Traumafolgestörungenin der Psychosomatik
---------------------------------------------------------------------------Die Auswirkungen von traumatischem Stress auf den Organismus und deren Bedeutung für die Therapie
Dr. Sonja Schulz
Leitende Ärztin der Klinik für
Psychosomatische Medizin und
Psychotherapie
Fliedner Krankenhaus Ratingen
Erklärung zu Interessenkonflikten
Hiermit erkläre ich, dass zu den Inhalten der Veranstaltung
kein finanzieller und nicht-finanzieller Interessenkonflikt
vorliegt.
Dr. med. Sonja Schulz
Fliedner Krankenhaus Ratingen
Leitende Ärztin der Klinik für Psychosomatische Medizin
und Psychotherapie
Mitglied in der Deutschen Gesellschaft für
Psychosomatische Medizin und Psychotherapie (DGPM)
Gliederung
•Begriffsbestimmung
•Traumafolgen auf das Nervensystem
•Polyvagaltheorie
•Implikationen für die Therapie
Trauma(griechisch: Wunde)
• Somatisch:
körperliche Verwundung/Verletzung, die durch einen Unfall oder eine Gewalteinwirkung hervorgerufen wurde.
• Und psychisch?
Definition für psychisches Trauma nach ICD 10:
„Ein belastendes Ereignis oder eine Situationaußergewöhnlicher Bedrohung (kurz oder lang anhaltend) oder katastrophenartigen Ausmaßes, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde.“ (WHO 2000)
Fischer und Riedesser 1998:
„Ein vitales Diskrepanzerlebnis zwischen- bedrohlichen Situationsfaktoren und den- individuellen Bewältigungsmöglichkeiten, das mit Gefühlen von
- Hilflosigkeit und schutzloser Preisgabe einhergeht und so eine dauerhafte
- Erschütterung von Selbst- und Weltverständnis bewirkt.“
Welche Traumafolgestörungen gibt es?
Erkenntnisse der modernen Hirnforschung
• Traumatische Situation setzt das übliche Verarbeitungsvermögen außer Kraft
• Menschlicher Organismus schaltet auf genetisch determinierte Notprogramme um
→ häufig langfristige Störungen der neuronalen Hirnstruktur
→ Trauma geht nicht vorbei, da es neuronal in uns verankert liegt
Traumafolgen auf das Nervensystem
1.) veränderte Informationsverarbeitung = Folgen auf das Gedächtnis
2.) Dysregulation des autonomen Nervensystems = Verlust der Selbstregulationsfähigkeit des Organismus
Trauma und Gedächtnis
•Großhirn (Neokortex: das rationale, menschliche Gehirn)
•Zwischenhirn (limbisches System oder Säugetiergehirn)
• Stammhirn (instinktives Reptiliengehirn)
Hierarchischer Prozess der zentralnervösen Verarbeitung von Informationen
Zentrale Rolle von Amygdala und Hippocampus:
• Amygdala: emotionale Bewertung, zeigt Gefahr und Bedrohung an, speichert Informationen im emotionalen impliziten Gedächtnissystem
• Hippocampus: kontextualisiert die Informationen der Amygdala und überführt sie in das explizite Gedächtnis
• Kortex, insbesondere präfrontal: weitere Verarbeitung und Abstimmung mit autobiographischen Gedächtnisinhalten
Zusammenbruch bei traumatischem Stress
Überflutung mit Stresshormonen, insbesondere Cortisol, führt zum Funktionsverlust des Hippocampus:
→ die zum Trauma gehörenden Empfindungen können nicht in das semantische Gedächtnis überführt werden
→ sensorische Eindrücke bleiben als Erinnerungssplitter fragmentiert in Amygdala gespeichert
→ ungefilterte Aktivität der Amygdala mit unangemessener Meldung von Gefahrensignalen und übergeneralisierten Angstreaktionen
Traumafolgen auf das Nervensystem
1.) veränderte Informationsverarbeitung = Folgen auf das Gedächtnis
2.) Dysregulation des autonomen Nervensystems = Verlust der Selbstregulationsfähigkeit des Organismus
