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Theoretische Grundlagen und literarische Praxis der Gruppe “Litfront”: Zum Verhältnis von...

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Russian Literature XVII (198.5) 389-424 North-Holland THEORETISCHE GRUNDLAGEN UND LITERARISCHE PRAXIS DER GRUPPE "LITFRONT" ZUM VERHALTNIS VON PROLETARISCHER UND "LINKER" KUNSTTHEORIE IN DER SOWJETUNION AM ENDE DER ZWANZIGER JAHRE HOLGER SIEGEL Ftir Hugo Huppert Aufgabe dieser Studie kann es nicht sein, eine Dar- stellung der Gruppe "Litfront" (1930) zu geben, die al- len ihren Aspekten gerecht wird. St;irker als die Mehr- zahl der literarischen Gruppen in der Sowjetunion sind Entstehung, Entwicklung und Aufliisung des "Litfront" an Bedingungen gebunden, die ausser&thetischen Ur- sprungs sind. Nicht die fiir "Litfront" signifikante Widersprtichlichkeit der Zusammensetzung und Programma- tik bildet die Ursache fiir die Kurzlebigkeit der Grup- pet sondern primsir die literaturpolitische Situation, in der sie sich konstituiert. Voraussetzung jeder Un- tersuchung dieser Gruppe miisste daher die historische Rekonstruktion der allgemeinen politischen und beson- deren literaturpolitischen Verhzltnisse der Jahre 1928-1930 sein. Die innerparteilichen K%npfe dieser Jahre bilden gewissermassen die Folie, auf der die Ge- schichte des "Litfront" und seiner Gegner zu schreiben w8re: die im September 1928 ausgegebene politische Lo- sung "Bor'ba na dva fronta" (vgl. Pravda vom 15.9.1928) bestimmt seit 1929/1930 such die literaturpolitische Linie der gri3ssten proletarischen Schriftstellerorga- nisation RAPP und deren Verh;iltnis zur Gesamtheit der zu dieser Zeit bestehenden literarischen Gruppen. Die Aufarbeitung dieser manifesten Parallelentwicklungen steckt noch in den Anfgngen; von daher muss jede Aus- einandersetzung mit "Litfront" im gegenwzrtigen Moment notwendig Annsherung bleiben. Die folgenden Ausfiihrun- gen beanspruchen fiir sich somit such nicht mehr als die Qualitgt einer Skizze dieser sowohl in literatur- politischer als such in theoretisch-kiinstlerischer 0304-3479/85/$3.30 01985 ElsevierSciencePubli&ersB.V.(North-Holland)
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Russian Literature XVII (198.5) 389-424 North-Holland

THEORETISCHE GRUNDLAGEN UND LITERARISCHE PRAXIS DER GRUPPE "LITFRONT"

ZUM VERHALTNIS VON PROLETARISCHER UND "LINKER" KUNSTTHEORIE IN DER SOWJETUNION AM ENDE DER ZWANZIGER JAHRE

HOLGER SIEGEL

Ftir Hugo Huppert

Aufgabe dieser Studie kann es nicht sein, eine Dar- stellung der Gruppe "Litfront" (1930) zu geben, die al- len ihren Aspekten gerecht wird. St;irker als die Mehr- zahl der literarischen Gruppen in der Sowjetunion sind Entstehung, Entwicklung und Aufliisung des "Litfront" an Bedingungen gebunden, die ausser&thetischen Ur- sprungs sind. Nicht die fiir "Litfront" signifikante Widersprtichlichkeit der Zusammensetzung und Programma- tik bildet die Ursache fiir die Kurzlebigkeit der Grup- pet sondern primsir die literaturpolitische Situation, in der sie sich konstituiert. Voraussetzung jeder Un- tersuchung dieser Gruppe miisste daher die historische Rekonstruktion der allgemeinen politischen und beson- deren literaturpolitischen Verhzltnisse der Jahre 1928-1930 sein. Die innerparteilichen K%npfe dieser Jahre bilden gewissermassen die Folie, auf der die Ge- schichte des "Litfront" und seiner Gegner zu schreiben w8re: die im September 1928 ausgegebene politische Lo- sung "Bor'ba na dva fronta" (vgl. Pravda vom 15.9.1928) bestimmt seit 1929/1930 such die literaturpolitische Linie der gri3ssten proletarischen Schriftstellerorga- nisation RAPP und deren Verh;iltnis zur Gesamtheit der zu dieser Zeit bestehenden literarischen Gruppen. Die Aufarbeitung dieser manifesten Parallelentwicklungen steckt noch in den Anfgngen; von daher muss jede Aus- einandersetzung mit "Litfront" im gegenwzrtigen Moment notwendig Annsherung bleiben. Die folgenden Ausfiihrun- gen beanspruchen fiir sich somit such nicht mehr als die Qualitgt einer Skizze dieser sowohl in literatur- politischer als such in theoretisch-kiinstlerischer

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Hinsicht singulgren Erscheinung innerhalb des Gesamt- zusammenhanges der friihen sowjetischen Literatur. Sie konzentrieren sich fast ausschliesslich auf die Frage des Zusammenhanges von literarischer Theorie und Pra- xis und deren VerhBltnis zu nichtproletarischen Lite- raturtheorien in den Jahren 1929-1930.'

Geschichte und Bedeutung des "Litfront" kijnnen nur angemessen beurteilt werden, sofern man ihn historisch, methodologisch und kiinstlerisch im Spannungsfeld von nachrevolutionzrer "linker" Literaturtheorie und pro- letarischer Literaturbewegung in der Sowjetunion be- trachtet. Fiir keine andere literarische Gruppe zwischen 1917 und 1932 ist diese Dialektik kennzeichnender und von grijsserer theoretischer und praktischer Tragweite gewesen. Die Analyse des Verhgltnisses von "Litfront" zu der nachrevolution$ren Kunst- und Literaturtheorie derjenigen Richtung, die in der westeurop5ischen For- schung zumeist unter dem globalen und diffusen Begriff der "Avantgarde" subsumiert wird, d.h. zum Futurismus in seinen verschiedenen Entwicklungsetappen, beschrznkt sich zwar auf einen Teilbereich der Arbeit des "Lit- front", sie kann jedoch in gewissem Sinne fiir eine ty- pologische Beschreibung und Klassifizierung der Gruppe reprzsentative Bedeutung beanspruchen. Die vorliegende Themenstellung kann zum Ausgangspunkt einer alle As- pekte des "Litfront" umfassenden Darstellung genommen werden, da sich in ihr in paradigmatischer Weise - gleichsam monadologisch - die Totalit;it seiner Positio- nen widerspiegelt.

I

In einem cberblick iiber die Entwicklung der sowjeti- schen Literatur im ersten nachrevolution%ren Jahrzehnt sieht der Literaturhistoriker und Kritiker P.S.Kogan die Phase der Jahre 1927-1928 nur mehr von zwei diver- gierenden stilistischen Tendenzen geprigt: dem Futuris- mus und dem Realismus in ihren institutionellen Formen Lef und RAPP (bzw. VOAPP).' Wenig spster erklfirt der Kritiker N.Berkovskij (RAPP) von durchaus divergieren- den Positionen aus, RAPP und Lef seien die die litera- rische Szenerie bestimmenden Gruppierungen, ihre Kon- troverse um die grossen epischen Formen der zentrale literarische Streitpunkt in der sowjetischen Litera- tur.3 Fiir beide Autoren stellt sich das VerhXtnis zwi- schen RAPP und Lef als Antinomie dar, fiir beide verk&- pert Vladimir Majakovskij Charakter, Geschichte und Perspektive des nachrevolution%zeh Futurismus. Die Re- levanz des Lef wird fiir sie vorwiegend durch das Werk Majakovskijs garantiert, seine Wichtigkeit such im ge-

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genwzrtigen Moment mit dem Hinweis auf Majakovskijs kiinstlerische Methode begriindet.

Beide Stimmen sind nicht als reprssentativ fiir das Majakovskij-Bild der zwanziger Jahre zu betrachten. Unter dem Einfluss des Vulgzrmaterialismus in der Li- teraturwissenschaft, der das literaturtheoretische Denken beherrschenden Methode und ihrer durchggngig soziologischen Betrachtungsweise von Autor und Werk gilt Majakovskij noch bis zu Beginn der dreissiger Jahre vielfach als ein zwar durch seine literarische Praxis ausgewiesener revolution%er Schriftsteller, zugleich aber als nichtproletarischer Autor nach Her- kunft und literarischer Tradition., In der literaturpo- litischen Terminologie der RAPP figuriert Majakovskij als "linker Mitlzufer", als Reprssentant der mit dem Proletariat "verbiindeten" kleinbiirgerlichen kiinstleri- schen Intelligenz, dessen literarische Theorie und Praxis nicht die Qualitzt eines Paradigmas fiir die proletarische Literatur beanspruchen kann. Anl;isslich des Todes von Majakovskij im April 1930 veraffentlicht das oberste FGhrungsgremium der RAPP, das Sekretariat, einen Nachruf, in dem es heisst:

3HaseHHe Bnagmmpa MaRKOBCKOrO B HCTOpnU peBOJIL0~PiOHHOfi

no33un, B nponeTapcKofi 6opb6e orpo~ko . . . OH c nepsbnr

AHeZi nponeTapcKofi peBonioqnn cTa.n ee com3miKoM, nonxB,

Z~TO nognnwibnsi nyTb yHnsToxenwi nom.nocTn, rHnnn Ii qa3x

6ypxya3Horo MkIpa BcTb nyTb nponeTapcKoG peBonmqan . . .

Becb nO3TWIeCKH8 IIyTb MaRKOBCKOrO 6bm nyTeM BCe 6onb-

mere N donbmero npn6nmeHnrr K peBonKqnn . ..HeT COMHe-

HWH B TOM, 9TO BC.mi 6~ n03T OCTaJICR XPiTb, OH CMOr 6bI

IIpeO,4OJIeTb Te n3'bRHbl B er0 TBOp'leCTBe, ICOTOpble 66Lnn

pe3ynbTaToM nenonHor0 ycBoeHnsz w4poB033peHnx nponeTa-

pwara. OH cMor 6~ BMecTe co BceZi nponeTapcKoG nnTepa-

TypOI? CTpOnTb ananeKTnKo-MaTepwannwcTn~ecKnG TBOpqeCKdi

MeTop ) KOTOpblfi JJa.Jl 6~ nO3Ty BOBMOXCHOCTb OXBa$TnTb B

CBOeM TBOpseCTBe BCl0 HalUy ~e%.ZTBnTeJIbHOCTb.

Diese von Vorbehalten geprzgte Stellungnahme, deren Giiltigkeit fiir das Sekretariat der RAPP iiberdies durch Majakovskijs pers6nliches Schicksal bestztigt wird - im Nachruf wird sein Freitod als Ausdruck eines rudi- ment;iren Individualismus interpretiert - weitet sich in der folgenden Zeit zum Anlass fiir die prinzipielle Diskussion des politischen und kiinstlerischen Verh;ilt- nisses von "linker" und proletarischer Kunstbewegung aus. Die Debatten beginnen unmittelbar nach dem Tod des Dichters; in ihrem Verlauf treten die gegensstzlichen Positionen such innerhalb der RAPP, die spstestens seit dem Mai 1928, dem Zeitpunkt des "Pervyj vsesojuz-

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nyj s"ezd proletarskich pisatelej", virulent sind, in aller SchBrfe zutage. Einer der wichtigsten Ausgangs- punkte dieser seit April 1930 zunehmend intransingen- ter gefiihrten Kontroversen, die im August 1930 zur Griindung des "Litfront" fiihren, ist die unterschiedli- the Haltung gegeniiber Majakovskij.

Einen Tag nach Majakovskijs Tod gibt die Literatur- naja gazeta eine Sondernummer heraus, die neben Nach- rufen von Mitgliedern des ehemaligen Lef (P.Neznamov, V.Katanjan, N.Aseev, S.Kirsanov, A.Rodcenko, B.Kusner) fast ausschliesslich Texte von Autoren enth;ilt, die entweder aus literaturpolitischen oder ssthetischen Griinden in eindeutiger Opposition zu den Fiihrungsgre- mien der RAPP stehen. Zu diesen geharen die Literatur- wissenschaftler und Kritiker I.Bespalov, M.Gel'fand, A.Zonin, die Schriftsteller G.Kis, M.Kol'cov sowie die Kulturfunktion&e P.Kerzencev und F.Kon. Gegeniiber der Fiille von Stellungnahmen von Autoren, die das Werk Majakovskijs fast vorbehaltlos der proletarischen Li- teratur als Vorbild empfehlen und in Majakovskij - laut sp;iterem Kommentar von L.Averbach, V.Sutyrin und F.Panferov' - den "'stoprocentnogo', 'obrazcovogo', 'ideal'nogo revoljucionera', 'voHdja', 'Zeleznogo stolba proletarskoj literatury'" erblicken, sind die Erklgrungen der Leitungsorgane der RAPP eindeutig un- terreprzsentiert - offensichtlich das Ergebnis der Re- daktionspolitik von B.Ol'chovyj, Redaktionsleiter von Literaturnaja gazeta und dezidierter Gegner der RAPP- Leitung.6 Lediglich A.Selivanovskij, fiihrender Theore- tiker der RAPP auf dem Gebiet der proletarischen Dich- tung , verzffentlicht in dieser Sonderausgabe einen Beitrag.

