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Themse- Törn · 2017. 6. 27. · noch der »Mord im Orient-Express« und erst recht nicht der...

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4 190553 504509 07 7.2017 5 TESTS Breedendam MTB fourzero WH Fountaine Pajot MY 44 Saver 300 Sport Ryds 548 Light Interboat 6.5 TECHNIK Moderne Stromerzeuger für den Bordgebrauch Mit dem Charterboot auf Englands bekanntestem Fluss Themse- Törn NEUE BOOTE 20 Boote und Yachten im Kurzporträt 25 SEITEN BOOTSMARKT SEGELN Moody 45 DS – ein Decksalon-Kreuzer aus Greifswald HOT SPOT Die Beneteau-Barracuda-Tour für den Sportangler MENSCHEN Zu Besuch beim »Wassersport-Profi von der Oder« CHARTERBOOT-TEST Keser-Hollandia 38 CL »Seepferdchen 33«
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5 TESTSBreedendam MTB fourzero WHFountaine Pajot MY 44Saver 300 SportRyds 548 Light Interboat 6.5

TECHNIKModerne Stromerzeuger

für den Bordgebrauch

Mit dem Charterboot auf Englands bekanntestem Fluss

Themse-Törn

NEUE BOOTE20 Boote und Yachten im Kurzporträt

25 SEITEN

BOOTSMARKTSEGELN Moody 45 DS – ein Decksalon-Kreuzer aus Greifswald

HOT SPOT Die Beneteau-Barracuda-Tour für den Sportangler

MENSCHEN Zu Besuch beim »Wassersport-Profi von der Oder«

CHARTERBOOT-TEST Keser-Hollandia 38 CL »Seepferdchen 33«

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Harum deniend animi, omnim quatum lam se-quae nam re, qui sit, tem reped expellate eum quia ium ipisci utet as asi blam, que vero ditates eribus. Udi delique nimpe expeliqua.

OLD FATHER THAMES

Mit 346 Kilometern Länge ist die Themse kürzer als der Neckar oder die Schelde. Dennoch zählt der Fluss zu den bekanntesten und ge-schichtsreichsten Binnenge-wässern Europas. Wir haben die plätschernde Berühmtheit von Windsor bis Oxford unter den Kiel genommen.

Blenheim Palace im Nord-westen von Oxford zählt zu den schönsten Schlössern Großbritanniens. Es ist das Geburtshaus von Winston Churchill und UNESCO Weltkulturerbe

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Mal angenommen, Sie wä-ren vom Sternzeichen her Stier und hätten im wetterlaunischen Monat April Geburtstag. Jetzt

haben wir Juni, die Sonne lacht und Sie möchten Ihren Ehrentag draußen im Grünen nachfeiern. »Warum nicht », denken Sie, »das ist doch eine prima Sache.« Weiter angenommen, Sie hie-ßen nicht Meier, Müller oder Schulz, sondern Elisabeth Alexandra Mary, hät-ten am 21. April 1926 in der Nähe vom Hyde Park in London das Licht der Welt erblickt und wären somit keine geringere als Ihre Majestät, Königin Elisabeth II. Ich weiß, das klingt vermessen, aber nichtsdestotrotz, die Feierdoublette ist seit über 200 Jahren fester Ritus im britischen Königshaus. Und so feiert die Queen ihren kalendarisch korrekten Ge-burtstag privat im Buckingham Palast, ihren – wie die Briten sagen – Official Birthday dann mit Pauken und Trompen an einem (möglichst wetterfreundli-chen) Juniwochenende landesweit nach.

