+ All Categories
Home > Documents > Turpin Rosenthal

Turpin Rosenthal

Date post: 10-Mar-2016
Category:
Upload: stefan-stroessenreuther
View: 256 times
Download: 0 times
Share this document with a friend
Description:
Turpin Rosenthal Weimar Koenitz
6
140 BRANDEINS 07/07 WAS UNTERNEHMERN NÜTZT _KRISENVERKÄUFE Text: Astrid Funck Foto: Michael Hudler Was bringt der Verkauf eines Unternehmens, dem das Ende droht? Erst einmal haufenweise Probleme. Aber mit den richtigen Partnern ist ein Comeback drin. Denn wer zerdeppert schon gern schönes, altes Porzellan? DEM TOD VON DER SCHIPPE GESPRUNGEN drängt wurde – die Familie hielt nur noch wenige Anteile –, ging der Sohn ebenfalls. Während einer Zwischenstation bei der US-Tochter von Ikea reifte der Wunsch, sich selbstständig zu machen. Er kehrte nach Europa zurück und forschte bei Ban- ken und Beteiligungsgesellschaften, wo sich eine Chance bot. Er sei, sagte er, für alle Branchen offen – außer Porzellan. Doch einer, der Rosenthal heißt, kommt offenbar nicht so leicht davon: Ständig wurden ihm Porzellanhersteller angeboten. 1992 griff er zu. Im thüringischen Könitz entdeckte er eine alte Fabrik, die auf Kaf- feetassen spezialisiert und zu DDR-Zeiten Teil des Kombinats Feinkameramik war. Turpin Rosenthal wurde Investor und Firmensanierer. Er kaufte die Könitz Por- zellan GmbH von der Treuhandanstalt und an der Aktiengesellschaft zurück, und Tur- pins Vater, Philip Rosenthal, wurde erst Werbeleiter, dann Vorstandsvorsitzender. Wie selbstverständlich trat später auch der Sohn in die Firma ein und stieg zum Geschäftsführer für die USA auf. Die Fami- lie und feines Porzellan: Für ihn werde es nie etwas anderes geben, habe er gedacht, sagt Turpin Rosenthal. Dann das jähe Ende. Sein Vater, der als SPD-Abgeordne- ter im Bundestag saß und für eine gerech- tere Verteilung von Besitz und Gewinn eintrat, hatte über die Jahre immer mehr Firmenanteile abgegeben, vor allem an die Mitarbeiter. „Er glaubte, dass es möglich sei, ein Unternehmen auch ohne Kapital- anteile zu führen“, sagt der Sohn. Als Philip Rosenthal 1989 aus dem Aufsichtsrat der Muttergesellschaft ge- Diese Geschichte könnte ebenso gut woanders beginnen als ausgerechnet in der Porzellan- und Keramikindustrie. Scherben liegen schließlich überall herum. Doch eine Konstellation wie diese kommt nicht alle Tage vor: dass handwerkliche Tradition und modernes Investment zueinanderfin- den, als einem uralten Unternehmen die Zerschlagung droht und ein Retter auf- taucht, der sich „Nie wieder Porzellan!“ geschworen hatte. Das ist Turpin Rosenthal, ein Mann Mitte 40. Sein Großvater hat 1879 im oberfränkischen Schloss Erkersreuth bei Selb eine Porzellanmalerei gegründet und Rosenthal zur weltbekannten Marke ge- macht. 1934 vertrieben ihn die Nazis, wegen seiner jüdischen Herkunft. Nach dem Krieg erhielt die Familie ihre Anteile
Transcript
Page 1: Turpin Rosenthal

140 BRAND EINS 07/07

WAS UNTERNEHMERN NÜTZT _KRISENVERKÄUFE

Text: Astrid Funck Foto: Michael Hudler

Was bringt der Verkauf eines Unternehmens, dem das Ende droht? Erst einmal haufenweise Probleme. Aber mit den richtigen Partnern ist ein Comeback drin.

Denn wer zerdeppert schon gern schönes, altes Porzellan?

