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THEMA Wiebkes Motto lautet: „Geboren, um zu leben“ · Lunge ist super“, freut sich ......

Date post: 18-Sep-2018
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MONTAG, DEN 8. AUGUST 2016 THEMA OSTFRIESEN-ZEITUNG, SEITE 10 LEER - Sie wirkt zart, fast zer- brechlich. Doch das ist nur äußerlich. Innerlich ist Wieb- ke mindestens so stark wie ein Löwe – und ebenso so tapfer. Sie war nur „eine Handvoll Leben“, sagt San- dra Linnert, die Wiebke in der 26. Woche mit gerade mal 390 Gramm Gewicht auf die Welt bringen musste. Seither hat ihre Tochter ge- kämpft, vor allem um Luft. Wiebkes Lunge war nicht voll ausgebildet. Vor dreiein- halb Jahren bekam sie ein Spenderorgan. „Die neue Lunge ist super“, freut sich die 15-Jährige, die ein großer Fan von „Unheilig“ ist. Ihr Lieblingslied? Keine Frage: „Geboren, um zu leben“ – quasi Wiebkes Motto. Sie hat am eigenen Leib erfahren, wie wichtig es ist, dass es genug Organspender gibt (siehe Kasten). Deshalb engagiert sie sich jetzt auch gemeinsam mit ihrer Familie für Organspende. Am Freitag klärte Wiebke mit dem Ver- ein „Organtransplantierte Ostfriesland“ beim Benefiz- spiel „Kick für Leukin“ in Westrhauderfehn über den Organspendeausweis auf und freute sich, dass ihr Lieblingsverein Werder Bre- men mit seiner Traditions- mannschaft angetreten war (OZ berichtete). „Ich bin ein großer Fan“, verrät Wiebke. Ihr Bruder kann das nicht verstehen: Der 13-jährige Manuel schwärmt für Bayern München. „Da kann man nichts machen“, bedauert seine Schwester. Abgesehen vom Fußball verstehen sich die Geschwis- ter aber super. „Wir streiten höchstens mal zwei Minu- ten“, sagt Wiebke. Sie be- sucht die Greta-Schoon- Schule in Leer, eine Förder- schule mit dem Schwerpunkt geistige Entwicklung. Seit der ersten Klasse geht das Mäd- chen, das mit seiner Familie im Saterland lebt, dorthin. Die Schule bedeutet Wiebke viel. Als sie nach der schwe- ren Lungentransplantation endlich wieder zum Unter- richt durfte, war ihr klar: „Jetzt bin ich wirklich ganz zu Hause.“ Ihre Mutter erzählt: „Es war in der Tat fünf vor zwölf, als wir die Nachricht beka- men, dass es eine Lunge für Wiebke gibt.“ Am 24. Janu- ar 2013 um 23.55 Uhr kam die erlösende Nachricht von der Vermittlungsstelle für Or- ganspenden, Eurotransplant. „Da ging es Wiebke seit zwei Jahren schon sehr schlecht, sie brauchte 24 Stunden am Tag Sauerstoff“, berichtet ih- re Mutter. „Das Warten auf ein Spenderorgan war schrecklich. Immer wenn es eine Nachricht über ein totes Kind gab, hat Wiebke gesagt: Mama, die rufen bestimmt gleich an“, erinnert sie sich. Wiebke war immer völlig klar, dass jemand sterben muss, damit sie leben kann. „Aber der Mensch ist ja nicht extra für mich gestorben“, weiß sie. Die 15-Jährige hat sich selber auch einen Or- ganspendeausweis zugelegt. „Ich habe meine Ärzte ge- fragt, ob ich auch Organ- spender sein kann – und die haben Ja gesagt. Ich könnte sogar meine Spenderlunge weitergeben“, erzählt sie. „Wenn ich irgendwann ge- hen muss, kann ich wenigs- tens noch ein anderes Leben retten.“ Das sei doch auch ein tröstlicher Gedanke, fin- det Wiebke. Wie lange ihre neue Lunge hält, weiß sie nicht. Um das Organ zu schützen, muss die 15-Jährige oft einen Mund- schutz tragen: beim Sport, in der Erkältungszeit, bei gro- ßen Menschenansammlun- gen. Wenn jemand fragt, wa- rum, sagt Wiebke: „Ich darf nicht krank werden, ich habe eine neue Lunge.“ Alles essen darf sie auch nicht – so ist ro- hes Gemüse tabu. „Das macht aber gar nichts: Was ich nicht darf, schmeckt mir sowieso nicht“, sagt Wiebke: „Da hab ich Glück gehabt.“ Im Schnitt halte eine transplantierte Lunge sieben bis neun Jahre, sagt ihre Mut- ter. „Aber man kann das nie genau wissen“, erklärt San- dra Linnert. Ihre Tochter denkt darüber auch nicht nach, sie plant lieber ihre Zu- kunft: „Ich möchte mindes- tens meinen Hauptschulab- schluss, am besten noch den Realschulabschluss schaf- fen“, sagt sie. „Ich weiß, es wird für mich schwer wer- den, später einen Job zu be- kommen“, ist ihr klar. Doch sie hat einen Traum: „Am liebsten wäre ich Redakteu- rin bei einer Zeitung“, verrät Wiebke. Dann würde sie da- rüber schreiben, wie wichtig Organspende ist. VON PETRA HERTERICH Das Mädchen kam als Frühchen mit gerade mal 390 Gramm auf die Welt. Aus dieser „Handvoll Le- ben“ wurde eine starke Persönlichkeit. MEDIZIN Die 15-Jährige bekam 2013 eine neue Lunge / Beim Benefizturnier in Westrhauderfehn warb sie für Organspende Wiebkes Motto lautet: „Geboren, um zu leben“ Wiebke Linnert (mit Mundschutz) und ihr Bruder Manuel (links) hatten zusammen mit Barbara Backer vom Verein Organtransplantierte Ostfriesland viel Spaß mit den Werder-Stars Ailton und Lars Unger (rechts). BILD: THOMAS BARTH Mit ihrem Bruder Manuel versteht Wiebke sich super – Zeit für Quatsch finden beide immer. BILD: HERTERICH Wiebkes Mutter, Sandra Linnert. Derzeit warten in Deutschland mehr als 10 000 Patienten auf ein Spenderorgan, teilt die Deutsche Stiftung Organ- transplantation (DSO) auf ihrer Homepage mit. Etwa 8000 von ihnen brauchen eine Niere. Es warten dreimal so viele Men- schen auf eine Niere, wie Transplantate vermittelt werden. Im ersten Halb- jahr wurden bundesweit 715 Nieren und 140 Lun- gen transplantiert. In Niedersachsen warten laut Eurotransplant rund 980 Menschen auf ein neues Organ. Eurotrans- plant ist die Vermittlungs- stelle für Organspenden in Deutschland. Laut DSO sind 2016 im ersten Halb- jahr 183 Organe in Nieder- sachsen transplantiert worden. Die Selbsthilfegruppe „Or- gantransplantierte Ost- friesland“ kümmert sich um Wartepatienten, Transplantierte, ihre An- gehörigen und Freunde. Es geht um Erfahrungs- austausch, gegenseitige Unterstützung und Hilfe. Regelmäßig alle zwei bis drei Monate finden Tref- fen statt. Weitere Infos gibt es unter www.organ- transplantierte-ostfries- land.eu. Organspende 140 Lungen wurden 2016 bundesweit bisher transplan- tiert. BILD: NERTHUZ/ FOTOLIA
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Page 1: THEMA Wiebkes Motto lautet: „Geboren, um zu leben“ · Lunge ist super“, freut sich ... erfahren, wie wichtig es ist, ... im Saterland lebt, dorthin. Die Schule bedeutet Wiebke

