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TRADITIONELLES WOHNHAUS - Japan · Universität GH Essen, Fachbereich 9 - Architektur, Bio- und...

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G. Rüdiger Kujawski Universität GH Essen, Fachbereich 9 - Architektur, Bio- und Geowissenschaften, Semester H3, WS 1972/73 Völkerkundliche Studie TRADITIONELLES WOHNHAUS - Japan Untersuchung der typischen Behausung einer naturvölkischen Kultur heutiger Zeit Abb. 1: Ein traditionelles japanisches Wohnhaus mit mauerumgebenden Garten (Johann, 1958, S. 13) Siehe earth.google.de
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Page 1: TRADITIONELLES WOHNHAUS - Japan · Universität GH Essen, Fachbereich 9 - Architektur, Bio- und Geowissenschaften, Semester H3, WS 1972/73 Völkerkundliche Studie TRADITIONELLES WOHNHAUS

G. Rüdiger KujawskiUniversität GH Essen, Fachbereich 9 - Architektur, Bio- und Geowissenschaften,Semester H3, WS 1972/73

Völkerkundliche Studie

TRADITIONELLES WOHNHAUS - JapanUntersuchung der typischen Behausung einer naturvölkischen Kultur heutiger Zeit

Abb. 1: Ein traditionelles japanisches Wohnhaus mit mauerumgebenden Garten (Johann, 1958, S. 13)

Siehe earth.google.de

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Inhaltsverzeichnis1. Gegebenheiten des Umsystems1.1 Topographische Gegebenheiten1.1.1 Lage des Landes und der Gliederung der Landschaft1.1.2 Bevölkerung1.1.3 Verkehr

1.2 Geologische Gegebenheiten1.2.1 Die japanische Landschaft1.2.2 Die Inseln1.2.3 Die Vulkane, Erdbeben

1.3 Klimatische Gegebenheiten1.3.1 Temperatur und Niederschläge1.3.2 Wind und Sonnenbestrahlung

1.4 Soziologische, wirtschaftliche, politische und vorgeschichtliche Gegebenheiten1.4.1 Politik und Vorgeschichte1.4.2 Wirtschaft und Sozialstruktur

2. Beschreibung des Objektsystems 2.1 Geschichtliche Entwicklung2.1.1Einflüsse aus dem Ausland: China und Europa

2.2 Bauaufgabe2.2.1 Physische Kontrolle2.2.2 Funktioneller Rahmen2.2.2.1 Wohnräume2.2.2.2 Wirtschaftsräume2.2.2.3 Nebenräume2.2.2.4 Verbindungsflächen und -räume2.2.2.5 Garten

2.2.3 Technik2.2.3.1 Konstruktion2.2.3.2 Normung2.2.3.3 Baumaterialien

2.2.4 Form2.2.5 Gesellschaftliches Milieu2.2.5.1 Lebensgewohnheiten des Japaners

Literaturnachweis

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1. Gegebenheiten des Umsystems

Karte 1: Japan (physisch)

1.1 Topographische Gegebenheiten1.1.1 Lage des Landes und der Gliederung der Landschaft (siehe Karte 2)Die japanischen Inseln vor der Ostküste des asiatischen Festlandes bilden eine nach Südwesten ausgebuchtete Kette, die sich im Norden bis auf 300 km der ostsibirischen Küste nähert, im Süden bis auf 200 km der koreanischen Küste und in der Mitte eine größte Entfernung von etwa 900 km vom Festland aufweist. Die vier Hauptinseln haben eine Ausdehnung über 16 Breitengrade (Südwest nach Nordost von 30° n. Br. bis 45° n. Br.), sind zusammen etwa 2100 km lang und zwischen 100 und 270 km breit. Die vier Hauptinseln sind von Nord nach Süd: Hokkaido, Honshu, Shikoku und Kyushu.

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Karte 2: Lage des Landes

In der Oberflächengestalt Japans zeigt sich die Fortsetzung der innerasiatischen Gebirgesysteme: Von Hokkaido über Nord-Honshu bis nach Tokyo erstreckt sich in Nord-Süd-Richtung die Verlängerung des Gebirgszuges von Sachalin; im Südwesten zieht aus westlicher Richtung die Fortsetzung des Kuenlun-Systems nach Mitteljapan. Ein Grabenbruch, die Fossa Magna, kennzeichnet das Zusammentreffen der beiden Gebirgssysteme auf der Hauptinsel Honshu. Vulkane, heiße Quellen und Erdbeben sind die Begleiterscheinungen dieses bewegten geologischen Baues der japanischen Inseln, der im Pazifischen Ozean mit dem parallel zur Inselkette verlaufenden Tiefseegraben seine Fortsetzung findet.

Das starke Relief der Gebirgslandschaft und die Qualität der Böden sind zum überwiegenden Teil für eine landwirtschaftliche Nutzung wenig geeignet. Nur ein Viertel des Landes hat

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einen Neigungswinkel von unter 15°. Diese Gebiete müssen aber neben der Landwirtschaft auch als einzig mögliche Standorte die Siedlungen, den Verkehr und die Industrie aufnehmen.

Alluvium und Diluvium, die für den Ackerbau in erster Linie in Frage kommen, machen nach Übersicht des Japanischen Geologischen Instituts nur 18 % der Oberfläche aus. Die Gebiete, in denen diese Böden vorherrschen, sind in vielen Fällen aber auch die Gebiete größter Bevölkerungsdichte:

Kanto-Ebene an der Tokyo-Bucht 13 000 qkmNagoya-Ebene an der Ise-Bucht 1 800 qkmKinki-Ebene an der Osaka-Bucht 1 250 qkm

Andere größere Buchten mit weiteren 6000 qkm liegen in Nord-Honsku und Hokkaido; sie haben zwar keine hohen Bevölkerungskonzentrationen oder wirtschaftlichen Schwerpunkte auf zuweisen, doch setzen ihre klimatischen Bedingungen auch der Landwirtschaft enge Grenzen.

Entsprechend den klimatischen Unterschieden lassen sich für die einzelnen Landschaften unterschiedliche Vegetationsperioden feststellen, die für die Landwirtschaft von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung sind. An der Süd- und Ostküste stehen maximal 250 Tage pro Jahr für den Anbau zur Verfügung, in der Gegend um Tokyo sind es noch 230 Tage, bei Sapporo auf Hokkaido dagegen nur noch etwa 150 Tage. Das Bild der Agrarlandschaft Südjapans wird daher bestimmt von subtropischen Kulturpflanzen wie Baumwolle, Tee, Orangen und Zuckerrohr; zwei Reisernten im Jahr sind möglich. Tee und Orangen finden sich auch noch nahe Shizuoka - eine Folge des warmen Kuroshio-Stromes. In Hokkaido dagegen können nur noch schnellwachsende Reissorten angebaut werden; Süßkartoffeln, Maulbeersträucher und Tabak haben ihre nördlichste Grenze bereits in Nord-Honshu. Die nicht für landwirtschaftliche oder sonstige Nutzung verwertbaren Gebiete sind infolge des feuchten, gemäßigten Klimas dicht bewaldet. 60 % der japanischen Inseln (= 225 000 qkm) sind aufgrund der ungünstigen topographischen Verhältnisse mit Wald bedeckt, mit subtropischen Gehölzen im Süden, Mischwald in Mittel-Japan und Nadelhölzern in Hokkaido.

In vielen Fällen handelt es sich dabei jedoch um stark degradierten Sekundärwald, der seit Ende des 19. Jahrhunderts aufgeforstet wird.

Von den Großlandschaften sind die drei großen Ebenen von Kanto, Nagoya und Kinki von überragender Bedeutung, da sie die wirtschaftlichen Schwerpunkte des Landes bilden und die höchsten Einwohnerzahlen aufweisen. Aber auch der übrige Küstenbereich zwischen Tokyo und Kyushu ist mit fruchtbaren Agrarlandschaften, Häfen, Industrieanlagen und zahlreichen Großstädten eine schon heute mehr oder weniger zusammenhängende Wirtschaftslandschaft. Begünstigt wurde ihre Entstehung nicht zuletzt durch eine sehr buchtenreiche Küstenlinie entlang der Inlandsee, die schon frühzeitig für die Küstenschiffahrt genutzt wurde. Die dem Kontinent zugekehrte Nordwestküste Japans hat im Gegensatz dazu weniger ausgedehnte Ebenen und Buchten aufzuweisen. Die Japaner nennen diesen Teil ihres Landes Ura-Nippon (Rückseite von Japan), die Pazifikseite hingegen Omote-Nippon (Fensterseite von Japan).

1.1.2 Bevölkerung (siehe Tabelle 1)Die Bevölkerung Japans hat sich in den 100 Jahren seit der Meiji-Restauration mehr als verdreifacht und überschritt 1967 die 100-Millionengrenze. Damit steht Japan nach der VR China, Indien, UdSSR, den USA, Pakistan und Indonesien im Hinblick auf seine Bevölkerungszahl an 7. Stelle. Seine Bevölkerungsdichte von 271 E/qkm wird nur noch von Belgien und den Niederlanden übertroffen. Aussagekräftiger als diese Dichtezahl ist aber

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infolge der ungünstigen topographischen Verhältnisse die Bevölkerungszahl in Relation zur landwirtschaftlich nutzbaren Fläche. Hier ergeben sich für Japan Spitzenwerte, die keine andere Industrienation erreicht:

Bundesrepublik Deutschland 392 E/km2 ldw. nutzbare FlächeNiederlande 501 E/km2 ldw. nutzbare FlächeBelgien 530 E/km2 ldw. nutzbare FlächeJapan 1650 E/km2 ldw. nutzbare FlächeTabelle 1 stellt einen anderen Vergleich an: die Bevölkerungsdichte pro km2 genutzter Fläche (= landwirtschaftlich genutzter und besiedelter, d. h. bebauter Fläche) für Japan und die Bundesrepublik Deutschland. Für 1970 ergaben sich 900 Einwohner/km2 für Japan und 350 Einwohner/km2 für die BRD. (Angaben für Japan von 1967, sonst von 1960)

1.1.3 Verkehr Japanische Städte sind in vielen Fällen nichts anderes als eine Massierung industrieller Anlagen und beengter Behausungen, in denen Lärm, Schmutz, dichter Verkehr und fehlende Stadtplanung zu den Alltäglichkeiten gehören. Die wenigen Schnellstraßen, die sich auf Stahl- oder Betongerüsten durch Tokyo und Osaka ziehen, können nicht darüber hinweg täuschen, daß im ganzen Lande ein spürbarer Mangel an guten Straßen herrscht. Nach Angaben der Deutschen Industrie- und Handelskammer in ihrem Jahresbericht 1968 - basierend auf Unterlagen der Economic Planning Agency - beträgt in Japan der Anteil an befestigten Straßen pro Kopf der Wohnbevölkerung nur 18 %‚ an Kanalisation 22 % (!) und an Wohnraum je Familienmitglied 68 %‚ gemessen am Durchschnitt westeuropäischer Länder.

1.2 Geologische Gegebenheiten1.2.1 Die japanische LandschaftDie japanische Landschaft wird in ihrem Aussehen bestimmt vorn Meer und vom Gebirge. Es gibt keine Stelle in Japan, die weiter als 110 km von der Küste entfernt liegt, Überall ist die Küste stark gegliedert; immer wieder öffnet sich das Land dem Meer. Besonders großartig geschieht dies an der Inlandsee. In dieser sturmgeschützten, relativ flachen Binnenmeerstraße ist die Verzahnung von Land und Meer außerordentlich innig. Unzählige Halbinseln ragen mit steilen Klippen in die See hinaus, Buchten greifen tief ins Land ein, schmale Küstenebenen ziehen sich vor dem Hintergrund aufragender Berge am Ufer entlang und kahle Inseln säumen und durchsetzen die Inlandsee.

