viele Volksweisheiten wie
beispielsweise:
«mit beiden Beinen auf der Erde stehen»
bedeutet: Realitätssinn beweisen
«einen festen Standpunkt haben» meint: klare und unverrückbare Ansichten haben
«vor jemandem kriechen» heisst:eine widerspruchslose, unterwürfige Haltung einnehmen
Das Erste, worauf man sein Augenmerk richten sollte, ist die Gewichtsverlagerung.
Steht ein Mensch gerade?
Hier besagt die Theorie dasselbe wie der Volksmund: Je aufrechter jemand steht, desto
aufrechter ist seine innere Haltung. So ein Mensch ist weder unsicher (Neigung nach vorne)
noch überheblich (Neigung nach hinten). Weiter ist bedeutungsvoll, ob ein Mensch frei steht
oder ob er irgendwo eine Stütze sucht. Es gibt Menschen, die sich immer irgendwo anlehnen
müssen.
Die Körperhaltung ist also ein Ausdruck von Gefühlen und persönlichen Befindlichkeiten. Sie
liefert Interpretationshilfen dafür, wie sicher, souverän oder überlegen sich jemand fühlt. So
spiegelt sich Fröhlichkeit in einer aufrechten, offenen Haltung oder Resignation in einer
leicht gebeugten, in sich gekehrten, also optisch eher geschlossenen Haltung wider. Ein sehr
einprägsames Kennzeichen ist die abrupte Veränderung der äusseren Haltung – sie spiegelt
immer eine plötzliche Veränderung der inneren Haltung.
Vom sozialen Rang her höhergestellte Menschen nehmen in ihrer Körper- und Sitzhaltung
mehr Raum für sich in Anspruch, sie geben sich von der Körperhaltung her offener, weil sie
sich für weniger verletzlich halten.
Mit der Analyse der Körperhaltung können sehr eindeutige Aussagen über Statusunterschiede
getroffen werden. Hinzu kommen Unterschiede zwischen Mann und Frau, Erwachsenen und
Kindern – Unterschiede, die sich aus Status und Rolle einer Person erklären. So nehmen z. B.
Männer in ihrer Sitzhaltung und ihrer gesamten Gestik mehr Raum ein als Frauen. Jugend-
Körperhaltung und -bewegung
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liche wollen z. B. oft signalisieren, dass sie «gutem Benehmen» keine Beachtung schenken
(wollen). Andere tun genau das Gegenteil: Sie beschränken sich auf die Sitzkante, lehnen
sich nicht gemütlich zurück und setzen ihren Körper damit einer physischen Belastung aus,
die eine psychische Anspannung zwangsläufig noch verstärkt und dem Beobachter Unsicher-
heit, mangelndes Selbstbewusstsein oder Nervosität signalisiert. Je mehr jemand dafür sorgt,
dass er bequem sitzen kann, desto souveräner gibt er sich. Meistens kommt dieses Selbstbe-
wusstsein bei Zuhörern und Beobachtern gut an. Eine angespannte Sitzhaltung kann jedoch
in Kombination mit krampfhaften Fussbewegungen auch bedeuten, dass jemand weg möchte,
weil ihn die Unterhaltung eigentlich nicht interessiert. Ein präziser Beobachter kann ein
solches Verhalten registrieren und hinterfragen.
Der Gang gehört als Ausdrucksmittel zur Körperbewegung und läuft in gewisser Weise in
Bezug auf den Ausdruck von Gefühlen synchron zur Körperhaltung. Geht ein Mensch zielsi-
cher, sind seine Bewegungen flüssig, geschmeidig beweglich oder steif und verkrampft?
Der Körpersprachenspezialist J. Navarro hat folgende Körperhaltungen analysiert:
Ihr Gegenüber ist ständig damit beschäftigt,
an sich herumzuzupfen. Das ist ein Zeichen für
mangelndes Interesse und Respekt!
Durch das Zürucknehmen des Oberkörpers wird
die Distanz zwischen den Gesprächspartnern
vergrössert. Dies kann auf eine Ablehnung
hinweisen.
Eine sitzende Person legt ihre Hände oft auf die
Oberschenkel oder streift sie am Hosenbein ab.
Dies könnte ein Anzeichen von Stress oder
Nervosität sein. Eine Person versucht ihre
Hände unter dem Tisch oder in den Hosenta-
schen zu verbergen. Diese Geste kann darauf
hindeuten, dass sie etwas zu verbergen hat
oder gerade lügt.
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Gekreuzte Beine weisen darauf hin, dass alles
in Ordnung ist, wir uns in der Gegenwart der
anderen Person wohlfühlen.
Füsse gelten als die ehrlichsten Körperteile.
Die Person stellt die Ferse auf den Boden, die
Zehen zeigen nach oben.
Die betreffende Person ist aufgestellt oder hat
gerade eine positive Erfahrung gemacht.
Neigung des Körpers in Richtung der anderen
Person.
Diese Körperhaltung bedeutet, dass man sich
wohlfühlt und einer Meinung ist.
Verschränkte Arme hinter dem Kopf.
Ausdrücken von Dominanz und Selbstbewusst-
sein, getroffene Entscheidungen werden nicht
mehr revidiert.
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3.1.10 Arbeitsteil
Suchen Sie aus verschiedenen Tageszeitungen Bilder zu «Körperhaltungen». Kleben Sie die
Bilder ein und interpretieren Sie die Körpersprache.MUSTER
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3.1.11 Distanzen
Räumliches VerhaltenDer Oberbegriff «räumliches Verhalten» beinhaltet neben der Bewegung innerhalb einer
räumlichen Anordnung das persönliche Orientierungsverhalten und das Territorialverhalten.
Bewegungen in einem Raum sind in erster Linie Interaktionssignale. Man geht auf jemanden
zu, weil man sich mit ihm unterhalten oder sich neben ihn setzen will. Man steht auf oder
geht weg und beendet so eine Interaktion.
Man schafft also mit dem persönlichen räumlichen Verhalten Rahmenbedingungen für
verschiedene Formen der Kommunikation. Hierbei die richtigen Akzente zu setzen, gehört
unbedingt zum Repertoire der sozialen Fertigkeiten. Obwohl es beispielsweise nicht unüblich
ist, beim intensiven Nachdenken oder bei der Suche nach einer möglichst kreativen Problem-
lösung in einem Zimmer auf und ab zu gehen, macht genau dieses Verhalten im Zuge einer
unmittelbaren Kommunikation den anderen eher nervös, weil dieser schlecht einschätzen
kann, was sich dahinter verbirgt.
Ähnliches gilt für den Sitzplatz, den sich jemand an einem Tisch aussucht. In einem
Restaurant wird sich zum Beispiel derjenige, der abgesehen von der Bedienung von
niemandem angesprochen zu werden wünscht, so hinsetzen, dass er keinen unmittelbaren
Blickkontakt hat; sucht er dagegen Gesellschaft, wird er – ob bewusst oder unbewusst – dafür
sorgen, dass er den grössten Teil des Raumes einschliesslich der Eingangstür im Gesichtsfeld
hat.
Ganz generell kann gesagt werden, dass zu grosse Zonen Unsicherheit schaffen, weil zu wenig
Kontakt möglich ist. Ist dagegen der Abstand zu klein, entsteht das Gefühl der Beengtheit.
Das irritiert und führt zu Nervosität und Konzentrationsschwierigkeiten im Gespräch. Auch
der Winkel, in dem die beiden oder auch mehrere Gesprächspartner zueinander stehen, spielt
eine grosse Rolle. Findet der Kontakt nicht frontal statt, wird das Überschreiten einer Zone
als nicht so gravierend wahrgenommen.
Distanzen
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Das gesamte zwischenmenschliche Leben spielt sich in vier Kreisen rund um das Individuum ab:
Intimzone: 15-50 cm
Persönliche Zone: ca. 50 – 150 cm
Gesellschaftliche Zone: ca. 150 – 350 cm
Öffentliche Zone: > 350 cm
Je besser man jemanden kennt, desto näher lässt man ihn äusserlich an sich heran. Unter-
läuft jemand in einer bestimmten Gesprächssituation die ihm zugeordnete Zone, führt das zu
Irritationen und wirkt sich damit auf die gesamte Kommunikationssituation negativ aus.
IntimzoneDie Intimzone ist die sensibelste Zone. Wer uns näher kommt als auf eine
halbe Armlänge, verletzt sie. Die Bedingung, unter der wir jemanden
freiwillig in unsere Intimzone eintreten lassen, ist Vertrauen. Diese Zone
schliesst selbstverständlich den eigenen Körper als Tabuzone ein. Diese
grosse Nähe hat die Besonderheit, dass man einen Menschen mit allen
Sinnen wahrnehmen kann. Man kann die Person berühren, im wahrsten
Sinne spüren (zum Beispiel Körperwärme) und sogar riechen. In dieser
Zone herrscht auch intensiver Blickkontakt. Man spricht in dieser Zone
eher leise. Als MPA müssen Sie immer wieder in die Intimzone fremder
Menschen eindringen, wobei dies für beide Seiten nicht immer ganz
einfach sein kann!
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Grundlagen der Körpersprache 39
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3.1.12 Arbeitsteil
Eindringen in die Intimzone des Patienten. Schildern Sie die Situationen «Blutabnahme» und «Anfertigen einer Thoraxaufnahme».
Persönliche ZoneDie persönliche Zone hat einen Radius zwischen einem halben und anderthalb Metern. In
diese Zone werden in der Regel Menschen gelassen, die man sehr gut kennt, z. B. gute
Freunde, Geschwister, Eltern. Hier ist normale Lautstärke geboten, und Sie können jemanden
auch noch berühren, beispielsweise, um Übereinstimmung zu dokumentieren. In seine
persönliche Zone lässt man freiwillig all jene Personen hinein, mit denen man nicht so intim
ist, dass sie die Intimzone betreten dürfen, die aber auch nicht so fremd sind, dass sie in der
nächst weiteren (sozialen) Zone verbleiben müssen.
Gesellschaftliche ZoneDie gesellschaftliche Zone, die zwischen anderthalb und vier Metern
liegt, dokumentiert eine unpersönliche Beziehung zueinander. Sie ist
für soziale Kontakte oberflächlicherer Art reserviert, z. B. für Kollegen,
Vorgesetzte. In der sozialen Zone kann man durch diese Entfernung
Macht und Differenzen zwischen Personen gut zum Ausdruck bringen,
indem man jemanden zwingt, eine Aussage entsprechend laut zu
machen oder eine Antwort zu wiederholen, damit sie alle verstehen
können.
Öffentliche ZoneHinter der gesellschaftlichen Zone beginnt die öffentliche Zone. Ab
einer Entfernung über acht Metern ist die verbale Kommunikation
ohne technische Unterstützung deutlich eingeschränkt. Allerdings
kann diese Zone – z. B. mit Hilfe von Kameras – bis ins Unendliche
reichen.
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40 Nonverbale Kommunikation Körpersprache
3.1.13 Arbeitsteil
Welche Erfahrung haben Sie heute Morgen im Zug- oder Busabteil gemacht?
Beobachten Sie die Patienten im Wartezimmer!
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Das Sender-Empfänger-Modell 41
Verbale Kommunikation
4 Verbale Kommunikation
Einführung
Kommunikation bedeutet für uns soviel wie «in Kontakt treten mit dem Gegenüber» mit Hilfe
der Sprache, vor allem der verbalen Sprache.
Sprache ermöglicht:
den Ausdruck eigener Gefühle, Gedanken, Wünsche und Pläne, das Verstehen von Gefühlen,
Gedanken, Wünschen und Plänen anderer Menschen.
Wer sich gut mitteilen kann, verständlich kommunizieren kann, der verfügt über eine soge-
nannte kommunikative Kompetenz (Groddeck und Wulf, 1977, zit. nach Wingchen, S. 18).
Kommunikation geschieht in der Interaktion mit Menschen. Interaktion meint eigentlich
Handeln im Sinne von wechselseitigem Austausch zwischen Personen. Die Interaktionsfor-
schung setzt sich also damit auseinander, was zwischen Menschen/Personen geschieht. Dabei
steht die Kommunikation für den Austausch von Informationen, Mitteilungen und Botschaften.
4.1 Das Sender-Empfänger-Modell
Kommunikation ist ein zirkulärer (kreisförmiger) Prozess.
Darstellung mit dem Sender-Empfänger-Modell:
Sender
verschlüsselte
Nachricht
▷
Kodierung
Nachrichtentschlüsselt
▷
De-Kodierung
Empfänger
Der Sender ist der Kommunikator. Er überlegt sich zuerst eine Aussage und spricht sie dann
aus (verschlüsselt, nämlich durch die Sprache). Der Empfänger ist der Kommunikant und hört
zuerst die Aussage, entschlüsselt (de-kodiert) sie danach und versteht sie (je nachdem
richtig oder falsch).
Das Sender-Empfänger-Modell (in Anlehnung an Wingchen, 2009)
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Verbale Kommunikation
42 Verbale Kommunikation
BeispielWoran denken Sie, wenn ich das Wort «Hornhaut» sage? Vielleicht an die Hornhaut an den
Füssen? Gemeint könnte aber auch die Hornhaut der Augen sein. Ich als Senderin habe eine
Nachricht gesandt und Sie als Empfängerin haben sie entschlüsselt (de-kodiert). Vielleicht
haben Sie aber falsch dekodiert und Hornhaut an den Füssen entschlüsselt, ich aber habe die
Hornhaut der Augen gemeint.
Verschlüsseln Entschlüsseln
Entschlüsseln VerschlüsselnEmpfänger
Sender
Rückmeldung
Botschaft senden
Sender
Empfänger
Eine Interaktion findet dann statt, wenn der Empfänger auf den Sender reagiert und selber
zum Sender wird. Das wird dann zirkuläre Kommunikation genannt:
Sender
verschlüsselt
▷Kodierung
Nachricht
entschlüsselt
▷De-Kodierung
Empfänger
△ ▽
Empfänger ◁De-Kodierung
Nachricht ◁Kodierung
Sender
Voraussetzung: Die Kommunikationspartner müssen dieselbe Sprache sprechen und auch
dann noch sind Möglichkeiten für Missverständnisse gegeben (beim Kodieren und Deko-
dieren). Diese Missverständnisse können vor allem durch die richtige Haltung in der Kommu-
nikation vermieden werden.
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Paul Watzlawick 43
Verbale Kommunikation
4.2 Paul Watzlawick
Man kann nicht nicht kommunizieren.
1. Man kann nicht nicht kommunizieren …
Praktisches Beispiel:
Eine Frau, die im Wartezimmer eines Arztes sitzt, starrt die ganze Zeit nur auf den Boden.
Zunächst könnte man annehmen, sie würde nicht kommunizieren. Dennoch tut sie es, indem
sie den anderen Wartenden nonverbal mitteilt, dass sie keinerlei Kontakt möchte.
4.2.1 Aufgabe
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Verbale Kommunikation
44 Verbale Kommunikation
4.3 Kommunikationsquadrat von Schulz von Thun
Sprechen ist immer mehr als der Austausch von Informationen zwischen einem Sender und
einem Empfänger.
Sagt ein Mensch etwas, kann diese Aussage auf vierfache Weise wirken.
So erklärt es das «Vier-Ohren-Modell» von Friedemann Schulz von Thun.
1 Sachebene 2 Selbstkundgabe 3 Appellseite 4 Beziehungsseite
Mit seinem Kommunikationsquadrat zeigt Friedemann Schulz von Thun auf, dass immer dann,
wenn wir eine Nachricht senden, diese mehrere Botschaften gleichzeitig enthalten kann.
Diese einzelnen Botschaften können ein sehr unterschiedliches Gewicht besitzen und es muss
keineswegs so sein, dass die vordergründig wichtig erscheinende Botschaft – meist die
Informationsebene – die entscheidende sein muss.
1-Worüber ich informiere.
2-Was ich von mir zu erkennen gebe.
4-Was ich von ihr halte und wie ich zu ihr stehe.
3-Was ich von ihr errei-chen möchte. Was sie tun
soll.
1-Wie ist der Sachver-halt zu verstehen?
2-Was ist das für einer?Was ist mit ihm?
3-Was soll ich tun aufgrund der Mitteilung?
4-Was hält der andere von mir?Wie redet er mit mir??
Kommunikationsquadrat von Schulz von Thun
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Kommunikationsquadrat von Schulz von Thun 45
Verbale Kommunikation
Die vier möglichen Ebenen einer Botschaft: Es kann passieren, dass der Empfänger den Sachinhalt für die entscheidende Botschaft hält,
während es dem Sender vielmehr um die Beziehungsseite oder den Appell geht. Es liegt auf
der Hand, dass sich daraus tiefgreifende Missverständnisse zwischen beiden entwickeln
können, obwohl die gesendete Nachricht scheinbar völlig klar und unmissverständlich ist.
• Wenn ich spreche, teile ich einen Sachverhalt mit – Information.
• Wenn ich spreche, spreche ich auch über mich – Selbstoffenbarung.
• Wenn ich spreche, sage ich meinem Gegenüber, was ich von ihm halte und wie wir
zueinander stehen – Beziehung.
• Wenn ich spreche, versuche ich, Einfluss auf meinen Gesprächspartner zu nehmen
– Appell.
Wenn also jemand mit mir spricht und ich den ganzen Gehalt dieser Nachricht erfassen
möchte, so gelingt mir das am besten, wenn ich mir 4 Fragen beantworte:
• Was ist der Sachinhalt der Nachricht?
• Was sagt sie über meinen Gesprächspartner aus?
• Was will mein Gesprächspartner mit dieser Nachricht über mich und unsere Bezie-
hung zueinander aussagen?
• Was möchte er erreichen?
Abb.: Kommunikations-psychologische Betrachtung («Lupe») der Nachricht «Ich habe immer noch starke Schmerzen» (modif. nach F. SCHULZ VON THUN)
Bei der morgendlichen Visite sagt die Patientin zum Arzt: «Herr Doktor, ich habe immer noch
starke Schmerzen.» Diese scheinbar einfache Information enthält mehrere Botschaften:
Die 1. Botschaft (= Sachinhalt oder Information) «Ich habe starke Schmerzen» ist für jeden
unmissverständlich.
Die 2. Aussage über die Sprecherin selbst (= Selbstoffenbarung) zeigt, dass die Patientin
vielleicht auch zum Ausdruck bringen will, dass sie enttäuscht ist über das bisherige Ergebnis
der Behandlung, vielleicht auch entmutigt oder sogar verzweifelt.
Die vier möglichen Ebenen einer Botschaft
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Verbale Kommunikation
46 Verbale Kommunikation
Die 3. Aussage sagt etwas über ihre Beziehung zu ihrem behandelnden Arzt aus. Etwa in dem
Sinn: «Ich sage Ihnen, dass ich starke Schmerzen habe, weil Sie derjenige sind, der etwas
dagegen unternehmen kann».
In dieser Botschaft ist aber auch etwas über das Verhältnis der Patientin zu ihrem Arzt
enthalten: «Ich wende mich mit meinen Schmerzen an Sie, weil ich Ihnen vertraue». Die
Beziehungsbotschaft enthält demnach sowohl eine Aussage darüber, was die Patientin von
ihrem Arzt hält, als auch darüber, wie sie zu ihm steht.
Die 4. Botschaft (= Appell)
Sie sollen mir (besser) helfen! – Appell ist unüberhörbar.
4.3.1 Arbeitsteil
Beschreiben Sie die 4 Kommunikationsebenen des Senders für folgende Aussagen:
«Ich gehe kurz auf die Post die Briefe einwerfen». (MPAs untereinander)
Sachinhalt: Die Briefe müssen jetzt abgeschickt werden, damit sie morgen beim Empfänger sind.
Selbstkundgabe: Ich mache etwas, bin nicht faul
Beziehungshinweis: Du hast ja nie Zeit.
Appellseite: Sag, dass du gehst!
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Die 4 Arten des Hörens 47
Verbale Kommunikation
4.4 Die 4 Arten des Hörens
Dass ein Sender das, was er mitteilen möchte, als Nachricht richtig verschlüsselt und der
Empfänger die Nachricht wiederum so entschlüsselt, wie der Sender sie gemeint hat, kurzum,
dass er also «versteht», scheint ein selbstverständlicher Vorgang zwischenmenschlicher
Kommunikation zu sein. In Wirklichkeit ist es nahezu ein Glücksfall.
Die Komplexität dieses Vorgangs wird noch deutlicher, wenn wir uns klarmachen, dass der
Empfänger bei der Entschlüsselung der Nachricht diese mit vier Ohren hört. Er hat ein
Sachohr, ein Selbstoffenbarungsohr, ein Beziehungsohr und ein Appellohr. Zudem hat jeder
Empfänger die Tendenz, ein Ohr besonders gut ausgebildet zu haben. Hören die einen
Menschen auf dem Beziehungsohr, können andere ein gut ausgebildetes Appellohr haben.
Der Empfänger muss die Fähigkeit besitzen, die Nachricht, die der Sender ihm zukommen
lässt, «vierohrig» zu empfangen. Hört er nur «einohrig», also beispielsweise nur mit dem
Sachohr oder dem Beziehungsohr, weil er bewusst oder unbewusst die anderen Ohren
verschliesst, kann es zu erheblichen Kommunikationsstörungen kommen.
Wie unterschiedlich die Nachricht «ankommt», je nachdem, auf welchem der 4 Ohren der
Empfänger sie aufnimmt, zeigt wiederum ein einfaches Alltagsbeispiel:
Am Morgen fragt die Kollegin: «Weshalb hast du heute Morgen so viele Termine einge-
schrieben?»
SachohrKollegin fragt nach einer Begründung. Antwortmöglichkeiten:
«Alle Termine sind nur kurze Konsultationen.»
«Durch die Grippewelle haben wir mehr Patienten als sonst.»
Beziehungsohr (überempfindlich!)
Mögliche Antwort: «Mach es doch besser bei diesen vielen
Anrufen!»
Selbstoffenba-rungsohr
«Ich weiss, ich kann nicht besonders gut planen.»
Appell «Ich mache es das nächste Mal besser!»
Für den Arzt ist ein gut geschultes Selbstoffenbarungsohr besonders wichtig. Es ist sozu-
sagen sein diagnostisches Ohr, weil es aus der ankommenden Nachricht jene Anteile
herausfiltert, die zu einem besseren Verständnis seines Patienten beitragen können. Auch
werden beispielsweise emotionale Ausbrüche des Patienten, wenn sie statt mit dem Bezie-
hungsohr mit dem Selbstoffenbarungsohr gehört werden, dem Arzt einen besseren Zugang
zum Patienten ermöglichen.
Natürlich bedeutet dies nicht, dass der Arzt das Beziehungsohr grundsätzlich «abschaltet»
und nur noch mit dem Sach – und dem Selbstoffenbarungsohr hört, denn dies würde
bedeuten, dass er den Patienten nur noch als diagnostisches Objekt betrachtet. Im Gespräch
zwischen Arzt und Patient kommt dem Appellohr ebenfalls grosse Bedeutung zu. Viele
Die 4 Arten des Hörens
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Verbale Kommunikation
48 Verbale Kommunikation
Anliegen, Wünsche, Hoffnungen und Absichten unserer Patienten werden nicht direkt ausge-
sprochen und können, wenn das Appellohr nicht mithört und nur eine Analyse der Sachin-
halte betrieben wird, gänzlich auf der Strecke bleiben. Ein besonders verhängnisvolles
Beispiel ist das «Überhören» von Suizidankündigungen, die – vielleicht zunächst noch – nur
als Appell an die Umgebung gedacht sind. Ein geschärftes Appellohr bewahrt uns davor,
insbesondere Appelle «auf leisen Sohlen» im Gespräch zu überhören.
So neigen beispielsweise Männer in technischen oder akademischen Berufen dazu, selektiv
mit dem Sachohr zu hören und ausser dem Sachinhalt einer Nachricht keine der anderen
Botschaften zu empfangen. Ehepaare hingegen, insbesondere, wenn sie sich in einer kriti-
schen Phase befinden, empfangen nur noch auf dem Beziehungsohr und sind zu einer sach-
lichen Aussprache nicht mehr in der Lage. Sie liegen sozusagen ständig auf der «Beziehungs-
lauer.»
4.4.1 Arbeitsteil
Was bedeuten die untenstehenden Aussagen?
Formulieren Sie den Inhalt für die angegebene Ebene.
4-Ohren-Modell – Aussagen – mögliche Lösungena) «Ah, jetzt hätte ich Lust auf ein Sandwich.» — Selbstkundgabe
Ich hätte jetzt gerne ein Sandwich (und mache mir jetzt auch eines).
b) «Ist hier eine Unordnung.» — Appell
Halte bitte besser Ordnung!
c) «Das Wartezimmer ist ja voller Patienten!» — Beziehungshinweis
Du bist nicht in der Lage das so zu organisieren, dass die Leute nicht ewig warten müssen.
d) «Au, das hat weh getan.» — Beziehungshinweis
Du bist nicht sanft genug gewesen.
e) «Diese Arbeit fällt mir aber schwer.» — Selbstkundgabe
Ich schaffe das nicht, ich bin halt nicht so gut.
f) «Ist heute nicht ein schöner Tag?» — Beziehungshinweis
Gell, du bist einer Meinung mit mir, wir sind ja Freunde!
g) «Ich möchte mit dem Arzt sprechen.» — Beziehungshinweis
Sie sind unfähig, mir die Frage beantworten zu können.
h) «Ich brauche sofort einen Termin.» — Appell
Schauen Sie, dass ich heute noch kommen kann!
