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Symptomattributionsstile bei Hypochondrie; Symptom attribution style in hypochondriasis;

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Psychotherapeut 2013 · 58:552–559 DOI 10.1007/s00278-013-1014-4 Online publiziert: 29. September 2013 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013 Josef Bailer 1  · Tobias Müller 1  · Michael Witthöft 2  · Carsten Diener 3, 4  · Daniela Mier 1  ·  Julia Ofer 1  · Fred Rist 5 1  Abteilung Klinische Psychologie, Zentralinstitut für Seelische Gesundheit,  Medizinische Fakultät Mannheim, Universität Heidelberg, Mannheim 2  Abteilung für Klinische Psychologie und Psychotherapie, Johannes Gutenberg-Universität, Mainz 3  Institut für Neuro- und Klinische Psychologie, Zentralinstitut für Seelische Gesundheit,  Medizinische Fakultät Mannheim, Universität Heidelberg, Mannheim 4  Fakultät für Angewandte Psychologie, SRH Hochschule Heidelberg 5  Institut für Psychologie, Westfälische Wilhelms-Universität, Münster Symptomattributions- stile bei Hypochondrie Dysfunktionale somatische Sym- ptomattributionen können Krank- heitsängste auslösen oder verstär- ken und dysfunktionales Kontrollver- halten anstoßen. Deshalb kommt in kognitiv-behavioralen Modellen zu Entstehung und Aufrechterhaltung von Hypochondrie der Symptomat- tribution eine zentrale Bedeutung zu. Derartige Zusammenhänge müs- sen aber an einem ausreichend gro- ßen und sorgfältig diagnostizierten hypochondrischen Patientenkollek- tiv untersucht werden, damit Aussa- gen zur Spezifität der Befunde mög- lich sind. Kognitiv-behaviorale Störungsmodelle der Krankheitsangst In kognitiv-behavioralen Modellen zu Entstehung sowie Aufrechterhaltung von Hypochondrie (z. B. Bleichhardt u. Weck 2011; Warwick u. Salkovskis 1990; Wil- liams 2004) und anderen somatoformen Störungen (Kleinstäuber et al. 2012; Witt- höft u. Hiller 2010) kommt der Sympto- mattribution eine zentrale Bedeutung zu. Nach dem von Warwick u. Salkovs- kis (1990) eingeführten Modell resultie- ren Krankheitsangst und Hypochondrie aus dysfunktionalen Überzeugungen und Annahmen über Körper, Krankheit und Gesundheit. Eine zentrale Überzeugung der Be- troffenen ist, dass körperliche Verände- rungen und Beschwerden immer als An- zeichen einer gravierenden körperlichen Erkrankung ernst zu nehmen sind. Objek- tiv harmlose körperliche Veränderungen und Symptome werden deshalb als be- drohlich interpretiert und bewirken eine ängstliche Erwartungshaltung sowie kör- perliche Erregung. Dieser Interpretations- bias führt zu einer Verstärkung bzw. Auf- rechterhaltung der körperbezogenen Auf- merksamkeit. Die resultierenden körper- lichen Angstsymptome werden erneut als Hinweis auf eine ernsthafte Erkrankung interpretiert. Dieser Prozess kann durch unspezifischen Stress, der das psychophy- siologische Aktivierungsniveau erhöht, ausgelöst und verstärkt werden. Symptomattributionsstile Die systematische Untersuchung von Kau- salattributionen für häufige körperliche Beschwerden (wie z. B. Kopfschmerzen, Schwindel, Herzklopfen), deren Auswir- kungen auf das psychische Befinden und ihre Beziehung zur Inanspruchnahme von medizinischer Hilfe sind schon län- ger Gegenstand der klinisch-psycholo- gischen Forschung. Robbins u. Kirmayer (1991) unterscheiden 3 Arten von Kausa- lattributionen für eher harmlose körper- liche Beschwerden: 1) normalisierende At- tributionen, die darauf abzielen, die Be- schwerden durch äußere Ursachen oder Umwelteinflüsse zu erklären (Beispiel: „Ich habe Kopfschmerzen, weil ich zu wenig geschlafen oder zu wenig Flüssig- keit zu mir genommen habe“). Nur wenn Betroffene keine normalisierende Erklä- rung finden, sollten sie sich weiteren Er- klärungsmöglichkeiten zuwenden: Ent- weder einer 2) somatischen Attribution (Beispiel: „Ich habe Kopfschmerzen, weil etwas mit meinen Muskeln, Nerven oder meinem Gehirn nicht stimmt“) oder ei- ner 3) psychologischen Erklärung (Beispiel: „Ich habe Kopfschmerzen, weil ich emo- tional aufgewühlt bin“). In einer früheren Studie waren in einer Stichprobe von All- gemeinarzt-Patienten somatische Attri- butionen spezifisch mit Krankheitsangst verbunden, psychologische Attributionen dagegen mit allgemeiner Angst assoziiert (MacLeod et al. 1998). Studien, die ent- sprechende Kausalattributionen bei Pati- enten mit hypochondrischen Störungen mithilfe standardisierter Messinstrumen- te wie dem Symptominterpretationsfra- gebogen (Symptom Interpretation Ques- tionnaire, SIQ; Robbins u. Kirmayer 1991) untersucht haben, sind den Autoren des vorliegenden Beitrags nicht bekannt. Definition von Krankheitsangst und Hypochondrie Die Begriffe Krankheitsangst und Hypo- chondrie werden in der Literatur oft syno- 552 | Psychotherapeut 6 · 2013 Schwerpunkt: Krankheitsangst – Originalien Redaktion A. Martin, Wuppertal M. Witthöft, Mainz
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Page 1: Symptomattributionsstile bei Hypochondrie; Symptom attribution style in hypochondriasis;

Psychotherapeut 2013 · 58:552–559DOI 10.1007/s00278-013-1014-4Online publiziert: 29. September 2013© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

Josef Bailer1 · Tobias Müller1 · Michael Witthöft2 · Carsten Diener3, 4 · Daniela Mier1 · Julia Ofer1 · Fred Rist5

1 Abteilung Klinische Psychologie, Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, 

Medizinische Fakultät Mannheim, Universität Heidelberg, Mannheim2 Abteilung für Klinische Psychologie und Psychotherapie, Johannes Gutenberg-Universität, Mainz3 Institut für Neuro- und Klinische Psychologie, Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, 

Medizinische Fakultät Mannheim, Universität Heidelberg, Mannheim4 Fakultät für Angewandte Psychologie, SRH Hochschule Heidelberg5 Institut für Psychologie, Westfälische Wilhelms-Universität, Münster

Symptomattributions-stile bei Hypochondrie

Dysfunktionale somatische Sym-ptomattributionen können Krank-heitsängste auslösen oder verstär-ken und dysfunktionales Kontrollver-halten anstoßen. Deshalb kommt in kognitiv-behavioralen Modellen zu Entstehung und Aufrechterhaltung von Hypochondrie der Symptomat-tribution eine zentrale Bedeutung zu. Derartige Zusammenhänge müs-sen aber an einem ausreichend gro-ßen und sorgfältig diagnostizierten hypochondrischen Patientenkollek-tiv untersucht werden, damit Aussa-gen zur Spezifität der Befunde mög-lich sind.