Inselbögen liegen wie Girlanden vor der Ostküste Asiens. Dadurch werden Randmeere gebildet. Der mittlere dieser Inselbögen ist der flächenmäßig größte. Er trägt die Hauptinseln Japans: Hokkaido, Honda, Schikoku und Kiuschu. Zwischen diesem Inselbogen und dem Festland weitet sich das Japanische Meer bis zu einer Breite von 900 km und mit einer Tiefe von über 4000 m. Noch steiler fällt der Meeresboden an der pazifischen Seite der Inselkette ab. Hier werden im Japangraben sogar Tiefen von über 10 000 m gemessen.

1.2.2 Die InselnDie japanischen Inseln stellen die aus dem Meer ragenden Gipfel eines alten Randgebirges Ostasiens dar. Ungeheure Kräfte im Innern haben die Erdkruste an dieser Stelle in viele Schollen zerstückelt. Entlang von Bruchspalten wurden einige Schollen gehoben, wie die Japanischen Inseln, andere wurden tief hinab gesenkt, wie im Japangraben, Aber auch die Inseln selbst sind nicht einheitlich, sondern in sich zerstückelt und aus verschiedenartigen und verschieden stark bewegten Einzelschollen zusammengesetzt.

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1.2.3 Die Vulkane und ErdbebenVulkane bilden sich, wo an Bruchspalten glutflüssiges Magma an die Erdoberfläche dringt. Hunderte toter Vulkane kann man heute auf den Japanischen Inseln feststellen. Zu ihnen gehört der berühmteste Berg Japans, der 3776 m hohe Fudschisan (= Fudschijama). Neben diesen erloschenen gibt es noch rund 60 tätige Vulkane. Sie deuten darauf hin, daß die Erde hier noch nicht zur Ruhe gekommen ist.

Erdbeben zeigen ebenfalls an, daß die Bewegungen in der Erdkruste weitergehen. Man zahlt jährlich 100-300 Beben. Empfindliche Seismographen verzeichnen sogar bis zu 1500 Beben. Meist sind sie harmlos. Ungefähr alle 10 Jahre kommt es jedoch zu folgenschweren Erdbeben. Besonders groß sind die Verwüstungen, wenn gleichzeitig ein Seebeben eine Flutwelle erzeugt und gegen die Küste wirft.

Die größte Erdbebenkatastrophe seit Menschengedenken zerstörte 1923 die Städte Tokyo und Yokohama.

1.3 Klimatische Gegebenheiten1.3.1 Temperatur und Niederschläge (siehe Karte 4)Das Klima ergibt sich aus der geographischen Lage. Japan besteht, wie schon gesagt, aus vielen kleinen Inseln. Es erstreckt sich von 122° 56‘ bis 156° 30‘ östlicher Länge und 24° 02‘ bis 50° 55‘ nördlicher Breite.Aus dieser langgestreckten Form des Japanischen Inselreiches ergeben sich klimatische Unterschiede.

Karte 4: Temperatur und Niederschläge

Das Klima der Hauptinselgruppe allgemein soll jedoch hier betrachtet werden.

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Das günstigste Klima in Bezug auf den menschlichen Körper ist die hohe Lufttemperatur und ein niedriger Feuchtigkeitsgehalt und umgekehrt niedrige Lufttemperatur und ein hoher Feuchtigkeitsgehalt.

Der Sommer in Japan weist hohe Lufttemperaturen und einen hohen Feuchtigkeitsgehalt auf, der Winter niedrige Temperaturen und geringe Feuchtigkeiten auf. Der Sommer ist also schwül und feucht, der Winter trocken und kalt - jedoch nicht so kalt wie in Deutschland.

Diagramm 1: Vergleichskurve für Temperaturen und relativer Luftfeuchtigkeit in Tokio und Berlin

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1.3.2 Wind und die Sonnenbestrahlung

Diagramm 2: Mittlere monatlicheWindrichtung gemessen in Tokio-Stadt

Die Besonnung in Bezug auf bauliche Maßnahmen wird noch in der Beschreibung des Objektsystems aufgezeigt.

1.4 Politische und vorgeschichtliche, soziologische und wirtschaftliche Gegebenheiten1.4.1 Politik und VorgeschichteDie japanische Geschichte ist relativ arm an Höhepunkten; die isolierte Lage der Inseln trug wesentlich dazu bei, den Prozeß der Veränderungen von einer primitiven Stammesgemeinschaft über eine Adelsgesellschaft und eine feudalistische Gesellschaft zu einer modernen Nation vollziehen zu können.

Japan - im Grenzbereich zweier großer Kulturkreise (des chinesischen und des westlichen) - nahm vom 5. bis 9. Jahrhundert zunächst Bestandteile der chinesischen Kultur auf und war eintausend Jahre später auch bereit, vom Westen zu lernen. Beide Male jedoch verstanden es die Japaner, das übernommene Gedankengut mit den eigenen Leistungen zu einem typisch japanischen Stil zu verschmelzen.

Die Ureinwohner der Inseln, die Ainu (siehe Völkerkundliche Studie “Ainu”), wurden von den Eindringlingen mongolischer und malaiischer Abstammung nach Norden zurückgedrängt, wo sie heute nur noch in wenigen Gebieten der nördlichen Hauptinsel Hokkaido leben.

Nach Abschluß der Einwanderungsperiode gegen Ende des 5. Jahrhunderts begannen einige der in Klans organisierten Neuankömmlinge, sich in einem losen Staatsgebilde - dem Yamato-Klan - zu formieren. Die überlegene chinesische Kultur wurde Vorbild dieses Klans,

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Das führte sehr bald zu dem Wunsch, von dem großen Nachbarn auf dem Kontinent zu lernen.

Unter dem vor allem von buddhistischen Mönchen ausgehenden Einfluß chinesischen Gedankengutes formte sich in Japan allmählich ein deutlich strukturiertes Staatsgebilde mit einem Kaiser an der Spitze sowie einem Hof- und einem Landadel. Der Buddhismus wurde neben dem Shintoglauben als offizielle Staatsreligion eingeführt.

Die Taika-Reform 645 führte zur Bildung eines zentralistischen Beamtenstaates nach chinesischem Vorbild bis zum 15. Jahrhundert.

Die innerjapanische Wirtschaftskraft begann sich im 15. Jahrhundert auch auf den Überseehandel - besonders mit China - auszuwirken, und im 16. Jahrhundert befuhren japanische Kaufleute regelmäßig die ost- und südostasiatischen Gewässer.

In diese Zeit fällt auch die erste Begegnung der Japaner mit den Europäern. Diese Kontakte, ab 1543, sind für die Japaner weniger im wirtschaftlichen als vielmehr im politischen und sozialen Bereich von Bedeutung gewesen.

Mitte des 16. Jahrhunderts (1573) begann für Japan ein neuer, historisch sehr bedeutsamer Abschnitt. Unter der Führung von drei aufeinander folgenden großen kriegerischen Territorialfürsten wurden die übrigen Daimyo zur Unterwerfung gezwungen und Japan militärisch vollkommen geeint. Die drei Daimyo, die diese Leistung vollbrachten, waren Oda Nobunaga, Toyotomi Hideyoshi und Tokugawa Leyasu. 40 Jahre dauerte es, diese Einheit zu schaffen. Diese überaus kriegerische Zeitspanne war aber gleichzeitig auch eine sehr weltoffene, abenteuerliche und auch aggressive Periode, in der japanische Kaufleute bis nach Indien Handel trieben und die Daimyo Angriffe auf überseeische Gebiete führten.

Kyoto blieb die Stadt der Kultur, der Verwaltung und des spezialisierten Handwerks; daneben aber bildeten sich weitere Zentren im Zuge der wirtschaftlichen Entfaltung des Landes.

Die Daimyo förderten die Wirtschaft in ihren Gebieten, indem sie Maße und Gewichte vereinheitlichten, Sperren zugunsten der ungehinderten Verbreitung von Waren beseitigten, Gilden auflösten und Märkte und Städte um ihre Schlösser und Burgen bauten.

Nie zuvor hat es irgendwo auf der Welt eine derart intensive Periode von Stadtgründungen gegeben, wie es im Zeitraum 1580-1610 in Japan der Fall war.

So strikt die Klassenunterschiede auch beachtet wurden, die Ausweitung des Bildungswesens kam allen Klassen zugute. Im 18. Jahrhundert war die Gelehrsamkeit nicht mehr nur einer kleinen Elite vorbehalten, sondern für alle Schichten der Bevölkerung waren die Bildungsmöglichkeiten wesentlich größer geworden. Bis zu einem gewissen Grade war das auf die Verstädterung zurückzuführen, Nach 1860 sollen dann Schätzungen zufolge etwa 40-50 % der Männer und etwa 15 % der Frauen eine Schulbildung gehabt haben. Daran waren natürlich alle Samurai beteiligt, ebenso die oberen Schichten der Bauern und Kaufleute. Mit dem höheren Bildungsniveau verband sich auch schon früh eine neue Geisteshaltung. Besonders die Hinwendung zum Konfuzianismus bereicherte die Tokugawa-Gesellschaft. Die Staatsführung entwickelte sich unter den konfuzianischen Ideen zur “Herrschaft durch gütige Überredung”.

1.4.2 Wirtschaft und Sozialstruktur Für das Verständnis der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung Japans ist zunächst die Kenntnis einiger Besonderheiten gegenüber westlichen Industrienationen

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notwendig. So blieb zum Beispiel die Bedarfsstruktur der japanischen Haushalte während der ersten fünfzig Jahre nach der Öffnung des Landes bemerkenswert traditionell, doch entstand auf der anderen Seite in dem Bemühen um eine moderne Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung eine große Nachfrage des Staates und der privaten Industrie nach modernen Investitionsgütern. Die japanische Bevölkerung selbst begann erst etwa ab 1910 eine steigende Nachfrage nach den neu produzierten Industriegütern zu entwickeln.

Dieser Entwicklung der Bedarfsstruktur in einen traditionellen und einen modernen Sektor entsprach auch eine parallele Entwicklung auf der Seite der Produzenten. Neben dem traditionellen Handwerk entstand die aus dem Westen übernommene moderne Industrie mit neuen Produktionszweigen. Gleichzeitig mit dieser traditionellen und modernen Konsum- und Produktionsweise bestand und besteht heute noch ein Nebeneinander und Miteinander von kleinen und mittleren Betrieben einerseits und Großunternehmen andererseits (siehe Karte 9).

Der Import in der Übergangsstufe bestand somit vorwiegend aus Investitionsgütern für den Aufbau einer modernen Infrastruktur, also aus Fertigwaren und Halbfertigwaren. Die Bezahlung dieser Güter erfolgte zum größten Teil aus dem Export von Rohseide (50 % aller Exporte), in geringerem Umfang wurde auch Tee ausgeführt.

Neben der Rohseide entwickelte sich auch die Baumwollindustrie sehr schnell, nachdem sie auf heimische Baumwolle zugunsten der preiswerteren Importware verzichtete. Wie dominant die Textilindustrie im Wirtschaftsgefüge dieser Periode des industriellen Aufbaues war, geht aus der Tatsache hervor, daß im Jahre 1913 von allen Fabrikarbeitern in Betrieben mit mehr als 5 Beschäftigten etwa 60 % in Textilfabriken arbeiteten. Andere Industriezweige wuchsen demgegenüber nur langsam, denn die nötigen Investitionen konnten trotz staatlicher Hilfe oft nicht von der Privatindustrie aufgebracht werden.