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Explizite und implizite Botschaften 49
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4.5 Explizite und implizite Botschaften
Explizite Botschaft Etwas wird ausdrücklich formuliert.
Implizite Botschaft Es wird nur indirekt etwas ausgedrückt.
Das Nichterkennen impliziter Botschaften im Gespräch zwischen Arzt und Patient kann zu
tiefgreifenden Kommunikationsstörungen führen.
Die Angabe des Patienten «Von den roten Pillen bekomme ich so einen bitteren Geschmack
im Mund» kann als rein explizite Botschaft mit eindeutigem Sachinhalt (subjektive Medika-
mentenunverträglichkeit) aufgefasst werden. Die impliziten Botschaften, die diese Nachricht
– möglicherweise – auch oder sogar vor allem enthält, sind schwieriger zu identifizieren.
4.5.1 Arbeitsteil
Welche impliziten Botschaften könnte diese Aussage enthalten?
«Ich halte Medikamente für Gift»
«Ich werde diese Tabletten nicht mehr weiter einnehmen, weil sie mir nicht bekommen.» «Ich habe Zweifel, ob das das richtige Medikament für mich ist.» «Vielleicht schmecken die Tabletten so merkwürdig, weil die Diagnose überhaupt nicht stimmt.» «Ich habe kein rechtes Vertrauen in Ihre Behandlung.» «Ich möchte überhaupt nicht von Ihnen behandelt werden.» «Ich glaube, mir hilft überhaupt nichts mehr.»
Wie analysiere ich?Welche Hilfsmöglichkeiten gibt es, um eine Nachricht daraufhin abzuklopfen, ob sie auch
implizite Botschaften enthält?
• Eine Grundvoraussetzung ist das aktive Zuhören. (Behandlung nächstes Kapitel)
• Ein weiterer Weg besteht darin, sich systematisch beim Zuhören auf das Erfassen
impliziter Botschaften einzustellen, d. h. innerlich quasi eine «zweite Antenne» für
die vom Patienten gesendeten Nachrichten aufzustellen, die auf implizite
Botschaftsanteile einer Nachricht ausgerichtet ist. Mit anderen Worten: Es kommt
darauf an, sich bewusst darauf einzustellen, dass Nachrichten neben expliziten
Botschaften hohe Anteile impliziter Botschaften enthalten können.
• Der 3. Weg ist die sorgfältige Beobachtung nonverbaler Nachrichtenanteile, d. h.
die Analyse von Mimik, Gestik und Körpersprache.
Explizite und implizite Botschaften
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50 Verbale Kommunikation
4.6 Passives und aktives Zuhören
Hören ist Informationsaufnahme mittels akustischer Reize. Das Ohr nimmt passiv Schall-
wellen als Signale auf, das Hirn hilft, diese zu deuten. Doch Zuhören oder Hinhören ist ein
aktiver Prozess, der grössere Konzentration als Lesen fordert. Denn beim Lesen ist es
möglich, eine Passage nochmals zu lesen, zurückzublättern, langsamer zu lesen. Nicht so
beim Zuhören!
Passives Zuhören:Jemand hört sichtbar einem Sprechenden zu (schaut den Sprechenden an, wendet den
Oberkörper dem Sprechenden zu, nickt eventuell da und dort). Der Zuhörer oder die Zuhörerin
nimmt aber nicht direkt am Gespräch teil.
Aktives Zuhören:Es geht über das passive Zuhören hinaus und ist mit einem intensiveren Kontakt zum
Gesprächspartner/der Gesprächspartnerin verbunden.
Merkmale des aktiven Zuhörens sind:• Der Zuhörer versucht, sich in die Lage des Sprechenden zu versetzen und signalisiert
eindeutig Interesse.
• Der Zuhörende bringt dem Sprechenden Wertschätzung entgegen und akzeptiert das
Gegenüber.
• Der Zuhörer hört konzentriert und aufmerksam zu und bekundet dies auch verbal
(siehe unten).
• Der Zuhörer unterbricht nicht.
Passives und aktives Zuhören
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Passives und aktives Zuhören 51
Verbale Kommunikation
Fünf Regeln für den Zuhörer
Aufnehmendes Zuhören
Zeigen Sie dem Sprechenden nonverbal (Gesten, zugewandte Körperhaltung),
dass Sie ihm zuhören und Interesse an seinen Äusserungen haben.
Verständnis rückmelden
Machen Sie deutlich, dass Sie den anderen verstanden haben. Fassen Sie
wichtige Aussagen zusammen.
Nachfragen
Entsteht im Verlauf des Gesprächs der Eindruck, dass der Sprechende sich nur
indirekt äussert, fragen Sie nach, was er meint.
Anerkennung
Anerkennen Sie wichtige neue Informationen. Lassen Sie wertschätzende
Bemerkungen einfliessen (Danke, dass Sie mir das so offen gesagt haben) >
Anerkennung ermutigt!
Rückmeldung des ausgelösten Gefühls
Manchmal ist es schwierig, mit Verständnis auf den Gesprächspartner zu
reagieren, weil dessen Äusserungen den Zuhörer aufgebracht haben. Vermeiden
Sie in einem solchen Moment Werturteile («aber das stimmt doch gar nicht»).
Sie könnten stattdessen die eigenen Gefühle zurückmelden («Ich bin über-
rascht, dass du das so siehst»).
Voraussetzungen für aktives Zuhören«Aktives Zuhören» ist ein wirkungsvolles Werkzeug, wenn es darum geht, einem anderen zu
helfen, seine Probleme und Verstimmungen auszudrücken und Problemlösungen zu erar-
beiten. Wird «Aktives Zuhören» jedoch missbraucht, kann dies unter Umständen Probleme
noch verstärken oder die helfende Beziehung untergraben.
Deshalb einige Richtlinien, wann «Aktives Zuhören» angemessen und hilfreich ist.
Wann aktives Zuhören angebracht ist:• wenn man echt helfen will und Ort und Zeitpunkt geeignet sind
• wenn man gegenüber dem Problem des anderen genügend Distanz hat
• wenn man in der Lage ist, sich der anderen Person voll zu widmen
• wenn man sich der anderen Person gegenüber offen fühlt (man fühlt sich durch das
Problem nicht belästigt oder ausser Fassung gebracht)
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52 Verbale Kommunikation
Wann aktives Zuhören nicht angebracht ist:• wenn Sie nicht helfen wollen
• wenn Ihnen das Problem egal ist, Sie in Eile oder beschäftigt sind
• wenn Sie das Verhalten des anderen ablehnen
• wenn Sie Ihre eigenen Probleme so stark und unmittelbar beschäftigen, dass Sie
sich unmöglich aufmerksam auf die Angelegenheiten eines anderen einstellen
können
Allgemeine «Fehler» beim aktiven Zuhören Die meisten Missverständnisse entstehen, wenn es dem Zuhörer nicht gelingt, die Erfah-
rungen des andern zu verstehen oder wenn er seine eigenen Gefühle und Erlebnisse in die
Botschaft des anderen hineinprojiziert.
Was bewirkt gutes Zuhören?
• Vertieft Beziehungen
• Weckt Vertrauen
• Lässt das Selbstvertrauen wachsen
• Vermeidet Missverständnisse
• Verringert Anspannung und Stress
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Passives und aktives Zuhören 53
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4.6.1 Arbeitsteil
Aktives Zuhören
Entscheiden Sie, welche der folgenden Interventionen Sie jeweils als konstruktiv empfinden:
a) «Ich bin heute richtig zufrieden mit mir. Ich habe schon lange nicht mehr so viel an
einem Tag geschafft.»
τ «Pass bloss auf, dass du dich nicht überforderst!»
τ «Wenn du dich besser organisieren würdest, könntest du das jeden Tag haben.»
τ «Und jetzt freust du dich darüber, wozu du fähig bist?»
✓ «So ein Tag tut gut, nicht wahr?»
b) «Ich bin ja gar nicht grundsätzlich gegen die neue Ordnung im Medikamentenraum,
aber ich finde, ich möchte nicht allen Ideen so kritiklos folgen.»
✓ «Sie meinen, wir sollten die Neuerung auf jeden Fall gut mit der alten Ordnung im
Medikamentenraum vergleichen?»
τ «Seien Sie doch nicht so zögerlich, mit ihrer Haltung können sie ja nie etwas
erneuern.»
✓ «Es ärgert Sie, dass neue Ideen automatisch als besser angesehen werden?»
τ «Zu allem Neuen sagen Sie erst mal «Nein», das ist wirklich nicht sehr förderlich für
das Team.»
c) «Wissen Sie, ich habe mir schon gedacht, dass Janine das Labor übernehmen darf,
aber ich finde es komisch, dass ich als Teamleiterin das als Letzte erfahre.»
τ «Das ist nun mal so geschehen, es geht Sie ja nichts weiter an.»
τ «Bei Ihrer Einstellung gegenüber Janine ist es doch nur natürlich, dass Sie nicht
gefragt wurden.»
✓ «Sie finden, Sie haben als Teamleiterin ein Recht darauf, in solche Entscheidungen
eingebunden zu werden?»
τ «Jetzt sind Sie beleidigt, wie?»
d) «Kannst du mir nicht etwas helfen beim Einordnen der KGs. Ich schaffte das nicht bis
zum Abend.»
τ «Tja, also, ich habe selber zu viel zu tun, du musst dich halt beeilen.»
τ «Findest du etwa, ich helfe dir zu wenig? Das ist doch die Höhe.»
τ «Wohl gestern Abend zu spät ins Bett gegangen und magst heute nicht arbeiten?»
✓ «Ich habe selber ziemlich viel zu tun. Wenn ich soweit bin, versuche ich Dir noch
zu helfen. Sonst machen wir’s morgen früh gemeinsam.»
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54 Verbale Kommunikation
4.7 ICH – DU – Botschaften
4.7.1 Arbeitsteil
Notieren Sie «schlimme Sätze», die Sie einmal zu jemandem gesagt haben. Was haben Sie
durch diese Aussagen erreicht?
Wenn wir auf das Verhalten einer anderen Person einwirken wollen, sagen wir ihr häufig, wie
sie sich verhalten soll oder was sie falsch gemacht hat. Wie wir eigentlich wissen sollten,
mag das niemand gerne. Wenn Sie dagegen von sich und ihren Gefühlen sprechen, erfährt Ihr
Gesprächspartner eher, was Sie meinen.
Die MPA kommt zu spät zur Arbeit. Ihre Ausbildnerin kann auf 2 verschiedene Arten
reagieren:
DU-BotschaftSie sagt der MPA: Ich möchte einmal erleben, dass du pünktlich bist, immer musst du dich
verspäten…
Beim Gebrauch von DU-Botschaften laufen Sie Gefahr, Ihre Beziehungen zu anderen
Menschen zu beeinträchtigen, weil Du-Botschaften…
• Schuldgefühle verursachen
• als Tadel, Herabsetzung, Kritik, Ablehnung empfunden werden
• den Eindruck erwecken, den anderen zu missachten
• häufig Vergeltungsmassnahmen provozieren
• Widerstand gegen Veränderung hervorrufen können
• häufig als bestrafend empfunden werden
ICH – DU – Botschaften
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ICH – DU – Botschaften 55
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Besonders in kritischen Situationen wie auch in Konfliktsituationen ist es daher wichtig, dass
Ärger, Enttäuschung, Unzufriedenheit und andere Gefühle dem Gesprächspartner in Form von
ICH-Botschaften mitgeteilt werden.
ICH-Botschaft Die Ausbildnerin: «Es ärgert mich, dass du zu spät kommst. Zwei Patienten mussten vor der
geschlossenen Türe warten.»
ICH-Botschaften dienen also dazu, anderen mitzuteilen, wie ihre Verhaltensweise auf uns
wirkt, sie damit zu konfrontieren, ohne sie jedoch zurechtzuweisen, anzugreifen oder zu
beschuldigen. Sie ermöglichen dem anderen, diese Kritik anzunehmen.
ICH-Botschaften:• beschreiben Situation, Gefühl, Befindlichkeit des Senders
• enthalten keine negative Bewertung der anderen Person
• verletzen die Beziehung nicht
• fördern die Bereitschaft, sich zu ändern
• der Empfänger muss sie nicht aufschlüsseln.
Ich formuliere mein eigenes Problem, der anderen Person wird dabei nicht die Schuld zuge-
wiesen. Die ehrlichen Gefühle dabei, (die eigentliche ICH-Botschaft) erleichtern dem Ange-
sprochenen die Akzeptanz.
ICH-Botschaften setzen sich aus 4 Elementen zusammen:
1 WahrnehmungFormulieren Sie, was Sie stört: z. B. die konkrete Situ-ation oder das Verhalten.
2 WirkungErklären Sie Ihrem Gesprächspartner, welche Gefühle und/oder Konsequenzen dies in Ihnen auslöst.
3 WichtigTeilen Sie mit, welche Interessen und Bedürfnisse Ihnen wichtig sind.
4 Wunsch Formulieren Sie einen Wunsch oder eine Bitte.
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4.7.2 Arbeitsteil
Je mehr das ICH zu spüren ist, umso weniger fühlt sich das DU angegriffen.
Beispiele von ICH – DU – Botschaften:
Du bist immer so langsam!
Ich finde, dass du immer so langsam bist.
Ich ärgere mich darüber, dass du immer so langsam bist.
Ich ärgere mich, dass ich warten muss, bis ich endlich meine KGs versorgen kann. Solange du deine versorgst, geht das nicht.
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ICH – DU – Botschaften 57
Verbale Kommunikation
4.7.3 Arbeitsteil
Formulieren Sie in ICH-Botschaften um.
DU-Botschaft ICH-Botschaft
«Musst du immer dazwischenreden?
Du solltest wirklich mal einen Kommuni-
kationskurs besuchen!»
«Es macht mich sauer, wenn ich immer unterbrochen werde. Ich denke dann, ich sage nur Uninteressantes.»
«Dir kann man wirklich nichts anver-
trauen!»
«Mir ist es peinlich, wenn du vertrau-liche Dinge weiter erzählst.»
«Ziehen Sie sich bitte ab morgen anders
an, das sieht ja aus wie in der Disco.»
«Ich schäme mich selber, wenn Sie die Patienten in dieser Kleidung begrüssen.»
«Machen Sie endlich vorwärts und lassen
Sie die Patienten nicht warten.»
«Es ist mir wichtig, dass die Patienten pünktlich behandelt werden.»
«Nie machst du was. Auch jetzt habe ich
wieder die ganze Gruppenarbeit alleine
gemacht.»
«Ich habe den Eindruck, die ganze Arbeit gemacht zu haben, ich hätte gerne mehr Unterstützung gehabt.»
«Immer nehmen Sie meinen Kugel-
schreiber. Unterlassen Sie das bitte.»
«Dieser Kugelschreiber ist ein Geschenk. Ich selber benutze ihn nicht und möchte auch nicht, dass andere das tun.»
«Nie versorgen Sie die Medikamente in der
richtigen Reihenfolge.»
«Es hilft mir, wenn ich die Medika-mente nicht suchen muss.»
«Immer muss ich alles machen.» «Ich habe total viel Arbeit und bin gestresst, könnten Sie mir etwas helfen?»
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58 Verbale Kommunikation
4.8 Kommunikationsmuster
Virginia Satir hat vier Kategorien von Kommunikationsverhalten entdeckt, die Menschen
dann annehmen, wenn sie unter Spannung stehen (4 Satir-Typen). Jede Kategorie ist
gekennzeichnet durch eine besondere Körperhaltung und Gestik.
Anklagen (Beschuldigen) Die anklagende Haltung ist eine Widerspiegelung der gesellschaftlichen Regel, dass wir für
uns selbst eintreten und keinerlei Entschuldigungen, Unannehmlichkeiten oder Beschimp-
fungen von wem auch immer akzeptieren sollten – kurz, dass wir nicht schwach sein dürfen.
Um uns selbst zu schützen, greifen wird andere Menschen oder die Umstände an. Wenn wir
anklagen, zählen die anderen für uns nicht, sondern nur wir selbst. Somit gelten wir oft als
feindselig, tyrannisch oder nörglerisch.
• will als stark erscheinen
• stimmt nicht zu
• ist fordernd
• sucht Fehler bei den anderen
• «Wenn du nicht wärst, wäre alles in Ordnung.»
• Stimme ist hart und laut.
RationalisierenDas Kommunikationsmuster der übermässigen Rationalisierung lässt sowohl das Selbst wie
auch die andere Person unberücksichtigt. Man richtet sich beim Handeln nur nach der
Information und Logik. Wir gestehen weder uns selbst noch anderen zu, sich auf Gefühle zu
konzentrieren. Dies spiegelt die gesellschaftliche Konvention, wegzuschauen, nichts zu
berühren und keine Gefühle zu empfinden.
• Bedrohung wird verharmlost.
• Person ist korrekt und vernünftig.
• Selbstwert wird durch grosse Worte gefestigt.
• vermittelt einen ruhigen, kühlen und bezie-
hungslosen Eindruck.
• Das eigene Ideal ist: Sprich die richtigen Worte,
zeige kein Gefühl, reagiere nicht!
Kommunikationsmuster
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Kommunikationsmuster 59
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BeschwichtigenBeschwichtigen ist eine der vier wichtigsten Arten, wie wir reagieren, wenn wir das Gefühl
haben, unsere Akzeptanz sei bedroht. Wenn wir beschwichtigen, missachten wir unsere
eigenen Gefühle und sagen zu allem ja. Ein Mensch, der zum Beschwichtigen tendiert, nimmt
auf andere Rücksicht, seine eigenen Gefühle werden jedoch missachtet. Beschwichtigen
spielt vor, gefällig zu sein, was in den meisten Kulturen geschätzt wird. Das Selbstwertgefühl
wird missachtet und wir übermitteln dem anderen die Botschaft, dass wir nicht wichtig sind.
• niemanden verärgern
• spricht einschmeichelnd
• versucht zu gefallen
• entschuldigt sich
• muss immer jemanden finden, der ihn anerkennt
• die nonverbale Botschaft ist: «Ich bin hilflos».
Ablenken (Irrelevantes Reagieren)Die Reaktion, die oft mit Amüsantsein oder Clown-Spielen verwechselt wird. Wenn Menschen
sich irrelevant verhalten, sind sie ständig in Bewegung. Es handelt sich um einen Versuch,
die Aufmerksamkeit der anderen von den zur Diskussion stehenden Themen abzulenken. Die
Öffentlichkeit bezeichnet diese Menschen als spontan und fröhlich. Oft entwickelt sich aus
dem Verhalten eine allgemeine Sprunghaftigkeit und Ziellosigkeit. Sie sind auch nicht in der
Lage, sich auf ein bestimmtes Thema zu konzentrieren.
• Bedrohung wird ignoriert.
• Aussagen sind belanglos und ergeben keinen Sinn.
• Person geht keine echte Beziehung ein.
• Der Körper ist «eckig» und weist in verschiedene Rich-
tungen.
• Die Person reagiert nie direkt auf eine Frage.
Konstruktive KritikEine konstruktive Kritik ist eine höfliche und sachliche Bewertung mit Verbesserungsvor-
schlägen. Sie soll dem Kritisierten helfen, konkrete und situationsbezogene Fehler erkennen
und beheben zu können.
Im Gegensatz dazu steht die destruktive Kritik, die mit persönlichen Angriffen auf keine
Verbesserung der Situation abzielt. Ursachen dafür sind oft Neid, Minderwertigkeitskomplexe
oder schlechte Laune.
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60 Verbale Kommunikation
Umgang mit Kritik gehört zu den schwierigsten Aufgaben im zwischenmenschlichen Bereich.
Wer wird schon gerne auf Fehler hingewiesen?
So gehen Sie angemessen und konstruktiv mit der Kritik um: Versuchen Sie, Ihr Gegenüber
ausreden zu lassen und wirklich zu verstehen, was man Ihnen sagen will. Dazu gehört
zunächst einmal Offenheit – wer sich angegriffen fühlt, kann nicht offen reagieren, sondern
begibt sich sofort in die Abwehrhaltung (man kann nur schwer akzeptieren, was einem der
andere sagen will).
Versuchen Sie auch nicht, sofort etwas zu erwidern und vor allem nicht, sofort zu einer
Verteidigung anzusetzen. Denn dann erfahren Sie gar nicht mehr, was Ihnen der andere
mitteilen will (wer schon seine Verteidigung in Gedanken vorbereitet, kann nicht zuhören).
Hinzu kommt: Wenn Sie sofort «zurückschlagen» und die Schuld vielleicht abstreiten, heizen
Sie die Situation nur noch weiter auf.
Wie kritisiere ich konstruktiv?
Richtige Kritik setzt meist Erfahrung voraus. Wichtig ist, dass sie nicht in den destruktiven
Bereich abrutscht und somit mehr Schaden anrichtet, als hilft.
Hier ein paar Tipps:
Den richtigen Zeitpunkt erwischen!
• Kritisieren Sie nur dann, wenn Sie mit Ihrem Gesprächspartner alleine sind. Er
sollte genügend Zeit haben, um Ihnen die volle Aufmerksamkeit schenken zu
können.
Fangen Sie mit positiven Aspekten an!
• Versuchen Sie, das Gespräch in einer angenehmen Atmosphäre zu beginnen.
Dazu gehört auch, dass Sie ruhig und freundlich bleiben.
Arbeiten Sie mit Ich-Botschaften!
• Tragen Sie ihre Kritik klar und deutlich vor, ohne dabei weit auszuschweifen.
Durch ICH-Botschaften fühlt sich Ihr Gesprächspartner nicht angegriffen.
Berufen Sie sich dabei auf konkrete Fakten, damit die Situation für den anderen
gut nachvollziehbar ist.
Stellen Sie Fragen!
• Mit Fragen regen Sie Ihr Gegenüber an, über die Situation nachzudenken.
• Suchen Sie gemeinsam nach Lösungen!
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Kommunikationsmuster 61
Verbale Kommunikation
3 goldene Tipps zum Annehmen von Kritik:
1. Zeigen Sie Bereitschaft für die Annahme von Kritik!Seien sie offen für jegliche Verbesserungsvorschläge und hören Sie genau zu, um schmerz-
hafte Missverständnisse zu vermeiden. Unterscheiden Sie konstruktive von destruktiver
Kritik
2. Geben Sie keine Rechenschaft für Ihre Arbeitsweise ab!Die erste Reaktion ist meistens die Verteidigung, was aber vermieden werden sollte. Der
Kritiker würde sich nicht umsonst die Mühe machen, Verbesserungen vorzuschlagen, wenn
diese seiner Meinung nach unberechtigt sind. Falls Sie doch der Meinung sind, unberech-
tigt kritisiert worden zu sein, holen Sie sich eine zweite Meinung ein.
3. Setzen Sie Kritik um!Haben Sie nach Überprüfen der eben genannten Schritte erkannt, dass die Kritik vielleicht
doch nicht so unberechtigt war, versuchen Sie, diese auch umzusetzen. Probleme können
nämlich erst gelöst werden, wenn sie erkannt worden sind. Vermeiden Sie Trotzreaktionen
oder falsche Schamgefühle, denn jeder macht Fehler!
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62 Verbale Kommunikation
4.9 Was tun, wenn man sich angegriffen fühlt?
Manche Menschen gehen bei Kritik sofort in die Defensive und verteidigen sich – und können
fast nicht mehr damit aufhören. Das kann für den anderen ganz schön nervig sein, ist aber
irgendwie auch verständlich: Keiner macht gern Fehler, noch weniger mag man darauf
hingewiesen werden. Man versucht dann, zu erklären, weshalb man etwas gerade auf die
gewählte Weise gemacht hat, was man sich dabei gedacht hat oder warum man nicht anders
konnte.
Hilfreich kann es da sein, sich vor Augen zu halten, dass der Ursprung der Kritik etwas
Positives ist. Wenn jemand Kritik äussert, dann tut er das, weil er die Hoffnung hat, sein
Gegenüber könnte sich ändern. Hätte er die Hoffnung nicht, würde er sich die Mühe sparen
und den Kontakt abbrechen. Kritik kann man also durchaus auch als Zeichen der Wertschät-
zung auffassen.
Und noch etwas kann helfen: sich vor Augen zu halten, dass es menschlich ist, Fehler zu
machen. Nur aus Fehlern kann man wirklich etwas lernen.
Und nicht zuletzt stärkt es das eigene Selbstwertgefühl, wenn man in der Lage ist, die
Verantwortung für sein Tun zu übernehmen.
Was tun, wenn man sich angegriffen fühlt
MUSTER
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Anweisungen und Anleitungen 63
Fachbezogene Kommunikation
5 Fachbezogene Kommunikation
5.1 Anweisungen und Anleitungen
Die besondere Situation des PatientenIn den meisten Fällen kommen die Patientinnen und Patienten in einem angespannten
Zustand zum Arzt. Sie wissen nicht genau, was sie erwartet. Sie sind nervös und haben
vielleicht sogar Angst. Ihnen ist unwohl. All das kann dazu führen, dass sie entweder
Anweisungen nicht gut genug verstehen, weil sie innerlich so unruhig sind und sich nicht
konzentrieren können. Einige Patienten und Patientinnen können in angespannten Zuständen
auch aggressiv reagieren.
Funktion der MPADer Patient ist auf Sie angewiesen (in gewisser Weise auch von Ihnen abhängig). Sie besitzen
das nötige Fachwissen und die Routine in der Ausführung von bestimmten Handlungen.
Deshalb gilt es von Seiten der MPA, sich möglichst gut auf das Gegenüber einzustellen, wenn
Sie Anweisungen, Anleitungen oder sonstige Informationen weitergeben müssen.