Kognitiv-behaviorale Störungsmodelle der Krankheitsangst

In kognitiv-behavioralen Modellen zu Entstehung sowie Aufrechterhaltung von Hypochondrie (z. B. Bleichhardt u. Weck 2011; Warwick u. Salkovskis 1990; Wil-liams 2004) und anderen somatoformen Störungen (Kleinstäuber et al. 2012; Witt-höft u. Hiller 2010) kommt der Sympto-mattribution eine zentrale Bedeutung zu. Nach dem von Warwick u. Salkovs-kis (1990) eingeführten Modell resultie-ren Krankheitsangst und Hypochondrie aus dysfunktionalen Überzeugungen und Annahmen über Körper, Krankheit und Gesundheit.

Eine zentrale Überzeugung der Be-troffenen ist, dass körperliche Verände-rungen und Beschwerden immer als An-zeichen einer gravierenden körperlichen Erkrankung ernst zu nehmen sind. Objek-tiv harmlose körperliche Veränderungen und Symptome werden deshalb als be-drohlich interpretiert und bewirken eine ängstliche Erwartungshaltung sowie kör-perliche Erregung. Dieser Interpretations-bias führt zu einer Verstärkung bzw. Auf-rechterhaltung der körperbezogenen Auf-merksamkeit. Die resultierenden körper-lichen Angstsymptome werden erneut als Hinweis auf eine ernsthafte Erkrankung interpretiert. Dieser Prozess kann durch unspezifischen Stress, der das psychophy-siologische Aktivierungsniveau erhöht, ausgelöst und verstärkt werden.

Symptomattributionsstile

Die systematische Untersuchung von Kau-salattributionen für häufige körperliche Beschwerden (wie z. B. Kopfschmerzen, Schwindel, Herzklopfen), deren Auswir-kungen auf das psychische Befinden und ihre Beziehung zur Inanspruchnahme von medizinischer Hilfe sind schon län-ger Gegenstand der klinisch-psycholo-gischen Forschung. Robbins u. Kirmayer (1991) unterscheiden 3 Arten von Kausa-lattributionen für eher harmlose körper-liche Beschwerden: 1) normalisierende At-tributionen, die darauf abzielen, die Be-

schwerden durch äußere Ursachen oder Umwelteinflüsse zu erklären (Beispiel: „Ich habe Kopfschmerzen, weil ich zu wenig geschlafen oder zu wenig Flüssig-keit zu mir genommen habe“). Nur wenn Betroffene keine normalisierende Erklä-rung finden, sollten sie sich weiteren Er-klärungsmöglichkeiten zuwenden: Ent-weder einer 2) somatischen Attribution (Beispiel: „Ich habe Kopfschmerzen, weil etwas mit meinen Muskeln, Nerven oder meinem Gehirn nicht stimmt“) oder ei-ner 3) psychologischen Erklärung (Beispiel: „Ich habe Kopfschmerzen, weil ich emo-tional aufgewühlt bin“). In einer früheren Studie waren in einer Stichprobe von All-gemeinarzt-Patienten somatische Attri-butionen spezifisch mit Krankheitsangst verbunden, psychologische Attributionen dagegen mit allgemeiner Angst assoziiert (MacLeod et al. 1998). Studien, die ent-sprechende Kausalattributionen bei Pati-enten mit hypochondrischen Störungen mithilfe standardisierter Messinstrumen-te wie dem Symptominterpretationsfra-gebogen (Symptom Interpretation Ques-tionnaire, SIQ; Robbins u. Kirmayer 1991) untersucht haben, sind den Autoren des vorliegenden Beitrags nicht bekannt.

Definition von Krankheitsangst und Hypochondrie

Die Begriffe Krankheitsangst und Hypo-chondrie werden in der Literatur oft syno-

552 |  Psychotherapeut 6 · 2013

Schwerpunkt: Krankheitsangst – Originalien

RedaktionA. Martin, WuppertalM. Witthöft, Mainz

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nym verwendet. Krankheitsangst wird da-bei als ein Kontinuum verstanden, dessen Extremvarianten völlig fehlende Krank-heitsangst und pathologische Krankheits-angst darstellen. Personen mit patholo-gischer Krankheitsangst erfüllen in der Regel auch die Diagnosekriterien einer hypochondrischen Störung. Unklar ist, ab welcher Ausprägung die Krankheitsangst in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, be-ruflichen oder anderen wichtigen Funk-tionsbereichen verursacht (Creed u. Bars-ky 2004). Liegen jedoch derartige Beein-trächtigungen vor, und hält die aus medi-zinischer Sicht unbegründete Krankheits-angst und -überzeugung über einen Zeit-raum von mindestens 6 Monaten an, sind die zentralen Kriterien der Hypochond-rie erfüllt (nach DSM-IV1 und ICD-102; American Psychiatric Association 2000; World Health Organization 1993).

Die DSM-IV- und ICD-10-Kriterien wurden in den letzten Jahren aber von vielen Fachleuten als zu restriktiv kri-tisiert (z. B. Fink et al. 2004). Vor die-sem Hintergrund propagieren Fink et al. (2004) aus einer „Latent-class“-Analy-se abgeleitete Kriterien für die Diagno-se einer Hypochondrie, die im Vergleich zu den DSM-IV-Kriterien eine umfang-reichere, aber erheblich besser von ande-ren somatoformen Störungen abgegrenzte Kategorie definieren. Darüber hinaus le-gen Fink et al. (2004) die Unterscheidung zwischen schweren und leichten Formen der Hypochondrie nahe, in Abhängigkeit davon, ob mindestens eines der erfragten Symptome ernsthaft beeinträchtigend ist oder mit dem Alltag interferiert. Bei An-wendung dieser Kriterien auf Patienten in der Primärversorgung betrug die Präva-lenzrate für beide Ausprägungen der Hy-pochondrie 14,6%. Wurden nur schwe-re Formen berücksichtigt, war die Präva-lenz mit 9,5% immer noch etwa doppelt so hoch wie bei Anwendung von DSM-IV-Kriterien (4,7%).

