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Tonscherben im Elektronenmikroskop

Date post: 03-Dec-2016
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b Bereits in der Jungsteinzeit war Steinsalz wichtige Handelsware. Die Voraussetzung einer Großpro- duktion von NaCl-Kristallen vor 6500 Jahren waren dichte Tongefäße mit einem Inhalt von 50 bis 100 Li- ter. Riesige Tonscherbenlager ne- ben einer befestigten Siedlung, die auf eine solche Produktionsstätte hinweisen, entdeckten vor wenigen Jahren Archäologen um Vasil Niko- lov 1) im bulgarischen Provadiya (Abbildung 1). Die Steinmauer der Siedlung wurde vor etwa 6550 Jah- ren durch ein Erdbeben zerstört. 2) Die Fundstätte liegt etwa 45 km vom Schwarzen Meer entfernt am Fluss Provadiyska, einem für die damalige Zeit wichtigen Transport- weg (Abbildung 1, rechts). Die Archäologen untersuchten die Tongefäße, ihre Größen und Formen. Bruchstücke stellten sie den Autoren zur Verfügung, die diese an der Technischen Universi- tät Wien auf ihre chemische und mineralogische Zusammensetzung sowie auf ihre Funktionsfähigkeit für eine NaCl-Produktion unter- sucht haben. Die Untersuchungsmethode b Zur Untersuchung der Ton- scherben diente die Rasterelektro- nenmikroskopie mit Mikrosonde (XL30, ESEM, Philips). Mit dieser Methode lassen sich die Mineral- zusammensetzung, die Menge der Mineralien und deren Größe an ei- nem Probenanschliff gleichzeitig bestimmen. Von ausgewählten Tonscherbenstücken wurden An- schliffe hergestellt, indem sie in Epoxidharz eingebettet und geschlif- Anton Preisinger, Selma Aslanian, Johann Wernisch Eigneten sich die prähistorischen Tongefäße, die Archäologen in der Nähe einer Steinsalzlagerstätte fanden, tatsächlich zur Herstellung von Salzkristallen aus Sole? Wichtige Hinweise liefert die Rasterelektronenmikroskopie mit Mikrosonde. Tonscherben im Elektronenmikroskop BAnalytikV Abb. 1. Oben: Frag- mente von Keramik- gefäßen zur Salzpro- duktion. Rechts: Pro- vadiya, Provadiyska- Fluss – Transportweg zum Schwarzen Meer. (Foto: Nikolov) Nachrichten aus der Chemie| 60 | November 2012 | www.gdch.de/nachrichten 1118
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b Bereits in der Jungsteinzeit war Steinsalz wichtige Handelsware. Die Voraussetzung einer Großpro-duktion von NaCl-Kristallen vor 6500 Jahren waren dichte Tongefäße mit einem Inhalt von 50 bis 100 Li-ter. Riesige Tonscherbenlager ne-ben einer befestigten Siedlung, die auf eine solche Produktionsstätte hinweisen, entdeckten vor wenigen

Jahren Archäologen um Vasil Niko-lov1) im bulgarischen Provadiya (Abbildung 1). Die Steinmauer der Siedlung wurde vor etwa 6550 Jah-ren durch ein Erdbeben zerstört.2)

Die Fundstätte liegt etwa 45 km vom Schwarzen Meer entfernt am Fluss Provadiyska, einem für die damalige Zeit wichtigen Transport-weg (Abbildung 1, rechts).

Die Archäologen untersuchten die Tongefäße, ihre Größen und Formen. Bruchstücke stellten sie den Autoren zur Verfügung, die diese an der Technischen Universi-tät Wien auf ihre chemische und mineralogische Zusammensetzung sowie auf ihre Funktionsfähigkeit für eine NaCl-Produktion unter-sucht haben.

Die Untersuchungsmethode

b Zur Untersuchung der Ton-scherben diente die Rasterelektro-nenmikroskopie mit Mikrosonde (XL30, ESEM, Philips). Mit dieser Methode lassen sich die Mineral-zusammensetzung, die Menge der Mineralien und deren Größe an ei-nem Probenanschliff gleichzeitig bestimmen. Von ausgewählten Tonscherbenstücken wurden An-schliffe hergestellt, indem sie in Epoxidharz eingebettet und geschlif-

Anton Preisinger, Selma Aslanian, Johann Wernisch

Eigneten sich die prähistorischen Tongefäße, die Archäologen in der Nähe einer Steinsalzlagerstätte

fanden, tatsächlich zur Herstellung von Salzkristallen aus Sole? Wichtige Hinweise liefert die

Rasterelektronenmikroskopie mit Mikrosonde.