Um die Kommunikation zufriedenstellend verlaufen zu lassen, muss eine Übereinstimmung
zwischen dem Anliegen des Patienten und Ihrem Fachwissen gefunden werden.
Unterschiedliche Kommunikationsstile können die Verständigung erschweren und zu
Störungen und sogar zu Missverständnissen führen.
Sprachschwierigkeiten können ebenfalls zur Erschwerung der Kommunikation führen.
Durch Ihre Ausbildung verfügen Sie über Kenntnisse der Terminologie. Begriffe, die für Sie
verständlich sind, sind für den Patienten Fremdwörter!
Vorurteile, Unfreundlichkeit, fehlendes Verständnis und Akzeptanz (z. B. gewissen Personen-
gruppen oder Kulturen gegenüber) können ebenfalls zu Kommunikationsschwierigkeiten
führen.
Anweisungen und Anleitungen
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Fachbezogene Kommunikation
64 Fachbezogene Kommunikation
So kommen meine Anweisungen an:
• Beginnen Sie das Gespräch ruhig, halten Sie Blickkontakt, benennen Sie das
Thema, zu welchem nun gleich eine Anweisung kommt. z. B.: «Ich erkläre
Ihnen jetzt, wie das Röntgen abläuft und was Sie tun müssen.»
• Schaffen Sie Vertrautheit. Sprechen Sie die Patienten/innen mit ihrem Namen
an. Sie dürfen auch einmal eine persönliche Bemerkung machen. z.B: «Ah, Sie
wohnen in Xx? Das kenne ich, da habe ich auch einmal zwei Jahre gewohnt.»
• Geben Sie die Anleitungen klar strukturiert weiter. Achten Sie auf kurze Sätze.
Das Wichtigste kommt zudem immer zuerst.
• Fragen Sie nach, ob alles richtig verstanden worden ist. Warten Sie kurz, damit
die Patientin genügend Zeit hat, zu überlegen, ob noch Fragen offen sind.
• Seien Sie sich bewusst, dass Schmerzen und Ängste die Informationsaufnahme
bei der Patientin stark beeinträchtigen können.
• Wenn Sie sich kurz vorher geärgert haben, im Stress sind oder die Patientin
unsympathisch finden: Atmen Sie ein paar Mal ruhig durch. Beruhigen Sie sich.
Sie möchten professionell handeln und auftreten. Oberstes Gebot ist deshalb,
immer freundlich zu sein und sich selber hintanzustellen. Entscheiden Sie sich
bewusst dafür und sagen Sie sich, dass Sie sich um Ihren Ärger, den Stress oder
Ihre mangelnde Sympathie später kümmern werden. Denn es gilt:
Der Patient/die Patientin ist Kunde/Kundin!
MUSTER
Kommunikation und Umgang mit Patienten - Medizinischer Lehrmittelverlag Bieri & Weder
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Zielorientierte Gespräche führen 65
Fachbezogene Kommunikation
5.2 Zielorientierte Gespräche führen
Damit ein Gespräch mit dem Patienten zu einem kurzen Dialog mit partnerschaftlichem
Aufbau wird, können folgende Vorgehensweisen hilfreich sein:
• Ich leite durch Fragen, damit ein sachliches Gespräch entstehen kann.
• Ich nehme die Anliegen des Patienten ernst.
• Ich äussere mich direkt und konkret.
• Ich spreche Gefühle oder Unzufriedenheiten an.
• Ich nehme Kritik an.
Unterlassen Sie…
• Monologe – zu viel zusätzliche Informationen, die der Patient gar nicht braucht
• Einmischung in die privaten Angelegenheiten des Patienten
• Ausweichende Antworten
• «Nicht auf den Punkt kommen»
5.3 Vermitteln von Informationen
Informationen werden bei Menschen durch visuelle, auditive und kinästhetische Kanäle
aufgenommen. Meist wird einer dieser Kanäle bevorzugt.
Sie können beim Geben von Anweisungen, Anleitungen und Übermittlungen von Informati-
onen einen Gesprächspartner bei seinem Zugang abholen:
Empfangen Erklären
visuell • liest lieber selbst• erinnert sich schlecht an
mündliche Anweisung
• Abbildung zeigen• Vorgang vorführen• hinsehen lassen
auditiv • lernt durch Zuhören• merkt sich Dinge schrittweise
• klare Sprache benutzen• konkrete Hinweise geben• wiederholen lassen
kinästhetisch • lernt durch Berührung• lernt durch Tun und Auspro-
bieren
• in die Hand nehmen lassen• Vorgang ausprobieren
Zielorientierte Gespräche führen
MUSTER
Kommunikation und Umgang mit Patienten - Verlag Bieri & Weder
Brigitte Sallmann, Denise Ebner Koller 2015
Lehrkraftausgabe
Fachbezogene Kommunikation
66 Fachbezogene Kommunikation
Wie vorhin besprochen, befinden sich Patienten in einer besonderen Situation und können
Informationen oft nicht ruhig und objektiv entgegennehmen.
Nicht genau überlegte Fragen und Äusserungen von Ihrer Seite können den Patienten verun-
sichern oder verängstigen (denken Sie daran: keine Suggestivfragen!)
Wenn Sie möchten, dass Ihre Informationen genau verstanden werden, achten Sie darauf,
dass Sie auf Ihren Gesprächspartner eingehen. Aufnahmeblockaden können sein: Schreck,
Angst, Stress etc. – versuchen Sie herauszufinden, wo Ihr Gegenüber emotional steht und
versuchen Sie flexibel darauf einzugehen.
Beim Erklären der Gebrauchsanweisung eines Medikaments, eines Gerätes oder eines Vorge-
hens achten Sie auf Folgendes:
• Ich vergewissere mich, dass der Gesprächspartner auf «Empfang» ist.
• Ich sage dem Patienten genau, worum es geht.
• Ich stelle die Information in einen grösseren Zusammenhang.
• Ich gebe nicht zu viel Information auf einmal – lasse Überflüssiges weg.
• Ich gebe Zeit zum Verstehen – mache Pausen.
• Ich mach kurze, präzise Sätze.
• Ich verwende einfache, verständliche Ausdrücke.
• Ich bringe die Information in eine sinnvolle Reihenfolge.
• Ich zeige dem Patienten etwas vor.
• Ich gebe Zeit, um Fragen zu stellen.
• Ich lasse den Patienten die Information kurz wiederholen, damit ich sicher bin,
dass er alles richtig verstanden hat.
Der Patient hat ein Anliegen• Ich versuche herauszufinden, was der Patient will.
• Ich überprüfe, ob ich die richtige Ansprechperson bin – liegt das Anliegen in
meinem Kompetenzbereich?
Wenn Ja: Ich versuche mit dem Patienten eine gute Lösung für sein Problem zu
finden.
Wenn Nein: Ich zeige dem Patienten Möglichkeiten auf, wie und wo er die entspre-
chende Stelle erreicht.
Umgang mit Anschuldigungen und VorwürfenIn einer Situation, in der es für den Patienten um sein körperliches Wohlbefinden geht,
besteht die Möglichkeit, dass er unter einer gewissen Anspannung steht – diese kann sich auf
unterschiedliche Art äussern:
• Ärger/Wut
• Aggression
• Vorwürfe
• Hilflosigkeit
• Gleichgültigkeit
• Arroganz
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Vermitteln von Informationen 67
Fachbezogene Kommunikation
Lassen Sie sich auf keine Auseinandersetzung mit dem Patienten ein!
Bleiben Sie souverän!
In Ihrer Rolle als MPA ist es wichtig, auf die Bedürfnisse und Gefühle des Patienten einzu-
gehen!
Eingehen auf BedürfnisseIch versuche durch gezieltes Fragen, den Grund für die Vorwürfe zu erfassen.
• Was stört Sie? Was ärgert Sie?
• Was müsste anders gemacht werden?
• Was möchten Sie? Was erwarten Sie?
Eingehen auf GefühleIch gebe dem Patienten zu verstehen, dass ich seine Gefühle (Verärgerung, Angst etc.) sehe
und auch verstehe!
Meistens braucht es nicht mehr, damit sich ein Patient beruhigen kann, weil er sich wahrge-
nommen und verstanden fühlt.
5.3.1 Tipps für schwierige GesprächeWas tun, wenn Ihnen ein Gespräch zu entgleiten droht? Zum Beispiel, weil ein Patient sehr
aufgebracht und wütend ist, weil etwas mit dem Rezept nicht gestimmt hat (der Arzt hat
z. B. das teure Originalmedikament notiert anstatt das billigere Generikum) oder weil er
schon lange im Wartezimmer wartet. Beachten Sie bei solchen Gesprächen folgende Punkte:
• Informieren Sie den Patienten/die Patientin umfassend, z. B. weshalb er jetzt so
lange warten muss (der Arzt hat einen Notfall etc.).
• Wenn Ihnen nicht ganz klar ist, weshalb jemand wütend ist, fragen Sie ruhig und
gezielt nach.
• Bieten Sie je nach Situation eine Wahlmöglichkeit: z. B. wenn jemand darauf
drängt, möglichst schnell einen Termin zu bekommen. Bieten Sie in diesem Fall
zwei Termine an – allein schon die Möglichkeit, auswählen zu können, kann beru-
higend auf das aufgebrachte Gegenüber wirken.
Sie erkennen an folgenden Merkmalen, ab wann eine Situation zu eskalieren droht.
Wenn Ihr Gegenüber:
• Ihnen drohend in die Augen starrt, vielleicht rot im Gesicht ist oder ganz weiss
(nonverbale Zeichen).
• Wiederholt dieselben Satzphrasen benutzt.
• Möglicherweise schwankt.
• Die Stimme verändert (meist in einer höheren Tonlage spricht) und laut wird.
• Es auf Sie wirkt, als habe sich seine Wahrnehmung verändert (das Gegenüber z. B.
äussert, es sei hier so heiss, dabei herrscht Normaltemperatur).
• Ihr Gegenüber allgemein auf Sie «geladen» wirkt.
Tipps für schwierige Gespräche
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Fachbezogene Kommunikation
68 Fachbezogene Kommunikation
Und hier ein paar Tipps, wie Sie sich verhalten können, wenn die Eskalation passiert ist:
• Schützen Sie sich selber.
• Holen Sie evtl. Unterstützung.
• Verhindern Sie an allererster Stelle, dass es zu einer Selbst- oder Fremdgefährdung
durch den Patienten/die Patientin kommt.
• Bleiben Sie ruhig, provozieren Sie auf keinen Fall Ihr Gegenüber.
• Sprechen Sie mir ruhiger Stimme, aber selbstbewusst und laut. Passen Sie Ihre
Stimme an, wenn sich das Gegenüber etwas beruhigt hat.
• Neigen Sie leicht den Kopf – das ist eine bewährte Deeskalations-Technik.
• Sprechen Sie Ihr Gegenüber mit dem Namen an.
• Machen Sie dem Gegenüber keine Vorwürfe und benutzen Sie keine Du- oder Sie-
Aussagen, sondern sprechen Sie von «Wir» («Ich bedaure, wie wir zwei hier
miteinander sprechen.»
• Unterbrechen Sie irgendwelche aggressionsfördernden Handlungen (z. B. Spritze
weglegen).
• Sprechen Sie den erregten Zustand Ihres Gegenübers direkt an («Ich sehe, Sie sind
wütend.»).
Gesprächskiller – das sollten Sie vermeiden:• Schlecht über andere denken
• Unfreundliche Haltung
• Sich distanziert, desinteressiert, ablehnend oder gar feindselig zeigen
• Hektisch, nervös sein
• Keinen Blickkontakt halten, nicht auf Augenhöhe sein (z. B. Patient sitzt, Sie
stehen)
• Undeutlich sprechen
• Das Gegenüber einschüchtern
• Nur Ja-Nein-Fragen (also geschlossene Fragen) stellen
• Den Patienten/die Patientin nicht ausreden lassen
• Gefühle des Patienten/der Patientin nicht ernst nehmen («Ach, so schlimm ist das
nicht.»)
• Kompliziert, umständlich reden
• Ratschläge erteilen ohne danach gefragt worden zu sein.
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Fachbezogene Kommunikation
5.3.2 Rollenspiele
Rollenspiel 1Frau Marty, eine aufgebrachte Mutter, stürmt unangemeldet in die Praxis, während die MPA
am Telefon ist. Sie schimpft laut und bis ins Wartezimmer deutlich hörbar. Ihre Tochter hat
vom Arzt ein Antigrippe-Mittel bekommen und nun am ganzen Körper Pusteln bekommen. Sie
beschwert sich und lässt sich einfach nicht beruhigen. Sie droht damit, den Arzt zu wechseln
und fordert auch die Patienten im Wartezimmer auf, dies zu tun.
Spielen Sie die Szene.
Welche Interventionen wirken beruhigend und welche stacheln noch mehr an?
Rollenspiel 2Herr Huber kommt aus dem Behandlungszimmer des Dermatologen. Er wirkt nervös und
angespannt. Er kommt zu Ihnen ans Pult und sagt, er müsse baldmöglichst nochmals einen
Termin haben. Sie bieten ihm einen Termin in zwei Wochen an. Der passt Herrn Huber nicht.
Sie sagen, dass sie sehr ausgebucht sind und suchen einen Termin in drei Wochen. Herrn
Huber passt auch dieser Termin nicht. Ausserdem will er schneller kommen. Er wird nervös
und beginnt, Sie zu beschimpfen, weil sie nicht schneller einen Termin frei machen können.
Er findet dies eine Riesensauerei. Er zeigt sich überhaupt nicht kompromissbereit und sieht
auch nicht ein, dass in der kommenden Woche bereits alles ausgebucht ist.
Spielen Sie die Szene.
Welche Interventionen wirken beruhigend und welche stacheln noch mehr an?
Rollenspiel 3Frau Gubser wartet nun schon seit einer halben Stunde. Ihr offizieller Termin wäre eigentlich
vor einer viertel Stunde gewesen, sie ist eine viertel Stunde zu früh gekommen. Sie stürmt
ans MPA-Pult und beschwert sich laut über diesen «Lotterbetrieb», der die Zeiteinteilung
nicht im Griff habe, sie sei schon so lange da und wolle nun SOFORT zum Arzt.
Spielen Sie die Szene.
Welche Interventionen wirken beruhigend und welche stacheln noch mehr an?
Rollenspiel 4
Frau Hermann hat schlechte Adern. Die MPA sticht nun schon zum dritten Mal und trifft schon
wieder daneben. Frau Hermann hat schon beim ersten Mal die Augen verdreht, beim zweiten
Mal hat sie eine abschätzige Bemerkung gemacht, beim dritten Mal nun verlangt sie lauthals
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Fachbezogene Kommunikation
70 Fachbezogene Kommunikation
jemand anderen – doch sie als MPA wissen, dass sie es am besten von allen anwesenden
Personen können und dass die anderen sicher auch daneben stechen würden.
Spielen Sie die Szene.
Welche Interventionen wirken beruhigend und welche stacheln noch mehr an?
Rollenspiel 5Herr Blitz kommt aus der Toilette und beschwert sich lauthals bei der MPA, dass es total
schmutzig sei, dass dies ein Sauladen sei und dass er dies dem Gesundheitsamt melden
würde. Er wirkt nervös und gleichzeitig irgendwie überängstlich. Er ist extrem angespannt.
Sie wissen, dass er heute ein wichtiges Resultat erfahren wird.
Spielen Sie die Szene.
Welche Interventionen wirken beruhigend und welche stacheln noch mehr an?
Rollenspiel 6Während der Blutentnahme schimpft Frau Kistler über alle Ärzte und KrankenpflegerInnen
und überhaupt die ganze Welt. Niemand helfe ihr, sie müsse immer alles alleine machen und
auch das Sozialamt würde sie immer im Stich lassen und die ganze Welt sei gegen sie und
nun müsse sie sich auch noch hier Blut nehmen lassen – sie hält einfach nicht still und
bewegt sich die ganze Zeit und schimpft und schimpft.
Spielen Sie die Szene.
Welche Interventionen wirken beruhigend und welche stacheln noch mehr an?
Rollenspiel 7Herr Mumar kommt ohne Anmeldung in die Praxis gestürzt und beklagt wortreich, dass seine
Tochter vom Arzt die Pille verschrieben bekommen habe und dass das eine Sauerei sei. Er
spricht gebrochen Deutsch, es ist offensichtlich, dass er ein Muslime ist. Seine Tochter, das
wissen Sie, ist bereits 22 Jahre alt und hat ohne Wissen der Familie einen Arzttermin gehabt.
Offensichtlich hat der Vater das Medikament gefunden. Er wirkt gefährlich aufgebracht,
wiederholt immer wieder dieselben Worte und schaut sie drohend an.
Spielen Sie die Szene.
Welche Interventionen wirken beruhigend und welche stacheln noch mehr an?
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Der Patient am Telefon 71
Fachbezogene Kommunikation
5.4 Der Patient am Telefon
Fast immer findet der erste Kontakt, den ein Patient zu einer Arztpraxis aufnimmt, über das
Telefon statt.
Der Patient entscheidet innerhalb weniger Sekunden, ob er ein gutes Gefühl bezüglich Ihrer
Arztpraxis hat. Dies gilt insbesondere bei Neupatienten, aber auch bei weiteren Kontakten
mit bekannten Patienten ist dieses positive Gefühl sehr wichtig.
Jedes Telefongespräch ist eine mündliche Visitenkarte der Arztpraxis!
Regeln am Telefon
• Sprechen Sie langsam und deutlich.
• Machen Sie kurze Sätze.
• Sprechen Sie relativ laut – aber nicht zu gleichförmig.
• Hören Sie dem Anrufer gut zu.
• Sprechen Sie so, dass der Anrufer Ihr Lächeln hört!
Die nonverbalen Kommunikationsmöglichkeiten am Telefon sind beschränkt. Wir haben
lediglich unsere Stimme zur Verfügung, um das zu untermalen, was wir sagen.
Wort + Stimme = Kompetenz + Vertrauen
Die StimmeUnsere Stimme wirkt am Telefon sehr stark auf den Gesprächspartner.
Beachten Sie daher
▷ bei Nervosität und Hektik:
• wirkt unsere Stimme schriller
• sprechen wir meistens zu schnell
• sprechen wir ohne Betonung
▷ unsere Atmung wird:
• unregelmässig
• deutlich hörbar (nervöse, unregelmässige Atemzüge werden leicht als Zeichen von
Unsicherheit wahrgenommen)
Führen Sie wenn möglich keine Telefongespräche in hektischer Atmosphäre!
Patient am Telefon
Siehe auch:
Telefonsituation Praxis-
administration, Modul 3
Betriebliche Prozesse,
(1. Abschnitt) Telekom-
munikation, Verhalten
am Telefon
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Fachbezogene Kommunikation
72 Fachbezogene Kommunikation
Begrüssung am Telefon:Nennen Sie den Praxisnamen sowie Ihren Vor- und Nachnamen. Achten Sie dabei auf eine
verständliche Sprache!
Freundlichkeit:Der Patient bemerkt sofort, ob er freundlich behandelt wird oder ob er stört. Bleiben Sie
immer freundlich – Ihre «Tagesform» darf keine Rolle spielen.
Eingehen auf den Anrufer:Der Patient merkt auch, ob die MPA ernsthaft auf ihn eingeht oder ihn nur abfertigt.
Entscheidend dabei sind das aktive Zuhören und die Gesprächssteuerung.
Fragen bringen mehr, als wenn die Information abgewartet wird. Fragen lenken das Gespräch,
führen es in unsere Richtung und aktivieren unseren Gesprächspartner. Wer Fragen gekonnt
einsetzt, kann die Wünsche, Einstellungen und Bedürfnisse des Patienten kennenlernen.
Offene und verdeckte Bedürfnisse müssen wir mit Feingefühl und Takt erkunden.
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Bedürfnispyramide nach Maslow 73
Fachbezogene Kommunikation
5.5 Bedürfnispyramide nach Maslow
Abraham Maslow gilt als der wichtigste Gründervater der humanistischen Psychologie, in der
eine Psychologie seelischer Gesundheit angestrebt und die menschliche Selbstverwirklichung
im Rahmen eines ganzheitlichen Konzepts untersucht wird. Sein Gesamtwerk war wesentlich
weitreichender als das hier dargestellte Modell, obwohl diese einfache Darstellung ihn sehr
bekannt gemacht hat.
Die «Maslowsche Bedürfnispyramide» ist ein Modell zur Beschreibung der Motivationen von
Menschen. Die verschiedenen Bedürfnisse bilden hierbei die Stufen der Pyramide und bauen
aufeinander auf. Zunächst müssen die grundlegenden Bedürfnisse befriedigt werden, bis die
nächsthöhere Stufe befriedigt werden kann.
SelbstverwirklichungDas Leben in Freiheit selbst gestalten können
AnerkennungLob, positive Beachtung, Ruhm
GruppenzugehörigkeitMitglied einer Gemeinschaft, Beachtung – egal ob positiv oder negativ, Bekanntheit
Schutz und SicherheitGewohnte Umgebung, sicherer Schlafplatz
Physiologische GrundbedürfnisseSauerstoff, Schmerzfreiheit, Wasser, Essen
Bedürfnispyramide
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Lehrkraftausgabe
Fachbezogene Kommunikation
74 Fachbezogene Kommunikation
Beschreibung der Bedürfnispyramide:
Physiologische Bedürfnisse (auch: Grundbedürfnis, Existenzbedürfnis)
Die wichtigsten sind Hunger, Durst und Sexualität. Wenn diese konstant befriedigt werden,
verlieren sie an Bedeutung.
SicherheitsbedürfnisseBedürfnis nach Sicherheit, Stabilität, Ordnung, Schutz, nach Bewahrung vor Angst und
Chaos, nach Struktur, Ordnung, Gesetz. Wenn die physiologischen Bedürfnisse befriedigt
sind, die Sicherheitsbedürfnisse aber nicht, bestimmen diese weitgehend unser Verhalten.
Menschen wünschen sich eine vorhersagbare Welt!
Personen, die an Zwangsstörungen (Reinlichkeitszwang, Zählzwang, Ordnungszwang usw.)
leiden, sieht Maslow als Vertreter dieser Kategorie. Sie versuchen verzweifelt, durch Rituale
und Regeln die Welt derart zu ordnen und zu stabilisieren, dass alles Unbekannte und Uner-
wartete verschwindet.
Ergebnisse soziologischer Studien bestätigen die negativen Auswirkungen von Entwurzelung
aus Bezugsgruppen (Wegzug der Familie in einen anderen Ort; Auflösung der Familie z. B.
durch Scheidung; Emigration, Aussiedler)
Soziale Bedürfnisse (Anschlussmotiv)
Zugehörigkeitsbedürfnisse: Familie/Freunde geben uns Halt, Liebe zu einem Partner sichert
die Fortpflanzung und ist für mein Wohlbefinden wichtig, die Gruppenzugehörigkeit zu einer
Klasse/zu einem Verein/zu einem Arbeitsteam ist ebenfalls wichtig und befriedigend.
IndividualbedürfnisseWertschätzung- und Geltungsbedürfnis: Das Bedürfnis umfasst zum einen den Wunsch nach
Stärke, Leistung und Kompetenz, zum anderen das Bedürfnis nach Prestige, Status, Ruhm und
Macht. Darauf gründet sich das Selbstwertgefühl eines Menschen.
Die ersten drei Stufen (teilweise auch die vierte Stufe) werden als Defizitbedürfnisse
bezeichnet, d. h. wenn diese Bedürfnisse befriedigt sind, wird man nichts mehr zur weiteren
Erfüllung unternehmen. Bei der fünften (bzw. teilweise auch bei der vierten Stufe) handelt
es sich um Wachstumsbedürfnisse.
Allerdings muss auch beachtet werden, dass bereits gestillte Bedürfnisse nicht automatisch
für immer befriedigt bleiben.
MUSTER
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Bedürfnispyramide nach Maslow 75
Fachbezogene Kommunikation
SelbstverwirklichungBedürfnis nach Selbstverwirklichung: Darunter verstehen wir das Streben nach der Entwick-
lung der eigenen Persönlichkeit. Die Effekte dieses Strebens sind von Person zu Person sehr
unterschiedlich. Es zeigt sich darin eine «Vorwärtstendenz» im menschlichen Wesen. Der
Mensch drängt danach, die Einheit seiner Persönlichkeit zu erleben, er ist auf der Suche nach
Wahrheit. Er drängt nach «vollem Sein»: Heiterkeit, Freundlichkeit, Mut, Ehrlichkeit, Liebe,
Güte …
Maslow sah die weitgehende Befriedigung der ersten vier Bedürfniskategorien in der Gesell-
schaft seiner Zeit eher als Ausnahme an und betrachtete den Untersuchungsgegenstand
«Selbstverwirklichung» als Herausforderung für die Forschung. Er schätzte einmal den Anteil
der Weltbevölkerung, der diese Stufe erreicht, auf etwa 2 %.
1970 hat Maslow sein Stufenmodell noch erweitert.
TranszendenzTranszendenz ist etwas, was ausserhalb der Wahrnehmung liegt, etwas, das alles erklärt oder
zusammenhält – vielleicht Gott? Transzendenz kennzeichnet das Streben, diese grossen
übergeordneten Zusammenhänge zu erkennen und zu verstehen.
Wer also alles hat, selbst in der Selbstverwirklichung nicht mehr weiter nach oben kann,
macht sich auf den Weg, das Grosse zu deuten.
Nicht selten «driften» deshalb die grossen Stars wie Madonna in das Lager der Esoteriker ab,
malen geistesabwesend im Keller Mandalas und adoptieren in der ganzen Welt Kinder.