Insbesondere wegen der damit er-reichten Differenzierung zwischen Hy-

1   Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, 4. Ausgabe.2   International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems, 10. Aus-gabe.

pochondrie und anderen somatoformen Störungen erscheinen die von Fink et al. (2004) vorgeschlagenen Kriterien für die vorliegende Studie geeignet.

Fragestellung

Ist bei hypochondrischen Patienten der somatische Symptomattributionsstil stär-ker und der normalisierende Attributi-onsstil schwächer ausgeprägt als bei nicht-krankheitsängstlichen depressiven Pati-enten und gesunden Personen? Vermag der somatische Attributionsstil das Aus-maß der Krankheitsangst und die Inan-spruchnahme von (fach-)ärztlicher Hil-fe selbst dann noch vorherzusagen, wenn der Einfluss konfundierender Variablen (wie Alter, Geschlecht, Schulbildung, ärzt-liche Behandlung wegen körperlicher Er-krankung, andere Symptomattributions-stile, Anzahl somatoformer Beschwerden) statistisch kontrolliert wird?

Patienten und Methode

Die krankheitsängstlichen Teilnehmer an der Untersuchung wurden im Zeit-raum von Juli 2008 bis Juli 2012 über ei-ne Spezialambulanz für Hypochondrie am Zentralinstitut für Seelische Gesund-heit in Mannheim rekrutiert. Es waren 88 Personen, die neben einem positiven Screeningbefund in mindestens einer von 2 Hypochondrieskalen (d. h. einem Sum-menwert ≥15 im Short Health Anxiety In-ventory, SHAI; Bailer et al. 2013; Salkovs-kis et al. 2002) oder ≥8 im Whiteley Index (WI; Hiller u. Rief 2004; Pilowsky 1967) auch noch die Kriterien einer mindestens leichten Hypochondrie nach Fink et al. (2004) erfüllten.

Zusätzlich wurden im gleichen Zeit-raum 2 nichtkrankheitsängstliche Kon-trollgruppen rekrutiert. Die Patienten der depressiven Kontrollgruppe (n=52) wur-den über eine weitere Spezialambulanz für Depressionen gewonnen. Sie mussten für die Studienaufnahme folgende Krite-rien erfüllen:Fpositiver Screeningbefund (Summen-

wert >9) in der Depresssionsskala des Patient Health Questionnaire (PHQ; Kroenke et al. 2010; Löwe et al. 2002),

Fnegative Screeningbefunde in WI (Summenwert <8) und SHAI (Sum-menwert <15),

Faktuelle Dysthymie oder depressive Episode im Strukturierten Klinischen Interview (SKID-I; First et al. 1997) zur Erfassung von Achse-I-Diagno-sen nach DSM-IV,

FAusschluss einer Hypochondrie, Pa-nik- oder Somatisierungsstörung in den klinischen Interviews.

Die gesunde Kontrollgruppe (n=52) setzt sich aus psychisch gesunden Personen zusammen, die über Presse- und andere Probandenaufrufe gewonnen wurden. Die Teilnehmer durften weder in den Scree-ningskalen (definiert über PHQ-9-Werte <10 und SHAI-Werte <15 und WI-Werte <8) noch in den klinischen Interviews ei-nen auffälligen Befund aufweisen.

Weitere allgemeine Aufnahmekriterien waren: Alter 18 bis 65 Jahre, hinreichend gute deutsche Sprachkenntnisse und das Vorliegen einer schriftlichen Einverständ-niserklärung. Allgemeine Ausschlusskri-terien waren das Vorliegen einer psycho-tischen Störung, einer aktuellen Such-terkrankung und akute Suizidalität. Das Studienprotokoll wurde von der lokalen Ethikkommission positiv begutachtet.

Messinstrumente

Alle Patienten wurden zunächst mit ver-schiedenen Selbstbeurteilungsskalen hin-sichtlich spezifischer psychopatholo-gischer Merkmale gescreent (T0) und erst bei einem Folgetermin (T1), der im Mit-tel 9 Wochen später stattfand, mit struk-turierten klinischen Interviews und wei-teren Fragebogen untersucht.

Selbstbeurteilungsskalen

Hypochondrische Merkmale wurden mit dem WI und dem SHAI erfasst. Der WI ist ein an unterschiedlichen Stichproben er-probtes, normiertes und validiertes Scree-ninginstrument zur Erfassung von Hypo-chondrie (Hiller u. Rief 2004). Er wurde in der 14-Item-Version mit dichotomem Antwortformat eingesetzt. Das SHAI ist eine neue Skala, die mit 14 Items Krank-heitsangst erfasst und auch als Screening eingesetzt werden kann (Bailer et al. 2013).

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Die Skala weist sowohl in der englischen Originalfassung als auch in der deutschen Version sehr gute psychometrische Kenn-werte auf (Bailer et al. 2013; Salkovskis et al. 2002). Zur Verlaufsmessung der Krank-heitsangst über mehrere Messzeitpunkte hinweg wurde zusätzlich eine Variante des SHAI mit modifiziertem Antwortformat, der mSHAI, vorgegeben. Beide korrelie-ren sehr hoch miteinander (r=0,96; Bai-ler et al. 2013). Als weiteres Screeningins-trument kam die Depresssionsskala PHQ-9 (Kroenke et al. 2010; Löwe et al. 2002) zum Einsatz. Der PHQ-9 fragt nach der Intensität von 9 depressiven Symptomen während der zurückliegenden 2 Wochen.

Zum Zeitpunkt der klinischen Inter-views (T1) wurden das Ausmaß der ak-tuellen Krankheitsangst mit dem mSHAI sowie zusätzlich somatoforme Symptome mit dem Screening für Somatoforme Stö-rungen (SOMS-2; Rief et al. 1997) und Kausalattributionen für körperliche Be-schwerden mit der deutschen Version des Symptom Interpretation Questionnaire (SIQ; Glöckner-Rist et al. 2012) standar-disiert erhoben.