Die hier erschienenen Stellungnahmen lassen in ih- rer Gesamtheit eine Tendenz erkennen, gegen die Aver- bath, Sutyrin und Panferov in ihrem genannten Artikel das Postulat der Formulierung ideologie-kritisch ver- mittelter Kriterien fiir eine historisch reflektierte Rezeption des Erbes Majakovskijs erheben7 und das sie als Korrektiv zur uneingeschrgnkten Propagierung der kiinstlerischen Methode Majakovskijs interpretieren, wie sie Zonin in seinem Beitrag formuliert hatte:

&XX Hat - OH [SC. Majakovskij, Hs] XHBOZ~ Bomb JJeticTBeH-

HOI? JlliTepaTypbl, TO# JlliTf2paTyphl, KOTOpaR 0npenemeT CBOri

MeToR, coaepxamie, TeMaTuKy M &OpMy IlpaKTHKOh peBOJUOI&U-

oH~or0 pa6orrero Knacca. '

Ebenso gilt der Artikel von Averbach, Sutyrin und Pan- ferov der Korrektur eines Majakovskij-Bildes, in dem hinter der Praxis und Theorie des revolution2ren Kiinst-

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lers die ideologischen, biographischen und Bstheti- schen Widersprfiche und Gegensztze verschwinden, wie es nach ihrer Meinung in Bespalovs Artikel der Fall ist:

BceM CBO~ npegbIjqyqm4 nyTeM MasKoBCKEl~ 6b~n IIo~roTOBneH

K TOMy, qT06bI BCTaTb B pFfJ&bI peBOJIIOLWM, OTAaTb BCH) CBOHI

“BBOHKyIO CHJIy aTaKymlqeMy KJlaCCy”. 9

Zwar bezeichnen such die Kritiker der RAPP Majakovskijs Werk als in der Beziehung "vorbildlich" nicht nur fiir die revolutionsre, sondern such fiir die proletarische Literatur, als er die von der RAPP ausgegebene Losung des "Odem'janivanie po5zii" weitgehend realisiert und somit der Forderung der "Bol'gevizacija proletarskoj literatury" korrespondiert," jedoch kijnnen diese Er- klsrungen nicht die prinzipiellen Gegensztze zwischen der kiinstlerischen Methode der RAPP und Majakovskijs verdecken: Majakovskijs Eintritt in die RAPP im Febru- ar 1930 indiziert keine methodische Neuorientierung der gegensgtzlichen Positionen in Hinblick auf das Verh;iltnis von Begriff, Gegenstand und Form der dialek- tisch-materialistischen Kunstmethode. Die Reaktionen der RAPP-Kritik auf Majakovskijs dramatische Werke der Jahre 1929-1930," vor allem aber der Umstand, dass die unterschiedlichen Haltungen der RAPP und der Oppo- sition - zu diesem Zeitpunkt noch innerhalb der RAPP - zu Majakovskij die Kontroversen in entscheidendem Masse verschgrfen, belegen vielmehr das Gegenteil.

Die Gegensfitze der Opposition zur primsir soziolo- gisch-ideologisch begriindeten und verfahrenden Inter- pretation Majakovskijs seitens der RAPP entspringen einem prinzipiell divergierenden Ansatz. In deutlicher Anspielung auf die ersten Erklgrungen der RAPP nach Majakovskijs Tod schreibt G.GorbaEev, bereits seit Mit- te der zwanziger Jahre einer der Protagonisten der Op- position gegen die Leitung der RAPP, im Leitartikel der Eintagszeitung (Odnodnevnaja gazeta) der leningra- der Abteilung der Federacija ob"edinenij sovetskich pisatelej (FOSP):

He o TOM, Ha CKOJ-IbKO MeTpOB “KOJWleCTBa~ OTCTORIII MafIKOB-

CKHfi OT Ka’leCTBa llpOJleTapCKOr0 n03Ta II qT0 IlMeHHO Iieo6-

XOjJkWlO 6~0 AOnOnHUTb qbliM?.i-TO COBeTaMW B er0 ~eOJlOrUH

A Xy~OXeCTBeHHOM MeTORe, rITO6bl OH CTaJl C sbei+TO TOUKII

SpeHHR 6eSyKOpH3HeHHbIM - He 06 3TPiX T@U3&iDlX BO??~CCXC, a

0 COuaJlbHO-nCUXOJlOrU=leCKO~ 3aKOHOMepHOCTW pa3BUTUR TBOp-

rlecTBa aenmahero n03Ta nameii peBonmqm, 0 ny~n %03Ta-

COlo3HnKa” OT PiH~BtrpyaJIUCTH’leCKOrO aHapXEi3Ma K MaKCkiMaJlb-

HOMy npa6mmenum K 60nbmeB$SMy 14 nosa,L(qa 6ygyT nHCaTb Teo-

peTIlK= elQe AOJll-0 W MHOrO.

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Analog schreibt der Literaturwissenschaftler und Kri- tiker A.Kamegulov:

OH He Bnaqen BnonHe MeToaaMw gnaneKTmecKor0 MaTepwamis-

Ma. Ho gopora, KOTOpYM OH BLd6&XlJl K OBJIaAeHHlo BTHM l-pO3-

H~IM opyxtien nponeTapaaTa, Bceraa ae&TseHHan, nybnwywc- TNVecK&i HanpasneHHaR n033m 6bma KpaTsatiimeir ~~oporofi no- CaTeJIR, ILJlaMeHHO ?KeJfaBlUeI’O C.JlyXGiTb CBOWM TBOp=leCTBOM

nponeTapcrco5 peBonIoqHu. 13

Fiir Bespalov, GorbaEev und Kamegulov ist hiernach al- lein eine Form der Auseinandegsetzung mit Majakovskij produktiv, die nicht auf der Uberprgfung des Masses an Ubereinstimmung mit einem normativen und dogmati- schen Begriff proletarischer Ideologie und Literatur basiert, sondern ihren Erklzrungsansatz unmittelbar aus der Struktur des Werkes Majakovskijs in seinem Entwicklungsprozess ableitet und dessen ssthetische Merkmale und Besonderheiten mit Entwicklung und Erfor- dernissen des 5konomischen, sozialen und politischen Prozesses in Beziehung setzt. A.Kamegulov hat diesen Interpretationsansatz auf die kiirzeste Formel gebracht, als er schrieb:

B.MafIKOBCKdi 6m HaCTORQLiM lT03TOM peBOJllO~EiFi, nOTOM)’ VT0

CyMeJI, KY? HeMHOlWe, IIOHRTI, 3aRasU peBOJIlOlJUOHHOr0 MC-

KYCCTBa.

Die richtungweisende Bedeutung der Dichtung Majakov- skijs fiir die proletarische Literatur liegt nicht al- lein in der von ihr vollzogenen Destruktion des "Ka- nons der bfirgerlichen xsthetik" und der Poetik ("On - veliEaj3ij reformator russkogo stichosloZenija"),15 sondern prim& in der revolution%ren Versnderung der Funktionen der Kunst.

Die Auseinandersetzung mit Theorie und Praxis Maja- kovskijs bietet der Opposition Anlass, ihre Konzeption von Gegenstand, Form und Funktion der Literatur, die sie seit dem Herbst 1929 erstmals in zusammenhzngender Form dargelegt hatte, zu iiberpriifen und zu erweitern. Hatte das Werk Majakovskijs ohnehin von Beginn der %s- thetisch-kiinstlerischen Opposition - neben der litera- turpolitischen - innerhalb der RAPP an einen wichtigen Stellenwert fiir die Formulierung eines Gegenprogramms eingenommen, so erlangt es seit dem Friihjahr immer stsrker eine Schliisselstellung fiir das kiinstlerische SelbstverstZndnis des sp;iteren "Litfront". Die einzige kiinstlerische Programmschrift der Opposition, das Ma- nifest "Protiv Eego i za Eto my boremsja",16 fiihrt ausser Namen und Texten proletarischer Autoren ledig-

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lich zwei revolution&e Schriftsteller an: Boris Kus- ner und Majakovskij. Wenig sp;iter erkl;irt w;ihrend ei- ner Plenumssitzung des Sekretariats der VOAPP der Ly- riker und Dramatiker A.Bezymenskij dem Sitzungsbericht zufolge:

A.&3bIMeHCKHfi ynpeKaeT PYKOBOJJCTBO PAnn B BegeHnw 6opb6bI

C FiCTUHHblMU npeaCTaBHTeJWlMH peBOJllO~UOHHOr0 HCKyCCTBa -

~fi3eHIUTefiHOM, 3pMJIepOM, MaRKOBCKUM, MefiepXOnbAOM, Be3bl-

MeHCKHM U B nOJlHTMKe 3aMaJWUBaHUx n0 OTHOUIeHHlO K MaxKOB-

CKOMY. 13

Przziser noch hat der Kritiker A.Gorelov die Bedeutung Majakovskijs fiir die Opposition formuliert, als er in seinem Diskussionsbeitrag w%hrend"der III.Gebietskon- ferenz der LAPP im Mai 1930 sagt:

Bbl 3HaeTe, rIT0 HMR MaffKOBCKOrO HanHCaHO Ha TOM TeOpeTH-

ZIeCKOM 3HaMeHH, nOg KOTOpbIM Mbl 60peMCR. Ha 3TOg KOH$epeH-

qIlM CO CTOPOHHMKaMU "~e~CTBHTeJlbHOr0 CaMOaHa.lIH3a".18

II

1st diese Berufung der Opposition bzw. des "Lit- front" auf Majakovskij methodisch.und poetologisch ge- rechtfertigt? Inwieweit korrespondiert ihr Literatur- begriff mit dem Werk vor allem des Majakovskij in der Endphase der zwanziger Jahre ? Die Beantwortung dieser Frage setzt die Untersuchung der Zsthetischen Program- me der Opposition und Majakovskijs unter dem Aspekt ihrer mijglichen Differenzen als such ihrer ebereinstim- mungen in methodologischer Perspektive voraus. Nur auf diesem Wege lzsst sich iiberpriifen, inwieweit die Kri- tik der RAPP, die Opposition stehe auf den Positionen der Lef," gerechtfertigt ist. Auf Grund der konkreten Gattungs- und Funktionsbestimmungen der proletarischen Literatur seitens des "Litfront" scheint diese Klassi- fizierung zun%hst nicht unbegriindet zu sein, zumal wenn man berccksichtigt, dass Majakovskij selbst Bezy- menskijs VerskomEdie "Vystrel" als Fortsetzung der von S.Tret'jakov, V.Kirson (mit dem Agitationsstcck "Rel'- sy gudjat") und ihm selbst begriindeten Traditionslinie des satirisch-agitatorischen Dramas betrachtet hat:

3TO - nyTb 6opb6hl npOTEiB "nCUXOJlOXeCTBa", "pOMaHTWieCKO-

r0 CJIMHTfifiCTBa", "KaMepHOCTU", %CKpLdTHR" BHYTPeHHel-0 MU-

pa rlenoBeKa, nyTb HCnOJlb30BaHUR TeaTpOM B qeJlRX KJIaCCO-

BOfi 6opb6bl- sa TeMnbI, 38 y~apHOCTb,

CTpOUTeJlbCTBO,

38 cg~na.micTmecKoe 38 noKa3 ceroaHxmHer0 ,~HR.

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Mit Hilfe methodologisch-theoretischer Analysen verschiedener gsthetischer Systeme kann ermittelt wer- den, inwieweit es sich bei "Litfront" wn eine kiinstle- rische Gruppierung handelt, deren Programm strukturel- le Homologien zur nachrevolution%?en "linken" Kunst aufweist und die deshalb dieser zuzurechnen w;ire, ob es sich bei "Litfront" urn eine Gruppe handelt, auf die das Merkmal des "Eklektizismus" und der "Prinzipienlo- sigkeit"" zutrifft, oder ob es sich lediglich urn letztlich susserliche Divergenzen, um theoretische und praktische Varianten innerhalb der such von "Litfront" als verbindlich akzeptierten "dialektisch-materialis- tischen Kunstmethode" der RAPP handelt.

Von der Lijsung dieser Frage hzngt such die Mag.lich- keit der praktischen cberpriifung der literaturpoliti- schen Implikationen und Folgen der Kontroversen zwi- schen RAPP und "Litfront" ab; die theoretische Analyse kann zeigen, ob es sich bei der Parallelisierung der Programme der revolution%ren, "linken" Kunst und des "Litfront" lediglich um ein strategisches Argument im literaturpolitischen Kampf gehandelt hat; Opposition und "Litfront" haben wBhrend des gesamten Zeitraums ihrer Existenz durchgsngig auf ihrer Qualifizierung als sog. "schbpferische Gruppe innerhalb der RAPP" in- sistiert und die Zulgssigkeit, aus kiinstlerischen Di- vergenzen politische Folgerungen zu ziehen, strikt be- stritten. Indem RAPP die Opposition in die Nzhe der kiinstlerischen Strijmungen der linken kleinbiirgerlichen Intelligenz Futurismus und Konstruktivismus riickt, kann sie ihr tendenziell die Qualit;it einer genuinen prole- tarischen Schriftstellerorganisation absprechen. Damit ist es der RAPP in der Konsequenz mijglich geworden, fiber "Litfront" auf der Ebene einer literaturpoliti- schen Vereinigung zu verhandeln, seine Programmatik als Abkehr von der verbindlichen "Generallinie" der proletarischen Literatur zu interpretieren und somit die organisatorische Bildung des "Litfront" als lite- raturpolitische Fraktionstfftigkeit zu charakterisieren - was die Grundlage fiir die erzwungene Auflcsung die- ser Gruppe gebildet hat.

Ebenso wie die Entstehung des "Litfront" als Orga- nisation ist die Genese seiner theoretischen Grundla- gen das Resultat eines langen und widerspriichlichen Entwicklungsprozesses. Der endgiiltigen Konstituierung der Gruppe im August 193022 geht eine iiber Jahre sich erstreckende Phase der theoretischen Selbstverstsndi- gung der Opposition voraus. Die MGglichkeiten einer einheitlichen Programmbildung werden dariiber hinaus dadurch erschwert, die Opposition zugleich in sich

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selbst noch uneinheitlicher, dass die urspriingliche Oppositionsbewegung urn Gorbacev, Bezymenskij und Rodov sich einerseits mit einer Gruppe von Literaturwissen,- schaftlern des "Institut Krasnoj Professury" und der "KommunistiEeskaja Akademija" verbindet, die ihre Kon- zeption unter dem direkten oder vermittelten Einfluss U.F.Pereverzevs, des massgeblichen vulggrmaterialisti- schen Literaturtheoretikers neben U.M.FriEe, ausarbei- tet und andererseits Kontakt zu einer Reihe von Mitar- beitern der literaturwissenschaftlichen Abteilung der "Rossijskaja associacija naucno-issledovatel'skich in- stitutov" (RANION) aufnimmt. Diese Koalitionspolitik der Opposition hat zwar zu einer gewichtigen Erweite- rung der quantitativen Basis gefiihrt, gleichzeitig aber ihre Ausgangsposition komplizierter gestaltet, weil sich hier die Notwendigkeit - in Hinblick auf die Ausarbeitung einer gemeinsamen theoretischen Basis im Widerspruch zur RAPP - ergeben hat, durchaus divergie- rende Ansztze in einer einheitlichen und verbindlichen Richtung zu synthetisieren.