MONTAG, DEN 8. AUGUST 2016 T HE M A OSTFRIESEN-ZEITUNG, SEITE 10

LEER - Sie wirkt zart, fast zer-brechlich. Doch das ist nuräußerlich. Innerlich ist Wieb-ke mindestens so stark wieein Löwe – und ebenso sotapfer. Sie war nur „eineHandvoll Leben“, sagt San-dra Linnert, die Wiebke inder 26. Woche mit gerademal 390 Gramm Gewicht aufdie Welt bringen musste.Seither hat ihre Tochter ge-kämpft, vor allem um Luft.

Wiebkes Lunge war nichtvoll ausgebildet. Vor dreiein-halb Jahren bekam sie einSpenderorgan. „Die neueLunge ist super“, freut sichdie 15-Jährige, die ein großerFan von „Unheilig“ ist. IhrLieblingslied? Keine Frage:„Geboren, um zu leben“ –quasi Wiebkes Motto.

Sie hat am eigenen Leiberfahren, wie wichtig es ist,dass es genug Organspendergibt (siehe Kasten). Deshalbengagiert sie sich jetzt auchgemeinsam mit ihrer Familiefür Organspende. Am Freitagklärte Wiebke mit dem Ver-ein „OrgantransplantierteOstfriesland“ beim Benefiz-spiel „Kick für Leukin“ inWestrhauderfehn über denOrganspendeausweis auf –und freute sich, dass ihrLieblingsverein Werder Bre-men mit seiner Traditions-mannschaft angetreten war(OZ berichtete). „Ich bin eingroßer Fan“, verrät Wiebke.Ihr Bruder kann das nichtverstehen: Der 13-jährigeManuel schwärmt für BayernMünchen. „Da kann mannichts machen“, bedauertseine Schwester.