Das SOMS-2 erfasst 53 belastende kör-perliche Beschwerden, unter denen der Befragte während der vergangenen 2 Jah-re über kurze oder längere Zeit gelitten hat und für die von den Ärzten keine genauen Ursachen gefunden wurden. Durch Sum-mation der bejahten Beschwerden können Somatisierungsindizes gebildet werden. In der vorliegenden Arbeit wurde der DSM-IV-Somatisierungsindex verwendet.

Der SIQ erfragt Kausalattributionen für 13 körperliche Probleme (z. B. Kopf-schmerzen, Schwindel, Herzklopfen). Je-des körperliche Problem soll vom Be-fragten daraufhin beurteilt werden, wie wahrscheinlich im Fall des Auftretens dieses Problems bei ihm durch a) kör-perliche Krankheiten, b) emotionalen Stress und c) alltägliche Umweltfaktoren (z. B. Hitze, Kälte, Ernährung) verurs-acht wären. Durch Summation der Ant-worten werden 3 Skalenwerte gebildet, die die Tendenz zu somatischen, psycho-logischen und zu normalisierenden Attri-butionen repräsentieren. Der SIQ hat sich in früheren Studien als reliabel und vali-de erwiesen (Bailer et al. 2005; Bailer et al. 2006).

Strukturierte klinische Interviews

Zur möglichst vollständigen Erfassung aller aktuell vorhandenen psychischen Störungen wurde mit allen Probanden das Strukturierte Klinische Interview für DSM-IV, Achse-I-Diagnosen (SKID-I; First et al. 1997) durchgeführt. Im An-

schluss wurde das Vorliegen einer hypo-chondrischen Störung nach der Defini-tion von Fink et al. (2004) mithilfe eines von Fink et al. entwickelten strukturier-ten klinischen Interviews überprüft, das um Fragen zur Krankheitsanamnese so-wie zur Häufigkeit von Arztbesuchen und zur Anzahl der in den letzten 12 Mo-naten konsultierten Ärzte ergänzt wurde.

Zusammenfassung · Abstract

Psychotherapeut 2013 · 58:552–559   DOI 10.1007/s00278-013-1014-4© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

Josef Bailer · Tobias Müller · Michael Witthöft · Carsten Diener · Daniela Mier · Julia Ofer · Fred RistSymptomattributionsstile bei Hypochondrie

ZusammenfassungHintergrund.  Obwohl somatische Sym-ptomattributionen für kognitiv-behaviora-le Erklärungsmodelle und Behandlungskon-zepte der Hypochondrie von zentraler Bedeu-tung sind, wurden Symptomattributionsstile bislang kaum an hypochondrischen Patien-ten untersucht. Ist der somatische Attributi-onsstil tatsächlich spezifisch mit Hypochon-drie und dem für diese Patienten typischen „doctor shopping“ assoziiert?Patienten und Methoden.  Es wurden 88 hypochondrische, 52 depressive und 52 ge-sunde Personen mit dem Symptominterpre-tationsfragebogen, verschiedenen Symptom-skalen sowie 2 strukturierten klinischen Inter-views zur Erfassung von Hypochondrie und anderen psychischen Störungen (nach DSM-IV) untersucht.Ergebnisse.  Somatische Symptomattribu-tionen waren spezifisch mit Hypochondrie 

und normalisierende Attributionen generell mit niedriger Krankheitsangst assoziiert. In multiplen Regressionsanalysen leisteten v. a. der somatische Attributionsstil und die Sum-me somatoformer Beschwerden bedeutsame Beiträge zur Vorhersage der Krankheitsangst-intensität (R2=0,69) und der Anzahl konsul-tierter Ärzte (R2=0,48).Schlussfolgerung.  In der kognitiv-behavio-ralen Behandlung von Krankheitsangst soll-ten Patienten auch dazu angehalten werden, normalisierende statt somatisierender Erklä-rungen für körperliche Störungen zu entwi-ckeln.

SchlüsselwörterSomatoforme Störungen · Angststörungen · Einstellung zur Gesundheit · Psychologische Tests · Kognitive Verhaltenstherapie

Symptom attribution style in hypochondriasis

AbstractBackground.  Somatic symptom attributions are of central importance in cognitive-be-havioral models of the development, main-tenance and treatment of hypochondriasis. However, the mode of symptom attribution has rarely been systematically investigated in these patients. Is a somatic mode of symp-tom attribution indeed specific for hypochon-driasis and furthermore, how strongly is it as-sociated with “doctor shopping”, a typical be-havioral consequence of hypochondriasis?Patients and methods.  In this study 88 hy-pochondriacal, 52 depressive and 52 healthy persons were asked to complete the symp-tom interpretations questionnaire and sev-eral standardized symptom questionnaires. They also took part in two structured clinical interviews for the diagnosis of hypochondria-sis and various other psychological disorders according to DSM-IV.

Results.  Somatic symptom attributions were associated specifically with hypochondria-sis, while normalizing attributions character-ized persons with low health anxiety. When examined as predictors in multiple regression models, in particular somatic attributions and the total of somatoform complaints predict-ed the intensity of health anxiety (R2=0.69) and “doctor shopping” (R2=0.48).Conclusion.  In the cognitive-behavior-al treatment of hypochondriasis, patients should be encouraged to test normalizing ex-planations as alternatives to habitual somatic attributions of somatic disturbances.

KeywordsSomatoform disorders · Anxiety disorders · Attitude to health · Psychological tests · Cognitive behavior therapy

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Die klinischen Interviews wurden von in-tensiv trainierten und fortlaufend super-vidierten Diagnostikern (klinische Psy-chologen mit mehrjähriger SKID-Erfah-rung) durchgeführt. Erste von den Auto-ren vorgenommene Validierungsanalysen

zum Fink-Interview bescheinigen diesem neuen Instrument eine hohe Reliabilität (Cronbachs α=0,91; Interrater-Reliabilität: κ=0,75–1,0) sowie gute faktorielle, konver-gente und diskriminante Validität.

