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Treibhaus Tristesse

Date post: 22-Jul-2016
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eine Fiktion – Kampf und Liebe und Würde im Geflecht gnadenloser Gier. Erscheint im Samay Verlag Gestaltung Carolin Oelsner
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EXPOSÉ Treibhaus Tristesse EINE FIKTION Kampf um Liebe und Würde im Geflecht gnadenloser Gier
Transcript
Page 1: Treibhaus Tristesse

Exposé

Treibhaus Tristesse EinE FikTion

Kampf um Liebe und Würde im Geflecht gnadenloser Gier

Die moderne Hauptstadt des „letzten Reiches“,

von menschenverachtenden Herrschern regiert,

versinkt in Barbarei. Ihr planetarischer Krieg

sickert in die Ghettos und frisst sich voran … Furcht

und Verlogenheit veröden das zwangsberauschte

Dasein der Menge in unablässige Tristesse.

Kann der Kampf um die Liebe ein Ausweg – zurück

zu Würde und Licht sein?

Kis

ho

re

Sum

ac

Kishore Sumac

Page 2: Treibhaus Tristesse

Die „Leguane der Macht“ haben einen ewi-

gen Krieg entfacht, in dem Freund und Feind

ständig wechseln und der die Bewohner in

pausenloser Angst hält. Humanistische Wer-

te werden durch Ideologie ersetzt, welche die

Menschen unter einer Lawine von Maßrege-

lungen und Konfusionen begräbt, die sie resi-

gnieren lässt.

Der Konzern „Global Profitable Deals“ (GPD)

will zur Einweihung des neuen Regierungs-

komplexes eine Firmenchronik erstellen las-

sen. Ihr Bauingenieur Blei leitet das Projekt

und entscheidet sich für Deviant. Beide ken-

nen sich von früher, waren Freunde.

Blei verzweifelt, als er einen Sabotageauftrag

von der „GPD“ erhält. Widerwillig brutalisiert

er sich, um die Liebe seiner Frau Sorbette, der

Erbeignerin des Konzerns, zurückzugewinnen

und weiß doch, dass diese Klammer sein Le-

ben zerquetschen kann.

In dem einzigen Park der Stadt lernt Deviant

die Krankenschwester Innocentia kennen und

verliebt sich in sie. Die geheimnisvolle Frau

behütet traumatisierte, stumme Kinder und

verbirgt ein grausiges Geheimnis.

Er zieht als Journalist in den Krieg und steht

in Vernichtung und grellster Verzweiflung,

zusammen mit den belogenen Soldaten. Als

Deviant zurückkehrt ist er entschlossen, Inno-

cen tias Grauen zu beenden und die geheimen

Machen schaften der „GPD“ zu veröffentlichen.

Das Regierungsviertel wird mit einer obszö-

nen Orgie fürs Volk eingeweiht. Dort zerflie-

ßen die Gegensätze zwischen Opfer und Täter.

Die Freunde sehen sich zum letzten mal und

jeder muss sich entscheiden, ob er im Treib-

haus untergehen, oder auf Leben und Tod um

Liebe und Würde kämpfen will.

Der Inhalt

D eviant, ein vierzigjähriger Gelegenheitsjournalist, treibt durch das ano-

nyme Leben einer Großstadt im „Letzten Reich“. ihre Herrscher – Geld-

drucker, Polittechno kraten und Wirtschafts kri minelle – plündern die

Menschen gnadenlos aus, die unter der „ewigen Lüge“ leben müssen. Er selbst

wohnt an der kante der Ghettos zwischen den „Tälern der Asche“. Dort veröden

die Seelen – gehetzt, entwürdigt und versinken in täglicher Tristesse.

Page 3: Treibhaus Tristesse

Leseprobe – Treibhaus TrisTesse

|

City

Die Stadt durchzogen fünf Ringe; von den Slums in den Ebenen beginnend zum

vierten Ring, einem farblosen Teppich aus Mietshäusern, Baracken, Hüttchen und

Verstecken. Dort fraßen sich schmutzige Gassen endlos wie blinde Maden durch den

Filz aus altem Beton und Lehm. Die Gebäude richteten sich, je näher sie den inneren

Bereichen kamen auf, als wären die Unteren gefallen, als lägen sie auf Seite oder

Rücken, hilflos, ergeben, wie sterbende Käfer. Im dritten Distrikt wohnte er selbst.