»Sorry«, entschuldigt sich Jonathan«, ich weiß, ich bin zu spät. Aber auf der Themse ist die Hölle los.« Das ist – ty-pisch britisch – Understatement pur! Jonathan hat unser Boot von Henley-on- Thames nach Windsor überführt, doch heute ist Queens Official Birthday, Gott und die Welt sind auf dem Wasser und so hat er sich vor jeder Schleuse im wahrsten Sinn des Wortes die Beine ins Achterdeck gestanden. »Die Bove-ney Lock«, sagt er, »die letzte Schleuse vor Windsor, hab ich mir erspart. Euer Boot liegt jetzt drei Meilen flussaufwärts im Windsor Yachtclub. Am besten, ihr fahrt mit dem Taxi hin«. Dann spendiert uns eine Runde Cider und übergibt die Bootsschlüssel. Natürlich ist nicht so-fort ein Taxi zu haben. Wir überbrücken die Zeit und stürzen uns in den Trubel. Elisabeth II. nimmt in London gerade ihre Geburtstagsparade ab, glänzt also auf Windsor Castle mit Abwesenheit, doch das stört weder die Grenadiere mit ihren schwarzen Bärenfellmützen noch die Partysause in den zahllosen Pubs

rund um das Schloss. Einzig das Eton College am gegenüberliegenden Flussufer gibt sich distinguierter. Aber das ist eher

nur Schein. Schließlich haben in dem wohl renommiertesten und mit 30.000 £ Schulgebühren jährlich wohl auch teuers-ten Elite-Internat Großbritanniens nicht wenige Royals die Schulbank gedrückt.

Kein Problem! Der Hafenmeister des Windsor Yachtclubs trinkt in aller Ruhe seinen Five O‘Clock Tea aus und beglei-tet uns dann zu unserer Linssen 34.9 AC. Unser Ziel ist Oxford, die ehrwür-dige Wissenschaftsschmiede mit ihrer historischen Bilderbucharchitektur, ih-rem bunten Studentenleben und natür-lich dem Boat Race, dem berühmt-be-rüchtigen Ruderboot-Rennen zwischen den Oxforder Studiosi und ihren Kom-

militonen aus Cambridge. Nach Oxford – für den britischen Lyriker John Keats übrigens die schönste Stadt der Welt –sind es vier gemütliche Flussreisetage entlang sanft gewellter Wiesen, fulmi-nanter Landsitze und mittelalterlicher Lilliput-Örtchen. Hinter der historischen Steinbogenbrücke von Maidenhead rü-cken kleine, dicht verwucherte Inseln ins Bild. Hoch über den grünen Flu-ten der Themse thront Cliveden House. Während sich die tiefe Abendsonne in den Neorenaissance-Fassaden des ehe-maligen Luxus-Landsitzes und heutigen 5-Sterne-Hotels spiegelt und sich in den palastähnlichen Hallen alles um das Wohlbefinden der zahlungskräftigen

1. Windsor Castle ist nach dem Buckingham Palace der Zweitwohnsitz der Queen2. Die Stelzenkünstler in Windsor sind ein beliebtes Fotomotiv3. Auch wenn die Queen gerade nicht auf Windsor Castle verweilt, ist sie in der Stadt doch allgegenwärtig 4. Selfies mit dem Südflügel von Windsor Castle werden gern gepostet

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Gäste dreht, legen wir ein paar Zündtak-te weiter in Cookham an.

Der kleine Marktfleck mit seinen prähis-torischen Grabhügeln und seinem massi-gen, rund 750 Jahre alten Kirchlein ist kein unbeschriebenes Blatt in Sachen »Schöner Ankern«. Am Kai liegen ein Dutzend navigabler Preziosen, gut die Hälfte sind herzallerliebst herausgeputzte Narrowboats, der Rest klassische Slipper Launches, best-restaurierte Mahagoni- Oldies mit blitzenden Messing-Klampen und stattlichem Union Jack am Flag-genstock. »Ich bin Clive«, stellt sich der Skipper des Narrowboats hinter uns vor. Wir kommen ins Gespräch. Ich frage ihn, ob sein schwarz lackiertes, mit bunten Ornamenten verziertes Boot ein Original