Abgesehen vom Fußballverstehen sich die Geschwis-ter aber super. „Wir streitenhöchstens mal zwei Minu-ten“, sagt Wiebke. Sie be-sucht die Greta-Schoon-Schule in Leer, eine Förder-schule mit dem Schwerpunktgeistige Entwicklung. Seit derersten Klasse geht das Mäd-chen, das mit seiner Familieim Saterland lebt, dorthin.Die Schule bedeutet Wiebkeviel. Als sie nach der schwe-ren Lungentransplantationendlich wieder zum Unter-richt durfte, war ihr klar:„Jetzt bin ich wirklich ganzzu Hause.“

Ihre Mutter erzählt: „Eswar in der Tat fünf vor zwölf,als wir die Nachricht beka-men, dass es eine Lunge fürWiebke gibt.“ Am 24. Janu-ar 2013 um 23.55 Uhr kamdie erlösende Nachricht vonder Vermittlungsstelle für Or-ganspenden, Eurotransplant.„Da ging es Wiebke seit zweiJahren schon sehr schlecht,sie brauchte 24 Stunden amTag Sauerstoff“, berichtet ih-re Mutter. „Das Warten aufein Spenderorgan war

schrecklich. Immer wenn eseine Nachricht über ein totesKind gab, hat Wiebke gesagt:Mama, die rufen bestimmtgleich an“, erinnert sie sich.

Wiebke war immer völligklar, dass jemand sterbenmuss, damit sie leben kann.„Aber der Mensch ist ja nichtextra für mich gestorben“,weiß sie. Die 15-Jährige hatsich selber auch einen Or-ganspendeausweis zugelegt.„Ich habe meine Ärzte ge-fragt, ob ich auch Organ-spender sein kann – und diehaben Ja gesagt. Ich könntesogar meine Spenderlungeweitergeben“, erzählt sie.„Wenn ich irgendwann ge-hen muss, kann ich wenigs-tens noch ein anderes Lebenretten.“ Das sei doch auchein tröstlicher Gedanke, fin-det Wiebke.

Wie lange ihre neue Lungehält, weiß sie nicht. Um dasOrgan zu schützen, muss die15-Jährige oft einen Mund-schutz tragen: beim Sport, inder Erkältungszeit, bei gro-ßen Menschenansammlun-gen. Wenn jemand fragt, wa-rum, sagt Wiebke: „Ich darfnicht krank werden, ich habeeine neue Lunge.“ Alles essendarf sie auch nicht – so ist ro-hes Gemüse tabu. „Dasmacht aber gar nichts: Wasich nicht darf, schmeckt mirsowieso nicht“, sagt Wiebke:„Da hab ich Glück gehabt.“

Im Schnitt halte einetransplantierte Lunge siebenbis neun Jahre, sagt ihre Mut-ter. „Aber man kann das niegenau wissen“, erklärt San-dra Linnert. Ihre Tochterdenkt darüber auch nichtnach, sie plant lieber ihre Zu-kunft: „Ich möchte mindes-tens meinen Hauptschulab-schluss, am besten noch denRealschulabschluss schaf-fen“, sagt sie. „Ich weiß, eswird für mich schwer wer-

den, später einen Job zu be-kommen“, ist ihr klar. Dochsie hat einen Traum: „Amliebsten wäre ich Redakteu-

rin bei einer Zeitung“, verrätWiebke. Dann würde sie da-rüber schreiben, wie wichtigOrganspende ist.

VON PETRA HERTERICH

Das Mädchen kam alsFrühchen mit gerade mal390 Gramm auf die Welt.Aus dieser „Handvoll Le-ben“ wurde eine starkePersönlichkeit.

MEDIZIN Die 15-Jährige bekam 2013 eine neue Lunge / Beim Benefizturnier in Westrhauderfehn warb sie für Organspende

Wiebkes Motto lautet: „Geboren, um zu leben“

Wiebke Linnert (mit Mundschutz) und ihr Bruder Manuel (links) hatten zusammen mit Barbara Backer vom Verein Organtransplantierte Ostfrieslandviel Spaß mit den Werder-Stars Ailton und Lars Unger (rechts). BILD: THOMAS BARTH

Mit ihrem Bruder Manuel versteht Wiebke sich super –Zeit für Quatsch finden beide immer. BILD: HERTERICH

Wiebkes Mutter, SandraLinnert.

Derzeit warten inDeutschland mehr als10 000 Patienten auf einSpenderorgan, teilt dieDeutsche Stiftung Organ-transplantation (DSO) aufihrer Homepage mit. Etwa8000 von ihnen braucheneine Niere. Es wartendreimal so viele Men-schen auf eine Niere, wieTransplantate vermitteltwerden. Im ersten Halb-jahr wurden bundesweit715 Nieren und 140 Lun-gen transplantiert.

In Niedersachsen wartenlaut Eurotransplant rund980 Menschen auf einneues Organ. Eurotrans-

plant ist die Vermittlungs-stelle für Organspenden inDeutschland. Laut DSOsind 2016 im ersten Halb-jahr 183 Organe in Nieder-sachsen transplantiertworden.

Die Selbsthilfegruppe „Or-gantransplantierte Ost-friesland“ kümmert sichum Wartepatienten,Transplantierte, ihre An-gehörigen und Freunde.Es geht um Erfahrungs-austausch, gegenseitigeUnterstützung und Hilfe.Regelmäßig alle zwei bisdrei Monate finden Tref-fen statt. Weitere Infosgibt es unter www.organ-transplantierte-ostfries-land.eu.

Organspende

140 Lungen wurden 2016 bundesweit bisher transplan-tiert. BILD: NERTHUZ/ FOTOLIA

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