DEM TOD VON DER SCHIPPE GESPRUNGEN

drängt wurde – die Familie hielt nur nochwenige Anteile –, ging der Sohn ebenfalls.Während einer Zwischenstation bei derUS-Tochter von Ikea reifte der Wunsch,sich selbstständig zu machen. Er kehrtenach Europa zurück und forschte bei Ban-ken und Beteiligungsgesellschaften, wosich eine Chance bot. Er sei, sagte er, füralle Branchen offen – außer Porzellan.Doch einer, der Rosenthal heißt, kommtoffenbar nicht so leicht davon: Ständigwurden ihm Porzellanhersteller angeboten.1992 griff er zu. Im thüringischen Könitzentdeckte er eine alte Fabrik, die auf Kaf-feetassen spezialisiert und zu DDR-ZeitenTeil des Kombinats Feinkameramik war.

Turpin Rosenthal wurde Investor undFirmensanierer. Er kaufte die Könitz Por-zellan GmbH von der Treuhandanstalt und

an der Aktiengesellschaft zurück, und Tur-pins Vater, Philip Rosenthal, wurde erstWerbeleiter, dann Vorstandsvorsitzender.

Wie selbstverständlich trat später auchder Sohn in die Firma ein und stieg zumGeschäftsführer für die USA auf. Die Fami-lie und feines Porzellan: Für ihn werde esnie etwas anderes geben, habe er gedacht,sagt Turpin Rosenthal. Dann das jäheEnde. Sein Vater, der als SPD-Abgeordne-ter im Bundestag saß und für eine gerech-tere Verteilung von Besitz und Gewinneintrat, hatte über die Jahre immer mehrFirmenanteile abgegeben, vor allem an dieMitarbeiter. „Er glaubte, dass es möglichsei, ein Unternehmen auch ohne Kapital-anteile zu führen“, sagt der Sohn.

Als Philip Rosenthal 1989 aus demAufsichtsrat der Muttergesellschaft ge-

• Diese Geschichte könnte ebenso gutwoanders beginnen als ausgerechnet in derPorzellan- und Keramikindustrie. Scherbenliegen schließlich überall herum. Doch eineKonstellation wie diese kommt nicht alleTage vor: dass handwerkliche Traditionund modernes Investment zueinanderfin-den, als einem uralten Unternehmen dieZerschlagung droht und ein Retter auf-taucht, der sich „Nie wieder Porzellan!“geschworen hatte.

Das ist Turpin Rosenthal, ein MannMitte 40. Sein Großvater hat 1879 imoberfränkischen Schloss Erkersreuth beiSelb eine Porzellanmalerei gegründet undRosenthal zur weltbekannten Marke ge-macht. 1934 vertrieben ihn die Nazis,wegen seiner jüdischen Herkunft. Nachdem Krieg erhielt die Familie ihre Anteile

Page 2: Turpin Rosenthal

141BRAND EINS 07/07

beschloss, sich auf einen Artikel, den Be-cher, zu konzentrieren, den er auf dreier-lei Weise vertreiben wollte: unter der Tra-ditionsmarke Könitz, als Handelsmarkeund als Werbeartikel. 1995 geriet dasUnternehmen wegen ungeklärter Ansprü-che von Alteigentümern an den Rand desKonkurses. Nur noch radikale Einschnittekonnten das Ende verhindern. 96 der 105Mitarbeiter mussten gehen. Ein „Riesen-kampf“ sei das gewesen, erinnert sich Tur-pin Rosenthal. „Wir haben es gerade sogeschafft, das Unternehmen innerhalb vonvier Monaten zu verkleinern, um es da-nach wieder aufzubauen.“

Die Reha-Kur hat angeschlagen. InDeutschland beschäftigt Könitz wiederrund 120, bei der neu gegründeten Pro-duktionstochter in Thailand etwa 170 Mit-

arbeiter. Das Unternehmen, sagt Rosen-thal, sei Europas führender Hersteller vonKaffeebechern und arbeite profitabel.

Wer trödelt oder nur pokern will,kommt als Käufer nicht zum Zuge

Das Wunder von Könitz – ein Ausnahme-fall? Während die 1909 gebaute Porzellan-fabrik weiter produziert, mussten anderekrisengeschüttelte Unternehmen – Bei-spiele gibt es reichlich – für immer schlie-ßen, weil sie nicht früh genug saniert wurden und zuletzt für eine solche Sanie-rung frisches Kapital fehlte. Durch einenVerkauf oder Teilverkauf wäre das Endehäufig vermeidbar gewesen, sagt SönkeSchulz, Geschäftsführer der Sigma Corpo-rate Finance GmbH in Frankfurt am Main.