Hier taumelten die Menschen über dem Abgrund – vergiftete, verwundete Wesen, in

Auflösung und Vergessenheit gefangen.

Im zweiten Ring, abgeriegelt durch den breiten Highway, glänzten schon die Bür-

gerhäuser – wie Furunkel. Mit Geziere und billigem Pomp wollten sie sich über ihr

Mittelmaß heben. Blank geputzt, geordnet, schabloniert. Ja, die wollten ins Auge der

Blendung hinein, in die Straße der verlogenen Stimmen, direkt auf den Machtberg.

Nah am Gipfel, unter Deviants stürzendem Blick, im Zentrum, drängte sich die

Behäbigkeit der breiten Boulevards bis auf die Höfe und Passagen – wo Kitsch und

Unsinniges in den Auslagen prahlte, wo Tempel der Ablenkung und des Verplem-

perns Nester aus Behaglichkeit und Genuss vortäuschten und eine aufgepflanzte

Sorglosigkeit gezüchtet wurde, welche die Oberfläche des Lebens zum kargen Grund

des Daseins werden ließ und das Fundament der ideologischen Manipulation, der

frechen Verführung und der willigen Unterwerfung bildete.

Hier spreizten sich trügerische Gestalten wie die Höflinge vor Jahrhunderten.

Fassade und Kleidung bestimmte über Zweck, Berechtigung und Grad der eigenen

Wichtigkeit in diesen Ghettos der Eitelkeiten, wo in langweiliger Achtlosigkeit die

Zeit versickerte.

Kulturstätten, zu Gesinnungsschleusen verkommen, reckten sich empor. Geschäf-

tigkeit und Markt überstopften die gerasterten Hirne mit Lawinen von Nutzlosem

und rundeten die Tage platt ab.

Leseprobe

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Leseprobe – Treibhaus TrisTesse

Deviant sah neben dem Regierungskastell und dem gläsernen Wolkenkratzer der

GPD den Park, der wie verschüttete Farbe die kantigen Silhouetten der finsteren

Machtportale umfloss. Er sah Wiesen, das kleine Waldstück, das sich bis an die dunk-

len Mauern lehnte, den Teich, die Kapelle, das Krematorium mit dem Friedhof, ein

Gärtnerhäuschen und das rote Gemäuer der geheimnisvollen Klinik.

|

Globale Deals

„Da sind Sie ja schon, kommen Sie rüber zur Sitzecke. Kaffee?“

Die Luft war eng, mit Überfluss verstopft. Blei brauchte eine kurze Zeit, um den

fahlen Geruch ohne Mühe einzuatmen. Durch die Leblosigkeit hindurch redete Me-

läna gut gelaunt von den brillanten Zahlen an der Börse.

„Und Sie, mein Lieber, haben daran Ihren Anteil. Wir werden unseren Aufwärts-

trend noch steigern und einige hohe Herren von nebenan“, er nickte mit dem Kopf

zur Regierungszentrale, „wollen ihre Privateinlagen erhöhen und die Kosten gesenkt

sehen. Die haben uns neunzig Prozent aller Gelder für unsere Prestigeobjekte als

Fördermittel rüber gereicht. Das deckt bei weitem alle unsere Kosten. Die fordern

jetzt ihren Lohn. Wir haben großzügig gerechnet. Da sind für jeden noch eine Menge

Appetithappen drin. Diese Politiker bedienen sich natürlich ausgiebig. Aber mir soll`s

recht sein.“

„Was meinen Sie damit?“

„Blei, Blei. Manchmal frage ich mich, ob Sie wissen, wie das Geschäft funktio-

niert. Wir pumpen den politischen Entscheidungsträgern die Hosen voller Geld, bis

ins dritte Untergeschoss ihrer uferlosen Hierarchie. Man weiß nie, wozu man diese

Hinterbänkler mal brauchen kann. Die sind besessen von Geltungsdrang und Gier

und köpfen jeden, den sie können, wenn es ihnen dient. Eine hungrige Meute, die sich

leicht lenken lässt, wenn sie genügend Futter hinschmeißen. Wir bekommen die Ge-

neralaufträge, dafür gibt es Aufsichtsratsposten für diese Aufgestelzten. Müssen sich

aus den Entscheidungen raushalten. Aber sie dürfen vor die Kameras, den Unsinn

von dem harten Kampf um die Arbeitsplätze verbreiten. Außerdem muss die Justiz

alles absegnen, das lässt diese gefräßigen Grillen im rechtsfreien Raum schweben.

