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The castled crag of Drachenfels - Funktionswechsel eines Landschaftsbildes

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MARTIN BRUNKHORST The casüed crag of Drachenfels Funktionswechsel eines Landschaftsbildes 1 tu procul a patria> nee sit mihi credere tantttm, Alpinas a dura nives et frigora Rheni me sine sola vides. Vergil begreift den Schnee der Alpen und den Frost des Rheins durchaus als negative Naturerfahrung 2 . Die Antike hatte ein wenig positives Image vom nördlichen Rhein 8 . Aus anderer geographisch-klimatischer Perspektive sieht die Rhein-Landschaft dagegen lieblich und verlockend aus. Die Engländer be- gründen in ihrer Begeisterung für den südlichen Fluß die europäische Rhein- Romantik. Das je nach geographischem, aber auch nach politischem und ideo- logischem Standpunkt des Autors, nach historischem wie ästhetischem Kontext der Darstellung sich wandelnde Rhein-Bild ist häufig dokumentiert worden. Besonders die Anfänge und die Entwicklung der englischen Rhein-Romantik wurden mehrfach aufgelistet und nachgezeichnet 4 . Es geht daher im folgenden nicht um die Auswertung neuen Quellenmaterials, um die Rekonstruktion eines allmählichen Wandels oder individueller Abweichungen im Rhein-Erlebnis englischer Autoren noch um die Abschätzung des Dokumentarwertes dieser Beschreibungen für die Realitäten des Reisens; sondern an wenigen Beispielen sollen die Entstehung und die Möglichkeiten der funktionalen Integration des Rhein-Bildes und seine unterschiedliche Ausnutzung bei veränderter Autoren- intention und abweichendem Publikumsinteresse beobachtet werden. Die Modalitäten der literarischen Verwendung dieses Bildes und seiner dichterischen 1 Eine gekürzte Fassung der folgenden Ausführungen wurde am 12. September 1981 in Bergamo anläßlich des 5. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft in Pavia und Bergamo unter dem Titel Aspekte der englischen Rheinromantik vorgetragen. Die zahlreichen Anregungen aus Diskussion und Gesprächen konnten leider nur zum Teil berücksichtigt werden. 2 Publius Virgilius Maro: Bucolica X 46—48, zit. nach: Landleben Bucolica, Georgica, Catalepton Latein, und dt. hg. v. J. u. M. Götte, München 1970, 56. 3 Vgl. Horst-Jobs Tümmers: Rheinromantik Romantik und Reisen am Rhein, Köln 1968, 15. 4 Die in diesem Zusammenhang wichtigsteh Arbeiten zur Rhein-Romantik sind: Heinz Stephan: Die Entstehung der Rheinromantik (Rheinische Sammlung Nr. 3), Köln 1922; Karl Gsundbrunn: Der dt. Rhein, die rheinischen Sagen, Siedlungen und ihre Bevölkerung in der engl. nichtdramatischen Lit. des 18. und 19. Jh., Diss. phil. Erlangen 1928; Tümmers aaO. [Anm. 3]; Gisela Dischner: Ursprünge der Rhein- romantik in England Zur Gesch. der romantischen Ästhetik, Frankfurt/M. 1972; Karl Heinz Stader: Bonn und der Rhein in der engl. Reiselit., in: Aus Gesch. und Volkskunde von Stadt und Raum Bonn FS Josef Dietz, hg. v. E. Ennen u. D. Höroldt, Bonn 1973, 117—153; Jörg-Ulrich Fechner: Erfahrene und erfundene Landschaft Aurelio de* Giorgi Bertolas Deutschlandbild und die Begründung der Rheinromantik, Opladcn 1974. 00003-7982/82/1702-0002$2.00 Copyright by Walter de Gruyter & Co. Brought to you by | Heinrich Heine Universität Düsseldorf Authenticated | 132.74.1.4 Download Date | 8/26/13 8:18 PM
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MARTIN BRUNKHORST

The casüed crag of DrachenfelsFunktionswechsel eines Landschaftsbildes1

tu procul a patria> nee sit mihi credere tantttm,Alpinas a dura nives et frigora Rhenime sine sola vides.

Vergil begreift den Schnee der Alpen und den Frost des Rheins durchausals negative Naturerfahrung2. Die Antike hatte ein wenig positives Image vomnördlichen Rhein8. Aus anderer geographisch-klimatischer Perspektive sieht dieRhein-Landschaft dagegen lieblich und verlockend aus. Die Engländer be-gründen in ihrer Begeisterung für den südlichen Fluß die europäische Rhein-Romantik. Das je nach geographischem, aber auch nach politischem und ideo-logischem Standpunkt des Autors, nach historischem wie ästhetischem Kontextder Darstellung sich wandelnde Rhein-Bild ist häufig dokumentiert worden.Besonders die Anfänge und die Entwicklung der englischen Rhein-Romantikwurden mehrfach aufgelistet und nachgezeichnet4. Es geht daher im folgendennicht um die Auswertung neuen Quellenmaterials, um die Rekonstruktion einesallmählichen Wandels oder individueller Abweichungen im Rhein-Erlebnisenglischer Autoren noch um die Abschätzung des Dokumentarwertes dieserBeschreibungen für die Realitäten des Reisens; sondern an wenigen Beispielensollen die Entstehung und die Möglichkeiten der funktionalen Integration desRhein-Bildes und seine unterschiedliche Ausnutzung bei veränderter Autoren-intention und abweichendem Publikumsinteresse beobachtet werden. DieModalitäten der literarischen Verwendung dieses Bildes und seiner dichterischen

1 Eine gekürzte Fassung der folgenden Ausführungen wurde am 12. September 1981in Bergamo anläßlich des 5. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Allgemeineund Vergleichende Literaturwissenschaft in Pavia und Bergamo unter dem TitelAspekte der englischen Rheinromantik vorgetragen. Die zahlreichen Anregungenaus Diskussion und Gesprächen konnten leider nur zum Teil berücksichtigt werden.

2 Publius Virgilius Maro: Bucolica X 46—48, zit. nach: Landleben — Bucolica,Georgica, Catalepton — Latein, und dt. hg. v. J. u. M. Götte, München 1970, 56.

3 Vgl. Horst-Jobs Tümmers: Rheinromantik — Romantik und Reisen am Rhein,Köln 1968, 15.

4 Die in diesem Zusammenhang wichtigsteh Arbeiten zur Rhein-Romantik sind:Heinz Stephan: Die Entstehung der Rheinromantik (Rheinische Sammlung Nr. 3),Köln 1922; Karl Gsundbrunn: Der dt. Rhein, die rheinischen Sagen, Siedlungen undihre Bevölkerung in der engl. nichtdramatischen Lit. des 18. und 19. Jh., Diss. phil.Erlangen 1928; Tümmers aaO. [Anm. 3]; Gisela Dischner: Ursprünge der Rhein-romantik in England — Zur Gesch. der romantischen Ästhetik, Frankfurt/M. 1972;Karl Heinz Stader: Bonn und der Rhein in der engl. Reiselit., in: Aus Gesch. undVolkskunde von Stadt und Raum Bonn — FS Josef Dietz, hg. v. E. Ennen u.D. Höroldt, Bonn 1973, 117—153; Jörg-Ulrich Fechner: Erfahrene und erfundeneLandschaft — Aurelio de* Giorgi Bertolas Deutschlandbild und die Begründungder Rheinromantik, Opladcn 1974.

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Einbindung in das jeweilige Werk lassen die Konzentration auf eine einzelneRhein-Ansicht — den Drachenfels — und ihre unmittelbare landschaftlicheUmgebung aus Gründen der Darstellungsökonomie vorteilhaft erscheinen.

1. Rhein-Tourismus

Als Georg Forster 1790 zusammen mit Alexander von Humboldt undAugust Wilhelm Iffland den Rhein hinunterfährt, ist er von den Basaltbrüchenbei Unkel fasziniert. In seinen Ansichten vom Niederrbein, der literarischenGestaltung dieser Reise, erörtert er seine mit den Unkeier Basaltgruppen undder geologischen Formation des Siebengebirges verbundenen Vorstellungenüber den Ursprung vulkanischen Gesteins ausführlich. Er schaltet sich in diewissenschaftliche Diskussion über die Feuertheorie ein und setzt sich mit denAnsichten von Cosimo Alessandro Collini und Sir William Hamilton, vonJean Andre de Luc und Abraham Trembley auseinander, kennt aber auch diejüngste Literatur von Nose und Humboldt5. Das wissenschaftliche Interesseverdrängt die Erlebniswerte der Flußlandschaft und überlagert das Empfindenfür die Großartigkeit der Naturschauspiele am Mittelrhein. Als Naturforscherklammert Forster die Begeisterung für die Landschaft von seiner Reisesdiilde-rung aus6: Von der herrlichen Lage des kuhrfiirstlichen Schlosses und seinerAussicht auf das Siebengebirge will ich nichts sagen, da wir die kurze Stundeunseres Aufenthaltes ganz der Ansidnt des Naturalienkabinets widmeten. DasDefizit im Landschaftserleben wird nicht nur durch natur-, sondern auch durchkunstwissensdiaftlidies Interesse kompensiert. Angesichts der Architektur desKölner Doms ist Forster tief ergriffen7: So oft ich Kölln besuche, geh ich immerwieder in diesen herrlichen Tempel, um die Schauer des Erhabenen zu fühlen.Die Düsseldorfer Gemäldegalerie besucht Forster auf dieser Reise bereits zumfünften Mal8. Zusammen mit der Mannheimer Gemäldegalerie stellt sie Aus-gangspunkt oder Ziel der antiquarisch-künstlerisch interessierten Rhein-Reisen-den dar.

Naturwissenschaftler und Kunstliebhaber stellen — gelegentlich in perso-naler Identität — einen großen Teil jener Reisenden dar, die ihre Reise-eindrücke in literarischer Form festhalten und veröffentlichen9. Daneben tretenzu dieser Zeit in der topographischen Literatur, in den Reiseschilderungen inBrief- oder Tagebudiform aber auch in verstärktem Maße reine Landsdiafts-besdireibungen auf, die eine neue Naturbegeisterung, eine emotionale Ergriffen-heit von der Rhein-Landschaft in emphatischer Form vermitteln wollen.

5 Vgl. Georg Forster: Ansichten vom Niederrbein, von Brabant, Flandern, Holland,England und Frankreich im April, Mai und Junius 1790, Berlin 1791, hg. v.G. Steiner (Georg Forsters Werke — Sämtl Sehr., Tagebücher, Briefe, hg. v. derDt. Ak, Berlin, Bd. 9), Berlin 1958, 12—20. Vgl. dort die Anm. S. 390—393. ZuCoilinis und de Lucs Bedeutung als Reiseschriftsteller vgl. Fcchner aaO. [Anm. 4]110—116.

0 Forster aaO. [Anm. 5] 20.7 Ebd. 23.8 Ebd. 37.9 Zur Schwierigkeit der Typologisierun g der Reiseliteratur des XVIII. Jh. vgl.

Ralph-Rainer Wuthenow: Die erfahrene Welt — Europ. Reiselit. im Zeitalter derAufklärung, Frankfurt/M. 1980, 268 f., 417—421.

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Voraussetzung wie Folgeerscheinung dieses literarischen Phänomens ist diewachsende touristische Attraktivität des mittleren Rheines zwischen Mainz undKöln. Wie die Engländer maßgeblichen Anteil an seiner literarischen Ent-deckung haben, so tragen sie auch entschieden zu seiner touristischen Er-schließung bei. Mit Beginn des XIX. Jahrhunderts stellen sie den Hauptanteilder Rhein-Touristen.

In Goethes Klassischer Walpurgisnacht fragt Mephisto ironisch10:

Sind Briten hier? Sie reisen sonst so viel,Schlachtfeldern nachzuspüren, Wasserfällen,Gestürzten Mauern, klassisch-dumpfen Stellen;Das wäre hier für sie ein würdig Ziel.

Mephisto meint Griechenland, doch die sprichwörtliche Reiselust der Engländerbezieht sich auf den gesamten Kontinent. Geht die meistbefahrene Reiserouteder Grand Tour — als Bildungserlebnis fester Erziehungsbestandteil derenglischen Oberschicht — im XVII. und frühen XVIII. Jahrhundert noch vonDover über Calais, Paris und dann von Südfrankreich oft mit dem Schiffnach Italien, so tritt am Ende des Jahrhunderts eine Verschiebung ein11. DieÄnderung der Reisegewohnheiten entspricht der ästhetischen Entwicklung imParadigmenwechsel vom Klassizismus zur Romantik. Durch den Geschmacks-wandel verlagert sich das Interesse an der kultivierten Natur in wohlgeordneterGarten- und Parklandschaft auf das Interesse an der ungebändigten, groß-artigen Natur in wilder Gebirgslandschaft oder auch — wie Goethe es be-schreibt — an Ruinen und klassisch-dumpfen Stellen. Wer etwas auf sich hält,reist jetzt über Rotterdam und/oder Brüssel, den Rhein entlang und über dieSchweiz nach Italien.

Gleichzeitig ändert sich aber auch das englische Reisepublikum. Durch diesoziale Erstarkung der mittleren Einkommensschichten nimmt der Touristen-strom auf dem Kontinent ständig zu. Während der Französischen Revolutionund in den Wirren der Napoleonischen Kriege wird er zeitweilig unterbrochen.Der Nachholbedarf ist dann aber im kurzen Frieden von 1802 bis 1805 undvollends nach dem Wiener Kongreß von 1815 entsprechend groß. NapoleonsAusbau des Simplon-Passes (1800—1807) macht die Alpen-Überquerung auchfür Touristen bequemer — und stabilisiert die Beliebtheit der Rhein-Route.10 Johann Wolf gang Goethe: Gedenkausg. der Werke, Briefe und Gespräche V, hg. v.