Wie ist nun das atemberaubende Tempo zu erklären? Die tieferen Ursachen dieses nationalen Wachstumsprozesses, von dem die Industrielle Entwicklung nur ein Aspekt ist, läßt sich zu wesentlichen Teilen auf charakterliche und geistige Eigenarten zurückzuführen. Eigenschaften, die für den Industrialisierungsprozeß besonders wertvoll waren, sind der durch die Tätigkeit in der arbeitsintensiven Landwirtschaft jahrhundertelang anerzogene Arbeitswille, die Disziplin, Ausdauer, Neigung zum konformen Verhalten, zu einfachen Lebensformen, Sparsamkeit, Ehrfurcht vor Senioren und Lehrern. Das alles verschmolz zu einer Wirtschaftsmentalität, wie sie in Europa nicht zu finden ist. Betrachtet man diese charakterlichen Eigenschaften der Japaner und die von ihnen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts geschaffenen Voraussetzungen zur Umstrukturierung ihrer Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung nach westlichem Vorbild, so zeigt sich sehr deutlich, daß Japan kein Modell sein kann für den in den Entwicklungsländern angestrebten Industrialisierungs- und Modernisierungsprozeß: Schon im 17. und 18. Jahrhundert waren grundlegende Strukturen für Japans späteren Aufstieg vorhanden, wie zum Beispiel ein nahezu vollständiges Städtewesen für Verwaltung, Handel und Wohnen, ein gut entwickeltes gewerbliches Leben auf dem Lande, zum Teil auch als Nebenerwerb der landwirtschaftlich tätigen Bevölkerung, eine reiche Kaufmannsschicht mit Organisationstalent und sehr engen Verbindungen zur staatlichen Verwaltung. Dazu kam, daß das Land politisch bereits geeint war, vom Staat unterhaltene Straßen (Reichswege) besaß, ein einheitliches Münz- und Maßsystem sowie ein breites Schulwesen eingeführt hatte und daß in der Schicht der Samurai ein fähiger Beamtenapparat zur Verfügung stand, der nach der Meiji-Reform die Führungsaufgaben des Landes übernehmen konnte.

Nicht nur als Volk empfindet der Japaner ein überaus starkes Zusammengehörigkeitsgefühl, auch im kleineren Maßstab ist sein Verhalten gekennzeichnet von einer starken Solidarität,

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Hilfsbereitschaft und Freundschaft gegenüber den Mitgliedern der Gruppe, der er selbst angehört. Vertikale Beziehungen zwischen Mitgliedern derselben Firma oder Familie, vom Arbeiter bis zum Direktor oder von Familienangehörigen, sind unvergleichlich bedeutender als horizontale Verbindungen auf der Grundlage gleicher oder ähnlicher wirtschaftlicher Lage oder sonstiger Interessen.

2. Beschreibung des Objektsystems2.1 Geschichtliche EntwicklungNachforschungen ergaben, daß man den Ursprung des japanischen Hauses bis vor den Anbeginn der Zeitrechnung zurückverfolgen kann. Als Behausung diente da ein auf den Boden oder in dem Boden stehendes Satteldach, mit sich kreuzenden Giebelsparren. Sie waren mit Pfetten verbunden und mit Schilf abgedeckt.

Abb. 2: Die ältesten japanischen Hausformen. Entstanden 660 v. Chr.

Abb. 3: Grundrißbeispiel und Hausform um 700 v.Chr.

Beim nächsten Schritt in der Zeitrechnung - etwa um 600-700 v. Chr. - legte man den Fußboden nach und nach immer höher und schützte sich damit vor der aufsteigenden Erdfeuchte durch einen dünnen Mattenbelag. Man spricht in dieser Zeit schon von einer sich entwickelnden Grundrißform, die für das japanische Haus als typisch bezeichnet wird.

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2.1.1 Einflüsse aus dem Ausland: China und EuropaMit dem Buddhismus, 552 n. Chr., kam auch chinesische Kultur und mit ihr ein starker Einfluß auf die Bauweise aus China nach Japan. Die japanischen Behausungen jener Zeit wurden den chinesischen sehr ähnlich. Charakteristisch für diese von China beeinflußte Bauweise sind die vielen Wände und die wenigen Fenster. Diese Bauart war für das japanische Klima unnatürlich, weil das Fehlen der Türen, Fenster und Öffnungen einen Stau der Luft hervorrief und eine Belüftung nicht ermöglichte.

In dieser Zeit steht die Architektur der Kulturbauten immer noch an erster Stelle.

Erst um das Jahr 1000 n. Chr. verhalf die höchste Klasse des Volkes - die Aristokratie - dem Land zu einem ausgesprochen japanischen Baustil. Mit ihm gelang den Japanern auch der erste Schritt, die “Primitiv-Behausung” durch wesentliche Fakten zu verbessern. Es gruppieren sich lose um eine Haupthalle eine Anzahl weiterer kleiner Hallen, die mit Korridoren Verbindung haben.

Verbunden mit der Haupthalle waren südwärts führende Gänge, die zu kleinen, an künstlichen Teichen gelegenen Pavillons führten. Den Hauptraum umschließend war eine Veranda angelegt, die von dem weit ausladendem Dach ganz oder teilweise überdeckt wurde.

Schon damals bildete sich bei der Verwendung des Holzes - als Hauptbaumaterial - eine gewisse Größenordnung der Räume, die durch die Entfernung der Pfosten voneinander abhängig war. Die Größe der Haupthalle betrug 5 mal 6-8 Pfosten (1 Pfostenabstand = 3,03 m).

Später ging man dazu über, dieses Pfostenmaß auf die Fläche des eingeschossigen Fußbodens zu übertragen und Räume in Mattengrößen zu messen. Die Größe der Matten (Tatami) schließt sich der Pfostenentfernung an. Diese beträgt ca. 124 1/2 Ken. Das sind nach Inakama 6 x 3 Shaku = 1,80 x 0,90 Meter. Der Eingang der einzelnen Gebäude hatte Flügeltüren.

Die um die große Halle angeordneten Zimmer waren von der umlaufenden Veranda durch - mit Transparentpapier bespannte Schiebetüren getrennt. Das lichtdurchlässiges Papier gegen Zugluft, Kälte und zur Raumtrennung ist unserem viel später entstehenden Glas für Türen und Fenster vergleichbar.

Um den großen Raum nach Belieben abzuteilen, benutzte man verschiedene Arten transportabler Zwischenwände oder Ständer mit Vorhängen (unseren späteren Wandschirmen ähnlich - “Spanische Wand”).

Eingebaute Möbel gab es damals noch nicht, sondern nur “eingestellte” Einzelmöbel und tragbare Schränke, die sich später zu eingebauten Schränken, Wandbrettern oder Regalen entwickelten.

Diese Stilepoche dauerte ca. bis ins 15. Jahrhundert, Zwei Baustile entstanden der eine aus einer Kriegerkaste, die ihn Shinden-Zukuri nannte, der zweite Shoin-Zukuri.

Nach einem Bürgerkrieg im Jahre 1467, in dem ein großer Teil der Häuser niederbrannte, setzte sich beim Wiederaufbau der Shoin-Zukuri einheitlich durch. Dieser Stil ist dem jetzigen schon sehr ähnlich, er bildet die Grundlage, auf der sich die Bauweise bis zur Gegenwart fortentwickelt hat.

Einen bestimmenden Einfluß auf den Wohnungsbau hat in dieser Zeit die Teezeremonie ausgeübt. Sie entwickelte sich nach dem Ende des 12. Jahrhunderts, nachdem buddhistische

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Mönche den Tee nach Japan brachten und erlangte als allgemein anerkannte Sitte im 16. Jahrhundert höchste Vollendung.

Die noch heute in Japan gepflegte Teezeremonie ist eine Art religiös-philosophisch-ästhetischer Kult, zu dem später das Moment der Geselligkeit hinzukam. Für die Teezeremonie wurden Teeräume gebaut, die von wichtiger künstlerischer (architektonischer) Bedeutung für den Wohnungsbau wurden und seine Entwicklung beeinflußte.Die Meister der Tee-Zeremonie waren meistens zugleich Architekten, Gartengestalter und Innenarchitekten. Sie übten ihre Entwurfs- und Bautätigkeiten immer unter dem Gesichtspunkt der Teezeremonie aus. Durch ihren Einfluß wurden die Wohnungen außerordentlich einfach, ruhig und heimisch vergeistigt. Einer der schönsten und bedeutendsten Profanbauten der damaligen Baukunst (um 1600) - der kaiserliche Katsurapalast - soll seinen Entwurf dem Teezeremonien-meister Rikyu verdanken.

Von 1600 an herrschten in Japan von der Regierung eingesetzte Reichsverweser, die das Volk in folgende Klassen einteilten: Fürsten, Krieger, Bürger und Bauern. Durch sie und andere Geschehnisse wie Brand und dergl. wurde der Baustil durch Höchstausdehnung der Häuser, die generelle Normung der Bauteile und andere scharfe Bauvorschriften bestimmt. In diese Zeit fällt die Vollendung der “Kiwaritho-Methode”, die der Ordnung der klassischen Baukunst entspricht. Hiernach war ein mechanisiertes Bauen möglich. Noch heute wird anerkannt, daß - sonstige Vernormung berücksichtigt - die Methode der Normung im japanischen Wohnungsbau, vor allem vom sozialen Standpunkt aus als unbedingter Fortschritt gilt.

Den letzten Schritt im Einfluß auf die geschichtliche Entwicklung der japanischen Wohnkultur machte die westliche “Zivilisation” gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Sie änderte die bisherige japanische Lebensordnung für viele Japaner auf fast allen Gebieten. Beispielsweise ging man aus gesundheitlichen und praktischen Gründen zur europäischen Sitzweise über, indem man die eigene teilweise beibehielt, da eine so tief eingewurzelte Sitte so schnell nicht zu verändern war. Durch mehr oder weniger regen Verkehr der ostasiatischen Völker miteinander, waren Sitte und Denkweise starken wechselseitigen Einflüssen unterworfen. Dennoch blieb der dem japanischen Volke eigentümliche Kern, der ihn von anderen Völkern unterscheidet, erhalten.

Es bildeten sich in Japan - so findet man heute - nebeneinander ganz verschieden geartete Lebensformen heraus und diese machten es erforderlich, daß auch die Wohnungen entsprechend eingerichtet wurden, was wiederum auf die Bauweise als solche einwirkte. So können wir bis in die Gegenwart drei wichtige Wohnungstypen unterscheiden:

1. Die traditionelle japanische Wohnung, die nur einige gewisse Vorteile europäischer “Zivilisation” aufgenommen hat, z. B. Glasfenster und -türen, sanitäre Einrichtungen und anderes.

2. Den Wohnungstyp, der europäische und japanische Elemente vermischt oder nebeneinander aufweist, z. B. Empfangs-, Eß- und Arbeitszimmer (bei Geschäftswohnungen, in denen internationales Publikum verkehrt).

3. Wohnungs- und Geschäftsbauten, die durchweg europäischen Stils sind (nebenbei hat der wohlhabende Japaner heute noch eine Zweitwohnung japanischen Stils).

Vor dem Erdbeben im Jahre 1923 war man neben der Holzkonstruktion bisweilen zum Ziegel- oder Steinbau übergegangen. Nach der großen Zerstörung wandte man sich der

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Holzkonstruktion in nunmehr verbesserter Form zu und baute damals selten, heute jedoch gewöhnlich in Stahlbeton.

Im letzten Abschnitt der Entwicklungsgeschichte paßte sich das japanische Wohnhaus, zwar noch den klimatischen Verhältnissen des Landes sowie den bisherigen Lebensformen an, es entspricht aber nicht mehr völlig den Lebensgewohnheiten unter europäischem Einfluß.

Der dauernden Einwirkung von China auf die Entwicklung der Baukunst durch die Jahrhunderte hindurch, konnte sich Japan zum größten Teil erwehren; gegen die europäischen Einflüsse war es nahezu machtlos. Jedoch hat Japan diese Einflüsse immer japanischem Wesen und Geschmack angepaßt, so daß bis in die Gegenwart hier und da das traditionelle japanische Haus - mit Anpassung an moderne Lebensformen - erhalten geblieben ist.

Das Volk schlechthin hat heute im Gegensatz zu früher keine einheitlich gemeinsame Lebensweise mehr, vielmehr wird von der japanischen Wohnung Anpassungsfähigkeit an veränderte Lebens- formen verlangt.

2.2 Bauaufgabe2.2.1 Physische KontrolleDas Klima, das naturgegebene Baumaterial, die Denkart und die Sitte sind bis heute grundlegende Fakten für die Entwicklung des japanischen Wohnhauses geblieben.

Das aus der geographischen Lage und der geophysikalischen Beschaffenheit des Landes resultierende Klima, stellen neben dem naturgegebenen Baumaterial wohl die unbeweglichsten Einflüsse auf das Wohnhaus dar.

