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Surprise Strassenmagazin 260/11

Date post: 17-Mar-2016
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Surprise Strassenmagazin 260/11
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Wahlzeit Nr. 260 | 7. Oktober bis 20. Oktober 2011 | CHF 6.– inkl. MwSt. Die Hälfte des Verkaufspreises geht an die Verkaufenden. Bitte kaufen Sie nur bei Verkaufenden mit offiziellem Verkaufspass. Alles faule Säcke? Warum die Jungen nicht wählen gehen Poster: Die Teams von Surprise Strassensport Schluss mit der falschen Idylle
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  • Wahlzeit

    Nr. 260 | 7. Oktober bis 20. Oktober 2011 | CHF 6. inkl. MwSt. Die Hlfte des Verkaufspreises geht an die Verkaufenden. Bitte kaufen Sie nur bei Verkaufenden mit offiziellem Verkaufspass.

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    Poster: Die Teams von Surprise Strassensport

    Schluss mit der falschen Idylle

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    Seite bitte heraustrennen und schicken oder faxen an: Strassenmagazin Surprise, Administration, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41 61 564 90 99, [email protected]

    Ist gut. Kaufen!Wer etwas verkauft, braucht Geld. Schlichte Wahrheit gute Sache.Denn 50 Prozent des Verkaufspreises kommt Surprise zugute.Alle Preise exkl. Versandkosten.

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    Ihre Meinung!Bitte schicken Sie uns Ihre Anregungen oder Kritik: Strassenmagazin Surprise, Redaktion, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, T +41 61 564 90 70, [email protected]. Es werden nur Leserbriefe abgedruckt, die mit vollem Namen unterzeichnet sind. Die Redaktion behlt sich vor, Briefe zu krzen.

    Surprise ist auf Spenden angewiesen. Auch auf Ihre! Herzlichen Dank. PC-Konto 12-551455-3

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    EditorialBiedermann und die Feuerwehr

    Dies ist die letzte Surprise-Ausgabe vor den eidgenssischen Wahlen. Deshalb pr-sentieren wir Ihnen eine ganze Reihe politischer Artikel. Dabei interessieren unsSeitenblicke, Themen, die im Wahlkampf nicht die Hauptrolle spielen. Die bei ge-nauerer Betrachtung aber jene Grundsatzfragen aufwerfen, die man sich vor derWahl stellen sollte.

    Die Titelgeschichte dieser Ausgabe spielt in Malters, einem kleinen Dorf im LuzernerHinterland. Vor elf Jahren tauchten dort pltzlich Neonazis auf. Es waren Auswrti-ge, die am Dorfrand einen Versammlungskeller gemietet hatten. Die Dorfgemein-schaft musste sich dem ungebetenen Besuch stellen. Besonders aufgefallen ist mirbeim Lesen die Aussage einer Wirtin: Ich habe die Sache heruntergekocht, damit siegar nicht eskalieren konnte. Sie teile das Gedankengut der Rechtsextremen nicht.Aber man ist in einem Dorf und muss schauen, dass man mit allen auskommt.Mich erinnert das an Max Frischs Stck Biedermann und die Brandstifter. Bieder-mann will nicht wahrhaben, dass die Besucher in seinem Dachstock Brandstifter sind. Selbst als er sich nichtlnger selber belgen kann, setzt er sich nicht zur Wehr. Stattdessen versucht er, die Brandstifter milde zu stim-men. Vergeblich.

    Frischs Stck hat ber 50 Jahre auf dem Buckel, die Mentalitt vieler Schweizerinnen und Schweizer bildetes aber auch heute przise ab. Und zwar nicht nur jene der gutbrgerlichen Mehrheit. Auch Menschen, diesich selber als kritisch betrachten, verschliessen die Augen vor der dramatischen Vernderung des sozialenKlimas. Wieso bleibt alles ruhig, whrend sich die Schere zwischen Reich und Arm rasant ffnet? Was Wis-senschafter und Politiker zu diesem Thema zu sagen haben, lesen Sie ab Seite 10. Meine persnliche Ansicht:Wir haben Angst. Angst, uns vor Augen zu fhren, dass immer mehr Menschen in die Armut abrutschen.Und zwar nicht nur die anderen. Sondern der Schulfreund. Die Nachbarin. Der Bruder. Und nicht zuletztknnte es ja auch mich selber treffen.