Diese Synthese ist offensichtlich nicht gelungen. Der Zeitpunkt, zu dem sich die Gemeinsamkeit der kri- tischen Einw;inde und Uorbehalte verschiedener Richtun- gen gegeniiber der RAPP deutlicher herauszubilden be- ginnen (Friihjahr bis Herbst 19291, ist zugleich die Phase, in der die Gegens;itze dieser verschiedenen Richtungen innerhalb der Opposition klar zutage treten. Der Prozess der gleichzeitigen Ann;iherung und Abgren- zung der beiden wichtigsten theoretischen Strijmungen innerhalb der Opposition wird vor allem durch die Kon- troversen um die Theorie Pereverzevs beschleunigt. Die im Uerlauf dieser Debatte, die bis in den Winter 1929- 1930 reicht, entstehende Koalition der angedeuteten Richtungen ist somit eindeutig literaturpolitischer Natur; fiir ihr theoretisches Uerhsltnis ist hingegen das Moment der Divergenz kennzeichnend, das in der Po- lemik zwischen Bespalov, Zonin und Gel'fand, den Re- przsentanten der Pereverzev-Gruppe, und GorbaEev, dem Protagonisten der zweiten bestimmenden Richtung in "Litfront", zum Ausdruck kommt. Bespalov bezeichnet im Mai 1929 die Position, von der aus Gorbacev - einer der Initiatoren der Pereverzev-Debatte, jedoch in deut- lither Distanz zur Kritik der RAPP - Pereverzev kriti- siert, als "gereizten Eklektizismus".23 Ebenso bezeich- net Gel'fand Gorbazev wenig spBter als "halben Mecha- nist, halben Formalist, halben Idealist und vollst8n- digen Eklektiker".24 Umgekehrt qualifiziert GorbaEev die von Bespalov auf Grund seiner N;ihe zu Pereverzev vertretene Position als "literaturwissenschaftlichen Men'Sevismus".25 Auch als die Auseinandersetzungen zwischen RAPP und Opposition im Februar 1930 nach der

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I.Gebietskonferenz der MAPP in ein neues Stadium tre- ten und in der Resolution der Konferenz zum ersten Ma1 konkret der Ausschluss der Opposition aus der RAPP er- wogen wird,26 bleibt das Verh;iltnis zwischen den bei- den theoretischen Richtungen zwiespzltig: auf die kurz zuvor veraffentlichte Selbstkritik Bespalovs, Gel'fands und Zonins in der Erklsrung "Za kommunisticeskuju kri- tiku", in der sie sich von Pereverzev distanzierten,27 reagiert Gorbazev zuriickhaltend:

Xom 3Ta KpHTnKa neaocTaTosHa B caoefi pemMTenbnocTM w

nocne~oBaTenbnocTH, Bee xe 0Ha 3acTasnxeT BCRKO~O Maprc- cncTa no-HoBoMy pacqeHwTb TenepemmoIa MeTo~onormecKym

n03~qum BTWX TosapsqeZi, qqenaamwx HaKoHeq 6ecnoaopoT-

lidi mar K pa3pblBy C MeHbmeBUCTCKOfi MeTO~OJlOrUe~ B.#. Bepesep3esa.2a

Bleiben also im Bereich der Literaturtheorie die Diver- genzen zwischen beiden Richtungen such nach der Bildung ihrer von der RAPP als "Block" apostrophierten Koali- tion bestehen, (zumindest haben beide Richtungen seit dem Friihjahr 1930 ijffentlich keine Diskussionen in die- sem BereAch mehr qefiihrt), so erzielen sie jedoch weit- gehende Ubereinstimmung in Fragen der Entwicklungsper- spektiven der proletarischen Literatur unter den Bedin- gungen der Rekonstruktionsperiode bereits zu Beginn des Jahres 1930. W;ihrend des Aufnahmeverfahrens der Pere- verzev-SchXer in die RAPP Anfang 1930 werden dieseu.a. nach ihrem Verhzltnis zu den "verschiedenen literatur- politischen Gruppen" innerhalb der RAPP befragt. Laut Darstellung des Sekretariats der RAPP vom Oktober 1930 ;iussern sich Bespalov, Zonin, Gel'fand und andere in folgendem Sinne:

B OTBeT Ha 3TOT BOl-IpOC TOBapPQH 3aRBHJIH, rIT0 OHH "KOH-

CTaTEipyIOT &OpMElJlbHOe COBIIEl&eHIle HX TBOpqeCKHX nO3yHrOB

C TBOpreCKPiMH no3yHraMEi CTaTbA rop6aseBa [gemeint ist

der Aufsatz "0 nyTrrx nponeTapcKok nHTepaTypd', in: Y&p 3a ydapa~. Y&p Bmopofi, M.-L.1930, 177-218 - HS] npa odaefi c ~YKOBORCTBOM PAIIB oueHKe nuTepaTypHo-nonwTwse-

cKofi nwiwi rpynnbl ~08. ropdasena . . . w2g

Die relative Homogenitst des "Litfront" wird diesen Aussagen zufolge im wesentlichen iiber die IdentitBt der kfinstlerischen Postulate vermittelt. Die nhhere Untersuchung der theoretischen Grundlagen dieser Grup- pe zeigt jedoch, dass beide Richtungen ungeachtet der Betonung des Moments wechselseitiger Abgrenzung im theoretische: Grundlagenbereich such hier ein bestimm- tes Mass an Ubereinstimmungen aufweisen und von daher

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Litfront

Theorie und Praxis des "Litfront" gleichermassen zu pr;igen vermochten.

Fiir die methodologisch-theoretischen Positionen der Pereverzev-Gruppe seit Anfang 1930 ist der Versuch der kritischen Distanzierung von den Anschauungen ihres ehemaligen Lehrers kennzeichnend. Am deutlichsten aus- geprggt ist er in den Arbeiten Bespalovs, der seit En- de 1929 eine begriffliche Erweiterung des Kategorien- systems Pereverzevs vornimmt; auf dem Wege der Diskus- sion der Begriffe "Methode", "Gattung" und "Ideal" be- absichtigt er die Relativierung der universalen Kate- gorie "Stil" bei Pereverzev und damit zugleich eine nichtdeterministische ErkCirung des Verhzltnisses von "materiellem Sein" und Ideologieformen, ohne hierbei jedoch auf die fiir den VulgZrmaterialismus ausschlag- gebende sozialpsychologische Fundierung der Stilkate- gorie zu verzichten.

In einer seiner grundlegenden Fragen der materia- listischen Literaturtheorie gewidmeten Arbeiten hatte Pereverzev geschrieben:

B OnpeAeSleHHOfi COquaJIbHOti JJefiCTBuTeJlbHOCTU Heu36emHo

CKnaJqdBamTCR 0npeneneHHbIe 06pa3wxapaKTepbI, cBR3b KOTO-

pbIX 3aKOHOMepH0. OTCIOAa neTepMUHUpOBaHHOCTb XyAOZCeCTBeH-

HbIX CTpYKTYp. EJJHHO~~ CO~Pi~bHOfi fJefiiTBWTeJlbHOCTbK1 POX-

JJeHHbIe CTpYKTYpbI o6pa3ymT BJJUHCTBO, TO, rIT0 Ha3bIBaeTCFI

CTUJIeM. B CTUJIe W 06HapqrRtUBaeTCfi JJeTepMUHUpOBaHHOCTb,

orpaauseaue, OTCyTCTBue llpOU3BOJla B C@epe UCKyCCTBa . . .

3TOT CTUJIb He RBJlReTCfi TOJlbKO UHAUBUJJYaJIbHbIM AOCTORHU-

eM, He 3ammaeTcR npeaenami TBopsecTBa 0,qHoro nucaTenH

. . . CTU.JIb RBJVIeTCII XYROJKeCTBeHHbIM 3KBHBaJleHTOM COqUZLIIb-

HOri 3aKOHOMepHOCTU. 30

Aus der Definition des Begriffs "Stil" als ein gesell- schaftlich bestimmtes, in sich widerspruchsfreies und kohgrentes Bildsystem, das fiir das Werk eines Schrift- stellers und weitergefasst fiir ganze literarische Stil- formationen (Epochen) verbindlich ist, resultiert jenes objektivistische Model1 des Verhsltnisses von "Darge- stelltem und Darstellendem",31 das in Pereverzevs Kon- zeption das kiinstlerische Subjekt auf die ssthetische Vergegenstzndlichung der vorgefundenen Bedingungen sei- ner sozialen Wirklichkeit restringiert. Die materiellen Verhsltnisse der Ursprungsklasse des Kiinstlers determi- nieren unmittelbar - vermittelt iiber die allein und spezifisch der Kunst vorbehaltene Form ihrer Reproduk- tion, das kiinstlerische Bild - nicht nur die Mbglich- keiten und Grenzen der Auseinandersetzung des Kiinst- lers mit der Wirklichkeit, sondern such den Gegen- stands- und Aufgabenbereich der historisch-materialis-

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400 Holger Siegel

tischen Reflexion iiber Literatur. Da das Hauptstruktur- element der Literatur - das Bild - nur direkt aus dem Produktionsverh$ltnissen abgeleitet werden kann, nicht aber aus dem vermittelten Zusammenhang der eine Ein- heit bildenden ideologischen Formen einer gesellschaft- lichen Epoche, kann als Gegenstand der Literaturwissen- schaft such nicht eine konkrete, in Bezug auf das Sys- tem der ProduktionsverhXtnisse fiir Pereverzev ledig- lich sekundgre "Idee" betrachtet werden; ihre Aufgabe besteht in der Untersuchung von "Bildsystemen", nicht von "Ideensystemen" (Ideologien). Letztere sind der Literatur akzidentiell und kannen allein in ihrer spe- zifischen Transposition in das kiinstlerische Bildsys- tern Geltung fiir die Literaturwissenschaft erlangen,

Diese eigentiimliche Symbiose von soziologistischer und %thetischer Betrachtungsweise impliziert die strikte Konzentration der Literaturwissenschaft auf den gsthetischen "Wert" der Kunst und die Negation der bewussten ideologischen 'Parteinahme": als unmittelba- re "Folge" der produzierenden TBtigkeit der Menschen kann Kunst nie antizipatorischen Charakter haben noch kann sie bewusst instrumentalisierte Form des ideolo- gischen Klassenkampfes sein, (sofern sie nicht ihren ssthetischen "Wert" verlieren ~0111, sondern bleibt immer auf den Status eines reproduzierenden VerhBlt- nisses gegeniiber der Wirklichkeit verwiesen.

An die Revision dieses methodologischen Modells setzt Bespalov an. Die Erkl;irung "Za kommunisticeskuju kritiku" von Bespalov, Gel'fand und Zonin geht beson- ders auf die erkenntnistheoretische Problematik der Konzeption Pereverzevs ein:

HacTausaR xia 6e3ycnoBHoZi 0rpanmennocTsi BCRKOPO Knacco-

30ro co3Hann3, Ha ero "ne&8eKTIiocTH", IlepeBepseB pemaeT 3~y npobnew HewcTopnseCKn, B pa3pbIBe C JJkia.lleKTll=leCKWM

t4aTepuamsbfot-f. BossegeHne gacTnor0 cnysarr nepeoAesana3 06pa30B BO aceo6Iqno TeOprm, IIpZIBOJJHT #GiKTWieCKH K OTPH-

qaIiHl0 BCSiKOfi BOSMOXHOCTH JJJIFI O~HOI'0 KJIaCCa 06'beKTkIBHO

n03HaTb B HCKyCCTBe ~efiCTB&iTeJIbHOCTb apyrOr0 KJIaCCa.32

Die verschiedenen Ideologieformen stellen hiernach weder voneinander unabhsngige "Reihen" dar, noch sind sie auf die mechanische Reproduktion der ijkono- mischen Verhsltnisse beschrsnkt; sie stehen vielmehr in einer Relation wechselseitiger Beeinflussung und sind Formen des politischen Klassenkampfes im Bereich der Ideologie. Eine solche Funktionsverlagerung der Auffassung von den ideolog$schen Formen fiihrt zur Be- tonung der "Aktivit;it der Uberbauten" (Bespalov) und macht die begriffliche Revision bzw. Erweiterung der

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Litfront 401

Theorie Pereverzevs notwendig. Zwar bleibt fiir ihn die Kategorie des "Stils" im Zentrum der materialisti- schen Literaturtheorie,33 sie wird jedoch in ihrer universalen Geltung als erkenntnistheoretische tfnd 8s- thetische Kategorie (Stil als Reproduktion der Okono- mie) relativiert. Die erkenntnistheoretisch fundierte Kritik Bespalovs an Pereverzev veranlasst ihn, "Stil" als eine abgeleitete Kategorie zu betrachten, die den Bereich der spezifisch kiinstlerischen Formen der Wirk- lichkeitsaneignung bezeichnet, die aber aus dem allge- meinen ideologischen Verh;iltnis des Kiinstlers zur Wirk- lichkeit folgt. Der zur Kennzeichnung dieses iibergrei- fenden Erkenntnisprozesses von Bespalov verwendete Be- griff "Methode" begreift die Stilkategorie zwar ein, ist aber von ihr zugleich qualitativ und inhaltlich abgesondert:

XygoxecTsewibG MeTox - ~cH~BH~S~ zi ncxogHb1i2 npsHqHn pac-

KpbITUR aHaJIH3a H CIIHTe3a ,4efiCTBUTMbHOCTH B TBOpseCTBe

rIHcaTesui. ro~opfi 0 HeM, m meeM B Amy - 0THomeHHe xy-

AOXCHHKa K AetiCTBWTeJIbHOCTW, eI'0 MWpOB033peHWR, CTeIleHb

COOTBeTCTBHR IUIH HeCOOTBeTCTBWfi H&(eOJIOlWU l-lHCaTeJlSi, @U-

xyrqefic~, pa3BnBarorqeficfl couHa.nbHoZi xzi3Hn, rpaHklu,bl w npxH-

I@iIIbI Bocnpowsae~enuz Mnpa B 06pa3ax.3'

Vom Gesichtspunkt der qualitativen Klassifizierung bei- der Kategorien aus beschreibt Bespalov "Stil" als

. . . KOHKpeTHOe BblpiuIteHHe B COJJepXaHHU H @OpMe MHpOBOB-

3peHEisi rnicaTenrr. ro~oprr 0 cTn.ne, Mbl pacKpbIBaeM CTeIIeHb

COOTBeTCTBWX KJIU HeCOOTBeTCTBHR ~eO.JlOI'U~eCKOI'O COflep-

;BCaHwi w xyaoXecTseHHofi &opMbl npon3BejqenSi. 3aecb pema-

eTC% BOIIpOC 0 TOM, mm110 mi MnpoB033pewe nucaTensi my

&OpMy, Te l-IplieMbI H Ty CTpyKTypy, KOTOpbIe Hauejonee Bblpa-

X~JIH 661 AaHHoe coaepxaHHe w, CnegoBaTenbHo, 6stna coqn- EtJIbHO Hax6onee ,LJeZiCTBHTeJIbHbIMH.

35

Konsequent miissen fiir Bespalov alle nBheren poetologi- schen Bestinunungen der Literaturwissenschaft aus den ideologiekritischen Kategorien "Methode" und "Stil" abgeleitet werden; die Frage der literarischen "Gattun- gen" kann nicht auf der Ebene einer normativen Dich- tungstheorie vorentschieden werden - auf dem Hiihepunkt der Kontroversen im Herbst 1930 verspottet er die Theo- retiker der RAPP wegen ihrer Fixierung auf die grosse epische Form in der Nachfolge des klassischen franzijsi- schen und russischen Realismus des 19.Jahrhunderts als "Boileaus der Epoche der sozialistischen Revolution".36 Gattungsfragen sind vielmehr als Erkenntnisproblem sui generis zu begreifen:

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402 Holger Siegel

Aeneme CTUJIX Ha ncaHpbl ecTb geneHtie ero no np~l~qany Haw

6OnbIUer0, npeo6naaamrqero BHWMaHHR3;ofi WIH HHOI? o6nacTs

Bocnpon3BognMoro Xy+qoxH~KoM Mnpa.