Bald bin ich Minister und oberster Richter. Dann sind die Wege noch kürzer.

Wir wollen nun, lieber Blei, unsere Gewinne maximieren, haben eine neue Strate-

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Leseprobe – Treibhaus TrisTesse

gie. Sie bekommen eine verantwortungsvolle Aufgabe. Ist die Arbeit getan, erhöhen

wir uns die Vorstandsgehälter, den Sesselfurzern ihre Diäten, verkaufen den Eseln

draußen mit den Freunden der Presse den ganzen Mist als Aufschwung oder Reform

und alle sind zufrieden. Wir drücken die Hebel, Blei. Diese ganze muffige Stadt ge-

hört uns, jedes Haus, jede kleine Fratze … auch das Land – und wir weiten das Areal.

Wir expandieren und verdienen wieder. Wir werden mit den satten Gewinnen von

dem sozialen Bausäckel Hilfsprojekte in Kriegsgebieten anschieben, Blei. Da klebt

das ganz große Geld. Unsere Helfer und Partner sorgen für die Krisen, damit für

den Absatz. Jeder wird beliefert. Wir sind neutrale, seriöse Händler im Staatsauftrag.

Die Toten, die Morde, das Elend – alles nicht unser Bier. Die Rüstungsindustriellen

wollen, dass ihr Kram zum Einsatz kommt, der muss zerstört werden, damit die wei-

terproduzieren können. Auf dieser Ebene gibt es keine Feinde. Ein nie versiegender

Kreislauf. Eine gigantische Bereicherungsmaschinerie.

Und danach, wenn alles zerbombt ist und in Trümmern liegt, bauen wir auf. Hu-

man versteht sich. Milliarden sage ich, Milliarden! Wir helfen bei der Rohstoffplün-

derung? Aber gern, natürlich, sehr gern. Wir helfen! Selbstverständlich brauchen

wir die Justiz, auch die Politiker – alle Segensgeber. Es läuft zu unserer Zufriedenheit

– übrigens seit vielen hundert Jahren sehr erfolgreich. Wie ist der Kaffee? Direkt von

unser firmeneigenen Plantage. Als Dank für unsere Entwicklungshilfe.“

„Sie spielen Gott.“ – „Nein, Blei, wir sind Gott und Sie dürfen in unserem Olymp

wohnen. Einige Stufen tiefer, aber voller Privilegien. Haben Sie Ihrer reizenden Frau

zu verdanken …“

|

Wieder lachte Meläna, brummte zufrieden, schmatze selig wie ein sattes Kind. Er

stand auf, ging geräuschlos durch den gläsernen Raum. Seine selbstherrliche Maske

täuschte Blei nicht. Jetzt umkreiste er ihn, die Arme wie Katapulte hinter dem Rü-

cken verspannt.

„Sie meinen die geleasten Menschen?“, fragte Blei.

„Das sind Zeitarbeiter. Mann, verquatschen Sie sich bloß nicht. Was kosten die

uns?“ – „Mit Vermittlungsprovisionen circa fünf Taler die Stunde. Davon bekommen

die Abgestellten zwei.“ – „Im Verhältnis sind die ja richtig satt. Arbeiten bei Tag und

haben keinen Abzug für Unterbringung. Verdienen mehr als die Lurchen im Dun-

keln. Gut, das regle ich selber mit den Verleihbossen. Richtige Halsabschneider sind

das. Nun zum größten Posten, den Subunternehmen.“

„Denen müssen wir angemessene Verträge anbieten.“

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Leseprobe – Treibhaus TrisTesse

„Schon klar, Blei, wegen der Öffentlichkeit. Wir sind ja schließlich die Guten und

fördern die Arbeit. Aber Papier ist geduldig. Meine schwarzen Wölfe lauern schon.