E. Beutler, Zürich 1950, 367, v. 7118—7121. Hier wird (781 f.) der Bezug dieserVerse auf die beiden ersten Cantos von Byrons Childe Harold's Pilgrimage ver-mutet, die eine Beschreibung griechischer Schlachtfelder enthalten. Der Bezug läßtsidi jedodi auch zur Beschreibung des Schlachtfeldes von Waterloo im drittenCanto herstellen.

11 Vgl. Patrick Anderson: Over the Alps — Reflections on Travel and TravelWriting — With Special Reference to the Grand Tours of Boswell, Beckford andByron, London 1969. Vgl. auch Mary Wortley Montagus Reise von Genua nach

. London bei Peter Michelsen: Die Reisen der Lady — Zu den türkischen Briefen derLady Wortley Montagu, in: arcadia 16 (1981), 242—265; 248 f. Auf die Irrelevanzdes Reiseweges für die literarische Gestaltung des Reisens im XVIII. Jh. weist Hans-Joachim Possin hin: Reisen und Lit, — Das Thema des Reisens in der engl. Lit.des 18. Jh., Tübingen 1972, 237. Diese Einstellung ändert sich jedoch am Ende desJahrhunderts.

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1816 bereist Byron den Rhein; 1816 erscheint aber auch schon das ersteDampfschiff vor Köln12. Die Entfernung London—Köln schrumpft schließlichauf wenige Tagesreisen zusammen13. Doch 1816 kommentiert Johanna Schopen-hauer auch bereits die Sparsamkeit und die neuen Sozialstrukturen des engli-schen Rhein- und Neckar-Tourismus14: Ueberhaupt werfen die jetzigen Englän-der auf Reisen den Leuten nicht mehr die Guineen an die Köpfe, wie sonstwohl geschah; [...] Vor zwanzig Jahren durfte ein Deutscher sich mit seinemGeldbeutel kaum in die Gasthöfe wagen, welche von den großmüthigenMylords besucht wurden* denn damals war jeder Engländer wenigstens einLord, und jetzt habe ich es wirklich erlebt, daß einer den in Heidelberg sehrbilligen Preis der Wirthstafeln für seine Damen billiger behandeln wollte,weil diese weniger äßen als die Männer.

1828, ein Jähr nach der Eröffnung der regelmäßigen Passagier dampfschiff-fahrt auf dem Rhein13, erschien ein Buch von Johann August Klein mit demTitel Rheinreise von Mainz bis Cöln — Ein Handbuch für Schnellreisende1*.Hierauf basiert 1835 der erste Baedeker. Im folgenden Jahr zieht der LondonerVerleger John Murray mit seinem Hand-Book for Travellers on the Continentnach. Das ist Reiseliteratur für den Massentourismus, der hier am Rhein zumerstenmal in der Geschichte des modernen Reisens zu beobachten ist17. HansMagnus Enzensberger hat unrecht, wenn er diesen Tourismus als zweckfreies

12 Vgl Tümmers aaÖ. [Anm. 3] 66 f.13 Vgl. Johanna Schopenhauer: Ausflug an den Niederrhein und nach Belgien im

Jahr 1828, T. I, Leipzig 1830, zit. nadi: So lebten sie am Rhein zwischen Mainzund Düsseldorf — Texte und Bilder von Zeitgenossen, hg. v. W. Leson, Köln1976, 80: Lästiger als die reisenden Kinder sind vielleicht die reisendenenglischen Familien, deren Anzahl, besonders in den Rheingegenden, an das Un-glaubliche reicht, so daß man kaum begreift, wer denn , außer dem Könige vonEngland und seinem Hofstaat, dort zu Hause geblieben sein könnte.

Godesberg scheint besonders von ihnen begünstigt zu werden; frisch nach Stein-kohlen duftend, wie eine englische Zeitung, langen sie mit Hülfe der Dampfbooteoft am dritten oder vierten Tage, nachdem sie London verlassen, dort an undwissen, bei ihrer Unbekanntschaft mit der Sprache und Landesart, kaum, wie ihnengeschehen, weniger, weshalb sie eigentlich gekommen.

14 Johanna Sdiopenhauer: Ausflucht an den Rhein und dessen nächste Umgebung imSommer des ersten friedlichen Jahres (Sämtl. Sehr., Leipzig/Frankfurt/M. 1830—1831); hier: III (1830) 121.

15 VgL Tümmers aaO. [Anm. 3] 71.16 Dieser Titel erscheint nur auf dem Einband. Das Titelblatt lautet: Rheinreise von

Mainz bis Köln. Historisch, topographisd), malerisch bearbeitet vom ProfessorJob. Aug. Klein. Mit zwölf lithographirten Ansichten merkwürdiger Burgen &c.in Umrissen. Koblenz, bei Fr. Rohling. 1828. Im Vorwort (S. V f.) wird auf be-nutzte Literatur verwiesen. Vgl. zu Klein und früheren wie folgenden ReiseführernTümmers aaO. [Anm. 3] 96 f.

17 Vgl. zu den Zahlen der Bootsreisenden ebd. 71 f.: Im Gründungsjahr 1827 beför-derte die Preußisch-Rheinische Dampfschiffahrtsgesellschaft 18624 Fahrgäste, 1828bereits 33 000. VgL auch ebd. 99: „1837 waren es 153 000 Fahrgäste, die von denKöln-Düsseldorfer DampfSchiffahrtsgesellschaften befördert wurden; die Zahl ver-doppelte sich fast mit jeder Saison. Sechs Jahre später, 1843, erreichte die Zahlbereits 817000. Zwischen 1860 und 1890 pendelte sich die jährliche Beförderungs-zahl bei l Million ein. Jeder zweite Reisende kam aus England." Auf die Schwie-rigkeiten der Interpretation einer auf der Anzahl verkaufter Fahrscheine beruhen-den Touristenstatistik kann hier nicht eingegangen werden.

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Reisen beschreibt18. Für die Engländer — wie audi für Reisende anderer Natio-nalitäten10 — sind es säkularisierte Pilgerfahrten* Naturerlebnis und Bildungs-beflissenheit sind neben Snobismus und sozialem Dazugehörigkeitsgefühl dieHauptmotive dieser Reisenden, Dem trägt die Literaturproduktion Rechnung.Byron bezeichnet seine Reisegedichte als pilgrimage, und auch Bulwer-Lyttonnennt einen seiner Erfolgsromane The Pilgnms of the Rhine. Sentimentalitätund rheinische Sagenwelt werden hier für den informations- wie einstimmungs-bedürftigen Reisenden genauso wie für die übrige englische Leserschaft wir-kungsvoll verbunden.

Industrielle Revolution und technischer Fortschritt schaffen nicht nur dieökonomischen Voraussetzungen, sondern machen das Reisen auch bequemer.Zugleich erzeugen sie ein Klima, in dem Mary Shelley die künstliche Erschaf-fung des Menschen unter ganz neuen Gesichtspunkten thematisieren kann. InFrankenstein wird dieses Thema aber auch in die Konventionen des Schauer-romans eingebunden und in das Naturerleben der Romantiker. Doch das auchhier relevante Landschaftserlebnis einer Rhein-Reise ist bereits in der englischenReiseliteratur des XVIII. Jahrhunderts vorgeprägt.

2. Bilderstel lung: Gardnor und Radcl i f fe

1787, im selben Jahr wie der italienische Topograph Abbate de* Bertola,bereist auch der englische Geistliche John Gardnor — ebenfalls aus Gesund-heitsgründen20 — den Rhein. Er zeichnet alles, was ihm romantisch oderpittoresk erscheint. Von Dezember 1788 bis Mai 1791 erscheinen seine Bilderals Aquatintä-Stiche und ausführlich kommentiert in sieben Lieferungen. 1792erscheint schon die zweite Auflage in verkleinertem Format. Im Vorwortschreibt Gardnor: To survey the romantic beauties of Switzerland, and to visitthe enchantmg shores of the Rhine, had long been objects of my earnest desire.Die Flußlandschaft erscheint hier noch im größeren Kontext zwischen derSchweiz, Frankreich und den Niederlanden. Die Rhein-Bilder machen zwarden Hauptteil dieses Reisealbums aus — und insofern wird es mit Recht als

18 Vergebliche Brandung der Ferne — Eine Theorie des Tourismus, in: Merkur 12(1958), 701—720, wieder abgedruckt in: H. M. Enzensberger: Einzelheiten, Frank-furt/M. 1962, 147—168; 154, 159 f.

19 Vgl. die anonyme Rheinfahrt von 1779, abgedruda bei Fedmer aaO. [Anm. 4]117—119, die beginnt: Unser Vorsatz war, diese Fahrt mit fühlender Aufmerksam-keit auf jede einzelne Schönheit der Natur, mit mehr als Pilgrimandacht zu voll-enden. Vgl. auch Wuthenow aaO. [Anm. 9] 315 zu Karl Philipp Moritz* Italien-Reise von 1786; ferner Klaus Laermann: Raumerfahrung und Erfahrungsra/tm —Einige Überlegungen zu Reiseberichten aus Deutschland vom Ende des 18. Jh., in:Reise und Utopie — Zur Lit. der Spätaufklärung, hg. v. H. J. Piechotta, Frank-furt/M. 1976, 57—97; 77.

20 Zum Anlaß der Reise Bertolas vgl. Fediner aaO. [Anm. 4] 181.21 Diese Feststellung bezieht sich auf Gardnors B i l d e r ; vgl. Agnes von der Bordi:

Einführung zu /. M. William Turner — Köln und der Rhein — Aquarelle, Zeich-nungen, Skizzenbü,d)er> Stiche (Ausstellungskatalog des Wallraf-Richartz-Museums),Köln 1980, 9—27; 19. Vgl. auch Stader aaO. [Anm. 4] 121. Gardnors Begleittextist bereits vor Bertolas italienischer Briefsammlung das erste wichtige und fürEngland äußerst wirkungsvolle literarisdie Zeugnis einer europäischen Rhein-Romantik.

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erstes Ansiditenbudi vom Rhein betrachtet21 —, doch andere europäische Land-schaften erscheinen Gardnor genauso darstellenswert.

Das letzte große Landschaftserlebnis auf dem Weg rheinabwärts ist derDrachenfels. Sei es durch die verwirrende Fülle der Berge und Burgen, durchdie ermüdende Fremdartigkeit ihrer Namen oder aus anderen Gründen —Gardnor unterläuft eine Namensverwechslung. Die Drachenfels-Darstellungwird mit Rowland Schetz Castle betitelt, offensichtlich eine Verballhornungvon Rolandseck. Die Beschreibungsterminologie ist die in diesem Buch übliche.Die Wortwahl läßt Bewunderung der Landschaft erkennen, aber keine rhapso-dische Begeisterung. Ein einziger Satz faßt die topographische Situation derBurgruine auf dem Berg zusammen22: [...] in our progress towards Cologne,we took a view of Rowland-Sheitz, which Stands on a beatttiful, lofty, andpyramidal mountain; richly cloathed with woods and vines, variegated bybroken ground and rugged rocks, and surrounded by immense hills. Schon diesezwar positiv wertende, aber doch sachliche Information zeigt, daß das Inter-esse nicht auf dem Bauwerk selber liegt, sondern auf dem komplexen Eindruckvon vergänglichem Menschenwerk und umgebender Landschaftsformation. Inder Beschreibung seiner eigenen Zeichnung (Abb. 2) offenbart Gardnor dannallerdings spontane Betroffenheit durch den eindrucksvollen Anblick der überFluß und Berg aufragenden Ruine. Für die Darstellung wählt er den drama-tischen Augenblick, als eine Wolke die Burg beschattet, dafür die Sonne denFelsen um so wirkungsvoller hervorhebt. In der Erörterung des ikonographi-schen Stellenwertes dieser Ansicht begründet er, daß er gegen die Regeln derMalerei verstoße, damit er das Landschaftserlebnis um so überzeugender fest-halten könne. Die Darlegung der maltechnischen Innovationsabsicht in derBildgestaltung erfolgt im Kontext der Diskussion über das Pittoreske und dasErhabene, die sich von Locke und Addison bis zu Edmund Burke, Hugh Blairund Richard Payne Knight durch die englische Geschmacksgeschichte und durdidas philosophische Schrifttum erstreckt und unmittelbaren Einfluß auf bildendeKunst wie Literaturproduktion gehabt hat23. Im Bildkommentar des Reise-albums werden hier alle drei Gebiete relevant: die philosophische Reflexion inihrer Umsetzung in die bildliche wie literarische Schilderung von Reise-eindrücken.

22 J. Gardnor: Views Taken on and near the River Rhine, At Aix la Cbapelle, Andon the River Maese, Engraved in Aqua Tinta, By William and Elizabeth Ellis,London 1788—91, 21792, 117. — Als Bertola auf de Lucs Spuren das Sieben-gebirge besteigen will, widerfährt ihm ein Mißgesdiick: ygl. Lese- und Bilderbuchder frühen Rheinromantik 1796/1798 — Text: Aurelio de3 Giorgi Bertola —Maler: Laurenz Janscha — Stecher: Johann Zicgler, hg. v. B.Fuchs, Wuppertal1980, 121: Beym Herabsteigen wollte ich in die nemliche Hütte einkehren, wode Luc mit einer so zuvorkommenden natürlichen Güte und Offenherzigkeit be-winket wurde. Aber vergeblich suchte ich in Oberwinter den angesehenen undgeschickten Sdrißer, den de Luc den Reisenden so sehr empfiehlt, und der ihmzum Führer auf den Berg gedient hatte. Er war schon mit zwey Engländern ab-gereist, und kam nicht eher als nach fünf Tagen zurück; auch war kein anderergeschickter Führer da. Ich sah mich also genöthigt, die Ausführung dieses Planesauf eine andere Zeit zu verschieben, so nah es mir auch gieng.