Für das Bauen in Japan ist es in erster Linie wichtig, auf die sommerlichen klimatischen Einflüsse Rücksicht zu nehmen, während man in Europa auf den Winter bedacht sein muß. Das ist wesentlich leichter als das erstere. Es gibt viele Mittel, Temperatur und Feuchtigkeit zu erhöhen, sie zu verringern gibt es aber, jedenfalls für den Wohnungsbau, nur sehr wenige; für den damaligen japanischen Wohnungsbau nur zwei: Schutz gegen Sonnenstrahlen und Erzeugung von Luftzug.

Weitere Baumaßnahmen zur Verbesserung der klimatisch bedingten Einflüsse:

1. Das Erdgeschoß muß aus hygienischen Gründen hoch gelegt werden, einmal um das Eindringen der Bodenfeuchtigkeit in das Haus zu verhindern, sodann um eine gute Luftzirkulation unter den Fußböden als Schutz gegen Feuchtigkeit und Fäulnis des Holzes herbeizuführen.

2. Das Dach muß möglichst weit ausladen, um Tür- und Fensteröffnungen sowie Wände gegen Regen und Sonne zu schützen.

3. Zur Herbeiführung guten Luftzuges muß die japanische Wohnung viele Öffnungen haben, bzw. die Möglichkeit bieten, solche zu schaffen. Es finden daher wenig feste Wände Verwendung, an ihrer Stelle verschiebbare und entfernbare, die eine leichte Vergrößerung der Räume ermöglichen.

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Abb. 4: Detail-Schnitt durch die Veranda des japanischen Wohnhauses

Die Verteilung der Wohnräume im Hause geschieht unter dem Gesichtspunkt, daß im Winter möglichst viel Sonne, im Sommer möglichst wenig Sonne in die Räume gelangt, ferner daß im Sommer eine gute Durchlüftung der Räume quer durchs Haus stattfinden kann, was aus klimatischen Gründen unbedingt notwendig ist. Deshalb wird es vorgezogen, die Zimmer - durch Schiebetüren verbunden - nach Süden und Norden Rücken an Rücken zu legen und nicht alle Zimmer in einer Flucht nach Süden anzuordnen, so daß im Winter im wesentlichen der nach Süden und im Sommer der nach Norden gelegene Teil bevorzugt werden kann.

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Abb. 5: Einfall der Sonnenstrahlen in ein nach Süden gelegenes Zimmer mit Veranda in Tokio (nördliche Breite 35°41‘) am Mittag zu drei verschiedenen Jahreszeiten. (Yoshida, 1954, S. 15)

“Die nach Westen gelegenen Wohnräume sind wegen der starken Nachmittagssonne im Sommer die schlechtesten. Die Wohnräume sollten möglichst nach Süden oder Südosten orientiert sein. Daher ist die Grundrißform kleiner Häuser meist rechteckig, wobei die Längsseiten möglichst in west-östlicher Richtung verlaufen. Natürlich ist auch eine gewisse Tiefe nötig, damit man sich von der sommerlichen Hitze zurückziehen kann. In großen Häusern zieht man es vor, die Zimmer, durch Schiebetüren verbunden, in Nord-Südrichtung Rückseite an Rückseite anzulegen, und zwar so, daß der Hauptraum nach Süden und der Nebenraum nach Norden zu liegen kommt. Je nach der Jahreszeit kann so der eine oder andere Raum bevorzugt werden. Selbst in kleinen Häusern pflegen die nach Süden gelegenen Räume fast immer mit einer Veranda als Schutz gegen die Sonne im Sommer versehen zu werden.” (Yoshida, 1954, S. 72)

LüftungWegen den klimatisch bedingten hohen Temperatureinflüssen braucht der Japaner seine Wohnung nicht zu verschließen, vielmehr muß er wegen der hohen Luftfeuchtigkeit für eine gute Durchlüftung der Räume sorgen. Die erreicht er nur dann, wenn er die Räume nach außen hin transparent ausrichtet und öffnet. So ist er auch gewohnt, sich zu jeder Jahreszeit im Freien aufzuhalten.Wegen der Lüftung muß der Japaner sein Haus so planen, daß er eine gute Luftzirkulation im Innern erreicht. Diese muß so funktionieren, daß sie den schwülen und heißen Sommer erträglicher werden läßt und der Schimmelpilzbildung entgegenwirkt. So sind die Wohnzimmer nach Süden angelegt, haben aber auch von der Nordseite her Öffnungen. Daneben sorgt das poröse Baumaterial für ausreichende Durchlüftung.

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HeizungDas japanische Winterklima in Städten wie Tokyo, Osaka oder Kioto ist kälter als das von Paris und London; es ist aber wärmer als das von Berlin. (Siehe Diagramm 1)

Im Winter gibt es oft sonnenreiche warme Tage, an denen der Japaner von alters her die den Wohnraum vom Garten trennenden Schiebetüren entfernt und die Sonne die Räume erwärmt.

Von der Lebenseinstellung her, hat der Japaner weiterhin nicht ein so großes Bedürfnis nach Heizung wie der Europäer.

Lediglich ein im Wohnraum aufgestelltes transportables Feuerbecken, “Hibachi” genannt, wärmte ihm früher seine Hände; am Körper war er ausreichend bekleidet. Eine zweite Art Feuerbecken war im Boden eingesenkt, es bestand aus feuerfestem Material und war ortsfest. Dieses Feuerbecken war mit Kohle beschickt, über der sich ein Rahmengestell erhob. Hierüber legte man eine Decke, in die sich dann neben der ganzen japanischen Familie vor allem die älteren Familienmitglieder hüllten (eine Art Heißluftbad).

Heute sind elektrische Öfen, Gasöfen und Zentralheizungen schon allgemein üblich, während sie früher nur besseren Wohnungen vorbehalten waren.

Belichtung und BeleuchtungDie großen Fensterflächen des japanischen Hauses lassen tagsüber viel Licht in die Innenräume, so daß es oft notwendig erscheint, daß grelle Licht durch (früher durchscheinendes Papier) Mattglasscheiben in gedämpftes Lieht umzuwandeln.

Als künstliche Lichtquellen benutzte man früher - wie auch in Europa - Kerzen, Öllampen und Petroleumlampen.

Heute hat man selbstverständlich elektrisches Licht, das man für die direkte Beleuchtung verwendet. Diese Art der Beleuchtung charakterisiert auch den japanischen Beleuchtungskörper allgemein, der in verschiedenster Form selbst in Europa in “modernen” Wohnungen weiten Anklang findet (“japanische Lampen” = Lampion).

Wasserversorgung und EntwässerungNoch 1935 war Japan im Verhältnis zu europäischen Ländern mit seiner Wasserversorgung und den Wasserleitungen weit zurück. Nur 1/7 der Einwohner in den Städten war an ein öffentliches Wassernetz angeschlossen.

Wie in Europa um die Jahrhundertwende schöpfte man aus einem Brunnen auf dem Hofe Wasser oder pumpte das Wasser aus diesem in die Küche.Fäkalien flossen entweder in zementierten offenen Gossen oder wurden aufs Land abgefahren. (Deshalb liegt die Toilettenanlage jeweils an einer Außenwand und ist von außen her durch Schiebetüren begehbar.

Das hat sich dann mit zunehmender Zivilisation und Industrialisierung - nicht ohne amerikanische und europäische Einflüsse bis auf wenige ländliche Gegenden grundlegend geändert.

Die wachsende Industrie in den fünfziger Jahren machte eine ausreichende Kanalisation nötig und ermöglichte es, jeden Haushalt versorgungstechnisch gut auszustatten.

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2.2.2 Funktioneller Rahmen“In der Regel ist das japanische Wohnhaus einstöckig und mit einem großen Garten verbunden; doch setzt sich heute immer mehr das zweistöckige Haus durch, besonders in den Städten; aber das Obergeschoß ist im Vergleich mit dem Erdgeschoß viel kleiner. Dies ergibt sich hauptsächlich aus der kellerlosen Konstruktion, die es schwierig macht, Küchen-, Abort- und Badinstallation im Obergeschoß zu errichten.” (Yoshida, 1954, S. 66-72)

“Das japanische Wohnhaus besteht aus einem hochgelegten, mit Matten belegten Teil, einem hochgelegten gedielten Teil und einem verhältnismäßig kleinen, niedrigen, ungedielten Teil. Zum ersteren gehören alle Wohnräume, zum zweiten Veranda, Korridore, Abort und größtenteils die Küche, zum dritten Teil der Vorflur, Badezimmer und ein Abschnitt der Küche. Im allgemeinen pflegt die mit Matten belegte Fläche, also Wohnfläche, die Hälfte des Gesamtgrundrisses auszumachen.

Der Grundriß des japanischen Hauses geht von der Größe einer Matte als Einheit aus. Das gilt nicht nur für den mit Matten belegten, sondern auch für den gedielten und ungedielten Teil. Man muß an dieser Stelle die gebräuchlichen japanischen Maße erwähnen. Im allgemeinen ist für das Längenmaß in Japan das metrische System eingeführt. Für den Holzbau wird jedoch noch der traditionelle Shaku oder Ken als Längeneinheit verwendet, da alle Bauhölzer nach Shaku oder Ken genormt und die Zimmerleute durch die lange Tradition so sehr an dieses System gewöhnt sind, daß eine plötzliche Veränderung viele Schwierigkeiten mit sich bringen würde. Ein Meter entspricht 3,3 Shaku, ein Shaku also etwa 30,3 cm. Eine weitere Längeneinheit, Ken genannt, stammt eigentlich von dem Pfostenabstand her. Er ist je nach den Landesteilen ein wenig verschieden, doch sind die Unterschiede gering.

Bei der Grundrißgestaltung verwendet man 1 ken oder 6 Shaku als Einheit, und alle anderen Abmessungen sind von dieser Einheit als halbe, ganze oder ganze plus halbe ken abgeleitet:z.B. 0,5 Ken (3 Shaku), 1 Ken (6 Shaku), 1,5 Ken (9 Shaku>, 2 Ken (12 Shaku), 2,5 ken (15 Shaku) usw. ...

Abb. 6: Vergleich der drei verschiedenen Maßstäbe (Yoshida, 1954, S. 66)

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Abb. 7: Matten-Maßstäbe und -Verlegung (Yoshida, 1954, S. 67)

Die Größe eines Zimmers und seine Form wird durch die Anzahl der Matten und ihre Verlegung bestimmt. Und da gewisse Verlegungsarten üblich sind, vermittelt die genannte Anzahl der Matten dem japanischen Laien schnell die Vorstellung von der Größe eines Raumes. Man pflegt daher bei einem Zimmer nur dieAnzahl der Matten zu nennen. Beispielsweise wird ein Zimmer von 1,5 Ken (9 Shaku) mal 1,5 ken (9 Shaku), also 2,73 m mal 2,73 m, ca. 7,45 qm, kurz 4,5-Matten-Raum genannt; ein Zimmer von 1,5 Ken (9 Shaku) mal 2 ken (12 Shaku), also 2,73 m mal 3,64 m, ca. 9,94 qm, 6-Matten-Raum; ...

Eine besondere Eigenart des Grundrisses eines japanischen Hauses liegt in der mannigfaltigen Verwendungsmöglichkeit der Zimmer. Keiner der mit Matten belegten Wohnräume hat eine ausgesprochene Zweckbestimmung, und jedes Zimmer kann jederzeit und ohne Mühe für einen anderen Benutzungszweck hergerichtet werden.

Wie schon erwähnt, sitzt der Japaner auf Knien und Fersen hockend auf dem aus Matten bestehenden Fußboden, ohne Möbel im europäischen Sinne zu benutzen. Das Fehlen von Bettstellen, an deren Stelle die schon erwähnten Matratzen treten, gestattet, jeden Raum auch als Schlafzimmer zu benutzen. Zu den Mahlzeiten wird ein der hockenden Sitzweise entsprechend niedriger Tisch ins Zimmer getragen. Jedes dieser Zimmer kann natürlich tagsüber als Empfangszimmer benutzt werden.