Unsere Verträge mit den Kleinfirmen sind ein kompliziertes Netzwerk von Fallen,

ein Minenfeld, das diese Deppen niemals durchschauen – meist verwurstelt mit der

öffentlichen Hand, die knochenhart ist. Bezahlen selten. Die machen uns das vor. Da

müssen wir auch härter werden. Gut, für die ist es leicht, müssen nichts erwirtschaf-

ten, brauchen sich nur zu bedienen – klar, dass da keiner raus will. Also, drücken Sie

die Auszahlungsanteile für die Suppis.“

„Wie soll das gehen?“ – „Ich habe Ihnen bereits Spezialtrupps organisiert, da ich

Ihre dämliche Fragerei und Gedankenschwere vorausgesehen habe. Wenn die Firmen

ihre Arbeit nicht korrekt ausführen, gibt es kein Geld! Nacharbeit muss in kürzester

Zeit geschehen. Steht in den Verträgen. Der Schaden muss so groß sein, dass die ord-

nungsgemäße Fristeinhaltung unmöglich wird. Außerdem werden Sie das nächste

Gewerk rein schicken. Wir bezahlen nicht und fordern Schadensersatz. Die Abnahme

machen Sie mit denen, kündigen die Verträge. Und schmeißen Sie noch ein paar

Leute von unserem Logistikteam raus. Die haben ihren Job gemacht. Sitzen doch

hoffentlich nur auf Praktikantenstellen oder Projektverträgen. Wir wollen bald ein

großes Fest geben.“

Das Raubtier sprang ihn an. Melänas Stimme fauchte, seine Augen waren Schieß-

scharten, schmal, zentriert. Über dem Schädel spannte sich die braune, fleckige Haut

wie ein angegossenes Visier. Er war der Magnat, der kein Zögern duldete. Wie Sumpf

schluckten die jahrhundertealten Teppiche das Zischen der Wortklingen.

Blei spürte einen schmerzhaften Druck im Kopf, der durch die Ohren in sein Hirn

raste. Ein Surren wie gespannte Seile, wie Fesseln, die festgezurrt wurden. Er stemm-

te sich dagegen, zwang sich zu gelassener Akzentuierung.

„Bis jetzt gibt es wenige Mängel, die Leute arbeiten gut. Die alten Meister verste-

hen ihr Handwerk.“

„Mensch Blei, dafür haben wir meine Truppen!“

„Sie meinen … Sabotage auf unserer eigenen Baustelle?“

„Sabotage, ach Bauleiter, was für ein böses Wort. Die Truppen sollen nach dem

Rechten sehen …, sind halt Tölpel. Da geht schon mal ein bisschen Porzellan kaputt.

Verschwiegene, verschlossene, vulgäre Jungs. Ein wenig – wie soll ich sagen – tollpat-

schig, aber zuverlässig.“

Blei schaute in das Gefräß seines Gegenübers – grinsend, gepudert, selbstzufrie-

den. Wozu sollte das alles gut sein?

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Leseprobe – Treibhaus TrisTesse

„Doktor Meläna, das sind abartige, illegale Mittel. Es sollte andere Wege geben.“

„Werden Sie erwachsen, Mann. Was heißt hier illegal? Was heißt hier, andere

Wege? Wir bestimmen, was legal ist. Wir geben die Richtung vor. Bald bin ich Justiz-

minister. Ich bin dann selbst das Recht, die Legalität in Persona. Gesetze werden von

Menschen gemacht, genau wie Wahrheiten und Streitigkeiten.“ Verächtlich zogen

sich seine Lippen durch das fahle Gesicht – ein Schmiss.

„Alles entspringt unserem Kopf. Mein Hund schert sich einen Dreck um solche

Definitionen. Der will fressen und es warm haben und wartet auf seinen Tritt. Was

wird Ihre Frau sagen, wenn Sie kneifen? Sie schaffen es nie, wenn Sie so zimperlich

sind. Es gibt viel weniger Sieger als Verlierer. Sie haben zumindest die Chance, einen

profitablen Job zu behalten. Also los, Mann.“

Melänas schwarze Augen glühten fassungslos. Blei wusste – für den gab es keine

anderen Gedankenbahnen mehr. Der glaubte an seinen Gott, an sich, seine Macht, die

Herrschaft seines Denkens und Handelns. Er war der Magnat, sah sich als Pharao des

letzten Reiches, war ein Lederherz.