23 VgL eine Zusammenfassung dieses Sachyerhalts bei Andrew Wilton: Turner andthe Sublime (Ausstellungskatalog des Brirish Museum), London 1980.

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In der Besinnung auf die wirkungsästhetischen Motive seiner Kompositionvon hell und dunkel, nah und fern und somit des Raumerlebnisses im gewähltenBildausschnitt belegt Gardnor die Eignung der Rhein-Landschaft für das male-rische Empfinden seiner Zeit24: The two villages at the bottom seem placed onpurpose to ghe variety; and the light on the rock in the centre, relieves mostpleasingly the ckurch of Umkel or Unkel; and the dark front-groxnd and hightrees are so strong äs to throw off all the other objects to their proper distance.The whole forms a scene which astonishes the mind, and fills it with awfulsentiments. Nicht nur ,awe' und ^stonishment', die Zentralkategorien des Er-habenen, wie sie der hochaufragende Burgfelsen hervorruft, versucht Gardnor inseinem Bild zu vermitteln; sondern auch die beiden eher niedlichen Dörfer amFuß des Felsens werden einbezogen, um so einen Gesamteindruck der Abwechs-lung zu erreichen. , Variety* wird zum Schlüsselbegriff der Rhein-Auffassungin Malerei und Literatur.

Schon vor Gardnor bereist William Beckford den Rhein und veröffentlichtseine Briefe von dieser Reise als Dreams, Waking Thottghts, and Incidents.Doch wird die gesamte Auflage mit Ausnahme von sechs Exemplaren aufBetreiben seiner Familie vernichtet23. Der erste Anblick des Rheins erwecktviele Assoziationen bei Beckford. Eine ganz bestimmte Erwartungshaltung, die— wenn auch diffus — vorhanden ist, wird jetzt in ihrem Potential aktiviertund in der Konfrontation mit dem tatsächlichen Anblick des Flusses wenigerkorrigiert als intensiviert26: Many wild ideas thronged into my mind, themoment I beheld this celebrated river. Dennoch ist der Sonnenuntergang amRhein, das stereotype Klischee des XIX. Jahrhunderts, bei Beckford nochrelativ unbefangen erlebt und wird als spontaner Eindruck beschrieben27:A redy variegated sky reflected from the stream, the woods trembling on itsbanks, and the spires of Nuys [i. e. Neuss] rising beyond them, helped toamuse my fancy. Beide Zitate wie auch der Titel dieser Briefsammlungmachen deutlich, daß es Beckford nicht um Naturerlebnis oder Landschafts-beschreibung geht, sondern daß seine Umgebung lediglich auf seine dichterischePhantasie anregend wirken soll. Tagträume, Ideen und Visionen werden be-schrieben, die zwar von der Reflexion auf landschaftliche Elemente ausgehen,dann jedoch in ihrer thematischen Dominanz die Reiseerlebnisse verdrängen.Neben visuellen Eindrücken sind es aber auch Musik und Gerüche, die — wieschon in Vathek thematisiert — Beckfords Phantasie beflügeln. In Bonn ist esdaher vor allem der Wohlgeruch des Orangenhains, der ihn fasziniert. DasSiebengebirge dient lediglich als Hintergrund und Staffage, um den Prospektdes Bonner Schloßgartens in krönender Weise zu beschließen. Dennoch be-schreibt Beckford hier bereits ansatzweise ein Landschaftserlebnis, dessen Dar-stellung Forster einige Jahre später noch bewußt unterdrückt28: A few steps

24 Gardnor aaO. [Anm. 22] 117 f.25 Vgl. Possin aaO. [Anm. 11] 192 f.26 [William Beckford]: Dreams, Waking Thoughts, and Incidents — In a Series of

Leiters from Various Parts of Europe, London 1783, 40.27 Ebd. 40.28 Ebd. 45 f. Vgl. Dischner aaO. [Anm. 4] 136 f.: „Beckford sieht nicht nur mit

romantischen, er sieht auch mit pittoresken Augen und schildert die Landschaft

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separate this extensive terrace from a lawn bordered by stately rows of beeches.Beyondy in the centre of tbis striking theatre, rises a romantic assemblage ofdistant mountains, crowned with the ruins of castles, whose turrets, but faintlyseen, were just such äs you have created to complete a prospect. Der niditdifferenzierende Plural hält Burgen und Berge zusätzlich in der Ferne29. Ihrmalerischer Effekt wird durch die summarische — nicht additive — Häufungbetont.

Sehr viel exakter und detaillierter als Beckford oder Gardnor beschreibtAnn Radcliffe die Eindrücke ihrer Rhein-Reise von 1794. Der Drachenfels unddas Siebengebirge sind die erste Station, der sie sich voller Spannung nähert.Anders als Beckford oder Gardnor weiß sie jetzt aber auch genauer, wassie erwartet. Von Neuss über Köln reisend, sieht sie das Siebengebirge und denEingang zum mittleren Rhein-Tal schon aus der Ferne. Sie registriert minutiösden Wechsel der Eindrücke in den einzelnen Stadien der Annäherung undnotiert die Erlebnisvielfalt in eindringlicher Weise in ihrem 1795 veröffent-lichtem Tagebuch dieser Reise30: Over the wild and gigantic features of theSeven Mountains dark tbunder mists soon spread an awful obscurity, andheightened - the expectationy which this glimpse of them had awakened,concerning the scenery we were approaching. Auf der Fahrt von Bonn nachGodesberg hat sie Gelegenheit, das Siebengebirge, d. h. seine zum Rhein hinabfallende Seite, aus größerer Nähe zu erleben. Hier in der Landsdiafts-beschreibung fiadet sich eine wache Sensibilität für die sich verschiebenden undstets neu entstehenden Perspektiven und für die atmosphärische Präsentationder einzelnen Ansichten. Schroffheit und Lieblichkeit, der im Vorbeifahrenwechselnde Kontrast, vor allem aber auch der für fortwährende Veränderungsorgende Witterungseinfluß auf Landschaft und Betrachter werden mit großerEinfühlsamkeit und unmittelbarer Betroffenheit geschildert. Genau wie Gardnorist auch Radcliffe beeindruckt von der Kleinheit der Burgruine auf dem steilaufragenden Drachenfels. Es scheint, als hätte sie Gardnors Stich gesehen undwäre doch überwältigt von der Großartigkeit eines die Erwartung weit über-steigenden Naturschauspiels31: This mountain towers, the majestic sentinel ofthe river over which it aspires, in vast masses of rocky varied with rieh tuftingsof dwarfwoody and bearing on its narrow peak the remains of a castley whosewalls seem to rise in a line with the perpendicular precipicey on which they

mandimal wie ein Gemälde. Aber als sei eine Kameralinse kurz scharf eingestellt(auf pittoreske Einzelheiten) und werde dann bewußt unsdiarf eingestellt, so ver-sinkt das gesdiilderte Landschaftsgemälde in den orangenduftenden Traum dersurrealen Welt Beckfords." Bei dem Bonner Orangenhain handelt es sich wahr-sdieinlich um eingekübelte Bäume, die im Sommer auf die Terrasse gestellt wurden.29 Vgl. zu der Ansicht, daß in der Landschaftsschilderung — etwa Eichendorffs —Einzahl und Nähe den Vordergrund, dagegen Plural und Ferne den Hintergrundbestimmen, Ridiard Alewyn: Eine Landschaft Eichendorfts, in: Euphorion 51(1957), 42—60; 50. VgL audi Leo Spitzers Entgegnung in Euphorion 52 (1958),142—152.30 A Journey Made in the Summer of 1794 — Through Holland and the WesternFrontier of Germany — With a Rcturn down the Rhlnc — To which Are AddedQbservations during a Tour to the Lake; of Lancashire, Westmoreland, andCttmberland, London 1795, 99.

31 Ebd. 146.

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stand, and, when vieived from thc opposite bank, appear little more than anigged cabin. The eye aches in attempting to scale this rock; but the sublimityof its hcight and tbe grandeur of its intermingled cliffs and woods gratify thewärmest wish of fancy. Gerade am Beginn der Rhein-Reise werden hier dieGroßartigkeit der Landschaft und ihre erhebende Wirkung besonders intensiverlebt. ,Grandeur' und jSublimity* werden dem Drachenfels uneingeschränkt zu-erkannt für seine Wirkung auf den Reisenden, der am gegenüberliegendenFlußufer steht» Aus größerer Distanz, aus wechselnden Winkeln betrachtet,ist es aber auch bei Radcliffe die Mischung der Eindrücke im Abwechslungs-reichtum der Flußlandschaft, die in erster Linie fasziniert. jGroßartig* undjlieblich', ,erhaben* und ,schön* bestimmen gerade in ihrem Kontrast das neueRhein-Erlebnis der englischen Romantiker. Neben ,romantic', ,sublime' und,picturesque* ist ,variegated' der häufigste Beschreibungsparameter.

Wo die Beschreibung über das charakterisierende Epitheton hinausgeht undspezifisches Naturempfinden im Vergleich mitteilbar gemacht werden soll, sinddie von Radcliffe herangezogenen Vorbilder durchaus konventioneller Art.Während Gardnor für seine Drachenfels-Darstellung von den traditionellenRegeln der Bildkomposition bewußt abweicht, zielen die zum Vergleich heran-gezogenen Vorbilder bei Radcliffe auf die Wahrung der Kontinuität im Land-schaftsempfinden. In der Abenddämmerung auf der Godesburg meint sie denOrt gefunden zu haben, für den William Collins seine horazisdier Traditionverpflichtete Ode to Evening geschrieben habe: all tender, sweet, elegant andglowing sind Erlebniswerte, für die der englische Lyriker aus der ersten Jahr-hunderthälfte zitiert wird32. Wo ihr die eigenen Worte fehlen, beruft sichRadcliffe nicht nur auf vorgegebene literarische Muster, sondern benutzt— genau wie Beckford — zur Vermittlung des Landschaftseindrucks auch denMalereivergleidi83. Doch der von beiden zitierte Claude Lorrain gehört einernoch ferneren Epoche an als Collins. Der Hinweis auf seine Landschaftsbilderdient zudem nicht nur der Konkretisierung atmosphärischer Nüancierungen,sondern das Kompositionsprinzip des Malers wird selber zum Vorbild derliterarischen Landschaftsbeschreibung. Im gegliederten Stufeiiaufbau von Beck-fords Bonner Gartenprospekt und von Radcliffes Blick über Köln hinwegzum Siebengebirge läßt sich dasselbe Arrangement der parallelen Ebenen er-kennen, das Claude zur Schaffung des vertieften Raumes in seinen Bildernbenutzt (Abb. 1). Als literarische Bildinszenierung entspricht die Beschreibungbzw. Aufzählung der einzelnen Landschaftselemente in ihrer Abfolge einem

32 Ebd. 138.33 Vgl. ebd. 138 f.: To tbc west, tmder the glow of sun-set, the landscape melted into

thc horizon in tints so so/i, 50 clear, so delicately roseate äs Claude only could havepainted. Viewed, äs we then saw it, beyond a deep and dark arch of the ruin, itseffect was enchanting. Bedkford aaO. [Anm. 26] 55 f. wird durch den Besuch derMannheimer Galerie zu Träumen über Albano und Claude angeregt. Auf denEinfluß, den Piranesis Carceri&uf Beckford und den ,Gothic novel* hatten, weistMario Praz hin in seiner Einleitung zu Three Gothic Novels, ed. by P. Fairclough,Harmondsworth/Mddx. 1968, 7—34; 18. Zu Claudes Kompositionsprinzip vgl.Marcel Röthlisberger: Claude Lorrain — The Paintings I—II, New Haven 1961,bes. I 15: „The landscapes, of narrow* extension and composed in parallel planes

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der Malerei entlehnten Prinzip der Staffelung. Wenn — wie Rainer Gruenterfeststellt84 — die dichterische Landschaftsschilderung mit der literarischen Ent-deckung des Landschaftsgemäldes zusammenhängt bzw. das literarische Sehender Landschaft durch die Malerei geprägt wurde, so scheint diese Abhängigkeitauch für Beckfords Briefsammlung und Radcliffes Tagebuch noch zu gelten.

3. Li terar ische Verfes t igung: Byron und Shelley

Wie in der Malerei erst Turner das romantische Rhein-Bild in Vollendungschafft (Abb. 3—6)35, so stammt das für die Folgezeit gültige Rhein-Bild derenglischen Dichtung von Byron. Die Rhein-Reise von 1816 erhält — noch eheByron im selbstgewählten italienischen Exil ankommt — ihre poetische Gestaltim dritten Canto von Cbilde Harold's Pilgrimage. Die bereits 1812 erschienenenersten beiden Cantos verarbeiten Byrons Reiseeindrücke seiner Fahrt durchSpanien und das Mittelmeer nach Griechenland und begründen bei ihremErscheinen Byrons dichterischen Weltruhm. Der abschließende vierte Cantoberichtet später (1818) von italienischen Reiseeindrücken. Als travelogue (alsoReiseliteratur) konzipiert36, hat dieses Gedicht — von seiner strengen strophi-schen Gliederung abgesehen — oft handlungsmäßig nur einen sehr lockerenZusammenhalt. Die Titelfigur bleibt jedoch bei sich wandelnder erzählerischerIntegration in den einzelnen Cantos das alle Episoden übergreifend verbin-dende Element37: A fictitious character is introduced for the sake of givingsome connection to the piece; which, however, makes no pretension toregularity.

