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translationsbiedermeier

Date post: 12-Dec-2015
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Erich Prunch
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TcT 14 = NF 4, 2000, 1, Erich Prunč Vom Translationsbiedermeier zur Cyber-translation 1. Fakten und Fragen Im Jahre 1945 standen einige Geheimdienstmitarbeiter, die sich während des Krieges mit der Kryptologie, also der Wissenschaft vom Entziffern und Verschlüsseln von Geheimbotschaften befaßt hatten, mit ihrem Spezialwissen plötzlich „arbeitslos“ da. Sie waren, wie man heute sagen würde, technologischer Überschuß. Sie verstanden es trefflich, mit Codesystemen umzugehen, wußten, wie man eine Zeichenkette nach Gesetzmäßigkeiten absucht, wie man anhand der Wahrscheinlichkeitsverteilung einzelner Elemente in dieser Kette und in Korrelation zur Wahrscheinlichkeitsverteilung einzelner Sprachphänomene entsprechende Rückschlüsse zu ziehen hat, um – wie man es salopp zu sagen pflegte – einen Code zu knacken. Ein Kryptologe etwa, dem die Geheimnachricht (1a)
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TcT 14 = NF 4, 2000, 1,

Erich Prunč

Vom Translationsbiedermeierzur Cyber-translation

1. Fakten und Fragen

Im Jahre 1945 standen einige Geheimdienstmitarbeiter, die sich während des Krieges mit der Kryptologie, also der Wissenschaft vom Entziffern und Verschlüsseln von Geheimbotschaften befaßt hatten, mit ihrem Spezialwissen plötzlich „arbeitslos“ da. Sie waren, wie man heute sagen würde, technologischer Überschuß.

Sie verstanden es trefflich, mit Codesystemen umzugehen, wußten, wie man eine Zeichenkette nach Gesetzmäßigkeiten absucht, wie man anhand der Wahrscheinlichkeitsverteilung einzelner Elemente in dieser Kette und in Korrelation zur Wahrscheinlichkeitsverteilung einzelner Sprachphänomene entsprechende Rückschlüsse zu ziehen hat, um – wie man es salopp zu sagen pflegte – einen Code zu knacken.

Ein Kryptologe etwa, dem die Geheimnachricht

(1a)

vorgelegt worden wäre, hätte sich zu fragen, welcher Code, welche Sprache es wohl sein könnte, in der in einer so kurzen Zeichenkette die Zeichen und relativ häufig vorkommen. Daraus könnte er vielleicht Rückschlüsse auf ihre Funktion ziehen. So könnte er sich etwa fragen, ob sie einen Laut bzw. ein Buchstabenzeichen repräsentieren oder die Funktion eines Worttrennzeichens haben. Nehmen wir an, unser Kryptologe würde eine Hypothese bilden, das Zeichen stünde für ein Worttrennzeichen. Damit wäre schon einiges getan. Er wüßte nämlich, daß es sich um eine aus drei relativ kurzen Wörtern bestehende Mitteilung handelt. Er könnte sich nun, wenn er annähme, es handle sich um eine Mitteilung in der Sprache Deutsch, auf die Suche nach Zwei- und Dreibuchstabenwörtern machen. Das ergäbe schon eine überschaubare Wortliste. Nun könnte er auf Grund

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der Silbenstruktur des Deutschen eine zweite Hypothese bilden, daß es sich beim Zeichen , das in allen drei hypothetisch angenommenen Wörtern vorkommt, um einen Vokal handeln dürfte. Schließlich und endlich könnte er seine Wortliste a tergo ordnen und nach Wortpaaren suchen, die mit enden und denselben Silbenvokal haben. Das wäre immerhin schon etwas. Wenn er nun eine genügend große Textmenge zur Verfügung hätte, könnte er in fortschreitender Hypothesenbildung ein Regelsystem für die Zuordnung der Zeichen des Codes A zu solchen des Codes B, also für eine entsprechende Transkodierung entwickeln. Methodisch könnte er zwei Wege beschreiten. Er könnte direkte Zuordnungen zwischen Elementen des Codes A und Elementen des Codes B vornehmen. Er könnte aber auch einen Umweg einschlagen, indem er einen systematischen und abstrakten Raster, ein tertium comparationis, vorsähe und jedes Element der beiden Codes diesem System § zuordnete. Ein solcher abstrakter Raster wäre zum Beispiel der bekannte ASCII-Code, in welchem Steuer- und Schriftzeichen einem binären System von Zahlen zugeordnet werden.

Aber, so werden Sie sich vielleicht fragen, was hat dies mit Translation zu tun? § Nun, so weit hergeholt ist das Beispiel nicht.

Der erste Konnex, den wir herstellen können, ist ein historischer. Die besagten Kryptologen hatten nämlich eine Idee, wie sie aus der Marginalität des technologischen Überschusses wiederum ins Zentrum des Interesses der Mächtigen rücken könnten. Sie hatten während ihrer Kryptologenlaufbahn nicht nur trefflich zu dekodieren und – natürlich auch umgekehrt – zu kodieren gelernt, sondern auch zu den Auserwählten gezählt, die schon sehr früh ein Gerät kennenlernen durften, das zu dieser Zeit recht raumfüllend, klobig und störanfällig war, das sich jedoch bald darauf anschickte, das postindustrielle Zeitalter einzusummen: den Computer.

Durch die Kombination des vorhandenen kryptologischen und kybernetischen Fachwissens, so glaubten sie, müßte es doch möglich sein, ein so einfaches Ding wie die Sprache, die schließlich und endlich jedes Kind beherrsche, in den Griff zu bekommen. Da Sprachen Codesysteme darstellten, könnte man doch auch ein entsprechendes Regelsystem zur Umkodierung aus der Sprache A in die Sprache B konstruieren. Methodisch könnte man zwei Wege beschreiten: Jenen der unmittelbaren Umkodierung von A zu B oder jenen über einen objektiven Raster, ein tertium comparationis.

Mit einer für Geheimdienstleute eigentlich atypischen Naivität machte man sich ans Werk, um den Faktor Mensch in der translingualen Kommunikation zu eliminieren und sie denkenden Maschinen

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anzuvertrauen. Die aus der Systemlinguistik übernommene Abstraktion der Sprache als System, die daneben immerhin noch die parole als ihre konkrete soziale Realisierung bestehen ließ, wurde seit der zweiten Hälfte der 50er Jahre durch § Chomskys § [Quelle] elegante und faszinierende Vereinfachungen der Generativen Grammatik zu einem unerschütterlichen Dogma verkürzt. Sprache galt als finites Regelsystem, mit dessen Hilfe man eine unendliche Zahl von Sätzen generieren könne. Ein ideales Konstrukt, maßgeschneidert für binäre Computergehirne.

Das Interesse der Wirtschaft, der Politik und – natürlich – des Militärs war einem solchen Unternehmen sicher. Man brauchte doch nur an die Unsummen von Geld, das für Übersetzungen verschwendet wurde und an die rarer und kostspieliger werdende Zeit zu denken, die vergeudet werden mußte, um die internationalen „Sprachbarrieren“ zu meistern. Es ist wahrscheinlich kein Zufall, daß § Weavers Memorandum (1949)1, in dem er das erste Konzept für die Entwicklung der § Maschinellen Übersetzung (MÜ) vorlegte, mit dem Beginn der ersten heißen Phase des Kalten Krieges zusammenfällt, ebenso wie es sicher kein Zufall ist, daß in den US-Programmen neben dem obligaten Russisch auch Sprachen wie Vietnamesisch als Zielsprachen auftauchen. Euphorie und Erfolgsdruck waren also immens und kaum jemand – wie z. B. § Hillel § [Quelle] – wagte es, ernsthafte Bedenken dagegen anzumelden.

Die Folgen waren unvermeidlich. Der berühmte ALPAC Bericht, der mit amerikanischer Nüchternheit feststellte, daß eine vollautomatische Übersetzung in absehbarer Zeit nicht erzielbar sein werde, brachte die erste Ernüchterung. Der Translationsprozeß erwies sich als wesentlich komplexer §, als man auf Grund der externen, philologisch verbildeten und linguistisch eingeschränkten Sicht auf das Phänomen Translation annahm.2

Es begann allmählich klar zu werden, daß mit einfachen Transkodierungsmodellen kein Staat zu machen § wäre. Das war, so möchte ich es metaphorisch sagen, die Geburt der Translationswissenschaft aus den „glänzenden Mißerfolgen“3 der MÜ.

Wir wollen uns also zunächst fragen, was war bei der MÜ schiefgelaufen, um dann mit der Frage nachzusetzen: Was hätte die TLW für die Humanübersetzung daraus zu folgern gehabt?

Setzen wir beim Gedankenmodell an, das der MÜ der ersten Generation zugrunde lag, und versuchen wir, die Gründe für das Transkodierungskonzept freizulegen. Es war zunächst der verkürzte

1 Fußn. Zu Weaver und Literatur dazu##2 Fußnote Entwicklung MÜ3 Fußnote Wandruszka ##

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Erfahrungshorizont, der den psychologischen Hintergrund für die Modellierung bildete. Das Transkodierungsmodell ging auf Grund der kryptologischen Erfahrung davon aus, daß der Prozeß der Nachrichtenübermittlung mit der Enkodierung der Botschaft § beginnt und mit der Dekodierung abgeschlossen § ist. Wenn der Mohr sein Transkodierungsprodukt in der Stabstelle abgeliefert hatte, hatte er seine Schuldigkeit getan und konnte gehen.

Die Interpretation der dechiffrierten und transkodierten „Nachricht“ lag nicht im Verantwortungsbereich und damit nicht im Gesichtsfeld der Kryptographen. Ihre Einbindung in den übrigen Informationshintergrund des Geheimdienstes, durch welche die entzifferte „Nachricht“ erst zur relevanten Information wurde, oblag den übrigen Stäben. Sie und nur sie verfügten über das entsprechende Geheim- und Hintergrundwissen, das für die Interpretation notwendig war. Die Arbeitsteilung, ja die gezielte Aufsplittung der einzelnen Prozesse und Wissensbestände lag im Interesse der Geheimhaltung. Nur wenige Auserwählte verfügten über den gesamten Wissensbestand, der es ihnen ermöglichte, den Wahrheitsgehalt der dechiffrierten Botschaft richtig einzuschätzen oder etwa bewußte Falschmeldungen von echten Berichten zu unterscheiden. Es wäre nun sicher reizvoll, den Gedanken weiterzuspinnen und anhand historischer Beispiele zu fragen, wie weit der Weg vom Vorliegen der dechiffrierten „Nachricht“ bis zu ihrer Interpretation war. Man nahm in Analogie der beim Militär etablierten strengen Arbeitsteilung jedenfalls an, daß es nicht Aufgabe des Transkodierenden sei, an der Interpretation der Nachricht mitzuwirken.

Auf Grund der streng arbeitsteiligen Konzeption übersah man auch zwei andere Sachverhalte im Vor- und im Nachfeld der Transkodierung.

Man war § erstens § in der kryptologischen Analyse immer wieder damit beschäftigt, die Dechiffrierung dadurch zu erschweren, daß man mit Chiffren und Decknamen einen zweiten oder dritten Code „darüberlegte“. Analog dazu war auf der „Empfängerseite“ damit zu rechnen, daß auf dem Weg von der Dechiffrierung zur Interpretation noch ein zweites oder drittes Codesystem zu dechiffrieren war. So konnte etwa – um ein aktuelles Beispiel zu nehmen – in den schwülen Augusttagen 1995 der serbische Geheimdienst durchaus kroatische Geheimnachrichten auffangen und dechiffrieren, in denen von Blitz (bljesak) und Gewitter (oluja) die Rede war. Um jedoch die relevante Information herauszufiltern, daß es sich dabei um zwei geplante militärische Großaktionen des kroatischen Militärs handelte, genügte es nicht, die chiffrierten Nachrichten zu entziffern. Vielmehr war einiges an Kombinationsvermögen und Kreativität

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erforderlich, um diese Decknamen überhaupt als § solche zu erkennen, da sie ausgezeichnet in die möglichen Kotexte paßten.

Als typisch für die Kommunikationssituation, mit der sich die Geheimdienste konfrontiert sahen, könnte man also die Strategie der Textproduzenten annehmen, ihre „Nachricht“ so zu gestalten, daß sie nur von bestimmten Partnern, nämlich den jeweils eigenen Leuten, verstanden und andere durch ausgeklügelte Hindernisse aus der Kommunikation ausgeschlossen würden.

Es wäre jedoch weit gefehlt, wenn man die angeführten Faktoren im Vor- und Nachfeld der Transkodierung als lediglich situations- oder gar feindinduziert und für die Übermittlung von Geheimdienstbotschaften charakteristisch betrachten würde. Wenn wir uns nämlich in unserem Alltag umsehen, so werden wir – dies mag als erster Denkanstoß gelten – zahlreiche Situationen finden, in denen ähnliche Strategien angewandt werden. Der interpretative Aufwand, den etwa die Stäbe, mit denen die Kryptographen kooperierten, zu betreiben hatten, steht modellhaft für die kognitiven Prozesse „normaler“ Kommunikatoren, d.h. für Prozesse, mit denen sich der Mensch bei seiner genetisch vorstrukturierten, kulturell vorgeprägten, sozialen und individuellen Informationsverarbeitung konfrontiert sieht. Die geschilderte Form der Informationsgewinnung im Rahmen der Geheimdienste stellt somit nur einen Extrem-, nicht jedoch einen Ausnahmefall von Kommunikation und Kognition dar. Um den Prozeß menschlicher Kommunikation in all seinen Facetten zu verstehen, ist also der gesamte Informationsfluß, von seiner Entstehung aus dem Chaos von Zufälligkeiten und Mustern, bis zu seiner Einbettung in ein neues, unter Umständen völlig anders strukturiertes und andere Zielsetzungen verfolgendes Umfeld zu beobachten. Jede Einschränkung auf die bloße Enkodierung und Dekodierung, also auf ein Teilsegment dieses Prozesses, kommt einer unzulässigen Reduktion einer komplexen Ganzheit auf einen, gemessen am gesamten kognitiven Aufwand, eher marginalen Aspekt gleich.

Gerade das aber war beim Transkodierungsmodell der MÜ der Fall. Leider wurde diese verkürzte Sicht auch von der älteren Translationswissenschaft übernommen. Statt aus den Fehlschlägen der MÜ zu lernen, die Tragfähigkeit des Modells an sich zu hinterfragen und sich möglichst rasch nach einem leistungsfähigeren Paradigma umzusehen, stolperte die TLW im Rahmen des Transkodierungsparadigmas von Holzweg zu Holzweg. Als pubertierende Tochter der kontrastiven Sprachwissenschaft befaßte sie sich, manchmal geradezu dilettantisch, mit

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Dingen, die sie besser gestandenen Philologen und Sprachwissenschaftern überlassen hätte.

Ich denke dabei vor allem an die grob vereinfachende Äquivalenzhuberei der TLW im Rahmen des konstrastiv-linguistischen Paradigmas. Die Annahme etwa, daß eine 1:1-Beziehung zwischen lexikalischen Elementen möglich sei, wird außerhalb des normierten Fachsprachenbereiches bereits von jedem besseren Wörterbuch Lügen gestraft. Es ist also nur eine Frage der Feineinstellung des sprachwissenschaftlichen Instrumentariums, inwieweit man überhaupt einfache Äquivalenzrelationen herstellen kann. Je feiner das Instrumentarium, um so mehr bewegt sich die Zahl der sprachlichen Strukturen, die zwischen zwei konkreten Sprachen in Form linearer Äquivalenzrelationen beschreibbar wären, gegen Null. Die Äquivalenzforderung wird so zu einer Chimäre, durch deren Irrationalität die TranslatorInnen lediglich in den Zwiespalt zwischen Anspruch und Wirklichkeit getrieben und einem falschen Erfolgsdruck ausgesetzt werden.

Ein terminologischer Wildwuchs von Äquivalenzdefinitionen und -typologien4 sowie von Beschreibungen asymmetrischer Äquivalenzbeziehungen von den Eins-zu-Viele- bis zu den Nulläquivalenzen (lacunae, Äquivalenzlücken) war für diese Phase der TLW charakteristisch. Dabei wurde oft – mangels entsprechender Kriterien und Corpora – fröhlich zwischen langue und parole hin- und hergesprungen und objektiv Systemhaftes mit idiosynkratischen Präferenzen vermischt. Die sozialen und situativen Bedingungen, unter denen der jeweilige Sprachtransfer stattfand, stattfindet oder stattfinden kann, wurden im besten Fall impressionistisch oder essayistisch gestreift. Die TLW gerierte sich zwar präskriptiv, gab jedoch den praktizierenden TranslatorInnen außer generellen Äquivalenzpostulaten kaum Entscheidungshilfen § an die Hand. Die Entfremdung zwischen Theorie und Praxis war nicht nur die Folge einer esoterischen Terminologie, sondern in erster Linie die Folge der durch normative Postulate übertünchten Kriterienlosigkeit. Aus dieser Sicht wird auch verständlich, daß § Reiß’ Texttypologie § (vgl. Reiß 1983) einer der wenigen translationswissenschaftlichen Ansätze war (und zum Teil auch heute noch ist), die von den Praktikern rezipiert wurde, da sie als erste eine gewisse Ordnung in das Chaos von Äquivalenzforderungen brachte. Als dann die Translationswissenschaft mit der Öffnung zur Literatur- und Kulturwissenschaft sowie zur Semiotik auch für Praktiker operationalisierbare Modelle anbot, war der Dialog zwischen Wissenschaft

4 Anmerkung Wilss aus Snell-Hornby ### § Literatur

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und Praxis schon so vorurteilsbeladen, daß die kognitive Schallmauer kaum mehr zu durchbrechen war. So blieben die folgenden Paradigmenwechsel der Descriptive Translation Studies, der Polysystem- und der Handlungstheorie von der Praxis weitgehend unbeachtet.

Nach diesem plakativen, auf dieser Ebene der Generalisierung natürlich anfechtbaren Blick in die Vergangenheit der TLW wollen wir das Rad der Geschichte wieder zurückdrehen und bei der „Nachricht“ ansetzen, die unser § angenommener Kryptologe auffing. Wir wollen nun – vielleicht ein wenig spielerisch – versuchen, sie zunächst mit den Mitteln der Transkodierung weiterzuverarbeiten. Als tertium comparationis wählen wir den ASCII-Code, und transformieren die im Ausgangscode Wingdings codierte Nachricht in einen Buchstabencode:

(1b)

Das war offensichtlich ein falscher Zielcode, den wir gewählt haben, denn das Ergebnis kann nur von einigen dechiffriert werden. Erst wenn wir nicht nur das „richtige“ tertium comparationis, die richtigen Transkodierungsregeln und den richtigen Zielcode wählen, wird Ihnen als § Lesern, die auch die österreichischen Varietäten des Deutschen beherrschen, verständlich:

(1c)

Nix is fix

Aber haben § Sie dadurch schon verstanden, was die Botschaft bedeuten, was damit wirklich gesagt werden soll? Die linguostilistischen Merkmale des Textfragments sprechen wohl dafür, daß es so eigentlich nicht in den Kontext eines wissenschaftlichen Diskurses paßt und deshalb wohl auf einer anderen als der unmittelbaren Kommunikationsebene zu verstehen sein wird.

Deshalb wollen wir nun diesen Satz aus der Sprache der Schlager in die Sprache der Wissenschaft übersetzen, auf unseren Objektbereich beziehen und die ersten Thesen formulieren.

2. Vorannahmen

Bei der Beobachtung und Beschreibung von Translation gehen wir konsequent von einer dreifachen Arbitrarität aus:

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von der Arbitrarität des Zeichens; von der Arbitrarität des Referenzbereiches des Begriffes Translation; von der Arbitrarität der Translationsnormen und -konventionen.

Die radikale Relativierung aller translationsrelevanten Prämissen soll jedoch nicht Selbstzweck sein. Sie soll uns vielmehr ermöglichen, ein kohärentes System von Entscheidungsparametern, die auch in konkreten Translationssituationen anwendbar sind, aufzubauen.

2.1 Von der Arbitrarität des Zeichens

Die Arbitrarität des Zeichens braucht seit Saussure § [Quelle] wohl nicht mehr näher begründet zu werden. Sie ist grundsätzlich auch dann gegeben, wenn etwa, wie bei ikonischen Zeichen, eine Ähnlichkeitsbeziehung zwischen dem Objekt und dem materiellen Zeichenträger, mit dem dieses Objekt bezeichnet wird, feststellbar ist. Sprach- und kulturspezifische Ähnlichkeitsbeziehungen können Translation zwar erschweren, jedoch nicht verunmöglichen. Die TLW hat also nicht etwa mit der These von der Unübersetzbarkeit die Hände in den Schoß zu legen, sondern im Rahmen einer adäquaten Translationsdidaktik nach Instrumentarien und Lösungsvorschlägen zu suchen, wie diese Hindernisse zu nehmen sind.

Die grundsätzliche Arbitrarität des Zeichens schließt auch die grundsätzliche Arbitrarität der zugrundeliegenden kognitiven Gliederungssysteme ein, durch welche die Welterfahrung vorgeprägt wird. Die sprachlich und/oder kulturell bedingten Unterschiede der kognitiven Gliederung fiktiver oder realer Welten sind Relativierungsfaktoren, die von der Translationswissenschaft und der Translationsdidaktik in Rechnung zu stellen sind.

2.2 Von der Arbitrarität des Begriffes Translation

Aus der Arbitrarität des Zeichens ergibt sich logisch auch die grundsätzliche Arbitrarität des Referenzbereiches der zu verwendenden Termini. Wir nützen diese Arbitrarität, um – ohne es zunächst weiter zu begründen – Translation wie folgt zu definieren:

Unter Translation verstehen wir jede konventionalisierte, interlinguale und transkulturelle Interaktion (KITI).

Gleichzeitig legen wir fest, daß jedes Phänomen, das dieser Definition entspricht, in den Objektbereich der Translationswissenschaft fällt:

Gegenstand der Translationswissenschaft sind alle Phänomene, die als

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konventionalisierte interlinguale und transkulturelle Interaktion interpretiert werden (können).

Damit unterscheiden wir uns wesentlich von der präskriptiven äquivalenzorientierten Translations- bzw. Übersetzungswissenschaft, die – wie z. B. Koller § (1992, 1993) – nur jene Texte als Übersetzungen und damit als Gegenstand der Translations- bzw. Übersetzungswissenschaft anerkennen will, die den Äquivalenzkriterien entsprechen.5 Die Äquivalenzbeziehung ist nur eine der möglichen, durch Konvention festzulegenden Beziehungen zwischen AT und ZT.