Sein 2005 gegründetes Beratungsunter-nehmen mit Sitz im Westend hat sich aufFirmen spezialisiert, die in einer akuten finanziellen Notlage stecken oder bereitsinsolvent sind und keinen Käufer finden.Nur etwa „eine Hand voll“ Beratungen inDeutschland kümmern sich Schulz zufolgeum solche Krisenfälle, die im Fachjargon„Distressed Mergers & Acquisitions“ hei-ßen. Dabei sind Fingerspitzengefühl undKreativität besonders gefragt.

„Solche Projekte“, sagt Sönke Schulzaus Erfahrung, „muss man ganz anders als üblich durchziehen, nämlich viel schneller,und man hat bei Investoren zunächst eineviel schlechtere Verhandlungsposition alsmit gesunden Unternehmen.“ Der 37-Jäh-rige hat das Geschäft mit Fusionen undÜbernahmen bei der Dresdner Bank

Mit dem Verkauf, der Fusion und Sanierung von Firmen hatte Sönke Schulz schon zu tun, als er noch Banker war. Die Aufgabe ist geblieben, geändert hat sich nur seine Perspektive. Jetzt trägt er vom Büro im Frankfurter Westend aus dazu bei, dass Not leidende Unternehmen möglichst nicht zerschlagenwerden, sondern weiter arbeiten können – er bringt Insolvenzverwalter und Investoren zusammen

33

WAS UNTERNEHMERN NÜTZT

Page 3: Turpin Rosenthal

„Heuschrecken“-Debatte sein, die bei vie-len Bürgern das Zerrbild des anonymenFinanzinvestors hinterlassen hat, der überein Unternehmen herfällt, es „abgrast“ undleblos zurücklässt. Die Kritik bezog sichauf Fälle, in denen Investoren eine gesun-de Firma erworben, den Kauf zum Groß-teil über Kredite finanziert und die Firmadabei so mit Schulden belastet hatten, dasses zum Krisenfall wurde. Derartige „Plün-derungen“ kommen aber selten vor undbetreffen eher gesunde Unternehmen alssolche in einer Notlage.

„Krisen-Investments können lebens-rettend sein und haben daher einen hohenvolkswirtschaftlichen Nutzen“, sagt Mar-kus Leicher, Geschäftsführer der Trans-action & Management GmbH in Köln,der wie Sönke Schulz ein Experte für

142 BRAND EINS 07/07

Die Waechtersbacher Keramik hat im 175. Jahr ihres Bestehens wieder ordentlich zu tun. Die Rohstoffbunker für Ton, Kaolin, Quarz und Kalkspat sind gefüllt. Noch 2006 drohte die Zerschlagung. Bis Turpin Rosenthal beschloss, sich als Unternehmer in der Porzellanbranche zu beweisen – wie sein Vater und Großvater

Schulz auf Private-Equity-Gesellschaftenzu, um Beteiligungskapital zu gewinnen.Da gebe es, sagt er, wachsendes Interesse,gezielt in Restrukturierungsfälle zu inves-tieren, Firmen in Schieflage, die womöglichunterbewertet seien und starke Wertzu-wächse versprächen.

Gerade Mittelständler stehen solchenKapitalgebern meist skeptisch gegenüber.Eine Umfrage des Deutschen Industrie-und Handelskammertages (DIHK) unter1100 Unternehmen ergab im Dezembervergangenen Jahres: 37,3 Prozent würdenBeteiligungskapital von Finanzinvestorenablehnen, die auch Mitspracherechte for-derten, und das selbst dann noch, wenn siein akuter Finanzierungsnot steckten.

Ein Grund für die Skepsis dürfte dievon Franz Müntefering (SPD) angezettelte

„von der Pike auf“ gelernt. Zu seiner Ziel-gruppe gehören mittelständische, häufigfamiliengeführte Unternehmen und deren Gesellschafter, aber auch Banken, die ihregefährdeten Kreditkunden zu einer M&A-Operation bewegen wollen. Und Insolvenz-verwalter, denen Sigma Corporate Financehilft, ein Unternehmen bestmöglich zu ver-kaufen, statt es zu zerschlagen.