sei. »Nein, nein«, lacht er, »das ist ein Nachbau, 11 Jahre alt, 6 Fuß breit, 58 Fuß lang und rund 20 Tonnen schwer.« Natürlich muss ich mir das industriege-schichtliche »Erbstück« der britischen Kanalschifffahrt genauer anschauen. Auf den ersten Blick erinnert das »Narrow« an eine Kreuzung aus Eisenbahnwaggon und Bohnenstangen-langem Schwimm-körper. Gesteuert wird das fluviale Schie-nenderivat mit einer langen Pinne. Der Freiluft-Steuerstand am Heck ist klein, man kann nur stehen und hat aufgrund des langen Aufbaus nicht die allerbeste Sicht nach vorn. Bug- und Heckstrahl-helferlein sind Fehlanzeige. »Wir haben sogar einen Kaminofen an Bord«, sagt Jill, »wenn der bollert, ist das Boot auch im Winter gemütlich warm.« Nach ein-

gehender Inaugenscheinnahme fragen uns Clive und Gattin Jill, ob wir nicht mit ihnen essen gehen wollen. »Gleich um die Ecke«, versichert Jill, »gibt‘s ein tolles Gasthaus.« Wir überlegen nicht lange und spazieren mit den beiden am rosenstockumrahmten Pfarrkirchlein ent- lang zur High Street. »Das«, deutet Jill auf ein windschiefes, jedem Freilichtmu-seum zur Ehre gereichendes Fachwerk-häuschen, »ist das Bel & The Dragon, eines der ältesten Gasthäuser Großbri-tanniens.« Ich schaue etwas irritiert. Doch die Küche ist – Old Father Thames sei Dank – keine Blaupause des äußeren Erscheinungsbildes. Im Gegenteil, schon die Vorspeise räumt mit dem Vorurteil, Britannia sei lukullisches Notstandge-biet, radikal auf.

1. Der markante Turm der All Saint‘s Church am Themseufer in Bisham wurde im 10. Jh. erbaut2. Cliveden House hat viele prominente Gäste gesehen. Churchill, Kennedy, Gandhi und Roosevelt zählen dazu 3. Cliveden House ist heute ein 5-Sterne Hotel. Schon die Eingangshalle erinnert an die glorreichen Empire-Zeiten4. Anders als die anderen Gärten von Cliveden House ist das 16.000 m² große Parterre dezent gestaltet

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Im Glauben unserer Urahnen sind Flüs-se beseelte Wesen. Ihr Name geht in der Regel auf eine Gottheit oder den Schutzheiligen des Gewässers zurück. Bei Old Father Thames ist die Allianz mit dem Übernatürlichen allerdings unklar. So rätselt die Wissenschaft bis heute über die Herkunft des Wasser-gotts. Stammt er aus dem Götterhimmel

der Kelten und bedeutet sein Name so etwas wie »dunkel« oder »schlammig«? Ist er germanischen Ursprungs oder gar ein Abkömmling der Quellennymphen im griechischen Delphi? Wie dem auch sei, auf jeden Fall hat die letzte Eiszeit kräftig Hand an das Layout des Flus-ses gelegt und Old Father Thames ein hübsches Gewusel aus romantisch-ver-

klärten Schleifen spendiert. Die Indus-trialisierung dann rüttelt den Fluss aus seiner Beschaulichkeit. In Rekordzeit werden Kanäle geschaufelt und die Ge-fälle mit langen, schmalen Schleusen nivelliert. In nur wenigen Jahrzehnten legt sich Britannia ein Wasserstraßennetz von sage und schreibe

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7.000 Kilometern zu. Doch es kommt wie es kommen musste: Schiene und Straße machen den Kapitalgebern der Kanäle schon bald einen Strich durch die Rechnung. Und so wären die Nar-rows als Lastesel der Industrialisierung längst Geschichte, hätten die traditi-onsbewussten Briten nicht ihre Affinität zum entspannten Kanalwandern ent-deckt.