Gibt man jedoch den normativen Übersetzungsbegriff auf,6 um ihn durch einen offenen und deskriptiven Begriff von Translation im oben definierten Sinne zu ersetzen, so ergeben sich daraus auch weitgehende Konsequenzen für die Leistungs- und Qualitätsparameter von Translation.

2.3 Von der Arbitrarität der Translationskonventionen und -normen

Die Ausweitung der Arbitrarität auf Translationsnormen und -konventionen heißt nicht mehr und nicht weniger als: Es gibt keine a priori richtige und keine a priori falsche Translation. Was in einer Gesellschaft als richtig und falsch, als besser oder schlechter gilt, kann im Idealfall durch gesellschaftlichen Konsens festgelegt, im Extremfall durch die unmittelbare Austragung von Interessenskonflikten bestimmt oder gar von außen oktroyiert werden:

Was eine qualitativ adäquate Translation in einer konkreten kommunikativen Situation ist, ist nicht a priori bestimmbar, vielmehr Ausdruck des gesellschaftlichen Konsenses über mögliche Zielvorgaben und Qualitätskriterien von Translation.

Das waren vielleicht zu viele apodiktisch klingende Festlegungen auf einmal. Zur Auflockerung scheinen also einige erklärende Bemerkungen angebracht.

Daß Translation als eine der wichtigsten Kulturtechniken selbst wieder durch Kultur, genauer, durch kulturspezifische Normen und Konventionen bestimmt7 wird, wird zwar von einigen Autoren implizit angenommen, jedoch erst im Rahmen der Descriptive Translation Studies

5 Koller Aufsatz ####6 Vgl. dazu bereits das Vorwort von Hermans in Hermans § (1985).7 Vermeer (1978:100ff) will wenigstens die ersten drei Translationsregeln

(Skoposregel, Kohärenzregel, Fidelitätsregel) als allgemein verstanden wissen, während er alle übrigen Translationsregeln bereits dem Bereich der Kulturspezifik zuweist.

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thematisiert.8 Sie wurden allerdings nur im Zusammenhang mit der Literarischen Übersetzung untersucht. Handlungsmaximen für den translatorischen Alltag außerhalb des Literarischen Übersetzens wurden daraus kaum abgeleitet.9

Für Kulturphänomene gilt in der modernen Kulturwissenschaft, daß sie den Prinzipien der Willkür und der Gewohnheit, der Beliebigkeit und der Standardisierung unterliegen ( § vgl. Hansen 1995:52). Deshalb wollen wir auch Translation im Spannungsfeld zwischen Willkür und Gewohnheit, Beliebigkeit und Standardisierung ansiedeln. Willkür und Beliebigkeit sind dabei die Elemente der Innovation, Gewohnheit und Standardisierung jene der Tradition.

In diesem Sinne wollen wir die Geschichte der Translation in einer bestimmten Gesellschaft und Kultur als permanentes Kräftespiel zwischen Innovation und Tradition begreifen. Im jeweiligen synchronen Querschnitt steht Translation im Spannungsfeld zwischen gesellschaftlich etablierten, d. h. kanonischen, und nicht etablierten, d. h. noch marginalen oder bereits marginalisierten, Verhaltens- und Wertmustern.

Marginale Handlungs- und Wertmuster können sich aus dem scheinbaren Chaos innovativer Kräfte entwickeln. Sie spiegeln aufkeimende neue Interessen wider und trachten danach, etablierte kanonisierte Muster abzulösen. Gelingt dies, werden sie selbst zu kanonischen Handlungs- und Wertmustern. Ihre Funktion besteht darin, ein ideales Handlungsfeld für die Verwirklichung der jeweils vorherrschenden Interessen zu schaffen. Dadurch werden jedoch die bis dahin kanonisierten Handlungs- und Wertmuster in den Randbereich abgeschoben, wo sie zu funktionslosen – weil den aktuellen Interessen der jeweiligen Gemeinschaft nicht mehr entsprechenden – Stereotypen verkommen können. Die Kräfte, die dabei ins Spiel kommen, können sowohl dem eigenen System entspringen § als auch von außen importiert sein. Am raschesten finden Veränderungen dann statt, wenn systeminterne, emergente10 Kräfte und

8 Tourys Feststellung, bei der Translation handle es sich um einen „socially contexted behavioural type of activity“ (Toury 1980:180) weist bereits in diese Richtung.

9 Komissarov (1993:73) führt die Konventionalisierung, die von einer Sprachgemeinschaft zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt vorgenommen werden könne, an letzter Stelle seines Kriterienkataloges für eine qualitative Evaluierung von Translationen an. Im Gegensatz zu Komissarov sind wir der Meinung, das diesem Kriterium aus interkultureller Sicht eine übergeordnete Funktion – in der Terminologie Komissarovs eine „Superfunktion“ – einzuräumen ist.

10 Unter emergent werden Sachverhalte verstanden, die sich, vereinfachend gesagt, aus der Konstellation der Systeme entwickeln.

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Muster durch systemexterne bzw. importierte verstärkt werden und so einen synergetischen Effekt erzielen.

Der Interessensausgleich findet in Form von Konventionen statt.11

Durch Konventionen wird der jeweilige Stand des Interessensausgleiches gleichsam festgeschrieben, in hierarchielastigen Sonderfällen auch von Instanzen, die über eine entsprechende Macht verfügen, normativ festgelegt. Die erzielten Konventionen und/oder festgelegten Normen haben so lange Bestand, als der zugrundeliegende Konsens von allen Beteiligten implizit oder explizit akzeptiert wird. Das „koordinative Gleichgewicht“ (Lewis 1975:14) muß allerdings nicht notwendigerweise bedeuten, daß zwischen den HandlungspartnerInnen auch ein Gleichgewicht der Macht anzunehmen ist. Vielmehr ist es gerade das wechselnde Machtgefälle zwischen den HandlungspartnerInnen, das die historische Dynamik der Konventionen bestimmt.

Damit keine Mißverständnisse entstehen: Unter Interessen sind nicht nur materielle oder politische, sondern auch geistige und kulturelle Interessen zu verstehen. Ihre Spannweite reicht im sozialen Bereich von so gegensätzlichen Zielvorstellungen wie Machterhalt und (bedingungslose) Durchsetzung von Einzel- und Gruppeninteressen auf der einen, Freiheit, Chancengleichheit und Konfliktminimierung auf der anderen Seite.

Der Norm- und Konventionscharakter von Übersetzungsmaximen schließt § jedoch aus, daß es auch Formen von Translation gibt, die zunächst im Gegensatz zu den vorherrschenden Konventionen oder gar zu(r) aktuellen Norm(en) stehen. Ob es sich z. B. bei einer bestimmten Form der literarischen Übersetzung um eine Innovation oder um eine mit Sanktionen belegte einmalige „Fehlleistung“12 handelt, ist erst aus einer entsprechenden zeitlichen Perspektive zu beurteilen. Eine normenbrechende innovatorische Übersetzungsstrategie kann, wenn wir dem oben beschriebenen abstrakten Modell folgen, unter entsprechenden Voraussetzungen selbst zur Norm werden und in einem nächsten Entwicklungsschritt neue Normverletzungen provozieren.

Der Konventionscharakter gilt auch für den Begriff der Sprache selbst. Auch wenn immer wieder von nationalen Linguistiken versucht wird, die Autonomie einer Sprache als (National)sprache mit linguistischen Fakten zu untermauern, so gibt es außer der Konvention als Resultat eines Machtausgleichs keinen stichhaltigen Grund, weshalb etwa Schwyzertütsch, Bundesdeutsch und Österreichisch einer, nämlich der

11 Eine leicht faßliche Übersicht § findet sich bei Huntemann (1990).12 Vgl. den Bericht über die Kontroverse um die deutsche Übersetzung von

Lawrence Norfolks Lemprière´s Dictionary bei Gerzymisch-Arbogast (1994:18ff).

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deutschen Hoch- und Standardsprache zugeschlagen werden, während Sprachen wie Bosnisch, Kroatisch und Serbisch als selbständige Nationalsprachen gelten. Wie blutig dieser Interessenskonflikt ausfallen kann, hat uns die neuere Geschichte wohl anschaulich vor Augen geführt.

Wichtig für die Translation scheint, daß Translationsbedarf in institutionalisierter Form immer erst dort auftritt, wo eine sprachliche Entität durch Konvention als „Sprache“ anerkannt wird. So ist z. B. zu beobachten, daß seit der Staatswerdung Kroatiens und der Anerkennung des Kroatischen als offizielle Staatssprache auch Translationsbedarf für die § Sprachenpaare Kroatisch-Serbisch und Kroatisch-Bosnisch auftritt. So gibt es in Zagreb bereits zahlreiche Gerichtsdolmetscher, die für die angeführten Sprachkombination zuständig sind. Das Abkommen von Dayton wurde in die bosnische, kroatische und serbische Sprache übersetzt. Auch beim Kriegsverbrechertribunal in Den Haag wird in alle drei Sprachen gedolmetscht.

Der Handlungsrahmen, in dem Translation in der konkreten Alltagspraxis realisiert wird, muß sich nicht auf den gesamten gesellschaftlichen und kulturellen Kontext beziehen. Aus dem grundsätzlichen Konventionscharakter von Translation folgt, daß auch Translationsnormen ihre para-, dia- und idiokulturellen § [Quelle] Ausprägungen haben. Mehr noch: Eine Translationskonvention kann auch ad-hoc getroffen, zwischen den beteiligten HandlungspartnerInnen ausgehandelt und explizit vereinbart werden. Die Gültigkeit einer solchen Konvention ist dann eben nur auf diese HandlungspartnerInnen beschränkt. BeobachterInnen oder externen RezipientInnen einer solchen Translationshandlung bleibt es anheimgestellt, die Konvention – auch wenn sie nicht den kanonischen Leitvorstellungen entspricht – zu akzeptieren, ihr beizutreten und die Erwartungen bezüglich der Leistungsfähigkeit der Translation darauf einzustellen. Es bleibt ihnen aber auch unbenommen, die Konvention abzulehnen und sich nach anderen PartnerInnen und anderen Konventionen umzusehen, die ihrer Normvorstellung von Translation entsprechen.

Mit der Relativierung der Translationsnormen und -konventionen scheint der translatorischen Willkür Tür und Tor geöffnet und die TranslatorInnen den Machtspielen ihrer PartnerInnen ungeschützt ausgeliefert zu sein. Deshalb werden wir uns noch nach Regelsystemen umzusehen haben, mit deren Hilfe wir den konkreten TranslatorInnen eine konkrete Entscheidungshilfe anbieten können. Bevor wir dies jedoch tun, werden wir eine Typologie translatorischer Handlungen vorschlagen und

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sie – wenigstens ansatzweise – auf ihre historische, gesellschaftliche und kulturelle Funktionalität überprüfen.

2.4 Definition des Skopos

Als Vermeer 1978 in seinem Rahmen für eine allgemeine Translationstheorie zunächst allein und 1984 in der Grundlegung einer allgemeinen Translationstheorie gemeinsam mit Katharina Reiß Translation als Sondersorte von Interaktion definierte und ausgehend von der Handlungstheorie als deren primären Parameter die Intention ( § vgl. Vermeer 1978:100) ansetzte, ging durch Teile der deutschen Translationswissenschaft ein Aufschrei der Entrüstung.13 Es war in der Tat ein Fanal, wenn in die heile Welt der als objektiv und interessensfrei idealisierten Wissenschaften der provokative Satz „Der Zweck heiligt die Mittel“ (Reiß + Vermeer 1984:101) geschleudert wurde. Es traf die Humanwissenschaften, die sich im europäischen Kontext nach den bösen Erfahrungen ihrer Instrumentalisierung durch diktatorische Regime als § Gralshüterinnen der Wahrheit verstehen wollten, ins Mark des Selbstbewußtseins, wenn vordergründig eine – wie man meinte - derart utilitaristische Konzeption vertreten wurde. Der Skopos, die Zielvorgabe der Translation, der als oberste Entscheidungsinstanz für translatorisches Handeln etabliert wurde, lief scheinbar nicht nur den ethischen Codes der Wissenschaft, sondern auch jenen der Praxis zuwider, die „Objektivität“ als Markenzeichen professionellen translatorischen Handelns zu verkaufen suchte.

Dabei wurde völlig übersehen, daß eine finalistische Konzeption von Translation schon einige Vorläufer aufzuweisen hatte.

Schon § Jakobson hatte am Schluß seines Aufsatzes On translation (1969: § Seitenzahl), dessen Fehlinterpretation § als einer der Gründe für die fruchtlose Äquivalenzdiskussion der frühen TLW mitverantwortlich war (vgl. Snell-Hornby #### § Literatur), in Form einer Frage, die er an die Übersetzungen des italienischen Sprichwortes „Traduttore § traditore“ knüpfte, das Finalitätsprinzip angesprochen: „Übersetzer welcher Mitteilungen? Verräter welcher Werte?“

Die Textlinguisten § Dressler (1974) und § Coseriu (1976)14 hatten in den 70er Jahren unisono die Aufgabe der Invarianzforderungen empfohlen. Ganz zu schweigen von § Levý, der mit seinem Standardwerk 13 Kritik der Skoposth. ###########

14 Beim Nobel-Symposium zum Thema Theory and Practice of Translation, das im September 1976 in Stockholm veranstaltet wurde; dt. Coseriu 1981.

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přkladu (1963), dt. Die literarische Übersetzung (1969), explizit einen teleologischen Zugang zur Translation gefordert hatte. In seinem Aufsatz „Übersetzung als Entscheidungsprozeß“ (1967)15 hatte Levý die nach Normativität strebende Übersetzungstheorie, die Anweisungen für eine optimale Lösung geben wolle, dem pragmatischen Vorgehen der Übersetzer gegenübergestellt. Diese gingen, so Levý, nach der Minimax-Strategie vor und versuchten „ein Maximum an Wirksamkeit mit einem Minimum an übersetzerischer Anstrengung“ § (Levý 1981:231) zu erzielen.

Teleologie, Finalität und Intentionalität sind jedoch nur verschiedene Benennungen ein und desselben Sachverhaltes: der Zielgerichtetheit nicht nur des menschlichen Handelns, sondern auch der menschlichen Wahrnehmung, Speicherung und Verarbeitung von Information, die wir heute mit dem Begriff der Kognition zusammenfassen (vgl. dazu Risku 1998). Ein einfacher Blick über die disziplinären Zäune hätte also genügt, um bereits 1984 die Tragfähigkeit des Paradigmenwechsels im Trend der Kultur- und Kognitionswissenschaften zu erkennen. Ganz zu schweigen von der Perspektive Postmoderne, die auf alle Objektivität und ewige Gültigkeit vorgaukelnden (Wert)urteile, Prinzipien und Methoden reflexhaft mit Skepsis und Dekonstruktion reagiert.

Aber zurück zu unserem eigentlichen Thema. Der Einfachheit halber geben wir im Bereich der TLW dem Terminus Skopos den Vorzug und operationalisieren ihn für unseren Zweck wie folgt:

Unter Skopos einer Translation ist jeder von TranslatorInnen zu realisierende (prospektiv) oder realisierte (retrospektiv), grundsätzlich arbiträre intertextuelle Bezug zwischen Ausgangstext (AT) und Zieltext (ZT) zu verstehen.

Der Terminus Skopos eignet sich in dieser Form sowohl für die Planung aktueller Translationsprojekte § als auch für die Beschreibung und Evaluierung abgeschlossener Translationsleistungen.

Um schließlich auch alle Möglichkeiten abzudecken, mit denen sich TranslatorInnen auf dem modernen Translationsmarkt konfrontiert sehen, müssen wir allerdings auch den Ausgangs- und den Zieltext neu definieren, und zwar:

Als Ausgangstext (AT) definieren wir jedes semiotische Gefüge, das als Informations- und/oder Ausgangsbasis für die Herstellung eines Zieltextes dient/dienen kann.16

15 Dt. in Wilss § (1981:219-235).16 Ähnlich werden AT und ZT auch im Entwurf zur OeNORM D 1200 definiert:

Als Ausgangstext gilt „jede definierte Menge von Zeichen, die als Vorlage und/oder

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Vom Translationsbiedermeier zur Cyber-translation

Als Zieltext (ZT) definieren wir jedes semiotische Gefüge, das für eine bestimmte AdressatInnengruppe interpretierbar und/oder in seiner Intentionalität erfaßbar ist.

Durch die Betonung des semiotischen Charakters des AT und des ZT wollen wir bewußt von reduktionistischen Ansätzen Abstand nehmen, die Texte aus ihrer Einbettung in andere (kultur)semiotische Systeme herauszulösen versuchen und lediglich als sprachliche Phänomene verstehen wollen. Vielmehr verstehen wir unter Ausgangs- und Zieltext jede abgrenzbare semiotische Ganzheit, unabhängig davon, in welchen Zeichensystemen sie realisiert wird.

Aus der Definition des Ausgangs- und § Zieltextes einerseits und aus der Offenheit der Skoposdefinition andererseits folgt, daß das Attribut „interlingual“ in der obigen Definition von Translation nur in dem Sinne zu verstehen ist, daß wenigstens ein Teil der Translation sprachlich zu realisieren ist. Die Einschränkung der Translation auf semiotische Strukturen, die wenigstens einen gewissen sprachlichen Anteil haben, erfolgt lediglich aus wissenschaftspraktischen Gründen, da ansonsten in der Tat ein Ausufern des Objektbereiches der Translationswissenschaft in Kauf zu nehmen wäre.

Damit haben wir die terminologischen Voraussetzungen dafür geschaffen, um auch eine erste grobe Richtlinie für den Prozeß der Translation zu formulieren:

Der im Skopos festgelegte Bezug zwischen AT und ZT ist nach dem Prinzip der rekursiven Optimierung vom Aspekt der maximalen (Skopos)relevanz § aus (MINIMAX-Prinzip) herzustellen.

Spätestens jetzt werden einige sagen: Das ist mir jetzt zu dicht. Wie kann eine so abstrakt formulierte Maxime überhaupt Anspruch auf Praxisnähe erheben? Klopfen wir also die Definitionen auf die vielgepriesene Praxisrelevanz ab.

Zuerst zu den Definitionen von Ausgangs- und Zieltext.Solange die ÜbersetzerInnen in Spitzwegmanier in ihrem stillen

Kämmerlein saßen, sich über den erteilten, nicht weiter reflektierten Übersetzungsauftrag freuten, sich mit gespitztem Bleistift an die Ausgangstexte setzten und von Satz zu Satz vorkämpften, von Zeit zu Zeit

Informationsgrundlage für die Herstellung eines Zieltextes dienen kann“. Der Zieltext wird analog dazu § als „jede definierte Menge von Zeichen“ verstanden, die für einen bestimmten Adressaten/eine Adressatengruppe einen bestimmten Zweck erfüllen kann“.

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vielleicht noch ein Wörterbuch konsultierten, nach jeder intuitiv „guten“ Lösung wie ein Kind jubelten und jedem unvermeidlichen Translationsverlust eine Träne nachweinten, um dann nach angemessener Zeit ein – ebenfalls nicht weiter reflektiertes – ausgefeiltes Endprodukt abzuliefern, reichte es vielleicht aus, von einem lediglich sprachlich gefaßten, in sich abgeschlossenen und § notwendigerweise kohärenten Text auszugehen. Der moderne und global vernetzte Translationsmarkt fordert jedoch von TranslatorInnen, auch § von defekten Texten § ausgehen und mit Textoiden, Textentwürfen und diffusen Textagglomeraten umgehen zu können, um auf dieser Basis einen oder vielleicht sogar mehrere Zieltexte zu verfassen.

Wenn also ÜbersetzerInnen heute noch immer von ihren AuftraggeberInnen fordern, ihnen zuerst einen perfekten Text zu liefern17, um daraus eine perfekte Übersetzung machen zu können, so katapultieren sie sich selbst aus weiten Segmenten der language industries und überlassen sie Textproduzenten, die etwas vom jeweiligen Thema oder Fach verstehen, die Zielsprache beherrschen und bereit sind, diese Arbeit mehr oder minder gut zu tun.

Wenn TranslatorInnen nur bereit sind, ein perfekt formuliertes Translat aus der Hand zu geben und es den AuftraggeberInnen auch dann aufzuschwatzen versuchen, wenn diese nicht das geringste Interesse an einer perfekten Formulierung § , sondern z. B. lediglich an einer groben, stichwortartigen, für sie jedoch interpretierbaren Notiz oder gar nur an einer Evaluierung oder metasprachlichen Beschreibung von Texten interessiert sind, so dürfen sie sich nicht wundern, wenn die AuftraggeberInnen früher oder später Rationalitätskriterien folgen und die Aufgabe anderen und flexibleren PartnerInnen überlassen werden.18

Während dann die language industries wohl noch einige Zeit mit Zuwachsraten von 30, 40, 50 und mehr Prozent boomen werden, werden TranslatorInnen nur schmollend, hehre Treue-, Äquivalenz- und andere dysfunktionale Postulate nachbetend und ihnen nostalgisch nachtrauernd, am Hungertuch nagen. Aber das haben sie dann sich selbst und ihren LehrerInnen zuzuschreiben, die sie mit verkürzten und somit inadäquaten Theorieansätzen und § einer noch verkürzteren didaktischen Umsetzung aus dem Markt wegirrationalisiert haben.

17 Natürlich hat der/die TranslatorIn einen Anspruch darauf, für allfällige Zusatzleistungen, die auf Grund eines defekten Ausgangstextes notwendig werden, ein entsprechendes Entgelt zu fordern.

18 Vgl. die § European Translation Platform der EU (Europäische Kommission 1996).

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Vom Translationsbiedermeier zur Cyber-translation

Faßt man hingegen Ausgangstext, Zieltext und Skoposrelation dynamisch genug auf, um alle potentiellen Translationsfälle zu erfassen, so muß es der Translationswissenschaft wohl auch gelingen, auf dieser Basis ein kohärentes und professionelles Verhaltensmuster zu entwickeln. Nur auf diese Weise wird der Ausweg aus dem Translationsbiedermeier zu schaffen und die überfällige Modernisierung des Berufes und der Berufsausbildung möglich sein. Nach diesem Exkurs zu den praxisrelevanten Perspektiven zurück zu unserem Theorieansatz und seinen Implikationen.