    Generationen von Schweizerinnen und Schweizern haben nur Kompromiss und Anpassung gelernt. Deshalbverdrngen viele die reale Gefahr des sozialen Abstiegs in der Hoffnung, verschont zu werden. Doch in einerZeit, in der Spekulanten Milliarden verpulvern, whrend Sozialhilfebezgern das Existenzminimum zu-sammengestrichen wird, hilft keine Hoffnung. Sondern nur die Strkung jener politischen Krfte, die sich freine solidarische Gesellschaft einsetzen.

    Am 23. Oktober ist Wahltag. Wir brauchen keine Brandstifter. Sondern die Feuerwehr.

    Reto Aschwanden

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    RETO ASCHWANDEN

    REDAKTOR

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    Inhalt03 Editorial

    Die Angst der Biedermnner05 Basteln fr eine bessere Welt

    Der Wahlwecker06 Aufgelesen

    Ttowierter Durchschnitt06 Zugerichtet

    Liebeskranke Fahrt im Suff07 Mit scharf

    Hrt die Jungen!08 Portrt

    In Islands Saga-Welt15 Strassensport

    Das Team-Poster zum Herausnehmen23 Virtuelle Ausstellung

    Inspiration aus Metropolen24 Kulturtipps

    Mundartliche Kostproben26 Ausgehtipps

    Ein Tag gegen Armut 28 Verkuferportrt

    Am liebsten wieder Fotograf29 Programm SurPlus

    Eine Chance fr alle!30 In eigener Sache

    ImpressumINSP

    Noch immer gefllt sich die Schweiz in der Rolle alseines der reichsten Lnder der Welt. In Wahrheit abersteht der immer grssere Reichtum von wenigen dersteten Verarmung breiter Schichten gegenber. Fastnirgends klafft die Einkommensschere derart ausein-ander wie hierzulande. Breite Debatten oder gar f-fentliche Proteste lst das aber nicht aus. Weshalb die Schweiz diese Ungerechtigkeit einfach hinnimmt, diskutierten Politiker und Wissenschafter an einer Ta-gung in Zrich.

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    Malters ist ein beschauliches Dorf im Kanton Luzern.Vor elf Jahren strten Rechtsextreme die Ruhe. Skin-heads trafen sich im Industriegebiet und sassen inden Dorfbeizen. 2011 ist das lange vorbei. Nun erin-nern sich Politiker und Wirte zurck. Angst, Ver-stndnis, Widerstand die drfliche Gemeinschaft tatsich schwer, einen Umgang mit den Neonazis zu fin-den. Eine Schweizer Geschichte aus der jngerenGegenwart.

    12 Junge und PolitikNull Bock auf Demokratie?Es ist ein ehernes Gesetz: Je hher die Altersgruppe,desto hher auch die Wahlbeteiligung. Woher kommtdieses Desinteresse der Jungen am demokratischenMitwirken? Gefhrdet es die Zukunft unseres Systems?Ein junger Theatermacher in Bern schrieb ein Stck,das sich mit dem Zustand der Demokratie ausein-andersetzt. Eine Betrachtung anhand seiner Charaktereber Politikverdrossenheit und Wahlabstinenz.

    10 UngleichheitDie Kluft, die keinen strt

    18 Patriotismus Hitler in der heilen Welt

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    Basteln fr eine bessere WeltSie haben sich, wie von uns im letzten Heft vorgeschlagen, einen schnen Sessel gebastelt, sich in einem ruhigen Moment draufgesetztund ausgesucht, von wem Sie die nchsten vier Jahre im Parlament vertreten sein wollen? Schn! Dann wollen wir sie nun dabei unter-sttzen, dass Ihre Stimme auch rechtzeitig auf den Weg ins Wahllokal kommt.