Physiologische Selbstregulation des autonomen Nervensystems
Sympathikus: Aktivierung, Mobilisierung, Erregung
Parasympathikus: Deaktivierung, Entspannung, Ausruhen
Biologische Reaktion auf Bedrohung (1)
Biologische Reaktion auf Bedrohung (2)
Biologische Reaktion auf Bedrohung (3)
Dysreguliertes autonomes Nervensystem
Traumatisches Ereignis
auf
„AN“
steckengeblieben
auf
„AUS“
steckengeblieben
Hypervigilanz, Hypermobilität,
Impulsdurchbrüche, Panikattacken,
Euphorie
Erschöpfung, Depression, Unverbundenheit,
Hilflosigkeit, Gleichgültigkeit, Dissoziation,
emotionale Taubheit
TO
LE
RA
NZ
FE
NST
ER
Sympathikus
Parasympathikus
Die traumatische Zange
Sym
pat
his
ches
NS
A
R
O
U
S
A
L
FLUCHT
Panik
Angst
Sorge
KAMPF
Rage
Wut
Irritation
„I can“
„I can‘t“
ERSTARREN
Dissoziation
Immobilität
Taubheit
Dorsal vagales System
Ventraler Vagus = Soziales Engagement-System
Baseline = Ruhe und Wohlbefinden
Immobilitätsreaktion
Persistierende
Dysregulation
Zusammenspiel von Körper und
„Seele“
Traumatischer
Teufelskreisdurch positive Feedbackschleifen
Nach einem Trauma erleben Menschen die Welt mit einem veränderten Nervensystem, dessen Wahrnehmung von Gefahr und Sicherheit nicht mehr so ist wie vorher.
Das Nervensystem traumatisierter Menschen ist ständig „auf der Hut“:
→ Typische Schwierigkeiten traumatisierter Menschen:● Sich sicher zu fühlen im Kontakt mit Anderen
● Anderen körperlich nah zu sein
● Berührt zu werden oder andere zu berühren
● Vertrauensvolle soziale Beziehungen aufzubauen
Polyvagaltheorie nach Stephen Porges:Neuroception
= Fähigkeit, Gefahr und Sicherheit in der Umgebung einzuschätzen
Reiz Reaktion
Physiologischer Zustand
des vegetativen Nervensystems
Drei Ebenen der Sicherheit
Nachteile dieser hierarchischen Gliederung
Therapie
Ziel ist es, dem Nervensystem des Patienten zu ermöglichen, wieder ins Gleichgewicht zu kommen.
Voraussetzungen dafür:
•Echter Kontakt (Reziprozität)
•Sicherheitserleben ( → soziales Engagementsystemwird aktiviert)
Die Bedeutung der Reziprozität
Fehlende Reziprozität aktiviert den Sympathikus
Echter Kontakt
•Rechtshemisphärische Kommunikation
•Körperwahrnehmung
•Somatische Resonanz
Sicherheitserleben
Häufige Fehlannahme von uns Therapeuten:
Ich bin sicher und mein Therapieraum ist es auch.
→ Wir müssen aktiv Sicherheitserleben herstellen.
Wie?
→ Prozess der Orientierung unterstützen
Traumasymposium 24.10.2018 - Dr. Sonja Schulz
Die Bedeutung der Orientierung
1.) Trauma führt zur Unfähigkeit im Hier und Jetzt zu sein
2.) Negativitätsüberhang
→ Fokus auf das Negative gerichtet → Aufmerksamkeit führt zur Verstärkung → neg. Feedbackspirale
→ neg. Erfahrung ist sofort gelernt, positive braucht 17 Sekunden
Positives Empfinden stärken
• Gegengewicht zur „What`s wrong“-Aufmerksamkeit! (Negativitätsüberhang)
•„Wann in den letzten Tagen haben Sie sich so gefühlt, wie Sie sich gerne öfter fühlen möchten?“
• im Körper verankern
Zusammenfassung
1. „Trauma ist seinem Wesen nach nonverbal.“ Peter Levine
→ Top down-Interventionen alleine nicht ausreichend, Kombination mit Interventionen, die den Körper und seine Weisheit mit einbeziehen
2. Therapeutische Arbeit im „Window of tolerance“
→ Zone optimalen Arousals, in der Lernen möglich ist
3. Einbeziehen des Sicherheitssystems des Gehirns
→ Trauma-Arbeit mit einem Fuß im Bereich des ventralen Vagus und einem Fuß im äußeren Hier und Jetzt: Erfahrung von Sicherheit in der therapeutischen Beziehung