Das einleitend angesprochene Prinzip der rekursiven Annäherung an einen (prospektiven) Zieltext bzw. die (retrospektive) Evaluierung eines Translats vom Aspekt der maximalen Skoposrelevanz hat zu bedeuten:

Der Translationsprozeß ist ein Näherungsprozeß. Das „ideale Translat“ ist lediglich ein idealtypisches Konstrukt. Wenn es ein solches überhaupt gibt, so ist es einzig und allein der Kreativität der TranslatorInnen zuzuschreiben. Sie sind es, die auch die letzte Hürde in diesem Näherungsprozeß meistern können, indem sie bewußt auch ihre Individualität und Kreativität einbringen.

Je mehr rekursive Durchläufe in einem Translationsprozeß möglich sind, um so größer ist die Annäherung, d. h., um so eher kann der Zieltext den Anforderungen, die an ihn gestellt werden, entsprechen. Von der konkret gegebenen Möglichkeit/Unmöglichkeit des rekursiven Durchlaufes der Entscheidungsprozesse vom Aspekt der maximalen Skoposrelevanz § aus sind auch die Qualitätsparameter von Translaten abzuleiten.19

Die maximale Skoposrelevanz soll heißen, daß nur vom Aspekt des Skopos § aus und nicht anhand des Ausgangstextes § zu beurteilen ist, was an einem AT als relevant erkannt wird. Ist diese Evaluierung des AT vollzogen, kann versucht werden, ein Maximum an skoposadäquater Wirkung mit einem Minimum an translatorischer Anstrengung (MINIMAX-Prinzip) zu erzielen.

Es sei noch einmal explizit festgehalten, daß aus dem Prinzip der Arbitrarität des Skopos folgt, daß grundsätzlich jede Relation zwischen AT und ZT möglich ist. Deshalb ist a priori weder dem Ausgangs- noch dem Zieltext, weder der ausgangskulturellen Interpretation noch der zielkulturellen Einbettung des Translats Priorität einzuräumen. In dieser Hinsicht unterscheiden wir uns von funktionalen Theorieansätzen, welche

19 Wir verwenden in diesem Zusammenhang auch den Terminus der kalkulierten Suboptimalität § (vgl. Prunč 1997a).

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die Translation in erster Linie vom Aspekt der Einbettung in die zielkulturelle Situation § aus betrachten. [*** Anmerkung1 Vermeer; s. unten]

Versuchen wir nun als ersten Schritt eine Typologie möglicher Skoposbeziehungen zu entwickeln, die sowohl der Translation als historischem Phänomen, als auch der Translation als aktueller transkultureller Handlung Rechnung trägt, um dann im zweiten Schritt das bereits angesprochene Regelsystem für professionelles Handeln zu konzipieren.

3. Typologie

Die im folgenden vorgeschlagene Typologie der Skopoi ist als Prototypologie20 zu verstehen. Der Gesamtbereich der Translation als konventionalisierter interlingualer transkultureller Interaktion (KITI) wird als Kontinuum möglicher Realisierungsformen verstanden, in welchem einzelne Exemplare von Translation mehr oder minder ausgeprägte Eigenschaften besitzen und auf Grund dieser Musterkonstellation als mehr oder minder prototypische Vertreter zu gelten haben. Mit anderen Worten, zwischen den einzelnen prototypischen Vertretern eines Typs, durch die ein bestimmter Sachverhalt fokussiert wird, haben wir unscharfe Übergangsbereiche zu den benachbarten Prototypen anzusetzen. In diesem fuzzy-Bereich sind einzelne Mischformen angesiedelt, in denen die prototypischen Elemente mehr oder minder deutlich ausgeprägt sind.

3.1 Null-Translation

Auf den ersten Blick scheint es widersinnig, die Null-Translation als eigenen Translationstyp auszuweisen. Wenn wir jedoch ihre Realisierungsformen, das Translationsverbot, die Translationsverweigerung und den Translationsverzicht ins Auge fassen, wird die historische und berufspraktische Relevanz eines eigenen Typus der Null-Translation evident. Außerdem tritt gerade am Beispiel der Null-Translation die gesellschaftssteuernde und ideologische Funktion von Translation einerseits und die Komplexität des Translationsprozesses andererseits am deutlichsten zutage.

20 Die Fruchtbarkeit des prototypischen Ansatzes für translationswissenschaftliche Typologien wurde zuerst von Snell-Hornby (1988) erkannt.

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3.1.1 Das Translationsverbot

Das Translationsverbot ist die geronnene Angst der Mächtigen vor der Translation. Es zielt darauf ab, im Sinne des Machterhalts auch das Monopol auf transkulturelle Kommunikation für sich selbst zu beanspruchen oder es an eine kontrollierbare Elite – z. B. an eine privilegierte „Priesterkaste“ oder Funktionärsklasse – zu delegieren. Beispiele von Translationsverboten lassen sich in der gesamten Geschichte der Translation, von den Verboten der Übersetzung heiliger Schriften (Bibel, Koran) bis zu den Translationsverboten diktatorischer Regime im 20. Jahrhundert, nachweisen.

3.1.2 Die Translationsverweigerung

Translationsverweigerung ist eine der möglichen Formen des Widerstandes der TranslatorInnen gegen die aktuell Mächtigen. Vom semiotischen Aspekt § aus ist Translationsverweigerung ähnlich wie andere Null-Zeichen in höchstem Maße signifikant. Verschiedene Formen des selbstauferlegten „kulturellen Schweigens“, wie es etwa zur Zeit der nazistischen Besetzung Jugoslawiens hieß, die Fälle von innerer und äußerer Emigration in NS-Deutschland, in der stalinistischen UdSSR und in ihren Satellitenstaaten mögen als § historische Belege für diesen Skopostyp gelten.

Im professionellen Alltag ist Translationsverweigerung dann angebracht, wenn die Voraussetzungen für eine professionell einwandfreie Übersetzungs- oder Dolmetschleistung nicht erfüllt sind. In einem solchen Fall ist jede(r) TranslatorIn gut beraten, deutlich zu signalisieren, daß er/sie nicht bereit ist, unzumutbare Arbeitsbedingungen in Kauf zu nehmen. Dies ist nicht nur ein Akt des Selbstschutzes, sondern auch der Solidarität mit allen professionell arbeitenden KollegInnen.21

Translationsverweigerung kann auch in Situationen angebracht sein, in denen die persönliche Integrität eines Translators/einer Translatorin verletzt wird. Dasselbe gilt, wenn TranslatorInnen die Durchführung eines Auftrages auf Grund der eigenen Weltanschauung oder politischen Einstellung nicht vertreten können. Zivilcourage sollte auch für

21 Wenn beim Simultandolmetschen eine Rede – meist noch in § rasendem Tempo – verlesen wird, deren Textvorlage den Dolmetschern nicht oder nicht rechtzeitig zur Verfügung steht, so haben sie das Recht, die Dolmetschung abzulehnen. Vgl. dazu Seleskovitch (1978:134f): „The best interpreters, however, those who have proved themselves worthy of the name, refuse to jeopardise their professon’s reputation by working under these impossible conditions. They simply switch off their microphones.“

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TranslatorInnen kein Fremdwort sein, ebenso wie ein begründetes „Nein“ im Vokabular professioneller TranslatorInnen einen hohen Stellenwert einnehmen sollte. Das sind allerdings bereits Fragen der Translationsethik, auf die wir noch konkreter einzugehen haben werden, weshalb wir uns hier § mit kursorischen Hinweisen begnügen.

Translationsverweigerung kann schließlich ein politisch-moralischer Akt sein. So etwa, wenn § Lotbinière-Harwood (1991:71f) dezidiert erklärt, auf Grund ihrer negativen Erfahrungen mit sexistischer Literatur grundsätzlich nicht mehr bereit zu sein, Literatur „écrite au masculin“ zu übersetzen.

3.1.3 Der Translationsverzicht

Der Translationsverzicht ist die verantwortungsbewußte Entscheidung eines Translators/einer Translatorin, einen gegebenen Text nicht zu übersetzen oder zu dolmetschen bzw. der Initiatorin/dem Initiator von einer Übersetzung oder Dolmetschung abzuraten. Die Voraussetzungen für einen Translationsverzicht sind gegeben, wenn der/die TranslatorIn nach sorgfältiger Prüfung aller Möglichkeiten § zu dem Schluß kommt, daß die gewünschte Translation auf Grund der konkreten Vorgaben nicht realisierbar, sinnvoll und/oder verantwortbar ist.

Die Aufnahme des Translationsverzichts in die Typologie möglicher transkultureller Interaktionen scheint uns nicht ohne berufspraktische Auswirkungen zu sein. Wurde nämlich eine solche translatorische Handlung professionell vollzogen, repräsentiert sie für den Translator/die Translatorin eine geistige Leistung § und für potentielle Auftraggeber einen unter Umständen sogar beachtlichen materiellen Wert, da sie dadurch vor Fehlinvestitionen in eine dysfunktionale Translation bewahrt werden. Deshalb sind solche Leistungen auch entsprechend zu honorieren.

Als Parallelbeispiele aus anderen Berufsfeldern seien ebenso zu honorierende Machbarkeitsstudien (feasibility studies) herangezogen. Auch wenn es auf dem derzeitigen Translationsmarkt in Europa und in Anbetracht des vorhandenen Bewußtseinsstandes bei InitiatorInnen und TranslatorInnen illusorisch erscheinen mag, eine solche Forderung zu erheben, sprechen sowohl typologische Gründe als auch die angeführten Leistungsparameter für die gesonderte Berücksichtigung dieses Typus der transkulturellen Interaktion. Die OeNorm D 1200 zum Übersetzen wird jedenfalls – so es beim bisher erzielten Konsens bleibt – Machbarkeitsstudien als mögliche translatorische Leistungen vorsehen.

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3.2 Die Pseudotranslation

Unter Pseudotranslation versteht man einen Originaltext, der als Translation ausgegeben und/oder in einer Kultur wenigstens vorübergehend als Translation gehandelt wird, obwohl keine konkrete anderssprachige Textvorlage vorhanden ist.

Daß Pseudotranslation historisch betrachtet einen nicht zu unterschätzenden Bereich der transkulturellen Interaktion darstellt, wurde von Toury (1984, 1995:40-52) schlüssig nachgewiesen. Da unser Beitrag vor allem aktuellen und berufspraktischen Problemen gewidmet ist, Pseudotranslationen in der Regel jedoch von Nicht-TranslatorInnen verfaßt werden, sei dieser Typus nur der Vollständigkeit halber erwähnt.

3.3 Die homologe Translation

Als homolog soll eine Translation gelten, bei der Textoberflächenelemente des AT lediglich auf Grund des Kotextes monosemiert und in der ZS ebenso eindimensional durch kotextuell monosemierbare Oberflächenelemente nachgebildet werden. Dabei wird auf ihre kontextuelle Einbettung und § ihre unterschiedliche Wertigkeit in der Ausgangs- und Zielkultur keine Rücksicht genommen.

Die Funktion einer homologen Übersetzung kann in einer wohlverstandenen transkulturellen Interaktion nicht darin liegen, den AT in der Zielkultur selbständig zu repräsentieren. Sie stellt im Regelfall lediglich eine Interpretationshilfe dar, die den Leser bei Vorhandensein entsprechender Voraussetzungen zum Originaltext führen kann.

Diesem Kriterium entspricht vor allem die Interlinearversion in der Literarischen Übersetzung, weshalb sie als prototypische Vertreterin homologer Translation im Handlungsfeld Übersetzen gelten kann:

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Beispiel: Interlinearversion [Graphik]

Ihr Pendant in der kollektiven Übersetzungspraxis, wie sie etwa in der DDR geübt wurde, ist die Rohübersetzung, in der die mangelnde Kopräsenz des Originals bzw. die Unfähigkeit der verantwortlich zeichnenden TranslatorInnen, das Original selbst zu erschließen, durch metatextuelle Hinweise und Synonyma kompensiert wurde. Als Beispiel seien aus Haas (1982) einige Bruchstücke aus der Inszenierungsgeschichte von Maxim Gorkijs Sommergäste angeführt:

(2)

Gorkij Rohübersetzung Fassung v. H. Immendörffer

1 toby skrytґ drug ot druga duchovnuju nietu, my odevaemsja v krasivye frazy, v deevye lochmotjja

Um zu verbergen (verschwinden zu lassen) voreinander die geistige Armut, wir, kleiden wir uns in

Um unsere geistige Armut voreinander zu verbergen, hüllen wir uns in schöne Phrasen, in die billigen Fetzen

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kninoj mudrosti... schöne (wirkungsvoll inhaltlose) Phrasen, in billige Fetzen literarischer Weisheit (:der Bücherweisheit) ...

von Bücherweisheit ...

2 estoko eto, Varvara Michajlovna, somnevat’ sja v iskrennosti stonov eloveka.

Grausam ist das, Warwara Michajowna, zu zweifeln in (:an) der Aufrichtigkeit des Stöhnens (:der Seufzer) des Menschen.

An der Aufrichtigkeit des menschlichen Stöhnens zu zweifeln, ist grausam, Warwara Michailowna.

3 Dovol’no alob, imejte muestvo molat’!

Genügend der Klagen (gibt’s); besitzen Sie (haben Sie) die Mannhaftigkeit zu schweigen!

Genug der Klagen, habt den Mut zu schweigen!

18 Nado molèat’ o svoich malen’kich peèaljach.

Man muß schweigen von seinen geringfügigen Betrübnissen. (:Traurigkeiten)

Man soll über seine kleinen Kümmernisse schweigen.

Von ähnlichen Zielsetzungen gehen auch die traditionelle ethnographische22 und die didaktische Übersetzung aus. Mit der ethnographischen Translation soll dem Leser die ausgangssprachliche Bedingtheit der kognitiven Gliederung der geistigen und materiellen Welt, die sich in einem konkreten ethnographischen Textkorpus manifestiert, mit Hilfe der Zielsprache erschlossen werden. Die didaktische Übersetzung will das Verständnis für ausgangssprachliche Strukturen durch deren zielsprachliche Nachbildung wecken. Eine ähnliche Funktion können auch Rückübersetzungen haben, mit denen in der Translationswissenschaft und in der Translationskritik Strukturunterschiede zwischen AT und ZT, shifts und § Translationsmängel veranschaulicht werden. In dieser Funktion werden wir die homologe Translation (HT) auch bei Textbeispielen zu den übrigen Skopostypen verwenden.

Ein prototypischer Vertreter der homologen Translation im Handlungsfeld Dolmetschen ist das sogenannte Lautsprachbegleitende Dolmetschen. Dabei werden die Morpheme der Lautsprache durch Gebärden oder Gebärdenelemente wiedergegeben, jedoch die morphosyntaktische Struktur des lautsprachlichen Originals beibehalten.

22 Damit ist nicht die ethnographische Übersetzung gemeint, ###

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Das Translat weist somit eine hybride Sprachform auf, die am ehesten mit einer Pidgin-Sprache zu vergleichen ist (Grbić ### § Literatur).

Anhand des Lautsprachbegleitenden Dolmetschens lassen sich die prototypischen Charakteristika der homologen Translation am deutlichsten illustrieren.

(1) Homologe Translation ist in der Regel morphematische Translation. Die maximale Übersetzungseinheit ist das Wort. Die syntagmatische Gliederung des Kotextes wird nur in jenen Fällen zur Interpretation des AT herangezogen, wenn es offensichtliche Polysemien und Homonymien aufzulösen gilt.

(2) Homologe Translation impliziert das Eindringen ausgangssprachlicher und ausgangskultureller Strukturen in den zielsprachlichen und zielkulturellen Code. Dieses kann im Sinne einer Dynamisierung der zielsprachlichen und zielkulturellen Codes bewußt einkalkuliert werden. Es kann aber auch, wie beim Lautsprachbegleitenden Dolmetschen, zum Verlust der sprachlichen und kulturellen Identität führen.

(3) Die Interpretationsleistung ist vom Rezipienten selbst zu erbringen. Ist der Rezipient dazu nicht imstande, § so ist die homologe Translation das ideale Objekt, an dem diverse Vermittlungsinstanzen ihre Interpretationsdienste anbieten können.

Das erste prototypische Charakteristikum kann nicht immer am Morphem und § Lexem festgemacht werden. Dynamischere Formen der homologen Translation schließen die zielsprachliche Anpassung von Kollokationen oder gar zielsprachenadäquate syntaktische Transformationen ein. In dieser Form können Translate auch ohne ein kopräsentes Original funktionieren. In dem Maße jedoch, in dem auch supralexikalische Strukturen der Zielsprache berücksichtigt werden, entfernt sich die jeweilige Translation aus der prototypischen Kernzone der homologen Translation.

Auf Grund der zweiten und § dritten prototypischen Eigenschaft der homologen Translation können sich in konkreten Situationen unterschiedliche, einander diametral entgegengesetzte Funktionen der homologen Translation § ergeben.

In stagnierenden literarischen und ästhetischen Systemen kann, wie bereits angedeutet, homologe Translation als innovatorischer Impulsgeber der literarischen Entwicklung oder als Vehikel der poetischen Verfremdung dienen. In diesem Sinne wurde die homologe Translation § von Levý (1969:##) als sogenannte antiillusionistische Übersetzung apostrophiert.

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Als Beispiel für die poetische Aufladung des Zieltextes durch Übernahme ausgangssprachlicher Strukturen seien einige Passagen aus Peter Handkes Übersetzung des Romans Zmote dijaka Tjaža des Kärntner slowenischen Autors Florjan Lipuš (Lipuš ###) angeführt. In der Übersetzung mit dem Titel Der Zögling Tjaž (Lipuš/Handke ### § ? ) versucht Handke, mit unterschiedlichen sprachlichen Mitteln das slowenische Aspektsystem (1-3, 4a) und die Motivationsstruktur einzelner Lexeme (4b) nachzuprägen. Durch die Bevorzugung der lexikalischen Basisbedeutung gegenüber der Kontextbedeutung (5), durch die kontextinadäquate Auflösung von Homonymie (6) und die wörtliche Übersetzung von Phrasemen (7) läßt er, ähnlich wie die slowenische Vorlage, die Materialität der Sprache stärker durchscheinen. In Beispiel (7) schließlich erzielt er einen Verfremdungseffekt durch die vom informativen Aspekt § unnötige Übernahme der slowenischen Bezeichnung für Ostern, die in der darauffolgenden Apposition wiederum morphemgetreu nachgeprägt wird.

(3)

Florjan Lipuš; Zmote dijaka Tjaža/Der Zögling Tjaž (Peter Handke)23

1 da se je po kocinah zalesketala kri (26) daß an den Haarzotteln das Blut erglänzte (40)

2 nisi doslišal drvarjev pri delu (18) du hast nicht die Holzfäller bei der Arbeit erhorcht (27).

3 ljudje stopamo, bog stopi (146) wir Menschen gehen Schritt für Schritt, Gott schreitet (216);

4 nisi doslišal (a) drvarjev pri delu ... grmaril24 (b) si, taval na slepo naokoli (18)

du hast nicht die Holzfäller bei der Arbeit erhorcht (a), ... du bist gestrauchelt (b), bist blindlings herumgetappt (27)

5 Hudo25 obremenjeni z novimi sklepi so se zgledovali ob goreènosti šèetke (25)

Bös belastet mit guten Vorsätzen, haben sich die Zöglinge dann an der Inbrunst der Bürste ein Beispiel genommen (37)

23 Die Seitenangaben beziehen sich auf die Ausgaben Lipuš ### und Lipuš/Handke § ? ###; Hervorhebungen E. P.

24 Handke glaubt in Lipuš’ Neologismus grm-a-ri-ti das Substantivum grm (‘der Strauch’) erkennen zu können und bricht nach diesem Vorbild die Motivation des deutschen strauch-eln auf.

25 Das desemantisierte Adverb hudo wird im Slowenischen zur Intensivierung des nachfolgenden Verbs verwendet; die lexikalische Basisbedeutung von hud ist ‘schlimm, böse’.

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6 vedel se je kakor svinja z mehom (139)

er hat sich aufgeführt „wie das Schwein mit der Harmonika“ (204)

7 (1) to so bili tudi vzroki, da je šel rakom žvižgat, zdaj žvižga rakom, kakor je zaslužil (139)

das waren auch die Gründe, daß er „zu den Krebsen pfeifen ging“, jetzt pfeift er den Krebsen, wie es ihm gebührt (204)

Ähnliche Verfahren schlägt auch Venuti (1995: § Seitenzahl) unter Anlehnung an Schleiermacher als foreignizing translation vor. Im Gegensatz zur domesticating translation, welche durch ihre Anpassungsstrategien die (vor)herrschenden Systeme stütze, sollte die foreignizing translation als Instrument des Widerstandes gegen Ethnozentrismen dienen. Allerdings scheint uns diese Argumentation nur vom Aspekt einer dominanten US-amerikanischen Kultur26 stichhaltig zu sein, die ihr stagnierendes literarisches System durch Impulse von außen neu beleben kann. In Situationen jedoch, in denen ein starkes hegemoniales Gefälle zwischen eine „starken“ Ausgangs- und einer „schwachen“ Zielkultur herrscht, kann homologe Translation gerade das Gegenteil bewirken. Sie kann zum Instrument des Sprach- bzw. Kulturimperialismus dienen und der globalen Unifizierung der schwächeren Kulturen Vorschub leisten.