Schulz sagt, als Spezialist wisse er, wieman die „Turnaround-Investoren“ in Euro-pa, Amerika und Asien ausfindig macht;wie die Zahlen aufbereitet sein müssen,damit Kapitalanleger schnell im Bilde sind.Er spricht strategische Investoren an, dieaus derselben Branche kommen, so wieTurpin Rosenthal, der durch den Könitz-Coup ermutigt nach weiteren Porzellan-fabriken Ausschau hielt. Andererseits geht

WAS UNTERNEHMERN NÜTZT _KRISENVERKÄUFE

Page 4: Turpin Rosenthal

WAS UNTERNEHMERN NÜTZT

Sanierungsfälle ist. „Eine Restrukturierungkostet fast immer Geld, und Banken sindda verständlicherweise zurückhaltend, denndas ist nicht ihr Geschäftsmodell. EinigeBanken wollen in solch einer Situation ein-fach raus und verkaufen ihre Forderungenan Finanzinvestoren, oft auch an interna-tionale Hedgefonds, ohne das mit dem Eigentümer abstimmen zu müssen. Da istes besser, man ist selbst aktiv und suchtsich im Schulterschluss mit den Banken einen Partner aus, zu dem man Vertrauenhat. Die meisten Unternehmer zögern je-doch zu lange, weil sie die Tradition nichtgegen Kapital eintauschen möchten.“

Es tropft rot aus der Bilanz?Dann hilft ein wenig Kosmetik

Der Göppinger ModelleisenbahnherstellerMärklin etwa drohte zu entgleisen, weildie Besitzer es versäumt hatten, rechtzei-tig die Weichen neu zu stellen. Dort sprachsich zuletzt sogar der Betriebsrat für einenVerkauf an die Londoner Private-Equity-Investoren von Kingsbridge Capital aus.Drei der 22 Familiengesellschafter hattenihre Zustimmung verweigert. In einem offenen Brief forderten die Mitarbeiter siezum Einlenken auf. Im Mai 2006 kam derDeal zustande. Kingsbridge Capital ent-wickelt nach eigenen Angaben „als aktiverEigentümer Strategien zur Wertsteigerungim Unternehmen“ und ist neben Märklinunter anderem auch an der Kunert AG inImmenstadt beteiligt.

Für eine Vielzahl traditioneller kleinerKeramik- und Porzellanhersteller inDeutschland kam die Therapie zu spät: Sie hatten längst aufgegeben. Doch da gabes noch eine Keramikfabrik in Brachttal-Schlierbach, einer Ortschaft im hessischenMain-Kinzig-Kreis, am Fuße des Vogels-berges. Ein großes schmiedeeisernes Torgibt den Blick auf einen Innenhof frei, deraussieht, als sei er aus der Zeit gefallen:Platanen, so gebückt und knorrig wiegichtkranke Greise, ein verwunschenerBrunnen, verwitterte Bürogebäude. Seit1832 produziert hier die Waechtersbacher

Keramik Geschirr aus Ton, Kaolin, Quarz,Feldspat und Wasser. Viel hat nicht gefehlt,dann wäre es damit vorbei gewesen, denndas Unternehmen litt unter Liquiditäts-problemen.

Der Besitzer, Wolfgang-Ernst Fürst zuYsenburg und Büdingen, hatte immer wie-der frisches Kapital zugeschossen, wenndie Fabrik in der Klemme war. Er setzteneue Geschäftsführer ein. Die kannten nurNotoperationen, aber keine Sanierung. Für größere Investitionen fehlte das Geld.Im Oktober 2005 musste der Fürst, derkurz zuvor schon seinen seit 750 Jahre inFamilienbesitz befindlichen Forst verlorenhatte, Insolvenz beantragen.

Der Insolvenzverwalter Göran Berger,den die Anwaltskanzlei Wellensiek ausHeidelberg geschickt hatte, wollte dasUnternehmen fortführen. Die deutsche Insolvenzordnung sieht dafür zwei Mög-lichkeiten vor: die Eigensanierung mittelsInsolvenzplan (siehe brand eins 02/2007)und die übertragende Sanierung, bei der dienoch lebensfähigen Teile aus der Firmaherausgelöst, verkauft und so zur Sanie-rung freigegeben werden (siehe Randspal-te „Übertragende Sanierung“).