Unternimmt Harold seine erste Reise noch aus Abenteuerlust, aus Über-sättigung und Verdruß an seinem bisherigen Leben, so wird seine zweite Reisezu Beginn des dritten Cantos anders motiviert. Die Titelfigur ist jetzt einsamerWanderer, menschenscheu und heimatlos38:

34 Landschaft — Bemerkungen 2ur Wort- und Bedeutungsgesch., in: GRM NF 3(1953), 110—120; wieder abgedruckt in: Landschaft und Raum in der Erzählkunst,hg. v. A.Ritter, Darmstadt 1975, 192—207; 204: „In freilich überspitzter Formu-lierung könnte man also sagen, dichterische L a n d s c h a f t s sdiilderung [...]beginnt mit der literarisdien Entdeckung des L a n d s c h a f t s gemäldes." AufPoussins Bedeutung für Bertolas Landschaftsbeschreibungen weist Fechner hin (aaO.[Anm. 4] 53). Salvator Rosas Bedeutung für das literarische Südsee-Bild desXVIII. Jh., wenn es darum geht, „das Fremdartige jener Länder zu rationalisierenund dem eigenen kulturellen Vorverständnis anzugleichen", unterstreicht WillyR. Berger: Exotismus in den europ. Lit.en, in: arcadia 16 (1981), 36—46; 42.

V5 Turner führt Gardnors Buch auf seiner Rhein-Reise mit sich. Seine eigenen Skizzcn-bücher dieser Reise von 1817 dienen ihm als Vorlage für Illustrationen zu ByronsWerken; vgl. von der Borch aaO. [Anm. 21] 32.

*6 Zur entsprechenden Publikumsrezeption vgl. Thilo von Bremen: Lord Byron alsErfolgsautor — Leser und Lit.markt im frühen 19. Jh., Wiesbaden 1977, 88: „Daßin der Aufnahme Childe Harold's der Aspekt der Reiselitcratur einen bemerkens-wert großen Raum einnahm, läßt sich vortrefflich anhand der Rezensionen belegen/'Zur Popularität der Reiseliteratur vgl. auch William E. Stewart: Die Reisebcschrei-bung und ihre Theorie im Deuschland des 18. Jh., Bonn 1978, 188—193.

37 George Gordon Byron: Preface, in: Childe Harold's Pilgrimage and OtherRomantic Poems, ed. by J. D. Jump, London 1975, 3—6, 3.

38 Ebd. 65, v. 100 (Canto III, Str. XII, Z. 1). Die Einsamkeit des romantischen Wan-derers beschreibt Andrew Rutherford: Byron — A Pilgrim's Progress, in: TheByron Journal 2 (1974), 4—26; 12.

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But soon he knew himself tbe most unfitOf men to herd with Man; [...]

In dieser Pose des byronischen Helden ist Harold schwer vom Erzähler zuunterscheiden, der seine Abfahrt aus England beschreibt39:

/ depart,Whither I know not; [...]

Wenn der Erzähler seinen Bericht mit der Apostrophe an Ada! Sole daughterof my hotise and heart beginnt, wird durch die Namensgleichheit mit Byronseigener Tochter die Erzählsituation dem Publikum erkennbar als dichterischeGestaltung von Byrons eigener Flucht aus England. Im Vorwort hat Byronzudem so nachdrücklich auf die Differenz zwischen Dichtung und Realitäthingewiesen, daß dadurch die Identifikationsmöglichkeit beider Bereiche nichtmehr übersehen werden kann40. Die biographistische Deutung der Reisegedichtehat daher lange Zeit im Vordergrund gestanden. Erst durch die Kontrastierungmit Byrons Briefen und Tagebüchern wird die Fiktionalisierung der Reisendeutlich erkennbar, läßt sich ihre dichterische Gestaltung nicht nur als formaler,sondern auch als inhaltlicher Umformungsprozeß erkennen.

Im Aufbau des Gedichtes nimmt die Rhein-Episode eine Zwischenstellungzwischen der Beschreibung des Schlachtfeldes von Waterloo und der SchweizerAlpenlandschaft ein. Die Alpen erwecken die höchste Begeisterung in derLandschaftsschilderung, die Rhein-Beschreibung als Überleitung hat einstim-mende Funktion. Im Sinne einer Steigerung folgt auf die desolate Schädelstättein Belgien — this place of skulls (XVIII 1) — die liebliche Rhein-Landschaft,die ihrerseits von der Großartigkeit der Alpen übertreffen wird. Eingeleitetwird die Rhein-Episode durch die Reflexion des Erzählers auf Harolds Seelen-zustand. Durdi melancholische Rückbesinnung auf die reine Liebe einer früherenZeit wird die adäquate Rezeptionshaltung für die jetzt erscheinende Szenerieaufgebaut. The castled crag of Drachenfels ist dann — als Beginn der roman-tischen Rhein-Strecke — Auslöser und zugleich auch schon Formulierung derersten Zeile für den Hymnus an die Landschaft. Der Überschwang des Gefühls,hervorgerufen durch den Anblick von Fluß, Berg und Burgruine, konkretisiertsich in der lyrischen Überformung des Augenblicks. Zwischen die ,Spenserianstanzas' des Reisegedidits wird Harolds Gruß an seine entfernte Geliebte ein-geschoben. In ihrer bewußt naiven Gestaltung sind die vier alternierend reimen-den und jeweils mit Couplet endenden zehnzeiligen Strophen dieses Liedesrührend. Die Simplizität der Reimübung sorgt für ihre Eingängigkeit. Sowohldie emotionale Intensität wie auch die formale Hervorhebung erhöhen die

39 Byron aaO. [Anm. 37] 62, v. 7 f. (Canto III, Str. I, Z. 7 f.).40 Vgl. v.Bremen aaO. ("Anm. 36] 49: „Schon durch ihre Nachdrücklichkeit verliert

diese Behauptung [d. h. die Differenz zwisdien Dichtung und Wirklichkeit] anGlaubwürdigkeit. Die tiefe Durchdringung von Held und Autor ist natürlich imganzen Werk evident." Vgl. auch ebd. 100 f.; ferner Hermann Fischer: Dieromanthd)e Verserzählung in England — Versuch einer Gattungsgesch., Tübingen1964, 180: „Wesentlidi bleibt das Faktum des inneren Zwiespalts zwischen Ge-ständnis- und Verdunkelungstendenz."

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Erinnerungsfähigkeit und folglich die Zitierbereitschaft des Lesers für diesesLandschaftsbild.

Der Erzähler spart seine eigenen Eindrücke aus und nimmt den Faden derErzählung erst wieder in Koblenz auf. Durch die topographische wie historio-graphische Beschreibung von Ehrenbreitstein erhält die Drachenfels-Beschrei-bung ihr Gegenstück. Der erste subjektive Eindruck Harolds vom Rhein erfährtdurch die Ergänzung des Erzählers seine positive Bestätigung. Außer Drachen-fels und Ehrenbreitstein beschreibt Byron keine weiteren Rhein-Stationen. Diehistorische Dimension, die für das gesamte Gedicht erstrebt wird41, ist hier aufmehrfache Weise erreicht. Wie die Auseinandersetzung mit Leben und Charak-ter Napoleons sich aus der Landschaftskontemplation auf dem Schlachtfeld vonWaterloo ergibt und später der Genfer See auch eine lange WürdigungRousseaus veranlaßt, so wird anläßlich des Anblicks von Ehrenbreitstein— gleidisam einleitend — das Geschick des französischen Generals Marceauerzählt: Brief, brave, and glorious was bis young career (LVII 1). Zwei An-merkungen untermauern die drei Koblenz-Strophen gerade in ihrem histo-rischen Gehalt und erläutern nicht nur das durch Metrum und poetische Diktionin die Dichtung eingebundene Faktenmaterial, sondern betonen dadurch auchden Authentizitätsanspruch der Reiseschilderung. Dieses Verfahren der An-notierung historisdier Ereignisse, aber auch landschaftlicher Besonderheiten wirdebenfalls für die Drachenfels-Beschreibung verwandt. Doch begnügt Byron sichdort im Kommentar mit einem globalen Hinweis auf das rheinische Sagengutals some Singular tradition*2.

Den beiden Stationen von Drachenfels und Ehrenbreitstein folgen alsEpilog drei Strophen des Abschieds, die den versöhnlich-besänftigenden Aspektdes fair (LIX 1) und lovely (LX 5) Rhine hervorheben (LIX 7 ff.):

Where Nature, nor too somber nor too gay>Wild but not rüde, awful yet not austere,Is to the mellow Earth äs Autumn to tbe year.

Dieser — obwohl Byron im Mai durch das Rhein-Tal reiste — stets herbstlich-ausgleichend empfundenen Natur steht dann ohne reflektierende Einleitung alsextreme Naturerfahrung die cold sublimity (LXII 5) der Alpen, der Gletscherund Lawinen, in scharfem Kontrast gegenüber. Im Vorbeigleiten wird das eineLandschaftsbild vom nächsten überlagert: But these recede. Above me are theAlps (LXII 1).

Fast gleichzeitig mit dem dritten Canto von Cbilde Harold's Pilgrimageund zu einer Zeit des engen Kontakts mit Byron entsteht Mary Shelleys Roman

41 Vgl. hierzu u.a. Peter J. Manning: Byron and His Fiction, Detroit 1978, 29: „Allfour cantos of the poem constitute with increasing surcness of purpose a vast actpf cultural memory, a detcrmination to make the past availablc so that throughit men like Harold can escape the limitations of the seif." Vgl. auch Francis Berry:The Poet of „Childe Harold9, in: Byron — A Symposium, ed. by J. D. Jump, Lon-dpn/Basingstoke 1975, 35—51; 42: „He [Byron] made the landscapes of Europevivid and vibrate with memories for die Europeans."

42 Byrons Anmerkungen zum dritten Canto sind auf Veranlassung des Verlegersüberarbeitet und gekürzt worden.

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Frankenstein or the Modern Prometheus. Im Vorwort berichtet die Autorin,daß Byron eines Abends vorgeschlagen habe, jeder der fünf Anwesenden solleeine Geistergeschichte schreiben. Ihre Geschichte ist die berühmteste geworden.Man kann sie heute in mehr als zwanzig Filmversionen besichtigen43. DerBericht über Anlaß und Entstehung des Romans ist der äußere Rahmen fürdie Briefe des Polarforschers Robert Walton an seine Schwester MargaretSaville in England. Die Briefe enthalten den Bericht Victor Frankensteins. Indiesen Bericht ist die Erzählung des Monsters und in diese Erzählung wiederumSafies Geschichte über die Versklavung ihrer Mutter eingeschlossen. In derfünffach geschachtelten Romanstruktur44 werden Unwahrscheinlichkeit wieUngeheuerlichkeit des Themas — die künstliche Erschaffung eines Menschen —einerseits relativiert, andererseits aber auch durch Spiegelung und Analogie,durch Verweise und Kommentierungen in eine Vielzahl differierender Kon-texte gestellt. Rhein-Reise und Rhein-Landschaft spielen dabei eine integraleRolle mit komplexer Verweisungsfunktion. Als das Monster seinem SchöpferFrankenstein droht, weiterhin dessen Familie und Freunde umzubringen,andererseits jedoch verspricht, zusammen mit einer Gefährtin die zivilisierteWelt zu verlassen, da stimmt Frankenstein zu, ein zweites, weibliches Monsterzu schaffen. Um für dieses Unternehmen die Erkenntnisse englischer Wissen-schaftler zu nutzen, fährt er aus seiner Heimat am Genfer See den Rheinhinab und weiter nach England45. Diese Rhein-Reise bedeutet eine entscheidendeWende im Romangeschehen46. Denn Frankenstein hofft jetzt, bald von derbedrückenden Nähe seines Ungeheuers befreit zu sein und damit die Gefahrfür Freunde und Verwandte gebannt zu haben. Daher steht er der Rhein-Reisepositiv gegenüber und versucht, von ihrem beruhigendem Einfluß zu profi-tieren47: We travelled at the time of the vintage, and heard the song of thelabourers, äs we glided down the stream. Even 7, depressed in mind> evenI was pleased.

Die Verbindung des Geschehens zur Landschaft spielt für Mary Shelleyeine wichtige Rolle. So finden Frankensteins Erzählung und sein Ende auf

43 Albert J. Lavalley: The S tage and Film Children of „Frankenstein" — A Survey, in:The Endurance of Frankenstein — Essays on Mary Shelley's Novel, ed. byG. Levine und U. C. Knoepflmacher, Berkeley 1979, 243—289, zählt (287—289)25 Filme, u. a. auch Paul Wegeners Der Golem (1920) und Fritz Längs Metropolis(1926). Bei Radu Florescu: In Search of Frankenstein^ New York 1975, London1977, 239—242, werden sogar 32 Filmadaptionen zwischen 1910 und 1974 auf-geführt.

44 Vgl. dazu David Ketterer: Frankens fein* s Crcation — The Book, the Monster, andHuman Reality, Victoria/B. C. 1979, 52—55.

45 Ebd. 109 wird die Ansidit widerlegt, daß Shelley seiner Frau die Idee zur England-Reise Frankensteins vorgeschlagen habe. Die Beschreibung der Rhein-Reise gehtu. a. audi auf Eindrücke zurück, die Mary Shelley auf einer eigenen Rhein-Reisezusammen mit Shelley im August/September 1814 sammelte.

46 Christopher Small: Mary Shelley's „Frankenstein" — Tracing the Myth, Pittsburgh1973 (zuerst als Ariel like a Harpy — Shelley, Mary and „Frankenstein", London1972), schreibt über Frankensteins Verzweiflung nadi der Unterredung mit demMonster (166): „This is the real crisis of the story [...]·" E>er mit der Rhein-Reise verbundene Plan, ein zweites Monster zu sdiaffen, wäre dann der Lösungs-versuch dieser zentralen Krise.