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Außerdem ist die Verwendung fester Wände auf ein Mindestmaß beschränkt. Zur Trennung der Räume dienen verschiebbare, gegebenenfalls völlig entfernbare Türen. Daraus ergib sich eine weitgehende Wandelbarkeit der Wohnräume. Durch das Öffnen oder Entfernen der Schiebetüren kann das Haus gewissermaßen in einen einzigen großen Raum umgestaltet werden, der unmittelbar in den Garten übergeht. Diese Offenheit des Hauses dient aber nicht nur den verschiedenen Verwendungsmöglichkeiten der Räume, sie ist auch fürs sommerliche Klima besonders geeignet.Die Anordnung der Räume ist je nach der Größe des Hauses verschieden. In kleinen Häusern findet man fast nie einen Korridor, abgesehen von der Veranda, die gleichzeitig als Korridor dient.

In sehr großen Häusern werden im Grundriß jene rechteckigen Zimmergruppen stufenförmig angelegt und an den Ecken miteinander verbunden. Nicht nur die Belichtungs- und Lüftungsmöglichkeit der Räume wird dadurch begünstigt, auch die Verbindung des Hauses mit dem Garten wird geschlossener. Diese Grundrißform ist von alters her sehr beliebt. ... Die großen Häuser weisen auch oft Innenhöfe auf oder durch Korridore verbundene Separatzimmer. Gerade durch solche Anordnung entstehen auch beim japanischen Haus, dessen Konstruktion praktisch keine Tonisolation ermöglicht, ruhige, abgelegene Räume. ...” (Yoshida, 1954, S. 71-72)

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Abb. 9: Grundrissbeispiele eines japanischen Wohnhausgeschosses,Skizze 1 und 2 (Kujawski)

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Grundrissbeispiele eines japanischen Wohnhausgeschosses,Skizze 3 und 4

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Grundrissbeispiel eines japanischen Wohnhausgeschosses,Skizze 5

2.3.1 Wohnräume“Obgleich kein Wohnraum eine ausgesprochene und unabänderliche Zweckbestimmung hat, ergibt sich aus der gewohnheitsmäßigen Benutzung doch die Unterscheidung zwischen Empfangs- bzw. Gastzimmern, Wohnzimmern, die zugleich als Schlafzimmer dienen, Eßzimmern und Arbeits- oder Herrenzimmern.” (Yoshida, 1954, S. 86)

Dem uneingeweihten Betrachter jedenfalls würde es schwer fallen, einen Raum als Schlafraum oder Wohnzimmer zu bezeichnen. Das rührt von den - für europäische Begriffe - mit “keinem Möbelstück dekorativ ausgestatteten” oder für den einen oder anderen Raumtyp zu charakterisierenden Räumen.

In fast allen Räumen befinden sich eingebaute Schränke, Schubladen oder Wandbretter, die zur Unterbringung der täglich benutzten Sachen dienen.Die Bodenfläche der Zimmer wird immer, auch wenn der Boden gedielt ist, nach Matten bezeichnet und jeweils die genannte Anzahl der Matten vermittelt dem japanischen Laien

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schnell die Vorstellung von der Größe eines Raumes. (13 m2 oder 8 Matten, 9,70 m2 oder 6 Matten, 7,45 m2 oder 4 1/2 Matten).

Empfangs- und Gastzimmer“Das Empfangszimmer, das traditionell die Hauptrolle im japanischen Hause spielt, wird gleichzeitig als Fremdenzimmer benutzt. Es hat eine durchschnittliche Größe von 8 - 10 Matten. un dazu gehört ein Nebenzimmer, das durch Schiebetüren mit dem Empfangszimmer verbunden ist. ...Das Empfangszimmer ist mit einer Tokonoma, einer Bildnische, mit Tana, einer Nische kunstvoll angeordneter Wandschränke und Wandbrettern, und mit Shoin, einem erkerartig ausgebildeten Fenster versehen, während das Nebenzimmer einen Wandschrank enthält.” (Yoshida, 1954, S. 86)

Wohnzimmer“Das Wohnzimmer dient zugleich als Schlafzimmer. In großen Häusern gibt es viele Wohnzimmer mit oder ohne Nebenzimmer; Hausherr, Hausfrau, Sohn, Tochter und die alten Eltern haben ihre eigenen getrennten Wohnzimmer. Seine Größe beträgt 6 - 10 Matten. Es hat meistens eine vorgebaute Veranda und ist stets mit einem Wandschrank versehen.” (Yoshida, 1954, S. 86)Die Raumaufteilung der Wohnräume unterliegt weitgehender Wandelbarkeit, d.h. jeder Raum ist dem anderen gegenüber durch Hinwegnehmen von Schiebetüren, Raumtrennwände oder Schrankelementen soweit zu öffnen, daß er ohne viel Mühe in einen einzigen umgewandelt werden könnte.

Eßzimmer“Im wesentlichen ist ... das Eßzimmer für die Familie, während die Gäste im Empfangs- oder Gastzimmer bewirtet werden. ... Seine Größe beträgt 4,5, 6 oder 8 Matten. Der Raum ist gewöhnlich klein und gemütlich.” (Yoshida, 1954, S. 86)Das Eßzimmer grenzt meist an das Wohnzimmer und wird von diesem nur selten durch Schiebetüren getrennt. Zu den Mahlzeiten wird ein zusammenklappbarer Tisch benutzt, um den sich die teilnehmenden Personen in hockender Sitzweise auf Sitzkissen gruppieren.

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Abb. 10 : Bei Tisch. Zum Hauptgericht reis gehört Fisch, Gemüse und neuerdings auch etwas Fleisch. In der Familie ist das sog. Sukiyaki beliebt, ein Eintopfgericht, das während der Mahlzeit auf dem Tisch (auf einem Holzkohleöfchen) bereitet wird. (Johann, Abb. 7)

Teeraum“Der Teeraum ist ein besonderer Raum für die Ausführung der Teezeremonie. Dieser befindet sich bisweilen in einem selbständigen Gebäude im Garten, ist aber auch oft ein Bestandteil des Hauses. Es ist ein kleiner Raum, 2 bis 4,5 Matten groß, mit einer Feuerstelle, Tokonoma (Bildnische A.d.V.) und einer benachbarten Teeküche versehen.” (Yoshida, 1954, S. 87-88)

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Abb. 11 : Teezeremonie. Das förmliche Teeservieren wird - wie Blumenstecken und Schönschreiben - in ein- bis zweijährigen Kursen gelehrt. Als Sinn und Aufgabe der Teezeremonie gilt es, Geist und Gedanken zu sammeln und sich gegenüber dem Wirrwarr des Alltags in der Stille auf sich selbst zu besinnen. (Johann, Abb. 4)

BildnischeDie Bildnische, Tokonoma oder Toko genannt, die das Hängebild aufnimmt, “ist zweifellos der Mittelpunkt des Zimmers und gibt jedem Raum zusammen mit seiner Ausstattung den entscheidenden Eindruck. Tokonoma ist aber nicht nur von bloß künstlerischem Standpunkt aus zu betrachten. Tokonoma wird von altersher als heiliger Platz im Hause verehrt. Sie umschließt für den Japaner eine Art geistige oder moralische Atmosphäre, was auf ihre ursprünglich sakrale Bedeutung zurückzuführen ist. Der Platz vor der Tokonoma ist ein Ehrenplatz, und die Nische der Tokonoma darf nicht betreten werden. Sie liegt meistens nicht in der Mitte der Wand, d.h. ist nicht symmetrisch angeordnet.” (Yoshida, 1954, S, 90-91)

“Das Hängebild, Kakemono genannt, wird ebenso wie Vasen und die übrigen Ziergeräte häufig gewechselt: die Auswahl der Bilder u.a. richtet sich nach der Jahreszeit und den damit verbundenen jährlichen Festen, deren Stimmung sie angepaßt werden, aber auch nach dem Gemütszustand des Hausherrn. ... Wenn die Hängebilder nicht gebraucht werden, so werden sie aufgerollt und in einzelnen Kästen aufbewahrt. ... Eine Hängebild ist unabhängig von der Tokonoma kaum denkbar.” (Yoshida, 1954, S. 88-89)

“Die Kunst des Blumeneinstellens, Ikebana genannt, worunter man eine besondere Anordnung der Blumen in engster Verbindung mit dem Gefühl für die Jahreszeit versteht, hat ebenfalls in Verbindung mit der Tokonoma ein sehr hohes Niveau erreicht ...” (Yoshida, 1954, S. 90)

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Abb. 12: Bildnische und Blumeneinstellen. Das Ordnen von Blumen in einer Vase oder einer Schale geschieht nach genau festgelegten Kunstregeln, die erlernbar sind, aber am fertigen Werk nicht wahrgenommen werden dürfen. (Johann, Abb. 5)

VerandaHauptbestandteil des japanischen Hauses ist die Veranda “Sie ist unentbehrlich und mit als wichtigster Wohnraum anzusehen. Sie bildet den Übergang vom Hausinnern zum Garten, in den man von der Veranda über Steinstufen gelangt. Im Sommer hat die Veranda die Funktion eines lichtgedämpften Vorraums, während sie im Winter die Möglichkeit bietet, die Sonnenwärme zu genießen. Andererseits dient die Veranda auch als Korridor. Die schönste Lage der Veranda entsteht, wenn sie um die Hausecke herum angeordnet ist. Die Breite der Veranda beträgt 0,5-1 Ken (3-6 Shaku), d.h. 91-182 cm.” (Yoshida, 1954, S. 102-103)

2.3.2 Wirtschaftsräume

Küche“Die Küche liegt immer im Erdgeschoß. Die Konstruktion des japanischen Hauses macht es schwierig, die Küche im Obergeschoß zu errichten. Der größere Teil des Fußbodens ist meistens dem übrigen Untergeschoß entsprechend hochgelegt; ein Teil jedoch liegt tiefer zur ebenen Erde und besteht aus Zement. So entsteht eine Küche mit einem Vorplatz, wo sich ein Kücheneingang befindet, der zugleich als Haupteingang des Hauses dient. ...Die Größe der Küche beträgt in größeren Häusern 4,5, 6 oder 8 Matten, in kleinen Häusern 2 oder 3 Matten. Die japanische Küche hat keinen Keller. Unterhalb des hochgelegenen

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Küchenfußbodens pflegt man aber einen kleinen kastenartigen Vorratsraum aus Ziegel oder Beton zu errichten, um Wein, Obst und dergleichen oder auch Brennstoff aufzubewahren. ...Die Einrichtung der Küche ist gewöhnlich sehr einfach. Der wesentlichste Gegenstand ist ein einfaches Spülbecken, das aus einem länglichen Holzkasten besteht, der mit kupfer-oder Zinkblech ausgeschlagen ist. Auf einem Herd steht der große Kochtopf für den Reis während ein kleines tragbares Kochgestell zum Erhitzen der Pfanne und des Wasserkessels dient.” (Yoshida, 1954, S. 104)

2.3.3 Nebenräume

BadezimmerDas Bad hat für den Japaner weit größere Bedeutung als für den Europäer. Besonders die klimatischen Verhältnisse machen es nötig, daß der Japaner mindestens einmal am Tag - meist nachmittags nach getaner Arbeit - sich badet. Dieses Bad dient ihm auch gleichzeitig als Erholung und wird ausgiebig genossen. Sogar untere Volksschichten benutzten die für sie eigens eingerichteten öffentlichen Bäder regelmäßig.“Das Badezimmer wird nicht nur hygienisch, sondern auch künstlerisch gestaltet. Unter Umständen hat es eine schöne Aussicht. Das Badezimmer ist immer vom Abort getrennt und liegt meistens neben der Küche, weil das für die Wasserversorgung und Heizung am günstigsten ist. Das Badezimmer hat außer dem Hauptzugang noch einen besonderen Eingang von der Küche oder unmittelbar vom Hof her; das erleichtert das Heizen der Badewanne. ... Die Größe des Badezimmers beträgt 2 oder 3 Matten in kleinen Häusern, 4,5 6 oder sogar 8 Matten in größeren Häusern. (Yoshida, 1954, S.104-105)

AbortDa noch sehr wenig Kanalisationsanlagen vorhanden sind und daher die Spülabortanlage noch nicht allgemein üblich ist, sind die Abortanlagen der meisten Wohnhäuser sehr zum Leidwesen des Japaners ganz primitiv und unhygienisch. Man ist auf die Abfuhr der Auswurfstoffe angewiesen; diese sammeln sich in einem in die Erde eingegrabenen keramischen Fasse oder einer Betongrube, die von Zeit zu Zeit ausgeschöpft werden. Der als Folge der fehlenden Ableitung der Auswurfstoffe vorhandene üble Geruch erfordert eine möglichst abseitige Lage des Aborts. So liegt der Abort meistens an einer Ecke des Hauses und ist von der Veranda oder dem Korridor her zugänglich. ... Abort und Pissoir sind stets durch eine Zwischenwand voneinander getrennt, und das Pissoir dient meistens als Vorraum des Aborts. ... Die Abortanlage ist flach für hockende Benutzung.” (Yoshida, 1954, S. 107)

2.3.4 Verbindungsflächen und -räume

Hauszugang“Nie liegt der Hauseingang dem Gartentor gerade gegenüber, damit man nicht von der Straße her in das sehr offen gestaltete Hausinnnere sehen kann; der (das) Gartentor und (den) Hauseingang verbindende Pfad verläuft schräg und bildet eine Kurve.