Die im Anschluss an die begriffliche Explikation der zentralen Kategorien der Konzeption Bespalovs gegebene Definition des Stils als Ausdruck eines bestimmten ge- sellschaftlichen "Ideals"38 indiziert, dass sich hinter diesen methodologisch-theoretischen cberlegungen ein konkretes praktisches Interesse verbirgt. Seit dem Sep- temberplenum der RAPP 1929 gehijrt Bespalov zu den schsrfsten Kritikern der kiinstlerischen Proqrammatik dieser grijssten proletarischen Schriftstellerorganisa- tion. Als einer der ersten verweist er auf den Sachver- halt der

. . . 0rpoMHbre HOIKHU~~I Memy Xy~oxecTseHHo-MeTononornqe-

CKNMH SIO3yHraMEl HOBOHanOCTOBCKOFO pyKOBOACTBa Pma, C

OQHOii CTOpOHbl, Ii peaJlbHk.lMH nOTpe6HOCTXMki PeKOHCTpyKTHB-

HOP0 nepMoga COlJtElJIl4CTWleCKOfi peBonI0qiH, - c JJpyrofi. 39

Diesem Befund iiber die Divergenz von Gkonomisch-politi- schem und kiinstlerisch-literarischem Prozess ist sei- tens der RAPP nicht widersprochen worden. Ebenso be- steht Einverstsndnis zwischen RAPP und "Litfront" iiber die exemplarische Bedeutung ihrer Kontroversen fiir den gesamten Entwicklungsprozess der Literatur in der Sow- jetunion:

flpelyne BCeF.0 BHOBb CTaBUTCX B nOpflaOK ,lJHR BOnpOC 0 HO-

BOM Tune nkicaTenR, aK$‘MBHO~O YsaCTHHKa COqPi3.JlIICTWieCKO-

r0 CTpOHTeJIbCTBa . . .

. . . HH OAHa H3 TBOp=IeCKIlX ,tJHCKyCCPifi, nOJJHffTbIX B Pme,

He MMeIla TaKOr0 KOJlOCCaJIbHOI’O 3HarIeHHR, KaK 3Ta RUCK~f-

cm9 CBliJJeTeJIFlMH N y=laCTHEiKaMEl KOTOpOti Mb1 RWIFIeMCR.

Wghrend die RAPP jedoch seit Ende 1929 zun;ichst ver- sucht hat, das such mehrfach in der Parteipresse kon- statierte "ZurGckbleiben" der proletarischen Literatur vor allem auf organisatorischem Wege zu li5sen,42 geht die Opposition iiber diese Ebene hinaus und fordert ausser der Reorganisation der Arbeitsmethoden eine prinzipielle Neuorientierung der Theorie und Praxis der proletarischen Literatur. Fiir die Opposition ist das Programm des "psychologischen Realismus", ein Terminus, der aller Wahrscheinlichkeit nach.auf A.Bezymenskij zu- rtickgeht,43 und seine Bindung an Theoreme wie "Zivoj Eelovek", "neposredstvennye vpecatlenija", "dejstven- nyj samoanaliz" etc. eine der wichtigsten Ursachen fiir

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Litfront 403

die Divergenzen zwischen Politik und Literatur. In einem Leitartikel der Literaturzeitschrift PeEat' i revotjucija unmittelbar vor Beginn des Septemberple- nums der RAPP werden noch einmal Richtung und begriff- liches Instrumentarium der Kritik zusanunengefasst:

He~OCTaTKu HauBHOrO OT06paXCaTeJlbCTBa CKa3blBaK)TCR Tenepb

B nonHoR Mepe. MeTog HanBnoro peana3Ma yrpoaaeT nucaTenm

noTepeg CBR~M c npaKTuKofi Knacca, c ero cero~nimnuM nefi-

cTBueM. On GaKTyeT naccaBHo-co3epqaTenbHoe 0TnomeHue K

~e&2TBuTelIbHOCTU.44

Der Warnung vor dem gesellschaftlichen Funktionsverlust der proletarischen Literatur und damit der kiinstleri- schen Intelligenz des Proletariats unter den Bedingun- gen des verschsrften Klassenkampfes korrespondiert die inhaltliche Kritik. Notwendig resultiert aus der Pro- grammatik der RAPP die Konzentration

. . . K nuIuHeMy u nepexo$qHoMy aeJIOBeKy, npO6f;MaM JIIObBu,

HH~UBU~yaJlbHblM IUaTaHuRM, ~~ITOB~IM TpeBOraM.

Methodisch betrachtet bedeutet die Fixierung der RAPP auf den klassischen Realismus des 19.Jahrhunderts den Riickfall in die idealistische Asthetik, inhaltlich zieht sie den Ausschluss gerade jener Bereiche ats der proletarischen Literatur nach sich, die mit dem Uber- gang zur sozialistischen Planwirtschaft im Zentrum stehen:

&iTepaTypa, ynpasnsewasi flupuxepaMu 113 %JWTnOCTy~, sac-

TO npOXOAUT MUM0 KpynHehIUX @aKTOB QeL%ZTBuTeJIbHOCTU . . .

PocT npoMbmlnenHos2 npo~yrcyuu, o6roHxmu& npe&noxeHux wi-

TUJIeTKU, HeCJIblXaHHbI~ TeMn KOJIJIeKTuBU3aIJUU pepeBHU, CO3-

aaHUe HOBbIX rNraHTOB UHJJyCTpUU, C0IJua.JluCTurIeCKOe CopeB-

HOBaHue, HenpepbmHoe npou3BogcTB0, y

KyJIbTypHblU nOaF.eM . . . 46

Wie den Theoretikern der RAPP geht es der Opposition urn die Ausarbeitung grundlegender, typologischer Merk- male und Eigenschaften der dialektisch-materialisti- schen Kunstmethode. Jedoch leitet sie aus dieser Auf- gabenstellung prinzipiell andere Schlussfolgerungen ab. W;ihrend es der RAPP darum geht, die Dialektik des revo- lutiongren Entwicklungsprozesses an den widersprtichli- then Erscheinungen des gesellschaftlichen Verhaltens des konkreten Individuums zu demonstrieren, (nicht ohne Grund wird im zitierten Leitartikel einer der am meis- ten umstrittenen theoretischen Autoritzten der RAPP, I. Grossman-RosEin, die Neigung zu "biolo istischen und freudianischen Exkursen" vorgeworfen) 49 und auf diesem

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404 Hotger Siegel

Wege die Komplexitzt der Erlebnis-, Gedanken- und Ge- fiihlswelt des "lebendigen Menschen" zum Abbild der ge- sellschaftlichen Totalitst zu erheben, gehen die Ziel- setzungen der Opposition in eine andere Richtung. Sie negiert die Mcglichkeit und Notwendigkeit der Ankniip- fung an die realistische Tradition und insistiert auf der Ausarbeitung neuer Bsthetischer Formen und Gattun- gen:

Pesb yqeT ne 0 pa3pyluefwiH xy~oxcecTBeHHocTx, a 0 donee

BNOKOM ypoase. He 0 pa3pyIueHHM 3cTeTnKx, a 0 HOBOES

&OpMe 3CTeTNKW.48

Die dialektisch-materialistische Erkenntnismethode-ver- pflichtet nach Bespalov die proletarische Literatur nicht allein auf die empirisch verfahrende Objektivie- rung der gesellschaftlichen Wirklichkeit im literari- schen Kunstwerk, auf die Konstatierung ihres jeweiligen Entwicklungsmoments. Fiir die Opposition hat die Litera- tur ausser dieser Erkenntnisfunktion die Funktion der Einwirkung auf die Entwicklung der gesellschaftlichen Prozesse - ein Postulat, PrZmisse,

das aus der methodologischen Erkenntnis der gesellschaftlichen Wahrheit

sei das Resultat der Ubereinstimmung von Theorie und Praxis, abgeleitet wird. Die proletarische Literatur darf sich demnach nicht auf eine lediglich analytische Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit im Moment ihres gegenwzrtigen Entwicklungsstandes beschrgnken, sondern muss zugleich eine antizipatorische Funktion wahrneh- men, was infolge derselben Pr%nisse nicht im Wider- spruch zur Erkenntnis der Wahrheit steht:

HaysHoMy co4aa.nws~y He npoTuaopeswT cosaaaue nponeTap-

CKOfi COlJPii3=lSiCTli~eCKO~ "yTOnNEI". B npOTHBOnOJI0XHOCTb

Be.nnaMw, Moppncy II Ka6e 3Ta 6y,qeT YTOIIHR He npoTnBono-

CTaBJleHHaR ~etiCTBWTeSlbHOCT&i, He 6yKOnUseCKti I4,qeEl.n Men-

KO~O Bypxcya, a npeaameswe, OCHOB&IHOe Ha HaysHOM nOHEY

MaHUH o6lqeCTBeHHOr0 pa3BHTHII,

,t&efiCTBEiTeJlbHOCTb10.4g

0pranwsecKw cBR3aHHoe c

In einer spsteren Arbeit hat Bespalov den psychologi- schen Realismus der RAPP als unfBhig zur Verwirklichung dieser Aufgabe denunziert. Die von den RAPP-Theoreti- kern vertretene Programmatik basiert auf einer Schein- dialektik, da sie

. . . 3HaeT TOJlbKO, 'IT0 ReZiCTBUTenbHO paSyMH0, BblnWaeT

&&pyraSl rIaCTb - BCe pa3yMHOe ~eiiCTBHTeJlbH0.50

Sie steht damit im direkten Widerspruchzur dialektisch-

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Litfront

materialistischen Erkenntnistheorie auf Grund ihres

. . . HeYMeHHe OTKPslTb pa3yMHble TeHgeH~UH Ha nyTU K OCy-

UJeCTBJIeylm WeaSIa - PJlaBHb& HS’bRH HX Xy~O~eCTBeHHOrO

MeToGa.

Analog schreiben Gel'fand und Zonin in ihrer Kritik eines der im Mittelpunkt der Kontroversen stehenden Werke der proletarischen Literatur, des Romans RoIde- nie geroja von Ju.Libedinskij:

h6epwHcKtiZi COSepqaeT ,lJefiCTBPiTeJIbHOCTb HalUeZi 3nOXki,npO-

neTapcKo# peBOJnoqWW, KOMMYHHCTWVeCKOk napTWi. hi6e~mi-

CKHI? BWHT Rae npOTHBOpesUfi 3TOk ,lJekCTBHTeJlbHOCTW, HO

0H PlOnbKO ~oxcmamupgem STH npoTnBopeww, no He noKasbr

BaeT PB?lxeHEiFl sepes 3TP npoTnBopesu5i K KaKOMy-TO HOBOMY

BblCmeMy KaseCTBy . ”

Das antizipatorische Moment der proletarischen Litera- tur - Entwurf von Perspektiven des zukiinftigen Gesell- schaftsprozesses in der Totalitst seiner Bewegungen und Erscheinungsformen und damit Formulierung der "Ide- ale" der Klasse - involviert das Moment der Stellung- nahme, der Bewertung, der Parteilichkeit des Kiinstlers. Dieses Postulat, entwickelt in 'kritischer Wendung gegen den "Objektivismus" des Realismusgedankens der RAPP, legitimiert die Forderung nach Innovation der bestehen- den Formen und Gattungen der proletarischen Literatur ebenso wie es das literarische Traditionsbewusstsein der Opposition bestimmt. Bereits seit ihren Anfzngen argumentiert die Opposition fiir die Entwicklung der "philosophischen Dichtung", des Industrieromans, des politischen Romans, der Satire, der dokumentarisch- publizistischen Literatur (oEerk).53 In ihrem Manifest begriindet sie diese Postulate:

Mbl 6opeMcrr 38: uaodpzrxexue demnenbnocmu, 6opb6ta, uyecme u mcneti uonupemnwx 7uaccoettx 7co~ewm48ot3 u omckzbwnx znaccomx n2c&ii - 00 6cez.2 cnawiocmu dstacyupl;c uw.4 npomu- sopeuua - c mourn 3pexm hfapKcw-nenunU3Ma, nod yznaw 3pmiz.u peeomquonnmx 3acm.i pa6ouezo wacca, noTow rIT0:

TOJXKO TaKoe sso6paxeHwe . . . He CBOJJHTCR K PaBIiO~yllUiO-

naCCHBHOMy pelWCTpHpOBaH~ @aKTOB, a 03HaYaeT B TO ae

BpeMR axmuenyo ?uaccosylo oyewcg 3THX &aKTOB nponeTnwca-

Tenen, er0 HeIlOCpeJJCTBeHHOe BMeUlaTeJlbCTBO B IKUBHb, B

?cxaCCOi3~ 6opb6y. 54

Die Kriterien und Postulate, die hier vorgelegt werden, sind nicht Ausdruck der Positionen lediglich einer, der von der Gruppe der ehemaligen Pereverzevschiiler reprg-

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HoZger Siegel

sentierten Richtung. Was Bespalov, Gel'fand und Zonin aus dem Gedanken der Gleichzeitigkeit von proletari- scher Weltanschauung und Literatur ableiten,55 stimmt - zumindest als ktinstlerische Forderung - weitestge- hend mit dem iiberein, was im Kreis der leningrader Kri- tiker und Theoretiker um G.Gorbacev formuliert worden ist - ohne dass damit die theoretischen Divergenzen zwischen beiden Richtungen aufgehoben wiirden.