Tonscherben im Elektronenmikroskop

BAnalytikV

Abb. 1. Oben: Frag-

mente von Keramik-

gefäßen zur Salzpro-

duktion. Rechts: Pro-

vadiya, Provadiyska-

Fluss – Transportweg

zum Schwarzen Meer.

(Foto: Nikolov)

Nachrichten aus der Chemie| 60 | November 2012 | www.gdch.de/nachrichten

1118

Bezeichnung Dicke [mm] Element Atom.prozent

(gemessen) Mineralzusammensetzung (berechnet in %)

CK 18,7 Anhydrit - CaSO4 Ca 0,6 S 0,6 O 2,4 3,6

Calcit - CaCO3 Ca 20,1 C 18,7 O 56,1 94,9

OK 60,0

SK 0,6 CaK 20,7

0,1 Total 100,0 % ca. 4% ca. 95%

CK 36,6 Ton - K(Mg,Al,Fe)2(OH)2AlSi3O10 K 0,6 Fe 0,5 Mg 0,9 Al 2,2 Si 11,3 O 29,1 44,6

Calcit - CaCO3

Ca 4,7 C 4,7 O 14,1 23,5

Russ - C

C 31,9 OK 43,2 MgK 0,9 AlK 2,2 SiK 11,3 KK 0,7 CaK 4,7 FeK 0,5

3,0 Total 100,0 % ca.45% ca.23% ca.32%

Gre

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Befe

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Tab. 2. Analysenergebnisse für die Bodenbefestigung des Gefäßes.

Bezeichnung Dicke [mm] Element Atomprozent

(gemessen) Mineralzusammensetzung (berechnet in %)

Auße

n

2b 2,3

CK 18,2 Calcit - (Ca,Mg)CO3

Ca 17,2 Mg 1,0 C 18,2 O 54,6 91,0

Anorthit - CaAl2Si2O8 Ca 0,25 Al 0,5 Si 0,5 O 2,0

3,25

Quarz – Si O2

Si 0,5 O 1,0 1,5

Calciumoxid - CaO Ca 2,55 O 2,50 5,10

OK * *59,3 MgK 1,0 AlK 0,5 SiK 1,0 CaK 20,00 Total 100,0 % ca.91% ca.3% ca.1% ca.5%

2a 0,7

OK * *58,0 Anorthit - (Ca, Fe)Al2Si2O8

Ca 3,0 Fe 3,2 Al 12,4 Si 12,4 O 49,6 80,6

Quarz - SiO2 Si 4,2 O 8,4 12,6

Calciumoxid - CaO Ca 6,8 O 6,8 13,6

AlK 12,4

SiK 16,6

CaK 9,8

FeK 3,2 Total 100,0 % ca.80% ca.12% ca.13%

���

1 10,9

CK 23,9 dehydr. Ton - K( Mg,Al,Fe)2OAlSi3O10

Ca 1,3 K 1,1 Mg 1,1 Fe 1,2 Al 4,9 Si 14,4 O 41,0 65,0

Quarz - SiO2

Si 2,4 O 4,8 7,2

Calcit - CaCO3

Ca 1,3 C 1,3 O 3,9 6,5

Russ - C C 22,6

+ Löcher

OK* *48,4 MgK 1,1 AlK 4,9 SiK 16,8 KK 1,1

CaK 2,6

FeK 1,2 Total 100,0 % ca.65% ca.7 % ca.6% ca.22%

Inne

n

2a 0,7

OK* *58,2 Anorthit - (Ca,Fe)Al2Si2O8 Ca 3,0 Fe 3,7 Al 11,8 Si 11,8 O 47,2 77,5

Quarz - SiO2 Si 4,7 O 9,4 14,1

Calciumoxid - CaO Ca 6,8 O 6,8 13,6

AlK 11,8

SiK 16,5

CaK 9,8

FeK 3,7 Total 100,0 % ca.77% ca.14% ca.13%

Tab. 1 . Analysenergebnisse für die Gefäßwand. Zur Bezeichnung s. Abbildung 3 S. 1121. *Aus den Berechnungen geht hervor, dass der OK*-Gehalt größer

ist und die Gehalte der Elemente der höheren Ordnungszahl daher etwas niedriger sein sollten.

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1119Analytik BBlickpunktV

fen wurden. Die Anschliffe wurden ohne Bedampfung bei 133 Pa vermessen. Der Abnahmewinkel lag bei zirka 35 °, die Beschleuni-gungsspannung 20 kV. Die inte-gral gemessene Fläche betrug 200 µm × 200 µm, die Eindringtie-fe zwischen 1 und 2 µm; bei Spot-Messung etwa 1 µm3.