Berger empfahl den Gläubigern diezweite Variante, als das Insolvenzverfah-ren im Januar 2006 eröffnet wurde, undbekam grünes Licht. Er verhandelte mitpotenziellen Käufern, ohne Erfolg. Nach-dem eine US-amerikanische Bank der Vertriebstochter in Kansas City den Geld-hahn zugedreht hatte, musste Berger An-fang Juli 2006 die Produktion einstellenund die verbliebenen 118 der vormals 200deutschen Mitarbeiter kündigen. Bergerwollte allerdings nicht aufgeben. Er beauf-tragte Sigma-Chef Sönke Schulz mit derSuche nach Investoren.

Schulz stand unter Druck. Um das fürsÜberleben wichtige Weihnachtsgeschäftnicht zu verpassen, musste Waechtersbachspätestens Ende September in neuen Hän-den sein und mit der Produktion beginnen.„Es gab zwar Aufträge, aber kein Geld, um die Löhne zu zahlen oder das Roh-material zu beschaffen“, sagt Schulz im

Rückblick. „Außerdem ist eine Insolvenzan sich schon ein Wertvernichter. Dann istein Unternehmen gerade in Deutschlandleider immer noch stigmatisiert, und mit jedem Tag wird der Image-Schaden grö-ßer.“ Innerhalb von zwei Wochen habe ersich mit seinem Mitarbeiter AlexanderTauer ein Bild von der Branche, demUnternehmen und den Insolvenzursachengemacht. Die beiden nahmen sich Jahres-abschlüsse und monatliche betriebswirt-schaftliche Auswertungen vor, analysier-ten den Kapitalfluss und dachten über Restrukturierungsansätze nach.

Daraufhin verschickten sie ihre „Infor-mationen für potenzielle Investoren“ anrund 30 in- und ausländische Interessen-ten aus der Branche sowie an 20 Finanz-investoren. „Es wird eine kombinierteÜbertragung von Marke, Geschäftsbetriebund Mitarbeitern im Rahmen eines AssetDeals angestrebt“, hieß es in dem 30-sei-tigen Papier, das die Situation des Unter-nehmens, seine Stärken und die Vorteileeines Kaufes aus der Insolvenz schilderte.Hinzu kamen Informationen zur Positio-nierung der Marke, zu Marktentwicklung,Marktanteilen und Vertriebskanälen, Ana-lysen der Insolvenzgründe und zum Standder Restrukturierung.

„Wir versuchen, ein helles Bild zu malen, wie das Unternehmen dasteht – positiv, aber realistisch“, sagt M&A-Experte Schulz. Heller wird das Bild schon,indem die Gewinn- und Verlustrechnungum die insolvenzbedingten Effekte berei-nigt wird. „Hat ein Unternehmer etwa seine Warenbestände zu Einstandspreisenverkauft, weil er Cash brauchte, so drücktdas natürlich auf die Marge. Das rechne ichheraus, denn sonst sieht man nur: Es tropftrot aus der Bilanz.“

Zu den angeschriebenen Investorenzählte auch Turpin Rosenthal. An sanie-rungsbedürftigen Firmen fehlte es nicht, dadie Porzellanbranche seit Mitte der Neun-ziger ums Überleben kämpfte. So hattesich Rosenthal 2004 bereits um die König-liche Porzellan-Manufaktur (KPM) bemüht,die der landeseigenen Investitionsbank 33

143BRAND EINS 07/07

Page 5: Turpin Rosenthal

144 BRAND EINS 07/07

WAS UNTERNEHMERN NÜTZT _KRISENVERKÄUFE

wenn das Unternehmen schöne Profite ab-wirft, behalten sie es. Oder sie verkaufenes, sobald es wieder gesund und im Wertgestiegen ist.“ Wie tugendhaft würde alsoder nächste Käufer sein?