Inwieweit GorbaEev "schulbildend" gewirkt hat, ist nur schwer zu iiberschauen. Seine Vorstellungen vom li- terarischen Werk und von den Aufgaben der Literaturwis- senschaft haben tats%hlich betrschtlichen Einfluss in- nerhalb der marxistischen kiinstlerischen Intelligenz in Leningrad ausgeiibtis6 such scheint Gorbazev einen nicht unerheblichen Einfluss innerhalb der nichtprofessionel- len proletarischen Autorenschaft in Leningrad besessen zu haben; laut Angabe von Dmitriev, Mitglied der lenin- grader Autorengruppe "Baltflot" umfasst die sogenannte "Gruppe Gorbacevs" Leute".57

"zumindest nicht weniger als hundert Unklar ist such Gorbazevs Rolle in der Oppo-

sition seit dem Sommer 1930 und in der Zeit der Exis- tenz des "Litfront" - im Gegensatz zur vorausgegangenen Phase. 1st Bezymenskij der literarische Reprssentant der Opposition seit Mitte 1925, d.h. seit der Reorgani- sation der Fiihrungsgremien der RAPP, so GorbaEev ihr theoretischer und kritischer. Zwar gehijrt Gorbacev zu den Grfindungsmitgliedern des "Litfront", ist in der Folge jedoch kaum noch hervorgetreten. Ungeachtet die- ser Zurcckhaltung wird sein Name in den Jahren 1931- 1932 zum Synonym fiir die Begriffe "litfrontovscina" und literarischer "trockizm". Die Vergessenheit, der er wie viele Literaturtheoretiker der zwanziger Jahre seit Beginn der dreissiger Jahre anheimgefallen ist, dauert bis heute. Im Unterschied zu einer Reihe von Theoretikern der proletarischen Literatur, deren Ar- beiten mittlerweile erneut - wenn such vorwiegend un- ter historischen Auspizien - diskutiert werden, wird GorbaEev selbst in heutigen theoriegeschichtlichen Ar- beiten und solchen, die die Geschichte der literari- schen Gruppenktipfe zum Gegenstand haben, nur in den seltensten F;illen erwzhnt; such westliche Autoren se- hen in ihm nicht mehr als eine erwzhnenswerte, theore- tisch aber zu vernachl%ssigende Grijsse der soziologi- schen Literaturwissenschaft.58

Auf den ersten Blick scheinen die disqualifizieren- den Urteile der Kritik iiber GorbaEev als "Ekldktiker", "Formalist" etc. gerechtfertigt. Eine genauere Lektiire seiner Arbeiten zeigt jedoch, dass diese bei weitem iiber den fiir die vulg%rmaterialistische Literaturwis- senschaft dieser Zeit kennzeichnenden Argumentations-

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rahmen hinausgehen und mehrere Ans;itze der Erforschung literarischer Erscheinungen in integrativer Absicht vereinen. Seine Vorschlzge zur Analyse literarischer Werke sind dabei deutlich von Ansztzen zu unterschei- den, die das Studium "kausaler Faktoren" mit dem der "inneren Logik des Werkes"5g verbinden wollen und die methodische Stufenfolge des Fortschreitens von der Im- manenz zur Kausalitst postulieren.60 Vielmehr ist Gor- bacev der Richtung der marxistischen Formalismuskritik und ideologiewissenschaftlich orientierten Gruppe um P.Medvedev und V.VoloSinov zuzurechnen, ohne allerdings das theoretische Niveau deren Arbeiten zu erreichen.

In seiner fiir das Verstgndnis der methodologischen Problematik der vulg$rmaterialistischen Literaturwis- senschaft wichtigen Arbeit "Nazad k Suljatikovu i Aj- chenval'du"61 gibt GorbaEev eine Skizze der Probleme und Aufgaben einer marxistischen Literaturtheorie, die nichtreduktionistisch das Verh;iltnis von tikonomischen ProduktionsverhZltnissen und gesellschaftlichen Ent- stehungs- und Wirkungsbedingungen literarischer Werke fasst. Die Aufgabe der marxistischen Literaturwissen- schaft reduziert sich fiir ihn weder auf die Aufdeckung des "soziologischen iquivalents" (Plechanov) der Lite- ratur - im Sinne der bruchlosen Integration literatur- wissenschaftlicher Probleme in den Bereich einer fiir alle cberbauformen Modellcharakter tragenden Wissen- schaft von den Ideologien --, noch kann die Differen- zierung der ideologischen Uberbaureihen in ihrem quali- tativen VerhBltnis und entsprechend ihrer Spezifik (et- wa im mechanischen Riickgriff auf die marxistisch gewen- dete Unterscheidung zwischen wissenschaftlich-begriff- lichem und ktinstlerisch-bildhaftem Denken) ausreichen- de Grundlage der Literaturtheorie sein. Das heisst nicht, dass GorbaEev ideologische Erscheinungen im Ge- gensatz zu Plechanov nicht als Funktion jeweiliger ijko- nomischer Formationen auffasste; sein Ansatz geht je- doch iiber Plechanov hinaus, wenn er literarische Werke als Erscheinungen definiert, die erst im Prozess der

sozialen Interaktion konstituiert werden und Bedeutung erlangen und deren kiinstlerischer Charakter eine Funk- tion des gesellschaftlichen Kommunikationsprozesses darstellt:

CaMa ?xe nsTepaTypa He cyrqecTByeT nHase, KaK B BO~II~HRTW~

OIlpf2,IJ6’JleHHO~ 06~cZCTEIeHHOfi CpeJ&bl H B TBOpYeCKOM npOqeCCe

ee C03~Te.TIefii. Bsre 3TOr0 eCTb 60 BH@lllH&l MUpe rPy,U@ UCSep-

rleHHor0 3HaKaMn MaTepsiana,r~a~~r~ passe a~0 m TonKn ne- " "

YeSi UJXi OKJleUKN CTeH . ..YTO Xe TaKOe 06aeKTHBd JniTepa-

TY&GlbU% $aKT BHQ eI'0 COS~aHHR, BOCnpHRTHR HJIH B03MOXHOCTefi

BOCllpWSiTWR, pasneumx B pa3nusHoZi cpege? JInTepaTypa OTHO-

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408 Holger Siege L

CUTCR K o6nacTu U~eOJlOrUU, TO BCTb, pf?ELJlbHO OHa CyllJeCT-

ByeT B 06~eCTBeHHOt-l C03HaHWW.62

Die Verlagerung der Kriterien des xsthetischen in den Bereich der intersubjektiven Kommunikation zwischen Autor - Werk - Rezipient hat GorbaEev in philosophi- scher Hinsicht den Vorwurf eingetragen, die marxisti- sche Abbild- und Erkenntnistheorie durch die neo osi- tivistische Erkenntnistheorie Maths zu ersetzen6 P bzw. in seiner - als berechtigt anerkannten - Kritik Pere- verzevs von dem einen Extrem der "Kunst als Faktum" in das. andere der "Kunst als Faktor" zu fallen und die funktionale Dimension der Kunst gegeniiber ihrer gnoseo- logischen Seite zu verabsolutieren.64 Diese Einw;inde unterschlagen indes eine Reihe von Elementen seiner Konzeption, die das Werk nicht allein auf der Ebene des Austauschs zwischen Kommunikat und Kommunikationstr%ger konstituiert, sondern such als Resultat objektiver so- zialer Prozesse. Zwar bleibt fiir Gorbacev der Gesichts- punkt, das Werk besitze ausserhalb seiner kommunikati- ven Funktionen und deren Realisierung keine gesell- schaftliche Relevanz und verbleibe ausserhalb dieser Ebene im Zustand toter Gegenstzndlichkeit, fiir seine Definition des Kunstwerks primBr,65 er erg;inzt jedoch die Wirkungs- und Funktionsdimension durch eine Reihe sozialpsychologischer, genetischer und ssthetischer As- pekte. GorbaEev skizziert einen breitgefgcherten Gegen- standsbereich der Literaturwissenschaft, der der Kom- plexit;it ihres Objekts korrespondiert. Vorrangiger Ge- danke seiner Konzeption ist, dass das Werk nicht voll- st;lndig in den Bestimmungen und Kategorien von Produk- tion und Rezeption aufgeht; ebensowenig kann es auf die QuaLit;it des blossen Ausdrucks gesellschaftlicher Verhzltnisse reduziert werden. ProduktionsHsthetischer, rezeptionstheoretischer und ideologiewissenschaftlicher Ansatz erweisen erst dort ihre Relevanz, wo sie die Synthese mit form- und strukturanalytischen Untersu- chungen eingehen, und damit der kcnstlerische Abbild- charakter als eine spezifische Form der Wirklichkeits- aneignung und -gestaltung verstanden wird - als Resul- tat der Eigengesetzlichkeiten der jeweiligen ideologi- schen Reihe. GorbaEevs Kritik gilt daher such dem fiir Pereverzev und seine Schule eigentiimlichen Verfahren, einzelne Werke und Autoren aus ihrem historischen und literarischen Kontext zu reissen und diese als isolier- te Erscheinungen zu beschreiben. Fiir GorbaEev sind li- terarische Werke immer nur in ihrer Korrelativit$t mit dem literarhistorischen Prozess' analysierbar und stel- len somit in Bezug auf den sie konstituierenden Zusam- menhang "Differenzqualitzten" dar. GorbaEevs Skizze

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Litfront 409

des Untersuchungsbereichs der marxistischen Literatur- wissenschaft versucht die Gesamtheit dieser in ihrem Verh;iltnis zueinander sehr heterogenen Faktoren zu um- reissen:

Bee 3T0 3aCTaBJIReT HaC 06paTHTbCR K KOHKpeTHblM JlliTepa-

TypHblM RBJleHWRM, B KOTOPNX rp0~ap~ym ponb HrpaeT TBop-

rIecKoe cTpeMneHwe aBTopa B ero BsaaMoiqeGcTsw~ c ,qasne-

HHeM MaTepuma, C ~e&nOpMUpyMqefi CWlOk Bbl6paHHOrO XaHpa,

C 06IlJeCTBeHHblM BKYCOM M MHeHWeM, ,I&MKTYlOllJHM CBOH 3aKOHbI,

HHOrAa C CO6CTBeHHblM, IlpOTHBOpe~alQHM “UAee” llpOEi3BeAe-

HWFI MHpOB033peHWeM (Hallp. rOrOJIb), IlOpOIO C IJeH3ypOti, C

Tpe60BaHWRMPl I.i3~aTeJUI, peAaKTOpa XypHa.Ila Ii T.n.66

Diese Aufgaben sind fiir Gorbacev nur dann zu lijsen, wenn sich die marxistische Wissenschaft auf den Charak- ter literarischer Werke als besondere Formen der Kommu- nikation einl;isst und innerliterarische Fragen nicht a priori als Formalismus zuriickweist. Wo sie nicht diesen besonderen Status von Literatur reflektiert, f;illt sie auf das methodologische Niveau der "Kulturhistorischen Schule" in der russischen Literaturwissenschaft urn die Jahrhundertwende zuriick, die infolge ihrer Auffassung vom Kunstwerk als "einfache" Widerspiegelung der Wirk- lichkeit literarische Typen und Bilder unreflektiert als Material einer Sozial

67 eschichte der russischen In-

telligenz interpretiert. Fiir Gorbacev setzt sich die- se Auffassung ungebrochen in der zeitgenbssischen Lite- ratursoziologie, besonders in der Theorie Pereverzevs fort:

IlepeBepseB 0TpIiuaeT . . . CpaBHeHNe xyJ&OXeCTBeHHOfi ae&OpMa-

lJNM peaJIbHor0 MaTepwana c CaMHM MaTepPiaJIOM.68

Ohne dass GorbaEev die einzelnen ideologischen Systeme systematisch korreliert h;itte, l&St sich gleichwohl seiner Gegeniiberstellung einzelner Ideologien sowie der von "kiinstlerisch deformierten Material" und "Mate- rial selbst" der Schluss entnehmen, literarische Wider- spiegelung basiere nicht auf dem Rohmaterial der Wirk- lichkeit, sondern stelle eine Widerspiegelungsform "zweiten Grades" dar. Literarische Bilder stellen kein direktes Abbild der gesellschaftlichen Wirklichkeit dar, vielmehr transformieren sie diese infolge der der Kunst vorbehaltenen Stil- und Kompositionsgesetze zur eigenen, Zsthetisch realisierten Wirklichkeit. Irrig ist fiir ihn die Annahme, ein bestimmter "sozialpsycho- logischer Komplex" bestimme "vollst%dig die Werkstruk- tur". Gegen Pospelov, einen der Schiiler Pereverzevs, wendet er ein, literarische Bilder seien nie "Ausdruck des realen Seins":6g

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410 Holger Siegel

“nmuHlie mo~M” JJBOpRHCKUX poMaHoB “?W3YT” no 3aKoHaM

aanpa ceMefiHo-JIIo60BHoro ponasa... 70

Diese Auffassung von Zsthetischer Wirklichkeitsgestal- tung verpflichtet die marxistische Literaturwissen- schaft, die Ebene der

. . . Konfrontation des Werkes mit Ideen, sozialen Zu- siAnden und typischen Verhaltensweisen, die einmal als der Wirklichkeit zugehijrig, zum anderen als der "In- halt" des literarischen Werkes identifiziert wurden...71

zu verlassen und die Werkstruktur selbst als gesell- schaftlich vermittelte Erscheinung zu begreifen:

BCRKH~~ TeXHHseCKHd l-lpUeM B03HUKaeT M3 OIIpeAeneHHblX

COI&HaJIbHblX l-IpW4HH . . . Heo6xo~mo 5icHoe noHHMaHHe Hx

npOUCXO,&lJeHHR . . . KaKHe COqHa.JIbHbIe I-pylllIb1 UX nOpOg;(w-

JIx9 KaKHM 06Lt(eCTBeHHblM UJJeaSIaM CJly-AulJIU Te WIM NHble

I-lpHeMbl H T.ll.? &lJlee HYIKHO YRCHMTb, KaKHe OHH BblSbl-

Bal0T 3CTeTWleCKWe 3MOl4HM. 72

Gorbazevs Ergebnisse seiner theoretischen fiberlegungen zur genetisch-funktionalen "Seinsweise" literarischer Werke bestimmen such Inhalt und Richtung seiner lite- raturkritischen T;itigkeit, die ihn in der Konsequenz nicht nur in theoretischen, sondern such in literatur- politischen Gegensatz zur RAPP bringt. So verteidigt er etwa 1928 und such noch 1930 Pil'njak als einen Autor, der in kiinstlerischer Hinsicht die proletari- schen Schriftsteller fast ausnahmslos iiberragt - auf Grund seiner F;ihigkeit, im Leser "Zsthetische Emotio- nen" zu wecken.73 Aus seiner Konzeption resultiert die vorrangige Verpflichtung der proletarischen Literatur auf Kategorien wie "dejstvennost"‘, "vozdejstvie" und "zaragenie" - ein Instrumentarium, das im VerhBltnis zur Konzeption der RAPP seit 1927-1928 eine bereits iiberholte, geschichtliche Position der proletarischen Literatur widerspiegelt und historisch gesehen deren Entwicklungsstand zu Beginn der zwanziger Jahre reflek- tiert.74

Aus der Bedeutung, die GorbaEev den Fragen der lite- rarischen "Meisterschaft" als Grundlage der ;istheti- schen Einwirkung auf die Rezipienten von Literatur bei- misst, resultiert sein insgesamt sehr negatives Urteil iiber die kiinstlerische Qualifikation der Mehrzahl der proletarischen Schriftsteller. Auf der Gebietskonferenz der "Sever0-2apadnaja associacija proletarskich pisate- lej" im Januar 1928 kritisiert er nicht nur deren nie- driges kiinstlerisches, sondern such ideologisches Ni-

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L;tfront

veau und spricht weiterhin der proletarischen Litera- tur als Ganzes auf Grund ihrer fehlenden Massenwirksam- keit die Bedeutung eines realen politisch-ideologischen Faktors selbst unter der proletarischen Leserschaft ab:

~OmiUIyi%, O&HH “UeMeHT” rJIagKOBa aa “HaTa.JIbSi Iapnosa" CeMeHosa B~I~B~JIN AefiCTBHTenbHO 6onbmae pa3roBopbI B ne-

peAOBbIX CJ-IORX npOJIeTapHaTa U BO36yJJPiJW OXGiBJleHHbIe CnO-

pbl CpeAH KOMMyHIiCTOB . OCTaJlbHbIe npOH3BeAeHPiff COBpeMeH-

HOk pyCCKOfi JIkITepaTypbI donbluem rIaCTbI0 npOXOART B obqe-

cTx3eHHoM co3Hakiun no npasMny: YnicaTenb nonncbmaeT, a gUTaTeJIb nOWiTbIBaeT”.