Apropos »Tradition«: Nach vier Lilliput- Schleusen mit hübschen Wärterhäus-chen und akkurat gepflegten Gärten erreichen wir Henley-on-Thames. Das aparte 10.000-Seelen-Städtchen liegt

rund 12 Flussmeilen oberhalb von Cook-ham und zählt – mit Verlaub gesagt – zu den betuchtesten Wohngegenden der Londoner Ultraperipherie. Gründe, hier zu wohnen, gibt es viele. Da wäre die idyllische Lage mitten im Grünen, die adrette Fachwerkaltstadt und natürlich der schnurgerade Flussverlauf zwischen Temple Island und der Henley Bridge. Ohne Steuer- oder Backbordmanöver, quasi auf dem Silbertablett serviert, plätschert die Themse knapp zwei Mei-len lang wie mit dem Lineal gezogen vor sich hin. Das klingt nach einem idealen Wassersportrevier ... und ist es auch. 1829 tragen die Rudercracks der Uni-

versitäten Oxford und Cambridge hier ihr erstes Boat Race aus, zehn Jahre später geht die erste landesweite Ama-teurregatta an den Start, 1851 wird die Henley Royal Regatta als fluviales Pendant zum Centre Court in Wimb-ledon und den Pferderennen in Ascot aus der Taufe gehoben und 1870 – so John Murray‘s »Handbook for Travel-lers« – zählt Henley-on-Thames bereits zur Crème der britischen Rudersportad-ressen. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Kein Wunder also, dass – wer es sich leisten kann – hier gerne wohnt.

1. Wer es sich leisten kann, wohnt wie hier in Henley-on-Thames gerne am Wasser

2. Neben klassischen Launches ver- chartert Jonathan Hobbs auch Linssen-Stahlverdränger

3. Die Regattastrecke in Henley-on- Thames ist so schmal, dass nur zwei Boote gegeneinander antreten können

4. Perfekter Bewegungsablauf, aufrechte Körperhaltung und Teamgeist – Rudern ist Sport und Persönlichkeitsentwick-lung zugleich

5. Früher waren die Narrow-Boats so etwas wie die Lastesel der Industriali-sierung. Heute sind sie schwimmende Ferienwohnung für Alt und Jung

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Ich weiß nicht, in wie vielen Krimis die Themse zu Mord- und Totschlag-Ehren kommt. Ganz oben auf der Liste der Schreibtischtäter steht Edgar Wallace. Absoluten Kultstatus haben seine Ro-manverfilmungen, in denen Klaus Kinski den skrupellosen Chefbösewicht und Jo-achim Fuchsberger den forschen Hüter des Gesetzes spielt. Ein anderer – oder besser gesagt eine andere, nicht minder berühmte Autorin ist Agatha Christie. Zwar haben weder ihre Miss Marple, noch der »Mord im Orient-Express« und erst recht nicht der »Tod auf dem Nil« etwas mit Old Father Thames zu tun, da-für aber lebt und arbeitet die Dame von 1934 bis zu ihrem Tod am 12. Januar 1976 in einem kleinen Landhaus weni-ge Fußminuten vom historischen Zent-rum des 7.000-Einwohnerstädtchens Wallingford entfernt. Natürlich müssen wir die Wirkungsstätte der Queen of Cri-me in Augenschein nehmen. Ergo legen wir ein paar Meter hinter der Walling-ford Bridge an, gehen die schmale High Street mit ihren niedlichen Backstein-

und Fachwerkhäuschen herauf und erkundigen uns in der Town Hall, dem kleinen Rathaus am Marktplatz, nach der Autorin. Freundlich drückt man uns eine Broschüre mit den Schauplätzen ihres Schaffens in die Hand. Agatha Christie, so lesen wir, ist mit geschätzt 4 Milliarden (!) verkauften Büchern die erfolgreichste Schriftstellerin aller Zei-ten. Nur die Bibel hat eine höhere Auf-lage.