5.5.1 Arbeitsteil
Erstellen Sie Ihre eigene Pyramide!
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Fachbezogene Kommunikation
76 Fachbezogene Kommunikation
5.6 Bedürfnisse bei Krankheit
Physiologische Bedürfnisse:Der Mensch hat das Bedürfnis, keine Schmerzen zu haben. Er möchte bei Krankheit eine
möglichst gute medizinische Behandlung erhalten und wünscht angemessen informiert zu
werden. Der kranke Mensch möchte wieder gesund werden.
Soziale Bedürfnisse/Zugehörigkeitsbedürfnis:Der Patient möchte über seine körperliche, psychische und private Situation sprechen
können. Er möchte in die Behandlung einbezogen werden und aktiv mitbestimmen, was
getan werden soll. Es ist wichtig, ihn darin ernst zu nehmen und nichts gegen den Willen des
Patienten zu unternehmen.
5.6.1 Arbeitsteil
Emotionale Bedürfnisse und die Antwort darauf:
Angst ▷ braucht Sicherheit
Scham ▷ braucht Intimsphäre
Mutlosigkeit ▷ braucht Erfolgserlebnisse
Depression ▷ braucht psychologische Betreuung
Wut ▷ braucht Ernstgenommen werden
Misstrauen ▷ braucht Kontrolle
Bedürfnisse bei Krankheit (zit. nach Hausmann, S. 37 – 40)
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Bedürfnisse bei Krankheit 77
Fachbezogene Kommunikation
5.6.2 Arbeitsteil
Wie kann ich das konkret umsetzen? Schreiben Sie konkrete Beispiele auf:
Gegen Angst ▷ Sicherheit vermitteln:
Sicheres, kompetentes und freundliches Auftreten; klare, verständliche Anweisungen und Informationen (z. B. bei Medikamentenabgabe); gute Medikation.
Gegen Scham ▷ Intimsphäre wahren:
Türen schliessen, wenn Pat. sich ausziehen müssen. Selber diskret sein. Nur das ausziehen lassen, was wirklich nötig ist. Nur solange ausgezogen lassen, wie es nötig ist.
Gegen Mutlosigkeit ▷ Erfolgserlebnisse vermitteln:
Betonen, was gut gelaufen ist. Loben, wenn jemand etwas Unangenehmes tun muss. («Das machen Sie gut, wunderbar.»)
Gegen Wut ▷ Wut ernst nehmen:
Deutlich sagen: «Ich verstehe, dass es Sie wütend macht, dass wir heute keinen Termin mehr haben. Ich kann Ihnen folgende anderen Termine (mehrere!) anbieten…» Nie sagen, dass die Wut nicht gerechtfertigt ist. Betonen, dass man alles tun will, was in der eigenen Macht steht, um zu helfen. Fragen, was am hilfreichsten wäre – wenn das nicht durchführbar ist, fragen, ob es etwas anderes gibt, das helfen kann.
Gegen Misstrauen ▷ Kontrolle geben:
Nicht auf etwas drängen. Will ein Patient Medikamente nicht einnehmen, ihm Verständnis signalisieren (niemand nimmt gerne Medikamente). Aufmuntern, das Gespräch mit dem Arzt zu suchen. Der Patient/die Patientin ist «Chef/Chefin» über den Körper und die Seele. Dies soll immer wieder vermittelt werden. Bei Drängen auf Termin: Wahlmöglichkeit geben, denn wählen ist auch eine Art Kontrolle!
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Patientenbeziehung
78 Patientenbeziehung
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Haltung gegenüber dem Patienten 79
Patientenbeziehung
6 Patientenbeziehung
6.1 Haltung gegenüber dem Patienten
WertschätzungWertschätzung bezeichnet die positive Bewertung eines anderen Menschen und betrifft einen
Menschen als Ganzes, sein Wesen und ist eher unabhängig von Taten oder Leistungen.
Die Wertschätzung ist verbunden mit Respekt, Wohlwollen und Anerkennung. Sie drückt sich
in Interesse, Aufmerksamkeit und Freundlichkeit aus. Wertschätzung hängt immer auch mit
Selbstwert zusammen: Menschen mit hohem Selbstwert haben öfter eine wertschätzende
Haltung anderen gegenüber.
Haltung gegenüber dem Patienten
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Patientenbeziehung
80 Patientenbeziehung
Wertschätzende Haltung gegenüber dem Patienten:• Ich bin höflich und freundlich.
• Ich achte auf die Erhaltung der Würde des Patienten.
• Ich kündige an, was ich mache.
• Ich höre mitfühlend zu.
• Ich gebe sachliche Informationen.
• Ich lasse Zeit, um Fragen zu stellen.
• Ich gebe zu verstehen, dass ich die Probleme ernst nehme.
Geringschätzung ist die Verhaltensweise, eine Person mit einer gewissen Verachtung und
Herablassung zu betrachten.
Geringschätzende Haltung gegenüber einem Patienten wäre:
• Ich behandle den anderen von oben herab.
• Ich verwende Fachausdrücke, die der andere nicht versteht.
• Ich bagatellisiere, verniedliche («Es wird schon wieder gut werden» oder «So
schlimm ist es gar nicht».)
• Ich erteile ungefragt Ratschläge.
• Ich bevormunde den Patienten .
• Ich vergleiche («Anderen geht es genauso schlecht oder schlechter».)
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Haltung gegenüber dem Patienten 81
Patientenbeziehung
EmpathieEmpathie bedeutet die Fähigkeit, Gedanken, Gefühle, Absichten und Bedürfnisse eines
anderen Menschen zu erkennen, ohne dass dieser uns das direkt sagen muss. Empathie heisst
also so viel wie «einfühlendes Verstehen». Ich versuche, die Sicht des Gegenübers wahrzu-
nehmen und drücke das in meiner Kommunikation entsprechend aus. Das tue ich, indem ich
zum Beispiel die gefühlsmässige Bedeutung einer Aussage meines Gegenübers verbalisiere.
Ich spiegle sozusagen die Gefühle des Gegenübers und signalisiere ihm so, dass ich ihn
verstanden habe.
«Wenn es ein Geheimnis des Erfolgs gibt, so ist es das, den Standpunkt des anderen zu
verstehen und die Dinge mit seinen Augen zu sehen.» Zitat von Henry Ford
Mitgefühl beruht auf dem, was die andere Person benötigt und nicht auf dem, was ich von
ihr erwarte oder denke, was sie benötigt.
Echtes Mitgefühl zeigt sich an der wirklichen Anteilnahme am Problem des anderen – ich
stelle einen Kontakt her zu dem, was die andere Person gerade bewegt. Ich kann dies mit
oder ohne Worte tun.
Ich kann mein Mitgefühl verbal ausdrücken indem ich:
mit eigenen Worten wiedergebe, welche Bedürfnisse oder Gefühle ich bei der anderen Person
höre oder vermute (ich sehe, höre, vermute, stelle mir vor…)
Gefühle oder Bedürfnisse mit einer Frage ansprechen:
• Wie fühlen Sie sich …?
• Möchten Sie……?
• Sind Sie besorgt, weil …?
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Patientenbeziehung
82 Patientenbeziehung
6.1.1 Arbeitsteil
Welche der folgenden Antworten ist empathisch?
a) Frau Meier, der Arzt hat mir gesagt, ich hätte eine starke Lungenentzündung. Ist das
gefährlich? Kann ich daran sterben?
τ «Das kann man nicht wissen, schliesslich müssen wir alle mal sterben.»
τ «Und wenn es so wäre?»
τ «Soweit ich den Arzt verstanden habe, ist es wirklich sehr gefährlich bei Ihnen.»
✓ «Die Frage des Todes beschäftigt Sie sehr.»
τ «Aufs Sterben sollte man immer vorbereitet sein.»
✓ «Sie machen sich grosse Sorge, dass Sie die Krankheit nicht überleben?»
τ «Nun machen Sie sich mal nicht so Sorgen, anderen geht es noch viel schlechter!»
b) Frau Meier erklärt: «Ich konnte wieder die ganze Nacht nicht schlafen und habe
dauernd nachgedacht.»
τ «So geht das vielen in Ihrem Alter, das ist eben so.»
τ «Ich rede mit dem Arzt, dass Sie Schlaftabletten kriegen.»
✓ «Sie machen sich viele Gedanken – was geht Ihnen denn durch den Kopf?»
τ «Sie müssen sich tagsüber halt mehr bewegen, dann können Sie schon schlafen.»
c) «Also ich würde nicht noch einmal Medizinische Praxisassistentin werden. Den
ganzen Tag diese kranken Leute, die dauernd jammern.»
τ «Ja, es ist oft so, dass einem die Patienten das Leben schwer machen.»
τ «Nun, man muss halt lernen, mit solchen Dingen umzugehen.»
✓ «Du fühlst Dich unwohl und vielleicht überfordert – kann es sein, dass es dir nicht
so gut geht und du an deine Grenzen kommst?»
d) Formulieren Sie zu den folgenden Äusserungen eine empathische Antwort:
Herr Peter: «Niemand kümmert sich um mich, mir ist eh alles egal, und dann noch
immer diese Schmerzen in den Händen!»
Haben Sie die Hoffnung aufgegeben, dass man Ihre Schmerzen behandeln kann?
Frau Simon: «Ich habe abgeschlossen mit allem, ich habe alles in Ordnung gebracht
– ich will keinem zur Last fallen.»
Sie haben vermutlich Ihr Leben lang für andere gesorgt, jetzt fällt es Ihnen schwer, selber Hilfe anzunehmen.
MUSTER
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Konsultationen 83
Patientenbeziehung
6.2 Konsultationen
Reguläre KonsultationKonsultation wird als nicht dringend eingestuft – es wird ein Termin abgemacht
NotfallkonsultationAm Telefon: Einstufung der Beschwerden nach ihrer Dringlichkeit (Patiententriage)
Nicht dringend Dringend Notfall
Konsultation
Innerhalb von 3 Tagen(Pat für Check-up, Versicherungsunter-suchungen, event. auch länger)
Noch am selben Tag Sofort – ohne Rück-sicht auf Sprech-stunde
Hausbesuch Nicht notwendigAm selben Tag (nach Sprechstunde)
Sofort – ohne Rück-sicht auf Sprech-stunde
Beispiel
• Beschwerden gering
• schon länger bestehend
• keine Angst vor akuten Verschlim-merungen
• medizinisch kein Notfall
• starke Beschwerden
• grosse Unsicher-heit des Patienten
• leichter Unfall
• alle lebensbedroh-lichen Zustände (Krankheit oder Unfall)
Patient kommt direkt in die Praxis• direkt ins Sprechzimmer führen
• Betreuung des Patienten
• Arzt holen
Weitere Informationen zum Thema finden Sie im Lehrmittel Betriebliche Prozesse,
Praxisadministration Modul 3.
Konsultationen
MUSTER
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Lehrkraftausgabe
Patientenbeziehung
84 Patientenbeziehung
6.3 Beobachtung des Patienten
Die Patientenbeobachtung ist eine der anspruchvollsten Aufgaben in der Tätigkeit der MPA.
Beobachtungen über das Aussehen und Verhalten des Patienten geben Auskunft über körper-
liches, geistiges und seelisches Wohlbefinden. Um diese Veränderungen zu registrieren, muss
die MPA das nötige Feingefühl einwickeln und ihre Sinne einsetzen.
Visuell (durch Sehen) nehme ich wahr:• Atmung (oberflächlich oder schnell)
• Gesichtsfarbe
• Augen
• Lippen
• Muskelspannung
• Körperhaltung und –bewegung
• Haltung von Kopf oder Extremitäten
• Blickkontakt
• Körperhaltung als Gesamteindruck
Beobachtung des Patienten
MUSTER
Kommunikation und Umgang mit Patienten - Medizinischer Lehrmittelverlag Bieri & Weder
Brigitte Sallmann, Denise Ebner Koller 2015
Lehrkraftausgabe
Beobachtung des Patienten 85
Patientenbeziehung
6.3.1 Arbeitsteil
Beispiele
Augengerötet, tränend, gelbliche Verfärbung, lichtempfindlich, Austreten von Sekret, geschwollen, Augenringe, Pupillengrösse
Haut
trocken, feucht, heiss, kalt, juckend, verletzt• blass – wachsartiges Aussehen – Anämie• plötzlich auftretende Blässe mit Schweissausbruch – Schock, akute
Blutungen • gelblich – Hepatitis• Blauverfärbung (Lippen, Finger) – Zyanose• Oedeme• Bildung von Quaddeln – allergische Reaktion
Nase verstopft, blutend, geschwollen, erschwerte Atmung
Nägel brüchig, verformt, Farbveränderungen
Haare glanzlos, wirken leblos, Haarausfall
Auditiv (durch Hören) nehme ich wahr: • Sprechtempo
• Lautstärke
• Ausdrucksweise
• Atemgeräusche
• Heiserkeit
Kinästhetisch (durch Fühlen) nehme ich wahr: • Hauttemperatur
• Feuchtigkeit
• Muskelspannung
• Druck
Olfaktorisch (durch Riechen) nehme ich wahr: • Alkohol
• Schweiss
• Mundgeruch
• Körpergeruch
• Parfum
MUSTER
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Lehrkraftausgabe
Patientenbeziehung
86 Patientenbeziehung
Es gibt Symptome oder Verhaltensweisen, die nach einer gewissen Wartezeit im Wartezimmer
für den Arzt nicht mehr ersichtlich sind, wenn er den Patienten im Sprechzimmer sieht.
Aus einzelnen Beobachtungspunkten und Erzählungen lassen sich Schlüsse auf den Gesamt-
eindruck ziehen. Beobachtungen sind ein wertvolles Hilfsmittel. Unter Umständen verhält
sich der Patient bei der MPA anders als beim Arzt und erzählt ihr Dinge, die er dem Arzt
verschweigt. Achten Sie beim Weiterleiten des Beobachteten darauf, zwischen der Wahrneh-
mung und deren Deutung zu unterscheiden.
Quellenverzeichnis: Sprechstundenassistenz 2005/Kap. 5
6.3.2 Arbeitsteil
Was unterscheidet die «normale» Beobachtung von der sogenannten Krankenbeobachtung?
Gezielte Beobachtung unter Verwendung von festgesetzten Kriterien.
Worüber geben Beobachtungen des Patienten Auskunft?
Möglichkeit der Selbstpflege, Pflegebedürftigkeit – allfällige Planung, Erkennen von Gefahren, Therapieerfolge
Was braucht es für eine gute Beobachtung neben Fachwissen?
Einfühlungsvermögen, praktisches Können, Kombinationsgabe
Weshalb ist es für Sie als MPA wichtig, die Patienten im Wartezimmer immer zu beobachten?
Es gibt Verhaltensweisen und Symptome, die nur in der kurzen Zeit im Wartezimmer sichtbar sind.
Wie heisst die Beobachtung mit dem Fachbegriff? Machen Sie je ein Beispiel.
a) mit dem Auge
visuell – Atmung, Blickkontakt, Gesichtsfarbe etc.
b) mit der Nase?
olfaktorisch – Mundgeruch, Alkohol etc.
Was können Sie im Gesicht eines Patienten beobachten?
Farbe, Mimik (Angst, Unsicherheit, Wut), Schweiss, blaue Lippen
Was bedeutet «kinästetische Wahrnehmung» – machen Sie auch hier ein Beispiel.
durch Fühlen (Tastsinn)Hauttemperatur, Feuchtigkeit, Anspannung
MUSTER
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Lehrkraftausgabe
Die richtigen Fragen stellen 87
Patientenbeziehung
Nennen Sie drei Dinge, die Sie auditiv wahrnehmen können.
Sprechtempo, Lautstärke, Atemgeräusche, Heiserkeit, emotionaler Zustand
Welche Beobachtungsart setzen Sie bei einem Notfall als Erstes ein – was nachher? Wie
reagieren Sie?
1. visuell – Gesichtsfarbe, Schweiss2. kinästhetisch – Puls tastenJe nach Zustand des Patienten sofort den Arzt holen, in separaten Raum führen (hinsetzen oder hinlegen)Patient nicht alleine lassen – beruhigend zusprechen
6.4 Die richtigen Fragen stellen
Fragen können Prozesse anregen, sie können helfen, Informationslücken zu schliessen,
andere dazu bringen, ihre Argumente auf den Tisch zu legen, motivieren und vieles mehr.
Fragen können aber auch ein Gespräch blockieren. Wer jemanden zum Reden bringen möchte
und dies mit einem dafür ungeeigneten Fragetypus versucht, wird schnell scheitern. Wichtig
ist zu wissen, mit welchen Fragen Sie was bewirken, damit Sie Fragen gezielt nutzen können.
Geschlossene FragenGeschlossene Fragen sind Fragen, die die Antwortmöglichkeit sehr einschränken. Sie fragen
nach einem bestimmten Wort und sind oft lediglich mit Ja oder Nein zu beantworten.
Geschlossene Fragen können Sie einsetzen, um eine gezielte, verbindliche Information zu
erhalten.
Wenn Sie mehr über andere erfahren wollen, jemanden zum Reden animieren und ein
Gespräch in Schwung bringen möchten, sind geschlossene Fragen ein ungeeignetes Mittel.
Als Fragender fühlen Sie sich oft genötigt, gleich die nächste Frage zu stellen, um das
Gespräch am Laufen zu halten. So kann Frage auf Frage folgen und das Gespräch bekommt
eher den Charakter eines Verhörs als den einer Unterhaltung.
• «Haben Sie heute schon etwas für den Abend geplant?»
• «Sehen wir uns dann beim Empfang?»
• «Ist es Ihnen um 19 Uhr recht?»
• «Wie spät ist es?»
• «Wie viele Menschen sind in diesem Raum?»
MUSTER
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Lehrkraftausgabe
Patientenbeziehung
88 Patientenbeziehung
Offene FragenDer Befragte kann auswählen, was und wie viel er erzählen möchte. In der Regel bekommen
Sie bei offenen Fragestellungen mehr Informationen. Da der Befragte Inhalt und Gewichtung
der Antwort stärker steuern kann, erfahren Sie mehr von ihm als Person. Dies ist oft hilfreich,
um die Bedürfnisse und Ziele des anderen zu erfassen.
Offene Fragen beginnen mit einem der W-Frageworte, deshalb nennt man sie auch W-Fragen:
Wer, wie, was, wieso, weshalb und warum.
• Wer … hat Ihnen den Termin gegeben?
• Wie lange … nehmen Sie das Medikament bereits?
• Wie … kommen Sie mit den Krücken zurecht?
• Welche … Wünsche haben Sie?
• Was … wollen Sie erreichen?
Auch für die Unfallaufnahme sind Angaben über W-Fragen zu ermitteln!
Daher sollte jede Unfallmeldung zumindest die folgenden Fragen beantworten:
• Wo geschah es?
Als Erstes sollte immer der Ort genannt werden, damit auch dann Hilfe geschickt
werden kann, wenn das Gespräch unterbrochen werden sollte.
• Was ist passiert?
• Wie viele Verletzte gibt es?
• Welche Art von Verletzungen/Schäden liegen vor?
SuggestivfragenDurch die Formulierung der Frage drängt man den Befragten indirekt dazu, eine bestimmte
Antwort zu geben. Die Frage impliziert (beinhaltet) faktisch die Antwort, die man gern vom
Befragten hören möchte.
Suggestivfragen finden in der Vernehmungspraxis, im Verkaufsgespräch, in der Markt- und
Meinungsforschung sowie im alltäglichen Sprachgebrauch Anwendung, werden jedoch
aufgrund ihres Beeinflussungscharakters nicht geschätzt.
Suggestivfragen sind in der Psychologie und Medizin grundsätzlich als Kunstfehler zu
betrachten.
Beispiel MPA fragt Patient:
• «Nicht wahr, es hat nicht weh getan?»
• «Ist es nicht so, dass Sie sich jetzt besser fühlen?»
MUSTER
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Lehrkraftausgabe
Konzept der Gesundheit 89
Krankheitsbilder und spezifische Kommunikation
7 Krankheitsbilder und spezifische Kommunikation
Es gibt viele Krankheiten, aber nur eine Gesundheit.
7.1 Konzept der Gesundheit
• Gesundheit als Freisein von Beschwerden und Krankheiten.
• Gesundheit als «Kapital» und «Ressource» der einzelnen Personen, als Befähigung
zur Bewältigung von Lebensaufgaben und sozialem Austausch.
• Gesundheit als Gleichgewicht, als Wohlbefinden, Gefühl der «Fitness» und der
Lebensfreude.
Wann fühle ich mich krank?Was ist Ihrer Ansicht nach die Definition
für gesund?
WHO-Definition (World Health Organization, 1947)«Gesundheit ist ein Zustand des vollständigen physischen, geistig-seelischen und sozialen
Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit und Gebrechen.
Umfrage: Auf wen trifft die WHO-Definition zu 100% zu?
Konzept der Gesundheit
MUSTER
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Lehrkraftausgabe
Krankheitsbilder und spezifische Kommunikation
90 Krankheitsbilder und spezifische Kommunikation
Zitat von Friedrich Nietzsche«Wir sind nicht schon gesund, wenn wir gesund sind, sondern wenn wir auch krank sein
können und dies noch als ein Element der Gesundheit verstehen.»
Beispiel: Gesund? Krank?
Die 90-jährige Grossmutter ist geistig noch voll da, wohnt noch alleine, kann aber die täglich
anfallenden Arbeiten wegen ihrer Osteoporose kaum erledigen.
Dennoch sagt sie: «Es geht gut.»
Haben Sie ein weiteres Beispiel?
Individuelles Krankheitsverhalten ist abhängig von mehreren Faktoren. (Myrtek, 1998, in Anlehnung an Hausmann S. 86 – 89):
Symptomwahrnehmung• Verschiedene Körperwahrnehmungen z. B. Müdigkeit, Schmerzen, Herzklopfen etc.
werden individuell unterschiedlich interpretiert. Für einige Personen ist ein Arztbe-
such unerlässlich, andere ignorieren die Symptome. Wird jemand stark beansprucht
(familiäre Probleme, berufliche Überlastung, Stress), kann dies die Symptomwahr-
nehmung negativ beeinflussen.
• Die eigene Einstellung gegenüber einer Krankheit spielt ebenfalls eine wichtige
Rolle. Die Motivation, etwas gegen Risikofaktoren zu unternehmen, ist grösser,
wenn diese selbst als gefährlich eingestuft werden.
• Oft beeinflussen auch Erfahrungen in der Kindheit das Krankheitsverhalten. Wie
haben die Eltern auf körperliche Beschwerden reagiert oder wie verhielten sie sich
gegenüber der Einnahme von Medikamenten.
Individuelles Krankheitsverhalten
MUSTER
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Lehrkraftausgabe
Konzept der Gesundheit 91
Krankheitsbilder und spezifische Kommunikation
Persönlichkeitseigenschaften• Ist eine Person emotional labil, depressiv oder ängstlich, wird sie häufiger den Arzt
aufsuchen – dadurch steigt jedoch die Wahrscheinlichkeit, dass eine organische
Krankheit festgestellt wird.
Klassische Konditionierung• Die klassische Konditionierung resultiert aus den (negativen) Erfahrungen beim
Arztbesuch.
Beispiel: Ein Kind will sich nicht impfen lassen. Um die Impfung dennoch durch-
führen zu können, wird es festgehalten, was eine Traumatisierung auslösen kann.
Dies kann zur Folge haben, dass aus Angst ein Arztbesuch zu spät erfolgt, Untersu-
chungen nicht zugelassen oder Behandlungen abgebrochen werden.
Dauer der Erkrankung• Je länger eine Krankheit dauert, desto mehr beeinflussen psychosoziale Belas-
tungen, Einstellungen und Gefühle die Beschwerden. Übersteigt der Nutzen der
Behandlung den Aufwand, sind die Patienten bereit zu kooperieren – bei langanhal-
tenden Krankheiten geht die Kooperation jedoch meist zurück.
Sozioökonomische Faktoren• Mit dem Alter nehmen körperliche Störungen und chronische Erkrankungen zu.
• Frauen sind öfter krank als Männer und nehmen häufiger Medikamente.
• Menschen mit geringerer Bildung und wenig Einkommen weisen im Schnitt mehr
chronische Erkrankungen auf, gehen häufiger zum Arzt und sind weniger an Präven-
tion interessiert als Menschen mit höherer Bildung und hohem Einkommen.
• Alleinstehende haben ebenfalls ein höheres Risiko zu erkranken als Menschen, die
im Familienverband leben.
• Unterschiedliche Kulturen zeigen verschiedene Verhaltensweisen auf: beim Äussern
von Schmerzen, bei Arztbesuchen etc.
Gesundheitssystem• Je leichter es ist, medizinische Leistung in Anspruch zu nehmen, desto häufiger
geschieht dies auch.
• Die grossen Erfolge der Medizin führen zu überzogenen Erwartungen an die Behan-
delbarkeit von Krankheiten.
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Krankheitsbilder und spezifische Kommunikation
92 Krankheitsbilder und spezifische Kommunikation
7.2 Umgang mit spezifischen Patientengruppen
Menschen mit psychischer BeeinträchtigungEs gibt viele Formen psychischer Erkrankung oder auch psychischer Störungen. Ebenso viel-
fältig sind die Gründe, die zu einer Erkrankung führen. Selten ist eine einzelne Ursache allein
dafür verantwortlich. Zudem lässt sich zwischen Gesundheit und psychischer Erkrankung oft
nur schwer eine klare Grenze ziehen. Der Übergang ist vielfach ein fliessender: für den einen
mag jemand bloss ein Sonderling sein, ein anderer empfindet dieselbe Person als krank.