47 Mary W.Shelley: Frankenstein or the Modern Prometheus, ed. by M.K.Joseph,London 1969, 155.

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einem Forschungsschiff in der sonst menschenleeren Einöde der polaren Eismeer-Landschaft statt. Die Außergewöhnlichkeit von Landschaft und Thema ent-sprechen einander. Die zweite Begegnung Frankensteins mit dem Monsterergibt sich unter Donner und Blitz und im Aufruhr der Elemente. Die aus-führliche Aussprache wird dann wieder fern aller Zivilisation auf die Gletscherdes Mont Blanc über dem Tal von Chamonix verlegt, wo das Ungeheuerhaust48. Für die Erlebniswerte der friedlicheren Rhein-Landschaft ist Franken-stein allerdings durch die seelisch extremen Qualen der Selbstbezichtigung,durch das Schuldgefühl über die Untaten seiner monströsen Kreatur ver-schlossen und unempfänglich geworden. Er kann sie nur durch seinen Freundund Reisebegleiter Henry Clerval, in dessen Empfindungen und durch dessenAufnahmebereitschaft nachempfinden. Clervals Naturbegeisterung wird kon-trastiv eingesetzt zur pointierten Betonung von Frankensteins Depression49:Alas, how great was tbe contrast between us! He was alive to every newscene; joyfttl when he saw the beauties of the setting sun, and more happywhen he beheld it rise, and recommence a new day. He pointed out to methe shifting colours of the landscape, and the appearance of the sky. Durchdas erzähltechnische Mittel des indirekten Landschaftserlebens kann Franken-stein selber in seinem späteren Bericht darüber seinem Zuhörer Walton denAbwechslungsreichtum als besonderen Reiz der Rhein-Reise vermitteln50: Thecourse of the Rhine below Mayence becomes much more picturesque. The riverdescends rapidly, and winds between hills, not high, but steepy and of beantifulforms. We saw many rmned castles Standing on the edges of precipices, sur-rounded by black woods, high and inaccessible. This part of the Rhine, indeed,presents a singularly variegated landscape. Die Konventionalität dieses Rhein-Bildes läßt seinen funktionalen Einsatz um so deutlicher werden.

Dem lebhaften Clerval erscheint die Rhein-Gegend sogar als angenehmerund schöner als seine Heimat am Genfer See51: „Durch Kontrast und Vergleichwird das Rheinland hier zu dem schönsten Fleck der Erde gemacht." Es ist derlieblich-heitere, der menschlich-soziale Aspekt, wie auch Byron ihn an derFlußlandschaft bewundert, der Clervals sympathetisches Naturbewußtsein evo-ziert. In dieser extrovertierten Empfindsamkeit ist jedoch nicht der naiveClerval romantischer Held — sondern Frankenstein ist es in seiner grüble-

48 Vgl. Ketterer aaO. [Anm. 44] 70: „The monster is almost a projection of thesensations inspired by the book's Alpine setting [...] " Vgl. auch Disdincr aaO.[Anm. 4] 175: »Alle flüchtigen und längeren Begegnungen mit dem Monster findenin einer Landschaft und in Umständen statt, die in schauriger Erhabenheit eineadäquate Stimmungskulisse darstellen." Ferner Ridiard J. Dünn: Narrative Distancein „Frankenstein", in: St. in the Novel 6 (1974), 408—417.

40 Shelley aaO. [Anm: 47] 154. Zur gegensätzlichen Figurenzeichnung der beidenFreunde — sdion vom Namen her —, abier auch zum hier relevanten Doppel-gängermotiv vgl. Peter Dale Scott: Vital Artifice — Mary, Percy, and the Psycbo-politicalIntegrity of„ Frankenstein", in: The E^urance aaO. [Anm. 43] 172—202;bes. 194: „Mary nicely adumbrated these differences between the twp characters bytheir preferences for landscape: the solitary Frankenstein [...] inclines to the»awful and majestic* scenery of Mont Blanc; the sociablc and agreeable Clerval[...], to the cultivated valley of the Rhine/

50 Shelley aaO. [Anm. 47] 155.1 Disdmer aaO. [Anm. 4] 183.

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rischen Verzweiflung und in seiner vergeblichen Hoffnung auf Erlösung ausden Angstvisionen durch das Naturerleben in der vereisten Bergwelt des MontBlanc. Die Beschreibung der Rhein-Landschaft mündet in vorausweisende An-spielungen auf Clervals Ermordung durch die Bestie. Steht die Rhein-Beschrei-bung für ethische Gefühlswerte der Freundschaft, Geselligkeit und Menschlich-keit, wie sie in Opposition gestellt werden zu Frankensteins Schuldgefühlen,so wird die Rhein-Reise für das Monster vollends zur Beschwernis52: I havecndured toil and misery: l left S witzer land with you; l crept along tbe shoresof the Rh'me, among its willow Islands, and over the summits of its bills. Dererhebende wie befreiende Erlebniswert im Wechsel von Großartigkeit undSchönheit der Landschaft bleibt Frankenstein weitgehend, seiner Kreatur abergänzlich verschlossen. Die Spiegelung der Seelenlage in der Natur erfolgt hiernegativ ausgrenzend für Titelfigur und Monster. Die Rhein-Reise ist Signalihrer jetzt vollendeten sozialen Isolation — und dies zu einem Zeitpunkt, alsbeide gerade die Stabilisierung ihrer sozialen Bindungen planen: das Monsterin der Hoffnung auf die Gefährtin und Frankenstein in der Hoffnung, daß erohne das Monster nicht mehr aus der Nähe von Freunden und Familie flüchtenmuß. In dieser ironischen Verschränkung von Planung und deren Fehl-beurteilung durch die Figuren ist die Landschaft Metapher alles dessen, wasbeiden nicht mehr erreichbar ist.

4. Reduk t ions fo rmen : Bulwer-Lyt ton , Thackeray, Marmie r

Die bei Byron und Shelley zu beobachtende naive und spontane Land-schaftsbegeisterung und deren lineare dichterische Integration unterstützt dieAttraktivität des Rheins für Reisende aus ganz Europa. Rhein-Tourismus undByronismus werden zu einander wechselseitig bedingenden Größen im Phä-nomen einer Massenkultur. Durch Nachschlagen in Murrays berühmten rotenHandbuch oder auch in dessen französischer Obersetzung in der ebenso popu-lären Serie der Guides Richard bzw. auch im Baedeker kann der Tourist diedort abgedruckten Byron-Verse im Vorbeifahren oder beim Besteigen desDrachenfels rezitieren53. Er braucht diese Verse nicht auswendig zu können undbraucht sich auch nicht mit Byron-Werken für seine Reise auszurüsten. ByronsVerse werden so auch dem nicht literaturbewußten Reisenden angedient,andererseits wird der von Byron begeisterte Leser immer an einem Nachvollzugvon Byrons Rhein-Reise interessiert sein. Weil die Erwartungshaltung bereits

52 Shelley aaO. [Anm. 47] 167. Zur Klassifizierung des Romans und zur Ähnlichkeitdes Monsters mit Wagners Homunculus in Goethes Faust vgl. Jörg Hienger: Lit.Zukunftsphantastik — Eine St. über Science Fiction, Göttingen 1972, 133 f.

53 Manuel de voyageur sur les bords du Rbin — Itineraire artistique, pittoresquc etbistorique [...] — Trad. du Hand-Book, de Murray; et revu d'apres Schreiber,Gray Fearnshide et John Watts, par Ridiard [d.h. Jean Marie Vincent Audin:das Pseudonym wurde mit Bezug auf den berühmten Reisehandbuchverfasser Hans

.Ottokar Reichard gewählt], Paris 1842, 88 f.; die drei hier abgedruckten Strophensind nicht übersetzt, sondern im engl. Original wiedergegeben. Die dritte, dieLilienstrophe, fehlt, da sie nichts über die Landschaft aussagt. Eine dt. Übers,lediglich der ersten Strophe findet sich in Rheinreise von Basel bis Düsseldorf [...]— Sechste verbesserte und vermehrte Aufl. der Klein'schen Rheinreise bearbeitetvon K.Bädeker, Koblenz 1849, Ndr. Dortmund 1978, 282.

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durch Lektüre vorgeprägt ist, wird das spontane Naturempfinden beim Anblickder Landschaft stark beeinträchtigt, wenn nicht verhindert. Durch die Be-fangenheit in der lyrischen Gestaltung wird eigenes Erleben höchstens nochzum Wiedererkennen von Dichtung.

Weniger die kritische, eher die unkritisch-identifikatorische Byron-Lektüredrängt auf ihre Aktualisierung in der Besichtigung des literarischen Schau-platzes. Indem die Landschaft entsprechend ihrer poetisch vorgeformten Gestaltnachempfunden wird, verfestigen sich Rezeptionsschemata, die für die nächsteDichtergeneration zu Produktions- und Vermittlungsproblemen geraten. Zumeinen sind alle Dichter und Schriftsteller der Gefahr des Epigonentums aus-gesetzt, zum anderen lockt die Möglichkeit der Vergrößerung einer prospek-tiven Lesersdiäft dadurch, daß man bereit ist, dem Wunsch eines konditionier-ten Publikums nach Bestätigung seiner Erwartungen auf topographischem wieliterarischem Sektor entgegenzukommen. Jeder nachfolgende Dichter brauchtaber auch nur Byron zu zitieren, um ein ganzes Gefühlsregister des Natur-erlebens abzurufen. Mit dem wachsenden Touristenstrom zum Rhein wird dieFlußlandschaft als literarisches Thema a la mode vor allem für Erfolgsschrift-steller interessant, die durch bewußte Byron-Nachfolge auf ein breites Publikumspekulieren.

Bei Edward George Earle Lytton Bulwer, der sich nach seiner Erhebungin den Adelsstand Bulwer-Lytton nennt, ist die Beschreibung der Rhein-Land-schaft nicht mehr Bestandteil einer einzelnen Episode, sondern Thema einesganzen Werkes54. Die an Schwindsucht leidende Gertrude Vane verspricht sichHeilung von ihrer Rhein-Reise, die sie mit Vater und Bräutigam unternimmt,stirbt jedoch in Heidelberg. Mit dieser sentimental gestalteten Rahmenhandlungvon entsagungsvoller Liebe und standhaft erduldeter Krankheit ist eine zweite,lustige und scherzhafte Handlung einer Elfen-Reisegesellschaft verbunden. Fürbeide Handlungsstränge ergeben die Rhein-Stationen nicht nur willkommenenAnlaß für zahlreich eingeschobene Sagen und Märchen, sondern die Land-schaftsschilderung wird auch stets in den Erlebnishorizont der Romanfigureneingebunden und für die Krankengeschichte der Hauptfigur ausgenutzt55: Fromthe Drachenfels commences the true glory of the Rhine; and, once more,Gertrttde's eyes conquered the languor tbat crept gradually over them, äs shegazed on the banks around. Hat der Anblick der Rhein-Strecke hinter demDrachenfels heilsame Wirkung auf die Patientin, so dienen die Ruinen vonRheinfels als grandiose Kulisse für einen Sturm, der die Flußreisenden inGefahr bringt.

Wie der Titel The Pilgrims of the Rhine schon auf Byrons Gedicht anspielt,so wird als geflügeltes Wort — jedem Leser geläufig und daher ohne Quellen-angabe — das Zitat aus diesem Werk Byrons zur Evokation einer Stimmungverwandt, die in der Erwartung von Landschaftsschilderung deren Konformitätmit der tradierten Form anzeigt56: The peculiar character of the river does54 The Pilgrims of the Rhine (== The Comf1 Works III), Leipzig 1834, Zur Be-

deutung Bulwcr-Lyttons für den zeitgenössischen Literaturgeschmack vgl. Hcinz-Joächim Müilenbrodc: Der hist. Roman des 19. Jb., Heidelberg 1980, 45.

55 The Pilgrims aaO. [Anm, 54] 143." Ebd. 98.

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not, however, rcally appear, until by degrees the Seven Mountains, and „TheCastled Crag of Drachenfels", above them ally break upon the eye. Das be-kannte Zitat im Erzählerkommentar verhindert die eigene Landschaftsbeschrei-bung an dieser Stelle. Durch Hinweis auf vorgegebene literarische Muster wirdsie überflüssig und daher ersetzt durch einen dichtungstheoretischen Exkursüber die Abhängigkeit deutscher Dichter von den Landsdiaftsformen ihrerHeimat. Wenn anschließend dennoch eine Drachenfels-Beschreibung angefügtwird, so wirkt sie fehl am Platz. Das Spiel von Licht und Schatten auf demFelsen und der Burg ist durch seine häufige Beschreibung zu dieser Zeit bereitszum Klischee erstarrt. Es wird noch übersteigert durch den ebenfalls klischee-haften Sonnenuntergang am Fluß. Beide Versatzstücke erscheinen bei Bulwer-Lytton durch ihre Koppelung in der ganzen Banalität ihrer fortwährendenepigonalen Wiederholung, da sie keinerlei neue Besdireibungselemente ent-halten. In der Redundanz der Elemente, in der Oberausfüllung des Schemasfindet auch der einfältigste Leser seine Erwartung bestätigt57:

The sun, slowly progressing to his decline, cast his yellow beams over thesmooth waters. At the foot of the mountains lay a village deeply sequesteredin shade; and above the ruin of the Drachenfels caught the richest beams ofthe sun. Yet thus alone, though lofty, the ray cheered not the gloom that hungover the giant rock: it stood on high, like some great name on which the lightof glory may shine, but which is associated with a certain melancholy, fromthe solitude to which its very height above the level of the herd condemnedits owner!Die ominöse Anspielung auf eine bestimmte historische Persönlichkeit ist nachdem Vorangehenden von zeitgenössischen Lesern nur auf Byron zu beziehen.Mit gesteigertem Pathos wird dessen Selbststilisierung im Landschaftsvergleichgefeiert. Durch die auf das Publikum bezogene Tierassoziation in herd bleibtdie Dichterehrung jedoch nicht ohne Peinlichkeit58. Durch Zitat, Nachahmungund direkte Anspielung ist das Drachenfels-Kapitel bei Bulwer-Lytton gleich inmehrfacher Hinsicht literarischer Tribut an seinen berühmten Vorgänger. AlsBeispiel produktiver Rezeption ist dies jedoch eine sehr spezifische Art derfunktionalen Integration der Landschaftsbeschreibung in den Kontext einerRomanhandlung.