Agatha hin, Mord und Totschlag her – rund 22 Meilen bzw. sieben Schleusen, die älteste Baujahr 1632, die jüngste 1832, liegen zwischen dem Domizil der Krimiautorin und der Universitäts-stadt Oxford. In dem postkartenschönen Biergarten des ehrwürdigen The Nag‘s Head Pub gleich am Abingdon Brück-chen gönnen wir uns noch schnell ei-nen Cider, dann baut sich auch schon Oxford‘s Folly Bridge vor unserem Bin-nenkreuzer auf. Ob die histo-rische Bogenbrücke hoch genug für die Linssen

ist? Ich fahre bis auf wenige Meter an die Brücke heran. Die Gäste rechts auf der Terrasse des Head of the River Pub scheinen schon Wetten abzuschließen. Versucht der Kerl, also ich, sein Glück? Oder nicht? Um es kurz zu machen: Ich drehe um 180° und lege die Linssen ein paar Schraubendrehungen hinter dem Pub an die Leine. Am gegenüberlie-genden Ufer gibt sich eine Galerie wei-ßer College-Bootshäuser die Ehre. Auf der Themse selbst trainieren zwei Ru-der-Achter. Kommandos gellen, mit der Präzision eines Uhrwerks tauchen die Riemen ins Wasser und wandeln Mus-kelkraft in pfeilschnellen Vortrieb um. Wir nehmen unseren Reiseführer und marschieren los. Oxford, lese ich auf dem Weg zur High Street, ist nicht nur eine der weltweit ältesten und renom-miertesten Hochschulstandorte, neben Tradition und mittelalterlicher Baubom-

bastik ist die 160.000-Einwoh-nerstadt auch ein Leucht-

turm in Sachen Kunst und Literatur.

Zehn Minuten später stehen wir vor dem Tom Tower, dem monumentalen Glockenturm des Christ Church Col-lege. Diese architektonisch surreal schöne Wissensschmiede wurde 1525 auf den Grundmauern eines Klosters erbaut. Ihre Absolventen-Liste liest sich wie das Who is Who der briti-schen Wirtschafts- und Politikerelite. Allein 13 (!) Premierminister haben sich in den minenverseuchten Gewäs-sern der Erkenntnisfindung hier ihre akademischen Sporen verdient. Aber auch Freunde des Irrrealen kommen in

dem größten der gut drei Dutzend Oxfor-der Colleges auf ihre Kosten. Für 9 £ Ein-tritt können – pardon – dürfen wir neben der Christ Church Kathedrale und dem perfekt gepflegten Rasen des riesigen Innenhofs auch die Dining Hall, den Speisesaal des Col-lege, in Augenschein nehmen. In dem ehrwürdigen Raum mit seinen mittelal-terlichen Fenstermalereien und seinem hohen, handgeschnitzten Balkengewöl-

be tafel(te)n aber nicht nur die zukünf-tigen Steuermänner (und -frauen) des britischen Empire. Hier speiste auch

der Mathematik-Do-zent und »Alice im Wunderland«-Autor Charles Dodgson. 135 Jahre nach Erscheinen seines Kinderbuchs – also zur Jahrtausend-wende – wird das Col-lege zur Filmkulisse. Vor laufender Kamera begrüßte eine gewisse Frau Professor McGrova-gall auf der Treppe zum Speisesaal die frisch gebackenen Studienan-fänger, darunter einen 11-jährigen Waisenjungen

namens Harry Potter. Ja, Christ Church College ist auch einer der Drehorte, an denen der fiktive Magierschüler über Zaubertrankrezepte brütet, Blitze schleudert und sich in der hohen Kunst des Besenflugs übt.

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1. In ihrem beschaulichen Wohnhaus in Wallingford schrieb Agatha Christie ihre weltberühmten Krimis

2. Vom Abingdoner Themseufer aus sind es nur wenige Fußminuten bis ins histori-sche Zentrum der Stadt

3. Der Biergarten des The Nag‘s Head Pub an der Brücke von Abingdon zählt zu den lauschigsten seiner Art

4. Die Gründung der Abingdoner Brauerei Morland geht auf das Jahr 1711 zurück

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London, 2. April 2017: Punkt 17.44 Uhr senkt sich die Startflagge zur 163. Auflage des Boat Race. 16 Minuten und 59 Sekunden später schießt das Sie-gerboot durchs Ziel. Gewonnen hat das prestige- und karriereförderliche Duell über die 6.8 km lange Distanz diesmal

der Männerachter aus Oxford. Möglich, dass die Queen die Ruderheroen zu ih-rem Birthday-Lunch auf den Londoner Prachtboulevard »The Mall« einlädt. Wenn, dann aber nur zusammen mit dem 2. Sieger, dem Team der Universi-tät Cambridge. Schließlich sind die Bri-

ten ja nicht nur begeisterte Rudersport-fans sondern haben ja auch – Ehre und Respekt dem sportlichen Gegner – das Fair Play erfunden.