Stichprobenbeschreibung

Zentrale Angaben zu soziodemografi-schen und psychopathologischen Merk-malen der 3 Untersuchungsgruppen ent-hält .Tab. 1. Es fanden sich keine signifi-

Tab. 1  Demografische und psychopathologische Merkmale der Stichproben

  Hypochondrie-gruppe(n=88)

Depressions-gruppe(n=52)

Gesunde Gruppe(n=52)

Alter (Jahre; M±SD) 43,5±11,7 42,7±11,6 42,1±12,9

Weibliches Geschlecht (Anteil, %) 62,5 55,8 59,6

≥12-jährige Schulausbildung (Anteil, %) 63,6 59,6 69,2

Whiteley Index (WI; M±SD) 10,5±1,8 2,0±1,5 0,7±0,9

Short Health Anxiety Inventory (SHAI; M±SD) 28,9±4,9 9,0±3,6 5,8±2,8

Depressive Symptome (PHQ-9; M±SD) 10,4±5,2 17,3±3,9 1,7±2,0

Somatoforme Beschwerden (SOMS; M±SD) 6,9±4,5 1,6±2,0 0,4±1,2

Aktuelle DSM-IV-Diagnose (Anteil, %)      

Hypochondrie 65,9 0 0

Somatisierungsstörung 2,3 0 0

Schmerzstörung 4,5 0 0

Majore Depression 23,9 90,4 0

Dysthymie 10,2 38,5 0

Generalisierte Angststörung 10,2 0 0

Panikstörung 38,6 0 0

Soziale Phobie 13,6 25,0 0

Spezifische Phobie 17,0 13,5 3,8

Zwangsstörung 10,2 0 0

Posttraumatische Belastungsstörung 3,4 0 0

Bulimia nervosa 1,1 3,8 0

Globales allgemeines Funktionsniveau (GAF) 66,4±11,1 60,6±9,6 94,1±6,7

Derzeit in ärztlicher Behandlung wegen körperlicher Erkrankung 41,7 33,3 10,2

Anzahl in den letzten 12 Monaten wegen somatoformer Beschwerden oder Krank-heitsangst konsultierter Ärzte

4,3±3,3 0,1±0,3 0±0

PHQ Patient Health Questionnaire, SOMS Screening für Somatoforme Störungen.

Tab. 2  Häufigkeit in Prozent des Zutreffens der Hypochondriediagnosekriterien

Kriterium nach Fink et al. (2004) vorhanden Hypochondrie-gruppe(n=88)

Depressionsgruppe(n=52)

Gesunde Gruppe(n=52)

A Zwanghaftes Grübeln über Erkrankung 100 0 0

B1a Beschäftigung oder Sorgen über körperliche Gesundheit 98,9 1,9 0

B1b Beschäftigung mit dem eigenen Körper 98,9 5,8 0

B2 Suggestibilität oder Autosuggestibilität 95,5 0 1,9

B3 Beschäftigung mit medizinischen Themen 63,6 9,6 5,8

B4 Angst, sich zu infizieren oder kontaminieren 45,5 3,8 0

B5 Angst vor Medikamentennebenwirkungen 72,7 9,6 9,6

C Bei Vorhandensein medizinischer Krankheitsfaktoren übersteigt die Re-aktion des Patienten das, was bei diesen medizinischen Krankheitsfakto-ren zu erwarten wäre

53,4 0 0

D Die Symptome können nicht besser durch eine andere psychiatrische Er-krankung erklärt werden

100 0 0

E Die Symptome sind für mindestens 2 Wochen über die meiste Zeit des Tages vorhanden

100 9,6 1,9

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kanten Gruppenunterschiede im Hinblick auf das Alter, die Geschlechtsverteilung und die Schulbildung der Studienteilneh-mer. Die gruppenspezifischen Selektions-kriterien spiegeln sich in den Werten der störungsspezifischen Psychopathologie-skalen und der Verteilung der aktuellen Achse-I-Störungen wider.

Angaben im Hypochondrie-Interview

Die Häufigkeit der Erfüllung der einzel-nen Kriterien, die für die Diagnose einer hypochondrischen Störung nach der De-finition von Fink et al. (2004) herangezo-gen werden, ist in .Tab. 2 für die 3 Grup-pen getrennt wiedergegeben. Notwendi-ges Kriterium ist A) das Vorhandensein von zwanghaftem Grübeln und/oder ein-schießenden Gedanken mit dem Thema, an einer Krankheit zu leiden. Hierbei kön-nen diese kognitiven Abläufe nicht oder nur mit großer Mühe gestoppt werden. Zusätzlich muss noch ein zweites Krite-rium B) erfüllt sein, d. h., eines oder meh-rere der folgenden Symptome ist bzw. sind vorhanden: 1) exzessives Sorgen über Krankheit und/oder exzessive Aufmerk-samkeit gegenüber körperlichen Vorgän-gen, 2) hohe Krankheitssuggestibilität, 3) Faszination durch medizinische Informa-tionen, 4) übertriebene Angst vor Anste-ckung, 5) Angst, eine rezeptierte Arznei

einzunehmen. Ferner müssen die Krite-rien C, D und E erfüllt sein (.Tab. 2).

Gruppenunterschiede in der Symptomattribution

Eine einfaktorielle multivariate Varianz-analyse (MANOVA) zur simultanen Prü-fung von Mittelwertsunterschieden auf den 3 SIQ-Skalen zeigte, dass sich die 3 Untersuchungsgruppen in ihren Sym-ptomattributionsstilen signifikant unter-schieden [Pillai-Spur: F(6, 376)=38,6, p<0,001, ηp

2=0,38]. Dies gilt sowohl für die somatische Attributionsskala [F(2, 189)=83,7, p<0,001, ηp

2=0,47], die psycho-logische Attributionsskala [F(2, 189)=60,5, p<0,001, ηp

2=0,39] als auch für die nor-malisierende Attributionsskala [F(2, 189)=13,1, p<0,001, ηp

2=0,12].Die Ergebnisse der nachfolgenden Ein-

zelvergleiche fielen hypothesenkonform aus: Wie erwartet erreichten Hypochon-driepatienten auf der somatischen Attri-butionsskala signifikant höhere Werte als beide Kontrollgruppen (beide p<0,001), die sich in dieser Skala nicht signifikant voneinander unterschieden. Psycholo-gische Symptomattributionen waren bei beiden klinischen Gruppen stärker aus-geprägt als bei den Gesunden (beide p<0,001), der Unterschied zwischen den klinischen Gruppen war dagegen nicht signifikant. Die normalisierenden Sym-ptomattributionen waren bei Hypochon-

driepatienten ebenfalls erwartungskon-form signifikant schwächer ausgeprägt als in den Kontrollgruppen (beide p<0,001), die sich in diesem Merkmal nicht signi-fikant voneinander unterschieden. Die SIQ-Skalenmittelwerte der 3 Gruppen sind in .Abb. 1 dargestellt.