Die Genauigkeit der Messungen bei Kalibrierung mit Standardpro-ben liegt bei Elementen mit höhe-rer Ordnungszahl als Aluminium

(AlK) bei 0,1 %. Für Sauerstoff (OK) und Kohlenstoff (CK) liegt der Feh-ler im %-Bereich. Wasserstoff (H) wird nicht gemessen. Aus der Zahl der Atomprozente wurde die Zu-sammensetzung der einzelnen Mi-nerale berechnet (Tabellen 1 und 2). Dabei zeigt sich, dass der Sauer-stoff (OK*)-Gehalt etwas zu niedrig ist und damit die Kationen der Ele-mente mit höherer Ordnungszahl als Aluminium (AlK) zu hoch regis-triert wurden.

Zusammensetzung und Gestalt der Tongefäße

b Die Gestalt, Größe und Wand-stärke der Tongefäße ließ sich an Hand der Tonscherben rekonstruie-ren:1) Sie waren konisch und hatten ein Volumen von bis zu 150 L (Ab-bildung 2). Der obere Gefäßdurch-messer erreichte bis zu 60 cm, die Gefäßdicke 14,6 mm. Untersucht wurden der Gefäßrand, die Wand-stärken der Mitte und der Gefäß-fuß (Tabelle 1). Außen- und Innen-wand sind unterschiedlich dick (3,0 bzw. 0,7 mm) und verschieden zusammengesetzt. Die Zusammen-setzung dieser Schichten besteht aus Anorthit- (CaAl2Si2O8) und Calcit-(CaCO3)-Kristallen, wobei in der Außenwand die CaCO3-Kris-talle zwischen 20 und 40 µm liegen (Abbildung 3). Der Hauptteil des Keramikgefäßes (1) besteht aus er-hitztem Ton, entwässertem Glau-konit und Löchern sowie geringen Mengen an Calcit, Quarz, Rutil und Eisenoxid in Größen zwischen 2 und 10 µm.

Die begrenzende Innen- und Au-ßenwand besteht aus Anorthit (Ca-

Abb. 2. Tongefäß aus Provadiya, zirka 4500 v. Chr, Gefäßdurchmesser bis zu 60 cm, oberer

Durchmesser : unterer Durchmesser etwa 2:1. Gefäßdicke 14,6 mm, gebrannt.

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1120 BBlickpunktV Analytik

Fingerabdruck des Meerwassers

b Mit einem ultrahochauflösenden Massenspektrometer identifizierten Forscher um Boris Koch vom Al-fred-Wegener-Institut für Polar und Meeresforschung Einzelkomponen-ten gelöster organischer Stoffe (dis-solved organic matter, DOM) in Meerwasser und erhielten so einen chemischen Fingerabdruck der Pro-ben. DOM stammt beispielsweise aus Überresten toter oder Biomasse lebender Meeresbewohner. Koch hat zum Ziel, mehr über die Rolle des DOM im Kohlenstoffkreislauf zu erfahren [Nachr. Chem. 2008, 58, 387]. Die Messungen entstanden am Helmholtz-Zentrum München.www.biogeosciences.net/special_is

sue95.html

Ringversuch zur Wassergüte

b Einen Ringversuch zur Wasser-analytik starten das Umweltbun-desamt in Österreich und die Uni-versität für Bodenkultur Wien erst-mals gemeinsam. Teilnehmen kön-nen Laboratorien aus dem In- und Ausland. Durch die Kooperation kontrolliert die Prüfstelle der Uni-versität für Bodenkultur, IFA-Tulln, ab 2013 neben synthetische Was-serproben erstmals Realproben aus Grund- und Oberflächenwasser. Dabei geht es um organische und anorganische Parametern im Was-ser, darunter Herbizide, Metalle und Nährstoffe. www.ifatest.at/

www.umweltbundesamt.at/umwelt

schutz/wasser/wgev/

Graduiertenschule zu Mineralstaub

b Die Universität Leipzig und das Leibniz-Institut für Troposphären-forschung starten eine Graduier-tenschule, bei der Promovierende aus Chemie und Physik die Wir-kung von Mineralstaub in der At-mosphäre untersuchen. Die Leib-nitz-Gemeinschaft fördert das Pro-jekt mit 1,25 Mio. Euro für drei Jahre.