Die Elfenkönigin in Bulwer-Lyttons Roman sieht die Rhein-Reise alsVergnügungstour und als Abwechslung, wenn sie alle anderen Möglichkeitenbereits erschöpft hat59: „Let us go up the Rhine" said the Queen, turning awayher head; [...]. Dieses eher kurzweilige Moment der literarischen Rhein-Reisewird von Thomas Hood aufgegriffen. Er bemüht sich, in Anlehnung an TobiasSmolletts Humphrey Clinker einen satirisch-sozialkritischen Roman zu sdirei-57 Ebd. 100. Zur Problematik literarisdier Konventionen am Beispiel von Bernardin

de Saint-Pierre vgl. Wolf gang Raible: Lit. und Natur — Beobachtungen zur lit. Land-schaft, in: Poetica 11 (1979), 105—123; bes. 122: „Zwischen eine allfällige Realität,hier: die Landschaft, und die literarische Form, zu der sie gerinnt, treten eine Reihevon Filterinstanzen bzw. Relevanzgesichtspunkten."

58 Gleichzeitig ist dies aber auch das entsprechende Substantiv zu Byrons oben zitier-ter negativer Beschreibung des menschlichen Sozialverhaltens im Kontext der Selbst-isolation seines Protagonisten Harold in Canto III, Str. XII, Z. 1.

59 The Pilgrims aaO. [Anm. 54] 20.

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ben, der den englischen Touristen und seine Begeisterung für die tbick-comingbeauties of the abounding river: — the Romantic Rolandseck — the ReligiousNonnenwerth — the Picturesque Drachenfels! in decouvrierender Weise kari-kiert60. Es ist vor allem die Flut literarischer und bildlicher61 Darstellungendes Rhein-Panoramas, die jetzt eine emotionale Ergriffenheit durch die Land-schaft verstellt und deren poetische Gestaltung verhindert, weil sie nicht mehrglaubhaft ist. Der Rhein ist zu abgeklappert auch als literarisches Sujet.

Wie die triviale Reduktion der Perpetuierung des Klischees dient, so ver-suchen die satirischen Reduktionsformen, das Klischee aufzubrechen und esdurch Bewußtmachung bzw. Entlarvung für belustigende wie für didaktischeZwecke einzusetzen. Bei einem solchen Horizontwandel verschiebt sich dasDarstellungsinteresse von der Landschaft selber auf die sie bevölkerndenFiguren. Die Naturschilderung tritt hinter der Sozialkritik zurück. ThomasHood oder auch William Thadkeray haben eine solche satirisch-parodistischeGestaltung des Rhein-Tourismus jeweils mehrfach unternommen62. Hier sollnur auf e i n solches Beispiel eingegangen werden — und zwar auf das be-zeichnenderweise mit dem deutschsprachigen Titel Am Rhein versehene62. Kapitel in Thackerays Roman Vanity Fair. Schon die Abfahrt des Dampfersvon den Tower-Landungsbrücken steht in scharfem Kontrast zur Flucht desmenschenscheuen byronischen Helden. Inmitten einer bunten Touristenscharsetzt Thackeray nicht nur die Reaktionen seiner Hauptfiguren in ein bezeich-nendes Verhältnis zu den Idiosynkrasien der übrigen Reisenden, sondern ent-wirft durdi überzeichnete Details ein ebenso komisches wie abschreckendes Bilddieses Reiseunternehmens. Statt der romantischen Ansichten sammelt JosephSedley dann in durchaus realistischer Notierung wie in ironischer Verdrehungdie Vorzüge und Nachteile der Gasthäuser63: He kept a Journal of his voyage,and noted elaborately the defects or excellencies of the various inns at whichhe put tip, and of the wines and dishes of wbid) he partook. Seine SchwesterAmelia dagegen, die naive Heldin, nimmt die romantische Attitüde, die

60 Thomas Hood: Up the Rhine, London 1840, 160. Der fiktive Briefschreiber FrankSomerville weist anschließend (161) auf die bildliche Undarstellbarkeit bei äußersthäufiger Darstellung des Siebengebirges hin: Can the best Japan fluid give a notionof the shifting Hghts and sbades, the variegated tints of the thronging mountains —the blooming blue of the Sieben Gebirge? Besidesy tbere is not a river er a villagebut has been done in pen and ink ten times over by former tourists. Zur Roman-struktur vgl. Lloyd N.Jeifrey: Thomas Hood, New York 1972, 118. Vgl. auchDisdiner aaO. [Anm. 4] 282: „Thomas Hood war der bissigste unter den Rhein-parodisten."

61 Vgl. zum Aufkommen und zur Verbreitung des Stahlstichs Helmut Häuser: An-sichten vom Rhein — Stahlsticbbücher des 19. Jh. — Darstellung und Bibliogr.,Köln 1963.

62 Vgl. zu Hoods und Thackerays häufiger Bezugnahme auf den Rhein bereitsGsundbrunn aaO. [Anm. 4] 65—71.

63 William Makepeace Thackeray: Vanity Fair — A Novel without a Hero, ed. byG. u. K.Tillotson, London 1963, 598. Zur „ironisdien Reduktion und Variationder Darstellung" bei Thackeray vgl. Theodor Wolpers: Der Realismus in der engLLit.f in: Europ. Realismus, hg. v. R.Lauer (= Neues Hb. der Lit.wiss., Bd, 17),Wiesbaden 1980, 89—184; 124. Ferner zur „ambivalenten" Ironie Ulridi Broich:Die Bedeutung der Ironie für das Prosawerk W. M. Thackerays — Unter bes.Berücksichtigung von „Vanity Fair", Diss. phil Bonn 1958, 78 ff.

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künstlerische Pose des Landsdiaftszeichners in ungebrochener Form ein64: Shesäte upon steamers* decks and drew crags and castles, or she mounted upondonkeys and ascended to ancient robber-towers [...]· ̂ as byronische Vokabulardient hier der Persiflage eines unkritischen und zu simplen Nachfolgeverständ-nisses. Es ist typisch für Amelia, die tut, was von ihr verlangt wird, und sichständig auf unaufwendige Art bildet und doch in ihrer Naivität nie versteht,worum es geht. Sie ist „schlicht, unbedarft und sentimental"65. An ihr wirddeutlich, wie aus dem romantischen Geschichtsinteresse und Abenteuerbewußt-sein die verflachende Besichtigungsroutine des modernen Tourismus entstan-den ist.

Die konträren Reaktionen der Geschwister Jos Sedley und Emmy Osbornewerden eingebunden in einen übergreifenden Erzählerkommentar, ein Lob aufdie Lieblichkeit der Rhein-Landschaft, das in der Beschreibung des Sonnenunter-gangs gipfelt66:

Pleasant Rhine gardens! Fair scenes of peace and sunshine — noblepurple mountainsy whose crests are reflected in tbe magnificent stream — whohas ever seen youy that bas not a greatful memory of those scenes of friendlyrepose and beauty? To lay down the peny and even to think of that beautifulRhineland makes one happy. At this time of Stimmer eveningy tbe cows aretrooping down from the hills, lowing and with tbeir bells tinklingy to the oldtowny with its old moatsy and gatesy and spiresy and chestnut-treesy with longblue shadows stretching over the grass; the sky and the river below flame incrimson and gold; and the moon is already outy looking pale towards thesunset. The sun sinks behind the great castle-crested mountainsy the night fallssuddenlyy the river grows dar her and darkery lights quiver in it from theWindows in the old rampartsy and twinkle peacefully in the villages under thehills on the opposite shore.Auch hier erfüllt die Reihung der Klischees von Sommerabend, heimkehrendenKühen und Sonnenuntergang bis zum Glitzern der Lichter auf dem nächtlichenFluß ihre Funktion erst dadurch, daß die Erzähleraussage sie durch ihreStereotypie ironisch distanziert. Die durchaus „variable Distanz"67 verhindertin Vanity Fair nicht nur die unmittelbare Identifikation des Lesers mit denFiguren, sondern ebenso auch mit der Meinung des Erzählers. Andererseitsnutzt dieser dann aber die therapeutische Wirkung der friedlichen Rhein-Land-schaft als Voraussetzung für eine Periode der Ruhe und des Glücks seiner

64 Thackeray aaO. [Anm. 63] 598.65 Wolf gang Iser: Der implizite Leser — Kommunikations formen des Romans von

Bunyan bis Beckett, München 1972, 176. Vgl. auch Wolpers aaO. [Anm. 63] 118:„Sie ist sanft, vertrauensselig und herzlich, aber auch unerfahren und naiv, wie derErzähler mit leisem Bedauern durchblicken läßt." Maria Verch: Der Künstler unddie Kunst im Werke Thackeray s > Diss. phil. Berlin 1969, bezieht sich (63) auf „diegefühlsselige Dummheit Amelias".Thackeray aaO. [Anm. 63] 600.

67 Iser aaO. [Anm. 65] 192: „In diesen variablen Distanzen erfährt der Leser denSinn von Vanity Fair. Mit den Figuren erlebt er das temporäre Verstricktsein inseine eigenen Illusionen, und mit der Aufforderung zur Kritik wird ihm dieMöglichkeit geboten, sich davon zu befreien, um sich selbst und die Welt besserzu sehen."

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Hauptfiguren68: es, they were very happy. Die Flußlandschaft wird zumstimmungsvollen Schauplatz für Emmys wachsende Zuneigung zu ihrem treuenVerehrer Major Dobbin, dessen wahre Liebe sie vorher in ihrer Verblendungnicht erkannt hatte.

Durch die Rhein-Reise wird der abschließende Romanteil eingeleitet, indem es zum versöhnlichen Schluß, zum Zusammenfinden der Liebenden kommt.Die stete Ironie dieses Romans, der schon vom Titel her seine gesellschafts-kritischen Absichten bekennt, läßt es opportun erscheinen, daß die entschei-dende Wende vor einer landschaftlichen Kulisse stattfindet, die zum einen dieseelische Entwicklung begünstigt, zum anderen aber auch in ihrer Klischee-haftigkeit die Banalität des bürgerlichen Milieus decouvriert. In seiner litera-rischen wie sozialen Fixierung, in der Konsolidierung einer Topik, wie siebereits vor Thackeray feststeht, wird das Landschaftsbild rein funktional ver-wendet. Die abgenutzten Erlebniswerte ergeben das Mittel zur angemessenenDarstellung typisierter Figuren. Die Rhein-Reise als bevorzugte und organi-sierte Touristenattraktion wird zum Treffpunkt für die modischen Engländer.Die Rhein-Reise als Statussymbol ist das Differenzkriterium für den Jahrmarktder Eitelkeit. Die ironische Sprechhaltung des Erzählers wird zur Selbstironie,wenn er berichtet, daß er seine Romanfiguren auf dieser Rhein-Reise getroffenund kennengelernt habe. Die Rhein-Reise ermöglicht somit überhaupt erst dasZustandekommen des Romans69: 1t was on this very tour that 7, the presentwriter of a history of which every word is truey had the pleasure to see themfirst, and to make their acquaintance. Die Wahrheitsbeteuerung gerät in diesemKontext zur Betonung des Fiktionalitätsdiarakters des gesamten Roman-geschehens.

Beim Erscheinen des Romans — also 1847/48 — liegen die dargestelltenhistorischen Ereignisse eine Generation zurück. In dieser Zeit ist die stilisierteEinsamkeit und Weltflucht von Byrons Gedichthelden den Rhein entlang nichtnur zum Trampelpfad der Engländer geworden — die Engländer waren auchschon zu Byrons Zeiten durchaus zahlreich auf dem Kontinent vertreten —,sondern die Fiktion eines einsamen und ungestörten Naturerlebens läßt sidinicht mehr aufrechterhalten. Der Massentourismus ist längst literarisches Sujetgeworden. Thackeray variiert ein vorgegebenes Genre, nämlich die parodistisdiüberhöhte Rhein-Reise, als integralen Bestandteil einer umfangreichen Roman-handlung, für deren Personal und dessen Bewußtseinsstand eine solche Reisesymptomatisch ist. Er entwirft ein Gegenbild zu Byrons Rhein-Beschreibungund liefert zugleich den Versuch einer historischen Aufarbeitung der gesamtenEpoche, wobei die Rhein-Romantik satirisch verfremdet einbezogen wird.

Das Landschaftsbild und seine literarisch verfestigte Darstellung werdennicht nur im trivialen oder sentimentalen Perpetuierungsversuch noch in dersatirisch-parodistisdien Verformung tradiert und verbreitet, sondern genausodurch solche Reiseberichte, die unter weitgehendem Verzicht auf eine fiktionaleEinbindung nicht unbedingt ihren literarischen Gestaltungswillen aufgeben,wohl aber stärker ihre Zweckform betonen. Sie möchten beim intendiertenes Thackeray aa(X [Anm. 63] 600." Ebd. 602.