Gemeinsam ist psychischen Erkrankungen, dass sie Gewohntes in Frage stellen. Sie verunsi-
chern Betroffene oft in ihrem Innersten, in ihrem Selbst. Ihr Verhalten ändert sich, sie
empfinden und reagieren anders als sonst. Das wiederum kann auch bei Freunden und
Angehörigen Verunsicherung hervorrufen. Sie nehmen die Veränderung wahr, können sich
aber kaum in die Situation des Betroffenen einfühlen.
Umgang mit spezifischen Patientengruppen
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Lehrkraftausgabe
Umgang mit spezifischen Patientengruppen 93
Krankheitsbilder und spezifische Kommunikation
Eine psychische oder seelische Störung ist eine erhebliche Abweichung von der Norm im
Erleben oder Verhalten, die die Bereiche des Denkens, Fühlens und Handelns betrifft und mit
psychischem Leiden auf Seiten der Betroffenen einhergeht. Die Wissenschaften, die sich
primär mit Störungen der Psyche beschäftigen, sind die Klinische Psychologie und die
Psychiatrie.
In der Hausarztpraxis werden wir am häufigsten einerseits mit Menschen mit neurotischen
Symptomen oder aber mit depressiven Symptomen konfrontiert.
Neurotische Symptome z. B. Ängste:
• Diffuse Angst (nicht spezifisch)
• Panikattacken (mit vegetativen Symptomen wie Herzklopfen, Schweissausbruch,
Tunnelblick, Schwindel, Angst zu ersticken und meist Todesängsten)
• Verarmungsangst (oft im Zusammenhang mit Depression)
z. B. Zwänge:
• Waschzwang
• Kontrollzwang
z. B. Phobien:
• Angst vor grossen Plätzen, engen Räumen, Menschenmengen, Schlangen
Psychosomatische ErkrankungenSchmerzen, ohne dass eine medizinische Erklärung dafür gefunden wird, z. B. Magen-
schmerzen, Rückenschmerzen, Kopfschmerzen. Als Grund wird dann eine eigentliche psychi-
sche Belastung angenommen, die verdrängt wird und sich in Form von medizinisch unerklär-
lichen Schmerzsymptomen zeigt.
PersönlichkeitsstörungenDies sind Störungen, die ihren Ursprung häufig in den ersten Lebensjahren haben. Sie prägen
die ganze Persönlichkeit eines Menschen.
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Krankheitsbilder und spezifische Kommunikation
94 Krankheitsbilder und spezifische Kommunikation
7.2.1 Arbeitsteil
Suchen Sie eine Definition zu den untenstehenden Begriffen. (Internet)
Es gibt folgende Störungen:
ängstliche Persönlichkeiten
Unsicherheit, Gefühl von Minderwertigkeit, Besorgtheit.Sehnsucht nach Zuneigung und Akzeptanz, Über-empfindlichkeit gegenüber Zurückweisung und Kritik.
narzisstische Persönlichkeiten
Selbstverliebtheit, auffällige Selbstbewunderung, übersteigerte Eitelkeit. Mangel an Einfühlungsver-mögen, Überempfindlichkeit gegenüber Kritik.
abhängige Persönlichkeiten
Geringes Selbstbewusstsein, klammerndes Verhalten, Trennungsängste.Mangelndes Durchsetzungsvermögen und fehlende Eigeninitiative.
zwanghafte PersönlichkeitenÜbermässige Zweifel und Vorsicht, ständige Kontrollen, Perfektionismus.
aggressiv-antisoziale
Persönlichkeiten
Missachtung sozialer Verpflichtungen, niedrige Schwelle für aggressives Verhalten, unbeteiligt an Gefühlen für andere Personen.
Borderline Erkrankungen
Gekennzeichnet durch Instabilität in zwischen-menschlichen Beziehungen. Impulsivität – Stim-mungsschwankungen.
SuchterkrankungenSuchterkrankungen sind vor allem in der westlichen Welt weit verbreitet. Unter Suchtkrank-
heiten versteht man nicht ausschliesslich die Sucht nach Drogen, Alkohol und Tabak, auch
andere, nicht stoffgebundene Süchte sind bekannt. Die häufigste Suchtkrankheit ist das
Rauchen, gefolgt vom Alkohol, Medikamenten und Drogen.
Bei den nicht stoffgebundenen Suchtkrankheiten macht man die häufigsten Erfahrungen mit
Spielsucht, Ess-Störungen, Medien – hier speziell Internetsucht, Kaufsucht oder Sammel-
sucht.
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Umgang mit spezifischen Patientengruppen 95
Krankheitsbilder und spezifische Kommunikation
Suchterkrankungen sind häufig sehr schwerwiegend. Eine Vielzahl davon verursachen gesund-
heitliche Schäden, wobei die psychische Abhängigkeit hier besonders hervorzuheben wäre.
Menschen, die in ihrem Alltag mit Belastungen und psychischen sowie körperlichen Anforde-
rungen nicht gut zurechtkommen, schlittern häufig in ein Suchtverhalten.
Leider sind Suchtkrankheiten nicht nur bei Erwachsenen ein ernst zu nehmendes Problem.
Immer mehr Kinder und Jugendliche machen ihre Erfahrungen mit Suchtmitteln oder stolpern
in nicht stoffgebundene Suchtfallen (Handy, Internet, Online-Spiele etc.). Häufig haben
Kinder und Jugendliche leichten Zugang zu Drogen, Alkohol und Zigaretten. Kinder erkennen
häufig nicht die Gefahren, die diese Stoffe nach sich ziehen.
Es gibt verschiedenste Suchterkrankungen:▷ Substanzabhängigkeit
legal:
Zigaretten, Alkoholrezeptpflichtig:
Medikamente (Hustenmittel) Benzodiazepinillegal:
Cannabis, Designer-Drogen, Kokain, Partypillen
Umgang mit drogensüchtigen Patienten• Drogensüchtige nie ohne Aufsicht lassen
• keine Rezeptformulare liegen lassen
• keine Medikamente ohne ärztliche Anordnung abgeben
• Ersatzdrogen unter Aufsicht einnehmen lassen
• Mitteilungen klar ausdrücken
• möglichst immer gleiche Ansprechpartnerin
▷ Weitere Suchterkrankungen können sein:
• Magersucht (Anorexie)
• Ess-Brechsucht (Bulimie)
• Binge-Eating-Disorder (Fresssucht)
• Kaufsucht
• Spielsucht
• Arbeitssucht
Der Suchtpatient braucht unsere Stärke und Konsequenz – unterstützen Sie nicht seine
Schwäche.
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Krankheitsbilder und spezifische Kommunikation
96 Krankheitsbilder und spezifische Kommunikation
Depression Es gibt viele Patienten, die unter Depressionen leiden. Dies zeigt sich häufig durch Niederge-
schlagenheit, fehlender Lebensfreude, monotone Stimme, wenig Mimik und Gestik und
Verlangsamung.
Weitere Symptome können sein:
• Antriebslosigkeit
• Lust- und Motivationslosigkeit
• Appetitmangel
• Schlafmangel
• Morgentief
• Alles ist grau, Mangel an wirklichen Gefühlen, v.a. Freude
• Angst, häufig Existenzangst, aber auch allgemein grosse Angst
• Suizidgedanken
• etc.
ManieBei manchen Menschen wechseln sich depressive Episoden mit manischen Symptomen ab.
Diese Menschen leiden unter extremen Stimmungsschwankungen. Eine Manie kann sich wie
folgt zeigen:
• extreme Euphorie
• extrem angetrieben sein
• Die betroffenen Menschen schlafen kaum.
• Sie geben extrem viel Geld aus und machen oft grosse Schulden.
• «Alles ist möglich und ich bin der/die Grösste.»
Posttraumatische BelastungsstörungDie posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) ist nicht direkt eine psychische Erkrankung,
da ihr ein Trauma zugrunde liegt (eine oder mehrere traumatisierende Situationen wie sexu-
eller Missbrauch, ein Überfall, ein Unfall etc.) und die Störung sich auf Grund eines nicht
verarbeiteten Traumas herausbilden kann.
SchizophrenieIst eine schwere psychische Erkrankung. Viele Patienten leiden ein Leben lang darunter. Sehr
oft bedeutet eine schizophrene Erkrankung eine soziale Isolation, Leben am Existenzmi-
nimum und immer wieder schwere Symptome: z. B.
• depressive Symptome
• extreme Angst
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Umgang mit spezifischen Patientengruppen 97
Krankheitsbilder und spezifische Kommunikation
Wahnvorstellungen• z. B. Verfolgungswahn
• Beziehungswahn
• Verarmungswahn
• etc.
Umgang• Einfühlsames Vorgehen
• Nehmen Sie den Patienten ernst!
BehinderungMerkmale sind fehlende oder veränderte Körperstrukturen sowie chronische körperliche und
psychische Krankheiten. Behinderung bezeichnet eine dauerhafte und gravierende Beein-
trächtigung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Teilnahme einer Person.
Grundsätzlich lassen sich Behinderungszusammenhänge grob in folgende Bereiche kategori-
sieren:
• körperliche Behinderung
• Sinnesbehinderung (Blindheit, Gehörlosigkeit, Taubblindheit)
• Sprachbehinderung
• geistige Behinderung
Hinsichtlich der Ursachen lässt sich unterschieden zwischen:
• erworbene Behinderung
• perinatale (während der Geburt) entstandene Schäden
• diverse Krankheiten
• körperliche Schädigungen (Gewalteinwirkung, Unfall)
• Alterungsprozesse
• angeborene Behinderungen (Vererbung)
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Krankheitsbilder und spezifische Kommunikation
98 Krankheitsbilder und spezifische Kommunikation
7.2.2 Arbeitsteil
Was berücksichtigen Sie beim Umgang mit:
körperlicher Behinderung:
keine Blockierung des Weges durch grössere Gegenstände event. Hilfe beim AnkleidenTüre aufhalten
geistiger Behinderung:
kurze, klare SätzeWiederholungengleichbleibende Abläufegleiche Bezugsperson (wenn möglich)
blinden Menschen:
informieren Sie (wer, was, wo) verlangsamen Sie Ihr Tempo vermeiden Sie Kollisionen mit Gegenständen
stummen Menschen:
sprechen Sie langsam und deutlich (Lippenlesen) erklären Sie mit Zeichen (Sprechtafel)
Durch Takt und Einfühlungsvermögen schaffen Sie ein Klima, in dem höchstmögliche Selb-
ständigkeit und Unabhängigkeit gewährleistet wird. Fragen Sie den Patienten, ob er Ihre
Hilfe wünscht.
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Lehrkraftausgabe
Umgang mit spezifischen Patientengruppen 99
Krankheitsbilder und spezifische Kommunikation
Menschen aus anderen KulturenVersuchen Sie einmal, in einer Fremdsprache zu erklären, ob Sie hämmernde, pulsierende,
stechende, drückende, ziehende, schneidende oder bohrende Kopfschmerzen haben. Meist
reichen unsere Sprachkenntnisse auch nicht aus, einen Schmerz so detailliert zu beschreiben.
Auch wenn der Patient die Landessprache einigermassen beherrscht, kann es sein, dass
Missverständnisse entstehen.
Sprachbarrieren können mit Hilfe von nonverbalen Zeichen, Infoblättern oder Zeichnungen
überwunden werden. Auch das Auflegen einer Liste mit muttersprachlichen Behandlungs-
und Beratungseinrichtungen macht Sinn. Es ist jedoch wichtig, bei ernsthaften Erkrankungen,
Entscheidungen über weitergehende Untersuchungen und Therapien oder Beratungsgesprä-
chen Personen mit den entsprechenden Sprachkenntnissen hinzuzuziehen oder sogar einen
Dolmetscher anzufordern.
Menschen verschiedener Kulturen bringen ihre Gefühle ganz unterschiedlich zum Ausdruck.
In unserer Kultur ist es üblich, Tränen in der Öffentlichkeit zu vermeiden. Menschen aus dem
Mittelmeerraum drücken ihre Gefühle meist ungehemmter aus. Stöhnen, Weinen und
Jammern ist für sie kein Zeichen von Schwäche, sondern ein natürlicher Bestandteil der
nonverbalen Kommunikation. Türkische Patienten schauen dem Arzt meist nicht ins Gesicht,
sondern senken die Augen. Dies ist jedoch kein Zeichen von Scham, sondern ein Zeichen des
Respekts.
Umgang mit Menschen aus anderen Kulturen • Überwinden Sie sprachliche Barrieren
MUSTER
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Lehrkraftausgabe
Krankheitsbilder und spezifische Kommunikation
100 Krankheitsbilder und spezifische Kommunikation
KinderDies heisst Umgang mit dem Kind und seinen Eltern – gewinnen Sie das Vertrauen des Kindes!
Behaupten Sie nicht, dass etwas nicht weh macht!
Informieren Sie das Kind, wie Sie dies bei einem Erwachsenen auch machen. Hören Sie mit
den Behandlungen auf, wenn es dem Kind unangenehm ist – ausser es liegt ein Notfall vor.
Würde jedoch durch das Abwarten eine ernsthafte Gefährdung für das Kind bestehen, erklären
Sie dies und gehen dann zügig und entschlossen vor.
Umgang mit Kindern Vermeiden Sie, das Kind als Persönlichkeit zu wenig ernst zu nehmen – die Wünsche der
Eltern sind nicht immer die Bedürfnisse des Kindes.
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Umgang mit spezifischen Patientengruppen 101
Krankheitsbilder und spezifische Kommunikation
Alte Menschen
Wer ist «alt»?• Kinder, Jugendliche und Erwachsene tendieren dazu, jeden als «alt» zu bezeichnen,
der älter ist als sie selbst.
• In der Informationsgesellschaft und bei personalpolitischen Entscheidungen gilt
man oft schon in einem Alter von 40 Jahren als «alt».
• Selbst 75-Jährige, bei denen schon merkliche Kompetenzverluste auftreten, tun
sich schwer, sich als «alt» zu bezeichnen.
• Aktive und unkonventionelle ältere Menschen werden von der Gesellschaft seltener
als «alt» bezeichnet als ihre Altersgenossen.
Veränderungen im Alter:Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass mit zunehmendem Alter alle Sinnesorgane in ihrer
Leistung nachlassen:
• Verschlechterung des Sehvermögens
• Abnehmen der Hörfähigkeit (durch
undeutliche Sprache, schnelles Spre-
chen und Hintergrundgeräusche wird
die Sprachwahrnehmung zusätzlich
beeinträchtigt.)
• Veränderungen des Körpers
• abnehmende Beweglichkeit
• Verlangsamung von Bewegungen und
motorischen Reaktionen
• altersbedingte Veränderungen im
mentalen Bereich (Informationsauf-
nahme und –verarbeitung, nachlas-
sende Verarbeitungsgeschwindigkeit.)
Umgang mit älteren Patienten:Alterstypische Kommunikationsbarrieren berücksichtigen:
• Schwerhörigkeit (Informieren Sie in kurzen klaren Sätzen und sprechen Sie
etwas lauter)
• Sehbeeinträchtigung
• Immobilität (Verlangsamen Sie Ihr Tempo)
• Vermeiden Sie «Entmündigungsstrategien» wie z. B. «waren wir…» sowie
Verharmlosung und Bagatellisierung.
• Keine Belehrungen!
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Lehrkraftausgabe
Krankheitsbilder und spezifische Kommunikation
102 Krankheitsbilder und spezifische Kommunikation
7.3 Unheilbare Erkrankungen und Tod
Die Diagnose, schwer krank zu sein, kann – besonders wenn sie nicht einfühlsam vermittelt
wird – allein schon traumatisch sein. Die Krankheit selbst (HIV, Multiple Sklerose …) ist ein
vielfacher Belastungsfaktor: Lebenspläne werden zunichte gemacht, Krankenhausaufenthalte,
Belastungen für Angehörige/Partner vielleicht auch finanzielle Probleme sind Begleiter des
Alltags. Der Betroffene muss sich nicht nur mit der Krankheit abfinden, sondern das Bestmög-
liche daraus machen – eine schwierige Aufgabe und hohe Leistung.
Elisabeth Kübler-Ross (1926 – 2004), geboren in Zürich, zog nach ihrem Medizinstudium in
die USA, wo sie sich Zeit ihres Lebens mit der Sterbeforschung befasste.
7.3.1 Phasen der Krankheitsbewältigung und SterbephasenBei der Bewältigung einer schweren Krankheit oder wenn ein Mensch stirbt, treten nach
Elisabeth Kübler-Ross folgende Phasen auf:
Phase 1Nicht wahrhaben wollenIsolierung
Verdrängung• Ungünstige Informationen nicht zur Kenntnis nehmen
• Wert auf Äusserlichkeiten legen
• Zukunftspläne schmieden
• Wird die Situation zur Gewissheit ▷ Rückzug
▷ Nicht widersprechen – gesprächsbereit sein
Phase 2Wut und Suche nach einem Schuldigen
Aggressive Auseinandersetzung mit dem Schicksal • ungerechtfertigte Vorwürfe gegen die Umgebung
• Aggressive Handlungen und Unzufriedenheit
▷ Nicht persönlich nehmen
Phase 3Verhandeln
Kämpfen gegen das Schicksal mit allen Mitteln• Hoffnung ▷ Verschiedene Therapien ausserhalb des
medizinischen Angebotes werden ausprobiert, darunter
evtl. auch unseriöse «Wundermittel»
▷ Illusionäre Hoffnungen nicht unterstützen
Phase 4Depression
Irreale Hoffnungen• Ausflüchte und Abwehrmechanismen sind abge-
schlossen
• Niedergeschlagenheit – Loslassen des Lebens
• Patient zieht sich zurück
▷ Zeigen Sie Verständnis für die Situation
Phase 5AkzeptanzVersöhnung mit dem Schicksal
Akzeptieren der Situation• Kein Hadern mit dem Schicksal
• In dieser Situation kann der Patient viel Kraft auf die
Umgebung ausstrahlen
Unheilbare Erkrankungen und Tod
Phasen der Krankheitsbewältigung und Sterbephasen
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Unheilbare Erkrankungen und Tod 103
Krankheitsbilder und spezifische Kommunikation
Umgang mit Sterbe- und TrauerphaseUnheilbar kranke Menschen
Der Tod ist ein Thema, über das niemand gerne redet…
Dabei begegnet der Tod den meisten Menschen ja sehr, sehr häufig – ob in Spielfilmen, den
Nachrichten oder Dokumentationen – der Tod durch Gewalt oder Katastrophen ist allgegen-
wärtig. Aber es ist immer der Tod der anderen – aus der sicheren Distanz.
Der Tod beendet alles!Wer religiös ist und daran glaubt, dass es eine andere Form von Leben nach dem Leben gibt,
der findet den Tod vielleicht gar nicht so schlimm. Im Mittelalter, als viele Menschen ein sehr
schweres Leben hatten, galt das Diesseits als «Jammertal, das nur zu durchschreiten war, um
zum Eigentlichen vorzudringen.
Die Sicht der Menschen in den Industrieländern auf das Leben ist heute wohl eher so: «Es ist
die einzige Gelegenheit, die du hast – mach was draus.» Ein 85-Jähriger, der ein langes Leben
gelebt hat, wird leichter loslassen können als ein 45-Jähriger. Das Entsetzen über einen
frühen Tod drückt ja implizit aus, dass da viel wertvolle Zeit abgeschnitten wird. Dieses
Empfinden setzt aber voraus, dass die Menschen ihr Leben überwiegend als schön empfinden.
Aber Todesangst hat doch jeder?
Was passiert eigentlich mit jemandem, der erfährt, dass er nicht mehr lange zu leben hat?
Jeder Sterbende leidet an der Gewissheit, seine Welt zu verlieren. Längst nicht jeder akzep-
tiert seinen Tod. Aber oft ist der Ablauf so, dass nach einer Phase des Schocks, der grossen
Angst und Desorientierung eine Phase der Anpassung und Bewältigung eintritt.
Elisabeth Kübler-Ross beschrieb den Prozess, den die Patienten durchlaufen, wenn sie die
Nachricht einer unheilbaren Krankheit erhalten und stellte fest, dass auch Angehörige und
enge Freunde in der Trauerphase denselben Prozess durchlaufen.
Selbst wenn Sie mit dem Tod eines Ihnen bekannten Menschen rechnen – etwa, weil er
unheilbar krank ist –, fällt es oft sehr schwer, den Hinterbliebenen sein Beileid zu zeigen und
es in Worte zu fassen. Mitgefühl, also Empathie ist in gewissem Mass gefragt. Diese zuzu-
lassen und zu formulieren, fällt vielen Menschen schwer, Hilflosigkeit macht sich breit.
Teilen Sie den Hinterbliebenen Ihre Betroffenheit mit, denn geteiltes Leid ist halbes Leid.
Auch wenn Sie den Verstorbenen nicht gut kannten, sind mitfühlende Worte gefragt.
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Krankheitsbilder und spezifische Kommunikation
104 Krankheitsbilder und spezifische Kommunikation
Der italienische Philosoph und Therapeut Piero Ferucci schreibt in seinem Buch «Nur die
Freundlichen überleben»: «Leidende Menschen brauchen keine Diagnosen, Ratschläge,
Deutungen, Beeinflussungen, sondern echtes, bedingungsloses Einfühlungsvermögen. Sobald
sie wenigstens das Gefühl haben, dass jemand sich mit ihren Erfahrungen identifiziert, können
sie ihr Leiden loslassen und geheilt werden.»
Die grössten Fehler sind immer noch
• Gar nicht reagierenLassen Sie die Hinterbliebenen nicht mit ihren Emotionen allein.
• Zu spät reagierenHandeln Sie so schnell wie möglich. Die ersten Beileidsbekundungen sind die
wertvollsten, da der Trauernde sich nach Beistand und Trost sehnt. Jeder möchte
wissen, dass auch andere den geliebten Menschen vermissen und um ihn trauern.
• ÜbertreibenVerzichten Sie auf jegliche Theatralik, die den Hinterbliebenen depressiv stimmt,
statt ihn zu trösten. Ihre Anteilnahme sollte mitfühlend, doch nicht herzzer-
reissend formuliert sein.
• Standardisierte BeileidsbekundungenVerstecken Sie sich nicht hinter Floskeln. Sätze wie «Hiermit möchten wir Ihnen
zum Tod Ihrer Frau unser Beileid bekunden» klingen abgedroschen. Formulieren
Sie Ihre Gefühle mit eigenen Worten.
MUSTER
Kommunikation und Umgang mit Patienten - Medizinischer Lehrmittelverlag Bieri & Weder
Brigitte Sallmann, Denise Ebner Koller 2015
Lehrkraftausgabe
Unheilbare Erkrankungen und Tod 105
Krankheitsbilder und spezifische Kommunikation
7.3.2 Arbeitsteil
1. K O N S E Q U E N Z
2. F O R M U L A R E
3. M E T H A D O N
4. M O B I L I T A E T
5. T U E R E
6. K O G N I T I V E N
7. E M O T I O N A L
8. T A K T I L E N
9. A U G E N
10. T A F E L
11. K I N D E R
12. A U T O R I T A E T E N
13. L E B E N S
Lösungswort: Kommunikation
1 In der Praxis brauchen Süchtige Stärke, Konsequenz und nicht die Unterstützung
der Schwächen.
2 Bei Süchtigen dürfen Sie keine Rezeptformulare herumliegen lassen!
3 Eine bestimmte Ersatzdroge hat den Namen: Methadon.
4 Körperlich behinderte Menschen sind in der Bewegung, der Mobilitaet und der
Unabhängigkeit eingeschränkt (ä = ae).
5 Bei Patienten mit Gehhilfen ist es schon hilfreich, die Türe zu öffnen (ü = ue).
6 Geistig behinderte Menschen haben Einschränkungen im kognitiven,
7 sensorischen, motorischen, verbalen, psychischen und emotional-sozialen Bereich.
8 Bei geistig Behinderten sind auch Beeinträchtigungen im taktilen, olfaktorischen
und gustativen Bereich vorhanden.
9 60 Prozent aller Sinneswahrnehmungen gehen über die Augen.
10 Für gehörlose und stumme Menschen kann es zweckmässig sein, eine Sprechtafel einzusetzen, um die Kommunikation zu erleichtern.
11 Kinder haben ein feines Gespür dafür, ob das, was man ihnen mitteilt, auch
stimmt.
12 Bei Menschen aus fremden Kulturen ist nebst vielem anderen auch der Umgang mit
Hierarchien und die Akzeptanz von Autoritaeten anders als bei uns (ä = ae).
13 Alte Menschen stehen am Ende im Kontinuum des Lebens als Werdender, Seiender
und Vergehender.
MUSTER
Kommunikation und Umgang mit Patienten - Verlag Bieri & Weder
Brigitte Sallmann, Denise Ebner Koller 2015
Lehrkraftausgabe
Krankheitsbilder und spezifische Kommunikation
106 Krankheitsbilder und spezifische Kommunikation
7.3.3 Arbeitsteil
Ordnen Sie anhand des Textinhalts die unterschiedlichen Phasen zu.
Phase Depression
«Was bin ich noch wert?» Durch die vielfach mit der Erkrankung verbundene zunehmende
Funktionseinschränkung von Gliedmassen durch Schmerzen, Rollenverluste (z. B. als Famili-
enversorger), durch Veränderung des Körperbildes etc. kommt es zu einem Einbruch des
Selbstwertgefühls bis hin zu einer existentiellen Verzweiflung der Patienten. Ihre Verletzlich-
keit hat zugenommen. Jetzt scheinen die Patienten ständig Hilfe zu fordern, sind aber nicht
in der Lage, diese auch anzunehmen. Das frustriert – und somit besteht die Gefahr eines
«gekränkten Rückzuges» seitens der Familie. Aber gerade jetzt brauchen die Patienten eine
kontinuierlich aufrechterhaltene Beziehung, so dass sie spüren, dass sie in ihrer Depressivität
und mit ihrer Erkrankung verstanden werden.