    1. Besorgen Sie sich auf dem Estrich oder im Brockenhaus einenalten Wecker.

    2. Schrauben Sie ihn auf, sodass sie das Glas entfernen und dasZifferblatt freilegen knnen.

    3. Schneiden Sie das Bild einer Wahlkandidatin oder eines Wahlkan-didaten aus einem Prospekt oder der Zeitung aus. Je nachdem, wieSie ticken, nehmen Sie diejenige, die sie unbedingt nach Bern ent-senden wollen oder denjenigen, den sie am liebsten in die Wsteschicken wrden.

    4. Kleben Sie den Kopf gut sichtbar aufs Zifferblatt.

    5. Schrauben Sie die Uhr wieder zu und stellen Sie den Wecker auffnf vor zwlf. Zweimal tglich wird Sie nun Frau X freundlich daranerinnern, dass Sie Ihr doch die Stimme geben wollten. Oder Herr Ywird sie bedrohlich angrinsen und Ihnen ins Gedchtnis rufen, dassSie ihn auf keinen Fall vier weitere Jahre ertragen knnen.

    6. Ob Sie das Couvert schon bald in den nchsten Briefkasten wer-fen oder warten wollen, bis Sie im letzten Moment selbst ins Wahl -lokal gehen knnen, berlassen wir jetzt Ihnen.

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    AufgelesenNews aus den 90 Strassenmagazinen,die zum internationalen Netzwerk der Strassenzeitungen INSP gehren.

    20 Jahre Strassenzeitungen

    Hannover. Der Obdachlose und Kleinkrimi-nelle John Bird rief am 11. September 1991zusammen mit Body-Shop-Grnder undSelf-Made-Millionr Gordon Roddick in Lon-don die Big Issue ins Leben die ersteStrassenzeitung war geboren. Die Idee fandbis heute weltweit 112 Nachahmer, in Londonsind mittlerweile gut 2000 Verkufer unter-wegs, die wchentlich 200000 Exemplare derZeitschrift verkaufen. Bird selbst beendetedamit seine Knastkarriere und trgt heute Na-delstreifenanzug.

    Ttowierte sind Normalos

    Wien. Fussballern und Hollywood-Schau-spielerinnen sei Dank: Ttowierungen sind inder Mitte der Gesellschaft angekommen. Of-fenbar aber noch nicht in den Kpfen vonKriminalbeamten und gewissen Medienleu-ten: Der Kultur- und Sozialanthropologe IgorEberhard beklagt, dass Ttowierte immernoch unter Vorurteilen litten und nennt Bei-spiele aus jngster Zeit. Dabei seien dieseganz normale Durchschnittsmenschen. Stu-dien htten gezeigt: Sie haben nicht einmalmehr Sex als andere.

    Mutter mit Drogenvergangenheit

    Kiel. Als Jonas vor gut einem Jahr zur Weltkam, musste er zunchst zwei Wochen langentgiftet werden. Seine Mutter war drogen-schtig, und die Giftstoffe in ihrem Krperbertrugen sich auch auf ihn. Jonas lebt heu-te in einer Pflegefamilie. Doch die 19-jhrigeAnna und ihr 23-jhriger Freund Alexanderkmpfen um ihr Kind: In der Hilfe fr KinderDrogenabhngiger lernen sie, wie sie in Zu-kunft wieder mit ihrem Sohn zusammenle-ben knnen. Sie hoffen so auf eine Zukunft,in der auch die schnen Dinge Platz finden.

    ZugerichtetDer schlimmste Tag im Leben von Marcello S.

    Die Liebe. Sie verzaubert und besnftigt,macht heiter und froh. Einerseits. Anderer-seits verwirrt und verblendet sie und spieltnicht selten die heimliche Hauptrolle beiFllen, die vor dem Strafrichter enden.