HauseingangSeit alters her besteht die japanische Gepflogenheit, vor Betreten des Hauses die Schuhe abzulegen. Dieses geschieht aus Sauberkeitsgründen, damit der Straßenschmutz nicht in das Hausinnere getragen wird. “Der erste Raum eines japanischen Hauses ist daher immer ein ungedielter ‘Vorflur’ (Genkan) an den sich ein Vorzimmer anschließt, von dem aus man in die Wohnräume gelangt. Vornehme Häuser haben zwei Eingänge, einen für Gäste und einen für Familienmitglieder.

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Der ‘Vorflur’ ist meistens 2-3 Matten, in größeren Häusern 4 1/2-8 Matten groß. Die Flächengröße wird von der Mitgliederzahl der Familie und ihren abzulegenden Schuhen bestimmt.Zur Aufbewahrung der Schuhe und Regenschirme findet man in einer Seitenwand Schränke eingebaut. Für die Regenschirme stehen noch Ständer zur Verfügung. Schon ab dem Vorzimmer besteht der Fußbodenbelag aus den üblichen Matten.” (Yoshida, 1954, S. 117)

Abb. 13: Hauseingang . Der Wandschirm zeigt eine zwar modern anmutende, über schon 200 Jahre alte Seidenstickerei. Die Fußbekleidung wird an der Schwelle zurückgelassen. Nie betritt ein Japaner die feinen Strohmatten im Hausinneren mit Schuhen. (Johann, Abb. 3)

VorzimmerDieses Zimmer “ist meistens mit Matten belegt, und hier geht die Begrüßung der Gäste und die Verabschiedung in hockender Stellung vor sich. In größeren Häusern ist das Vorzimmer oft 6 bis 8 Matten groß, meistens aber 2 oder 3 Matten und dient als Mädchenzimmer, Kinderzimmer u.a.” (Yoshida, 1954, S. 117)

KorridoreKorridore oder andere im Hausinnern befindliche Flure sind teils mit Matten teils mit Dielenbrettern belegt. Öfter trennen nur Schrankwände die Räume von den Korridoren ab.

TreppenDas typisch japanische Haus ist eingeschossig und braucht keine Treppe. Im zweigeschossigen Wohnhaus liegen die nur einmal täglich benutzten Zimmer im zweiten Geschoß und sind mit einer kleinen Treppe zu erreichen. Diese nimmt wegen ihrer seltenen Benutzung nur den “geringstnötigsten” Raum ein. Sie ist aus Holz und 1 Ken oder 3 Shaku breit (99 cm).

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Speichergebäude“Da das japanische Holzhaus nicht die geringste Feuersicherheit bietet, werden bei besseren Häusern bisweilen ein oder mehrere feuerfeste Speichergebäude (Dozo oder Kura) errichtet, in denen der wertvollste Hausrat aufbewahrt wird, und die auch Schutz vor Diebstahl bieten.” (Yoshida, 1954, S. 117)

2.3.5 GartenDie geschichtliche Entwicklung des Gartens läuft mit der des Wohnhauses parallel!Zurückverfolgend bis um 500 n. Chr. beeinflußte der Buddhismus die japanische “Gartenbau-Entwicklung”. Um 1000 n. Chr. dann entstanden feste Gartenformen wie die des Shinden-Zukuri-Gartens. Um diese Zeit waren es Kaiser und Fürsten, die sich um prunkvoll angelegte Gärten bemühten.

Der Grund für die enge Verbundenheit des Japaners mit “seinem” Garten liegt in der natürlichen Entwicklungsweise des japanischen Wohnhauses schlechthin.

Gravierend dabei ist die Tatsache, daß die japanischen Architekten (früher meist Teezeremonien-meister) nicht versuchten, die Landschaft für den Hausbau umzugestalten, sondern sie entwarfen Häuser, die sich völlig in die Landschaft einpaßten!

Im übertragenen Sinne sieht der Japaner keine Grenze zwischen seinem Haus mit der Veranda, dem weit ausladenden Dach, den (Natur-) Steinstufen und dem Garten.

Der japanische Garten ist keine geometrisch genormte “Anlage” wie der englische Garten; er ist nicht der Natur nachgebildet, sondern bildet selbst eine ursprüngliche Landschaft. Man könnte den japanischen Garten als expressionistisch bezeichnen, weil er die Natur zwar nachbildet, sie aber subjektiviert und über sie hinausgeht.

Der Garten war mit prachtvoll blühenden Gewächsen und immergrünen Pflanzen bewachsen. Die Vorstellung fällt einem leicht, daß dieser Garten um genußvollen Leben der höheren Klasse beitrug.

Als um 1200 n. Chr. die südchinesische Religion in Japan Eingang fand und dauernde Bürgerkriege das Land nicht zur Ruhe kommen ließen, trat anstelle des bisherigen Luxus die dem Japaner bis heute erhalten gebliebene Schlichtheit und Einfachheit.

Man vergeistigte den Garten, die Blütenpracht verschwand und die mannigfaltigen Gesteinsarten gewannen die Wirkung der Ruhe und Strenge wieder.

Die Gartenform entwickelte sich mehr zu einem Kunstwerk, dessen Bedeutung in philosphischen symbolischen Ideen lag (Teezeremonienmeister = Gartenarchitekten). Ebene oder auch hügelige Sandflächen, aufgelockert durch verschiedene Gesteinsformen, dominierten zwischen Moos bewachsenen Uferböschungen von Teichen.

In der Zeitepoche der Normung, von Anfang des 17. bis Ende des 19. Jahrhunderts, wurde die künstlerische Gestaltung des Gartens auch vom Volke allgemein übernommen. Zwei Gartenformen bildeten sich, die bis heute noch Gültigkeit haben und nachgebildet werden.Es wurden neben der Größe des Gartens alle Einzelheiten wie Anzahl, Lage und Zusammen-setzung des Gesteins, Bäume, Steinlaternen, Steinwasserbecken usw. genau festgelegt. Die Kiwaniko-Methode fand in dieser Zeit größte Vollendung.

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Abb. 14: Sanft gebogene Steinbrücke und Steinlaterne (Yoshida, 1954, S. 187)

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wirkten wesentlich europäische Einflüsse auf den japanischen Gartenbau ein. Blumenbeete wurden übernommen und der bis dahin wenig bekannte Rasen paßte sich anstelle des Sandbodens ins Gesamtbild gut ein.

Wie im Wohnungsbau war die japanische Gartenkunst erst chinesischen, dann europäischen Einflüssen ausgesetzt. Jedoch verstand es der Japaner, diese stets umzugestalten und der japanischen Gesinnung anzupassen.

Als Ausdruck ruhigen Lebens ist der Garten immer ruhig und still, so kann man ihm philosophische Ideen nicht absprechen. Er dient zur beschaulichen Betrachtung und erfüllt wenig praktische Zwecke. Er paßt daher nicht mehr völlig zu dem neuen japanischen Lebensstil, der sich unter dem Einfluß von Europa herausgebildet hat. Das Leben ist ein viel lebhafteres und bewegteres geworden, als es vor dem war. So steht man in Japan bezüglich des Gartenbaues vor genau derselben schwierigen Aufgabe wie beim Wohnungsbau: eine Synthese zu schaffen zwischen dem traditionellen Garten und einem Garten, der dem neuen Lebensstil voll entspricht.

Das japanische Wohnhaus steht im allgemeinen nicht an der Straße, sondern fast immer mitten im Garten, umgeben von einem hohen Bretter- oder Bambuszaun, oder einer immergrünen beschnittenen Hecke, manchmal auch einer Steinmauer.” (Yoshida, 1954, S. 168)

Der Garten ist für den Japaner genau so wichtig wie die Wohnung selbst. Das beschränkt sich natürlich nur auf das Wohnhaus im “Freien”, d.h. in der Stadt wird wohl kaum jemand Platz für einen Garten erübrigen können.

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2.4 Technik2.4.1 Konstruktion“Das japanische Wohnhaus hat sich von alters her als ein Fachwerkbau entwickelt. ... Die festen Wandteile im Fachwerkbau, von denen es im Vergleich mit den Öffnungen nur wenige gibt, werden dadurch gebildet, daß zwischen den durchbohrten Pfosten ein Geflecht aus Bambus angebracht wird, das auf beiden Seiten einen Lehmbewurf erhält. Der Lehm ist mit Hackstroh vermischt. Die Stärke der Lehmschicht beträgt ca. 6 cm: sie ist in der Mitte der 10-13 cm starken Pfosten angebracht, so daß die Pfostenflächen außen und innen über die Lehmschicht hinausragen, also frei liegen, weshalb man gutes Bauholz verwendet. Die im Innern wie auch im Äußeren sichtbaren Flächen der Pfosten erhalten im allgemeinen keinen Farbanstrich, sie zeigen die Naturfarbe des Holzes. Die Innenseite der Lehmwand hat weder Papier- noch Stofftapete; sie erhält einen letzten Anstrich von feinem Sand oder Lehm von natürlicher, ruhiger Farbe, wie dunkelgrau, dunkelgelb, dunkelbraun u. a. ... Trotz ihrer Porösität isoliert die Lehmwand wegen ihrer geringen Dicke die Hitze und Kälte nicht.

Die Konstruktion an sich ist aber sehr primitiv. Das Fachwerk besteht nur aus senkrechten und waagerechten Baugliedern; es hat kein Schrägglied und keinen Dreiecksverband. Seitdem westliche Wissenschaft in Japan Eingang fand, wurde auch das japanische Haus bald konstruktiv verbessert, und mit der Entwicklung der Forschung über erdbebensichere Konstruktion hat man auch das Problem des erdbebensicheren Hauses aus Holz lösen können.

Abb. 15: Häuser im Bau (Yoshida, 1954, S. 128)

Bei der traditionellen Bauweise setzt man auf eine einfache Steinpacklage Fundamentsteine. Auf diesen Fundamentsteinen wird eine Sohlschwelle verlegt, auf der sich die Pfosten im normalen Abstand von 1 Ken (6 Shaku), d. h. 1,8 m, erheben. Die Pfosten werden von je etwa 60 cm breiten, hochkant gestellten Bretterriegeln durchdrungen. Die Pfostenfüße sind unterhalb des Erdgeschoßfußbodens noch durch eingeschobene Balken riegelartig befestigt, während die Pfostenköpfe mit einem Kopfrähm verbunden sind. Die Verbindung der Bauhölzer, sei es die der waagerechten Bauhölzer miteinander, oder die der waagerechten und senkrechten Bauhölzer, wird traditionell durch sehr feine, komplizierte Arbeit ausgeführt, fast ohne Verwendung von Eisen. Diese möbelarbeitsartige Verbindung der Bauhölzer bildet aber

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oft auch eine konstruktive Schwäche wegen der großen Schwächung der Bauhölzer in dem Verbindungspunkt.