1. Die Bodleian Bibliothek in Oxford wurde 1611 eröffnet. Damals hatte sie 2.000 Bücher, heute sind es rund 7 Mio

2. Der hohe Kirchturm der University Church beherrscht das Stadtbild von Oxford

3. Der Speisesaal des Christ Church College wurde für die Harry-Potter-Verfilmungen in den Londoner Leavesden-Studios nachgebaut

4. Früh übt sich wer in der Christ Church Cathe-dral School ein großer Sportsman werden will

5. Das Christ Church College ist die größte und wohl auch bekannteste universitäre Institution in Oxford

6. Von der Terrasse des Head of The River Pub hat man einen beschaulichen Blick auf die Themse

7. Die Oxforder Universität hat rund 22.500 Studierende. Sie geben der 160.000 Einwoh-nerstadt ein junges Gesicht

Text & Fotos: Gerald Penzl

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ANREISE U. a. mit Air Berlin (www.airberlin.com), British Airways (www.britishairways.com) oder Eurowings (www.eurowings.com) nach London Heathrow (www.heathrow.com). Der Flughafen liegt 24 km westlich von London; die Charterba-sis in Henley-on-Thames ca. 50 Taximinuten weiter Rich-tung Westen. Der Fahrpreis beträgt etwa 60 EUR.

LAND UND LEUTE Die Themse ist mit 346 km zwar nicht der längste, dafür aber mit Abstand der bedeutendste Fluss Großbritanniens. Seine Quelle liegt in der Nähe des Dorfes Kemble im Süd-westen Englands, seine Mündung in die Nordsee rund 60 km südöstlich von London. Um die Londoner City vor Sturmfluten zu schützen, wurde 1982 das Flutschutzwehr Thames Barrier errichtet. Die 520 m breite Anlage im Sü-den Londons besitzt 10 Sperrtore und zählt weltweit zu den größten Bauwerken ihrer Art (www.gov.uk/guidance/the-thames-barrier). Die Hafenbehörde Port of London Au-thority managt den Schiffsverkehrs zwischen London und der Themsemündung (www.pla.co.uk). Ihre Zuständigkeit endet bergwärts an der Teddington Schleuse. Diese liegt 43 Flusskilometer oberhalb der Thames Barrier. Ab hier übernimmt die staatliche Envirement Agency die Kontroll-aufgaben über den Fluss mit seinen 45 Folge-Schleusen (www.gov.uk/government/organisations/environment-agency).

Den Ober- und Mittellauf der Themse kennzeichnen sanf-te Hügelketten, Gartenanlagen und Landwirtschaft. Den Besucher erwarten historische Städte, kleine Dörfer und stattliche Herrensitze. Rund 39 Flusskilometer bzw. 24,2 Flussmeilen bergwärts der Teddington Schleuse (in Karten

in der Regel mit Flusskilometer/Flussmeile »0« bezeichnet; Themseschleusen siehe: www.gov.uk/guidance/river-thames- bridges-locks-and-facilities-for-boaters liegen die 30.000- Einwohnerstadt Windsor (www.windsor.gov.uk), bzw. am ge- genüberliegenden Ufer die 4.500-Einwohnerortschaft Eton. Absoluter Publikumsmagnet in Windsor ist Windsor Castle, nach dem Buckingham Palast quasi der Zweitwohnsitz der Queen (www.royalcollection.org.uk/visit/windsorcastle/plan-your-visit?language=de). Die bekannteste Institution in Elton ist das Eton College. Die rund 600 Jahre alte Schuleinrichtung zählt mit ihren etwa 1.300 Schülern und über 150 hauptamtlichen Lehrern zur absoluten Elite der britischen Privatschulen (www.etoncollege.com).