In kulturell bereits homogenisierten settings, wie z. B. bei internationalen Fachkongressen, kann homologe Translation auch als Medium der Kommunikation dienen. In diesem Sinne kann homologe Translation als Notstrategie – etwa beim Simultandolmetschen – eingesetzt werden. Die kognitive Aufarbeitung des Zieltextes wird in diesem Fall nämlich durch die fachspezifisch identische kognitive Umwelt, die homogenisierte Diakultur der Kongreßteilnehmer, die international stereotypisierte Fachsprache und die Kopräsenz der nicht-sprachlichen semiotischen Systeme (Dias etc.) im Rahmen des Hypertexts Kongreß27

erleichtert.Aus der dritten prototypischen Eigenschaft ist die Präferenz

autoritärer, hierarchielastiger und elitärer Gesellschaften für Translationskonventionen, die auf die Produktion homologer Translationen abzielen, ableitbar. Ist nämlich das Translat auf Grund seiner Abbildfunktion im neuen kognitiven Umfeld nicht unmittelbar interpretierbar, § so unterscheidet sich transkulturelle Kommunikation mit Hilfe homologer Translation § von der Situation des Translationsverbotes

26 Vgl. dazu auch Robinson ###27 Vgl. Pöchhacker #### § Literatur

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lediglich dadurch, daß das Informationsmonopol nicht nur für das Original, sondern auch für das Translat beansprucht werden kann. Damit jedoch das Translat die Funktion des Originalersatzes übernehmen kann, muß bei „heiligen Texten“ die Illusion der Identität zwischen Original und Translat aufrechterhalten und ideologisch abgestützt werden. Das klassische Beispiel einer solchen Rechtfertigungsideologie ist die Septuagintalegende.28

Vom Aspekt der modernen Diskursforschung scheint das Postulat nach „wortgetreuer“ Übersetzung in den Handlungsfeldern Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht sowie in ähnlichen institutionellen settings (Polizei und „Fremden“behörden) des Community Interpreting dysfunktional zu sein. Sieht man sich jedoch die ideologischen Gründe für die Beibehaltung auf homologe Translation abzielender Translationsnormen genauer an, so sind sie unschwer als Interesse *** [Anmerkung2 Vermeer; s. unten] aller Prozeßbeteiligten, das Interpretationsrecht an der jeweiligen Aussage für sich zu beanspruchen § , zu erkennen. Daß man dabei auf Grund des laienhaften Verständnisses von Textualität lediglich an der Textoberfläche ansetzt, ist ein kulturelles Erbe, das von der ebenfalls ideologisch begründeten Wortgläubigkeit bzw. dem Logozentrismus abendländischer Kultur herrührt.

Das § Kritische an dieser Einstellung ist, daß homologe Translation auch dazu mißbraucht wird, § die Inkompatibilität des „Fremden“ mit der eigenen Kultur nachzuweisen. Sie kann nämlich auf Grund des oberflächenorientierten Transfers in die mächtigere Staats- oder Mehrheitssprache als probates Mittel dazu dienen, um sprachliche und kulturelle „Defizite“ oder gar „Defekte“ anderssprachiger Randgruppen (Gehörlose, ethnische Minderheiten, Immigranten) „aufzuzeigen“. Indem die Mehrheitssprache und Kultur zum alleinigen Maßstab erhoben und die Unterschiede zu den übrigen Sprachen und Kulturen lediglich als sprachliche und kulturelle Defizite interpretiert werden, kann ein homologes Translat als Demonstrationsobjekt der Minderwertigkeit der jeweils anderen und der Unmöglichkeit des Diskurses29 zwischen

28 Bekanntlich erzählt die Septuagintalegende, daß die 70 Weisen, die voneinander völlig isoliert den hebräischen Text der Bibel ins Griechische zu übersetzen hatten, unter Einfluß des Heiligen Geistes zu völlig identischen Ergebnissen gekommen seien, die dann in der kanonischen Form der Bibel, der Septuaginta § , ihren Niederschlag gefunden hätten. Somit konnte die Übersetzung die Stellvertretung des Originals einnehmen und als neue Basis für die Vermittlung und Interpretation des Gotteswortes dienen.

29 Vgl. dazu die Analysen einsprachiger Kommunikation vor Gericht bei Stygall (1994).

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Mehrheits- und Minderheitsgesellschaft herangezogen werden. *** (Anmerkung3 Vermeer; s. unten)

Von hier ist es § nur noch ein kleiner und demagogisch leicht zu vollziehender Schritt zum Nachweis der Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit der Integration der genannten Randgruppen in die (monolinguale und monokulturelle) Mehrheitsgesellschaft.

Sieht man also vom Sonderfall des Literarischen Übersetzens in einer stagnierenden zielkulturellen Situation30 ab, so kann homologe Translation ohne Kopräsenz des Originals in der Regel nur in Translationssituationen gefahrlos eingesetzt werden, in denen zwischen den Sprachstrukturen und Kulturen, zwischen denen Kommunikation stattfinden soll, kein relevanter Unterschied besteht. Solche Situationen können vor allem diakulturell in spezifischen Kongreßkulturen durch internationale Homogenisierung herbeigeführt werden. Allerdings wird zu berücksichtigen sein, daß die Translation in solchen Fällen kaum mehr als eine restringierte kommunikative Funktion übernehmen kann, wobei die interpretative Leistung zur Gänze dem/den Zieltextrezipienten überantwortet bleibt.

In allen übrigen Fällen muß homologe Translation notwendig zum Funktionswechsel führen. Für einen solchen, nach außen hin ideologisch abgeschirmten Funktionswechsel sind in der Regel handfeste Interessenkonstellationen verantwortlich zu machen. So wird im Zusammenhang mit der homologen Translation folgendes Paradoxon zu formulieren sein: Das Interesse der normsetzenden Institutionen, welche die homologe Übersetzung als Idealbild von Translation zu institutionalisieren suchen, gilt nur scheinbar dem Original. Es geht vielmehr um andere Zielsetzungen, die unter dem Vorwand der Treue zum Original verfolgt werden. Diese Interessen können von der Dekonstruktion des Originals bis zur Instrumentalisierung von Translation zur Festigung von Interpretationsmonopolen reichen.

Dem Typus der homologen Translation werden beim derzeitigen Stand der Entwicklung schließlich auch Produkte der Maschinenübersetzung zuzurechnen sein. Da jedoch in der MÜ noch nicht einmal alle Probleme der Monosemierung adäquat gelöst zu sein scheinen, wird man Produkte der MÜ eher als quasi-homolog zu bezeichnen haben.

Homologe Übersetzungen können aber auch schlicht und einfach das Produkt translatorischer Inkompetenz sein. Zur Erheiterung und Erholung

30 Es würde uns zu weit führen, vor diesem Hintergrund die Prinzipien dekonstruktivistischer Translation zu diskutieren, ganz abgesehen davon, daß in diesem Fall die Abgrenzung zwischen homologer und trialogischer Translation sehr schwierig ist.

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einerseits und als Warnung an blauäugige Transkodierer andererseits möchten wir im folgenden einige kleine Kostproben anbieten:

(4)

1 UNBESIEGBARE PREISEWir bieten die eifrigste der eifrigen Preise, manchmal eben mehr eifrige als diese. Unsere Hilfe Gesellschaft in der USA existiert ausschließlich um die Quellen der letzten technischen Erforschungen zu entdecken befor sie für Europa geeignet sind – für Preise welche unmöglich sind um niederzuschlagen. § [Quelle]

2 In der Antwort auf die Bemerkungen von Bill gaben Allgemeinesmotoren eine Pressemittelungskonstatierung aus: Wenn GM Technologie wie Microsoft entwickelt hatte, würden wir Autos mit den folgenden Merkmalen das alle fahren: 1. Aus überhaupt keinem Grund würde ihr Auto zweimal täglich abstürzen. 2. Jede Zeit sie repainted die Zeilen unterwegs Sie müssen kaufen einen Neuwagen. 3. Ihr Auton würde ab und zu, da dies kein Grund und sie einfach akzeptieren würden, auf der Autobahn sterben, beginnen Sie wieder und fahren sie auf. 4. Gelegentliche, ausführt ein Manöver wie eine Linkskurve, verursachte Ihr Auto zuur Stillegung und lehnte beginnen in welchem Fall Sie müssen installieren den Motor. 5. Nur eine Person gleichzeitig konn benutzte das Auto außer wenn Sie kauften Car95 oider CarNT. Aber auch sie müssten kaufen mehrere Sitze. 6. Macintosh machte ein Auto, das von der Sonne angetrieben wurde, die Zeit mißt reliable, five als schnell, und zweimal genau so leicht, um zu fahren, aber lief nur auf fünf Prozent der Fahrbahnen. 7. Das Äl, die Wassertemperatur und die Lichtmaschinen-Warnungs-Lichter würden von einem einzelnen „gerneral-Auto-Default“-Warnungs-Licht ersetzt werden. 8. Neue Sitze würden jedem erzwingen, die gleiche Gößentonne zu haben. 9. Das Lufttaschen System sagte „Are Sie sure?“ bevor geht aus. 10. Ab und zu aus keinem Grund überhaupt Ihr Auto aussperren Sie und weigern hereinzulassen bis sie gleichzeitig aufhoben den Türgriff drehen der Schüssel und Greifergriff der Rundfunkantenne. 11. GM würde alle Autokäufer zu auch dem Kauf verlangen, weder, daß sie eine deluxe-Gruppe Rand-McNally-Straßenkarten (jetzt eine FM-Tochtergesellschaft) auch wenn sie braucht, noch, sie will. Zu versuchen, diese Möglichkeit auszustreichen würde sofort zur Folge haben, daß die Aufführung des Autos von 50% oder mehr diminish. GM würde zudem von der Gerechtigkeitsabteilung ein Ziel einer Untersuchung werden. 12. Everytime GM einführte ein neues Modellauto Käufer müssten lernen wie fährt über und über wieder will kein der Kontrollen laufen in der gleichen Weise wie das alte Auto. 13. You’d drücken den „Anfangs“knopf, um sich vom Motor zu schließen. § [Quelle]

Dabei ist es völlig irrelevant, ob die Beispiele (1, 2) der MÜ entstammen oder von einem Humantranslator (3) zu verantworten sind. Auffällig dabei ist, daß die als Beispiel (2) angeführte Maschinenübersetzung einer Polemik zwischen General Motors mit Bill Gates trotz ihrer sprachlichen

29

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Mängel bei einigem Vorwissen immerhin zu verstehen ist, während Beispiel (3) trotz seiner scheinbaren sprachlichen Korrektheit keinen sinnvollen Text ergibt.31 Berücksichtigt man dabei noch, daß es sich um den Ausschnitt einer Übersetzung ( § Tudman 1993) eines politisch hochbrisanten Buches ( § Tudman 199#) einer politisch exponierten Persönlichkeit, nämlich des ehemaligen kroatischen Präsidenten Franjo § Tudjman handelt, wird daraus in besonderem Maße die Gefährlichkeit eines lediglich oberflächenorientierten Zuganges zu einem Text ersichtlich.

3.4 Die analoge Translation

Als analoge Translation wird eine Translation definiert, bei der die Oberflächenelemente des Ausgangstextes durch funktionsäquivalente Elemente des jeweiligen zielsprachlichen Sprach- und/oder Kultursystems abgebildet werden.

Als Übersetzungseinheiten der analogen Translation können gelten: das Morphem, das Lexem, die Kollokation, das Phrasem und der Satz. Transphrastische Regularitäten werden nur in dem Maße abgebildet, als sie dem Regelsystem der Textgrammatik (z. B. Textverweisstrukturen, Substitutionsregeln, allenfalls noch die funktionale Satzperspektive) zuzuordnen sind. Allerdings werden analoge Translationen dieses Typus nach unseren Beobachtungen eher im Randbereich der analogen Translation zu finden sein.

Während es bei analogen Translationen durchaus üblich ist, einzelne Textmarker (Texteröffnungs-, Überleitungs- und Schlußsignale) durch funktionsgleiche Marker zu ersetzen, scheint die Anpassung der Makrostruktur den normativen Vorstellungen der analogen Translation zu widersprechen, da solche Eingriffe ohne Veränderungen der kognitiven Struktur kaum möglich sind.

Am besten läßt sich das Verfahren der analogen Translation anhand einer humorvollen Nachprägung des Gedichtes Fisches Nachtgesang von Christian Morgenstern veranschaulichen:

31 Eine sinnvolle Übersetzung hätte etwa zu lauten: „... doch es ist anzunehmen, daß der ‘Volksbefreier’ Solon im Falle einer Niederlage der Athener seinen vorgegaukelten Wahnsinn, durch welchen er den Krieg zu provozieren versucht hatte, mit seinem Leben bezahlt hätte und entweder von seinen Athenern oder von den herausgeforderten Feinden getötet worden wäre.“ Der deutsche Text ist eine typische Transkodierung und scheitert an der Interpretation der Konjunktion da, deren Polysemie nur auf Grund eines entsprechenden Hintergrundwissens aufzulösen ist. § Für weitere Beispiele vgl. Prunč (1996).

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(5)

Zit. n. Knight (1992:481)

Subtypen der analogen Translation könnten in Abhängigkeit davon gebildet werden, ob auch die ausgangssprachlichen Kultureme durch funktionsäquivalente Kultureme der Zielkultur wiedergegeben werden oder nicht. Ähnliches gilt für die Nachprägung der Elemente des literarischen Codes der Ausgangsliteratur durch funktionsäquivalente Elemente des literarischen Codes (z. B. Reim, Metrum; vgl. dazu exemplarisch bereits Levý 1969).

Die analoge Translation geht von der Modellvorstellung aus, daß es ein objektives, formales oder inhaltliches tertium comparationis zu AT und ZT gibt, anhand dessen der Grad der Entsprechung der einzelnen Textelemente beurteilt werden kann. Entscheidungshierarchien zur Lösung von Zielkonflikten zwischen der formal, inhaltlich und pragmatisch adäquaten Realisierung des Translats können jedoch ausschließlich vom Texttyp des AT abgeleitet werden (vgl. Reiß 1983; Kadrić + Snell-Hornby 1995), da es diesen und nur diesen zielsprachlich abzubilden gilt. Das deklarierte Ziel der analogen Translation ist Funktionskonstanz. Diese kann

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auf Grund des Analogieprinzips nur bei identischem kognitiven Hintergrund bei Textproduzenten und -rezipienten erzielt werden.

Findet die analoge Translation in einem größeren zeitlichen Abstand zur Produktion des AT statt, kann das zielkulturelle Bezugssystem sowohl diachron (historisierende Übersetzung) als auch synchron (aktualisierende Übersetzung) zum Rezeptionszeitpunkt angesetzt werden.

Von der homologen ist die analoge Translation am deutlichsten in bezug auf den Umgang mit supralexikalischen Elementen wie Phrasemen, Metaphern und sprichwörtlichen Redewendungen abgrenzbar. Während bei homologer Translation ausgangssprachliche Strukturen geprägt werden, werden bei der analogen Translation vor allem ihr Sinn und ihre Wertigkeit innerhalb der jeweiligen Bezugssysteme von Sprache und Kultur berücksichtigt.

Als gemeinsames Merkmal der homologen und der analogen Translation und gleichzeitig als Abgrenzungskriterium zum nächsten Typus, nämlich der dialogischen Translation, gilt, daß bei der homologen und § analogen Translation lediglich der sprachlich manifeste Teil des AT als Bezugsgröße anerkannt wird, während dialogische Translation auch inferierbare Textelemente berücksichtigt. So trifft für homologe und analoge Translation die wunderbar irreführende Regel des Translationsbiedermeier tatsächlich zu: Übersetzen Sie das, was da steht.

Diese Maxime hat allerdings einen Pferdefuß: Homologe und analoge Translation verzichten „selbstverständlich“ darauf, für den Zieltextrezipienten notwendige Informationen hinzuzufügen oder redundante Informationen wegzulassen. Selbst dann nicht, wenn auf Grund der Grice’schen32 Konversationsmaximen § [Quelle] anzunehmen ist, daß dadurch ein Funktionswechsel eintritt.

Ein signifikantes Beispiel dazu ist bei Koller (1992:250f) zu finden, auf das wir etwas näher eingehen wollen. Es handelt sich dabei um eine Szene aus Hemingways Fiesta, anhand welcher Koller die sogenannte „pragmatische Äquivalenz“ thematisiert:

(6)

‘Well, what will you drink?’ I asked.‘Pernod.’‘That’s not good for little girls.’‘Little girl yourself. Dites garçon, un pernod.’‘A pernod for me, too.’ [...]

– Qu’est-ce que tu prends? dis-je.– Un Pernod.– Ce n’est pas bon pour les petites filles.– Petite fille toi-même. Dites, garçon, un Pernod.– Un Pernod pour moi aussi. [...]

32 Anmerkung zu Grice-Konversationsmaximen

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Pernod is greenish imitation absinthe. When you add water it turns milky. It tastes like licorice and it has a good uplift, but it drops you just as far. (Hemigway, Fiesta, zit. n. Koller 1992:250)

Le Pernod est une imitation verdâtre d´absinthe. Quand on y ajoute de l´eau, la teinte en devient laiteuse. Ça a goût de réglisse et ça vous donne un bon coup de fouet, mais la dépression qui suit n´en est que plus grande.(Koller 1992:250)

Es entspricht dem Analogieprinzip, daß die Dialogmarkierung in der für den Zielcode charakteristischen Form durch Anstriche, und nicht, wie im Original, durch Anführungszeichen erfolgt. Der Codewechsel des Originals wird durch graphische Markierung, nämlich durch Kursivsetzung der im Original französisch gesprochenen Dialogpassagen nachgeprägt. Während Koller die erste Anpassung an den zielsprachlichen Code nicht für erwähnenswert, weil selbstverständlich hält, weist er auf den zweiten in einer Fußnote hin. Damit ist allerdings die Grenze der analogen Translation, wie sie von der normativen äquivalenzorientierten TLW noch „geduldet“ wird, erreicht.

In seinem Kommentar zu dieser Übersetzung macht Koller darauf aufmerksam, daß natürlich jeder Franzose wisse, was ein Pernod sei. Daraus schließt Koller § (1992:250) auch richtig:

Würde man die funktionalistische These ernst nehmen, daß eine Übersetzung dann geglückt ist, wenn sie vom Rezipienten hinreichend kohärent mit seiner Situation interpretiert wird und kein Protest in welcher Art auch immer, zu Übermittlung, Sprache und deren Sinn (‘Gemeintem’) folgt (K. Reiß/H. J. Vermeer 1984:112), so wäre der französische Übersetzer gezwungen, die Pernod-Erläuterung Hemingways umzuschreiben oder gar auszulassen [...].

Doch genau an diesem Punkt tritt auch die normative Blockade ein. Im Vortext zu diesem Beispiel heißt es bei Koller § (ibid.) nämlich:

Ein seriöser Übersetzer literarischer Texte wird sich natürlich hüten, in den Text einzugreifen – selbst wenn die betreffende Textstelle auf den französischen Leser etwas befremdlich wirken sollte.

Wenn man berücksichtigt, daß diese normative Festlegung im Kotext der Diskussion über die pragmatische Äquivalenz erfolgt, so ist natürlich zu fragen, wie ernst der Typus der pragmatischen Äquivalenz überhaupt zu nehmen ist, obwohl es bei Koller (a .a. O.:249) dazu heißt:

Aufgabe der Übersetzungswissenschaft ist es, die für bestimmte Sprachenpaare und Texte hinsichtlich bestimmter Empfängergruppen geltenden kommunikativen Bedingungen zu analysieren und die Prinzipien und Verfahren der Herstellung pragmatischer Äquivalenzen zu erarbeiten.

Sieht man sich nämlich Kollers „Verbotsliste“ für übersetzerische Eingriffe an, so bleibt für die Übersetzung lediglich die Erzielung der denotativen

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und konnotativen Äquivalenz übrig, während die Realisierung aller übrigen Äquivalenztypen bereits der Bearbeitung zugewiesen wird. Die Bezugsrahmen der pragmatischen, § textnormativen und § formalästhetischen Äquivalenz stellen vom normativen Aspekt lediglich schmückendes Beiwerk dar, mit dessen Hilfe ein unfruchtbarer, weil konsequenzenloser Kompromiß mit der Textlinguistik und der Kognitionsforschung eingegangen wird.

Aus Kollers Zitat ist also deutlich ersichtlich, daß aus seiner normativen Sicht die analoge Nachbildung der Oberflächenelemente des Originals auch die äußerste Grenze „übersetzerischer Freiheit“ markiert. Der Funktionswandel, der auf Grund der Grice’schen Maximen bzw. § Relevanztheorie bei redundanten Informationen auftritt, wird bewußt in Kauf genommen. Ebenso wird in Kauf genommen, daß es durch die Nicht-Verbalisierung von Implikaturen, die die Rezipienten auf Grund ihres kognitiven Hintergrundes nicht erschließen können, zu einer gravierenden Beeinträchtigung der Kommunikation durch Mißverständnisse kommen kann.

Trotz der angeführten Folgen im kognitiven und funktionellen Bereich repräsentiert die analoge Translation jenen Translationstypus, der in den vorherrschenden europäischen Translationsnormen eindeutig forciert wird. Auch die Vertreter der präskriptiven äquivalenzorientierten Translationswissenschaft, allen voran Newmark und Koller, fühlen sich diesen Normen verpflichtet. Sie erweisen sich im traditionellen (mittel)europäischen kulturellen Umfeld wenigstens im literarischen Bereich auch als durchaus funktionsfähig. Allerdings muß sofort hinzugefügt werden, daß dies nur deshalb der Fall ist, weil das (mittel)europäische kulturelle Umfeld bereits weitgehend homogenisiert ist. Diese Homogenisierung ist nicht zuletzt durch die ideologisch abgesicherte homologe Translation der „heiligen § Texte“ – von der Bibel über die griechischen und römischen Klassiker bis zu den kanonischen AutorInnen der Philosophie und der „Weltliteratur“ – in den Jahrhunderten der gemeinsamen Kulturgeschichte nach der Völkerwanderung und der darauffolgenden Christianisierung § zu erklären.

Der ideologische Hauptgrund für die Bevorzugung der homologen und der darauf aufgesetzten analogen Translation im europäischen Kontext dürfte allerdings darin liegen, daß sie bestehende Diskrepanzen verschleiern und die Illusion einer gemeinsamen, objektiv überprüfbaren und sprachlich ebenso objektiv widergespiegelten Realität aufrechtzuerhalten helfen. Eine Realitätsvorstellung also, die vor allem

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einfache und linear denkende Geister als Orientierungshilfe brauchen. Auf diesen wunden Punkt hat auch die Dekonstruktion ihren Finger gelegt.

Obwohl sich also der Zieltext im konkreten Rezeptionsakt auf Grund des möglichen Funktionswandels und/oder der unterschiedlichen Präsuppositionen wesentlich von Textintention, Textsinn und Textfunktion des AT entfernen kann, verbietet es der mimetische Charakter der analogen Translation, den Bezugsrahmen der Textoberfläche zu verlassen. Die Verantwortung für die Beibringung der Verstehensvoraussetzungen wird, ebenso wie bei der homologen Translation, dem Textrezipienten überlassen. Dies läßt für parasitäre Interpretationsinstitutionen nach wie vor einen relativ großen Spielraum offen.

3.5 Die dialogische Translation

Unter dialogischer Translation verstehen wir eine Translation, bei welcher der AT von der Translatorin/vom Translator kognitiv aufbereitet und der Zieltext an den Erwartungs- und Wissenshorizont der ZieltextrezipientInnen angepaßt wird. Dabei können in Abhängigkeit vom Präsuppositionsniveau, der Inferierfähigkeit und -bereitschaft der RezipientInnen Implikaturen explizit und Explikaturen implizit gemacht werden.