Vorhersagen

Krankheitsangst

Die prädiktive Bedeutung der verschie-denen Symptomattributionsstile bei der Vorhersage der aktuellen Krankheitsangst (erfasst mit dem mSHAI) wurde mithil-fe multipler linearer Regressionsanaly-se untersucht. Deren Ergebnisse sind in .Tab. 3  zusammengefasst. Im ersten Analyseschritt wurde zunächst der Ein-fluss konfundierender Variablen (Alter, Geschlecht, Schulbildung, ärztliche Be-handlung wegen körperlicher Erkran-kung der Teilnehmer) geprüft. Dieser Prä-diktorenblock lieferte nur einen margina-len Beitrag (6%) zur Varianzaufklärung der Krankheitsangst. Im zweiten Schritt wurde als weiterer Prädiktor die „Sum-me somatoformer Beschwerden“ in das Regressionsmodell aufgenommen. Die-se klärten 46% der Varianz auf. Im letz-ten Schritt wurden die 3 Symptomattribu-tionsstile in das Regressionsmodell einge-bracht. Auch dieser Prädiktorenblock lie-ferte nochmals einen inkrementellen sig-nifikanten Beitrag von 18% zur Varianz-aufklärung. Die Varianzaufklärung des Gesamtmodells betrug 69%.

Die standardisierten β-Gewichte der Prädiktoren im Gesamtmodell geben Auf-schluss darüber, welchen Beitrag der je-weilige Prädiktor unter Kontrolle des Ein-flusses der restlichen Prädiktoren zur Vor-hersage der Kriteriumsvariablen (Krank-heitsangst) leistet. Der „somatische Sym-ptomattibutionsstil“ erwies sich als stärks-ter signifikanter Prädiktor (β=0,41), ge-folgt von den Prädiktoren „Summe soma-toformer Beschwerden“ (β=0,39), „nor-malisierender Attributionsstil“ (β=−0,21) und „psychologische Symptomattributio-nen“ (β=0,11). Stark ausgeprägte somati-sche und psychologische Symptomattri-butionen sowie multiple somatoforme Beschwerden gehen folglich mit hohen, normalisierende Symptomattributionen

SomatischAttributionsstil

Psychologisch Normalisierend25

20

15

10

5

0

SIQ

-Mitt

elw

ert +

SE

HYPDEPGesund

Abb. 1 8 Symptomattributionsstile der hypochondrischen und der depressiven Patienten sowie der gesunden Personen. SIQ Symptom Interpretation Questionnaire, HYP Hypochondriegruppe, DEP de-pressive Kontrollgruppe, Gesund gesunde Kontrollgruppe, SE Standardfehler

556 |  Psychotherapeut 6 · 2013

Schwerpunkt: Krankheitsangst – Originalien

Page 6: Symptomattributionsstile bei Hypochondrie; Symptom attribution style in hypochondriasis;

dagegen mit niedrigen Krankheitsangst-werten einher.

Arztkonsultationen

Die Regressionsanalyse wurde für das Kri-terium „Anzahl der in den letzten 12 Mo-naten wegen somatoformer Beschwerden oder Krankheitsangst konsultierten Ärz-te“ wiederholt. Die Ergebnisse sind in den 4 rechten Spalten von .Tab. 3 zusam-mengefasst. Hier erklärte das Gesamtmo-dell mit allen Prädiktoren 48% der Kri-teriumsvarianz. Die 3 Symptomattributi-onsstile lieferten auch hier im letzten Re-gressionsschritt noch einen inkrementel-len signifikanten Beitrag von 8% zur Va-rianzaufklärung. Die Inspektion der β-Gewichte zeigt, dass nur die Prädikto-ren „Summe somatoformer Beschwer-den“ (β=0,47) und „somatischer Sym-ptomattributionsstil“ (β=0,32) signifikant zur Vorhersage des Kriteriums beitrugen. Auch hier gilt: Je mehr somatoforme Be-schwerden und somatische Symptomat-tributionen berichtet wurden, desto mehr (Fach-)Ärzte waren konsultiert worden.

Diskussion

Die Befunde der vorliegenden Fall-Kon-troll-Studie stehen im Einklang mit aktu-ellen kognitiv-behavioralen Modelle zur Entstehung und Aufrechterhaltung von Hypochondrie (z. B. Bleichhardt u. Weck 2011; Warwick u. Salkovskis 1990; Wil-

liams 2004): Dysfunktionale somatische Symptomattributionen bei relativ harm-losen körperlichen Beschwerden kön-nen Krankheitsängste auslösen oder ver-stärken und dysfunktionales Kontrollver-halten (in dieser Studie durch die Häu-figkeit ärztlicher Konsultationen erfasst) anstoßen. Hypothesenkonform erklär-ten sich in der vorliegenden Studie Hypo-chondriepatienten harmlose körperli-cher Beschwerden stärker durch somati-sche Ursachen als nichtkrankheitsängst-liche depressive Patienten und psychisch gesunde Personen. Geringe oder fehlende Krankheitsangst war dagegen mit einem normalisierenden Symptomattributions-stil assoziiert. Depressive Patienten und Gesunde unterschieden sich in diesem Merkmal nicht.

Mithilfe multipler Regressionsanaly-sen wurde die Frage geprüft, ob sich der positive Zusammenhang zwischen so-matischem Symptomattributionsstil und starker Krankheitsangst auch dann noch nachweisen lässt, wenn der wechselseiti-ge Einfluss der beiden anderen Attribu-tionsstile und weiterer allgemeiner Ein-flussfaktoren (Alter, Geschlecht, Schul-bildung, körperliche Erkrankung, soma-toforme Beschwerden) statistisch kont-rolliert wird. Dies war der Fall: Auch bei Kontrolle dieser potenziell konfundieren-den Variablen erwies sich der somatische Attributionsstil als stärkster Prädiktor der Krankheitsangstwerte. Psychologische Symptomattributionen waren schwächer,

aber ebenfalls noch statistisch signifikant mit hoher Krankheitsangst assoziiert. Nur die Tendenz zu normalisierenden Attri-butionen war mit niedrigen Krankheits-angstwerten verbunden.