Phase Verhandeln
In dieser Phase versuchen die Patienten durch das Erbringen von Opfern (Wallfahrten,
Spenden, Hinwendung zu unbewiesenen Behandlungsmethoden und Aufbringen grosser
Geldsummen) einen «Handel mit dem Schicksal»* zu schliessen.
Phase Aggression
«Warum gerade ich?» Die Patienten sind wütend, gekränkt und enttäuscht über den Einbruch
der Krankheit in ihr Leben, sie hadern mit Gott und der Welt. Oft wird diese Wut und Aggres-
sion nicht offen geäussert, sondern unbewusst auf die Bezugsperson (Familie, Pflegeperson)
projiziert, was sich dann durchaus in Form von Vorwürfen und Kritik – sogar beleidigend –
äussern kann. Die Patienten erscheinen häufig ungeduldig, gereizt, ungerecht und unein-
sichtig.
Wichtig – vor allem für die Angehörigen – ist jetzt, dieses Verhalten nicht persönlich zu
nehmen, denn die Aggression der Patienten gilt im Grunde der Krankheit, nicht Ihnen. Die
Patienten brauchen jetzt trotz des ablehnenden Verhaltens Geduld und ein kontinuierlich
aufrechterhaltenes Kommunikationsangebot.
Phase Akzeptanz
In dieser Phase der Krankheitsverarbeitung haben die Patienten ihre Erkrankung ange-
nommen, neue Rollendefinitionen für sich gefunden und somit auch ihren Platz im Leben
wiedergefunden. Leider ist das Erreichen dieser Phase nicht selbstverständlich, sie wird nicht
immer erlangt.
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Kommunikation und Umgang mit Patienten - Medizinischer Lehrmittelverlag Bieri & Weder
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Lehrkraftausgabe
Unheilbare Erkrankungen und Tod 107
Krankheitsbilder und spezifische Kommunikation
Phase Schock/Verleumdung
Die Konfrontation mit der Diagnose einer schweren Erkrankung, die womöglich mit körperli-
chen Funktionseinbussen und Schmerzen einher geht und einen sich verschlimmernden
Verlauf erwarten lässt, führt häufig zu einem Schock, zu Unruhe und Angst. Kognitive
(intellektuelle) Fähigkeiten zeigen sich dann oft (vorübergehend) eingeschränkt. Das Nicht-
wahr-haben-Wollen kann in so einer Situation eine Pufferwirkung haben, die es dem
Patienten ermöglicht, die Tatsache, wirklich krank zu sein, nach und nach wahrzunehmen. Es
kann aber auch zu unrealistischen Verhaltensweisen kommen wie: Glauben an Fehldiagnosen
bis zur Verzögerung der Behandlung. In dieser Phase braucht der Patient vor allem mensch-
liche Wärme und Verständnis.
Aus dem Bechterew-Brief Nr. 79 (Dez. 1999), www.bechterew.de
Von Magister Franz Wendtner, Psychologe und Psychotherapeut Österreich
MUSTER
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Lehrkraftausgabe
Patiententypen
108 Patiententypen
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Lehrkraftausgabe
Der Nörgler 109
Patiententypen
8 Patiententypen
8.1 Der Nörgler
Nörgler wollen keine Probleme lösen – sie finden immer einen Anlass zu nörgeln.
Frau X. steht bereits wieder am Empfang, obwohl sie erst seit 3 Minuten im Wartezimmer
sitzt. «Sie haben gesagt, dass es heute schneller geht! Ich muss aber schon wieder warten!»
Ihre Körpersprache verrät Distanz – vor der Brust verschränkte Arme und hoch gezogene
Augenbrauen, dazu das offensichtlich genervte Rollen der Augen. Behalten Sie ihre gute
Laune! Lassen Sie sich auf keine verbale Diskussion ein (Trennung Sachebene und emotionale
Ebene), auch wenn die Patientin sich unangemessen verhält. Falls die Wartezeiten wirklich
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Lehrkraftausgabe
Patiententypen
110 Patiententypen
sehr lang sind, entschuldigen Sie sich: «Es tut uns leid, wir hatten einen Notfall und sind
daher in unserem Programm etwas verzögert.» Vielleicht können Sie einen Termin zu einem
späteren Zeitpunkt anbieten. Versuchen Sie eine gemeinsame Lösung zu finden!
Vielleicht gelingt es, den Nörgler mit einem Gespräch abzulenken – eine meist erfolgreiche
Strategie.
8.2 Der Besserwisser
Durch die Medieninformation fühlt sich heute jede Person über Gesundheitsfragen informiert.
Patienten, die mit einem Halbwissen alles kommentieren und hinterfragen müssen, erweisen
sich als mühsam.
Besserwisser sind meistens unsichere Menschen, die sich hinter einem Pseudowissen verste-
cken. Ob ihre Information richtig ist oder nicht, spielt dabei keine Rolle – sie benutzen ihr
vermeintliches Wissen als Ausdruck von Kompetenz. Im Falle einer Kritik fassen sie dies sehr
persönlich auf. Nehmen Sie den Patienten ernst! Zeigen Sie ihm jedoch unmissverständlich,
dass die medizinische Kompetenz beim Arzt bzw. dem Praxisteam liegt.
MUSTER
Kommunikation und Umgang mit Patienten - Medizinischer Lehrmittelverlag Bieri & Weder
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Lehrkraftausgabe
Der Angsthase 111
Patiententypen
8.3 Der Angsthase
Patienten können Angst vor einer Diagnose, oder einer bestimmten Behandlung haben. Die
moderne Medizin mit ihrer Technik und die immer wieder vorkommenden negativen Bericht-
erstattungen in den Medien tragen das Übrige dazu bei.
Eine wichtige Aufgabe ist es, den ängstlichen Patienten zu erkennen und ihm dabei zu
helfen, seine Angst zu überwinden.
Ängstliche Patienten wirken oft unsicher, schreckhaft und vielleicht auch gehetzt. Der Blick
wirkt unruhig, die Sprache ist abgehakt, sie können sich schlecht konzentrieren, die Hände
sind feucht und vielleicht bilden sich sogar Schweissperlen auf der Stirn.
Beim Umgang mit diesen Patienten ist besonders wichtig, dass sie sich nicht von der Nervo-
sität oder der Ungeduld des Patienten anstecken lassen. Sprechen Sie seine Angst mit ruhiger
Stimme an, denn schon das Sprechen über die Angst hilft dem Patienten. Vermeiden Sie
Fachausdrücke die den Patienten noch mehr verunsichern. Vermitteln Sie die Botschaft: «In
unserer Praxis werden wir ihnen helfen.» Bedenken Sie, dass beschwichtigende Formulie-
rungen wie: «Sie müssen doch keine Angst haben!» sinnlos sind und der Patient sich unver-
standen fühlt.
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Kommunikation und Umgang mit Patienten - Verlag Bieri & Weder
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Lehrkraftausgabe
Patiententypen
112 Patiententypen
8.4 Aufdringliche Patienten
Aufdringlichen und schamlosen Menschen fehlt das Gespür für die Grenzen zu anderen
Menschen – gerade aufdringliche Menschen verletzen die Distanzzonen häufig. Dies kann sich
äussern durch Berührungen oder unakzeptabler Nähe. Diese Patienten merken nicht, dass dies
häufig auf andere Personen unangenehm und verletzend wirkt. Berührt Sie der Patient,
schieben Sie ihn unmissverständlich auf einen grösseren Abstand von sich weg. Sehen Sie
ihn dabei freundlich, aber streng an. Versteht er dieses Signal nicht, geben Sie ihm klar zu
verstehen, dass Sie keine Berührungen wünschen. Aufdringliche Patienten brauchen klare
Signale. Bleiben ihre Ansagen wirkungslos, besprechen Sie sich mit ihren Kolleginnen,
eventuell auch mit Ihrem Chef.
8.5 Schamlose Patienten
Versuchen Sie zuerst einzuordnen, weshalb sich der Patient so verhält. Möglicherweise kennt
er die Grenzen des guten Verhaltens nicht – oder es könnte eine krankhafte Erscheinung sein,
sich absichtlich, z. B. durch eine psychische Krankheit bedingt, über Schamgrenzen hinweg-
zusetzen und damit eine aktive Verletzung der Regeln des Zusammenlebens zu begehen.
Beachten Sie: Patienten, die sich aufgrund einer Erkrankung schamlos verhalten, sind in
besonderer Weise schutzbedürftig. Eine ablehnende Haltung dem Patienten gegenüber wäre
insofern unangebracht. Das bedeutet, Sie müssen gegen Ihren spontanen Affekt handeln und
den Patienten (anstatt ihn mit deutlichen Worten zu verweisen) aus der Öffentlichkeit (etwa
am Empfang der Praxis) in eine geschützte Umgebung (zum Beispiel ein Untersuchungs-
zimmer) bringen, um dort die akute Situation zu regulieren.
Bei der Beurteilung, ob ein Patient sich schamlos verhält oder nicht, ist es wichtig, die
eigene Einstellung zum Thema «Scham» und die Gründe dafür kritisch zu betrachten.
Für Menschen, die im Vollbesitz ihrer emotionalen und geistigen Fähigkeiten erheblich gegen
die Regeln der Scham und des zwischenmenschlichen Umgangs verstossen, gilt jedoch:
Machen Sie rasch und unmissverständlich, aber ohne jeden Ausdruck persönlicher Wertung
klar, dass ein solches Verhalten in einer Arztpraxis nicht erwünscht ist. Als professioneller
Betrachter sollten Sie daher stets die krankheitsbedingten Abweichungen eines Patienten
berücksichtigen und Ihr Urteil über die jeweilige Person danach ausrichten.
8.6 Bekannte des Chefs
Verwandte, Freunde und Bekannte des Chefs können eine besondere Herausforderung sein!
Meist glauben diese Patienten, einen Sonderstatus zu haben! Sätze wie: «Ich kenne Dr. X
persönlich…» dürften Ihnen bekannt sein. Auch denken diese Patienten, dass die Praxis-
regeln vor allem für alle andern Patienten gelten.
Hier sind klare Abmachungen mit Ihrem Chef zu treffen.
MUSTER
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Lehrkraftausgabe
Lebenszeit von Emma 113
Entwicklungspsychologie
9 Entwicklungspsychologie
9.1 Lebenszeit von Emma
9.1.1 Arbeitsteil
Auftrag: Bearbeiten Sie in 3er-Gruppen den Lebenslauf von Emma.
Lebenszeit von Emma: 0-1 Jahre
Mit wem sitzt Emma am Frühstückstisch?
Was lernt Emma in dieser Zeit vor allem für ihr Leben?
Womit beschäftigt Emma sich die meiste Zeit während dieses Lebensabschnitts?
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Kommunikation und Umgang mit Patienten - Verlag Bieri & Weder
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Lehrkraftausgabe
Entwicklungspsychologie
114 Entwicklungspsychologie
Wenn man Emma fragen würde: Was wäre das ALLERWICHTIGSTE in ihrem Leben zu dieser
Zeit?
Lebenszeit von Emma: 1-3 Jahre
Mit wem sitzt Emma am Frühstückstisch?
Was lernt Emma in dieser Zeit vor allem für ihr Leben?
Womit beschäftigt Emma sich die meiste Zeit während dieses Lebensabschnitts?
Wenn man Emma fragen würde: Was wäre das ALLERWICHTIGSTE in ihrem Leben zu dieser
Zeit?
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Lehrkraftausgabe
Lebenszeit von Emma 115
Entwicklungspsychologie
Lebenszeit von Emma: 3-6 Jahre
Mit wem sitzt Emma am Frühstückstisch?
Was lernt Emma in dieser Zeit vor allem für ihr Leben?
Womit beschäftigt Emma sich die meiste Zeit während dieses Lebensabschnitts?
Wenn man Emma fragen würde: Was wäre das ALLERWICHTIGSTE in ihrem Leben zu dieser
Zeit?
MUSTER
Kommunikation und Umgang mit Patienten - Verlag Bieri & Weder
Brigitte Sallmann, Denise Ebner Koller 2015
Lehrkraftausgabe
Entwicklungspsychologie
116 Entwicklungspsychologie
Lebenszeit von Emma: 6-12 Jahre
Mit wem sitzt Emma am Frühstückstisch?
Was lernt Emma in dieser Zeit vor allem für ihr Leben?
Womit beschäftigt Emma sich die meiste Zeit während dieses Lebensabschnitts?
Wenn man Emma fragen würde: Was wäre das ALLERWICHTIGSTE in ihrem Leben zu dieser
Zeit?
MUSTER
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Lehrkraftausgabe
Lebenszeit von Emma 117
Entwicklungspsychologie
Lebenszeit von Emma: 12-25 Jahre
Mit wem sitzt Emma am Frühstückstisch?
Was lernt Emma in dieser Zeit vor allem für ihr Leben?
Womit beschäftigt Emma sich die meiste Zeit während dieses Lebensabschnitts?
Wenn man Emma fragen würde: Was wäre das ALLERWICHTIGSTE in ihrem Leben zu dieser
Zeit?
MUSTER
Kommunikation und Umgang mit Patienten - Verlag Bieri & Weder
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Lehrkraftausgabe
Entwicklungspsychologie
118 Entwicklungspsychologie
Lebenszeit von Emma: 25-35 Jahre
Mit wem sitzt Emma am Frühstückstisch?
Was lernt Emma in dieser Zeit vor allem für ihr Leben?
Womit beschäftigt Emma sich die meiste Zeit während dieses Lebensabschnitts?
Wenn man Emma fragen würde: Was wäre das ALLERWICHTIGSTE in ihrem Leben zu dieser
Zeit?
MUSTER
Kommunikation und Umgang mit Patienten - Medizinischer Lehrmittelverlag Bieri & Weder
Brigitte Sallmann, Denise Ebner Koller 2015
Lehrkraftausgabe
Lebenszeit von Emma 119
Entwicklungspsychologie
Lebenszeit von Emma: 35-50 Jahre
Mit wem sitzt Emma am Frühstückstisch?
Was lernt Emma in dieser Zeit vor allem für ihr Leben?
Womit beschäftigt Emma sich die meiste Zeit während dieses Lebensabschnitts?
Wenn man Emma fragen würde: Was wäre das ALLERWICHTIGSTE in ihrem Leben zu dieser
Zeit?
MUSTER
Kommunikation und Umgang mit Patienten - Verlag Bieri & Weder
Brigitte Sallmann, Denise Ebner Koller 2015
Lehrkraftausgabe
Entwicklungspsychologie
120 Entwicklungspsychologie
Lebenszeit von Emma: ab 50 Jahren
Mit wem sitzt Emma am Frühstückstisch?
Was lernt Emma in dieser Zeit vor allem für ihr Leben?
Womit beschäftigt Emma sich die meiste Zeit während dieses Lebensabschnitts?
Wenn man Emma fragen würde: Was wäre das ALLERWICHTIGSTE in ihrem Leben zu dieser
Zeit?
MUSTER
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Lehrkraftausgabe
Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung 121
Entwicklungspsychologie
9.2 Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung
Das Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung wurde von Erik Erikson im Jahre 1950
entwickelt und beschreibt 8 Lebenskrisen.
Entwicklung
Grundlage1. Lebensjahr
+ Vertrauen
• körperliche Nähe
• Zuwendung, Liebe
• Sicherheit, Schutz
• Nahrung
Grundlegendes Gefühl der Sicherheit
- Misstrauen
• Angst vor dem «Verlassenwerden»
• Grundbedürfnisse werden nicht gestillt
Entwicklung von Unsicherheit und Angst
Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung
1. Lebensjahr
MUSTER
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Lehrkraftausgabe
Entwicklungspsychologie
122 Entwicklungspsychologie
2.-3. Lebensjahr Entwicklung
Grundlage2.-3. Lebensjahr
+ Autonomie
• lernt Freiheiten und Grenzen kennen
• entfaltet Neugierde
• darf «Trockenwerden» selber steuern
• lernt Gehen und Sprache
Wahrnehmung der eigenen Person
Eigene Körperkontrolle ▷ Selbstständigkeit
- Zweifel – Scham
• zu enge Grenzen
• zu viel Kontrolle über das Kind
• wird gezwungen zum «Trockenwerden»
Es entstehen Selbstzweifel ▷ Das Kind ist schnell
entmutigt.
Entwickelt wird die ansteigende Selbstständigkeit des Kindes durch die neu erworbenen
Fähigkeiten des Gehens, des Sprechens und der Stuhlkontrolle = Identität. Die Basis für diese
Selbstständigkeit beruht auf dem Vertrauen in die Bezugsperson und in sich selbst. Für das
Kind muss das Gefühl entstehen, auszuprobieren bzw. den eigenen Willen durchsetzen zu
dürfen, ohne das Vertrauen zu gefährden.
Das eigene Ausscheiden ist, was das Kleinkind selbst produzieren bzw. kontrollieren kann. Die
immer wiederkehrende Einschränkung der Art und Weise wie sich ein Kind verhalten soll,
kann zur Folge haben, dass das Kind seine Bedürfnisse als unakzeptabel bzw. als «schmutzig»
wahrnimmt. Wird das Kind von den Erziehenden zu früh zur Reinlichkeit gezwungen und
damit überfordert, entsteht das Gefühl des Versagens. Beim Kind entsteht in der Folge Scham
und der Zweifel an der Richtigkeit der individuellen Wünsche und Bedürfnisse.
In dieser Zeit entwickelt das Kind auch Vorstellungen über «Ich» und «Du». Es lernt, dass es
ein Einzelwesen mit Wünschen und Bedürfnissen ist. Es entdeckt, dass es einen eigenen
Willen besitzt und versucht, diesen mit Heftigkeit durchzusetzen – Trotzphase. Je nach
Temperament des Kindes und dem Druck, den Erziehende ausüben, wird die Trotzphase zu
einer Herausforderung.
MUSTER
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Lehrkraftausgabe
Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung 123
Entwicklungspsychologie
4.-5. LebensjahrEntwicklung
Grundlage4.-5. Lebensjahr
+ Initiative
• darf sich nützlich fühlen
• kann Verantwortung übernehmen
• verfügt über grössere Bewegungsfreiheit
• kann «Gut und Böse» unterscheiden
Vertraut auf eigene Initiative und Kreativität
- Schuldgefühl
• dem Kind wird nichts zugetraut
• das Kind wird überfordert
Es entstehen Schuldgefühle ▷ mangelndes Selbst-
wertgefühl
Das Kind differenziert sich zunehmend von der Umwelt und versucht die Realität zu erkunden,
was sich in unzähligen Fragen äussert. Es beginnt einfache Zusammenhänge und Begrün-
dungen zu begreifen. Das Kind liebt Nachahmungs- und Rollenspiele und schliesst Freund-
schaften. Es ist wichtig, dass das Kleinkind lernt, Anforderungen ohne fremde Hilfe zu erle-
digen – dies fördert die Initiative.
Zusätzlich ist in diesem Alter die Gewissensentwicklung wichtig. Hierbei geht es um die
Reifung der kindlichen Moral. Die Basis für die Entwicklung des Gewissens ist gefestigt, das
Kind fühlt sich beim «Entdecktwerden» einer Missetat unwohl und beschämt. Es empfindet
Schuld.
9.2.1 Arbeitsteil
Erinnern Sie sich?
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Lehrkraftausgabe
Entwicklungspsychologie
124 Entwicklungspsychologie
6.-12. Lebensjahr Entwicklung
Grundlage6.-12. Lebensjahr
+ Werksinn(Leistung)
• Kind will beobachten und teilnehmen
• lernt eine Arbeit abzuschliessen
• verbessert seine sozialen Fähigkeiten –
knüpft Freundschaften
Es entsteht Leistungsbereitschaft ▷ Kompetenzen
werden erworben, Interesse wird geweckt.
- Minderwertigkeit
• Mangel an Lob und Anerkennung
• häufige Kritik
• ausgeschlossen sein – keine Freund-
schaften
Gefühl des Versagens ▷ Minderwertigkeitsgefühl
Kinder in diesem Alter wollen nicht mehr «so tun als ob», sie wollen zusehen und mitmachen.
Wichtig ist auch, dass man ihnen zeigt, wie man etwas macht. Hier entwickelt sich der
Werksinn des Kindes = Leitstungsfähigkeit. Kinder müssen gefördert werden, man soll sie
dafür begeistern, etwas zu tun. Stellen Eltern zu hohe Ansprüche an die Kinder und überfor-
dern sie, scheitern sie in dieser Phase. Erfolgserlebnisse bleiben aus und somit entsteht ein
Gefühl der Minderwertigkeit und Schwäche.
Einüben der «Spielregeln» des sozialen Verhaltens:
• sich ein- und unterordnen
• Grenzen kennen und akzeptieren lernen
• sich durchsetzen
• nach Anerkennung streben
• Rolle mit Pflichten und Rechten übernehmen
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Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung 125
Entwicklungspsychologie
13.-25. LebensjahrEntwicklung
Grundlage13.-25. Lebensjahr
+ Identität
• Eintritt der sexuellen Reife
• Auseinandersetzung mit dem Leben
• Gefühle für das andere Geschlecht
• Förderung von Begabungen
Es entwickelt sich Selbstvertrauen ▷ Zuversicht.
Bewusstwerden der eigenen Position in der Gesell-
schaft
- Verschwommene Identität
• Verwirrung durch körperliche Verände-
rungen
• Ablösungsproblematik
• übermässig rebellisches Verhalten
Platz in der Gesellschaft ist nicht gefunden ▷ Rückzug (Sekten, irreale Welt)
Identität ist wichtig, man weiss wer man ist und man weiss um die eigene Position in der
Gemeinschaft. In dieser Entwicklungsstufe gestalten die Jugendlichen ihr Selbstbild, indem
sie all ihr Wissen über sich selbst und die Welt bündeln. Man sucht die soziale Rolle, z. B.
durch Auseinandersetzung und In-Frage-Stellen der Bezugspersonen, durch Auseinanderset-
zung mit dem anderen Geschlecht, die Rolle im Beruf und die Rolle in der Gruppe der
Gleichaltrigen. Diese Identitätsbildung gelingt besser, wenn man möglichst viele positive
Erfahrungen gesammelt hat und sich gesundes Selbstvertrauen entwickelt. Ist dies nicht der
Fall, kommt es zu einer Identitätsstörung. Bewältigt der Jugendliche diese nicht, so stösst
er auf Zurückweisung. Er zieht sich zurück und gelangt so möglicherweise in eine Gruppe, die
ihm eine gemeinsame Identität anbietet, allerdings oft in eine, die gegen demokratische und
gesellschaftliche Grundregeln verstösst.
Frühadoleszenz: 10. Lebensjahr – 14. LebensjahrPubertät – Veränderungen, die mit der körperlichen und sexuellen Reifung verbunden sind.
Beginn einer grossen psychischen Arbeitsphase: «Sich selbst akzeptieren» und Akzeptanz des
«neuen» Körpers (neue Empfindungen, Wünsche, Fantasien, Lustgefühle). Besonders bei
Mädchen ist diese Umbruchphase durch Rückzug, Verstimmungen, Reizbarkeit, Unlustgefühle
und Selbstzweifel charakterisiert. Abfall von Interesse an körperlicher Aktivität und schuli-
schen Leistungen – Tagträumen….
MUSTER
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Lehrkraftausgabe
Entwicklungspsychologie
126 Entwicklungspsychologie
25.-35. Lebensjahr
Mittlere Adoleszenz: 15. Lebensjahr – 17. LebensjahrPhase der Auflehnung gegen Eltern, Lehrpersonen und Vorgesetzte. Es wird alles in Frage
gestellt und kritisch hinterfragt. Auseinandersetzungen sind unvermeidlich – Unfähigkeit,
Kritik zu akzeptieren. Innere Unsicherheit wird durch «cooles» Auftreten überspielt. In dieser
Zeit entwickeln Jugendliche ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl zu der eigenen Clique
(Geborgenheit, Sicherheit und Verständnis). Erprobung der eigenen Gefühle, Kontakt mit dem
anderen Geschlecht. Interesse: das eigene Erscheinungsbild, Markenkleider, Mode, Idole,
Figur etc.
Spätadoleszenz: 18. Lebensjahr – 25. LebensjahrNach innen: Wer bin ich? Wozu lebe ich? Wie möchte ich sein?
Nach aussen: Wie sehen mich andere? Was denken andere über mich? Was bin ich anderen
wert? Sind diese Fragen zum grossen Teil beantwortet, ist der Prozess der Identitätsfindung
abgeschlossen. Findet jemand nicht zu sich selber und/oder vermag keine Zukunftsperspek-
tive aufzubauen, spricht man von einer verschwommenen Identität. Obwohl die Gesellschaft
nicht perfekt ist, kann man in ihr leben und seinen Beitrag leisten, sie zu verbessern (das
gleiche gilt für zwischenmenschliche Beziehungen).
9.2.2 Arbeitsteil
Ihre Erfahrungen?
Entwicklung
Grundlage25.-35. Lebensjahr
+ Intimität
• Partnerwahl – Bindungsfähigkeit
• Übernahme von Verantwortung
• Ausprägung der Identität
Bindungsfähig – Beibehaltung der eigenen Iden-
tität
- Isolation
• Fehlende Ich-Identität
• Ohne Bindungen leben
• Abgrenzung
Isolation – Gefühl von Einsamkeit
In erster Linie steht hier die Erreichung von Intimität im Vordergrund, anstatt isoliert zu
bleiben.