Blei stand auf, schaute durch die abgetauten Scheiben auf die riesigen Gerüstkräne

und Hochhauspyramiden. Sie standen wie vergessene, halbfertige Spielzeugtürme in

den klebrigen Straßen. Alle Ritzen voller Bewegung, Surren, Krabbeln.

Wirklich. Menschen sind Ameisen, von hier oben betrachtet. Das ist seine, des

Sonnengottes Perspektive. Aus klimatisierten Räumen, durch geräuschgeschützte

Fenster, sieht er seine Realität. Auf dieser baut er seine Entscheidungen und Phan-

tasien auf. Ein General im Sandkasten, der Menschenleben in Haufen isoliert, ver-

schiebt, vernichtet. ‚Diese perverse Machtkälte‘, dachte Blei.

„Ich plane nicht alles durch, damit sie hier herkommen und mich nach Richtig-

keiten fragen. Meinen Sie etwa, ich muss mich vor Ihnen rechtfertigen? Sie haben

ja sogar Angst vor Ihrer Frau.“ Verächtlich verzog er seine engen Lippen. „Sie sind

abhängig, von ihr, von mir und von den Launen Trichines. Sie können nicht wählen.

Sie sind ein Knecht! Hören Sie! Ein Knecht. Also, Knecht, reißen Sie sich zusammen

und machen Sie Ihren Job. Dann vergesse ich das Gespräch. Ansonsten schmeiß ich

Sie raus, mit Hausverbot. Sie sind in fünf Minuten vor der Tür, werden diese Räume

nie mehr betreten und die Presselakaien erfinden so bizarre Geschichten, dass selbst

die Köter draußen einen Bögen um sie machen! Dann sind sie tot! Verstanden?“

Blei drehte sich um. Er hatte im Spiegel der Scheiben bemerkt, dass Meläna auf-

gesprungen war, gestikulierte. Er roch den bitteren Atem in seinem Gesicht und sah

hinaus. Vor ihm klafften die eisigen Schluchten der Straßen. Groß und erhöht er-

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Leseprobe – Treibhaus TrisTesse

schien das Bild in seinem Rücken. Ihn ekelte die durchsiebte Luft, dieser überblitzte

Schnick-Schnack, all das Silber an den Scheiben, das Gold der Rahmen, die offenen

Dro hungen und seine eigene Feigheit. ‚Sie können nicht wählen’, zuckte es durch

seinen Kopf. ‚Knecht…’!

„Ich werde es tun. Lassen Sie mich gehen.“

„Natürlich, mein Lieber. Trinken Sie Ihren Kaffee, gepflückt in der Nähe des Para-

dieses. Ich werde dafür sorgen, dass Sie auch mal dahin fahren. Ausspannen.“

Meläna war in den riesigen Ledersessel gerutscht. Eingeschlungen in eine rote

Samtdecke wie in einen Zenturioumhang, verschmolz sein Körper zu einem breiten,

flammenden Bildnis der Macht – von der untergehenden Sonne übergossen. Er lach-

te, schüttelte sich wie ein Beben, das den Raum schwanken ließ. Vielfach vergrößert

warf die Spiegelung der Scheiben seine Gestalt wie eine große Finsternis aus der

Dämmerung des Zimmers über die gesamte Glasfront, über den zusammengeduck-

ten Blei, über die Hochhäuser und die Gassen und Hütten der fernen Ringe, bis an

den künstlichen Horizont, hinter dem das Todesrad des Krieges funkend raste.

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Liebe

Deviant saß zurückgelehnt auf dem Cafehausstuhl und blinzelte in die warme

Sonne. Er hörte das Geschirr klappern, das Absetzten von Teetassen, Geplauder – und

dazwischen das helle Auflachen Innocentias. Wie weicher Wind umflossen diese Ge-

räusche ihn, waren einfach da, lösten still seine Spannungen auf.

Er kannte diesen Teil des Parks, der direkt am Rand der City lag, noch nicht. In-

nocentia hatte ihn hierher gezogen, die heute so klare Augen hatte, so leicht war, die

ihn umschwirrte, ihn sanft geküsst hatte … diese Leichtigkeit, dieser innere Friede,

waren noch unbegreiflich für Deviant …

Das kleine Cafehaus hatte zur Straße hin einen Eingang, etwas grau, etwas abge-

nutzt. Ging man durch die beiden geduckten Räume, die im Flair einer kleinbürger-

lichen Maske erstart waren, öffnete sich ein halbrunder, heller Wintergarten – mit

Terrasse, wo Deviant an einem Tischchen saß, rauchte und die Weite der Wiese nur

durch die wenigen, aber riesigen Platanen durchbrochen wurde.