Bei der dialogischen Translation liegt der Focus also auf der kognitiven Aufbereitung des AT und der kontextadäquaten zielkulturellen Einbettung des ZT. Als Entscheidungsparameter gilt die Erreichung von Funktionskonstanz zwischen AT und ZT. Der/die TranslatorIn tritt nicht nur als GestalterIn des ZT, sondern auch als InterpretIn des AT auf. Dies schließt auch eine allenfalls notwendige Verbalisierung von Präsuppositionen und die Abstimmung von Explikaturen und Implikaturen auf den kognitiven Horizont des Adressaten ein. Bei der dialogischen Translation können also im Gegensatz zur analogen Translation auch nicht verbalisierte Diskurselemente vertextet bzw. verbalisierte Elemente auf die Inferenzebene verschoben werden.

Als Translationseinheit der dialogischen Translation gilt der Text als Ganzheit, einschließlich seiner nicht-verbalisierten bzw. durch andere Zeichen repräsentierten kognitiven Partitur. Deshalb ist die Einhaltung der zielsprachlichen Textsortenkonventionen bei dialogischer Translation obligatorisch, zumal erst dadurch Funktionsgleichheit von AT und ZT zu erzielen ist.

Als translationsrelevante Untereinheiten können neben lexikalischen, supralexikalischen und syntaktischen Elementen auch Schemata, Skripts

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und Diskursstrukturen gelten und entsprechend in Rechnung gestellt werden. Bei der dialogischen Translation werden auch Eingriffe in die empfängerzentrierte Deixis33 als zulässig erachtet.

Während die Verantwortung der TranslatorInnen bei der homologen und § analogen Translation auf Grund ihres eingeschränkten Spielraumes kaum gefordert wird, rückt sie bei der dialogischen Translation in den Mittelpunkt des Translationsprozesses. Bei der homologen und § analogen Translation, bei welchen Translation lediglich nach scheinbar festen Zuordnungsregeln stattfindet, können sich TranslatorInnen unter Verweis auf die (ewige) Gültigkeit der Zuordnungsregeln aus der Verantwortung schleichen. Ihre Aufgabe besteht lediglich darin, den Ersatz der Textoberflächenelemente von AT zu ZT handwerklich korrekt zu bewerkstelligen. Das einzige, wofür sie also Verantwortung zu übernehmen haben, sind echte Kunstfehler. Die Frage, die sich bei der dialogischen Translation in potenziertem Maße stellt, ist, ob TranslatorInnen auch innerhalb des erweiterten Handlungsspielraumes lediglich als neutrale Vermittlungsinstanz dienen können. Bei dieser Frage wollen wir kurz innehalten.

3.5.1 Ideologische Fallstricke

Als anschauliche Metaphern für ideale TranslatorInnen, die bescheiden in den Hintergrund treten und sich altruistisch ausschließlich ihrer Vermittlerfunktion widmen, wurden jene des unsichtbaren und des gläsernen Translators geprägt. Ein verlockendes Trugbild einer idealisierten Welt. Um dem Objektivitätsanspruch des gläsernen Translators jedoch in der gesellschaftlichen Realität gerecht zu werden, müßten TranslatorInnen imstande sein, sowohl bei der Erschließung des AT als auch bei der Produktion des ZT ihre psychische, zeitgeistige, ideologische, individualsprachliche und idiokulturelle Bedingtheit zur Gänze auszuschalten. Gehen wir jedoch, wie dies dem Konzept der dialogischen Translation entspricht, davon aus, daß die TranslatorInnen sowohl den AT zu interpretieren als auch den Zieltext auf das kognitive Umfeld der Zieltextrezipienten einzustellen haben, so ergeben sich dadurch Zielkonflikte, die normativ oder individualethisch zu lösen sind.

Obwohl dialogische Translation von einem kommunikativen und diskursanalytischen Aspekt am ehesten dem Ganzheitscharakter der menschlichen Kommunikation entspräche und deshalb am ehesten imstande wäre, Kulturbarrieren zu überwinden, wird sie gerade in sensiblen

33 Erklärung Deixis ###

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Bereichen der transkulturellen Kommunikation normativ unterbunden. Der Grund dafür ist wohl darin zu suchen, daß TranslatorInnen durch dialogische Translation in ein offenes Konkurrenzverhältnis zu den übrigen Institutionen treten, die ein Interpretationsinteresse am Original und/oder am Translat haben. Der normative Widerstand gegen dialogische Translation ist also in der Regel die Resultante der mangelnden Bereitschaft der übrigen InteraktionspartnerInnen in der transkulturellen Kommunikation, Interpretationsinteressen mit den TranslatorInnen zu teilen und damit einen Teil der Macht an sie abzutreten. Dies gilt etwa, wie wir bereits anhand der homologen Translation feststellen konnten, für den Bereich des Gerichtsdolmetschens bzw. des Community Interpreting. Ein ähnliches Interesse am Erhalt des Interpretationsmonopols werden wir auch bei den „heiligen Texten“ feststellen können. Hier bricht die dialogische Translation unmittelbar in die Interpretationsreservate von ExegetInnen aller Art ein. Es liegt also im Interesse der Bibel-, Literatur-, Rechts- und anderer ExegetInnen, dialogische Translation mit Hilfe ihrer sozialen Agenturen normativ abzublocken.

Allerdings ist nicht zu übersehen, daß dialogische Translation ideologisch in der Tat leicht instrumentalisierbar ist. Die interpretative Einengung des Ausgangstextes und seine Herauslösung aus dem ursprünglichen soziokulturellen Kontext trägt stets den Keim ideologischer Manipulation in sich. Die kognitive Umwelt der Zieltextrezipienten hat ihre eigenen Erwartungs-, Wissens- und Wertehorizonte. Die notwendige Kompatibilitätsstiftung kann nicht wertneutral erfolgen. Das manipulative Potential beider Prozeßschritte wird jedoch noch vergrößert, wenn bei den Teilnehmern an der transkulturellen Kommunikation das Bewußtsein für ihre Manipulierbarkeit fehlt. Mit anderen Worten: Das unrealistische Objektivitätspostulat schafft beim Rezipienten die trügerische Sicherheit, eine objektive Abbildung des Originals vor sich zu haben § , und macht ihn dadurch blind für Manipulation.34 In diesem Sinne können wir für Translate, die sich an einem undifferenzierten Treuepostulat orientieren, die klassische Formulierung der § Kritischen Linguistik anwenden:

In this way hearers can be both manipulated and informed, preferably manipulated while they suppose they are being informed. (Hodge + Kress 1993:6) § [Soll das Zitat kursiv sein?]

Deshalb werden sich gerade hochmanipulative Machtstrukturen hüten, das Objektivitätspostulat aufzugeben, weil ihnen nur dieses ermöglicht, mit

34 Vgl. vor allem Hatim + Mason (1997:146), die Translation als „an ideological activity“ auffassen.

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Hilfe parasitärer Interpretation Manipulation zu betreiben. Dennoch wird eine dem normativen Postulat der absoluten Objektivität unterstellte und nicht weiter hinterfragte Translation stets ein Hybrid bleiben, das an der Bipolarität zwischen Anspruch und Realität zerbrechen muß. Die äquivalenzorientierte normative Translationswissenschaft und Translationskritik haben davor stets erfolgreich die Augen verschlossen.

3.5.2 Das normative Gleichgewicht

Vor diesem Hintergrund ist unschwer einzusehen, weshalb die Translationsnormen in den europäischen Kulturen sind, wie sie sind. Um es etwas verkürzt darzustellen: Die noch immer ungebrochene Vorherrschaft des Treuepostulats des gläsernen Translators wird dafür verantwortlich zu machen sein, daß dialogische Translation bei sogenannten „heiligen Texten“ als unzulässig gilt. Zu den „heiligen Texten“ zählen natürlich auch kanonische Texte der „(Welt)literatur“.35

Dialogische Translation (und alle im folgenden noch zu besprechenden Skopostypen) werden in den vorherrschenden europäischen Systemen von Translationsnormen und -konventionen lediglich bei sogenannten Gebrauchstexten zugelassen. Vom Aspekt des Zusammenspiels gesellschaftlicher Kräfte, also bei Texten, bei denen auf Grund ihres niedrigeren sozialen Status aus einem Interpretationsvorbehalt oder Interpretationsmonopol kein Machtpotential zu schöpfen ist.

Zwischen beiden Extremen sind einerseits Grauzonen, § andererseits Felder dynamischer Auseinandersetzungen zwischen einzelnen Translationskonzepten festzustellen.

Die Notwendigkeit der kognitiven Aufbereitung literarischer Texte mit einer größeren kulturellen Distanz zum rezipierenden Leserpublikum hat in der Realität des Literaturbetriebs verschiedene Mischformen zwischen § analoger bzw. homologer Übersetzung einerseits und dialogischer Translation andererseits erzwungen. Bei der üblichsten unter ihnen werden die notwendigen Zusatzinformationen zum kulturellen und kognitiven Hintergrund durch Fuß- und/oder Endnoten, bisweilen auch in ausführlicheren Vor- und Nachworten angeboten. Das Wesen dieser Mischform liegt darin, daß die kognitive Aufbereitung durch den Translator/die Translatorin deutlich von der „eigentlichen“ Übersetzung abgegrenzt wird. Dadurch wird nach außen das Einhalten des Treuepostulats bei der „eigentlichen Übersetzung“ signalisiert.

35 Fußnote Kaindl 1997 (Festschr.) gestalten

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Dialogische Translation wird noch am ehesten bei sogenannten Autoversionen zugelassen, wobei vom Grundgedanken ausgegangen wird, daß die AutorInnen als UrheberInnen des Originals über dieses frei verfügen können, während TranslatorInnen die Botschaft der AutorInnen möglichst getreu zu vermitteln hätten. Aber gerade im Zusammenhang mit der Autoversion wäre auch ein anderer Gedankengang möglich: Man kann wohl mit Recht annehmen, daß AutorInnen bei Autoversionen aus ihrem Text in der neuen Rezeptionssituation des Beste zu machen suchen. Das Treuepostulat kann also nicht vom Interesse der AutorInnen, eine ästhetische Botschaft zu vermitteln, abgeleitet werden. Es wäre eher im Interesse der AutorInnen und ihrer „Originale“, wenn man den TranslatorInnen bei entsprechender Professionalität dieselben „Freiheiten“ einräumte. Dies ist ein weiterer Hinweis darauf, daß der Schutz der AutorInnen, ihres geistigen Eigentums und ihrer Intentionen nur ein vorgeschobener Grund für das Treuepostulat § ist.

Abstriche vom Treuepostulat, dem angeblich durch § homologe und analoge Translation am ehesten Rechnung zu tragen ist, werden im Bereich der Trivial- und Schemenliteratur in Kauf genommen. Bei der Kinder- und Jugendliteratur wird allerdings in zunehmendem Maße dialogische Translation nicht nur geduldet, sondern explizit gefordert (vgl. Oitinnen ####). Kinder würden – im Gegensatz zu Erwachsenen – die Rezeption jeder inadäquaten, kognitiv nicht zu verarbeitenden Darbietung des Textes schlicht und einfach verweigern.

Es würde uns zu weit führen, auf konkrete Translationsstrategien einzugehen, die im Rahmen der dialogischen Translation eingesetzt werden können. Wir wollen sie deshalb lediglich an einem umfangreicheren Beispiel einer Autoversion illustrieren, da wir der Meinung sind, daß gerade Autoversionen auf Grund der relativen Unbelastetheit durch traditionelle Äquivalenznormen ein geeignetes Studienobjekt für dialogische Translation darstellen.

3.5.3 Autoversion, Autointerpretation und Autozensur

Das Beispiel, das wir für eine Autoversion heranziehen, ist kein anspruchsvoller literarischer Text. Es ist der autobiographische Bericht des Kärntner slowenischen Autors Andrej Kokot über die Aussiedlung einer Kärntner slowenischen Familie durch das nationalsozialistische Regime. Zum besseren Verständnis der translatorischen Eingriffe führen wir in der ersten Spalte das Original, in der zweiten eine homologe Übersetzung und in der dritten Spalte die Autoversion an.

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In der folgenden Textpassage erzählt der Autor, wie seine Schwester Francka, die als Haushaltshilfe bei einem hohen SS-Offizier zur Zwangsarbeit verpflichtet wurde, von der Gestapo verhört wird:

(7)

Kokot (1996:95f) HT Kokot (1999:110f)

Ko so zaprli (1) našega Jožka, je bila Francka v Karlsruhe. Za njegovo aretacijo (2) je zvedela šele v taborišcu. Razumela je, zakaj je k Benzu prišel gestapovec in (3) hotel od nje vedeti vse o bratu Jožku. Francka mu ni povedala ni c esar, kar bi Jo ž ku lahko š kodovalo. (4) Nekega dne je k Benzovim zopet prišel gestapovec (5). Gospa Benz ga je peljala v „Herrenzimmer“, tja pa je c ez c as poklical Francko. (6) Silno se je prestrašila, ko je videla, da gestapovec v roki drži razglednico (7), katero je poslala stricu Kotrniku v zapor. Vedela je, da so strica, ki je iz verskih razlogov odklonil sodelovanje v nem š ki vojski, zasledovali in ga zaprli v Wieslochu blizu Heidelberga (8).

[0]

Kamen spotike (10) je bil [95] verz (11) slovenske pesmi izseljenca in rojaka (12) Janka Ogrisa [...]ki ga je Francka napisala

Als sie unseren Jožek einsperrten (1), war Francka in Karlsruhe. Von seiner Verhaftung (2) erfuhr sie erst im Lager. Sie verstand, warum ein Gestapo-Mann zu [Familie] Benz kam (3) und von ihr alles über den Bruder Jožko wissen wollte. Francka sagte ihm nichts, was Jožko schaden könnte. (4)

Eines Tages kam der Gestapo-Mann wieder zu Familie Benz. (5) Frau Benz führte ihn in das „Herrenzimmer“, wohin er Francka nach einiger Zeit rief. (6) Sie erschrak sehr, als sie sah, daß der Gestapo-Mann die Ansichtskarte in der Hand hielt (7), die sie Onkel Kotrnik in das Gefängnis geschickt hatte. Sie wußte, daß man den Onkel, der aus religiösen Gründen die Mitarbeit in der Deutschen Wehrmacht abgelehnt hatte, verfolgt und in Wiesloch in der Nähe von Heidelberg eingesperrt hat. (8).

[0]

Der Stein des Anstoßes

Als man unseren Jožek verhaftet und eingesperrt (1) hatte, war Francka in Karlsruhe. Sie hatte im Lager erfahren, daß man ihn von uns getrennt hatte (2). Da war ihr klar, warum sie von der Gestapo verhört wurde (3), die alles über Jožko wissen wollte. [0 (4)]

Bald danach wurde Francka wieder verhört.(5)

[0 (6)]

Der Mann zeigte ihr die Ansichtskarte(7), die Francka Onkel Koternik ins Gefängnis gesandt hatte.

[0 (8)]

Er wollte von ihr hören, woher sie wisse, daß ihr Onkel in Wiesloch inhaftiert sei. „Tante Konstantina hat mir geschrieben, daß Onkel Johann hier in Haft ist“, sagte sie ihm unbekümmert (9). Der wahre Grund des Verhörs (10) waren die Verse (11), [0=(12)] von

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na razglednico in poslala stricu v zapor (13). Kljub prevodu je gestapovec hotel vedeti, kaj ta verz (14) pomeni. Zlasti ga je zanimala beseda „vstajenje.“ Francka se je zagovarjala, da to ne pomeni nic posebnega. Njeno zagovarjanje ne bi ni c zaleglo (15),

[0=(16)]

ce se ne bi oglasila gospa Benz. Gestapovca je prepricala (17), da je Francka to napisala „aus religiösen Gründen“. Ce gospa Benz ne bi bila žena visokega esesovskega oficirja, se gestapovec gotovo ne bi dal prepricati (18).

[0=(19)]

Francki je pred odhodom zagrozil, da jo bodo postavili pred vojno sodišce, ce bo še kdaj storila kaj podobnega. Francka je bila hvale ž na gospe Benz, da jo je re š ila hude kazni. Benzova je to storila predvsem zato, ker se je bala, da bi izgubila dobro delovno silo (20). Strica Hanzija pa so premestili v drug zapor (21).

(10) war der Vers (11) eines slowenischen Gedichtes des Ausgesiedelten und Landsmannes (12) Janko Ogris [...], den Francka auf die Ansichtskarte geschrieben und dem Onkel ins Gefängnis geschickt hatte. (13) Trotz der Übersetzung wollte er wissen, was dieser Vers (14) , insbesondere das Wort „Auferstehung“ bedeutet. Francka verteidigte sich, daß dies nichts besonderes bedeutet. Ihre Verteidigung würde nichts fruchten (15),

[0 = (16)]

wenn sich nicht Frau Benz zu Wort gemeldet hätte. Sie überzeugte den Mann von der Gestapo- (17), daß Francka dies „aus religiösen Gründen“ geschrieben habe. Wenn Frau Benz nicht die Gattin eines hohen SS-Offiziest wäre, hätte sich der Gestapo-Mann sicher nicht überzeugen lassen (18).

[0=(19)]

Vor dem Weggehen drohte er Francka, daß man sie vor das Militärgericht stellen werde, wenn sie noch einmal ähnliches tun sollte. Francka war Frau Benz dankbar, daß sie sie vor

Janko Ogris,

die Francka unserem Onkel gesandt hatte. (13)[...]Trotz der Übersetzung wollte er wissen, was die Verse (14), besonders das Wort „Auferstehung“ bedeuten. Sie aber meinte: „Nichts Besonderes“, [0(15)]

worauf er wütend wurde, Francka verhaften und abführen wollte (16).

Da meldete sich Frau Benz zu Wort und überzeugte den Mann von der Gestapo (17), Francka habe die Verse nur aus religiösen Gründen aufgeschrieben. Ihr Mann werde die Sache schon in Ordnuing bringen und beteuerte, das Mädchen dringend für die Arbeit im Haushalt zu brauchen (18). Sie versicherte ihm auch, dafür zu sorgen, Franckas Post in Zukunft streng zu kontrollieren (19). Der Mann verabschiedete sich mit der Drohung, sollte Francka noch einmal ähnliches tun, werde man sie vor das Militärgericht stellen.

[0=(20) 18]

[0=(21)]

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einer schweren Strafe gerettet hatte. Frau Benz tat dies vor allem deshalb, weil sie Angst hatte, eine gute Arbeitskraft zu verlieren (18). Onkel Hanzi wurde in eine andere Haftanstalt verlegt (21).

Auffällig ist zunächst, daß die explizite Darstellung des gutbürgerlichen Milieus der Familie eines SS-Offiziers, die für das slowenische Zielpublikum durchaus relevant ist und hervorragend zum Stereotyp „reiche Deutsche“ vs. „arme Slowenen“ paßt, getilgt und auf die Ebene der Implikaturen verschoben wird (6). Ähnliches gilt auch für einige Reaktionen und Handlungen Franckas (7, 13), den expliziten Erzählerkommentar über die psychische Befindlichkeit Franckas (15, 22) und die Charakterisierung von Janko Ogris, die zwar für § den slowenischen Leser interessant sein mögen, für den § deutschsprachigen § jedoch irrelevant sind (12). Die bisher angeführten shifts könnte man vordergründig als allgemeine Tendenz zur Straffung des Erzähltextes interpretieren, obwohl natürlich durch die Tilgung des Kontrastes kleine bescheidene Zwangsarbeiterin vs. bürgerlicher Reichtum des SS-Haushaltes auch eine ideologische Komponente des Textes berührt wird. Wir müssen uns also nach rekurrenten Merkmalen umsehen, um allfällige ideologische Gründe für diesen Umgang mit dem Text freizulegen.

Eine ähnliche Abschwächung können wir in den Pro-Formen für den Gestapo-Beamten feststellen. Bei seiner Einführung in den Text wird aus einem konkreten Gestapo-Mann lediglich eine abstrakte Gestapo (3), wobei sich ein gewisser Kohärenzbruch dadurch ergibt, daß die Person des Verhörenden in der weiteren Substitutionskette zweimal als Mann (7, 20) und einmal als Mann von der Gestapo figuriert. Im Vergleich zum durchgängigen slowenischen gestapovec wird dieser Figur etwas von ihrer brutalen Bedrohlichkeit genommen. Offensichtlich hat dies der Verfasser auch gespürt, weshalb er ohne entsprechende Vorlage im slowenischen Original in der Übersetzung den Satz (16) einfügte.

Könnte man die Pro-Formen für den Gestapobeamten noch durch die Unterschiede in der Sprachstruktur begründen, so ist die Auslassung des Erzählerberichtes über Franckas Verhalten während des Verhörs (4) und der gesamten Passage über die Wehrdienstverweigerung des Onkels (8) sprachlich nicht mehr zu erklären. Auch diese Auslassung wird in der deutschen Textfassung durch einen neu hinzugefügten Absatz (9)

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kompensiert, in der jedoch das politisch-moralische Faktum der Wehrdienstverweigerung durch private Bezüge ersetzt wird. Eine völlige Umdeutung wird bei der Figur der Gattin des SS-Offiziers vorgenommen. Während sie in der slowenischen Textfassung eindeutig aus egoistischen Motiven agiert, weil sie, wie im Erzählerkommentar noch unterstrichen wird, nicht eine billige Arbeitskraft verlieren will (22), wird in der deutschen Textfassung eine diametral entgegengesetzte Wertung unterlegt: Die gutbürgerliche Gattin des SS-Offiziers wird zu einer stillen Verbündeten Franckas, die den Gestapobeamten austrickst und geschickt die Machtposition ihres Mannes ins Spiel bringt. Aus der Feindfigur einer egoistischen SS-Offiziers-Gattin wird eine resolute, relativ sympathische Heldin à la Schindler.