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Lesepublikum der eigenen Nation Verständnis wecken für das fremde Landund dienen über die Befriedigung von Neugier und Unterhaltungsbedürfnissenhinaus vorrangig einer bildungs- wie kulturpolitischen Absicht ihrer Verfasser,bei der humanistische Ideen einer Völkerverständigung oder auch nur derHorizontcrweiterung mehr oder weniger explizit zum Tragen kommen. Alsexpositorische Textsorte behält der Reisebericht auch im XIX. Jahrhundertseine generische Problematik wie seine landes- und kulturkundlidie Relevanz.Wo er nicht auf die Darstellung der Komplexität des topographisch-kulturellenGesamtphänomens eines bzw. mehrerer durchreister Landstriche oder Länderverzichten will, bleibt er notwendig im Vorfeld wissenschaftlicher Diskussionen.Durch die Einbeziehung jüngster Ereignisse und aktueller Tendenzen geht esum einen Reisejournalismus im positiven Verständnis. Rhein-Romantik undByronismus lassen sich in diesem Kontext häufig in ihrer journalistischen oderauch landes- und kulturkundlichen Reduktionsformen antreffen.

Wie Goethe Byrons Werke für die literarisch bedeutendsten der englischenRomantik hält, so wird diese Hochschätzung — die heute als Fehlurteil Goethesangesehen wird — nicht nur vom breiten Lesepublikum, sondern auch von denanspruchsvolleren Literaten dieser Epoche geteilt. Der Name Byron wird inder poetologischen Diskussion zum Kürzel für ein spezifisch romantischesLiteratur- und Weltverständnis, Byrons Landschaftsschilderung zum Paradigmaromantischer Dichtung in ganz Europa. So wird Byron vom schwedischenSchriftsteller Karl August Nicander als Vergleidisfolie und Evaluationschiffrezur Abwertung des dänischen Dichters Adam Oehlenschläger benutzt. InNicanders Reisewerk Minnen frzn Södern (1831) wird Oehlensdilägers Dichter-tum negativ aussparend mit der Meisterschaft Byronischer Naturbeobachtungkontrastiert70: H an kan icke, szsom Byron, rörande och stört mila den ensliga,vilda klippan, och den rasande strömforsen; eller i Dikten zterspegla afton-rodnadens glöznde färgprakt, hvilande öfver ett elysiskt landskap, och detensamma, oändliga hafvet stilla eller stormigt [...]· Gerade in der Reise-beschreibung kommt dieser Reflexion über die literarische Produktion desbereisten Landes — hier als komparatistische Dichterwertung — keine thema-tisch dominante Funktion zu. Dies gilt auch dann, wenn die Bewertung mitausdrücklichem Bezug auf die eigene Landschaftsschilderung durchgeführt wirdund Byron als das unerreichbare Vorbild beschworen wird. Im Vordergrunddes Darstellungsinteresses bleibt die poetisch überhöhte Wiedergabe einessubjektiven Naturerlebnisses. Dabei behält der Hinweis auf Byron einleitendeFunktion für die.angestrebte Eigenleistung des Verfassers. In ihrer ergänzendenund die Reisesdiilderung vorbereitenden Funktion erhalten Dichtervergleichwie Literaturbetrachtung lediglich eine kulturkundlich reduzierte Bedeutungfür den Leser dieses Reisebuches.

70 Karl August Nicander: Minnen frän Södern — Efter en Resa i Danmark, Tysk-land, Schweiz och Italien, örebro 1831, 22 f. Zit. nach: Uwe Ebel: St. zur skandi-navischen Reisebeschreibung von Linne bis Andersen, Frankfurt/M. 1981, 282 f.Ebel übersetzt: „Er kann nidit, wie Byron, rührend und groß den einsamen, wildenFels und den rasenden Stromfall malen, oder im Gedicht die glühende Farbprachtder Abendröte widerspiegeln, die über einer elysisdien Landsdiaft ruht, und daseinsame unendliche Meer, still oder stürmisch [...]."

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Mit seiner Eulogie auf Byrons lyrische Begabung meint Nicander keinspezifisches Werk. Ein ganz bestimmtes Werk Byrons dagegen zitiert der Reise-schriftsteller Xavier Marmier in seinem Voyage pittoresque en Allemagne(1859). In der Tradition von Mme de Staels Deutschland-Budi oder eher nochVictor Hugos Briefsammlung Le Rhin, dem Höhepunkt der französischenRhein-Romantik, hat sich Marmier um die Propagation eines Verständnissesfür deutsche Landschaft, Kultur und Mentalität in Frankreich bemüht. SeinReisebericht fängt in Dresden an und endet in Köln. Das letzte Kapitel be-handelt den Frankreich am nächsten liegenden Teil Deutschlands und beginnt71:Entre Mayence et Bonn est la partie du Rhin la plus riante, la plus pittoresqueet la plus variee. Voran geht einer solchen begeisterten Beschreibung einesLandstrichs, der durch seine politische Bedeutung in der deutsdi-französischenGeschichte für den Reisenden nicht unproblematisch ist, die Besinnung auf dasGeschiditsbewußtsein des personifizierten Rhein-Stromes: // a entendu resonnerle cri de revolte des soldats d'Arminius, les cantiques des catholiques, lespsaumes des protestants, puis la Marseillaise, et, en dernier Heu, la petitechanson fanfaronne de Becken „Sie werden ihn nicht haben unsern deutschenalten Rhein" [sie]. Die anschließende Beschreibung der ständigen Reproduk-tion des Rhein-Bildes in häufig wechselnden Kontexten mündet in die Kon-statierung der Vermarktung eines für den Transport in Schrift und Bild(Abb. 4 und 7) fixierten Naturerlebens und in die Ablehnung der national-politischen Ausnutzung eines emotional gesteuerten Hurra-Patriotismus. Politikund Kulturreminiszenzen schränken dabei das Landschaftsinteresse des franzö-sischen Reisenden nicht nur ein, sie beeinflussen und ergänzen. es auch. Alsliterarisch gebildeter Reisender kann Marmier aber nicht umhin, im Vergleichder ihm bekannten Rhein-Lieder Byron den Preis zuzuerkennen: Mais, n'endeplaise aux poetes allemands, pour lesquels je crois avoir toujours manifesteune assez vive Sympathie, je dois dire qu*un poete anglais les a surpasses dansl'hommage qu'il a rendu au Rhin. Es folgt eine französische Prosaübersetzungvon Harolds Lied unter Auslassung der Lilienstrophe. Als Kapitelschluß stehtdieses Zitat aus der englischen Reisedichtung in pointierter Position, ist zugleichaber auch Überleitung zu Marmiers Schlußkapitel. In der journalistischenReduktion wird eigene Landschaftsbeschreibung eingeleitet und überlagert vonHinweisen auf die historische Entwicklung des Rhein-Landes und auf seinespezifische politische Situation als Grenzland wie auch auf die kulturelle Be-deutung dieser Landschaft im literarischen Kontext.

71 Xavier Marmier: Voyage pittoresque en Allemagne partie septentrionale, Paris1859, 475, die beiden folgenden Zitate 473 und 474. Marmiers journalistisdieZeitsdiriftenartikel für ein deutsch-französisches Verständnis würdigt Andra Mon-dioux: Un romantique frangais ami de l*Allemagne: Xavier Marmier, in: Connais-sance de l'otranger — Melanges offerts a la memoire de Jean-Marie Carro, Paris1964, 85—97. Allgemein zur französischen Rhein-Romantik vgl. Theodor Cohnen:Der Rhein in der französ. Lit., Diss. phil. Bonn 1926. Zum generischen Problemdes „Journalismus als die gleichsam angewandte Form der Zweckliteratur" vgl.Helmut Koopmann: Zwecklit. im frühen XIX. Jahrhundert, in: Textsortenlehre —Gattttngsgesch., hg. v. W. Hindi, Heidelberg 1977, 77—92; 82.

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5. V e r i n n e r l i c h u n g : Lawrence und Schlee

Als Byron 1816 den Rhein hinauffährt, tut er das keineswegs als einsamerWanderer, sondern in einer großen Reisekutsche, die der Napoleons nachgebautist, und in Begleitung eines ganzen Haushalts72. Nachdem die Kutsche inBrüssel repariert worden ist, berichtet er über die weitere Fahrt an seinenFreund John Cam Hobhouse. Er äußert sich nicht nur über seine ersten, durchganz bestimmte Erwartungen schon vorgeprägten Rhein-Erlebnisse, sondernauch über den Gedanken- und Empfindungsaustausch über diese Erlebnisse mitseinen Reisebegleitern73:

Our route by the Rhine has been beautiful — & much surpassing myexpectation — thougb very mucb answering in it's outlines to my previousconceptions. [...] From Bonn to Coblenz — & Coblenz again to Bingen &Mayence — nothing can exceed the prospects at every point — not even —any of the old scenes — thougb this is in a different style: — what it mostreminded me of were parts of Cintra — & the volley whicb leads fromDelvinachi — by Libochabo and Argyrocastro (on the opposite mountains) toTelpaleni — the last resemblance struck even the learned Fletcher — whoseems to thrive upon bis present expedition & is füll of comparisons & pre-ferences of the present to the last — particularly in the articles of Provision& Caravanseras.

Byron erheitert seinen Briefpartner mit der Schilderung des Interessesseines Dieners an den materiellen Bedürfnissen des Reisens. Thackeray schildertspäter noch realistischere Notwendigkeiten in der komischen Juxtaposition vonprosaischem Reisegepäck und romantischer Ruinenlandschaft74: The marriedBriton on a tour is but a luggage overseer; bis luggage is bis morning thought,and bis nightly terror. When he floats along the Rhine he has one eye on aruin, and the other on bis luggage. Aus dem vornehmen Lord ist der besorgteFamilienvater geworden, der sich vor Gepäckdieben sichern muß. In diesemKontext kann auch das eindrucksvollste Landschaftserlebnis nicht über diebeengende Dimension einer behüteten und selbstgefälligen Häuslichkeit erheben.Der poetische Höhenflug Byrons wird in der aus dem Kontrast lebendenParodie verfremdet75: When we came to the steamer next morning, the castledcrag of Drachenfels rose up in the sunrise before; and looked äs pink äs thecheeks of Master Jacky, wben they have been just washed in the morning.How that rosy ligbt, tooy did become Miss Fanny's pretty dimples, to be sure!How good a cigar is at the early dawn! In der bildenden Kunst entwickeltsich parallel zur übertreibenden Satire die Karikatur, wie sie sich dann alsBuchillustration anbietet bzw. aus dieser Zweckform entstanden ist. Richard

72 Vgl. Hartmut Müller: Lord Byron in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Rein-bek 1981, 96.

73 Brief vom 16. 5. 1816 aus Karlsruhe in: Byron*s Leiters and Journals V, cd. byL. A. Marchand, London 1976, 76.

74 M. A. Titmarsh [i. e. W. M. Thackeray]: The Kickleburys on the Rhine, London1845, 27.

75 Ebd. 34 f. Vgl. auch 37: „I suppose lady Kicklcbury is not a judge of beer — andwhat an unromantic subject of conversation, here, under the castled crag im-mortalized by Byron."

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Doyle wird einer der profiliertesten Karikaturisten des Rhein-Tourismus(Abb. 8).

Der englische Rhein-Tourismus nimmt in der zweiten Hälfte des XIX. Jahr-hunderts allmählich ab76. Dennoch gibt es den Rhein-Tourismus und einesäkularisierte bzw. fortwährend epigonale Rhein-Romantik auch im XX. Jahr-hundert. Mit rund einer Million Besuchern im Jahr bleibt der Drachenfels dermeistbestiegene Berg Europas77. D. H. Lawrence kann als exemplarisch für denfortbestehenden englischen Anteil an diesem Kulturphänomen angesehen wer-den. Auf einer Ansichtspostkarte sendet er seine Eindrücke vom Rhein, seineEmpfindungen über die Fernsicht vom Gipfel des Drachenfels an Mrs. Hol-brook78:

/ write on the top of Drachenfels — high above the Rhine. The riverwinds and twists till it seems climbing the $kyy far off. There are steepmountains — or hills — covered entirely with wood. There is an Island rightbelow — with tiny steamers going by — and near at band, on the air, twored butterflies making love. If they can spin and kiss at this height, there inmid-air — then why should I bother about myself. There is a faint mist overall the Rhineland — really magical. I hope you'll come one day.Verglichen mit Byrons Brief an Hobhouse ist es nicht die Gegenüberstellungder Rhein-Landschaft mit früheren Reiseeindrücken, ist es auch nicht derfamiliäre Ton der Gesellschaftsreisenden des XIX. Jahrhunderts, die hier nach-wirken. Man ist vielmehr versucht, Lawrences Selbstreflexion im Landsdiafts-wie Naturerlebnis direkt auf die stilisierte Attitüde von Byrons romantischemGedichthelden Harold zurückzuleiten. Die Erlebnisfülle wird erst in der Ein-samkeit subjektiver Abgeschlossenheit ausschöpfbar. Naturerleben mündet indie Konzentration auf den eigenen Seelenzustand. Wie in Childe Harold'sPilgrimage bleibt die Mitteilbarkeit der Landschaftsbewunderung im gemein-samen Erleben hypothetisches Wunschdenken mit nostalgischem Einschlag.Schickte Byrons Harold noch Lilien vom Rhein an seine unerreichbare Geliebteund schickte Byron selber Veilchen zusammen mit dem Gedicht Harolds anseine Halbschwester Augusta79, so schickt Lawrence — wie die anderen Tou-risten auch — die Souvenirpostkarte an Freunde und Verwandte in derHeimat. Deutlich wird hier die Hypostasierung der Verinnerlichung des Land-schaftsbildes in der Selbsterfahrung als soziale Pose erkennbar.