Der Kellner hatte einen großen Stapel weißer Papierservietten verloren, die der

Wind wie blitzende Wellen zwischen Stühle und Tische und über die Gräser trieb.

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Leseprobe – Treibhaus TrisTesse

Innocentia war lachend aufgesprungen. Sie jagte den gleißenden Flügeln nach, wie

flinken Schmetterlingen.

Deviant konnte den Augenblick nicht halten, dieses Spielende, diese einfache Un-

beschwertheit, in der einem das Rätsel des Daseins zuzwinkerte, das ohne Sinn schien

und ohne Raum – und doch lag darin das höchste Glück, die kindliche, die einzige

Freiheit. Ohne zurückzufinden zur Kindlichkeit blieb der Himmel fern für die Men-

schen. ‚Das Denken und Grübeln begräbt das Leben‘, dachte er.

Deviant öffnet die Augen, wendet den Kopf – Innocentia plaudert und kichert

zum Kellner, während sie mit ihm die eingefangenen Schmetterlinge faltet. Der Ober

dreht sich zum Caferaum, gibt der Serviererin Zeichen, hält zwei Finger in die Höhe,

deutet auf eine Espressotasse, nickt zu Innocentia. Die lacht Deviant an, vollkommen

frei, winkt … Er hebt seinen schweren Arm, spreizt die enge Hand, die wie mit Gum-

mis gehalten wird, sein Lächeln klemmt …, aber sie sieht es nicht, ist zu weit weg,

sie spielt und ist ganz dabei. Nichts fehlt ihr jetzt. Keine Vergangenheit quält sie und

kein Morgen …, das sie nicht kennt.

Wenn er sie alle anschaut – Innocentia, Logos, die Schmahls, die Kinder – sieht er

manchmal diese Patina über ihren Augen, sichtbar gewordene Angst …, ein Geheim-

nis, ein grausiges, dass ihm keiner verrät, das alle verbergen wollen vor ihm, vor sich

selbst, das dennoch ihr Leben zerfrisst, ihr aller Leben!

Er weiß es doch, weiß alles!, kennt doch ihre Qual …; aber auch er lässt diese

perverse Bedrohung, die so abstrakt bleibt, so krank, so unvorstellbar, nicht aus den

Gleisen der Verdrängung, will sie vergessen, damit seine Seele nicht erstarren muss,

nicht zerspringt. Es gelingt nicht; diese Dämonen reißen jedes Glück auf ...

Er sieht sie tänzeln, flattern, diese Herrliche – und weiß es doch …, wenn er die

Limousinen sieht – alle zwei Wochen, mit Meläna, mit hohem Staatsgesindel, mit

Lederherzen voll und kalten Leguanen. Er weiß alles, er sieht doch die stummen

Münder der Kinder, die leeren Blicke, die schweren Bewegungen und deren greise,

gebrochene Körper … und die Hassträume Innocentias …, nachts, wenn ihr Atem

zu rasen beginnt, wenn die Dämonen in sie einfahren, sie hinunter zerren in ihre

Hölle …; seine Kraft reicht nicht aus, ihre spastischen Bewegungen niederzudrücken –

wie eine riesige Spinne wirft sie dann Arme und Beine gegen die Dunkelheit, schreit,

schreit, dass ihm das Blut gerinnt …, auch er schreit …, aber er kann sie nicht her-

rausreißen aus den Klauen …, bis er ihren Kopf fasst, fest, wie eine Muschel sich

schützend schließt …, dann zwingt er sein Gesicht neben das ihre, flüstert …, seine

Lippen berühren die heißen Ohren …, flüstert ihr zu – zarte, weiche Worte …

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Leseprobe – Treibhaus TrisTesse

„Liebste ...“ und langsam dringt dieser Klang in sie ein und wie Licht das Dun-

kel auflöst, so kommt sie zurück, erschöpft, sinkt neben ihn – dann sieht sie ihn

an, so eindringlich, dass der warme Schauer auf seiner Haut bleibt, bis er langsam

einschläft, nur noch spürt, dass sie seine Hände hält, ganz fest, doch ohne die Kraft

der Muskeln, so magnetisch anziehend, wie nur Säuglinge und kleine Kinder einen

Finger halten können …

Später gingen sie durch das Gras, das fleckig war von den Schatten der Blätter.