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Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung 127
Entwicklungspsychologie
35.-50. Lebensjahr
Die Identitäten sind gereift, es wird möglich in eine Paarbeziehung zu treten. – Wunsch nach
einer stabilen Partnerschaft. Dabei ist wichtig, die unterschiedlichen Meinungen ernst zu
nehmen und Probleme rund um den Alltag und die Lebensgestaltung zu besprechen. Wird zu
wenig Wert auf intime Beziehungen (auch Freundschaften) gelegt, so kann Isolation
entstehen. Es ist jedoch wichtig, dass die Erfahrung der Isolation oder auch der Distanzie-
rung für alle wichtig ist – Entwicklung eines sinnvollen Verhältnisses.
Entwicklung
Grundlage35.-50. Lebensjahr
+ Generativität
• Gründung einer Familie
• Soziales Engagement
• Normen und Werte werden weitergegeben
Sorge um Familie, Gesellschaft und zukünftige
Generationen
- Stagnation
• Egozentrisch
• Ablehnung gegenüber Anderen
Isolation von den Mitmenschen – Gefühl von
Einsamkeit – Fehlende Zukunftsperspektive
Die Generativität (Schaffenskraft) gilt als die wichtigste Entwicklungsstufe. Es bedeutet, die
Liebe in die Zukunft zu tragen, sich um die folgende Generation zu kümmern. Was Erikson
damit meint, bedeutet nicht ausschliesslich eigene Kinder zu bekommen, sondern bezieht
sich auch auf die Künste, die Wissenschaft etc.
Bei fehlendem Antrieb (div. Gründe) tritt das genaue Gegenteil ein = Stagnation, man ist
ausschliesslich mit sich selbst beschäftigt. Das würde Ablehnung seitens der Mitmenschen
nach sich ziehen. Wer ein Mittelmass findet, also wer sich selbst und andere nicht vernach-
lässigt, der hat diese Phase bewältigt und die Fähigkeit zur Fürsorge erreicht.
Irgendwann im Laufe dieser Zeit tritt die sog. «Midlife crisis» ein. Je nachdem, wie das
bisherige Leben verlaufen ist (Verzichte, Verluste etc.) entsteht das Bedürfnis der Kompensa-
tion. Jeder Mensch, ob Mann oder Frau erlebt diese Krise anders, mehr oder wenig heftig, mit
mehr oder weniger persönlichen Konsequenzen, die jedoch oft mit Veränderungen der
bisherigen persönlichen Lebensumstände verbunden sind.
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Lehrkraftausgabe
Entwicklungspsychologie
128 Entwicklungspsychologie
50./60. – 80. Lebensjahr
9.2.3 Arbeitsteil
Ihre Beobachtungen?
Entwicklung
Grundlage50./60. – 80. Lebensjahr
+ Integrität
• Zufriedenheit – Weisheit
• Rückblick ohne Bedauern
• Keine Angst vor dem Tod
Sinn des Lebens erkennen
- Verzweiflung
• Unzufriedenheit
• Enttäuschung – Gefühl der Sinnlosigkeit
• Todesangst
Verachtung des eigenen Daseins
Menschen, die beruflich und/oder im privaten Bereich noch etwas Neues in Angriff nehmen
und solche, die sich auf die Pensionierung vorbereiten.
Aktive Generation – bei denen jedoch altersbedingte Einschränkungen oder Krankheiten
vermehrt auftreten.
In dieser letzten Entwicklungsstufe blickt der Mensch auf sein Leben zurück. Es geht also
darum, das bisherige Leben so wie es war zu akzeptieren, mit allen positiven und negativen
Erlebnissen und Ereignissen. Er soll seine Taten annehmen und den Tod nicht fürchten.
Verzweiflung äussert sich bei all jenen, die meinen, im Leben etwas falsch gemacht zu haben
und es aus diesem Grund noch einmal «leben» zu müssen. Der Mensch muss sich mit dem
Alter und dem Tod auseinandersetzen. Wer diese letzte Phase erfolgreich abschliesst, erlangt
Erikson zufolge Weisheit. Was nichts anderes bedeutet, als dem Tod entgegenzusehen, sein
Leben anzunehmen mitsamt den Fehlern und darin dann das Glück zu finden. Setzt sich der
Mensch in dieser Phase nicht mit Alter und Tod auseinander (spürt nicht die Verzweiflung
dabei!) kann das zu Anmassung und Verachtung dem Leben gegenüber führen (dem eigenen
und dem aller).
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Lehrkraftausgabe
Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung 129
Entwicklungspsychologie
9.2.4 Arbeitsteil
Zusammenfassung – Entwicklungsaufgaben nach Erikson
Setzen Sie die richtigen Begriffe ein!
Erik H. Erikson (1902 – 1994)
acht Entwicklungsaufgaben gesunden
konstruktive Entwicklung des Menschen
Der deutsch-amerikanische Arzt und Psychoanalytiker Erik H. Erikson unterscheidet in der
psychosozialen Entwicklung des Menschen insgesamt acht Phasen der
ICH-Entwicklung, die über die gesamte Lebensspanne hinweg ablaufen.
In jeder dieser Phasen gilt es bestimmte Entwicklungsaufgaben zu bewältigen.
Eine konstruktive Bewältigung dieser Aufgaben ermöglich die Entwicklung
einer gesunden Persönlichkeit.
9.2.5 Arbeitsteil
Zusammenfassung – Entwicklungsaufgaben nach Erikson
Setzen Sie die richtigen Begriffe ein!
0-1 Jahr: Vertrauen vs. Misstrauen
Misstrauen vertrauen Bezugspersonen
Lebensjahr Bedürfnisse misstrauen
Beziehungen
Im ersten Lebensjahr lernt ein Säugling, entweder seiner Umwelt zu vertrauen oder zu misstrauen Diese erste Entwicklungszeit gibt ihm das Gefühl der Sättigung,
der erhaltenen Zuwendung, der Liebe und Beständigkeit der Bezugspersonen . Werden die Bedürfnisse nicht ausreichend befriedigt, so entsteht ein grundle-
gendes Misstrauen . Beziehungen können später von Angst und Hemmungen
bestimmt sein.
MUSTER
Kommunikation und Umgang mit Patienten - Verlag Bieri & Weder
Brigitte Sallmann, Denise Ebner Koller 2015
Lehrkraftausgabe
Entwicklungspsychologie
130 Entwicklungspsychologie
9.2.6 Arbeitsteil
Zusammenfassung – Entwicklungsaufgaben nach Erikson
Setzen Sie die richtigen Begriffe ein!
1-3 Jahre: Autonomie vs. Scham/Zweifel
versagen früh zweifeln
Autonomie kritisiert Fähigkeiten
Scham
Das Kind entdeckt in dieser Zeit die Welt und seine Fähigkeiten sie zu erobern. Hat
es die Möglichkeit, seine Fähigkeiten auszuprobieren, so erwirbt es für die Zukunft Auto-nomie d.h. Kraft, selbständig zu handeln und zu entscheiden. Wird es zu stark kriti-siert und eingeschränkt, so lernt es, an sich selber zu zweifeln . Wird es zudem
zu früh zur Reinlichkeit gezwungen und überfordert, so entsteht durch das Gefühl
zu versagen eine grundlegende Scham haltung.
9.2.7 Arbeitsteil
Zusammenfassung – Entwicklungsaufgaben nach Erikson
Setzen Sie die richtigen Begriffe ein!
3-6 Jahre: Initiative vs. Schuldgefühle
Verbote ablösen Initiative
Schuldgefühle
Wenn das Kind in dieser Phase Aufmunterung und Lob für seine Initiative erhält,
wird es eher selbstbewusst und kann sich immer mehr ablösen Wird es für seine
Eigeninitiative getadelt und durch zu viele Verbote eingeschränkt, verzögert sich die
Ablösung und es entstehen Schuldgefühle .
MUSTER
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Brigitte Sallmann, Denise Ebner Koller 2015
Lehrkraftausgabe
Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung 131
Entwicklungspsychologie
9.2.8 Arbeitsteil
Zusammenfassung – Entwicklungsaufgaben nach Erikson
Setzen Sie die richtigen Begriffe ein!
6-12 Jahre: Leistung vs. Minderwertigkeit
Vergleich Leistungsfähigkeit Leistungen
Minderwertigkeitsgefühle
Das Kind ist jetzt bereit für die Schule und will Leistungen erbringen. Es ist interes-
siert und will Neues kennenlernen.
Wird es dabei unterstützt, so wird seine Leistungsfähigkeit gestärkt. Erfährt das
Kind hingegen im Vergleich zu seinen Kameraden, dass es den Ansprüchen nicht
genügen kann, entwickelt es Minderwertigkeitsgefühle .
9.2.9 Arbeitsteil
Zusammenfassung – Entwicklungsaufgaben nach Erikson
Setzen Sie die richtigen Begriffe ein!
12-25 Jahre: Identität vs. verschwommene Identität
Rolle Identität Kindheit
Überganges Adoleszenz Identität
ablöst Partner/in Ablösung
verschwommenen Identität Gruppe
Die Adoleszenz ist die Zeit des Überganges von der Kindheit ins
Erwachsensein. Indem der/die Jugendliche sich von den Eltern immer mehr ablöst und seine Rolle in einer Gruppe findet, entwickelt er/sie eine eigene Iden-tität . Gegen Ende dieser Phase wird die Gruppe (im Fachjargon peer-group)
weniger wichtig und die Person sucht sich einen/eine Partner/in . Gelingt
die Ablösung vom Elternhaus nicht oder findet die Person keine klare Identität (unklare Rolle in der Gruppe, Schwierigkeiten in der Berufswahl), kann das zu
einer verschwommenen Identität führen.
MUSTER
Kommunikation und Umgang mit Patienten - Verlag Bieri & Weder
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Lehrkraftausgabe
Entwicklungspsychologie
132 Entwicklungspsychologie
9.2.10 Arbeitsteil
Zusammenfassung – Entwicklungsaufgaben nach Erikson
Setzen Sie die richtigen Begriffe ein!
25-35 Jahre: Intimität vs. Isolation
Gesellschaft Aufgaben berufliche
Beziehung Entwicklung Isolation
In dieser Phase ist die Entwicklung stabiler sozialer Beziehungen wichtig, vor allem
aber einer stabilen Beziehung . Auch wird dann die eigene berufliche Kompe-
tenz entwickelt und so der Platz in der Gesellschaft klarer definiert. Wer
diese Aufgaben für sich nicht befriedigend lösen kann, läuft Gefahr, in eine vor allem
soziale Isolation zu geraten.
9.2.11 Arbeitsteil
Zusammenfassung – Entwicklungsaufgaben nach Erikson
Setzen Sie die richtigen Begriffe ein!
35-50 Jahre: Schaffenskraft vs. Rückzug
Gesellschaft sozialen Rückzug auf sich selber
Person
In dieser Phase richtet sich das Interesse über die eigene Person hinaus auf die
Familie, auf die Gesellschaft und die Zukunft der Welt. Man möchte etwas an andere
weitergeben und die persönlichen Fähigkeiten nutzen. Fehlt dieser Antrieb, so erfolgt
ein Rückzug auf sich selber . Das kann sich daran zeigen, dass jemand v.a. materi-
ellen Besitz in den Vordergrund stellt und die sozialen Kontakte deshalb vernachläs-
sigt.
MUSTER
Kommunikation und Umgang mit Patienten - Medizinischer Lehrmittelverlag Bieri & Weder
Brigitte Sallmann, Denise Ebner Koller 2015
Lehrkraftausgabe
Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung 133
Entwicklungspsychologie
9.2.12 Arbeitsteil
Zusammenfassung – Entwicklungsaufgaben nach Erikson
Setzen Sie die richtigen Begriffe ein!
Ab 50 Jahren: Lebenserfüllt vs. Verzweiflung
Verzweiflung Tod verpasst
erfüllt Gewöhnen Kräfte
In dieser Phase muss der Mensch sich mit seiner Pensionierung auseinandersetzen und damit,
was er nachher tut. Langsam lassen die Kräfte nach und der Mensch muss sich an
diese Veränderung gewöhnen . Die grosse Aufgabe ist, Abstand zu nehmen und sich
mit dem Tod von sich und geliebten Menschen auseinanderzusetzen. Der Mensch
kann in dieser Zeit gelassener werden und sein Leben als erfüllt wahrnehmen oder
er kann das Gefühl bekommen, vieles verpasst zu haben und in eine Verzweif-lung geraten.
Text in Anlehnung an den Sprechstundenassistenzordner, Kapitel 6.1.
9.2.13 Arbeitsteil
Welche Beobachtungen machen Sie bei älteren Menschen?
MUSTER
Kommunikation und Umgang mit Patienten - Verlag Bieri & Weder
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Lehrkraftausgabe
Entwicklungspsychologie
134 Entwicklungspsychologie
9.2.14 Arbeitsteil
Erstellen Sie eine Übersicht der psychosozialen Entwicklung (nach Erikson)
Lebensjahr Soz. UmfeldPositive Aspekte
Negative Aspekte
Vertrauen vs. Misstrauen
Autonomie vs. Selbstzweifel
Initiative vs. Schuldgefühl
Werksinn vs. Minderwertig-keitsgefühl
Identität vs. verschwommene Identität
Intimität vs. Isolierung
Generativität vs. Stagnation
Integrität vs. Verzweiflung
MUSTER
Kommunikation und Umgang mit Patienten - Medizinischer Lehrmittelverlag Bieri & Weder
Brigitte Sallmann, Denise Ebner Koller 2015
Lehrkraftausgabe
Rechte des Patienten 135
Rechte der Patienten Schweigepflicht
Rechte des Patienten
10 Rechte der Patienten Schweigepflicht
10.1 Rechte des Patienten
Der Patient hat immer und überall das Recht, über seinen eigenen Körper zu verfügen. Er
entscheidet, ob er sich behandeln lassen will oder nicht.
Der Patient gibt dem Arzt einen Auftrag zur Behandlung. Der Arzt kann aber die Übernahme
dieses Auftrags ablehnen, ausgenommen in lebensbedrohlichen Notfällen.
Recht auf Information
Der Patient hat das Recht, umfassend und sachlich informiert zu werden. Ohne Aufklärung
und Einwilligung des Patienten stellt jede Behandlung juristisch gesehen eine Körperverlet-
zung dar. Der Arzt ist deshalb verpflichtet, den Patienten unaufgefordert über Diagnose,
verschiedene Behandlungsmöglichkeiten und deren Vor- und Nachteile zu informieren. Nach
umfassender Information hat der urteilsfähige Patient das Recht, seine Meinung zu ändern.
Kein urteilsfähiger Patient darf zu einer Behandlung gezwungen werden (siehe Zwangsmass-
nahmen).
Zwangsmassnahmen
Im Ausnahmefall kann eine Zwangsmassnahme angeordnet werden. Voraussetzung ist dabei,
dass das Verhalten eines Patienten eine ernsthafte Gefährdung gegen sich und andere
darstellt.
Patientenverfügung
Ist ein Patient nicht mehr urteilsfähig, muss geklärt werden, ob eine Patientenverfügung
hinterlegt wurde oder eine Vertrauensperson genannt wurde.
Die Vertrauensperson muss entsprechend informiert werden und muss ihre Einwilligung für
die Behandlung geben.
Einsicht in das Patientendossier
Der Patient hat das Recht, sein Patientendossier einzusehen und sich den Inhalt erklären zu
lassen. Dies umfasst jedoch nicht die persönlichen Notizen des Arztes!
MUSTER
Kommunikation und Umgang mit Patienten - Verlag Bieri & Weder
Brigitte Sallmann, Denise Ebner Koller 2015
Lehrkraftausgabe
Rechte der Patienten Schweigepflicht
136 Rechte der Patienten Schweigepflicht
Datenschutz und Schweigepflicht
Krankengeschichten gehören zu den besonders sensiblen Daten und unterstehen dem Daten-
schutz. Zudem hat der Patient das Recht, die Krankengeschichte ausgehändigt zu bekommen
oder Kopien zu erhalten. Für Kopien kann die Arztpraxis oder das Spital eine Gebühr
verlangen.
Nur der Patient kann alle zum Schweigen verpflichteten Personen durch Ausstellen einer
persönlichen Ermächtigung von der Schweigepflicht entbinden.
10.2 Pflichten des Patienten
Patienten haben auch Pflichten
Der persönliche Beitrag zum Genesungsprozess kann niemals alleinige Aufgabe des Arztes
sein.
• Der Arzt ist auf ausführliche Angaben angewiesen. Es sollte auch Unangenehmes
und Peinliches nicht verschweigen werden.
• Der Patient hält sich an Therapievereinbarungen.
• Medikamente sollten nicht einfach abgesetzt werden.
• Rechnungen (gesetzliche Pflicht) von Ärzten, Spitälern, Therapeuten etc. sind zu
bezahlen.
10.3 Datenschutz und Schweigepflicht
Die Privatsphäre soll auch im Krankheitsfall möglichst gut geschützt sein. Ärzte und alle
Personen, die berufsmässig über den Gesundheitszustand von Patienten orientiert sind oder
die Krankengeschichte einsehen können, unterstehen der Schweigepflicht gegenüber Dritten
(z. B. Arbeitgeber, Angehörigen(!), Behörden und Versicherungen. Ausnahmen gelten bei
gewissen übertragbaren Krankheiten wie Tuberkulose oder bestimmten Geschlechtskrank-
heiten. Hier ist der Arzt verpflichtet, die Behörde zu informieren.
Welche Personen unterliegen der Schweigepflicht?
Gemäss Artikel 321 StGB unterstehen bestimmte Berufsgruppen sowie deren Hilfspersonen
der Schweigepflicht.
Berufsgruppen
• Ärztinnen und Ärzte
• Zahnärztinnen und Zahnärzte
• Apothekerinnen und Apotheker
• Hebammen
MUSTER
Kommunikation und Umgang mit Patienten - Medizinischer Lehrmittelverlag Bieri & Weder
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Lehrkraftausgabe
Datenschutz und Schweigepflicht 137
Rechte der Patienten Schweigepflicht
Hilfspersonen
• Das sind alle Personen, die eine der obengenannten Personen bei der Berufstätig-
keit unterstützen z. B. MPA, Pflegefachpersonen, Sekretariatsangestellte.
Das Nichtbefolgen der Schweigepflicht ist strafbar und kann mit Busse oder Gefängnis geahndet werden.
Welche Informationen werden von der Schweigepflicht erfasst?
Alle Daten, die Fachpersonen im Rahmen ihrer Tätigkeit von einem Patienten erfahren. Das
zwischen einem Patienten und der Fachperson ein Behandlungsverhältnis besteht, unterliegt
bereits der Schweigepflicht.
Meldungen ohne Befreiung von der Schweigepflicht
Grundsätzlich muss der Patient um eine Bewilligung ersucht werden, wenn Informationen aus
dem Behandlungsverhältnis an Dritte weitergegeben werden.
Melderecht:
Es gibt jedoch Fälle, bei denen Mitteilungen an bestimmte Stellen vorgenommen werden
dürfen. Dies liegt im Ermessen der Fachperson.
Von Interesse sind folgende Melderechte:
• Meldungen nach dem FU-Gesetz (Fürsorgerische Unterbringung)
• Melderecht nach Gesundheitsgesetz bei Straftaten
▷ Verbrechen gegen Leib und Leben (Körperverletzung, Tötung)
▷ öffentliche Gesundheit (Verbreitung von menschlichen Krankheiten)
• Meldung betreffend Fahrtüchtigkeit
• Melderecht nach StGB bei strafbaren Handlungen gegenüber Unmündigen
Meldepflichten:
Die Fachperson ist in aussergewöhnlichen Fällen dazu verpflichtet, eine Mitteilung an eine
bestimmte Behörde vorzunehmen.
Dies gilt bei:
• ausserordentlichen Todesfällen
• übertragbaren Krankheiten
Auskunftsrecht – Auskunftspflicht
• besteht im Rahmen von Strafverfahrenen betreffend Jugendliche
• ebenfalls im Zusammenhang mit der Unfallversicherung
MUSTER
Kommunikation und Umgang mit Patienten - Verlag Bieri & Weder
Brigitte Sallmann, Denise Ebner Koller 2015
Lehrkraftausgabe
Rechte der Patienten Schweigepflicht
138 Rechte der Patienten Schweigepflicht
10.3.1 Arbeitsteil
Die Nachbarin ihrer Eltern erscheint nach einem Sturz in der Praxis. Da Sie noch nicht lange
in dieser Praxis arbeiten, wirkt die Nachbarin etwas überrascht, Sie zu treffen. Sie wechseln
einige Worte miteinander. Am Ende des Gesprächs bittet die Nachbarin Sie, Ihren Eltern
«schöne Grüsse» auszurichten.
Was machen Sie?
Zur Sicherheit müssen Sie rückfragen, ob die Nachbarin dies wirklich möchte und schildern unter welchen Umständen sie einander getroffen haben. Der Gruss darf sonst nicht ausgerichtet werden und Sie müssen verschweigen, dass Sie die Nachbarin in der Praxis gesehen haben.
10.3.2 Arbeitsteil
Sie erzählen ihrer Familie beim Nachtessen vom Patienten, der sich durch Unachtsamkeit
selbst mit dem Hammer verletzt hat. Sie nennen weder Name noch wo der Patient wohnt. Am
Abend trifft ihr Vater denselben Patienten an einer Gemeindeveranstaltung. Er erzählt ihm
von seinem «Malheur». Der Vater lacht und meint «er hätte etwas gehört von diesem Unfall».
Welche Konsequenzen könnte dies haben?
MUSTER
Kommunikation und Umgang mit Patienten - Medizinischer Lehrmittelverlag Bieri & Weder
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Lehrkraftausgabe
Mein Team 139
Arbeiten im Team
Mein Team
11 Arbeiten im Team
11.1 Mein Team
11.1.1 Arbeitsteil
Wie setzt sich Ihr Team zusammen?
Umkreisen Sie die Personen, mit denen Sie ein gutes Verhältnis haben, grün, diejenigen, mit
denen Sie hin und wieder Schwierigkeiten haben, rot!
Notieren Sie stichwortartig, was Sie an der/den «roten Person/en» stört.
MUSTER
Kommunikation und Umgang mit Patienten - Verlag Bieri & Weder
Brigitte Sallmann, Denise Ebner Koller 2015
Lehrkraftausgabe
Arbeiten im Team
140 Arbeiten im Team
Team: Definition
…ist eine Gruppe von Menschen, die gemeinsam einen Auftrag zu erfüllen haben und dies
nur gemeinsam tun können. Jedes Mitglied dieses Teams steuert entsprechend seiner Fähig-
keit und Funktion seinen Beitrag zum Erfolg der zu bewältigenden Arbeit bei. Jedes Team hat
seine eigene Dynamik, geprägt vom Klima, der zu bewältigenden Aufgabe und deren Organi-
sation.
Ein Team ist ein empfindliches soziales Gebilde, das erst entstehen muss und in dem die
Mitglieder Vertrauen und eine tragfähige Beziehung zueinander entwickeln müssen, damit sie
erfolgreich sein können.
Dazu bedarf es einer Reihe von Voraussetzungen:
• überschaubare Arbeitsgruppe (drei bis 12 Mitglieder)
• gemeinsame Ziele
• Zusammengehörigkeitsgefühl
• stabiles Mitarbeiterteam
Regeln für die Zusammenarbeit:
• Alle Teammitglieder erhalten die gleichen Informationen.
• geregelte Arbeitsabläufe
• klare Ziele
• wertschätzende Kommunikation
• gute Feedbackkultur
Was ist in der Zusammenarbeit hinderlich?
• zu hohe Erwartungen an sich selber und andere Teammitglieder
• Kontrollbedürfnis
• Ratschläge erteilen
• Kompetenzüberschreitung
• Machtausübung
• Manipulation/unter Druck setzen
• Vergleichen
MUSTER
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Lehrkraftausgabe
Teamarbeit und Rollenverteilung 141
Arbeiten im Team
Teamarbeit und Rollenverteilung (Belbin R. Meredith, 1993, Team Roles at Work. Oxford. Butterworh Heinemann)
11.2 Teamarbeit und Rollenverteilung nach Dr. Meredith Belbin
Teamrollen im Überblick
Teamrolle Rollenbeitrag Charakteristika Zulässige Schwächen
Erfinder/Neuerer hat neue Ideen kreativ verträumt
Wegbereiter/Weichensteller knüpft Kontakte kommunikativ oft zu optimistisch
Koordinator/Integrator
ist entscheidungs-freudig
selbstsicher manipulativ
Macher ist mutig, «packt an»
dynamisch ungeduldig, reizbar
Beobachterbeobachtet und kommentiert Arbeitsabläufe
nüchtern wenig kreativ
Teamarbeiter/Mitspieler
verbessert Kommu-nikation
vermittelt bei Konflikten
wenig entschei-dungsfreudig
Umsetzer setzt Pläne in die Tat um
diszipliniert, verlässlich
unflexibel
Perfektionist vermeidet Fehlergewissenhaft, pünktlich
überängstlich
Spezialist liefert Fachwissen und Information
sachbezogenverliert sich oft in Details
MUSTER
Kommunikation und Umgang mit Patienten - Verlag Bieri & Weder
Brigitte Sallmann, Denise Ebner Koller 2015
Lehrkraftausgabe
Arbeiten im Team
142 Arbeiten im Team
Entwicklungsphasen eines Teams (Hotopp, 2000; zit. nach Rogall-Adam et al, S. 195)
11.3 Die Entwicklungsphasen eines Teams
Phasen Sachebene Beziehungsebene
1. Organisationsphase
Die Erwartungen der Team-mitglieder werden geklärt.Alle erhalten die wichtigsten Informationen und klare Zielvorgaben.