O~U’IHO nponeTapcKue nucaTenw HpaBffTcx TonbKo JImARM,

OIlpeAeJleHHO CTORUJHM Ha peBOJlf0qHOHHOfi TOqKe SpeHMR, a

MenKO-6ypXya3HyIO kiIiTelLWireHL(H~ OHIl 3aTpOHyTb He yMeIOT.

3TO POBOpFiT 0,~eJJOCTaTO~HOCTW MeTOAOB 3CTeTHPeCKOrO

B03AefiCTBUR.

Auf dem Hijhepunkt der Kontroversen zwischen RAPP und Opposition im Sommer 1930 propagiert er die Restituie- rung des ehemals such von der RAPP vertretenen Prin- zips und Ziels der agitatorischen Wirkungsweisen der proletarischen Literatur. Unmittelbar vor der III.Ge- bietskonferenz der LAPP ruft er der RAPP diese friihe- ren Positionen ins Ged;ichtnis zuriick:

3a nocnegHee spem IiEiJUiTnOCTOBI&Ld, yCHSIeHH0 noAsepKnBaff

npaBH.IIbHOe nOJIOXCeHHe 06 HCKyCCTBe KaK 0~060~ MeTOAe no-

3HaHHR MPipa, 3a6bIBEUOT, Y T O UCKyCCTBO (TeM CaMbIM, ZITO OH0

coo6IqaeT onpenenemoe noHHMamie Mkipa) ecTb eqe n,FeToA

“3apaxceHm” Onpe~eneHHbIMli YqeRMEi u HaCTpOeHHRMH.

Entsprechend differenziert sich such das inhaltliche Programm des Postulats der "literaturnaja uceba" der proletarischen Literatur. Wshrend es sich fiir die RAPP auf die Aufdeckung der kiinstlerischen Verfahren der ge- sellschaftlichen Erkenntnisvermittlung konzentriert, konkretisiert in der Losung des "sryvanie vsech i vsja- Eeskich masok s dejstvitel'nosti", postuliert Gorbacev das "masterstvo priemov"" als Bedingung einer qualita- tiven Wendung der proletarischen Literatur:

MTaK, J&ml nponeTnacaTeneii a6COSImTHO HeObXO.L&UMO ynopeeti-

IilaR . . . yue6a npO&eCCHOHaJlbHO-IlHCaTeJIbCKaR, “&OpMaJlbHaff”,

sTOl%&yMeTb CBOWMW MbICJ-IBMN U HaCTpOeIiHRMH 3apEUICaTb ,L(py-

mix.

Von theoretischen Positionen aus, die von ihrem Ansatz her von den Anschauungen Bespalovs, Gel'fands und Zonins

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generell unterschieden sind, gelangt GorbaEev damit zur Formulierung identischer kiinstlerischer Aufgaben der proletarischen Literatur. Wie Bespalov fordert er deren Konzentration auf die Stil- und GattunqFformen Satire, Romanutopie, ocerk, heroisches Epos. Diese Gattungs- und Stilprsferenzen erscheinen ihm als not- wendige Konsequenz der bkonomischen und politischen Bedingungen der Rekonstruktionsperiode und der mit ihr verbundenen Neuorientierung der proletarischen Schrift- steller. Begriindet werden sie von Gorbacev am Model1 des literarischen Werkes von Bezymenskij, das fiir ihn die verschiedenen Entwicklungsstufen der proletarischen Literatur nach der Oktoberrevolution in reiner Gestalt widerspiegelt, das vor allem aber die postulierte Ein- heit von Autorenideologie, Methode, Werkstruktur und Rezeptionshorizont in die literarische Praxis umsetzt:

PeKOHCTpyKTMBHbdi nepPiOA, BblJJBMHyBUIti llepe&J npOJIeTapCKO$i

nuTepaTypo5 HoBble rpaHguo3me 3aaasu, ne 3acTan BesbweH-

cIcor0, B 0Tnwnie OT MHO~E~X nponeTapcKHx nwcaTene#, spac- ILJIOX . . . ~e3blMeHCKHk XUBO OTKJIUKaJlCSi Ha BCe JlO3yHrH 06 ysacmx Mace B gene nonaeMa k~ pa3BnTnn Hame# wHaycTpuw.

Ho OTKpblTb HOBylO CTpaHUUy B WCTOpHIl npOJIeTapCKOZi JlHTepa-

TYPM, cHoi3a cTaTb 3awHaTeneM qenoro nepwona nponeTap-

CKOk JlUTepaTypbl, CTaTb nepBbIM n03TOM peKOHCTpyKTPiBHOr0

nepHORa Ee3blMeHCKOMy pOBeJlOCb nbeCOfi "BblcTpeJI". 3TO -

6oeaan H 0cTparr caTnpa,8fbKxqax MeTKMMx a~opn3MaMn no 6m-

POKpaTaM pa3HOr0 TOJlKa.

III Die Darlegung der theoretischen Positionen des "Lit-

front" gestattet es nunmehr, das Verh;iltnis dieser li- terarischen Gruppe zu zeitlich parallelen Richtungen der revolutionZren Kunst"linken" zu przzisieren. Letz- terer Begriff bedarf jedoch zunschst der Eingrenzung: fiir "Litfront" verbindet er sich, primsr und vor allem mit Werk und Person Majakovskijs. Majakovskij wird von "Litfront" nicht als Reprssentant des Lef geschstzt, d.h. also einer literaturtheoretischen und literatur- politischen Gruppierung, sondern als Protagonist einer bestimmten kiinstlerischen Methode. Hingegen hat "Lit- front" sich mehrfach von Gruppe und Methode des Lef, besonders von der Konzeption der "literatura fakta", entschieden abgegrenzt. Stellvertretend fiir die Oppo- sition hat Bespalov den ssthetischen "Relativismus", den Gedanken der Notwendigkeit permanenter Verznderun- gen der Bsthetischen Normen sowie die Ausschliesslich- keit des Kunstbegriffs des Lef als dogmatische und un- dialektische Negation der normativen Asthetik des Rea- lismus der RAPP kritisiert:

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Litfront 413

HopMaTnBHasi scTeTnKane&oBseB nMena apyrylo OCHOB~ - pensi-

TnBn3M. ~ICK~CCTBO npouuxoro 6~10 no3HaHneM xui3Hn, ncKyc- CTBO llpOneTapCKOe aOJIR(HO 6blTb XGi3HeCTpOeHHeM. npeeMCT-

BeHHOCTb Xy,qO2(eCTBeHHblX &IOpM,OT6paCblBaeTCR BO nMII IIOCTO-

RHHO&? n3MeHWiBOCTn. ArUTalQiOHHbIe &OpMbI UCKyCCTBa (Heo6-

xognme , BaxHbie n HegOOqeHHBaeMbIe) npOBO3rJIaIUeHM 6bKiH

CylJjHOCTbH) MCKyCCTBa HOBOrO. BblMbIcen TpeTHpOBaJlCR BO MMR:

@aKTa . . . Bnarogapsi HeMapKcncTcKoMy pemeswro npobnew

B3aHMOOTHOIIIeHnFI nCKyCCTBa n J&efiCTBnTeJIbHOCTn ned, He MOr

,L(naJIeKTn=IeCKn peIUnTb npobnew IlpeeMCTBeHHOCTH B HCKyCCT-

Be, B3anMOOTHOlUeHn~ &aKTa n o606n&eHnsi, IlOSHaBaTeJIbHOfi

&lyHKI@In nCKyCCTBa M. er0 ~efiCTBeHHOCTn.61

Fiir "Litfront" ist dieses gsthetische Ideal der Ein- heit von spezifisch kiinstlerischer Erkenntnis- und Agi- tationsfunktion am vollst%digsten im Werk Majakovskijs realisiert. B.Ol'chovyjs Nachruf auf Majakovskij ist denn such als ein Plsdoyer fiir ein Majakovskijbild zu lesen, das im Gegensatz zur Beurteilung der BAPP nicht vom Gedanken der Widerspriiche seiner kiinstlerischen Biographie ausgeht, sondern auf der Idee deren Einheit beruht. Damit entf;illt fiir ihn zunschst die ideologie- kritisch und literaturpolitisch bedeutsame Unterschei- dung zwischen dem vor- und dem nachrevolutionSren Maja- kovskij:

TBOpseCK&i llyTb MaRKOBCKOrO - OT 6yHTapCKOti IIO33nn nope-

BOJIlO~nOHHblX JIeT K Hepa3pbIBHOMy COe~nHeHHIO CBOerO TBOp=Ie-

CKO~O nyTn c nyTeM 6oplowerocrr Knacca...hqe A0 peBOJIFWnn

MaRKOBCKnP 6~ n03TOM rny6OKO peBonmqnoHHbIM; He npOCT0

6yHTapeM B no33nn, cBeprauqnM n03TnqecKne KaHoHbl, a snJq-

RWM 3qauy no33Iin B 60pb6e IlpOTMB CyQeCTByiOWiX ObIqeCT-

BeHHblX I-IOpRgKOB.

MaRKoBCKnii - Ham n03T, n03T nponeTapcKok pes3oJwunn. OH

nponten ,q.nnHIib&i nyTb i3 CBoeM pa3BnTnn, EI 3~0 pa3sn;Fe

npaseno K TOMY, VT0 OH CTall nponeTapcKnM n03TOM.

Sowenig wie die Konstruktion einer prinzipiellen metho- dischen und geschichtlichen Trennung zweier Entwick- lungsphasen Majakovskijs statthaft ist, besteht such kein Widerspruch zwischen dem Lyriker und dem Agitator Majakovskij. Die bekenntnishaften Elemente des letzten Poems "Vo ves' golos" ("NO ja 1 sebja 1 smirjal, 1 stanov- jas' 1 na gorlo I sobstvennoj pesne") belegen fiir Ol'cho- vyj vielmehr

. . . qT0 MaSiKOBCKnfi paccMaTpnBa.rl AJIX cebn, ,L(~I CBOerO

TBOpseCTBa 3anasy 6blTb Il03TOM n 6blTb 60pqOM KPK eJJWHyKJ,

CJlUTHyIO saaasy, Y T O &lIR Hero TO, 9TO B n033nn Hge3 CJIyWLJIO

HeJly peBOJlmlJUOHHOfi 6opb6b1, He RBJ-IRJIOCb nO33nefi.

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Das agitatorische Moment geht somit mit dem lyrischen eine ebensolche Einheit ein wie das lyrische mit dem publizistischen. Die grundlegenden Merkmale der Werke Majakovskijs, (Ol'chovyj nennt jene Termini, die such fiir "-Litfront" zentral stehen: "social'naja naprav- lennost'..., aktivnoe vmesatel'stvo svoim tvorcestvom v Zizn', zlobodnevnost', publicisticnost', ustanovka na massy, Zivejsee reagirovanie na vse javlenija poli- tizeskoj Zizni"),84 kennzeichnen die Gesamtheit der kiistlerischen Tztigkeitsbereiche:

h-in ra3eTZIuKa gJIa Hero 6bUIO Kyfia donee nOrIeTHbIM, rIeM MMR

n03Ta. Ho 3T0 He 03HarIaeT, Y T O OH CHU;4(aJI IlO33UIo. 3T0,

Hao6opoT, o3HagaeT, UT0 OH BbICOICO l-lOpHMMaeT ee 3HarIeHFie.

85

Ol'chovyjs Charakteristik der verschiedenen Elemente der Werke Majakovskijs als eine Einheit kann sich auf entsprechende Aussagen des Dichters zu Fragen seiner Dichtungstheorie und Poetik vor allem in den Jahren 1929-1930 stiitzen. Majakovskij hat sich zu dieser Zeit mehrfach, besonders nach Griindung der Gruppe "Ref" (1929) zur Frage des Verhzltnisses von publizistischen

Genres und Gattungen der kiinstlerischen Literatur ge- sussert. Beide bilden fiir ihn ebensowenig abgetrennte Bereiche der literarischen Arbeit wie iiber der Mijglich- keit ihrer Synthetisierung die prinzipiellen Unter- schiede zwischen publizistischer und kiinstlerischer Produktion iibersehen werden diirfen:

MOR(HO HanUCaTb OCHOBaHHblii Ha CSlysaiiHOM CO6bITZIM llaM&JleT

Ha qeM6epJIeHa. AaBaTb yrny6neHHym JIEiTepaTypy - 3TO He

3HarIHT 3aMeHHTb qeM6epneHa KoCMOCOM. A 3TO 3HaYHT IlOGO-

6paTb WMeHHO Ha 3TOl-0 %M6epneHa donbmee ~1lCSl0 ZiMeHHO

eI’0 KaCaloI@iXCR @aKTOB - TWIlW3MpOBaTb, CHCTeMaTW3HpOBaTb,

06pa6aTblBaTb. HO C eJJMHCTBeHHblM yCTpeMJIeHHeM, eCJIM ‘#IeJIb-

eTOH 6bm UJeJ-PlKOM, - ymy6neHHaH JkTepaTypHaR BeI&b nyCTb

SIRXeT KyJlaKOM Ha seM6epJIeHuii qIznUYqp.86

Die fiir Majakovskijs Arbeit in der Zeit des "Ref" leit- bildhafte Devise "Antiliteratur und Journalisierung" meint nicht Destruktion des gsthetischen Wesens der Kunst, sondern Ubertragung und Anwendung der Methoden publizistischer Arbeit auf die Literatur. Aktualitst, Alltsglichkeit und Aktivitzt der Literatur sind die primsren Kriterien, an denen er die Bedeutung literari- scher Werke misst:

CerOJ&HR 6blTb n03TOr.Pra3eTWiKOM - 3HaWiT IIOAWiHWTb BCK)

CBOIO JlHTepaTypHy”, AeRTeJlbHOCTb lly6JlUqkiCTUW?CKHM, llpOna- 07

l-X-IJJUCTCKUM, PKTUBHblM 3wa=laM CTpORll.lerOCR KOMMyHHBMa.