Beteiligt sind das Institut für Meteorologie, das Institut für Phy-sikalische und Theoretische Che-mie und das Institut für Experi-mentelle Physik der Universität. Zur der fächerübergreifenden Aus-bildung gehören Gastaufenthalte, etwa in New York, Lyon oder Man-chester.

Kurz notiert

Feldspat) und Calciumoxid bzw. Calciumhydroxid. Die Gefäßau-ßenwand ist noch mit einer 2,7 mm dicken Calcitschicht bedeckt.

Tongefäßproduktion

b Das konisch geformte, nicht ge-brannte Tongefäß bestand aus Ton-mineralien. Um es wasserdicht zu machen, wurde das Tongefäß mit Kaolinit und gelöschtem Kalk be-deckt. Der reine Kaolinit stammt wahrscheinlich aus einer in der Nä-he von Provadiya gelegenen Kaoli-nit-Lagerstätte. Die Zusammenset-zung nach dem Brennen der Gefä-ße betrug außen und innen etwa 80 % Ca(Al,Fe)2Si2O8. Damit waren die Tongefäße wasserdicht. Um sie vor mechanischen Zerstörungen zu schützen, bedeckte sie außen eine 2,7 mm dicken CaCO3-Schicht.

Zur Befestigung sind die Tonge-fäße zusätzlich mit einer Gips- und Calcit-Schicht bedeckt, wobei zur Haftung des CaCO3 zuerst eine ~0,1 mm Gipsschicht aufgetragen wurde (Tabelle 2). Die konischen Tongefäße wurden dicht gepackt aufgestellt, so dass sie in einer ver-tieften Feuerstelle annähernd eine konstante Temperatur von 70 °C für die Kristallisation erreichten.

Nach den Ergebnissen der quan-titativen Analyse der mineralogi-schen und chemischen Zusammen-setzung eigneten sich die Tongefä-ße dazu, NaCl-Kristalle aus Salzlö-sung herzustellen.

Prähistorische Steinsalzproduktion

b Die Produktion von Steinsalz dürfte während der Wärmeperi-ode vor 6512 bis vor 6160 Jahren

stattgefunden haben. Diese Stein-salzkristalle wurden gegen Gold eingetauscht. Die daraus herge-stellten Kunstgegenständen der Varnakultur (etwa 4400 bis 4100 v. Chr.) sind heute noch im Ar-chäologischen Museum in Varna zu sehen. Bei Provadiya-Solnitsa-ta liegt heute die NaCl-Quelle (Salzspiegel) der Ost-Balkan-Steinsalz-Lagerstätte in einer Tie-fe von 9 bis 20 m und liefert eine maximale Konzentration von 310g·L–1.

Anton Preisinger ist emeritierter Professor

am Institut für Mineralogie, Kristallographie

und Strukturchemie der Technischen Univer-

sität Wien. Sein Forschungsgebiet sind Kris-

tallstrukturen von Mineralien, Salzhydraten

und Biomineralen, die Kreide-Tertiär-Grenze

in Österreich, Italien, Spanien und Bulgarien.

Zudem hat er Sedimente am Schwarzen

Meer und am Bosporus untersucht.

Selma Aslanian ist Assistenzprofessorin und

hat über die Kristallchemie von Mineralien ha-

bilitiert. Sie führt mineralogische Untersu-

chungen in der Schelfzone des Schwarzen

Meeres durch und befasst sich mit der Kreide-

Tertiär-Grenze in Bulgarien und Italien.

Johann Wernisch ist außerordentlicher Profes-

sor der Arbeitsgruppe technische Physik am

Institut für Festkörperphysik der TU Wien.

Sein Spezialgebiet ist die angewandte Atom-

spektrometrie. Er ist Gründungsmitglied der

European Microanalysis Society EMAS.

Literatur

1) V. Nikolov et al., Provadiya-Solnitsata, Ar-

chaeological excavation and research,

2008, Preliminary Report, Sofia, 2009.

2) „Das Salz ist Gold. Prähistorische Salz-

produktion“, V. Nikolov (Hrsg.), Zentrum

Provadia-Solnizata, Sofia, 2010.

3) B. K. Ranguelov, V. Nikolov, 5th Congress

of Balkan Geophys. Soc., Belgrad, 2009.

4) A. Preisinger et al., Internationale Ta-

gung der European Geosciences Union,

EGU, Wien, 2011.

Abb. 3. Querschnitt durch die Gefäßwand. 1: dehydrierter Glaukonit, Löcher, geringe

Mineralmengen; 2: Dichtungsschichten der Gefäßwand: 2a innen und 2a+2b außen.

2a: Al2(OH)4Si2O5 + CaO o CaAl2Si2O8 + 2 H2O.

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