Abb. 16: Holzverbindungen der Sohlschwelle (Kujawski)

Die Türöffnungen, die den größten Teil der japanischen Fachwerkwand einnehmen, werden nur dadurch gebildet, daß zwischen den zwei gegenüberstehenden Pfosten waagerecht zwei Führungshölzer für die Schiebetüren gelegt werden. ...

Die festen Wandteile im Fachwerkbau, von denen es im Vergleich mit den Öffnungen nur wenige gibt, werden dadurch gebildet, daß zwischen den durchbohrten Pfosten ein Geflecht aus Bambus angebracht wird, das auf beiden Seiten einen Lehmbewurf erhält. Der Lehm ist mit Hackstroh vermischt. Die Stärke der Lehmschicht beträgt ca. 6 cm: sie ist in der Mitte der 10~3 cm starken Pfosten angebracht, so daß die Pfostenflächen außen und innen über die Lehmschicht hinausragen, also frei liegen, weshalb man gutes Bauholz verwendet. Die im Innern wie auch im Äußeren sichtbaren Flächen der Pfosten erhalten im allgemeinen keinen Farbanstrich, sie zeigen die Naturfarbe des Holzes. Die Innenseite der Lehmwand hat weder Papier- noch Stofftapete; sie erhält einen letzten Anstrich von feinem Sand oder Lehm von natürlicher, ruhiger Farbe, wie dunkelgrau, dunkelgelb, dunkelbraun u. a. ... Trotz ihrer Porösität isoliert die Lehmwand wegen ihrer geringen Dicke die Hitze und Kälte nicht.Sie bietet aber eine gute Regulierung des Feuchtigkeitsgehaltes der Luft, d. h. wenn die Feuchtigkeit des Zimmers zu groß ist, wirkt sie absorbierend, während sie bei zu trockene-Luft die absorbierte Feuchtigkeit wieder ausströmt. Die Außenwände werden nach den Gegenden und deren klimatischen Verhältnissen, der Tradition u. a. verschiedenartig behandelt. ...

Der Dachstuhl des japanischen Hauses besteht nur aus waagerechten und senkrechten Bauhölzern ohne Schrägverband. Er wird einfach auf das Fachwerk aufgesetzt. Er ist primtiv und billig, besonders da für die Dachbalken natürliche Krummhölzer verwendet werden.

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Abb. 17: Dachkonstruktion: 1 Dachboden, 2 Stuhlpfosten, 3 Pfette, 4 Firstbalken, 5 Winkelbalken, 6 Sparren. (Yoshida, 1954, S. 138)

Die wesentlichsten Dachformen sind das Satteldach, das Walmdach und ein eigenartiges Krüppelwalmdach, ..., ein Satteldach, dessen Giebeln kürzere Walme angesetzt sind. ... Die Dachbedeckung besteht vorwiegend aus grauen Ziegeln die mit der nebelhaften Landschaft Japans äußerst gut harmonieren. Charakteristisch für die japanischen Ziegeldächer ist auch die mäßige Dachneigung. Die Veranda, Engawa, haben meistens ein eigenes, sanft geneigtes Pultdach, das mit leichtem Material, wie Kupfer- oder Eisenblech, abgedeckt ist. Jedes Fenster und jede Eingangstür hat ebenfalls ein besonderes Vordach aus Holz, Kupfer- oder Eisenblech. Diese verschiedenen Dächer bilden die wichtigsten Elemente in der Außengestaltung des japanischen Hauses.

Das Bemerkenswerte an jedem Dach ist die weite Ausladung als Schutz gegen die Sonnenstrahlen und Regen. Die Ausladung des Hauptdaches beträgt gewöhnlich 45-90 cm, während die der leichten Pultdächer für die Veranda u. a. 75-120 cm und mehr beträgt. Diese Dachausladungen der Veranda lassen in Japan im Sommer die Sonnenstrahlen nicht in das Haus dringen, während sie im Winter die Strahlen nicht abhalten, sondern die Sonne tief in die Räume scheinen und diese angenehm durchwärmen lassen (vgl. Abb. 5).Die Decken in den japanischen Holzhäusern bestehen fast immer aus parallel laufenden schmalen Holzlatten und darauf rechtwinklig zu diesen gelegten sehr dünnen Holztafeln. ...Der Fußboden liegt etwa 50 - 80 cm über der Erde. Der Raum darunter ist leer, ...

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Als Fußboden des japanischen Zimmers ist also nicht die auf dem Deckenbalken verlegte Holzdielung anzusprechen, sondern der Mattenbelag. Die Matten, Tatami genannt, haben nicht die Bedeutung von Teppichen, sondern sie sind der Fußboden schlechthin. Sie sind durchgenähte Reisstrohplatten, 1 x 0,5 Ken (6 x 3 Shaku), d.h. 1,82 x 0,91 m groß, deren Oberflächen einen Mattenbezug aus Gras, ..., einer Binsenart, haben, und deren Längsseiten eingefaßt sind. Sie sind herausnehmbar für Reinigung u.a. Neue Matten haben eine frische grüne Farbe, die aber mit der Zeit zu einem unsauberen Gelb wird. Die Matten, genau gesagt Mattenbezüge, werden daher von Zeit zu Zeit erneuert. ... Die große Elastizität und schlechte Wärmeleitung der Matte ist bemerkenswert im Hinblick auf die Lebensweise des Japaners. Man zieht im Hause keine Schuhe an, sitzt hockend auf dem Fußboden und schläft auf der unmittelbar daraufgelegten Schlafmatratze, ohne Sitzmöbel und Bettgestell im europäischen Sinne zu benutzen. ... Ferner reguliert die Matte durch ihre große Absorptionsfähigkeit die Feuchtigkeit der Räume.” (Yoshida, 1954, S. 127-139)

2.4.2 Normung und BauausführungMehrfach bereits ist darauf hingewiesen worden, daß beim japanischen Wohnungsbau die Normung bis auf die kleinsten Bauelemente schon seit langer Zeit durchgeführt ist. Hieraus und aus der geradlinig verlaufenden Entwicklung im Wohnungsbau ergibt sich, daß alle baulichen Einzelheiten der Wohnung nicht nur den Fachleuten, sondern auch den Laien genau bekannt sind. Dank der langen Tradition und des einheitlichen Systems ist dementsprechend der Zimmermann, dem die Hauptarbeit beim japanischen Hausbau zufällt, so weitgehend mit dem Wohnungsbau vertraut, daß er fähig ist, nach einer Grundrißskizze zu bauen. An welche Stelle die Shoji, die Fusuma, wohin das Hijikakemodo usw. kommen, weiß er ganz genau, ebenso ist ihm bekannt, welches Material für die verschiedenen Zwecke zu verwenden und wie dessen Größe ist. Für ein schnelles Bauen ist diese genaue Kenntnis des Zimmermanns von sehr wesentlicher Bedeutung. Bei besseren Häusern muß der Architekt natürlich dem Zimmermann, außer der Grundrißzeichnung, Außen- und Durchschnittsansicht sowie Detailzeichnungen für die wichtigen Bauteile geben.Die schon erwähnte Kiwari-Regel ist, ebenso wie die Ordnung der klassischen Baukunst, nicht absolut streng in ihren Regeln. Sie sollen nur als allgemeiner Maßstab angesehen werden und können den Umständen gemäß je nach den Arten der Bauhölzer, den Arten der Maserung, oder nach der gewünschten Stimmung der Räume verändert werden.

Im großen und ganzen ist jedoch zu sagen, daß die Arbeit des japanischen Architekten beim Entwerfen eines Durchschnittshauses eine viel geringere und weniger zeitraubende ist als die eines europäischen Architekten. In der Ermöglichung einer schnellen Bauausführung liegt der große wirtschaftliche Vorteil dieser Tatsache.

“Beim japanischen Wohnhaus sind schon seit langer Zeit Größe und Formen aller Räume genormt, wobei die Matte als Einheit gilt. Der Grundriß des Hauses wird, frei von jeglicher Formidee, rein zweckmäßig gestaltet. Die Normung erstreckt sich nicht nur auf Deckenhöhe, Fenster und Türen, sondern auch auf kleinere Einzelheiten aller Bauteile. So braucht nur der Grundriß bestimmt zu werden, und daraus ergibt sich fast von selber die Innen- und Außengestaltung des Hauses.

Das japanische Haus ist zwar nicht an sich ein Haus für Massenerzeugung, aber wegen der Normung aller Bauteile seinem Wesen nach doch dafür geeignet, da man es sehr schnell bauen kann. Andererseits ist die Normung des japanischen Hauses durchaus nicht mechanisch; es wird genügend Spielraum gelassen ... , um dem Haus oder Raum individuellen Charakter zu geben. Erst durch das Vorhandensein solcher Normung entsteht der allgemeingültige wie auch individuelle Charakter des japanischen Wohnhauses. Die

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selbstgefällige, ungebundene Individualität des einzelnen Architekten wird durch Normung zur Allgemeingültigkeit vertieft und verfeinert.” (Yoshida, 1954, S. 193)

“Die wichtigsten genormten Dimensionen und die nach der Kiwari-Regel bestimmten Proportionen der Bauteile beim Wohnbau sind folgende:

I. Wichtige Höhenmaße des Wohnhauses (eingeschossiges Wohnhaus)II. Abmessungen der einzelnen konstruktiven BauhölzerIII. Größe der Bauteile, die hauptsächlich der Raumgestaltung des Zimmers dienenIV. Größe der Bestandteile der Türen und Fenster.” (Yoshida, 1954, S. 195-198)

2.4.3 BaumaterialienDas Baumaterial Holz spielt für die japanische Architektur die wichtigste Rolle. In Anbetracht der riesigen Wälder und der verschiedenartigsten Hölzer Japans ist ihre Bedeutung bei der Verwendung nicht nur ästhetischer und künstlerischer Natur. Sicher steigert sich der Wert mit der Schönheit von Maserung und Färbung des Holzes, ein kunstvoller Geschmack wird aber erst bei der Holzzusammensetzung und ihrer Wirkung erzielt.

Wie schon erwähnt, besticht der Japaner im Wesen schlechthin durch Schlichte und Einfachheit und kann ferner eine enge Verbundenheit mit der Natur nicht leugnen. Daher ist es auch verständlich, daß er nach Verwendung und Einbau des Holzes es nicht etwa übertüncht, sondern es in seiner natürlichen Schönheit beläßt.

Wohl aber finden Lacke und Öle für die Haltbarkeit des Holzes Anwendung. Dieses geht aus einer überlieferten Schrift hervor, die in dem Buch “Das Vermächtnis des Ostens” abgedruckt ist. In ihr heißt es: “Die Lackkunst begann in China und erreichte ihre höchste Vollendung in Japan... Im fernen Osten ist der Lack das Naturprodukt eines in China beheimateten Baumes, der später auch in Japan angebaut wurde. Der Saft wird vom Stamm und aus den Zweigen des Baumes abgezapft, gepreßt und dann erhitzt, um übermäßige Flüssigkeiten auszuscheiden. Er wird dann auf dünnes Holz, manchmal auch auf Metalle oder Porzellan aufgetragen und getrocknet. Unter den Mandschu-Kaisern Hang-shi und Ch‘ienbeng wurden aufgrund kaiserlicher Verordnungen große Fabriken für Lackarbeiten gebaut und heute noch aufrecht erhalten.

Hauptsächlich verwendete japanische Bauhölzer sind: Hinoki, Sugi, Matsu (Kiefer) und Tsuga. Diese werden je nach Holzart und Eigenschaft verwendet.

Für den konstruktiven Teil des japanischen Hauses werden heute schon billigere amerikanische Hölzer gebraucht. Lediglich für Prunkbauten und sog. Herrenhäuser findet das einheimische Hinokiholz Verwendung, während für den gewöhnlichen Wohnungsbau das Tauga-Holz benutzt wird.

Diese Holzarten haben - jede für sich - für den Japaner, ja selbst für den Erstbetrachter, den Laien, eine bestimmte Aussagekraft und Wirkung. Ganz auf die Mentalität des “Bauherrn” oder die Bestimmung des Raumes ausgerichtet, wirkt das eine Holz ernst und traurig, das andere freundlich, weich und schön.Nie aus dem gegebenen Rahmen fallend macht jedes jedoch eine schlichte und ruhige Aussage.