Freunde italienischer Gärten kommen in Cliveden auf ihre Kosten. Der Name steht für einen prunkvollen, im Itali-ante Stil erbauten Landsitz. Die bis zu 350 Jahre alten Gebäude sowie ihre weitläufigen Gartenanlagen unterste-hen der gemeinnützigen Denkmal- und Naturschutzorgani-sation National Trust (www.nationaltrust.org.uk/cliveden), das Haupthaus beherbergt ein luxuriöses 5-Sternehotel mit 44 stilvollen Zimmern (www.clivedenhouse.co.uk). Der se-henswerte Komplex ist fünf Taxi-Kilometer von Cookham‘s historischem Bel & the Dragon Gasthof (www.belandthed-ragon-cookham.co.uk) entfernt.

Die Themse zählt zu den wichtigsten Rudersportschauplätzen Großbritanniens. Neben dem berühmten Boat Race zwi-schen der Universität Oxford und Cambridge (www.the boatraces.org) sind das 14.000-Einwohnerstädtchen Marlow (www.mymarlow.co.uk) und Henley-on-Thames zwei weitere Eckpfeiler dieser traditionsreichen Sportart. Gleich neben der Marlow Bridge, eine der ältesten Hängebrücken Euro-pas, liegen die Bootshäuser des Marlow Rowing Club, des mithin erfolgreichsten Rudersportvereins der Insel (www.marlowrowingclub.org.uk). Henley-on-Thames (www.visit- henley.com) ist ein gut situiertes Kleinstädtchen mit his-torischer Altstadt, breiten Einkaufsangeboten, guten Res-taurants sowie der jährlich in der ersten Juliwoche statt-findenden, fünftägigen Henley Royal Regatta als ebenso sportliche wie gesellschaftliche Spitzenveranstaltung (www.hrr.co.uk). Sehenswert ist hier auch das River & Rowing Museum (www.rrm.co.uk).

Reading ist nach London die zweitgrößte Stadt am Ufer der Themse (www.livingreading.co.uk). Die moderne

200.000-Einwohnermetropole verfügt über gute Shopping- und Kulturangebote. Weiter flussaufwärts folgen idyllische Wiesen- und Hügellandschaften mit dahin gestreuten Dör-fern und Kleinstädtchen wie dem hübschen 3.200-Ein-wohnerort Goring (www.visitgoringandstreatley.co.uk), dem geschichtsreichen 8.000-Einwohnerstädtchen Wallingford mit der Wohn- und Wirkensstätte von Agatha Christie (www.wallingford.co.uk), der 33.000 Einwohner-Stadt Abingdon (www.abingdon.gov.uk) mit ihrem historischen Stadtkern sowie den beiden empfehlenswerten Themseu-fer-Pubs The Old Anchor (www.oldanchorinn.co.uk) und The Nag‘s Head (www.thenagsheadonthethames.co.uk). Mit 50 Nobelpreisträgern zählt die Universität Oxford zu den renom-miertesten Hochschulen der Welt (www.ox.ac.uk). Zu den touristischen Pflichtübungen der 160.000-Einwohner-Stadt (www.experienceoxfordshire.org) gehören neben den univer- sitären Colleges, allen voran das Christ Church College (www.chch.ox.ac.uk), u. a. ein Blick über Oxford vom Turm der Universitätskirche, die Bodleian Library mit rund 7 Mio. Büchern (www.bodleian.ox.ac.uk), die University Parks, das naturgeschichtliche University Museum (www.oum.ox.ac.uk) und natürlich die Pubs, Shops und Restaurants im Umfeld der High Street. Besuchenswert ist auch die Kneipe Head of the River neben der Folly Bridge (www.headoftheriveroxford.co.uk). Rund 20 Taximinuten von der City entfernt liegt Blenheim Palace (www.blenheimpalace.com). Das Schloss mit seinen rund 1.000 ha großen Gartenanlagen zählt zu den größten und bekanntesten Bauwerken seiner Art in England, ist das Ge-burtshaus von Winston Churchill (www.winstonchurchill.org) und gehört zum UNESCO Weltkulturerbe.