    Geendet hattet auch die Liebe von Mar-cello G. Just an jenem Februartag, an dem erzwecks Heiratsantrag seiner Freundin einenRing kaufte, kndigte ihm diese die Liebe.Per SMS. Wie jeder vernnftiger Mensch indieser Situation es tun wrde, genehmigtesich Marcello Hochprozentiges, um denGram zu ertrnken, die Krnkung zu dmp-fen. Er konnte spter nicht mehr sagen, wieviele Rum-Colas er getrunken hatte, erinnertsich aber, dass er kaum noch gehen konnte.

    Bis zum Auto, das er von seiner Mutterausgeliehen hatte, reichte es noch. Er fuhrlos, es war schon dunkel und zunchst ver-lief die Fahrt problemlos. Bis zu dieser Kur-ve, die wohl pltzlich etwas enger schien alssonst und Marcello ein zweites Mal unter-ging. Dieses Mal in der Tss, einem kleinenFluss im Kanton Zrich.

    Dort, und nicht etwa in einer Kuhweide,landete Marcello mit Mamas Auto. Und sack-te ab, Marcello starrte durch die Frontschei-be, sah alsbald nur noch schwarz, mit zweidumpfen Schlgen lief das Auto auf Grund,erst die Hinterachse, dann die vordere. Spt,aber dennoch, holte er tief Luft, kurbelte dasFenster runter und konnte sich befreien.

    Er tauchte ins kalte Nass, hangelte sicham Auto entlang hoch und ergriff dabeiden Auspuff. So kam es, dass er schliesslichmitten im Wald am Ufer im Schnee sass, ge-schockt, schlotternd vor Klte und mit bs

    verbrannter Hand. Das war noch nicht mal dasSchlimmste. Nein, der schlimmste Momentkam, als er in die Jackentasche griff, Zigarettenhervorholte, eine oder zwei sogar noch rauch-bar gewesen wren htte denn das Feuer-zeug funktioniert. Doch es war zu nass.

    Marcellos Mobiltelefon auch. Es blieb ihmnichts anderes brig, als seinen Weg zu Fussfortzusetzen. Das Ziel seiner Fahrt war OnkelsHaus gewesen, bei Mama konnte er so betrun-ken nicht aufkreuzen, schon gar nicht mit de-ren Auto. Nach einer Stunde war er schliesslichangekommen, entledigte sich seiner nassenKleider, haute sich schnurstracks aufs Ohr undschlief fast sofort ein.

    Geweckt wurde er von der Polizei. Spazier-gnger hatten das Auto entdeckt, das Num-mernschild fhrte zur Mama und Mama zumSohn. Nun schlug nicht mehr nur das Leben,sondern auch das Gesetz gnadenlos zu. Derverkehrstechnische Dienst stellte fest, dass erviel zu schnell gefahren war. In fahrunfhigemZustand noch am Morgen mass man 1,2 Pro-mille. Da er nicht selbst die Polizei gerufen hat-te, wurde er darber hinaus des Fehlverhaltensnach einem Unfall und der Behinderung einerAmtshandlung (des Blastests) angeklagt. Undvollumfnglich schuldig gesprochen.

    In Marcellos Fall erscheint dies bitter, war erdoch vom Leben schon genug gestraft. Er hat-te ein gebrochenes Herz, eine verbrannte Handund wie sich einige Tage noch dem Unfall her-ausstellte, auch noch eine entzndete Lunge.Doch vor Gericht zhlt die Liebe nicht als mil-dernder Umstand.

    *Persnliche Angaben gendert.