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Litfront 415

Publizistische und kiinstlerische Arbeit sind demnach nicht ihrer funktionalen Seite und Bestimmung nach zu unterscheiden, sondern allein in Hinblick auf die Ver- schiedenartigkeit der Forfnen der "Sprachbearbeitung" (Slovesnaja obrabotka). Majakovskijs Terminologie (Ty- pisierung, Systematisierung) indiziert, dass damit ZU-

gleich nicht die Aufhebung von Dichtung und ihres Bs- thetischen Prinzips (Vymysel) intendiert ist - zugun- sten einer dokumentarischen Faktenliteratur -, sondern vielmehr ein bestimmtes funktionales VerhBltnis von Literatur gegeniiber der Wirklichkeit gemeint ist. Die- se Argumentation jenseits aller gattungsm%sigen und formalen Postulate und Restriktionen, die vor allem von der RAPP ausgesprochen worden sind, aber such von den Theoretikern der "literatura fakta" und den Kon- struktivisten, hat Majakovskij zum Ausgangspunkt der Arbeit der Gruppe "Ref" gemacht:

%I aMHHCTUPyeM BCe BIIJJbI pa60TbI... C OAHIlM Tpe6OBaHHeM -

nponaraegbl, araTaquw. XOpOIIIaR KHWI’a O=IepKOB RJrfl HaC IJeH-

Hee ‘QeMeHTa” [SC. der Roman von Gladkov - HS], Ho"Pas- rpOM1( @ageeBa AJISi HaC BaHee 3allUCOK @aKTOBHIIKH nyHKaH.”

Ebenfalls 1929 hat Majakovskij die Vorrangigkeit des funktionalen Gesichtspunkts der Literatur noch stBrker akzentuiert, als er die Fixierung der proletarischen Schriftsteller auf bestimmte Formen und Verfahren als dogmatisch zuriickweist; ausschlaggebend ist allein die agitatorisch-propagandistische Seite:

Henbsrr pa3l-OBapliBaTb 0 TOM, KaKaSI H3 JlHTepaTypHbIX I$OPM

xmxeTcsi onpegenxmrqeti g.nx ceroaHxmHer0 ~HR, 38 KOTOPYH)

MM JJOJIRUlbI BCTYlWTbCR, KOTOP)‘lO Mb1 ~OJIXWbI CrIEITaTb CBOefi. 89

HaM H-0 nepeCMOTpeTb nHCaTeJlefi 6e3 pa3JlWlHSi PO@;

CJIOBeCHOrO OpyZUGi - n0 IIX COIJUaJlbHO~ 3HaWiMOCTW.

Die Affinitsten zwischen Majakovskij und "Litfront" in dieser Frage sind manifest. Letzterer formuliert seine Kritik der Theorie und Poetik der RAPP im Namen der Aktualit;it der proletarischen Literatur gegeniiber den eingreifenden Prozessen der sozialistischen Rekonstruk- tionsperiode in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. Das formal und gattungsm%ssig weitgespannte Programm dieser Gruppe schliesst Prioritsten oder ein- deutige Fixierungen in dieser Richtung aus. Kennzeich- nend ist, dass "Litfront" im Gegensatz zur RAPP ihren Begriff der dialektisch-materialistischen Kunstmethode nicht an eine fest umrissene Summe bestimmter stilisti- scher Verfahren und Merkmale bindet, die mit demBegriff

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"Methode" gleichgesetzt wird, sondern generell die Setzung kiinstlerischer Prioritgten an den Begriff ihrer funktionalen Wirksamkeit bindet. Von daher entfzllt fiir "Litfront" such jene an der RAPP britisierte Ten- denz zur Begriindung einer normativen Asthetik und eines poetologischen Gattungskanons. Gegen die hiermit ver- bundene Tendenz einer Hierarchisierung der literarischen Gattungen hat sich "Litfront" mehrfach gewehrt. Taras Kostrov, Chefredakteur der Komsomol’skaja Pravda und Re- daktionsmitglied von MoZodaja gvardija, hat in seinem Diskussionsbeitrag w;ihrend der III.Gebietskonferenz der LAPP fiir die Opposition erklzrt:

AyMZUOT, 'IT0 BCe 3TN TaK Ha3bIBaehlbIe HPi3KHe XaHpbl - OsepKEi,

&!JlbeTOHbl, nonnni~ecme llaM+JIeTbl, nOJ-lEITIPleCKlle CTUXOTBO-

penwn, KUHO-CqeHapIIW, HyxHble MW-LSlIlOHHbIM MaCCaM - eCTb.Ka-

KOfi-TO BTOpOg COpT JlkiTepaTypbl. c 3TUM Mbl He COrJIaCHbI...

Mt.1 CrlEITaeM, =ITO K 3TNM BElAaM TaK Ha3bIBaeMOrO HIIBKOrO

xcaHpa, a KPK Mbl ~OBO~UM - BbICOKOrO *aHpa, nOJ-lHTWYeCKH

HaHdoJree aKTHBHOr0, oTBesaKu.qero Ha 3JIO60~HeBHbIe C06bITHFI,

H~HO nOJ(OZiTki Bnnxe n donee BHIlMaTeJlbHO BCeM nponeTap-

CKklM NlCaTWlRM. 3TO HyXHO AeJIaTb He ASIR TOrO, 'iT06bl npO-

THBOnOCTaBJIRTb OaepK

polrlaa,

U$E!JIbeTOH pOMaHy WIli ,JJpaMe. Mb1 38

M~I 3a apay...

Inhaltlich setzt "Litfront" hingegen eindeutige Prsfe- renzen fiir die proletarische Literatur. Die "Suche nach neuen Gattungen" ist fiir Jakov Il'in, einen der literarischen Reprzsentanten des "Litfront", mit der Darstellung thematischer Bereiche vsrbunden, die im Programm der RAPP bisher kaum eine Rolle gespielt hat- ten:

. . . HOBbIe npOU3BOACTBeHHbIe OTHOlUeHUR, HOBMe ObqeCTBeH-

me CBRBH, KOJlX03HOe CTpOHTeJIbCTBO, COpeBHOBaHHe, yJJap-

HUrIeCTBO, KanWTaJIbHOe CTpOATeJlbCTBO, KJlaCCOByH, 6opb6y,

MacCoBbIe gBtcnreH%irr nponeTapeaTa Ha aa6pHKax H 3aBoaax -

sepes nmeifi, HaxogRIqaxcR B npoqecce 6opb6bI ki CTpOPiTenb-

CTBa, - no-Moe&q 3~0 6~10 6~ HOB~JM CJIOBOM B JniTepaType

W HCKyCCTBe.

HWO IUPipOKO OCBeUJaTb 3TH TeMbl B JIHTepaType, C Heo6xojw-

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Fiir die hier postulierte Vielfalt der literarischen Gattungen, Formen und Verfahren steht die kiinstlerische Praxis des "Litfront" ein. Der Zeitraum der histori- schen Existenz dieser Gruppe hat zwar nicht die Reali- sierung aller Forderungen im Rahmen des Gruppenkontex-

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Litfront

tes gestattet, jedoch zumindest in Ansstzen Raum fiir die Verwirklichung der unterschiedlichsten kiinstleri- schen Zielsetzungen gewBhrt. Eine Darstellung der li- terarisch-praktischen Seite des "Litfront" wiirde die theoretische und praktische Koinzidenz zwischen den Forderungen dieser Gruppe und denen der Gruppe "Ref" verdeutlichen, die Majakovskij in folgenden S;itzen zusammengefasst hat:

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CIlpZllIIHBaTb: “KaK?“. Mbl Tpe6yeM COBpeMeHHOCTM, IlpUMepOB,

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RBJISIeTCR - “mFI =IerO” HanucaHa 3Ta cTpoKa?

* * *

ANMEPKUNGEN

1. Ebensowenig kann hier auf die weiterreichende Folgen des "Litfront" eingegangen werden, der methodisch, inhaltlich und formal der sowjetischen Literaturtheorie und -praxis wesentliche Impulse vermittelt hat. "Litfront" ist nicht nur die Gruppe gewesen, die am prgzisesten ihre Theorie auf die Kategorie der "Parteilichkeit" verpflichtet hat, sie hat dartier hinaus fiir die sowjetische Literatur inhaltliche Schwerpunkte gesetzt, die im "proizvodstvennyj roman" der dreissiger Jahre zur Geltung gelangt sind. Ebenso geht die Dominanz des ozerk in der Gattungsdiskussion und in der Praxis der sowjetischen Literatur seit dem Ende der zwanziger Jahre (vgl. N.A.Zolotareva, I.Kataev, "Dviienie". Iz istorii sovetskoj oEerkovoj prozy. In: Problemy stanovlenija socialis- tizeskogo realizma v russkoj i zarubehoj literature [Irkutsk 19721, 29: "...oEerk . . . v Bti gody okazalsja vedugrim ianrom v proze, drame, poezii, glavnym predmetom literaturnych dis- kussij 1929-1934 gg. - svoego roda ianrom-gegemonom") auf die Propagierung dieser Gattung durch "Litfront" zuriick.

2. P.S.Kogan, "Literaturnye gruppirovki", in: Eitatel' i pisatel' Nr.7-8 vom 25.2.1928, 4.

3. N.Berkovskij, "Bor'ba za prozu", in: ders., Tekus'&e dela (Moskva 1930), 48.

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Sekretariat RAPP, "Majakovskij - iertva sil starogo mira. Bor'ba prodoliaetsja. Somknem tesnee rjady", in: Komsomol'- skaja Pravda Nr.87 vom 16.4.1930, 2. L.Averbach, V.Sutyrin, F.Panferov, "Pamjati Majakovskogo", in: Pravda Nr.136 (4581) vom 19.5.1930, 4-5. Hier: 4. Zur Rolle B.Ol'chovyjs innerhalb der Opposition und zu seiner TBtigkeit als Redakteur von Literaturnaja gazeta vgl. die Kommentare von V.Sutyrin in seinem politischen Rechenschafts- bericht an die III.Gebietskonferenz der LAPP in Tvorc'eskaja diskussija v RAPPe. Sbornik stenogramm i materialov III Ob- lastnoj konferencii LAPP (15-21 maja 1930 g.), pod redakciej M.G.Majzelja i N.V.Slepneva (Leningrad 1930), 38. Im folgen- den abgekiirzt zit. als TDVR. L.Averbach, V.Sutyrin, F.Panferov, "Pamjati Majakovskogo". a.a.0 *, 4: "... najti kriterij po otnogeniju k literaturnomu nasledstvu Majakovskogo". In: Literaturnaja gazeta, special'nyj nomer, vom 17.4.1930. Ibid. In der Resolution des September-Plenums der RAPP 1929 wird diese Formel folgendermassen definiert: "Bol'Bevizacija dvi- ienija proletpisatelej oznaraet povygenie social'noj aktual'- nosti ich tvorzestva, povygenie teoretireskogo marksistsko- leninskogo urovnja proletpisatelej . . . , aktivizaciju ob6Eest- venno-politireskoj dejatel'nosti RAPPa bez kakogo by to ni bylo oslablenija vnimanija tvorreskim problemam". Zit. nach dem Dokumentenband Za general'nujuliniju proletarskoj litera- tury. Dokumenty i stat'i (Moskva 19301, 10. Vgl. A.Fevral'skij, Vstrec'i s Majakovskim (Moskva 1971), 65ff. Zit. nach Bezg, Gazeta "Vladimir Majakovskij", in: Literatur- naja gazeta Nr.17 (54) vom 28.4.1930, 2; im folgenden abge- kiirzt zit. als X. Allerdings ist Gorbarevs Stellung zu Maja- kovskij keineswegs immer eindeutig. Zwei Jahre zuvor hatte er den "gegenwartigen Majakovskij" als "langweilig" bezeichnet (vgl. ders., Protiv literaturnoj bezgramotnosti, izdanie vto- roe, ispravlennoe [Leningrad 19301, 48). 1929 spricht er Ma- jakovskijs Dichtung jegliche Bedeutung fiir die Entwicklung der proletarischen Lyrik ab: "Novyj Majakovskij otliraetsja ot starogo tern, Eta staryj vozbuidal spory, podraianija i dviienie vpered vnutri literatury, no by1 nedostupen massovo- mu Eitatelju; novyj dostupen massam, no ne vyzyvaet nikakogo dviienija v literature . ..i v kritike", ders., Sovremennaja russkaja literatura (Leningrad 1929), 199. A.Kamegulov, "My govorim o Zivych", in: Leningradskaja Pravda Nr.111 vom 22.4.1930. Ibid. Ibid. In: Leningradskajapravda Nr.132 vom15.5.1930. Leichterzugang- lich, allerdings in gekiirzter Fassung unter dem Titel "Protiv Eego my boremsja. Iz zajavlenij gruppy rappovcev k III Oblast- noj konferencii LAPP", in: LG No.20 (57) vom 19.5.1930, 2.