Für dekorative Zwecke benutzte Hölzer sind:Das Keyakiholz mit einer schönen Maserung; das Kiriholz mit seiner hellen, weißlich-violetten Färbung, seiner weichen Stimmung und schönen Maserung; das Kuwaholz, es ist

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hart und hat eine hellgelbe Färbung, die chinesischen und indischen Hölzer wie Karaki (Sandelholz), Shitan (Ebernholz), Kokutan usw. und andere Hölzer mit Rinde.

Zuviel Abwechslung der Hölzer vermeidet man, um eine gewisse gewollte Eintönigkeit zu erzielen.

Weitere Baumaterialien sind:Bambus für Vorhänge und Fußböden, Schilfrohr zur Dachabdeckung, Sparren-, Rahmen- und Gitterwerk für die Dachkonstruktion, ferner Dachziegel, Lehm für die Wände, Papier für Schiebetüren und Fenster.Stein wird nur als Fundamentstein und für Steifrahmen verwendet.

Mit Fußboden ist nicht der konstruktive Teil, das Gebälk oder die auf ihm verlegte Holzdielung anzusprechen, sondern der aufliegende Belag.Das sind Matten, Tatami genannt, in einer Stärke von 5 cm. Diese haben nicht die Bedeutung von Teppichen, sondern von Fußboden schlechthin.Ihr Material besteht aus durchgenähten Reisstrohplatten, deren Oberfläche ein Mattenbezug aus Bast schützt.Auf diese Tatami werden bei Gebrauch die Sitzkissen und Schlafmatratzen gelegt, so hat sie wegen ihrer ökonomischen Ausnutzung und Veränderlichkeit der Räume eine große Bedeutung.

Für die hockende Sitzweise des Japaners - wegen der großen Elastizität von besonderem Vorteil - sorgt der Mattenbelag für eine ausreichende Wärmedämmung im Winter.Die Flächenausdehnung der Matten beträgt ca. 6 x 3 Shaku, das sind 1,80 x 0,90 Meter.

Ausnahmen im Fußbodenaufbau sind die Küche, Nebenräume, Korridore und die Veranda. Ihr Fußboden besteht aus Holzdielung oder Bambus.

Die Wände sind unserer Fachwerkbauweise vergleichbar. Sie bestehen aus einem Bambusgeflecht und sind von beiden Seiten mit Lehm beworfen, der mit Hackstroh (Hexel) vermischt ist.

Abb.18: Wandkonstruktion in Grundriß, Aufriß und Isometrie (Kujawski)

Diese Wandelemente stehen zwischen den Pfosten, welche der Fachwerkkonstruktion um einige Zentimeter dicker hervorstehen. Sie erhalten keinen Farbanstrich und werden in ihrer

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ursprünglichen Naturfarbe belassen. Die Innenseite der Lehmwand trägt weder Papier noch Stofftapete. Diese ist vielmehr mit einer porösen Putzschicht versehen, welche für die gute Atmung der Wände sorgt, den Feuchtigkeitsgehalt der Luft reguliert und im Winter wärmedämmend wirkt.

Die Türöffnung bilden zwei waagerecht zwischen zwei Pfosten liegende Füllhölzer (Auswechslungen), an die eine Schiebetür angebracht ist. Den oberen Abschluß der Wand bildet ein Deckentragrahmen.

Der Putz ist nie in grellen Farbtönen gehalten, sondern auf eine ruhige Wirkung abgestimmt, die meist in braungelb oder dunkelbraun gehalten ist. Die weiche und ruhige Stimmung des japanischen Wohnhauses wird hauptsächlich durch diese Wand bewirkt.In Küchen und Aborten paßt sich der Putz, glatt und hell getönt, der Zweckmäßigkeit an.

Wegen der Niederschläge in verschiedenen Landesteilen, z.B. in Tokyo, verkleidet man die Außenwände mit einer Holzschalung.

Die Decke des japanischen Wohnhauses spielt in Bezug auf die Innenraumgestaltung mit Färbung und Maserung eine wesentliche Rolle. Im allgemeinen ist die der Form nach waagerecht angelegt, nur in den Teeräumen oder in den Pavillons wird die Decke dem Dachverlauf schräg angepaßt.Sie besteht aus einem Lattenrost oder miteinander verflochtenen ca. 10 cm breiten Holzstreifen, die auf dem Deckentragrahmen aufliegen. Hierunter hängen rechtwinklig angeordnete Deckenplatten, die im Gesamtbild eine Kassettierung ergeben.

Das Dach des Hauses ist aus architektonischer Sicht von außen her der markanteste Punkt, der es auf den ersten Blick von europäischen Wohnbauten unterscheidet. Dem Grundriß angepaßt verwendet man die Form des Satteldaches, des Walmdaches und eines eigenartigen Krüppelwalmdaches.

Die Neigung beträgt ca. 45° . Die Dachflächen sind meistens gerade, häufig konvex, seltener konkav. Die Dachdeckung wird mit grauen Ziegeln vorgenommen, Stroh- und Schilfdächer läßt eine Verordnung der Baupolizei schon seit langem nicht mehr zu.

Das bemerkenswerteste an jedem Dach ist die weite Ausladung als Schutz gegen die Sonnenstrahlen und Regen. Die Dachauskragungen (siehe Abb. 5) lassen im Sommer die Sonnenstrahlen nicht in das Haus eindringen, während sie im Winter die Strahlen nicht abhalten, sondern die Sonne tief in die Räume scheinen und sie angenehm durchwärmen lassen.

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Abb. 19: Ansichten und perspektivischer Durchschnitt eines typischen eingeschossigen Wohnhauses. (Yoshida, 1954, S. 131)

Fenster und Türen“Das charakteristische Merkmal des japanischen Hauses bilden die vielen und weiten Fensteröffnungen, die meistens die Form von Schiebetüren haben. Diese Fensterart, ..., ist in Japan erforderlich, weil man dadurch den kühlen Wind auf die Bodenfläche lenken kann, worauf man hockend sitzt, und hockend vom Zimmer aus den Garten beobachten kann.” (Yoshida, 1954, S. 146)

“Ein noch wesentlicherer Unterschied ... liegt in der Materialverwendung; bei den japanischen Fenstern nimmt durchscheinendes Papier die Stelle von Glas ein, aus dem europäische Fenster hergestellt sind. ... Der Vorteil des durchscheinenden Papierfensters liegt erstens darin, daß das Licht zerstreut und gedämpft in den Raum gelangt, so daß eine weiche, ruhige Stimmung im Raum entsteht, wie sie Glas nicht erzeugen kann. Nachts wirft dann das Papier das künstliche Licht zurück und liefert damit dem Raum eine wunderbare Wärme und Weiche. Ferner bilden die Papierfenster nicht nur eine gute Wärmeisolierung, sondern fördern auch durch ihre Luftdurchlässigkeit die natürliche Lüftung der Innenräume. ...” (Yoshida, 1954, S. 152, 154)

Türen sind ein weiteres charakteristisches Merkmal des japanischen Hauses. Ihre Stürze teilen die schon vorher erwähnte Wand in Ober- und Unterwand ein.

Man unterscheidet Türen und Fenster nach dem Material, aus dem sie angefertigt sind:1. Türen aus durchscheinendem Papier2. Türen beiderseitig mit tapetenartigem Papier beklebt3. Glastüren und Glasfenster4. Holztüren5. Schilfrohrtüren.

Die Normalbreite der Türen und Fenster beträgt 1/2 Ken = 90 cm. Bei einem Pfostenabstand von 1 Ken besteht die Tür aus 2 Schieberahmen (3 Shaku breit), bei einem Pfostenabstand von 1 1/2 Ken verwendet man 4 Schieberahmen, aber bei großen Zimmern 2.

“Die Zwischenwände der Wohnräume bestehen im japanischen Hause meistens aus verschiebbaren, nötigendenfalls entfernbaren Türen, beiderseitig mit tapetenartigem Papier

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beklebt (Fusama). ... Die Höhe und Breite der Fasuma-Türen sind dieselben wie bei den Fenstertüren aus durchscheinendem Papier(Yoshida, 1954, S. 155)

Abb. 20: Schiebetür “Fusama” in Grundriss, Ansicht und Detail (Kujawski)

Eine weitere Bedeutung - in künstlerischer Hinsicht - haben die nur zur Belüftung benutzten Oberlichtfenster, “Ramma” genannt. Sie geben dem entwerfenden Architekten weites künstlerisches Spiel in der Wandabwicklung. Diese sind immer offen und gestatten daher einen ständigen Luftaustausch zwischen den Räumen untereinander und den Räumen mit der Außenluft.

Abb. 21: Schiebetür mit zur Belüftung benutztem Ober-Wandfenster “Ramma”(Kujawski)

“Schließlich sind noch besondere Holztüren, die Amado, zu erwähnen. Diese sind verschiebbare Holzläden zum Verschließen der unmittelbar ins Freie führenden Tür- und Fensteröffnungen. Sie dienen als Schutz gegen Regen und gegen Diebe, aber auch als Wärmeisolierung. Diese Läden, Amado, bestehen aus einem Holzrahmen, der durch Querleisten versteift und mit dünnen Brettchen benagelt ist. Im Oberteil der Amado sind bisweilen Lüftungsvorrichtungen für schwüle Sommernächte vorgesehen, und zwar in Gestalt

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von Öffnungen, die durch Schiebebrettchen abgedeckt werden können. Die Amado laufen in Nuten mit Hartholzeinlage oder sind mit Metall- oder Hartgummirollen versehen. ... Tagsüber werden die Amado in schrankartigen Holzverschlägen aufbewahrt, die an den Seiten der Tür- bzw. Fensteröffnungen fest angeordnet sind.” (Yoshida, 1954, 159-160)

2.2.4 Form“...die Grundrißform des japanischen Hauses (ist) nicht fest und starr, sondern frei und aufgelöst; ... Die Räume werden ihren Zwecken entsprechend ganz natürlich miteinander verbunden, ohne von einer bestimmten Formidee auszugehen. Eine symmetrische Anlage des Wohnhauses kam in Japan, ...., nur bis etwa ins 12. Jahrhundert in Frage, ...” (Yoshida, 1954, S. 72)

2.2.5 Gesellschaftliches MilieuLebensgewohnheiten der JapanerDie Einflüsse des Buddhismus und der orientalischen Philosophie bewirken, daß der japanische Mensch sich nur auf das wesentlichste - in jeder Beziehung - beschränkt, somit bescheiden lebt und sich mit wenigen Dingen zufrieden gibt.Aus dieser Haltung heraus resultiert auch die Einstellung, keine großen Ansprüche an die Wohnung zu stellen, sondern sich im Winter wie Sommer in der Natur aufzuhalten und sich in den prachtvoll angelegten Gärten zu “ergehen”.

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Literaturnachweis:Yoshida, Tetsuro:Das japanische WohnhausBerlin 1954

Durant, Will:Das Vermächtnis des OstensStuttgart 1961

Baltzer, F.:Das JapanhausBerlin 1903

Kümmel, F.:Japanische BaukunstIn:Wasmuth, Lexikon der BaukunstBerlin 1929

Takeda, G:Jutaku-Kenschiku-YogiTokio 1926

Zeitschriften:Kenchiku-Sekai, Kenchiku-Zasshi, Kokumin-EiseiTokio 1958/1967

Johann, A.E.:Japan PrivatIn:Westermanns MonatshefteHeft 8, 1958, S. 12-19

Hinweise auf weiterführende Literatur:Engel, Heinrich:The Japanese HouseTokio 1963/64Nishihara, Kiyoyuki:Japanese Houses- Patterns of LivingTokyo 1968Itoh, Teiji (Hrsg.):Alte Häuser in JapanStuttgart 1984Taut, BrunoSeidel, Manfred (Hrsg.)Das japanische Haus und sein LebenBerlin 1990Bosslet, Klaus; Schneider, Sabine:Ästhetik und Gestaltung in der japanischen Architektur: das traditionelle WohnhausDüsseldorf 1990


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