    YVONNE KUNZ ([email protected])

    ILLUSTRATION: PRISKA WENGER

    ([email protected])

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    Nominieren Sie IhrenStarverkufer!Schreiben Sie uns mit einer kurzen Begrndung, welche/n Verkufer/in Siean dieser Stelle sehen mchten: Strassenmagazin Surprise, Redaktion, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41 (0)61 564 90 99, [email protected]

    Starverkuferin Abraham Kifle

    Marie-Anne Hafner aus Zrich nominiert Ab-raham Kifle als Starverkufer: Ich kaufeSurprise bei Abraham Kifle vor dem Migrosin Seebach. Eine Zeit lang vermissten wirihn, umso mehr freuten wir uns, als er nachder langen Pause wieder dastand. Er ist eineArt Sozialarbeiter von Seebach. Selber sagter nie viel, dafr kann er unglaublich gut zuhren. Es sind auf jeden Fall immer Leute daund erzhlen im etwas. So schn.

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    VON FLORIAN BLUMER

    Die Zahl klingt an sich gar nicht schlecht: 62 Prozent der Wahlbe-rechtigten gingen bei den letzten Eidgenssischen Wahlen 2007 an dieUrne. Das Problem: Sie gilt fr die ber-75-Jhrigen. Von den Unter-30-Jhrigen war es nur gerade jeder Dritte. Aktuellen Umfragen zufolgehabe sogar nur jeder Fnfte dieser Altersgruppe vor, am Urnengangvom 23. Oktober teilzunehmen. Politologe Georg Lutz sagt zwar, dassdas politische Interesse mit steigendem Alter zunehme (siehe auch Be-richt S. 12). Claude Longschamps Umfrageinstitut Gfs kam jedoch in ei-ner internationalen Vergleichsstudie zu einem Schluss, der durchauszur Besorgnis Anlass gibt: Die Jungen hierzulande fnden weniger Zu-gang zur institutionellen Politik als in Brasilien und in den USA und sieseien zudem sozial weniger engagiert. Es gelte, einen Trend zu bre-chen, so heisst es bei der Gfs, ansonsten entstehe ein Nachwuchspro-blem in unserem Milizsystem.

    Zurcklehnen ist also nicht angesagt: junge Schweizerinnen undSchweizer mssen einen Sinn darin sehen, sich in die Politik einzumi-schen und mter anzustreben. Resignation ist denn auch nur eine Formder Reaktion auf gefhlte Ohnmacht. Eine andere ist Gewalt. In Baselwollten sich im September Jugendliche mit der Besetzung von Teilen derVoltamatte und der Errichtung eines Turms erst Freiraum erkmpfenund auf das Problem der Gentrifizierung aufmerksam machen. In derNacht der Abbruchparty brannten dann pltzlich Barrikaden undSchaufenster gingen zu Bruch. Auch in Zrich klirrten im September dieScheiben im Anschluss an illegale Parties in der Innenstadt. War das ein-fach sinnlose Zerstrungswut unpolitischer Event-Chaoten, wie es inden Medien danach hiess? Die man am besten mit Polizei- oder nochbesser Armeegewalt bekmpft, wie von SVP- und FDP-Politikern vorge-schlagen wurde?

    Eidgenssische WahlenParteien aller Couleur, umarmt die Jungen!Die Jugend, die Jugend, interessiert sich viel zu wenig fr die nationale Politik. Aber warum sollte sie auch?Wenn ihre Themen darin nicht vorkommen?

    An Initiativen, die die Jungen zur politischen Partizipation animierenwollen, fehlt es nicht. Easyvote.ch beispielsweise fordert junge Wahlbe-rechtigte dazu auf, online die Teilnahme an der Wahl zu versprechen.Daran werden sie dann zu gegebener Zeit per SMS oder E-Mail erinnert.Das klingt ein bisschen nach Methode Oberlehrer 2.0, mag aber doch ei-nige Faule oder Vergessliche davor bewahren, die Wahlen zu verschla-fen. So lblich solche Initiativen auch sind: Sie packen das Problemnicht an der Wurzel. Denn der Mitwirkungswille der Jungen steht undfllt mit der Aussicht, im Politbetrieb mitmischen und mit seiner Stim-me etwas bewirken zu knnen. Und zwar zu den Themen, die sie be-wegen und zu den Problemen, die sie im Alltag beschftigen.