Scheint diese Verschiebung der Wertehierarchie noch ein Zufall zu sein, so liefert das rekurrente Vorkommen ähnlicher Strategien den Beweis dafür, daß es sich um eine bewußte Anpassung an einen Erwartungs- und Wissenshorizont des impliziten Lesers handeln muß, in welchem die NS-Herrschaft einen anderen Stellenwert hat als im slowenischen Original. Um die Konturen dieses Horizontes auszuleuchten, seien noch einige wertsensitive Textstellen herangezogen:

(8)

Kokot (1996:7) HT Kokot (1999:150)

Cim dalj smo se vozili, tem bolj smo se zavedali, da se

rjava ka c a ž ivinskih vagonov (1) plazi z nami po razdejani, popolnoma porušeni deželi. [...] Vracanje (3) na Koroško nas je navdajalo z obcutkom zmagoslavja. (4)

Je länger wir fuhren, desto mehr wurden wir uns dessen bewußt, daß

die braune Schlange der Viehwaggons (1) mit uns durch ein verwüstetes, völlig zerstörtes Land kriecht (2) [...] Die Rückkehr (3) nach Kärnten erfüllte uns mit dem Gefühl des Triumphes (4)

Je länger unsere Reise (2a)dauerte, um so mehr wurde uns bewußt, daß wir [0 (1)]durch ein völlig zerstörtes Land reisten (2b) [ ....] Während der Fahrt (3) nach Kärnten beflügelte uns ein Gefühl von Selbstbewußtsein (4)

Im Beispiel (8) wird sogar die Anspielung an die braune Vergangenheit, die durch die Schlangenmetapher (1) evoziert wird, getilgt. Der menschenunwürdige Transport in Viehwaggons wird euphemistisch zu einer einfachen Reise (2a, 2b), die emotionsgeladene Rückkehr zu einer neutralen Fahrt (3) umgestaltet. Das in dieser Situation durchaus verständliche Gefühl des Triumphes, das die Vertriebenen nach dem

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Zusammenbruch des Nazi-Regimes erfüllt haben muß, wird zu einem „Gefühl von Selbstbewußtsein“ abgeschwächt (4). Die Verharmlosung der NS-Herrschaft und die ideologische Neutralisierung ihrer Proponenten bis zur Salonfähigkeit sind für eine Einstellung charakteristisch, die der Verfasser bei seinen § deutschsprachigen Lesern annimmt. Im Einklang mit dieser Erwartungshaltung wird auch ein Selbstbild der Kärntner Slowenen als brave, versöhnungswillige Mitbürger gezeichnet, die sogar in der Extremsituation der Heimkehr aus dem Lager keinen Triumph über ihre Peiniger empfinden, sondern lediglich vom politisch korrekten Gefühl von Selbstbewußtsein beflügelt werden dürfen.

Die Anpassungsstrategie wird durch die Auslassung sämtlicher Tabus des Kärntner politischen Diskurses fortgesetzt. So wird etwa die historische Tatsache, daß Kärnten auch von den Partisanen und nicht nur von den Engländern besetzt worden war und daß von slowenischer Seite auch Gebietsforderungen erhoben wurden, einfach verschwiegen. In diesem Sinne darf in der deutschen Übersetzung natürlich nicht erwähnt werden, daß an der Waggontür die slowenische (und nicht die österreichische) Fahne angebracht wurde, obwohl die Handlung der Burschen und Mädchen in der im Translat geschilderten Form völlig unmotiviert erscheint (9):

(9)

Kokot (1996:8) HT Kokot (1999:151)

Preden smo se s postaje Böckstein zapeljali v predor, so fantje in dekleta na vagonska vrata namestili slovensko zastavo.

Bevor wir vom Bahnhof Böckstein in den Tunnel einfuhren, brachten die Burschen und Mädchen an der Waggontür eine/die slowenische Fahne an

Bevor wir den Bahnhof in Böckstein verlassen hatten und der Zug mit uns im Dunkel des Tauerntunnels verschwand, ordneten Burschen und Mädchen die zerzauste Fahne an der Waggontür.

Im Beispiel (10), das dem unmittelbaren Kotext entnommen ist, werden sogar die slowenischen Truppen einfach durch die Russen ersetzt (1), obwohl dadurch eine Inkohärenz auf der makrostrukturellen Ebene entsteht. Auch hier riskiert der Autor als Translator einen Kohärenzbruch, da im unmittelbaren Vortext sehr wohl vom jugoslawischen Widerstand, von Tito und den Partisanen die Rede ist, an welche die Helden ihre Hoffnungen knüpfen. Sie scheinen, wenn man ausschließlich dem Text der Übersetzung folgt, an Gedächtnisschwund zu leiden.

(10)

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Kokot (1996:8) HT Kokot (1999:150)

Tomaž Waste in drugi možje, ki so bili prepricani, da so Koroško osvobodile slovenske čete, so se zavedali, da Angleži za nas ne bodo imeli pravega posluha Tako je tudi bilo (2).

Tomaž Waste und die anderen Männer, die überzeugt waren, daß Kärnten von den slowenischen Truppen befreit wurde, wurden sich dessen bewußt, daß die Engländer für uns kein richtiges Gehör haben werden. So war es auch (2).

Tomaž Waste und andere Männer waren überzeugt, daß Kärnten von den Russen (1) befreit worden war. Es waren aber Engländer, die den Bahnhof bewachten.(0 = (2)]

Daß im zuletzt angeführten Beispiel (10) auch der Erzählerkommentar getilgt wird (2), stellt schließlich die konsequente Fortsetzung der Strategie der Anpassung an den politischen Diskurs à la Carinthie dar, der von einer neutralen bis positiven Einstellung zur NS-Vergangenheit, der negativen Einstellung zum Widerstand und vom Stereotyp einer politisch korrekten, sanftmütigen und seine eigene Geschichte verleugnenden Minderheit geprägt wird.

Wir können deshalb im angeführten Beispiel eine Sonderform der dialogischen Translation, nämlich die Autozensur, erblicken, bei der die kognitive und ideologische Anpassung an vorherrschende Machtstrukturen in einer Art vorauseilendem Gehorsam erfolgt.

Mit diesem Beispiel der Autozensur haben wir auch den sensibelsten Punkt der dialogischen Translation angesprochen. Wenn dialogische Aufbereitung mit absoluter Objektivität – wenn es eine solche überhaupt gibt – und ohne Einbeziehung der Subjektivität der TranslatorInnen kaum möglich ist, so hat dies zu bedeuten, daß den TranslatorInnen nichts anderes übrig bleibt, als sich bewußt ihrer Subjektivität zu stellen und sich kooperativ mit den Interpretationsinteressen der jeweiligen PartnerInnen auseinanderzusetzen.

3.5.4 Objektivität und Subjektivität

An dieser Stelle können wir wieder bei der Objektivitätsdiskussion anknüpfen. Auch wenn TranslatorInnen noch so sehr eine Objektivierung translatorischer Verfahren anstreben, wird bei anspruchsvolleren und ideologiesensitiven Texten stets ein intersubjektiv nicht verifizierbarer, unerklärbarer, der Kreativität der TranslatorInnen überantworteter Rest verbleiben. Den TranslatorInnen bleibt also nichts anderes übrig, als die Verantwortung nicht nur für den objektivierbaren Teil des Transfers,

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sondern auch für die subjektiven Implikationen des Transferprozesses zu übernehmen.

Eine realitätsnahe Formulierung des Objektivitätspostulats könnte deshalb lauten: Das Optimum, das TranslatorInnen leisten können, ist, sich dem AT in hermeneutischen Zirkeln und nach intersubjektiv nachvollziehbaren Kriterien zu nähern. Analoges gilt für den Transferprozeß und die zielkulturelle Einbettung, bei der die rekursive Annäherung der prospektiven Lösungen anhand intersubjektiv nachvollziehbarer Kriterien zu erfolgen hätte.

Je bewußter TranslatorInnen nun ihre kreative Subjektivität in einer adäquat reflektierten Form in den Translationsprozeß einbeziehen, je konsequenter die inhärente Subjektivität von Translation auch transparent gemacht § und von der Translationskritik und den ZieltextrezipientInnen akzeptiert wird, § desto objektivierbarer wird die Funktion von Translation. Dies gilt zwar für alle Skopostypen, wird jedoch mit zunehmender Lockerung der intertextuellen Beziehung zwischen AT und ZT virulenter.

3.6 Die trialogische Translation

Trialogische Translation liegt vor, wenn sich die Translatorin/der Translator als dritte(r) PartnerIn intentional in den Dialog zwischen AT-AutorIn und ZT-RezipientIn einschaltet, indem er/sie seine/ihre Sprache und sein/ihr Weltbild bewußt in den Zieltext einschreibt.

Das Maß des subjektiven Anteils der TranslatorInnen und ihrer Präsenz im Zieltext ist gleichzeitig auch das Abgrenzungskriterium zwischen dialogischer und trialogischer Translation. Es liegt § in der Natur des Kriteriums, daß dieser Unterschied kein essentieller, sondern lediglich ein gradueller sein kann, daß es also zwischen dialogischer und trialogischer Translation ein Kontinuum von Übergangsformen gibt.

Die gesellschaftliche Relevanz trialogischer Translation ist noch ambivalenter als jene der dialogischen. Eines scheint jedoch sicher zu sein: In dem Maße, in dem die historische, ideologische und kulturelle Bedingtheit aller, auch der sogenannten „heiligen Texte“ erkannt und diese auf eine bloße Scheinheiligkeit reduziert wird, gewinnen auch TranslatorInnen als wesentliche Akteure in den Sinnstiftungsprozessen der Kulturen an Bedeutung. Je klarer der Text, also auch jener des Originals,36

von den Textwissenschaften als instabiles Gebilde erkannt wird, das sich jeder vereinfachenden Vereindeutigung entzieht und dessen Sinn

36 Zur postmodernen These, daß selbst das Original nur als Übersetzung existiert vgl. Wolf (1997:143) und Wolf (1997) § [bitte differenzieren zwischen a, b etc.].

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gesellschaftlich jeweils konkret auszuhandeln ist, § desto größer wird auch die Bedeutung der bewußt subjektiven Interpretation der TranslatorInnen im transkulturellen Kommunikationsprozeß (vgl. Arrojo 1998).37 Der von Roland Barthes verkündete symbolische Tod des Autors ist auch der Tod des gläsernen Translators. Doch diese beiden Tode sind gleichzeitig auch die Geburtsstunde der TranslatorInnen als kreativ selbstverantwortliche Wesen. Allein, dies wäre ein Thema, das den Rahmen dieses Beitrages wesentlich sprengen würde, weshalb wir es bei dieser thesenhaften und metaphorischen Ausdrucksweise bewenden lassen und lediglich pragmatisch auf zwei der möglichen Anwendungsfelder trialogischer Translation hinweisen wollen: die postkoloniale (vgl. u. a. Álvarez-Vidal 1996; Wolf 1997) und die feministische Translation (vgl. u. a. Lotbinière-Harwood 1991; Flotow 1991; Masardier-Kenney 1997).

3.6.1 Translatorischer Trialog und Macht

Die in den europäischen Kulturwissenschaften häufig übersehene Rolle der TranslatorInnen im Prozeß der Entstehung von Weltbildern und Kulturen wurde im postkolonialen Diskurs thematisiert. Die Agenten, die hinter den Sprach- und Translationspolitiken der Kolonialherren standen, stehen nun im Focus des Interesses. Die Folgen der jahrhundertelangen Dominanz und kulturellen Infiltration für das kulturelle Selbstverständnis der Kolonisierten, das auch nach dem offiziellen Ende des Kolonialismus weiterwirkte, wurden aufgezeigt. Dabei wurde der Faktor Macht immer deutlicher als bestimmender Faktor für den transkulturellen Diskurs

37 Es ist immer wieder frappierend, mit welch erschreckender Selbstverständlichkeit trotz aller kritischen Fragen, die in der postmodernen kultur- und literarurwissenschaftlichen Diskussion im Zusammenhang mit dem Textsinn und der Textrezeption aufgeworfen wurden, das Faktum Translation schlichtweg übersehen wird. So schildert etwa Dietrich Harth (1996) im allgemeinen sehr treffend die Kanonbildung und die europäische (Dis)kontinuität als Funktion der Schriftkultur und des kulturellen Gedächtnisses. Allerdings suchen wir sowohl bei den kulturellen Praktiken (S. ##: Schreiben, Lesen, Auswählen, Konservieren, Kommentieren, Vervielfältigen) als auch unter den sozialen Gruppen, „die vom Kollektiv als Spezialisten, Lehrer und Träger der ‘Schriftkultur’ anerkannt werden“ (334), konkret laut Harth von „Schreibern, Priestern, Gelehrten, Philologen“, vergeblich nach Anzeichen von Translatoren und von Translation. Obwohl an mehreren Stellen von transkultureller Tradierung die Rede ist, wird nicht der Funke eines Gedankens darauf verschwendet, daß die „fundierenden Texte“ (S.333), etwa das Alte Testament der Juden und die Epen Homers, nur mit Hilfe von Translation Gegenstand eines zeit- und kulturübergreifenden Dialogs werden konnten. Offensichtlich muß da noch immer der Heilige Geist im Spiel gewesen sein und § den transkulturellen Dialog durch sprachlose Telepathie mittels Feuerzungen gesichert haben.

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herausgearbeitet. Der Translation wurde eine entscheidende Rolle sowohl bei der Propagierung und Durchsetzung (vom Aspekt der Kolonisatoren) als auch für die Internalisierung und das Fortleben (vom Aspekt der Kolonisierten) der imperienerhaltenden Ideologien zugewiesen. Die logische Schlußfolgerung daraus konnte nur lauten: Die Entkolonialisierung des Geistes wird nur durch eine ebenso offensive Rolle der TranslatorInnen, die sich bewußt als Vermittlerinstanz einschalten, zu bewältigen sein. Diese Grundtendenz im postkolonialen Diskurs läßt den Großteil der Translationsmodelle und -normen in den Bereich oder wenigstens in die Nähe der trialogischen Translation rücken.

Am eindeutigsten der trialogischen Translation zuordenbar ist das sogenannte anthropophagische Übersetzungsmodell, das in Brasilien von der „translatorischen Avantgarde“ (Vieira 1997:106) in den späten 70er und in den 80er Jahren vertreten wurde und als deren Hauptvertreter die Brüder Augusto und Haroldo de Campos gelten. Der Kannibalismus als rituelle Form der Erniedrigung, Auslöschung und Einverleibung des Feindes, der im kolonialen Kontext oft genug stereotyp zugeschrieben und zur Diskriminierung der kolonisierten Kulturen verwendet wurde, wurde als Metapher für ein bestimmtes Verhalten gegenüber kulturellen Vormachtstellungen genommen. Die anthropophagische „Übersetzungsphilosophie“ zielt darauf ab, Machthierarchien, insbesondere jene zwischen Original und Übersetzung aufzuheben § sowie Original und Übersetzung miteinander zu verschmelzen (Wolf 1997:13f § bitte a, b etc. angeben.).

In ähnlicher Weise wird mit dem Original auch bei der sogenannten Transtextualisierung verfahren, die von Haroldo de Campos praktiziert wurde (vgl. Vieira 1997). Das Verhältnis von Original und Übersetzung wird also relativiert, wenn nicht sogar umgekehrt.

Der Übersetzer wird autonom und im Text selbst sichtbar. (Vieira 1997:109).

Relativ eindeutig wird auch die Zuordnung verschiedener Formen des Widerstandes durch „Fehlübersetzungen“ sein, wie sie von Vincente Rafael herausgearbeitet wurden (vgl. Rafael ####, Robinson 1997). Nach Rafael sind solche „Fehlübersetzungen“ eine der Möglichkeiten, sich scheinbar mit dem herrschenden System zu arrangieren und doch § die Identität beizubehalten.

Wesentlich schwieriger ist die Frage zu beantworten, ob die im postkolonialen Diskurs in der Tradition Walter Benjamins immer wieder geforderte Strategie der „Wörtlichkeit“ (z. B. Niranjana ###; vgl. auch das oben zu Venuti Gesagte) der trialogischen oder – wie wir dies im Falle der

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Handke-Übersetzungen getan haben – der homologen Translation zuzuordnen sein wird. Zur Zeit fehlt uns leider ein ausreichendes Corpus an konkreten Beispielen, die diese theoretischen Konzepte anhand ihrer Auswirkungen auf die Translation zuordenbar machen würden.

Es ist zwar grundsätzlich richtig, daß trialogische Translation von kritischen TranslatorInnen dazu eingesetzt werden kann, um bestehende Machtverhältnisse von innen her aufzubrechen und deren sprachliche Manifestation in Sprache und Texten bewußt zu machen. Es ist aber ebenso richtig, daß die Abhängigkeit oder gar Hörigkeit der TranslatorInnen gegenüber den AuftraggeberInnen bzw. den in einer Gesellschaft vorherrschenden Machtinteressen gerade die trialogische Translation zu einem willfährigen Werkzeug hegemonialer Machtstrukturen werden lassen kann. Deshalb tendierten machtbewußte Systeme – vom Römischen Imperium (aemulatio) bis zu den aufstrebenden Nationalstaaten (belles infidèles) – beim kulturellen Import stets zur trialogischen Translation. Totalitäre Systeme waren und sind darüber hinaus bestrebt, trialogische Translation mit Translationsverboten zu kombinieren und sie einer spezialisierten Elite anzuvertrauen, die durch Gewährung und Entzug von Privilegien gesteuert werden kann.

In diesem Sinne wird auch bei der postkolonialen Translation zu berücksichtigen sein, daß zwischen dem Widerstand gegen die globale materielle und kulturelle Hegemonie der (ehemaligen) Kolonialmächte und Kulturen und der Instrumentalisierung der Translation für lokal ebenso ethnozentrische und hegemoniale Bestrebungen bisweilen keine klare Grenze zu ziehen ist. Der emanzipatorische Charakter postkolonialer Translation wird deshalb nur auf Grund der Mikroanalyse der gesellschaftlichen Zusammenhänge in der jeweils konkreten Translationssituation bestimmt werden können.

3.6.2 Die Stimmen zwischen Wörtern und Sätzen

Auch der feministische Diskurs kreist im wesentlichen um den Faktor Macht. Frauen seien, so die Hauptthese der feministischen Translation(swissenschaft), in der männerdominierten Gesellschaft in Sprache und Texten zum Verstummen gebracht worden. Deshalb sei es eine der wichtigsten Aufgaben feministischer Schreibtätigkeit (écriture au feminine###) im allgemeinen und feministischer Translation (rewriting in the feminine)38, im besonderen, sie wieder sichtbar zu machen. Die Vorschläge, wie dies zu geschehen habe, beginnen mit einer extensiven

38 Lotbinière-Harwood (1991:162)

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Nutzung des im vorangegangenen Kapitel kurz gestreiften Mischtypus zur dialogischen Translation, in welchem der eigene Standpunkt durch Fußnoten, Vor- und Nachwörter eingebracht wird. Ihre extremen Formen sind das komplette Umschreiben (rewriting) und das Hijacking, d. h., die unmittelbaren Texteingriffe der TranslatorInnen im Sinne einer trialogischen Translation.

Neben der Verwendung fraueneinbindender Sprache geht es der feministischen Translation(swissenschaft) auch darum, die spezifische historische, psychische und physische Erfahrung39 der Frauen durch Vermittlung der TranslatorInnen in den Text einzuschreiben.

Die Sichtbarmachung kann – in der trialogischen Translation eben unabhängig von den Intentionen der OriginalautorInnen – z. B. durch das Aufbrechen der Motivationsstruktur einzelner Lexeme erzielt werden. So etwa, wenn in dekonstruktiver Absicht neben history ein herstory, neben outsiders auch outsid(h)ers, neben lovers auch lov(h)ers, neben authors auch authers40 gestellt werden etc. Diese Art von Texteingriffen ist eng mit der Entwicklung feministischer Sprachkritik verbunden und im Text in der Regel leicht erkennbar. Parallel zu den Forschungsergebnissen der feministischen Translationswissenschaft und der Intensivierung des Bewußtseins über political correctness gegenüber Frauen werden immer tiefere Schichten der Texte erfaßt.

Ein konkretes Beispiel dazu sei aus Lotbinière-Harwood (#### § Literatur) angeführt. Es geht dabei um den Beginn eines autobiographischen Textes von Violette Leduc. In der ersten englischen Übersetzung von Derek Coltman wurde die spezifische Beziehung zwischen Mutter und Tochter, die im Original, wenn auch nicht in sehr ausgeprägter Form, durch feminine Endungsmorpheme und Pronomina signalisiert § werden, völlig anonymisiert. Lotbinière-Harwood unterbreitet einen Lösungsvorschlag, in welchem die Beziehung zwischen Mutter und Tochter expliziter zum Ausdruck gebracht und die Art der emotionellen Beziehung angedeutet wird:

(11)

Violette Leduc, La Bâtarde 1964

Derek Coltmann 1965 Lotbinière-Harwood 198641

Je suis née brisée. Je suis le I was born broken. I am I was born broken. I am

39 Lotbinière-Harwood (1991:173): „donner raison à notre expérience de corps, de coeur et de pensée.“

40  § Die Beispiele sind Lotbinière-Harwood (1991) entnommen.41 Sämtliche Zitate nach Lotbinière-Harwood (1991:107f).

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malheur d’une autre. Une bâtarde, quoi!“

someone else’s misfortune. another woman’s sorrow, a bastard!

Leider ist auch bei der feministischen Translation derzeit noch die Theorie der Praxis weit voraus. Deshalb wird auch bei der feministischer Translation vor einer endgültigen Typologisierung auf ein entsprechend großes Corpus feministischer Translate zu warten sein.

*** [Anmerkung4 Vermeer; s. unten]

3.7 Die diaskopische Translation

Wird bei den Translationsnormen und -konventionen, auf Grund welcher die bisher erörterten Skopostypen zu produzieren sind, wenigstens deklarativ von einem holistischen Textkonzept ausgegangen, wird bei der diaskopischen Translation auch mit diesem Konzept gebrochen.

Unter diaskopischer Translation verstehen wir nämlich eine Translation, bei welcher Teilaspekte, Teilelemente oder Teilsegmente (Inhaltswiedergabe, Kondensierung, Streckung, metasprachliche Beschreibung etc.) eines Ausgangstextes nach frei definierbaren Zielvorgaben für eine frei definierbare Rezeptionsfunktion zugeschnitten werden.

Struktur und Funktion des Ausgangstextes werden als irrelevant eingestuft und ausschließlich nach den Kriterien der Zieltextfunktion selektiert. Als Translationseinheit kann jedes beliebige Element des AT gelten. Bei der diaskopischen Translation erfolgt also die bereits eingangs erwähnte begriffliche Auflösung des Ausgangs- und des Zieltextes. Der Ausgangs- und Zieltext können bei diaskopischer Translation auch aus einem Textentwurf oder aus einem gezielt selektierten Agglomerat verschiedener Texte oder auch nur aus Informationen über einen Sachverhalt oder einen Text mit unterschiedlichem Textualitätscharakter bestehen.