Der Insolvenzverwalter schautbei der Abrechnung in die Röhre

Im Falle Waechtersbach überlegte der eineKandidat zu lange. Die Zeit wurde knapp.Rosenthal dagegen zeigte sich entschlos-sen, obwohl er den Businessplan für zu optimistisch hielt. Seine wichtigste Bedin-gung war, dass die Personalkosten sinkenmüssten. Die letzte Woche vor dem Notar-termin sei atemberaubend verlaufen, er-zählt Schulz. „Am Montag haben wir mitdem Insolvenzverwalter über den Kauf-preis und mit dem Betriebsrat und der Gewerkschaft über Lohnzugeständnissegesprochen. Am Dienstag hat Herr Ro-senthal bei einer Betriebsversammlung erklärt, was er vorhat. Danach ist er in die USA geflogen und hat mit der Bankverhandelt. Und am Freitag hat er mit den übernommenen Mitarbeitern neue Arbeitsverträge abgeschlossen.“

Berlin gehörte, wobei ihm zunächst guteChancen eingeräumt wurden.

Den Zuschlag bekam eine Holding desKaiser-Urenkels Franz Wilhelm Prinz vonPreußen, der den Kauf über ein Darlehendes Berliner Bankiers Jörg Woltmann finan-zierte. Dafür verpfändete er die wertvollenMarkenrechte und Prägeformen an die Allgemeine Beamten Kasse KreditbankGmbH, deren Geschäftsführer Woltmannist. Weil der Prinz seine Investitionszusagennicht einhielt und die KPM kurz vor demKollaps stand, übernahm Woltmann im Februar 2006 die Manufaktur.

Im Falle Waechtersbach lief es anders.Schulz lud die Interessenten zur Besichti-gung und zu Gesprächen mit dem Ma-nagement ins Werk nach Schlierbach ein.Der Betriebsleiter Rainer Mann führte siedurch den Betrieb, zeigte, wie die Keramik-masse zu Tellern gepresst und zu Becherngedreht wird, wie Henkel gegossen, Kan-ten geputzt und gerundet werden. Er er-zählte von Glasuren aus streng geheimenRezepturen, von Farbintensität und Bril-lanz und dass ein Becher durch mindestens28 Paar Hände wandern müsse, bis er fer-tig sei – in Waechtersbacher Qualität.

Gemeinsam mit dem Managementhatte Schulz einen detaillierten Business-plan aufgestellt, den er vorsichtig dosiertund erst nach Unterzeichnung einer Ver-traulichkeitserklärung präsentierte, denn:„Man lockt auch direkte Wettbewerber an,die dem Betrieb mal unter den Rock gu-cken wollen. Da ist Spürsinn gefragt. Manmuss genau abwägen, welche Informatio-nen man wem in welcher Phase gibt.“

Zuletzt blieben nur zwei strategischeInvestoren übrig, die an Waechtersbachernsthaft interessiert schienen: Turpin Rosenthal war einer von ihnen.

Wer nun der tugendhaftere Rettertypsei, ein Stratege oder ein Finanzinvestor,das könne man nicht eindeutig klären, sagtSönke Schulz über die Qual der Wahl. „Dieersten Zerschlager sind immer diejenigenStrategen, die das Unternehmen oder diegekauften Teile davon mit ihrem eigenenkombinieren. Die können sagen: Michinteressieren nur deine Kundenlisten, deineMarke und deine Vertriebskanäle. Finanz-investoren sind hingegen meist darauf an-gewiesen, das Unternehmen eigenständigfortzuführen, denn es gibt keine Synergien.Die sind entweder dividendengetrieben –

Zehn Wochen lang stand die Produktion still, waren die Werkhallen verwaist. An Aufträgen hat es zwar nicht gefehlt, wohl aber an frischem Kapital, um Löhne und Rohstoffe zu bezahlen. Erst nachdem die Belegschaft Mehrarbeit und Lohnkürzungen zugestimmt hatte, begann die Sanierung