Die Sonne hockte auf dem Dach der Klinik, sank ein, Sekunde für Sekunde, wie in

einen Sumpf – und mit dem Grau kam die Kühle. Sie saßen auf der Bank am See und

Innocentia sprach bestimmt und leise, wenn sie von ihrem Vater erzählte, vom Hof,

vom Tod, vom Brand, wenn sie von ihrem eigenen Grauen sprach und von Sebastian,

ihrem Bruder, und dass sie ihm helfen müsse, bei ihm sein muss!

Sie sagt das zum ersten Mal und sieht ihm dabei in die Augen, ungetrübt, ganz

fest, die ganze Zeit – und weiß, was er sagen wird … und sie weiß, dass jetzt die Zeit

ist, dass sie es hören will von ihm, dass sie es begreifen kann … Jetzt.

„Wir werden uns befreien, Innocentia. Niemals mehr werden wir unser Leben

von anderen bestimmen lassen. Niemals mehr wird uns jemand quälen. Wir kehren

zurück zu uns selbst. Gemeinsam. Wir können es endlich.“

Ihr Gesicht stand blass und zart vor ihm, klar glänzten die Augen und alles in ihr

schrie: ‚Ja, Liebster, ja!’

Deviant nahm sie in den Arm, zog sie an sich, ganz eng – und sie waren eins – und

keine Gedanken kamen, denn ihr Puls durchraste sein Blut.

Urheberrecht und Copyright – alle Rechte vorbehalten jegliche Vervielfältigung des Textes, auch elektronische Weitergabe und Speicherung, sind untersagt.

Page 11: Treibhaus Tristesse

Der Dichter Kishore Sumac stößt den Leser

hemmungslos in das entwurzelte Dasein sei-

ner Figuren. Ihre inneren Kämpfe sind fühl-

bar; wir werden selbst paralysierte Massen-

menschen.

Er lässt uns schonungslos vom Gift der Gier

und dem Blut des kalten Egoismus trinken –

alles in einem beängstigend realen Kaleidos-

kop vielschichtiger Charaktere, in dem trüben

Treibhaus einer Großstadt, voller Sarkasmus,

Zärtlichkeit und Heimtücke.

Mit stilsicherer Vielfalt und bildgewaltiger

Sprache macht er uns zu Beteiligten, treibt uns

in die Enge, lässt uns verstört zurück, um dann

das Blei des Himmels wieder aufzuschmelzen,

mit Weichheit und Hingabe und der tief wur-

zelnden Kraft unseres transzendenten Seins.

Wir finden uns wieder, jeder für sich, in der

Tristesse konstruierter Wichtigkeiten, oder im

Herzstillstand eines Kusses.

Wir werden dort berührt, wo routinierte Pro-

paganda und aufgehetzte Konditionierung

einen kalten Wall errichtet haben, dort und

dahinter, wo das wahrhaftige Herz unserer

Lebendigkeit pulsiert und die Trommeln der

Angst sich auflösen können.

Der Autor

Rezension

kishore Sumac

• geboren1964inBrandenburg/Havel

•wohntimLandkreisMOL,naheBerlin

• Berufe:Profisportler,Dipl.Sportwissenschaftler,

Physiotherapeut, Dipl. Medizinpädagoge

Schreiben:

• vorrangigLyrik,Erzählungen

• TreibhausTristesse–ersterRoman

Page 12: Treibhaus Tristesse

Samay Verlag 15344 StrausbergPostfach 1213

Telefon: +49 (3341) 42 35 04E-mail: [email protected]: www.samay-verlag.de

Das Buch

Autor: Kishore Sumac

„Treibhaus Tristesse“ – Roman, ca. 500 Seiten

1. Auflage 2015, Strausberg

Verlag: Samay Verlag

ISBN-Nr.: 978-3-9817188-0-5

Titeldesign / Satz / Layout: Carolin Oelsner

Schriftausführung: Margita Schmidt

Druck: CPI

Marketing: André Jontza


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