Kurzum, als Motto der diaskopischen Translation könnten wir festhalten: Alles ist möglich.

Auf Grund der zahlreichen Selektionsmöglichkeiten und Strategien, die sich bei der diaskopischen Translation ergeben, ist kein expliziter Prototyp der diaskopischen Translation auszumachen. Auf jeden Fall aber würden wir den von Holz-Mänttäri (1993a, 1993b) in die translationswissenschaftliche Diskussion eingeführten Begriff des Textdesign als translatorische Handlung § und dessen Produkt, den

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Designtext, diesem Translationstyp zuordnen. *** [Vermeer: keinesfalls, bei H-M oberbegriff!

Unter Textdesign versteht Holz-Mänttäri (###) alle professionellen Tätigkeiten, bei denen Botschaftsträger von TranslatorInnen als ExpertInnen für transkulturelle Textproduktion für fremden Bedarf und zur Überwindung ethnokultureller Verständigungsbarrieren produziert werden. Die für die „professionell-artifizielle“ Herstellung von Designtexten notwendigen Informationen setzen sich aus Informationen über die Intentionen des Auftraggebers und aus Informationen, die dem Ausgangstext selbst zu entnehmen sind, zusammen. Der Designtext zielt darauf ab, die vom Auftraggeber gewünschte Reaktion in einer spezifischen Rezeptionssituation zu erzielen. Deshalb wird er sorgfältig auf seine Einsatzsituation hin § ausgearbeitet und kann prinzipiell auch nur in dieser Auftragssituation verwendet werden.

Werden im translatorischen Handlungsmodell von Holz-Mänttäri lediglich die traditionellen Konzepte von Ausgangs- und Zieltext verworfen, so geht man im Diskurs um postkoloniale Translation noch einen Schritt weiter. In der Diskussion um den sogenannten „dritten Raum“, den es durch Translation zu eröffnen gälte, wird nicht nur die Dichotomie zwischen Ausgangs- und Zieltext, zwischen Original und Übersetzung, sondern auch jene zwischen § [Die Hierarchie von Kultur und Sprache würde ich hier umkehren] Ausgangssprache und § -kultur auf der einen, Zielsprache und § -kultur auf der anderen Seite aufgelöst. Ebenso wie die Ausgangskulturen und ihre Originale hybride Formen koexistenter Kulturen darstellten, hätten sich auch Translate durch Hybridität auszuzeichnen. Nur eine solche Hybridität ermögliche es allen Beteiligten, sich ohne Selbstaufgabe oder künstliche Homogenisierung im transkulturellen Prozeß wiederzufinden.42

Damit scheinen wir endgültig bei unserer anfänglichen „Geheimbotschaft“ angelangt: In der modernen, globalen und multikulturellen Gesellschaft scheinen uns alle Koordinaten abhanden gekommen zu sein, an denen sich noch die traditionelle Translation und mit ihr die Translationswissenschaft orientieren konnten. In der Tat, es ist nichts mehr fix, § woran man einfach festhalten könnte.

42 Anmerkung zu third space

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3.7.1 Blick nicht zurück in Harm

Wenn wir die möglichen Realisierungsformen von Skopoi noch einmal Revue passieren lassen, so scheint sich eine Entwicklungslinie abzuzeichnen.

Je mehr wir uns vom Konzept des „heiligen Originals“ und seiner sklavischen Widerspiegelung durch Translation entfernen, um so dynamischer wird auch das Konzept der Translation und um so mehr entfernt sich diese von der bloßen Oberflächenstruktur der Texte. Text wird spätestens bei der dialogischen Translation nicht mehr lediglich § zu dem, was da steht. Er schließt in der dialogischen Translation auch das ein, was nicht da steht43, was also auf Grund der Textoberfläche lediglich erschließbar ist und von den Textproduzenten und -rezipienten § stillschweigend vorausgesetzt wird. In der trialogischen Translation wird von den TranslatorInnen als selbstverantwortlichen AgentInnen im transkulturellen Diskurs auch das an die Oberfläche geholt, was auf Grund asymmetrischer Machtbeziehungen nicht da stehen § durfte oder konnte, was jedoch aus der (ideologischen) Sicht der TranslatorInnen da stehen (und deshalb in den Zieltext eingeschrieben werden) sollte. In der diaskopischen Translation wird schließlich der Umgang mit den Texten dem freien Kräftespiel von Interessen und Zielvorgaben überlassen, das lediglich durch den gemeinsam zu erzielenden Konsens über das professionell zu Erreichende geregelt wird.

Die zweite Tendenz, die wir in den realen Handlungsfeldern von Translation zu erkennen glauben, ist die, daß sich auf dem Weg vom Translationsbiedermeier zur Cyber-translation, das Schwergewicht immer mehr von den „einfachen“ Skopostypen in Richtung diaskopische Translation verlagert. Die Entwicklung von einem in sich ruhenden und abgeschlossenen Handlungsfeld der TranslatorInnen zu einer spezialisierten, hochgradig arbeitsteiligen Welt der globalen Kommunikation macht maßgeschneiderte, an Ausgangstexte locker angebundene Translate von der Ausnahme zum Regelfall.44 Allein auf Grund der Reduktion der Raumkategorie im Cyberspace, der leichten Veränderbarkeit und Übermittelbarkeit der materiellen Manifestationen von Texten ergeben sich völlig neue Formen translatorischer Kooperation.

Das dritte Element, auf das wir quasi in eigener Sache verweisen möchten, ist, daß die Translationswissenschaft die Probleme von morgen nicht mit den Instrumenten von gestern lösen und sich nicht die Augen vor

43 Fußnote Nord, textint. – textext. Faktoren.44 Fußnote: European Translation Platform

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den Erkenntnissen der Kognitions- und Kulturwissenschaften verschließen kann. Daß sie durchaus imstande ist, mit dynamischen Modellen auf dynamische Entwicklungen zu reagieren, mag vielleicht auch aus dieser kursorischen Übersicht möglicher Skopoi und ihrer Implikationen hervorgegangen sein.

Wir können in einer groben Zusammenschau auch feststellen, daß die Schwankungen zwischen AT- und ZT-orientierten Skopostypen innerhalb der einzelnen Translationskulturen von den Notwendigkeiten zur Innovation (homologe und analoge Translation) einerseits, vom Streben nach Bewahrung und Stabilisierung des Erreichten (dialogische Translation) andererseits bestimmt werden. Pseudotranslation stellt den Extremfall der bewußten Infiltration fremder Kulturmodelle, trialogische Translation den Extremfall der Implementierung der Welt der TranslatorInnen in die Welt der Translate dar.

4. Die Suche nach übergeordneten Regelsystemen

Die vorgeschlagene Typologie der Skopoi kann und will derzeit nicht mehr als ein Entwurf sein. So manche Reflexion, Feineinstellung und Differenzierung wäre noch notwendig, um ein in jeder Hinsicht widerspruchsfreies Kategorisierungsmodell möglicher Translationen zu entwickeln. Selbstverständlich könnten die angeführten Haupttypen weiter differenziert oder auf Grund gemeinsamer Merkmale zu Gruppen zusammengefaßt werden. Wir haben auf Grund des beschränkten Rahmens auch darauf verzichtet, Parallelen und Unterschiede zu bereits vorhandenen Typologien aufzuzeigen.

Wenn es uns jedoch gelungen ist, die bunte Palette von Möglichkeiten, die in der nunmehr dreitausendjährigen Geschichte der Translation realisiert wurden, zu klassifizieren und Konturen einer künftigen Entwicklung aufzuzeigen, rigide und kulturell vorgeprägte normative Sichtweisen aufzureißen, dann haben wir ein erstes Etappenziel erreicht.

4.1 Von der Asymmetrie der Sprachen zur Asymmetrie der Macht

Wir waren auch bestrebt aufzuzeigen, daß die Präferenz für einen bestimmten Skopostyp primär von den vorherrschenden Machtverhältnissen, genauer, vom Interesse der Mächtigen an Translation bestimmt wird. In diesem Sinne repräsentieren die einzelnen Skopostypen, die Art, wie die Asymmetrie zwischen Sprachen und Kulturen bewältigt

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wird, nicht bessere oder schlechtere, sondern jeweils andere Translationen, die im vielfältigen Gewebe transkultureller Beziehungen anderen gesellschaftlichen, ästhetischen und ideologischen Voraussetzungen entsprechen. Sie sind der unmittelbare Niederschlag der Asymmetrien der Macht in konkreten transkulturellen Diskursen.

Es wäre deshalb eine Illusion zu glauben, daß sich Translation durch realitätsfremde Objektivitätspostulate der realiter stattfindenden Instrumentalisierung entziehen könnte. Das Idealbild absolut objektiver TranslatorInnen ist ein aus naiven Illusionen genährtes ideologisches Konstrukt, das im Endeffekt manipulatorischen Strategien Vorschub leistet. Denn gerade die Naivität, mit der man sich die Augen vor realiter ablaufenden sprachlichen, ideologischen und politischen Manipulationsprozessen verschließt, läßt die Manipulierten zu schutzlosen § , weil nicht sensibilisierten Opfern von Manipulation werden.

Die ideologische Vereinnahmung von Translation unter dem § Vorwand objektiver Äquivalenzbeziehungen läßt sich anhand des schein- und unheiligen Streites über die Treue zum heiligen Original anschaulich illustrieren. Der Streit war lediglich scheinheilig, weil er den jeweils Mächtigen unter dem vordergründigen Vorwand, den Ewigkeitsanspruch der Originale zu schützen, die Möglichkeit bot, die Mitbewerber im Turnier der Macht, vor allem aber die TranslatorInnen, mit ideologischen Mitteln aus dem Sattel zu werfen. Das eigentliche Pferd, das dabei geritten wurde und wird, war die unheilige Heiligkeitsanmaßung der eigenen Diskurswelt, in deren geschlossenem System sich Macht trefflich ausüben ließ. Jedes Aufbrechen des Interpretationsmonopols am Original konnte (und kann) das System an sich erschüttern. So sahen sich die selbsternannten Vertreter heiliger Originale überall dort zu unheiligen Mitteln der Inquisition und Repression gezwungen, wo sie dieses Monopol gefährdet sahen. Komplementär dazu neigten sie zur Glorifizierung und Beatifizierung jener TranslatorInnen, deren Interpretation des Originals als ideologisches Werkzeug zur Absicherung der Herrschaftsinteressen dienen konnte. Das Konstrukt vom gläsernen Translator heiliger Originale § warf wenigstens diese wortgewaltige und deshalb gefährliche Gruppe von Konkurrenten aus dem Rennen. *** [Vermeer: Bezug – diese wortgewaltige ...]

Der gläserne Translator wurde stets zum stillen Verbündeten der Macht- und Wahrheitsmonopole. Dabei ist es völlig irrelevant, ob die heiligen Originale als von Gott inspiriert galten oder durch weltliche Autoritäten abgesichert wurden. Der starre Blick auf das heilige Original blieb in der europäischen Kultur auch nach der Aufklärung erhalten, als das Gotteswort durch das angeblich einmalige, unwiederholbare und zeitlose

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Wort der literarischen Genies, der PhilosophInnen und (Chef)ideologInnen ersetzt wurde. Das Postulat der bedingungslosen Treue zum zwar profanierten §, aber dennoch unantastbaren heiligen Original hat bis in die jüngste Zeit die Sicht auf die geistige Leistung der TranslatorInnen verstellt und sie zu Transkodierungsautomaten degradiert. Damit sind wir wieder zirkulär am Anfang unserer Diskussion über Transkodierung und Translation angelangt.

4.2 Von der Unsichtbarkeit zur Sichtbarkeit

Nun scheint es uns wichtig, das Problem noch von einer anderen Seite aufzurollen. Die inquisitorischen Handlungsmuster der angeblichen Hüter vermeintlich ewiger Wahrheiten fanden in den beckmesserischen und atomistischen Ansätzen der Translationskritik und der normativen äquivalenzorientierten Translationswissenschaft ihre Fortsetzung. Durch unrealistische Äquivalenz- und Objektivitätspostulate, durch die Forderung nach mimetischer Abbildung des Originals § , wurde die geistige Leistung der TranslatorInnen auch von der Translationswissenschaft ausgeblendet und ÜbersetzerInnen und DolmetscherInnen als historische und soziale Wesen aus dem Diskurs eliminiert. Es war für die TranslatorInnen geradezu fatal, daß sie das Fremdstereotyp vom gläsernen Translator internalisierten und zum alleinigen Maßstab des eigenen translatorischen Handelns machten.

Durch eine ausschließliche Orientierung an Äquivalenzpostulaten § beraubte sich die Translationswissenschaft als wissenschaftliche Leitdisziplin im Handlungsfeld transkultureller Kommunikation allerdings der Möglichkeit, TranslatorInnen zur eigentlichen, sowohl historisch als auch aktuell bedeutsamen Funktion von Translation hinzuführen: der aktiven Mitgestaltung von Semioseprozessen und der selbstverantwortlichen Mitwirkung am gesellschaftlichen Aushandeln von Wahrheit und Sinn der zu vermittelnden Texte.45

Dem fundamentalistischen Streit um Treue und Untreue, um Äquivalenznormen, die von aprioristischen Fidelitätsvorstellungen abgeleitet wurden, konnten die kreativen und kritischen Praktiker nur mit Desinteresse zusehen. Was sie nämlich am Ende des 2. und zu Beginn des

45 Sie braucht sich deshalb nicht zu wundern, wenn sie in den Augen der zugewandten Disziplinen nach wie vor einen niedrigen Stellenwert § einnimmt. Sie wird auch vergeblich darauf warten, daß diese Funktion von den zugewandten Wissenschaften entdeckt oder gar von außen der Translationswissenschaft zugeordnet wird.

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3. Jahrtausends in ihrem translatorischen Alltag zu produzieren hatten und haben, die translatorischen Entscheidungen, die intuitiv und kreativ zu treffen waren, standen und stehen nicht selten im offenen Widerspruch zu den äquivalenzorientierten Präskriptivnormen.

Wenn wir jedoch allgemeingültige Äquivalenzpostulate aufgeben und die heiligen Originale zu permanent interpretierbaren Ausgangstexten degradieren *** [Vermeer], stellt sich natürlich auch die Frage nach anderen Koordinaten, nach denen wir translatorisches Handeln ausrichten können. Wir wollen versuchen, sie sowohl vom Aspekt der Gesellschaft, in die translatorisches Handeln eingebettet ist, als auch vom Aspekt der TranslatorInnen selbst aufzubauen. Während wir den ersten Bereich der Translationskultur zuweisen, wollen wir den zweiten Fragenkomplex zum Zentralproblem der Translationsethik machen.

5. Translationskultur

Unter Translationskultur verstehen wir das historisch gewachsene Subsystem einer Kultur, das sich auf das Handlungsfeld Translation bezieht, und das aus einem Set von gesellschaftlich etablierten, gesteuerten und steuerbaren Normen, Konventionen, Erwartungshaltungen und Wertvorstellungen aller in dieser Kultur aktuell oder potentiell an Translationsprozessen beteiligten HandlungspartnerInnen besteht. Da wir uns mit der Translationskultur bereits anderweitig ausführlicher befaßt haben (vgl. Prunč 1997), seien im folgenden nur jene Elemente der Translationskultur skizziert, die einen unmittelbaren Einfluß auf das translatorische Handeln haben.

Die Normen, Konventionen und Rahmenbedingungen für professionelles translatorisches Handelns sind in jeder Gesellschaft und zu jedem Zeitpunkt im Rahmen der Translationskultur konkret auszuhandeln und zu vereinbaren. An diesem Aushandlungsprozeß sind nicht nur die unmittelbaren Akteure – die TranslatorInnen, die AuftraggeberInnen und die RezipientInnen – und deren gesellschaftliche Agenturen beteiligt. Es ist auch wohlverstandene Aufgabe der Translationswissenschaft als akademischer Disziplin, vor allem aber der Translationsdidaktik, am dynamischen Aufbau und der kritischen Reflexion der Translationskultur mitzuwirken.

Selbstverständlich steht die Translationskultur nicht ab- und jenseits der übrigen, in einer Gesellschaft präsenten Wertsysteme. Deshalb wird die Translationskultur einer demokratischen Gesellschaft auch weitgehend von demokratischen Grundprinzipien abzuleiten und an diesen zu messen sein,

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ebenso wie hierarchielastige und autoritäre Systeme danach streben werden, Translationskulturen präskriptiv zu normieren und zu dekretieren.

Es ist uns allerdings ein besonderes Anliegen, auf die grundsätzliche Polyvalenz der jeweils bevorzugten Translationsnormen und -konventionen hinzuweisen. Eine lineare Zuordnung identischer Skopoi zu potentiell identischen Machtkonstellationen führt ebenso an der Realität vorbei, wie das naive Leugnen des manipulativen Potentials von Translation. Erst eine differenzierte Analyse auf der mikro- und makrosoziologischen Ebene kann konkrete Interpretationsinteressen und damit auch Möglichkeiten einer machtpolitischen und ideologischen Instrumentalisierung von Translation im transkulturellen Diskurs aufzeigen.

5.1 Elemente der Translationskultur

Als wichtigste Eckpfeiler würden wir in dieser kurzen kursorischen Übersicht für eine demokratisch konzipierte Translationskultur die Maximen der Kooperativität, § Loyalität und § Transparenz festlegen.

Kooperativität bedeutet nicht nur funktionale Arbeitsteilung, wie sie etwa von Holz-Mänttäri (1984) zur Basis ihres Kooperativitätsmodells gemacht wird, sondern auch gegenseitige Achtung der legitimen Interessen aller an Translation Beteiligten und die Bereitschaft, tragfähige und konfliktmindernde Konventionen zu deren Ausgleich auszuhandeln.46 Im Unterschied zu Holz-Mänttäri schließt unser Kooperativitätsmodell die Asymmetrie der Macht zwischen den HandlungspartnerInnen dezidiert ein. Erst auf Grund ihrer Bereitschaft und Fähigkeit, einen Machtausgleich durch Konvention anzustreben, Sinn und Funktion einer translatorischen Handlung konkret auszuhandeln, werden aus idealtypischen Rollenträgern, die im Machtvakuum agieren bzw. lediglich auf Grund ihrer sozialen Rolle mit einem bestimmten Machtpotential ausgestattet sind, konkrete psychisch, sozial und kulturell determinierte und somit auch mit einem konkreten Machtpotential ausgestattete Persönlichkeiten.

Loyalität beinhaltet das gegenseitige Versprechen der HandlungspartnerInnen, nicht gegen die Interessen der übrigen PartnerInnen zu agieren und allenfalls vorhandene Zielkonflikte im Konsensweg zu lösen, einen vorhandenen Dissens offen zu thematisieren und gegebenenfalls sogar gegenteilige Positionen zu akzeptieren.

Transparenz ist der psychologische Schutzwall gegen die Angst der PartnerInnen vor Übervorteilung. Sie gibt ihnen Sicherheit im

46 Vgl. die Kritik von Hönig (####)

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translatorischen Handlungsspiel und ermöglicht in jeder Phase des Prozesses, Entscheidungen – gegebenenfalls auch gemeinsam – noch einmal zu durchlaufen.

Um die Asymmetrie der Macht im Handlungsfeld Translation in einem demokratischen Konzept von Translationskultur adäquat berücksichtigen zu können, ist es zunächst notwendig, das Prinzip der Loyalität, das von Christiane Nord § (1991a, 1991b) in den translationswissenschaftlichen Diskurs eingeführt wurde, neu zu konzipieren. Die Loyalität der TranslatorInnen zu ihren HandlungspartnerInnnen im Machtdreieck AutorIn – InitiatorIn – AdressatIn ist grundsätzlich nur dann sinnvoll, wenn sie auch von der Loyalität der HandlungspartnerInnen zu den TranslatorInnen, vor allem aber von § der Loyalität der TranslatorInnen zu sich selbst ergänzt wird. Auf dieser Basis sind auch Modelle zur Lösung von Loyalitätskonflikten, die dem Translationsprozeß als ideologie-, macht- und § kultursensitivem Prozeß inhärent sind, zu entwerfen (vgl. Prunč 1997).

Erst durch dieses Prinzip einer hierarchisch gegliederten vierfachen und reziproken Loyalität ist es möglich, translatorisches Handeln in potentiellen Machtkonstellationen kultur- und zeitübergreifend zu beschreiben und den kompetenten TranslatorInnen auch jenen Grad von Selbstverantwortung zuzuweisen, die ihrer historischen und aktuellen Rolle in der transkulturellen Kommunikation entspricht.

5.2 Tradition und Innovation

Das Prinzip der Loyalität soll auf einer ersten Reflexionsstufe bedeuten, daß TranslatorInnen jene Relation zwischen AT und ZT herzustellen haben, die in der gegebenen Translationssituation und in der gegebenen Translationskultur von den HandlungspartnerInnen erwartet wird. Wir wollen diese Relation als impliziten Skopos bezeichnen. Die TranslatorInnen haben ihre Loyalitätspflicht gegenüber ihren PartnerInnen also grundsätzlich erfüllt, wenn sie sich an den impliziten Skopos halten. Der implizite Skopos stellt das Element der Tradition in der Translationskultur dar.

Betrachtet jedoch eine(r) der HandlungspartnerInnen, also auch der/die TranslatorIn, den impliziten Skopos für das Erreichen des Handlungszieles als inadäquat, so entspricht es dem Prinzip der Loyalität, diese Abweichung mit den jeweils betroffenen PartnerInnen in Form einer konkreten Translationskonvention auszuhandeln. Entscheidend für das Ergebnis wird natürlich das Machtgefälle zwischen den einzelnen

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HandlungspartnerInnen sein. Das Prinzip der Transparenz gebietet es jedoch, die Abweichungen von der zu erwartenden Skoposrelation gegenüber den übrigen PartnerInnen zu deklarieren. Wir wollen in solchen Fällen von einem expliziten Skopos sprechen. Der explizite Skopos ist das innovatorische Element der Translationskultur.