Im Gegensatz zu solcher Säkularisierung einer verinnerliditen Rhein-Romantik steht die heute ebenfalls gegebene Möglichkeit, den englischen Rhein-Tourismus nicht nur in seiner historischen Situation zu sehen, sondern ihn alshistorisches Phänomen auch seinerseits wieder zum Vorwurf für die dichterische

78 Vgl. Stader aaO. [Anm. 4] 151 und Tümmers aaO. [Anm. 3] 105.77 Vgl. ebd. 10.78 D. H. Lawrence — A Composite Biogr. I—III, cd. by E. Nchls, Madison 1957—59;

III 625: Karte vom 19. 5.1912 an May Chambers Holbrook. Zu Lawrences zehnDeutschland-Aufenthalten, seinen Ansichten über Landsdiaft und Literatur vgl.Hans Galinsky: Dcuisdiland in der Sicht von D. H. Lawrence und T. S. Eliot —Eine St. zum anzlo-amerikan. Deutschlandbild des 20. Jb. (= A k. Mainz, Geistes-u. Sozialwhs. Klasse, Jg. 1956, Nr. 1), Wiesbaden 1956.

79 Leiters and Journals aaO. [Anm. 73] V 159 f.: Brief an Augusta Leigh vom13.1.1817 aus Venedig.

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150 Martin Brunkhorst

Gestaltung werden zu lassen. Ann Schlee hat in ihrem Roman Rhine Journey(1981) Selbsterlebtes wie historiographisch Aufgearbeitetes in fiktives Roman-gesdiehcn eingebunden. Im Sommer 1851 fährt eine englische Familie mit demRaddampfer von Koblenz nach Köln. Charlotte begleitet ihren Bruder, den amund auf dem Rhein religiöse Traktate verteilenden Geistlichen Charles Morri-son. Als unverheiratete Schwester ist sie Gesellschafterin für ihre SchwägerinMarion und Gouvernante für ihre Nichte Ellie. Das gesamte Geschehen wirdaus der Sicht Charlottes beschrieben. In minutiöser Schilderung registriert sieEindrücke der Reise, die sich für sie jedoch zunehmend mit Erinnerungen ausder Vergangenheit vermischen. Durch die Bekanntschaft mit Edward Newman,der ebenfalls mit seiner Familie den Rhein bereist, wird Charlotte an einezwanzig Jahre zurückliegende Jugendliebe erinnert. Englische Sommerabendeund solche am Rhein überlagern einander. Obsessionen mit verpaßten Heirats-chancen und unterschwellige Erotik mit Bezug auf die neue Bekanntschaft sindnicht mehr trennbar. In Köln überstürzen sich für Charlotte die Ereignisse, alssie ein vermeintlich amouröses Interview zwischen Edward Newman und einerEinheimischen beobachtet. Das Denouement des Romangeschehens besteht inEdwards Erklärung, daß er lediglich die Reisepässe seiner Familie, die angeb-lich beim gestohlenen und im Rhein versunkenen Reisegepäck lagen, an vonder Polizei verfolgte Regimekritiker verschenkt habe. Diese preußischen Bürger,Untertanen Friedrich Wilhelms IV., kannte er noch von seiner Kölner Lehrzeitals Geschäftsmann. Hier mündet das Romangeschehen in einen historisdi-politisdien Kontext, der zwar im Vorwort beschrieben wird, für die englischenTouristen auf ihrer Rhein-Reise jedoch keine Rolle spielt80: die Arbeiterunruhenund die Kommunistenverfolgungen, die nach der gescheiterten Revolution von1848 zu den Kölner Prozessen von 1852 führen. In der mangelhaften Integra-tion dieses aktuellen tagespolitischen wie im weiteren Sinne historischen Kon-textes und in der Auflösung der Romanhandlung in einen Kriminalfall liegendie Schwächen des Romans.

Charlotte hat keinerlei Interesse an den sozialen und politischen Zuständenihres Reiselandes. Die Einwohner sind für sie integraler Bestandteil der Land-schaft bzw. bleiben in den Gasthöfen und auf dem Dampfer auf ihre Dienst-leistungsfunktionen reduziert. Im Getümmel der Touristen zieht Charlotte sichin ihr eigenes Innenleben zurück und beschränkt sich auf die notwendigstenKontakte und Kommunikationen mit ihrer Umwelt. Zwanzig Jahre hat sieden Haushalt geführt für einen älteren Geistlichen und ihn bis zu seinem Todegepflegt. Ihr weiterer Lebenslauf, ihr neuer Tätigkeitsbereich stehen zu Beginnder Reise noch nicht fest. Das entscheidende und bereits lange erwartete An-gebot, in den Haushalt des Bruders zu ziehen, erfolgt auf dem Drachenfels.In der Mitte des Buches fallen Handlungshöhepunkt und Höhepunkt dertouristischen Reiseattraktionen zusammen. Entsprechend Charlottes wenigexzeptioneller Mentalität bzw. zur Kennzeichnung ihres ästhetischen undkulturellen Durdisdmittsbewußtseins spielt sich die zentrale Szene ganz im80 Anderer Ansidit ist Holly Eley: Riverboat Shttffle, in: TLS vom 20. 3. 1981, 304:

„We are always aware of die political, social and religious rcalities of RhenishPrussia during thc unstable regime of Frederidk Wilhelm IV.*

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„The castled crag of Dracbenfels" 151

Zeichen Byrons ab81: She opened Murray's Handbook on the table in front ofher and set herseif to read those lines of Lord Byron'$ so conveniently reprintedthere to save the necessity of carrying both volumes to the summit.

The castled crag of DrachenfelsFrowns oyer the wide and winding Rhine . . .

Das Kapitel ist On the Summit at Drachenfels betitelt. Doch den höchstenAussichtspunkt erklettert nur der Bruder. Charlotte bleibt zurück — erschöpftvon der Schwierigkeit der zu treffenden Entscheidung. Die Landschaft wird fürsie sekundär. In der Beschränkung auf den Bewußtseinsstand und das Wahr-nehmungsvermögen der Hauptfigur verzichtet auch der Erzähler auf die genaueSchilderung des Sonnenuntergangs am Fluß, das obligate Klischee des frühenXIX. Jahrhunderts82:

The sun had fallen behind the mountain. It no longer warmed her. Shestayed for a few minutes more watching the great landscape fallen silent.A wraith of white mist had appeared along the line of the river. Mist casta bloom over the green swelling hills. She was cold now. No oney no soundemerged from the path down which the Englishman had disappeared. Sheturned and went back to the inn, where the tourists had begun to assembleand the line of donkeys waited. It was time to descend*

Als konvergierende Größen, aber auch als dialektischer Prozeß sind Byro-nismus und Rhein-Tourismus nicht nur historisch authentischer Hintergrund,vor dem Charlottes Imaginationen und Empfindungen, ihre selbstzentriertenGedanken und ihre Bewußtseinsströme ablaufen, sondern als einziges Literatur-zitat dieses Romans werden die beiden Byron-Zeilen auch funktional integriertzur Markierung des Handlungshöhepunktes wie zur Charakteristik desintellektuellen Niveaus der Hauptfigur. Darüber hinaus bleibt das Zusammen-treffen von friedvoller Landschaft und Befriedigung über das erreichte Ziel,this sudden settling of her life**> jedoch nicht ungestört. Die Entsprechung vonSeelenlage und Naturempfinden findet letztlich nicht statt; und die Klischee-haftigkeit einer solchen linearen Erzählstrategie der Konvergenz zwischenpsychologischem Entwicklungsstadium und Landschaftskulisse wird durch ihreVerwerfung bzw. Negation aufgelöst. Charlottes Drachenfels-Besteigung wirdin ihrer unvollständigen Form, in der eingeschränkten Naturrezeption alsgestörte Internalisierung zum Ausdruck ihrer beginnenden Verweigerung gegen-über den Absichten des dominierenden Bruders und damit zum Zeichen ihrervoranschreitenden Emanzipation. Das Angebot des Bruders lehnt sie am Endedes Romans ab. Sie wird in England ihr eigenes Leben führen. Die Drachen-fels-Episode ist in dieser Hinsicht weder Byron-Parodie noch Literatursatiremit sozialkritischer Absicht, sondern gerade in der Anerkennung ihrer literar-historischen Relevanz aufmerksamkeitssteigernde Komponente bei der Ver-deutlichung eines subtilen Prozesses der Selbstfindung der Hauptfigur.

81 Ann Schlcc: Rhine Journey — A Novel, London 1981, 64 f.«* Ebd. 67 f.

Ebd. 67.

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152 Martin Brunkhorst

Zu den AbbildungenAbb. 1: Claude Lorrain: Landschaft mit Hagar und dem Engel (1656), Liber

veritatis Nr. 140; vgl. die Angaben zu dieser Zeichnung und dem korrespondierendenGemälde bei Röthlisberger aaO. [Anm. 33] I 335 f. Im Liber veritatis skizzierte Claudeseine Gemälde, bevor er sie weggab, um so den Überblick über sein Werk zu behaltenund sich gegen Falschzuschreibungen abzusichern. Besser als das korrespondierendeGemälde läßt die Zeichnung den Bildaufbau erkennen. Die erste Vordergrundsebeneals Standfläche für die Figuren wird durch eine zweite Ebene ergänzt, aus der sidiGebüsdi und Bäume mit einrahmender Funktion erheben. Hinter dem geflicktenBrückenbogen (Aquaedukt?) in der Mitte liegt als vierte fast waagerechte Bildebenedie Silhouette der Stadt. Dieser den Eindruck von Raumtiefe vermittelnde Prospektwird durdi die Bergkette am Horizont »bekrönt* und abgeschlossen.

Abb. 2: John Gardnor: Rowland Schetz Castle (1792), Aquatinta-Stich ausJ. Gardnor: Views Taken on and near the River Rhine [...], London 21792. Für dieverkleinerte 2. Aufl. sind alle Bilder neu gestochen worden. Während an der 1. Aufl.neben Gardnor noch eine ganze Reihe anderer Stecher beteiligt waren, werden dieStidie für die 2. Aufl. zum größten Teil von ihm selber und seinem Neffen Richard,der ihn auf der Reise begleitet hatte, hergestellt. Die in der Beschreibung des Bildesdiskutierte Hell-dunkel-Wirkung von Berg und Burg ist nicht sehr eindrucksvollrealisiert. Ob das Original von Gardnors Zeichnung seiner Beschreibung besser ent-sprach, läßt sich nicht feststellen, da es nicht mehr erhalten zu sein scheint. Durch denVergleich mit der Claude-Zeidmung wird der konventionelle Aspekt des den Prospekteinrahmenden Baumes deutlich. Abfällig über Gardnors Bilder äußert sich JohannJakob Hässlin in seiner Einführung zu: Der Rhein in romantischer Zeit — Von Mainzbis Düsseldorf, Hanau 1979, 12. Eine — nicht immer ganz richtige — Beschreibungder beiden Ausgaben sowie der Hinweis auf eine französische Obersetzung Gardnorsvon 1792 findet sich in: Travel in Aquatint and Lithography 1770—1860 from theLibr. of J. R. Abbey — A Bibliogr. Catalogue I—II, Neudr. Folkestone/London 1972;I 185 ff. Hier findet sich auch (186) die Ansicht geäußert, daß der kommentierendeText Gardnors erst 1791 veröffentlicht wurde, nachdem die seit 1788 erscheinendenStiche vollzählig waren und zu einem Buch gebunden werden konnten.

Abb. 3: J.M.William Turner: Drachenfels and Nunnery (1817), Aquarell vonTurners erster Rhein-Reise; vgl. zur Maltechnik dieser Bilderserie von der BorchaaO. [Anm. 21] 42 S.

Abb. 4: J. M. W. Turner/W. Finden: Drachenfels (1833), Stahlstich Findens nacheiner Vorlage Turners. Dieser Stich geht auf Bleistift- und Aquarellskizzen von TurnersReise von 1817 — nicht 1826 — zurück und wurde zur Illustration von Harolds Liedin der 1833—34 bei John Murray erscheinenden dreibändigen Byron-Anthologie an-gefertigt; vgl. von der Borch aaO. [Anm. 21] 77—81. Die Abhängigkeit dieses Stichsvon Abb. 3 ist deutlich zu erkennen.

Abb. 5: J.M.William Turner: Drachenfels und Nonncnwerth (1817), Aquarellvon Turners erster Rhein-Reise; vgl. Stader aaO. [Anm. 4] 133.

Abb. 6: J.M.William Turner: Rolandswerth Nunnery with Drachenfels (1817).Dieses Bild der rheinischen Aquarellserie zeigt eine sehr viel sorgfältigere Ausführungals die Skizzen von Abb. 3 und 5.

Abb. 7: Ludwig Lange/Joseph Kolb: Rolandseck, Drachenfeis und Nonnenwerth(1847), Stahlstich Kolbs nach einer Zeichnung Langes, in: Der Rhein und die Rhein-lande von Mainz bis Köln in malerischen Original-Ansichten von Ludwig Lange —In Stahl gestochen von Deutschlands ausgezeichnetsten Stahlstechern [...], Darmstadt1847. Die Stiche erschienen zuerst in 34 Lieferungen 1842—47, der Begleittext stammtvon Heinrich Müller Malten; vgl. Häuser aaO. [Anm. 61] 52—58; 57, Nr. 142. Die

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»The castled crag of Drachenfels" 153

schroff aufragenden Flußufer, auf die Turner sich konzentrierte, um den Eindruck desErhabenen im Landschaftserlebnis zu vermitteln, sind jetzt u. a. durch die geändertenGrößenrelationen zwischen Gebäuden und Bergen zur harmonisch-lieblichen Kultur-landschaft reduziert worden. Der zu vermittelnde Erlebniswert bleibt in allen Fällenvorrangig gegenüber dem Realitätsgehalt der Darstellung.

Abb. 8: Richard Doyle: Browrfs First Impression of the Rhine (1854), Holz-schnitt aus R. Doyle: The Foreign Tour of Messrs. Brown, Jones, and Robinson —Being the Hist. of What They Saw and Did in Belgium, Germany, Switzerland, andItaly, London 1854; vgl. Stader aaO. [Anm.4] 143—147.

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