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D.Kal'm, "Proletarskaja literatura v bor'be na dva fronta. Rasgirennyj plenum sekretariata VOAPP", in: U; Nr.22 (59) vom 2.6.1930, 1. Ebenso bereits G.GorbaEev, A.Gorelov, A.Kamegu- lov , "NaEalo tvorzeskoj diskussii v RAPP", in: U; NY.21 (58) vom 26.5.1930 sowie erneut Bezymenskij in seinem Diskussions- beitrag auf der III.Gebietskonferenz der LAPP. Vgl. TDvR,124. In: TDvR, 298. Vgl. V.Sutyrin, Voskres'enie iz mertvych. Literaturnaja pole- mika (Leningrad 1930), 25: "Vse, Et0 pisal v svoej stat'e I. Bespalov [gemeint ist der Aufsatz "Protiv gramotnosti" in Pe- &at' i revoljucija 1929, Nr.9, 17-24 - HS] o 'rappovskom psi- chologizme', 'passivizme' i t.d. - vse eta toEno tak Ze bylo uie skazano lefovcami, ' i, po sugZestvu govorja, ni&t' ne chuie". V.Ermilov erklgrt wahrend der III.Gebietskonferenz: II . . . oni [SC. die Opposition - BS] skatilis' na samye primi- tivnye lefovskie pozicii", in: TDvR, 176. N.Slepnev spricht vom "'vnutrennij zaem' u lefovcev" (a.a.0. 310), E.Dobin vom Antipsychologismus "... celikom ukradennyj iz teoretireskich ambarov LEFa..." (a.a.0. 281). K "V sporach o tvorreskom metode proletarskoj literatury. Na'komsomol'skom dispute o 'Vystrele'" , in: LG Nr.12 (49) vom 24.3.1930, 3. Beide Termini haben gleichermassen eine theoretische und po- litische Bedeutungsdimension. , Vgl. (Anon.), "Literaturnyj front", in: U; Nr.35 (72) vom 15.8.1930, 1. I.Bespalov, "Razdraiennyj eklekticizm", in: PeEat' i revolju- cija 1929, Nr.5. M.Gel'fand, "Pis'mo v redakciju", in: Pec'at' i revoljucija 1929, Nr.8, 126. Vgl. such A.Zonin, Obrazy i dejstvitel'nost'. Sbornik statej (Moskva 1930), 177-181. G.GorbaEev, "Men'Hevizm vliteraturovedenii", in: LG Nr.5 (42) vom 3.2.1930, 2; erweitert in Krasnaja nov' 1930, Nr.3. "V rezoljucii konferencija trebuet samych regitel'nych mer vplot' do iskljuzenija etich tovarigzej, esli oni ne izmenjat liniju svoego povedenija". Vgl. (Anon.) "Chronika. PO litera- turnym organizacijam", in: PeCat' i revoljucija 1930,Nr.2,74. In: Pravda Nr.24 (4469) vom 25.1.1930, 3. "Pis'ma v redakciju", in: LG Nr.6 (43) vom 10.2.1930, 4. Pis'mo sekretariata RAPP, "0 razvertyvanii tvorzeskoj diskus- sii", in: IX Nr.46 (83) vom 9.10.1930, 3. iibereinstimmend hiermit V.Sutyrin in TDvR, 24. V.F.Pereverzev, "Problemy marksistskogo literaturovedenija", in: Literatura i marksizm 1929, Nr.2, 20-21. V.F.Pereverzev, "Neobchodimye predposylki marksistskogo lite- raturovedenija", in: Literaturovedenie. Sbornik statej, pod redakciej V.F.Pereverzeva (Moskva 1928), 15. I.Bespalov, M.Gel'fand, A.Zonin, "Za kommunistiEeskuju kri- tiku", a.a.0.

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33. Vgl. I.Bespalov, Problemy literaturnoj nauki. Sbornik statej (Moskva 1930).

34. I.Bespalov, "V poiskach stilja (Zametki na poljach)", in: LG Nr.37 vom 30.12.1929, 2.

35. Ibid. 36. I.Bespalov, "V .zaSEitu dejstvitel'nosti (Stat'ja pervaja)",

in: Krasnaja nov' 1930, Nr.9-10, 191. 37. I.Bespalov, "V poiskach stilja", a.a.0. 38. Ibid. 39. "Nekotorye itogi plenuma RAPPa", in: Pezat' i revoljucija

1929, Nr.10, 3. Autor des ungezeichneten Artikels ist laut Mitteilung von V.Ermilov Bespalov. Vg. TDvR 183.

40. Pis'mo sekretariata RAPP, "0 razvertyvanii tvorEeskoj dis- kussii" , in: LG Nr.47 (84) vom 14.10.1930, 3. Der Journalist M.Earnyj hat mit fast gleichlautenden Worten die Bedeutung dieser Debatten umrissen und als ihren eigentlichen Gegen- stand das Verhlltnis der proletarischen Literatur zu Majakov- skij benannt: "zla oEevidnaja bor'ba za Majakovskogo i protiv Majakovskogo, za novyj tip posta - aktivnogo uzastnika socia- listireskich boev i socialistizeskogo stroitel'stva. Eta ime- lo, ozevidno, obZee znazenie dlja sudeb tol'ko stanovjaSEej- sja molodoj sovetskoj literatury", ders., Ugeds'ie gody (Mos- kva 1970), 187.

41. So V.Sajanov, Mitglied des "Litfront" und der leningrader "Udarnaja brigada po&ov" w=lhrend der III.Gebietskonferenz der LAPP. Vgl. TDvR 269.

42. Zum Terminus des "Zuriickbleibens" (Otstavanie) vgl. z.B. (Anon.), "Literatura velikoj 5pochi", in: Pravda Nr.91 (4536) vom 2.4.1930, 1. Eine der notwendigen Massnahmen zur iiberwin- dung dieser "Schere" erblickt die RAPP und vor allem die MAPP in der Organisation und Ausbildung neuer literarischer "Kader". Al.Surkov, SekretZr der MAPP, erlautert die entsprechenden Di- rektiven der I.Gebietskonferenz der MAPP vom Februar 1930 fol- gendermassen: "Nado zastavit' ponjat', Eta pri gromadnom zna- Genii literatury kak vafnejgego sredstva vospitatel'nogo voz- dejstvija na massy, vopros o proletarskich kadrach v nej v takoj Ze mere vaZen, kak i vopros podgotovki kadrov dlja dru- gich oblastej kul'turnoj raboty", ders, "Direktivy konferen- cii MAPP, in: LG Nr.7 (44) vom 17.2.1930, 1. Bereits auf dem "Pervyj vsesojuznyj s"ezd proletarskich pisatelej" im Mai 1928 hatte die VAPP unter diesen Auspizien entsprechende Di- rektiven wie "RAPP na predprijatija" erlassen, ohne aller- dings bis Anfang 1930 die nichtprofessionellen proletarischen "literarischen Kreise" in nennenswerter Weise zu f6rdern.

43. Vgl. A.Bezymenskij, "V ataku na psichologiEeskij realizm", in: LG Nr.29 vom 4.11.1929, 2. Bereits in seinem Referat "0 probleme psichologiZeskogo uglublenija" auf der VI.Gouverne- mentssitzung der MAPP im Mai 1927 gebraucht er diesen Termi- nus - zu diesem Zeitpunkt allerdings noch in affirmativer Ab- sicht. Vgl. Tvorzeskie puti proletarskoj literatury.Sbornik

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statej (Moskva-Leningrad 1928). 44. "Sovremennye zadazi proletarskoj literatury", in: Pec'at' i

revoljucija 1929, Nr.9, 4. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist Bespalov der Autor such dieses Leitartikels.

45. Ibid. 46. A.a.O., 4-5. 47. A.a.O., 5. 48. I.Bespalov, T.7 zagzitu dejstvitel'nosti", a.a.O., 192. 49. "Sovremennye zadazi proletarskoj literatury", a.a.O., 6. 50. I.Bespalov, "V zagritu dejstvitel'nosti", a.a.O., 198. 51. Ibid. 52. M.Gel'fand i A.Zonin, "K diskussii o tvorreskom metode", in:

Pezat' i revoljucija 1930, Nr.4, 9. 53. "Sovremennye zadari proletarskoj literatury", a.a.O., 7. 54. "Protiv Eego i za Eto my boremsja", a.a.0. Vgl. such G.Gorba-

Eev, "Egre raz ob ucebe u klassikov", in: K tvorc'eskim razno- glasijam v RAPPe. Sbornik statej. K tret'ej Oblastnoj konfe- rencii LAPPa (Leningrad 1930), 177ff.

55. Vgl. M.Gel'fand i A.Zonin, "K diskussii o tvorEeskom metode", a.a.O., 7: II... net i ne moiet byt' nikakcgo principial'nogo razlizija meidu tvorzeskim metodom proletliteratury, prole- tarskogo iskusstva, s odnoj storony, i ljuboj otrasl'ju pro- letarskogo nauznogo znanija, s drugoj".

56. In diesem Zusammenhang massen vor allem die Kritiker Z.gtejn- man, V.Druzin, E.Mustangova, An.Andrusskij, C.Vol'pe u.a. ge- nannt werden. Vgl. die kritischen und theoretischen Aufsatz- sammlungen Golosa protiv. Kritizeski j al'manach (Leningrad 1928) und Za marksistskoe literaturovedenie. Sbornik statej (Leningrad 1930).

57. TDvR 64. 58. Vgl. z.B. V.V.Kompaneec, Chudoiestvennyj psichologizm v sovet-

skoj literature (1920-e gody) (Leningrad 19801, 38; vgl. wei- terhin Helmut Gldck in der Einleitung zur dbersetzung von Pave1 Medvedev, Die formale Methode in der Literaturwissen- s&aft (Stuttgart 19761, XLIX.

59. P.Sakulin, Istorija novoj russkoj literatury. kpocha klassi- cizma (Moskva 19181, 3.

60. P.Sakulin, "Metodologizeskie zadaEi istorika literatury", in: Pec'at' i revoljucija 1925, Nr.1, 100.

61. In: Za marksistskoe literaturovedenie, a.a.O., 7-79. 62. A.a.O., 11. Das Verhlltnis von "Sein" und Funktion des lite-

rarischen Kunstwerks gehiirt zu den primaren Forschungsberei- then derjenigen Literaturwissenschaftler, die in der litera- rischen Abteilung der PANION arbeiten und dem "Litfront" ver- bunden sind. Besonders deutlich ist dies bei A.Kamegulov und L.Cyrlin, die zu den Unterzeichnern des Manifests der Opposi- tion gehbren. L.Cyrlin z.B. schreibt in seinem Aufsatz “K vo- prosu o 'iizni' i ‘smerti’ literaturnogo fakta" (in: V bar'- be za marksizm v literaturnoj nauke. Sbornik statej, redakci- ja V.Desnickogo, N.Jakovleva, L.Cyrlina [Leningrad !930]), 103:

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422 HoZger Siegel

"12 togo, Eta svojstva chudoiestvennogo proizvedenija javlja- jutsja ego funkciej, neobchodimo sdelat' dal'nejgij vyvod, Eta sama funkcija est' forma ego sugeestvovanija. Chudoiest- vennoe proizvedenie dano v toj ili inoj funkcii. Tol'ko funk- cioniruja, ono obnaruiivaet.svoi svojstva. 0 chudoBestvennom proizvedenii, kotoroe ne funkcionirovalo i ne funkcioniruet, nezego skazat' (konezno, kak o chudoiestvennom proizvedenii)".

63. A.Michajlov, "0 gorbazevskoj 'gkole"', in: Na literaturnom postu 1930, Nr.15-16, 40.

64. V.Sutyrin, Voskres'enie iz mertvych, a.a.O., 45-46. 65. Vgl. Gorbazevs Definition des literarischen Werks als "...or-

ganiEeskoj cel'nost'ju SstetiEeski-dejstvujugrich slovesnych konstrukcij . ..". in: Za marksistskoeliteraturovedenie, a.a.O., 26.

66. A.a.O., 26-27. 67. A.a.O., 67. 68. A.a.O., 63. Vgl. such Z.&ejnmans Definition der Aufgaben der

marxistischen Literaturwissenschaft: "Marksistskoe literaturo- vedenie opiraetsja imenno na fakt deformacii materiala, vyvod- ja otsjuda rjad posleduju&?ich zakljurenij, v Eastnosti, vido- izmenenija real'nogo byta v uslovijach literaturnoj ego pere- rabotki. Zakony estetizeskoj konstrukcii neizbeino razrugajut 'bezuslovnost" materiala”. Ders., "Ob uslovnom i iivom zelo- veke, rabozej demokratii i nekoem tret'em", in: Strojka. Al'- manach. Kn.4-ja (Leningrad 1929), 232.

69. In: Za marksistskoe literaturovedenie, a.a.O., 52. 70. Ibid. 71. Klaus Stldtke, Zisthetisches Denken in Russland. Kultursitua-

tion und Literaturkritik (Berlin und Weimar 1978), 7-8. 72. In: Za marksistskoe literaturovedenie, a.a.O., 54. 73. G.Gorbazev, Protiv literaturnoj bezgramotnosti, a.a.O., 8. 74. Vgl. die Deklaration der Gruppe "Oktjabr'", "Ideologireskaja

i chudoiestvennaja platforma gruppy proletarskich pisatelej 'Oktjabr"", in: Pravda vom 11.3.1923. Im zweiten Paragraphen dieser Deklaration wird die Literatur definiert als "moguzee sredstvo glubokogo vozdejstvija na fuvstvennye vosprijatija mass".

75. G.GorbaEev, Protiv literaturnoj bezgramotnosti, a.a.O.,6,8-9. 76. G.GorbaEev, "Egze raz ob uEebe u klassikov", a.a.O., 177. 77. G.Gorbazev, Protiv literaturnoj bezgramotnosti, a.a.O., 11. 78. A.a.O., 21. 79. Vgl. Anm.54. 80. G.GorbaEev, "Aleksandr Bezymenskij i Btapy razvitija prole-

tarskoj literatury", in: Strojka 1930, Nr.21-22, 11. Dass es sich bei der Bezeichnung Bezymenskijs als "erster Dichter der Rekonstruktionsperiode" nicht um theoretische Konstruktionen oder hypothetische Postulate handelt, sondern urn empirisch belegbare Aussagen, zeigen die Auflagenziffern der Werke Bezy- menskijs. Laut Mitteilung der Literaturnaja gazeta haben seine Werke bis Mitte 1930 fast die Millionengrenze erreicht, wobei

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Litfront 423

auf den fiir die Kontroverse zwischen RAPP und "Litfront" ne- ben Libedinskijs Roman Roidenie geroja zentralen literari- schen Text, Bezymenskijs Verskomddie "Vystrel", ein Anteil von 125.000 Exemplaren entf&illt. "Vystrel" ist Anfang 1930 er- schienen. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass gerade der Publikumserfolg dieses Stiickes, das nach Bezymenskijs Lyrikband Komsomolija die hbchsten Verbreitungsziffern in kiirzester Zeit erreicht hat, fiir die Opposition zum wichtig- sten Beweis fiir die Richtigkeit ihrer Postulate geworden ist. Vgl. zu diesen Angaben (Anon.) "Pisatel' i massy”, in: LG Nr.25 (62) vom 26.6.1930, 3. Zur Massenwirksamkeit von "Vy- strel" vgl. such B.Ol'chovyjs Kommentare wghrend einer Dis- kussionsveranstaltung des Komsomol. Vgl. Anm.20.

81. I.Bespalov, "V zagzitu dejstvitel'nosti", a.a.O., 195. 82. B.Ol'chovyj, "Poet social'noj napravlennosti", in: Molodaja

gvardijd 1930, Nr.8, 67, 70. 83. A.a.O., 68. 84. A.a.O., 70. 85. A.a.O., 68. 86. V.V.Majakovskij, Polnoe sobranie soc'inenij v trinadcati to-

math (Moskva 1955-1961), t.X, 315. 87. A.a.O., 317. 88. A.a.O., 320. 89. A.a.O., 342. 90. A.a.O., 317. 91. In: TDvR 51. 92. A.a.O., 286,288. Zu der besonders seit Mitte der zwanziger

Jahre engen Zusammenarbeit Majakovskijs mit der Redaktion der Komsomol'skaja Pravda und seinen personlichen Beziehungen zu Jakov Il'in, einem ihrer Redakteure, vgl. Jakov Il'in, Vospo- minanija sovremennikov (Moskva 19671, 54, 114-115, 124-125 U.B.

93. V.V.Majakovskij, Polnoe sobranie..., a.a.O., 320.

*


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