Page 6: Turpin Rosenthal

WAS UNTERNEHMERN NÜTZT

145BRAND EINS 07/07

Nach Auskunft des Betriebsratsvorsit-zenden Erwin Koppensteiner hatte die Be-legschaft schon in der Krise eine Erhöhungder Wochenarbeitszeit von 38 auf 40 Stun-den ohne Lohnausgleich in Kauf genom-men, nach Eröffnung des Insolvenzverfah-rens zusätzlich eine Lohnkürzung um zehnProzent. Auf Rosenthals Betreiben sankendie Löhne ein weiteres Mal um etwa zehnProzent. Am 18. September 2006, nachzehn Wochen Produktionsstillstand, liefenin Brachttal-Schlierbach die Brennöfen wie-der heiß. Rund 90 Mitarbeiter konnten anihren Arbeitsplatz zurückkehren. Waech-tersbach Germany lebt und feiert in diesemJahr sein 175. Firmenjubiläum. Dank einergroß angelegten Käufersuche und einesfindigen Insolvenzverwalters.

Göran Berger hat die aufreibende Zeitnicht vergessen. Einen insolventen Betriebfortzuführen und zu restrukturieren, umihn verkaufen zu können, sei aufwendigund riskant, sagt der Insolvenzverwalter.Wenn sich kein Käufer findet und der Ver-walter die Kosten des Insolvenzverfahrensnicht begleichen kann, haftet er persön-lich. Berger klingt bitter. Der Kaufpreis fürWaechtersbach floss direkt an die Grund-

schuldgläubiger, die gesicherten Gläubigerund in die Verfahrenskosten. Die übrigenGläubiger gingen leer aus. Einzig verblie-bene Geldquelle: die alten Lagerbestände,die nach und nach verkauft werden. EinenTeil der Erlöse bekommt Bergers Liquida-tionsgesellschaft, so ist es abgemacht.

Und doch sei eine übertragende Sanie-rung immer vorteilhafter für die Gläubiger,sagt Berger. Der Münchener Insolvenz-verwalter Michael Jaffé, der die Kirch-Gruppe entwirrt und die PorzellanfabrikMitterteich abgewickelt hat, sieht dasebenso. „Der Vorteil für die Gläubiger besteht in der Regel darin, dass Abwick-lungskosten, für Abfindungen und Sozial-plan etwa, eingespart werden können“,sagt er. „Das setzt aber voraus, dass der Investor zumindest gewillt ist, den Zer-schlagungswert zu bezahlen, denn der stelltdie gesetzliche Untergrenze dar.“

Turpin Rosenthal hat seine neue Rolleangenommen. Auf der vorigen FrankfurterKonsumgütermesse „Ambiente“ hat ersich mit drei Firmen präsentiert: KönitzPorzellan, Waechtersbacher Keramik undWeimar Porzellan GmbH, seiner jüngstenErrungenschaft.

Auch bei der Rosenthal AG, die mehr-heitlich zum irischen Konzern WaterfordWedgwood gehört, hat er sich umge-schaut. Geschmerzt, sagt er, habe ihn derAnblick nicht. Er sei stolz, etwas Eigenesaufgebaut zu haben. --Die übertragende Sanierung

ist die Veräußerung eines sanierungsbedürftigen

Unternehmens, Unternehmensteils oder Betriebs im

Wege eines sogenannten Asset-Deals. Dabei werden

materielle und immaterielle Vermögenswerte „he-

rausgekauft“. Sie fließen in eine existierende oder

eigens dafür gegründete neue Gesellschaft. Der Ver-

käufer ist weiter Träger des ursprünglichen Unter-

nehmens mit dessen alten Verbindlichkeiten und

den weniger interessanten Aktiva. Meist bleibt am

Ende nur die Liquidation. Bei insolventen Unter-

nehmen gelten für die übertragende Sanierung be-

sondere Vorschriften. Im Unterschied zum Asset-Deal

wird bei einem Share-Deal der Unternehmensträger

nicht ausgetauscht. Der Käufer erhält Geschäftsan-

teile an dem Unternehmen.

Quelle:

Philipp Strümpell: Die übertragende Sanierung

innerhalb und außerhalb der Insolvenz. Herbert Utz

Verlag, München 2006; 260 Seiten; 54 Euro

Feines Geschirr, wie es bei Waechtersbach entsteht, kommt nicht ohne aufwendige, sorgfältige Handarbeit aus, aller Industrialisierung zum Trotz. Vom Atelier des Modelleurs über die Gießerei bis zur Qualitätskontrolle muss jedes Stück Dutzende von Stationen durchlaufen


Recommended