Die Summe somatoformer Sympto-me erwies sich als weiterer sehr gewichti-ger Faktor bei der Vorhersage der Krank-heitsangstintensität. Dies ist kein überra-schender Befund, da die Hypochondrie in beiden internationalen Klassifikationssys-temen (ICD und DSM) als somatoforme Störung klassifiziert wird. In der 5. Revi-sion des DSM (American Psychiatric As-sociation 2013) wird die Hypochondrie ebenfalls den somatoformen Störungen zugeordnet, die jetzt als „somatic sym-ptom disorder“ bezeichnet werden. Auf den Begriff der Hypochondrie wird da-bei verzichtet. Das Störungsbild taucht im DSM-5 an 2 Stellen auf: einmal als Unter-gruppe der Somatic symptom disorder mit vorherrschender Krankheitsangst (die Diagnosekriterien entsprechen in et-wa denen der Hypochondrie im DSM-5), das zweite Mal als neue diagnostische Ka-tegorie der „illness anxiety disorder“. Die-se neu definierte Störung ist durch exzes-sive Krankheitsangst ohne oder mit nur minimalen körperlichen Symptomen de-finiert. Somatoforme Beschwerden sind also auch weiterhin für die Diagnose der hypochondrischen Störungen wichtig. Die vorgestellten regressionsanalytischen Befunde zeigen, dass dies nicht unbegrün-det ist: Bei der Vorhersage der Häufigkeit

Tab. 3  Vorhersage der Krankheitsangstintensität und der Anzahl konsultierter Ärzte (n=192)

  Intensität der Krankheitsangst (mSHAI) Anzahl konsultierter Ärzte

βa Adjustiertes R2

ΔR2 p βa Adjustiertes R2

ΔR2 p

Schritt 1   0,043 0,063 0,015   0,007 0,028 0,250

Alter −0,01       −0,02      

Geschlecht 0,07       0,04      

Schulbildung 0,08       0,04      

Körperliche Erkrankung 0,05       0,00      

Schritt 2   0,511 0,460 <0,001   0,411 0,398 <0,001

Summe somatoformer Beschwerden (SOMS)

0,39**       0,47**      

Schritt 3   0,692 0,181 <0,001   0,479 0,075 <0,001

Somatische Symptomattribution 0,41**       0,32**      

Psychologische Symptomattribution 0,11*       −0,02      

Normalisierende Symptomattribution −0,21**       −0,10      mSHAI Short Health Anxiety Inventory mit modifiziertem Antwortformat, SOMS Screening für Somatoforme Störungen.aDie standardisierten Regressionsgewichte β be-ziehen sich auf das finale Modell nach Schritt 3.*p<0,05, **p<0,001.

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Page 7: Symptomattributionsstile bei Hypochondrie; Symptom attribution style in hypochondriasis;

von (Fach-)Arztkonsultationen hatten sie sogar ein höheres Gewicht als der somati-sche Attributionsstil.

Nach Wissen der Autoren ist dies die erste Studie, die derartige Zusammenhän-ge an einem vergleichsweise großen und sorgfältig diagnostizierten hypochond-rischen Patientenkollektiv untersucht hat und wegen der Aufnahme der beiden Kontrollgruppen auch Aussagen zur Spe-zifität der Befunde machen kann. Auf-grund des Querschnittdesigns kann zwar

geprüft werden, ob sich die Ergebnisse der Regressionsanalyse mit zentralen Annah-men des kognitiv-behavioralen Modells vereinbaren lassen, es können jedoch kei-ne Vorhersagen über den zeitlichen Ver-lauf der Erkrankung gemacht werden. Es können insbesondere keine validen Aus-sagen darüber getroffen werden, ob der hier untersuchte somatische Attributions-stil nun Ursache, Folge oder nur Ausdruck der hypochondrischen Störung ist. Di-es kann nur mithilfe prospektiver Längs-schnittuntersuchungen geklärt werden, in denen der Krankheitsverlauf von Per-sonen untersucht wird, die bei Studien-beginn noch keine manifeste hypochond-rische Störung aufweisen.

Die Implikationen der vorliegen-den Befunde für die kognitiv-behaviora-le Therapie der Hypochondrie liegen auf der Hand: Mithilfe kognitiver Techniken sollten katastrophisierende Symptom-interpretationen zunächst sorgfältig ex-ploriert, dann sokratisch hinterfragt wer-den. Bei der kognitiven Reattribution geht es jedoch nicht immer und ausschließlich darum, die bestehende Kausalattributi-on durch „gutartige“ Erklärungen zu er-setzen, sondern eher darum, den Betrof-fenen dazu anzuleiten, auch alternative normalisierende oder psychologische Er-klärungen in Betracht zu ziehen, bevor er sich für die für ihn wahrscheinlichs-te Erklärung entscheidet. Erfahrungs-gemäß wirkt diese Methode am besten, wenn sie am konkreten Erleben des Pa-tienten ansetzt, in der Therapie häufig eingeübt und durch regelmäßige häusli-che Übungen unterstützt wird. Ein kur-zer therapeutischer Leitfaden mit hilfrei-chen Fragen, die diesen Prozess abbilden, ist in .Infobox 1 dargestellt. Dieser Leit-faden kann bei fortgeschrittener Therapie auch als Anleitung (z. B. in Form eines Arbeitsblatts) für die häuslichen Übungen genutzt werden.