    Genau hier hapert es: Zur Jugendarbeitslosigkeit beispielsweise, ei-nem Problem, das Jungen unter den Ngeln brennt, ist derzeit weit undbreit nichts zu hren. Keine Partei mag gross Energie und finanzielleMittel in dieses Thema stecken. Wozu auch? In den Wahlkampfbroskennt man die Altersstruktur der aktiven Whler und weiss genau: beiden Jungen gibt es wenig zu holen. Und weil das so ist, wird deren Wh-leranteil auch in Zukunft nicht steigen ein Teufelskreis.

    Deshalb der Aufruf: Parteien aller Couleur, umarmt die Jungen! Hrtihnen zu, setzt ihre Themen weit oben auf die Agenda! Ihr tut damit et-was Gutes fr die Zukunft unseres Landes. Und investiert nebenbeiauch noch in euer eigenes berleben.

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    VON MICHLE FALLER (TEXT) UND LUCIAN HUNZIKER (BILD)

    Die Frau mit den rtlichen Haaren, den blauen Augen und dem strah-lenden Lcheln kichert. Die ganze Geschichte ist ein Riesenzufall. DieRede ist vom ersten Islandaufenthalt von Ursula Giger, die heute inReykjavik und Basel wohnt, Islndisch unterrichtet und Bcher vom Is-lndischen ins Deutsche bersetzt. Als 17-Jhrige machte die aus demst.gallischen Murg stammende Ursula Giger ein Austauschjahr inSchweden und wollte nach der Matur in Skandinavien arbeiten. Nor-wegen, Dnemark und Finnland kannte ich schon, weshalb ich michvllig blauugig fr Island entschied. Die junge Frau wusste nichtmehr, als dass es sich dabei um eine Insel mit der Hauptstadt Reykjavikhandelt, als sie 1995 fr drei Monate auf einem Bauernhof in der Nhedes Myvatn-Sees ankam, wo sie im dazugehrigen Gstehaus arbeitete.

    Der Bauer holte mich am Flughafen Akureyri ab. Wieder muss Gi-ger lachen. Es war so schlimm! Das Wetter war megagrusig, alles warbraun und grau, und dann dieser Bauer mit seinem verrosteten Subaru,das vergesse ich nie. Wie in einem Drittweltland sei es ihr vorgekom-men. Dann hielt dieser Typ an irgendeinem Wasserfall an und behaup-tete, das sei eine grosse Touristenattraktion. Und weil man in Island aufdem Land als Gast bei der Ankunft immer Kaffee und Kuchen bekommt,musste ich um zwei Uhr morgens vor dem Schlafengehen noch Kaffeeund Rahmtorte verdrcken.

    Am zweiten Tag gefiel es ihr aber bereits. Und heute ist sie froh, dasLand sozusagen rckwrts und nicht von der Hauptstadt aus kennenge-lernt zu haben. Island ist eine Bauernnation, und das moderne Reykja-vik ein totaler Kontrast zum buerlichen Norden war fr mich langegar nicht Island. Schon im ersten Sommer lernte die junge Schweizerinviele Guides kennen, die sie gelegentlich auf eine Tagestour oder einenAusritt mitnahmen, sodass sie die Gegend kennenlernte, viel ber Geologie und Geschichte des Landes, vor allem aber ber die Literaturerfuhr. Einige erzhlten mir ganze Sagas, erinnert sich Giger. Zurckin der Schweiz, begann sie in Basel und Zrich Nordistik mit Schwer-punkt Islndisch zu studieren.