Natürlich steht es jedem/jeder § PartnerIn frei, die Auswirkungen neu getroffener § Konventionen vom Aspekt seiner/ihrer Interessen zu beurteilen und einer solchen Konvention beizutreten. Entspricht dies seinen/ihren längerfristigen Intentionen, wird er/sie über seine/ihre gesellschaftlichen AgentInnen versuchen, diese Konvention in den kanonischen Bereich der Translationskultur zu rücken. Es steht natürlich auch jedem/jeder PartnerIn frei, eine Konvention abzulehnen und die Verwirklichung einer anderen Skoposrelation einzufordern. In beiden Fällen wird es wiederum die Frage der Macht der jeweiligen PartnerInnen sein, welche Konvention im kanonischen Bereich der Translationskultur bleibt, aus diesem gedrückt oder in diesen neu einbezogen wird. Es würde jedoch dem Prinzip der reziproken vierfachen Loyalität widersprechen, § eine Translation mit einer anderen als der vereinbarten und allenfalls explizit deklarierten Skoposrelation zwischen Ausgangs- und Zieltext § herzustellen.

Dies klingt vielleicht etwas abstrakt, weshalb wir das Zusammenspiel von implizitem und explizitem Skopos anhand einzelner Skopostypen illustrieren wollen. So haben wir im Zusammenhang mit der analogen Translation festgestellt, daß sie bei der Literarischen Übersetzung im wesentlichen den derzeit vorherrschenden (mittel)europäischen Translationsnormen entspricht. Alle HandlungspartnerInnen – AutorInnen, InitiatorInnen, TranslatorInnen und ZielrextrezipientInnen – können also erwarten, daß eine nicht weiter deklarierte Literarische Übersetzung den Qualitäts- und Leistungsparametern einer analogen Translation entsprechen wird.47

Im Gegensatz dazu fallen § homologe und dialogische Translationen beim Literarischen Übersetzen derzeit in den meisten (mittel)europäischen Kulturen nicht mehr oder noch nicht in den kanonischen Bereich. Sie werden deshalb in der Regel deklarationspflichtig sein.

Trialogische Translation ist im europäischen Raum prinzipiell deklarationspflichtig. Es entspricht dem Transparenzkriterium, wenn das

47 Deshalb haben Äquivalenztheorien vom Typus Koller oder Newmark durchaus eine Existenzberechtigung, solange ihre Anwendung in den europäischen Kulturen zum gegenwärtigen Zeitpunkt und für einen bestimmten Bereich des Übersetzens gefordert wird. Ihre § Dysfunktionalität beginnt erst mir ihrer Generalisierung.

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Einschreiben der sprachlichen und ideologischen Infiltrate sichtbar gemacht wird, z. B. durch ein Vor- oder Nachwort. Es gibt jedoch auch in europäischen Translationskulturen diakulturelle Bereiche, in denen trialogische Translation bereits in den kanonischen Bereich gerückt § und nicht mehr deklarationspflichtig ist §, so z. B. feministische Translation. Ist eine Translation als feministische Translation erkennbar, z. B. §, weil sie in einer feministischen Serie erscheint, können alle HandlungspartnerInnen davon ausgehen, daß dabei ein mehr oder minder festes Set von Translationsstrategien angewandt wurde. Im postkolonialen Diskurs wird die trialogische Translation jedenfalls im Projektionsbereich der Anthropophagiemetapher im kanonischen Bereich anzusiedeln sein. Da Dekonstruktion einen demonstrativen Willens- oder gar Willkürakt des Interpretierenden darstellt, wird anzunehmen sein, daß in Kulturen, in denen dekonstruktivistische Ansätze vorherrschen, die trialogische Translation ebenfalls bereits zur Norm gehören kann.

Man könnte meinen, diaskopische Translation sei allein auf Grund des Prinzips des Alles-ist-möglich stets und per definitionem deklarationspflichtig. Nur so wäre es für alle Beteiligten möglich, einen allenfalls notwendigen intertextuellen Bezug zwischen Ausgangs- und Zieltext herzustellen. Bei genauerer Betrachtung verschiedener Translationssituationen kann man jedoch sehr rasch auch solche settings ausmachen, in denen auf Grund des Zwanges zur Anpassung des Translats an bestimmte Gegebenheiten der zielsprachlichen Implementierung nur diaskopische Translation möglich ist. So etwa bei der Untertitelung, zum Teil auch bei der Synchronisation von Großaufnahmen. Im übrigen wird wohl auch gelten, daß in Fällen, in denen der Ausgangstext völlig irrelevant ist, auch bei der diaskopischen Translation die Skoposdeklaration unterbleiben kann.

Skoposdeklarationen sind in der translatorischen Praxis häufiger, als man im allgemeinen annimmt. Sie können aus meta- oder paralingualen Signalen bestehen und in das Translat integriert sein. Sie können sich, wie z. B. bei der Interlinearversion, bereits aus der Anordnung des Translats ergeben. Sie können aber auch programmatisch und dezidiert erfolgen, wie etwa bei einer der Vordenkerinnen feministischer Translation:

I might, with my employers’ approval, make a translator’s note stating clearly that ‘the translation you are about to read employs every language strategy possible to make the feminine – i. e. women – visible in this text. (Lotbinière-Harwood 1991:101) § hier fehlen die Endzeichen innerhalb des Zitats

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Was wir hier gezeichnet haben, sind die Konturen des Zusammenspiels in einer demokratisch konzipierten Translationskultur. Sie unterscheidet sich von anderen historischen oder aktuellen Realisierungsformen von Translationskultur vor allem dadurch, daß sie auf Grund des Kooperativitätsprinzips alle PartnerInnen in die Pflicht nimmt und trotz realer Asymmetrien der Macht ein konstruktives, wenn auch nicht spannungsfreies Gleichgewicht herzustellen sucht.

Um eine Zwischenbilanz zu ziehen: Die Normen und Konventionen der relevanten Translationskultur sind die § wichtigste/vorrangige Ausgangsbasis für die Festlegung des Skopos. Der Skopos einer konkreten, vor allem einer explizit deklarierten Translation steht allerdings in einem dynamischen Spannungsverhältnis zu den vorherrschenden Normen und Konventionen der jeweils relevanten Translationskultur.48 Unter relevanter Translationskultur verstehen wir jene Kultur, deren normatives Regelsystem für die konkrete Translationshandlung gültig ist. Damit wollen wir unterstreichen, daß in Abhängigkeit von der in der konkreten Translationssituation jeweils vorherrschenden Machtkonstellation sowohl die Ziel- als auch die Ausgangskultur als normensetzendes System fungieren kann.49 Von diesem System werden auch allenfalls in Kauf zu nehmende Sanktionen für Normen- und Konventionsbrüche abzuleiten sein. Wie konkrete TranslatorInnen damit umzugehen haben, ist allerdings nicht eine Frage der Translationskultur sondern der Translationsethik.

6. Translationsethik

Aus der grundsätzlichen Arbitrarität der Translationsnormen und -konventionen auf der einen und der grundsätzlichen Arbitrarität des Skopos auf der anderen Seite folgt vom Aspekt der TranslatorInnen § aus, daß translatorische Entscheidungen sowohl konformistisch im Einklang mit den Normen und Konventionen der relevanten Translationskultur, aber auch nonkonformistisch, im bewußten Gegensatz und Widerspruch zu diesen gefällt werden § können (vgl. Toury 1980). Die konkrete Entscheidung über den zu wählenden Skopos obliegt in letzter Konsequenz

48 Nord unterscheidet allerdings nicht zwischen Translationsnormen und -konventionen der Zielkultur und jenen der relevanten Translationskultur. Vom Aspekt einer adäquaten Valorisierung des translatiorischen Handelns scheint uns jedoch gerade diese Differenzierung entscheidend zu sein.

49 So ist z. B. beim Gerichtsdolmetschen und beim Community Interpreting jeweils das Normensystem jener Gesellschaft maßgebend, in deren Rahmen die konkrete Translation stattfindet, unabhängig davon, ob die Mehrheitssprache dieser Gesellschaft als Ausgangs- oder Zielsprache und somit als Ausgangs- oder Zielkultur fungiert.

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also stets den selbstverantwortlichen und kompetenten TranslatorInnen. Das Maß der Freiheit, die sie bei dieser Entscheidung genießen und beanspruchen, ist gleichzeitig auch das Maß ihrer Verantwortung, die sie auf sich zu nehmen haben.

Selbstverantwortliche TranslatorInnen müssen sich vor allem bewußt sein, daß sie mit dem Machtdreieck AutorIn – InitiatorIn – AdressatIn konfrontiert sind und deshalb nicht umhin können, sich auch den Interessenskonflikten, die sich innerhalb dieses Machtdreieckes ergeben können, zu stellen. Es muß ihnen klar sein, daß sie nicht konfliktfrei drei HerrInnen zugleich dienen und vielleicht noch sich selbst treu bleiben können. Sie haben, ob sie wollen oder nicht, in jenen Fällen, in denen kein ausgleichender Konsens zu erzielen ist, auch Wertentscheidungen zugunsten des einen oder anderen Partners/der einen oder anderen Partnerin zu treffen. Ob sie sich dabei hinter bestehende Translationsnormen, die den Status des jeweils ausgehandelten Machtausgleichs widerspiegeln, stellen oder ob sie darüber hinaus willens und imstande sind, das Risiko eines nonkonformistischen Verhaltens und die damit verbundenen Sanktionen auf sich zu nehmen, wird von ihrer fachlichen Qualifikation, ihrer Kreativität, ihrer moralischen oder künstlerischen Autorität und ihrem gesellschaftlichen Status, kurzum, von ihrer (symbolischen) Machtposition abhängig sein, die sie in den jeweiligen Translationsprozeß einbringen können.

Die ethische Verantwortung der TranslatorInnen nimmt also zunächst proportional zur demokratischen Strukturierung der Translationskultur zu. In autoritär strukturierten Translationskulturen würde es das Prinzip der Loyalität der TranslatorInnen zu sich selbst sogar ermöglichen, aus ethischen Gründen das Loyalitätsprinzip einseitig aufzukündigen und zu Mitteln des Widerstandes oder der Subversion zu greifen.50 Allerdings wird von den TranslatorInnen in solchen Handlungszusammenhängen nicht mehr an nonkonformistischem Mut und Zivilcourage zu erwarten sein, als § billigerweise von mündigen BürgerInnen erwartet werden kann.

Das Maß der Freiheit und der Verantwortung steigt jedoch auch mit der zunehmenden Lockerung der intertextuellen Beziehung zwischen AT und ZT. Bei bloßer Transkodierung im Rahmen der homologen Translation ist die Verantwortung der TranslatorInnen kaum gefordert, während sie in Richtung diaskopische Translation kontinuierlich zunimmt. Dies gilt jedoch nur für die operative Ebene und solange man die Ablieferung des Translats als Ende eines Translationsprozesses betrachtet.

50 Es wäre natürlich widersinnig, von TranslatorInnen in solchen Situationen eine Skoposdeklaration zu erwarten.

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Zieht man jedoch den gesamten Prozeß von der Interpretation des AT bis zur gesellschaftlichen Implementierung des ZT ein, ergeben sich daraus weitere Konsequenzen.

Wie wir etwa im Zusammenhang mit der homologen Translation zeigen konnten, kann eine operativ identische Skoposrelation der Verfolgung (kultur)politisch diametral entgegengesetzter Ziele dienen. Analoges gilt für die übrigen Skopoi. Es ist deshalb falsch, bereits aus der Finalität von Translation ihre Instrumentalisierbarkeit für Machtapparate abzuleiten, wie dies in der Kritik der Skopostheorie versucht wurde.51 Im Gegensatz dazu wird grundsätzlich festzuhalten sein, daß auf der operativen Ebene jede der angewandten Strategien wertneutral zu betrachten ist, daß jedoch jeder der angeführten Skopostypen von den jeweils Mächtigen mißbraucht werden kann. Auf Grund der machtpolitischen Polyvalenz einzelner Skopoi hat sich Translationsethik über den operativen Bereich hinaus zu erstrecken. Dadurch ist die ethische Konsistenz translatorischen Handelns in besonderem Maße gefordert.

Ethisches Handeln kann sich demnach nicht auf die Herstellung des Translats allein beschränken, sondern muß auch dessen Wirkung und Auswirkung in das ethische Kalkül einbeziehen. Erst auf der ethischen und nicht auf der operativen Ebene kann es der Zweck sein, der die Mittel unheilig macht. Deshalb sind auch Werturteile über die ethische Angemessenheit oder Unangemessenheit translatorischen Handelns nicht auf Grund aprioristischer Normvorstellungen über erlaubte/unerlaubte Skoposrelationen, sondern aus der Sicht ihrer tatsächlichen Instrumentalisierung in der konkreten machtpolitischen Situation zu fällen.

Aus der Arbitrarität von Translationsnormen und -konventionen, die in konkreten Translationskulturen in Abhängigkeit von den jeweils vorhandenen gesellschaftlichen Interessen konfiguriert werden, folgt als letzter Punkt, daß auch eine kulturübergreifende allgemeine Translationstheorie nur in dem Sinne möglich ist, § daß Konvergenzen und Divergenzen zwischen konkreten Translationskulturen festzustellen, beschreib- und systematisierbar sind.

7. Ausblick

Sobald wir den ahistorischen und eurozentrischen Standpunkt verlassen und Translation nicht nur – wie z. B. Koller (1992, 1993) – auf jene

51 Fußnote ideologische Kritik der Skopostheorie, vor allem bei Kohlmeier § Literatur.

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Phänomene einschränken, die den derzeit vorherrschenden Präskriptivnormen der eigenen Kultur entsprechen, erweisen sich präskriptive Äquivalenznormen als obsolet. An ihre Stelle tritt ein komplexes, diachron variables System von Translationskulturen mit jeweils eigenen normativen Subsystemen.

Aus der sozialen Funktion von Normen und Konventionen folgt stringent, daß die jeweilige Translationskultur den erzielbaren Konsens zwischen divergierenden gesellschaftlichen Interessen repräsentiert und deshalb auch jeweils vorherrschende Machtkonstellationen widerspiegelt. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Translationskulturen bleiben also trotz Globalisierung konstitutives Element der Individualität der kooperierenden Gesellschaften. Wenn die globalisierte Gesellschaft nicht auf einen Krieg der Kulturen zusteuern will, der alle zivilisatorischen Errungenschaften vernichten könnte, bleibt ihr nichts anderes übrig, als Translationskulturen zu entwickeln, durch welche die kulturelle Vielfalt in ein dynamisches Verhältnis zueinander gebracht wird.

Translation als konkrete Manifestation der Translationskultur ist allerdings nicht bloße Widerspiegelung der Machtstrukturen, sondern auch selbst Ausdruck von Ideologien, durch die vorherrschende Machtkonstellationen gestützt, neutralisiert oder untergraben werden können. Die Auseinandersetzung mit Faktoren der Macht im Rahmen einer Translationsethik ist bei der Beurteilung sowohl der Prozesse als auch der Produkte translatorischen Handelns unabdingbar. Waren nämlich den Faktoren Macht und Manipulation im Translationsbiedermeier wenigstens noch gewisse raum-zeitliche Grenzen gesetzt, sind im entgrenzten Raum des Cyberspace auch die Kategorien von Realität und Fiktion aufgehoben.

Deshalb sind vor diesem Hintergrund alle sogenannten Objektivitätspostulate vor allem im Rahmen der Codes of ethics neu zu hinterfragen. Im Prozeß der Konventionsbildung im Rahmen der Translationskulturen haben sich die TranslatorInnen konsequenter als bisher bewußt zu machen, daß sie nicht im konfliktfreien Raum, sondern stets im konfliktträchtigen Machtdreieck AutorIn – InitiatorIn – Zielpublikum agieren. Sie werden auf dieser Erkenntnis aufbauend in verstärktem Maße lernen müssen, kreativ mit Konflikten umzugehen. Sich unreflektiert auf die Seite der AutorInnen zu schlagen scheint uns ebenso falsch, wie willfährig den Intentionen der InitiatorInnen zu folgen. Ganz zu schweigen von jenen Fällen, in denen TranslatorInnen in einen Konflikt mit institutionalisierten Interpretationsmonopolen geraten. Auf ein entsprechendes Konfliktmanagement vorzubereiten und das intellektuelle Rüstzeug für einen reflektierten Diskurs über das eigene

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selbstverantwortete Handeln zu entwickeln, muß deshalb eines der relevanten Ziele einer akademischen TranslatorInnenausbildung sein.

In einer zukunftsorientierten Translationsdidaktik wird auch dem Umstand Rechnung zu tragen sein, daß die Maschinelle Übersetzung in absehbarer Zeit auf jeden Fall die homologe, vielleicht auch die analoge Translation bewältigen wird. Die essentielle Grenze zwischen der MÜ und der Humanübersetzung (HÜ), und damit komme ich auf meine anfängliche Polemik zum Transkodierungsmodell zurück, liegt zwischen der analogen und der dialogischen Translation. Deshalb wird die Translationsdidaktik der Zukunft gut beraten sein, sich nicht in jenen Bereichen zu tummeln, in der sich die HÜ nur graduell von der MÜ unterscheidet. Sie wird sich wohl eher auf jene Bereiche zu konzentrieren haben, in denen selbstverantwortetes professionelles Handeln über Kulturgrenzen hinweg gefragt ist, auf Bereiche also, die per definitionem dem Menschen vorbehalten bleiben werden: das Treffen psychisch, sozial und ideologisch sensitiver Entscheidungen, die Mitwirkung an den Semioseprozessen der Kulturen und am Aushandeln von Bedeutung und Sinn jener flüchtigen semiotischen Gebilde, die man Text nennt.

Alle Treue- und Wahrheitspostulate sind nur so lange sinnvoll, als es einen fixen Ausgangstext und eine alleinseligmachende Wahrheit gibt, denen man sich ahistorisch und entindividualisiert verpflichtet fühlen kann. In der mediendominierten postindustriellen und poststrukturalistischen Welt ist jedoch die Grenze zwischen Sein und Schein nicht mehr zu ziehen, sind Wahrheit und Sinn immer von neuem zu stiften und auszuhandeln.

Aber auch wenn wir uns nicht in hochphilosophische Gefilde der Sinn- und Wahrheitsstiftung begeben wollen, wird auf jeden Fall zur Kenntnis zu nehmen sein, daß das Hauptproblem der postmodernen Gesellschaft nicht mehr bei der holistischen Textrezeption anzusiedeln ist, sondern in Anbetracht der kognitiv und psychisch zu verarbeitenden Informationsflut bei ihrer gezielten Selektion liegt. Wenn diese Selektion also nicht zur ungehemmten Manipulation werden soll, wird es im neuen Jahrtausend vor allem darum gehen, praktikable Regeln für translatorisches Handeln unter dem Zwang der unvermeidlichen Selektion zu formulieren und darauf ethisch konsistente translatorische Verhaltenskodizes aufzubauen. Sollte dies nicht gelingen, so wird der Sturz aus dem Translationsbiedermeier in die Cyber-translation zu einem kaum zu bewältigenden Kulturschock führen.

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Vom Translationsbiedermeier zur Cyber-translation

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Erich Prunč, Institut für theoretische und angewandte Translationswissenschaft, Universität Graz, Merangasse 70, 8010 Graz, Österreich.

Zu verifizieren: s#,mmtliche ###, Nadja Diss, feminist. TranslationZitat Kadric Snell Hornby

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, solange man nicht bereit ist, auch der kreativen Subjektivität des kompetenen Translators den ihr zustehenden Verantwortungsbereich in der transkulturellen Kommunikation einzuräumen und seinen Anteil transparent zu machen.

#######Eine homologe TL etwas, die dazu mißbraucht wird, um Inkompatibilität mit vorherrschenden gesellschaftlichen Normen zu demonstrieren kann in Kombination mit Macht ... dieselbe homologe TL kann in einem anderen gesellschaftlichen Umfeld die Brücke zum Anderesein der anderen Schlagen.#

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Vom Translationsbiedermeier zur Cyber-translation

Sehr geehrter Herr Prunč, Ihr Beitrag ist grandios! Darf ich ein paar Bemerkungen als „freibleibende Angebote“ machen? Herzlichen Gruß, Hans J Vermeer

Anmerkung 1: Mir scheint die Darstellung der Skopostheorie hier einseitig. Gewiß geht sie von den Belangen der Zielkultur aus. Auch da, wo ein Ausgangstext homolog nachgeahmt wird, muß dies im Blick auf die Zielkultur geschehen und ist nur möglich, wenn die Zielkultur eine solche Translation erlaubt.. Wenn Sie später vom Machtdreieck sprechen, wird die Sache klarer: Gegen die Möglichkeiten der Zielkultur kann keine Macht Translation erzwingen; Translation würde einfach nicht funktionieren. Wohl aber kann man sie gegen die Möglichkeiten der Ausgangskultur durchsetzen und sie funktioniert, wenn die Zielkultur sie akzeptiert.

Anmerkung 2: Stimmt die Behauptung, daß homologe Translation im Interesse aller Prozeßbeteiligen liege? Ist die Entscheidung über den Translationstyp nicht klar eine Machtfrage? Wenn ein Serbe vor einem österreichischen Gericht steht, weil er einen Albaner beleidigt habe und der Serbe sich damit verteidigt, daß sein Fluch keineswegs beleidigend sei, wie der Albaner als Mohammedaner behauptet, dann hilft dem österreichischen Richter keine homologe Translation, weil er die religiösen Implikationen damit nicht versteht; er braucht eine Zusatzerklärung seitens des Dolmetschers. (Ein realer Fall; Quelle: ein Wiener Kollege) – Der Serbe kann meiner Meinung nach zu seiner Verteidigung nicht an einer homologen Translation interessiert sein, muß sie aber hinnehmen, wenn der Richter dies verlangt und keiner anderen zustimmt.

Anmerkung 3: Wurde die homologe Translation in der UdSSR nicht angewandt, weil es nach ihrer marxistischen Lehre keine relevanten Kulturunterschiede gab? Das scheint mir ein anderer als der von Ihnen geschilderte Fall zu sein: Es wurde homolog übersetzt, weil es angeblich keine Kulturunterschiede gibt.

Anmerkung 4: Sie haben den trialogischen Typ als ein Typ mit Funktionskonstanz gesetzt. Sollte nicht auch ein Untertyp mit funktionsvarianz angesetzt werden? Beim homo- und dialogischen Typ haben Sie Funktionsvarianz als Resultat des Translationstyps angesetzt. Beim trialogischen Typ kann dies auch der Fall sein, nehme ich mal an. Aber gibt es nicht auch den Fall, daß Varianz bewußt gesucht wird? Ich habe mal gehört, in der Hitlerzeit habe es eine Übersetzung von Saint-Exupéries „Zitadelle“ ins Deutsche gegeben, die entgegen den Intentionen des Autors den Krieg verherrlicht habe. (Ich kann für die Richtigkeit nicht garantieren; gewiß gibt es bessere Fälle.)

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