CHARTER Das Charterunternehmen Hobbs of Henley in Henley-on- Thames hat neben Ruderbooten, offenen bzw. überdachten Launches unterschiedlicher Größe die von uns gefahrene Linssen Grand Sturdy 34.9 AC (Baujahr 2013) sowie eine Linssen Grand Sturdy 36.9 AC (Baujahr 2015) im Charter (www.hobbsofhenley.com, Tel.: +44 (0)1491 572035, email: [email protected]). Der Mietpreis der Lins-sen variiert je nach Bootstyp und Saison zwischen 1.600 £ und 2.800 £/Woche, die Kaution beträgt 700 £ (davon 200 £ für Dieselkraftstoff). Das Boot ist im Geltungsbereich der Envirement Agency führerscheinfrei. Ca. 500 m vor der Basis befindet sich ein großer Waitrose Supermarkt (Bellstreet 33, www.waitrose.com/bf_home/bf/214.html).

TÖRN-ROUTE Ausgangspunkt des Chartertörns ist in der Regel Henley-on- Thames (HoT). Der Ort liegt 46 Flussmeilen (mi = englische Meile = 1.609,344 m ≈ 1,61 km) bergwärts der Teddington Schleuse bzw. 47 mi talwärts der Folly Bridge in Oxford. Zwischen der Teddington Schleuse und der Henley Bridge in HoT liegen 17 Schleusen, zwischen der Henley Bridge und der Folly Bridge noch-mals 15 Schleusen. Wir ha-ben das Boot in der Windsor Marina übernommen, diese liegt rund 19 mi/7 Schleusen talwärts der Henry Bridge, unser »Windsor-HoT-Oxford- HoT-Törn« beinhaltet somit 37 Schleusen und ist 113 mi (≈ 180 km) lang.Die Schleusen werden in der Regel von Schleusenwärtern bedient, können aber auch selbst gehandhabt werden. Die Orte am Ufer der Themse verfügen über eigene Anleger (Kosten ca. 5 £/ Nacht). In der Thames & Kennet Marina bei Reading sind u. a. Frischwasser und Diesel erhältlich, Brauchwas-ser und Fäkalien können gegen Gebühr abgesaugt werden (www.tingdene-marinas.co.uk, Tel.: +44 (0)118 9482911).

LITERATURGut unterwegs ist man mit dem englischsprachigen »The River Thames Handbook« aus dem Imray-Verlag (www.im-ray.com), 7. Auflage, 2016, 236 S, 12,95 £. Ausführliche Landeskunde, gute Ortsbeschreibungen und viele Detailin-formationen insbesondere zum Thema Essen & Trinken lie-fern die Reiseführer des Bielefelder Reise Know-How Verlags (www.reise-know-how.de). Im Zusammenhang mit unserem Törn sind das Handbuch »England. Norden und Mitte« (2. Auflage, 2014, 540 S, 22,50 EUR) sowie der City-Guide »Oxford« (4. Auflage, 2016, 144 S, 11,95 EUR) empfeh-lenswert. Literarisch ambitionierte Leser finden in Peter Ack-royd‘s Flussbiographie »Die Themse« ein in jeder Hinsicht exzellentes, im Romanstil spannend geschriebenes Sach-buch (2008, 576 S, 39,95 EUR Knaus Verlag).

INFORMATIONENAllgemeine Urlaubsinfos und -ideen zu Großbritannien unter: www.visitbritain.com/de.

REISEINFOS

Hinweis: Alle Informationen wurden mit größter Sorgfalt recherchiert. Da sich Fehler nicht gänzlich ausschließen lassen, sind alle Angaben ohne Gewähr.

Oxford

AbingtonWallingford

Marlow CookhamCliveden

WindsorGoring

Reading

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