Die Mitglieder lernen sich kennen. Der Teamleiter gibt erste Anweisungen.
2. Positionsfindungs-phase
Die einzelnen Teammit-glieder erhalten Aufgaben – nicht alle sind mit der Aufteilung einverstanden und es kommt zu Diskussi-onen und Widerstand.
Jedes Teammitglied sucht seine Rolle und verteidigt diese. Wenn es seine bevor-zugte Arbeit nicht zugeteilt erhält, kommt es zu Konflikten.In grösseren Teams kann es zu Cliquenbildung kommen.
3. Kooperations- und Konsensphase
Die Aufgaben sind verteilt, alle wissen, was sie zu tun haben. Gemeinsam werden Lösungen bei Problemen gesucht.
Die neu gewonnene Harmonie wird in dieser Phase meist nicht gestört. Alle sind entspannt und vermeiden Konflikte.
4. Arbeitsphase
Alle sind motiviert und engagiert bei der Arbeit. Es herrscht eine grosse Kreati-vität, niemand drückt sich vor seiner Aufgabe und alle wollen, dass das Ziel des Teams gut erreicht wird.
Der Zusammenhalt unter den Teammitgliedern ist gross. In dieser Phase getraut man sich auch, einander konst-ruktiv zu kritisieren, Feed-back ist erwünscht.
MUSTER
Kommunikation und Umgang mit Patienten - Medizinischer Lehrmittelverlag Bieri & Weder
Brigitte Sallmann, Denise Ebner Koller 2015
Lehrkraftausgabe
Die Entwicklungsphasen eines Teams 143
Arbeiten im Team
Arbeitsphase Organisationsphase
Kooperations- und Konsensphase
Positionsfindungs- phase
11.3.1 Arbeitsteil
In welcher Zeitphase befindet sich Ihr Team? Zeichnen Sie dies auf der obenstehenden
Abbildung ein.
Begründen Sie? Was ist bei ihrem Team typisch für diese Phase?
MUSTER
Kommunikation und Umgang mit Patienten - Verlag Bieri & Weder
Brigitte Sallmann, Denise Ebner Koller 2015
Lehrkraftausgabe
Arbeiten im Team
144 Arbeiten im Team
Johari-Fenster 11.4 Johari-Fenster nach Joseph Luft und Harry Ingham
Nicht immer entspricht das Bild, das ein Mensch von sich selbst hat, dem Bild, das Aussen-
stehende von ihm haben. Basis für jedes Selbstbild bzw. Fremdbild ist die Wahrnehmung. Sie
ist geprägt durch den ersten Eindruck, das Verhalten, die Kommunikation der anderen Person.
Was uns dabei beschäftigt, ist die Frage, inwieweit das Bild, das wir uns von uns selbst
machen, mit dem übereinstimmt, das andere sich in der Kommunikation mit uns gemacht
haben.
Das vierteilige Johari-Fenster, nach den amerikanischen Sozialpsychologen Joseph Luft und
Harry Ingham, ist ein einfaches Modell, das einen Vergleich von Selbst- und Fremdwahrneh-
mung zulässt und mit Hilfe dessen man Veränderungen hinsichtlich der Wahrnehmung von
(interpersonaler) Beziehungen darstellen kann.
mir selbst bekannt mir selbst nicht bekannt
ande
ren
beka
nnt
Teil ABereich des «freien Handelns»
Dieser Bereich beschreibt die öffentliche Person. Er ist der eigenen Person und anderen bekannt. Es ist der Bereich der freien Aktivität, öffentlicher Sach-verhalte und Tatsachen.
Teil BBereich des «blinden Flecks»
Dies ist der «blinde Fleck» der Selbstwahrnehmung. Dieser Bereich beherbergt den Anteil des Verhal-tens, den man selbst wenig, andere aber sehr deutlich wahrnehmen.
ande
ren
nich
t be
kann
t Teil CBereich des «Verbergens»
Der Bereich der «privaten Person». Nur der eigenen Person bekannt. Teile des Denkens und Handelns sind hier platziert, die man ganz bewusst vor anderen verbergen möchte.
Teil DBereich des «Unbewussten»
Dieser Bereich ist weder einem selbst noch anderen Personen unmittelbar zugänglich. Verborgene Talente und Begabungen können hier schlummern.
Das Johari-Fenster zeigt, dass es Verhaltensweisen gibt, bei denen unbeabsichtigte Mittei-
lungen zur eigenen Person vorgenommen werden, aber gleichzeitig grosse Bereiche der
eigenen Wahrnehmung verborgen bleiben.
Nur ein Bruchteil des Verhaltens einer Person, welches für eine soziale Situation relevant ist,
wird eigentlich wahrgenommen. Wesentliche Aspekte sind nicht bekannt, bewusst oder
zugänglich, weder von der Person selbst noch von anderen.
MUSTER
Kommunikation und Umgang mit Patienten - Medizinischer Lehrmittelverlag Bieri & Weder
Brigitte Sallmann, Denise Ebner Koller 2015
Lehrkraftausgabe
Johari-Fenster nach Joseph Luft und Harry Ingham 145
Arbeiten im Team
Anwendung des Johari-Fensters Es findet Anwendung im Feedback und in der Kommunikation innerhalb der Gruppe. In glei-
cher Weise gilt es auch für Beziehungen zwischen verschiedenen Gruppen, denn auch hier
gibt es öffentliche Bereiche und blinde Flecken.
Anfangs ist Teil A, der Bereich der «freien Aktivitäten», innerhalb einer neu gefundenen
Gruppe sehr klein. Jedoch ist es für das Zusammenfinden und den gruppendynamischen
Prozess sehr wichtig, genau diesen Bereich zu vergrössern und die Bereiche B und C zu
verringern.
Zum Beispiel durch:
• Feedback geben und nehmen
• die andere Person akzeptieren
• sich selbst mitteilen und Informationen preisgeben.
Teil A
Bereich des
freien Handelns
Teil B
Blinder Fleck
Teil D
Bereich des
Unbewussten
Teil C
Bereich des
Verbergens
Wird Feedback angenommen und konstruktiv reflektiert, kann dies zu einer Veränderung der
Beziehungen innerhalb der Gruppe führen.
Bleibt man im Bild des Johari-Fensters, heisst dies unweigerlich: Verändert man einen Teil
des Johari-Fensters, verändert man auch alle anderen.
MUSTER
Kommunikation und Umgang mit Patienten - Verlag Bieri & Weder
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Lehrkraftausgabe
Arbeiten im Team
146 Arbeiten im Team
11.4.1 Arbeitsteil
Wählen Sie eine Partnerin aus.
Füllen Sie die Felder A und B aus. Kratzen Sie nicht nur an der Oberfläche!
Tauschen Sie das Arbeitsblatt und ihre Partnerin füllt den Bereich C aus. Ein oder zwei
Anmerkungen genügen. Es geht vor allem darum, dem anderen nützliche Hinweise in Bezug
auf seine Person zu geben. Diskutieren Sie darüber.
Mir selbst bekannt Mir selbst unbekannt
Den
ande
ren
beka
nnt
A Öffentliche Person C Blinder Fleck
Den
ande
ren
unbe
kann
t
B Privatperson D Unbekanntes
MUSTER
Kommunikation und Umgang mit Patienten - Medizinischer Lehrmittelverlag Bieri & Weder
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Lehrkraftausgabe
Feedback 147
Arbeiten im Team
Feedback11.5 Feedback
• Unter Feedback verstehen wir ist eine Rückmeldung an eine Person über ihr
Verhalten und wie dieses von anderen wahrgenommen, verstanden und erlebt wird.
• Solche Rückmeldungen finden im Kontakt mit anderen ständig statt, bewusst oder
unbewusst, spontan oder erbeten, in Worten oder körpersprachlich. Feedback ist in
beruflichen und privaten Beziehungen ein wirksames Instrument zur Verbesserung
der Kommunikation und zur Vermeidung von (kontraproduktiven) Konfrontationen.
• Prinzip und Wirkung
• Selbstbild überprüfen
• Jeder Mensch hat ein Bild über sich selbst (Selbstbild), und jeder Mensch hat Bilder
über andere (Fremdbild). Selbstbild und Fremdbild sind fast nie deckungsgleich
(Johari-Fenster).
• Wirkung von Verhaltensweisen erkennen
• Hinter jedem Verhalten steht eine (mehr oder weniger klare) Absicht. Jedes
Verhalten hat eine Wirkung und wird von anderen unterschiedlich erlebt und beur-
teilt. Durch offenes Feedback kann der Empfänger erfahren, wie er auf andere wirkt.
Er kann nun überlegen, ob er das so will und kann gegebenenfalls sein Verhalten
verändern.
• Beziehungen klären
In Beziehungen wird vieles verschwiegen. Durch offenes Feedback wird Verborgenes
erkennbar. Wünsche und Bedürfnisse, Freude und Anerkennung können ausge-
tauscht werden, aber auch Ängste und Verletzungen können angesprochen werden.
Dadurch entsteht Vertrauen und Nähe.
• Arbeitsfähigkeit verbessern
• In vielen Gruppen werden Gefühle unter den Tisch gekehrt. Dort entfalten sie oft
eine zerstörerische Wirkung. Widersprüchliche Ziele führen oft zu Konflikten. Im
offenen Feedback können Gefühle gezeigt und Beweggründe und Bedürfnisse
erklärt werden. Dadurch entsteht Klarheit und diese kann zu einer besseren
Zusammenarbeit führen.
MUSTER
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Lehrkraftausgabe
Arbeiten im Team
148 Arbeiten im Team
11.5.1 Arbeitsteil
Feedback: Rückfütterung/Rückmeldung geben im Team
Ziele:
Kommunikation klären und sichern
Verhalten überprüfen
Entwicklung der einzelnen Personen fördern
Handlungsspielraum erweitern
Feedback geben heisst:
Mitteilen der Wahrnehmung zum Verhalten einer anderen Person und
dessen Wirkung auf mich. Beim Feedbackgeben wissen wir nicht, was die Empfänger/
innen aus unserer Botschaft machen.
Wir sind für ein möglichst klares Aussenden verantwortlich, nicht aber für das
Ankommen, d. h. für die Stimmungen und Gefühle der Empfänger/innen.
Feedback empfangen heisst:
Die Wahrnehmungen zu meinem Verhalten und zu meiner Wirkung auf andere entgegennehmen.
Beim Feedbacknehmen sind wir frei, was wir hören und wie wir darauf reagieren
wollen.
Feedback beruht auf Selbst- und Fremdwahrnehmung.
Jede Wahrnehmung ist
• selektivAus dem riesigen Informationsangebot wählen wir unbewusst aus, was
uns bedeutungsvoll erscheint.
• situativJedes Verhalten hat in einer bestimmten Situation einen bestimmten Sinn. Das
heisst, dass wir aus einer einzelnen Beobachtung heraus wenig über einen
Menschen wissen können, sondern nur etwas über sein Verhalten in einer konkret
erlebten Situation.
• subjektivWas eine Person wahrnimmt und wie sie das Wahrgenommene bewertet, hängt mit
dem individuellen Wertesystem zusammen. Was die eine stört, kann dem
anderen gefallen.
Deshalb sagt ein Feedback auch immer etwas über den Sender, die Senderin aus.
MUSTER
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Lehrkraftausgabe
Feedback 149
Arbeiten im Team
11.5.2 Arbeitsteil
Feedback geben heisst Wahrnehmungen mitteilen – in drei Schritten:
1. Was nehme ich an deinem Verhalten wahr? ▷ möglichst konkret beschreiben
2. Wie wirkt das wahrgenommene Verhalten auf mich? ▷ wahrgenommene Wirkung
mitteilen
3. Wie reagiere ich auf diese Wirkung? ▷ eigenes Gefühl, eigenes Denken mitteilen
MUSTER
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Lehrkraftausgabe
Arbeiten im Team
150 Arbeiten im Team
Konflikte in der Praxis 11.6 Konflikte in der Praxis
Wo Menschen zusammenarbeiten, treten früher oder später Konflikte auf. Die Kunst ist,
richtig damit umzugehen und geeignete Wege zu finden, sie zu bearbeiten. Oft resultieren
Konflikte aus blossen Missverständnissen oder falschen Interpretationen.
Folgende Bedingungen müssen erfüllt sein, damit von einem Konflikt gesprochen werden
kann:
• mindestens 2 Parteien sind beteiligt
• ein gemeinsames Konfliktfeld besteht
• unterschiedliche Handlungsabsichten sind möglich
• Gefühle spielen eine Rolle
• gegenseitige Beeinflussungsfaktoren gilt es zu beachten
Konflikte unterscheiden sich von Problemen vor allem dadurch, dass sich die Parteien in der
Bewältigung der Situation uneins sind und dabei negative Gefühle entwickeln. Da Gefühle
einen starken Handlungsantrieb verursachen, ist die Aktionsbereitschaft in Konflikten sehr
hoch. Man kann sagen: je stärker das Gefühl, desto höher die Handlungsbereitschaft. Ein
starkes Gefühl hat ausserdem die Nebenwirkung, dass es die kritische Urteilsbildung vermin-
dert oder sogar vollständig unterdrückt. Die Folge davon ist unreflektiertes Handeln, dass
man im Nachhinein oft selbst bereut.
MUSTER
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Lehrkraftausgabe
Konflikte in der Praxis 151
Arbeiten im Team
11.6.1 Arbeitsteil
Wenn ich wütend bin…
Fragen zum Thema Wut
▷ Woran merken Sie, dass Sie wütend sind (Gedanken, Gefühle, Körper)?
▷ Woran merkt der Patient, dass die Praxishilfe wütend ist?
▷ Was tun Sie, wenn Sie wütend sind?
▷ Was tun Sie in der Praxis, wenn Sie wütend sind?
▷ Und was tun Sie, wenn Sie RICHTIG wütend sind?
MUSTER
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Lehrkraftausgabe
Arbeiten im Team
152 Arbeiten im Team
KonfliktartenHier handelt es sich um Konflikte innerhalb von Gruppen. Diese können persönlich oder
sachlich sein.
KonflikttypenWir unterscheiden:
• Zielkonflikte:
Die Beteiligten verfolgen unterschiedliche Ziele. Aufgrund von verschiedenen
Erfahrungen und Informationen, unterschiedlichen Vorstellungen und fehlendes
Wissen kann keine Einigung erzielt werden.
• Wegekonflikte:
Es bestehen unterschiedliche Vorstellungen wie ein Ziel erreicht werden kann.
• Verteilungskonflikte:
Diese entstehen bei Aufteilung von Arbeit, Geld oder anderen Gütern ( z. B.
Nahrung).
Es führt unweigerlich zu Spannungen, wenn die Aufteilung als ungerecht gesehen
wird. Eine ungleiche Beurteilung einer Person kann schnell zu Machtkämpfen
führen.
• Beziehungskonflikte:
Durchsetzen der eigenen Vorstellungen oder Meinungen durch Einzelpersonen oder
Gruppen. Diese Konflikte werden vielfach auf emotionaler und selten auf sachlicher
Basis ausgetragen. Hierzu gehört auch das Mobbing.
Ein Konflikt verläuft meist unvernünftig, emotionsgeladen und schnell!
Konfliktsymptome Schuldzuweisungen Pers. Umgang mit Konflikten Konflikthandeln Konfliktergebnis
▷ negatives Gefühl
▷ unlogisches oder unerklärli-ches Verhalten
▷ durch andere Partei
▷ gemeinsame
Lösung suchen
▷ konkurrierend
▷ Handlung
(abhängig von der Einstellung zu einem Konflikt)
▷ Rückschau positiv oder negativ
MUSTER
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Lehrkraftausgabe
Konflikte in der Praxis 153
Arbeiten im Team
Es gibt Kommunikationsformen, die helfen, Konflikte im Konsens (Übereinstimmung) zu
klären.
«Ich-Botschaften» mit den bereits erwähnten drei «W», (Wahrnehmung, Wirkung, Wunsch).
Ich-Botschaften sind ein Kommunikationsstil, der Ihrem Gegenüber hilft, Sie besser zu
verstehen und sich in Sie hineinzuversetzen. Damit tragen solche Ich-Botschaften wesentlich
zur Konfliktlösung bei, weil jeder authentisch (echt, glaubwürdig) und ausschliesslich über
sich selbst spricht. Vermeiden Sie «Du-Botschaften», mit denen Sie Ihren Konfliktpartner
anschuldigen und den Konflikt eher eskalieren lassen.
Meine Wahrnehmung:
Ich beschreibe, was ich sehe, höre oder was ich mit meinen anderen drei Sinnen wahrnehme.
Die Wirkung auf mich:
Ich beschreibe, was welche Handlung entweder in meinem Kopf (Gedanken, Vermutungen,
Unterstellungen) oder im Herzen (Freude, Angst, Trauer, Wut) auslöst.
Mein Wunsch:
Ich beschreibe, wie mir der andere helfen könnte, beispielsweise besser mit ihm zusammen-
zuarbeiten und was ich selbst dazu beitragen will.
Es hilft auch, dem anderen erst einmal zuzuhören und mit Rückfragen und Rückmeldungen
zu klären, ob man ihn auch richtig verstanden hat. Dies hilft bei der gemeinsamen Lösungs-
suche und manch scheinbarer Konflikt löst sich dann fast wie von selbst auf.
MUSTER
Kommunikation und Umgang mit Patienten - Verlag Bieri & Weder
Brigitte Sallmann, Denise Ebner Koller 2015
Lehrkraftausgabe
Arbeiten im Team
154 Arbeiten im Team
11.6.2 Arbeitsteil
Erarbeiten Sie zusammen mit einer Kollegin die Antworten!
Häufige Ursachen von Konflikten am Arbeitsplatz:
• Zeitdruck und Stress• Informationsmangel• Unklare oder nicht erfüllbare Aufgaben• Mangelnde Anerkennung, Abwertung• Rücksichtslosigkeit und grobe Umgangsformen
Konfliktfähig sein heisst:
• Differenzen und Spannungen früh und deutlich erkennen.• Selbst wissen, was man in der Sache und vom anderen will.• Das eigene Anliegen zum Ausdruck bringen (Ich-Botschaften!), ohne die
Situation zu verschlimmern.• Standpunkte klären, Missverständnisse auflösen.
Lösungsmöglichkeiten bei Konflikten:
• Kämpfen: sich für sich einsetzen, seine Bedürfnisse klar ausdrücken und sie voll und ganz durchsetzen wollen, weil es einem so wichtig ist.
• Nachgeben: die Bedürfnisse des anderen in den Vordergrund stellen und die eigenen Bedürfnisse hintanstellen.
• Ausweichen: Manchmal ist es besser, Konflikte zu vermeiden und sich zurück-zuziehen.
• Kompromiss suchen: Es wird eine Lösung angestrebt, bei der beide Parteien ein Stück ihrer Bedürfnisse durchsetzen, aber auch ein Stück davon abweichen.
• Konsens: Es gibt Situationen, die sich derart klären, dass beide Parteien voll-umfänglich zufrieden sind – eigentlich wollten beide dasselbe.
Nicht erlaubt bei Konflikten ist:• Missglückte Wortwahl: Saustall, idiotischer Vorschlag etc.
• Persönliche Angriffe: Du nervst mich.
• Verallgemeinerungen: Auf Dich ist nie Verlass!
• Streitpunktlawine: Ausserdem hast Du noch getan: …
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Kommunikation und Umgang mit Patienten - Medizinischer Lehrmittelverlag Bieri & Weder
Brigitte Sallmann, Denise Ebner Koller 2015
Lehrkraftausgabe
Das Konfliktgespräch 155
Arbeiten im Team
Das Konfliktgespräch11.7 Das Konfliktgespräch
AllgemeinesKonflikte sind in Beruf und Privatleben nicht zu vermeiden. Wenn Menschen zusammen
arbeiten, zusammen wohnen, entstehen aufgrund vielfältiger Beziehungen, persönlicher
Interessen sowie gemeinsamer Aufgaben, auch durch die Anforderungen Unstimmigkeiten
und Spannungen, die zu Konflikten führen können. Konfliktgespräche braucht es deshalb
immer wieder und überall.
Oft haben wir Mühe, ein Konfliktgespräch zu führen. Treten Spannungen, Unstimmigkeiten
und Missverständnisse auf, wenden wir viel Energie dafür auf, die Anzeichen eines Konfliktes
zu ignorieren oder umzudeuten. Hinter solchen Verhaltensweisen steht häufig die Angst vor
möglichen Niederlagen. Dazu kommen frühere Erfahrungen mit Konfliktsituationen, die viel-
leicht nicht förderlich waren.
Dabei müssen Konflikte nicht von vorneherein negativ sein. Sie werden erst dann destruktiv,
wenn man mit ihnen unangemessen umgeht. Werden Konflikte nicht angesprochen, so
schwelen sie unter der Oberfläche weiter und beeinflussen das Betriebsklima oder die
Lebensqualität allgemein.
Konflikte können aber auch belebend sein und als Chance gesehen werden. Sie geben wich-
tige Impulse zur Weiterentwicklung, entweder eines Betriebes, eines Teams oder sogar von
sich selber.
Formulierung von Gruppenregeln
Ein gemeinsamer Regelkatalog, der von allen Mitgliedern der Gruppe erarbeitet bzw.
abgeschlossen wird, schafft Verbindlichkeit.
Gruppenregeln können positiv formuliert und ausgehängt werden.
Beispiel:
• Einer dem anderen hilft und Mut macht
• andere Meinungen tolerieren und akzeptieren
• zuhören und aufeinander eingehen
• persönliche Angriffe und Beleidigungen vermeiden
• niemanden «links liegen lassen»
• jeder erscheint pünktlich
• zielstrebig gearbeitet und diskutiert wird
• Probleme offen angesprochen werden
• Versprechen einhalten
• Aufgestellte Regeln werden beachtet
• Konflikte taktvoll behandelt werden
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Quellenverzeichnis
Kapitel 2 Kartenspiel «Sehen, was nicht ist, und nicht sehen, was ist», Prof. J. R. Block und Prof. H. E. Yuker, Hofstra-Universität, Hempstead, NY, USA, Hrsg. Time-Life Bücher www.springer.com/cda/content / soz. Wahrnehmung www.vwa-bwl.de/ Sozialpsychologie https://people.fh-landshut.de/ Psych-Grund2-Wahrnehmung.pdf
Kapitel 3Arnold, Eysenck, Meili [Hg.] «Lexikon der Psycho-logie», Bechtermünz Verlag, Augsburg 1997Vera F. Birkenbihl «Signale des Körpers: Körper-sprache verstehen», mvg-Verlag, Landsberg am Lech 1997 – 12. AuflageRenate Ibelgaufts «Körpersprache wahrnehmen, deuten und anwenden», Augustus Verlag, Augs-burg 1997David Krech u. a.; Hellmuth Benesch [Hg.] «Grundlagen der Psychologie», Beltz Psychologie Verlags Union, Weinheim 1992 Samy Molcho «Körpersprache als Dialog», Mosaik Verlag, München 1988Samy Molcho «Körpersprache», Mosaik Verlag, München 1983Julius Fast «Körpersprache», Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbeck bei Hamburg 1979 Wingchen Jürgen, Kommunikation und Gesprächs-führung für Pflegeberufe, Brigitte Kunz Verlag, 2. Aktualisierte AuflageRogall-Adam Renate, Josuks Hannelore, Adam Gottfried, Schleinitz Gottfried, Professionelle Kommunikation in Pflege und Management, Schlü-tersche Verlagsgesellschaft, 2011Hausmann Clemens, Psychologie und Kommunika-tion für Pflegeberufe, facultas.wuv, 2009, 2., überarbeitete und ergänzte Auflage
Kapitel 4 Kommunikationsquadrat von Schulz von Thun, Friedemann Schulz von Thun, Miteinander reden 1, rororo Sachbuch, Sonderausgabe April 2001
Kapitel 5Clemens Hausmann, Psychologie für Pflegeberufe, Verlag: facultas.wuv 2. Auflage 2009
Kapitel 6Müller-Dofel, Mario: Interviews führen. Ein Hand-buch für Ausbildung und Praxis, Econ 2009, ISBN 978-3-430-20077-6, Website zum Buch; Porst, R.: Fragebogen: Ein Arbeitsbuch, 2. Aufl., Wiesbaden 2009: VS Verlag für Sozialwissenschaften. ISBN 978-3531164359
Kapitel 8Deeskalation in der Pflege, Tim Bärsch/Marian Rohde, RaBe-Deeskalation 2010, Books on Demand GmbH Norderstedt
Kapitel 10Psychologie und Kommunikation für PflegeberufeClemens Hausmann – facultas.wuv
Kapitel 11 Ausgabe 04/2009 | Seite 18 | ID 125730
Kapitel 12mediX gesundheitsdossier (Juli 2009), Schweizer Patienten-Charta Herausgegeben vom Verein pati-enten.ch (Januar 2005)
Kapitel 13Gellert/Novak, aus: Rogall-Adam, Josuks, Adam, Schleinitz: Professionelle Kommunikation in Pflege und Management, S. 197; http://www.4managers.de
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Das Konfliktgespräch 157
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Kommunikation und Umgang mit Patienten
Schülerausgabe: ISBN 978-3-9524361-2-7
Lehrkraftausgabe: ISBN 978-3-9524361-3-4
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Ausgabe 2015
Printed in Switzerland
www.myMPA.ch
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