Aus Sicht der Autoren kann aber eine kognitive Therapie der Hypochondrie nur gelingen, wenn auch Veränderungen auf der beobachtbaren Verhaltensebene er-folgen (Punkte 4 und 5 in .Infobox 1). Diese Forderung bezieht sich v. a. auf das Kontroll- und Sicherheitsverhalten, das die meisten Patienten als Reaktion auf ihre Krankheitsängste und Krankheitsüber-zeugungen zeigen: z. B. häufige Arztbesu-

che, übermäßige medizinische Untersu-chungen, exzessives Absuchen und Kont-rollieren des eigenen Körpers, Rückversi-cherung beim Partner oder anderen Per-sonen. Dahinter verbirgt sich meistens der Wunsch nach Sicherheit und Beruhigung. Typischerweise hält die Beruhigung aber nur kurze Zeit an; Angst und Unsicherheit treten erneut auf; das Sicherheitsverhalten wird wiederholt und kann sich bis zum Kontrollzwang steigern (Witthöft 2013). Für den kognitiven Veränderungsprozess sind diese Verhaltensweisen schädlich, da sie der Krankheitsangst zugrunde liegen-den Überzeugungen und Fehlbewertun-gen verfestigen. Der Patient muss daher angehalten werden, dieses Problemverhal-ten auf ein sinnvolles Maß zu reduzieren. Dies wird ihm leichter fallen, wenn ihm hilfreiche Verhaltensweisen zum Um-gang mit Anspannung, Angst, Unsicher-heit und quälenden Gedanken vermittelt werden (wie z. B. Ablenkung, Stresstole-ranz-Skills, Gedanken akzeptieren und ziehen lassen).

Fazit für die Praxis

Ein somatischer Symptomattributions-stil geht mit erhöhter Krankheitsangst, Hypochondrie und häufigen (Fach-)Arzt-konsultationen einher. Identifizierung und Modifizierung individueller dysfunk-tionaler somatischer Symptomattributio-nen sollten daher fester Bestandteil einer jeden kognitiven Verhaltenstherapie bei Patienten mit hypochondrischen Störun-gen sein. Zusätzlich sollten Kontroll- und Sicherheitsverhaltensweisen, die zur Ver-stärkung dieser Attributionsmuster füh-ren, identifiziert und reduziert werden.

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Dipl.-Psych. Josef BailerAbteilung Klinische Psychologie, Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Medizinische Fakultät Mannheim, Universität HeidelbergJ 5, 68159 [email protected]

Infobox 1

Hilfreiche Fragen im Umgang mit Krankheitsangst

1.   Körperliches Problem benennenFWelches konkrete körperliche Pro-

blem/Symptom bereitet Ihnen mo-mentan Angst und Unbehagen?

2.   Symptom bewerten/interpretierenFWas könnte dieses körperliche Pro-

blem im schlimmsten Fall für Sie be-deuten?

FWenn Sie an eine schlimme Krankheit denken, benennen Sie diese bitte möglichst genau. Um welche Krank-heit handelt es sich?

3.   DisputationFWas spricht dafür, dass Sie diese 

schlimme Krankheit haben? Führen Sie alle Beweise auf, die für diese  Annahme sprechen

FWas spricht dagegen, dass Sie diese schlimme Krankheit haben? Führen Sie alle Gegenbeweise auf

FWas könnten diese körperlichen Prob-leme im besten Fall bedeuten?

FWas ist die wahrscheinlichste Ursache für das oben (unter Punkt 1) genannte körperliche Problem?

4.   Verhaltensänderung initiieren und beloh-nenFWelches Verhalten im Umgang mit 

diesem körperlichen Problem sollten Sie jetzt unbedingt unterlassen?

FWas können Sie stattdessen tun, um die Angst und Unsicherheit leichter zu ertragen?

FWofür lohnt es sich, Widerstand zu leisten und das Alternativverhalten durchzuführen?

FWomit werden Sie sich für ihr Alter-nativverhalten belohnen?

5.   ErfolgskontrolleFHaben Sie Ihr Ziel () vollständig, () teil-

weise oder () gar nicht erreicht?FWie haben Sie sich belohnt?

558 |  Psychotherapeut 6 · 2013

Schwerpunkt: Krankheitsangst – Originalien

Page 8: Symptomattributionsstile bei Hypochondrie; Symptom attribution style in hypochondriasis;

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt.  Josef Bailer, Tobias Müller, Mi-chael Witthöft, Carsten Diener, Daniela Mier, Julia Ofer und Fred Rist geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Die Studie wurde gefördert durch die Deut-sche Forschungsgemeinschaft (DFG; BA 1597/5-1,2).   Alle im vorliegenden Manuskript beschriebenen Untersuchungen am Menschen wurden mit Zustim-mung der zuständigen Ethikkommission, im Einklang mit nationalem Recht sowie gemäß der Deklaration von Helsinki von 1975 (in der aktuellen, überarbeiteten Fassung) durchgeführt. Von allen beteiligten Patienten liegt eine Einverständniserklärung vor.

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Psychosoziale Unterstützung im Krisenfall

Schwere Krisen wie Flugzeugabstürze, 

Amokläufe oder Naturkatastrophen stellen 

alle Beteiligten - Betroffene, Helfer und 

Verantwortliche - vor große Herausforde-

rungen. Zusätzlich zu Verletzungen und 

Todesfällen können massive psychische Be-

lastungen und Traumata auftreten. Welche 

psychosoziale Unterstützung im Einzelfall 

angebracht ist, wie diese organisiert wer-

den soll und unter welchen Belastungen 

Krisenmanager arbeiten und Entscheidun-

gen treffen, untersuchen Wissenschaftler 

im Rahmen des neuen EU-Projekts „PsyCris“ 

(Psycho-social Support in Crisis Manage-

ment).

„Unser Ziel ist es, europaweit die Notfall-

vorsorge sowie die Infrastruktur für die 

psychosoziale Unterstützung und die 

länderübergreifende Zusammenarbeit im 

Krisenfall zu verbessern - dieser internatio-

nale Fokus ist wichtig, da Katastrophen vor 

Ländergrenzen nicht haltmachen“, sagt Dr. 

Christine Adler (Ludwig-Maximilians-Uni-

versität München), die das Projekt koordi-

niert. Die Forscher analysieren im Rahmen 

von PsyCris wissenschaftliche Studien und 

ziehen daraus Schlüsse, welche Methoden 

für die psychosoziale Vorsorge, Nachsorge 

und Behandlung posttraumatischer Be-

lastungsstörungen geeignet sind. Dabei 

werten sie auch Erfahrungen aus früheren 

Krisenfällen aus - etwa dem Amoklauf in 

Erfurt - und bewerten, welche Maßnahmen 

erfolgreich waren und welche weniger. Aus 

den Ergebnissen wollen sie einen Leitfaden 

entwickeln, der in Abhängigkeit von der 

gegebenen Situation Strategien und Maß-

nahmen für die psychosoziale Versorgung 

an die Hand gibt.

Quelle: Ludwig-Maximilians-Universität

München, www.psy.lmu.de

Fachnachrichten

559Psychotherapeut 6 · 2013  | 


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