    Whrend des Studiums arbeitete die Nordistikstudentin als Regieas-sistentin und Inspizientin an den Theatern Biel und Basel, kehrte demTheater 2001 aber den Rcken, um, wie schon lange gewnscht, in Is-land zu studieren. Dort schloss sie ihr Studium der islndischen Spra-che und Literatur ab. Seit mittlerweile acht be-ziehungsweise sechs Jahren unterrichtet Gigeran der Uni in Zrich und Basel Islndisch. Esfolgte das Studium der bersetzungswissen-schaften in Island, und in der Folge hat UrsulaGiger mehrere Romane und Krimis bersetzt. Etwas ganz Besondereswar fr sie die bersetzung von zwei der ber 40 Islndersagas, die ineiner fnfbndigen Edition vor wenigen Wochen neu erschienen sind.Die Sagas aus dem Mittelalter erzhlen unzimperlich von blutrnstigenKmpfen und Familienfehden. Aber oft auf total witzige Weise und ge-spickt mit sarkastischen Sprchen, grinst Giger. Die Literatur von derInsel im hohen Norden findet derzeit viel Beachtung. Das Sagenhafte

    PortrtEine Schweizerin in der Saga-WeltAls Ursula Giger das erste Mal nach Island kam, fand sie es ganz schlimm. Heute widmet sie dem Land und sei-ner Sprache einen grossen Teil ihres Lebens. Ihr jngster Streich ist die bersetzung von zwei der berhmtenIslndersagas.

    Island ist Ehrengast an der Frankfurter Buchmesse vom 12. bis 16. Okt-ober. Und anschliessend finden vom 17. bis 24. Oktober in Zofingen dieSchweizerisch-Islndischen Literaturtage statt.

    Man knnte erwarten, dass unter bersetzern Konkurrenzkampfherrscht, doch Giger lobt die Zusammenarbeit innerhalb des 15-kpfi-gen Teams in den hchsten Tnen. Sie schtzte die Diskussionen sehr,auch wenn es manchmal des Austauschs fast zu viel gewesen sei. DieHerausforderung war, die im 9. Jahrhundert spielenden und 200 bis 300Jahre spter in Altislndisch aufgezeichneten Islndersagas in ein mo-dernes Deutsch zu bersetzen, das nicht altertmelnd und schon garnicht so braun angehaucht wie die bisherigen Saga-bersetzungendaherkommen sollte. Und doch im typischen Saga-Erzhlstil. Nebstdem Fach- und dem sprachlichen Lektorat musste alles noch vom Na-men-lektorat abgesegnet werden. Eine Zangengeburt, sagt Giger, ihrLcheln wirkt aber zufrieden.

    Vier bis fnf Monate des Jahres verbringt die umtriebige bersetze-rin in Island. Ein wahnsinnig privilegiertes Leben, findet Giger. Ichhabe dort eine Wohnung und Freunde, und hier auch. Und das geflltmir ziemlich gut. Ihr Blick schweift etwas in die Ferne, als sie schwr-mend vom dunklen, aber schnen Winter in Island erzhlt, vom sch-nen Schweizer Herbst und vor allem vom islndischen Sommer. Denverbringt die lebhafte Wahlislnderin wie viele Einheimische, ob die imHauptberuf nun Lehrerin, Pfarrer oder Professorin seien: Sie arbeitet inder Tourismusbranche.

    Nebst Landschaft und Literatur gefllt Ursula Giger auch die Menta-litt der Menschen. Trotz oft schwieriger Lebensumstnde frher Hun-gersnte, Vulkanausbrche und raues Klima heute noch seien die Le-benseinstellung extrem positiv und Existenzngste kaum vorhanden.Arbeit werde selten als Last verstanden und fast niemand sei sich zuschade, unter seinem Niveau zu arbeiten. Kritische Tne findet dieWahlislnderin fr das selbstverstndliche Auf-Pump-Leben, das 2008zum Zusammenbruch gefhrt hat. Vielleicht fehlt eine gewisse De-mut. Das habe wohl damit zu tun, dass Island in den letzten 60 Jahrenetwa die gleiche Entwicklung durchgemacht hat wie das restliche Euro-pa in 500 Jahren. Der Wahlspruch der Islnder ist in etwa Es kommtschon gut. Und es kommt auch immer gut! Sie imitiert Ton und Gestik,und man stellt verblfft fest, dass die nordischen Inselbewohner offen-bar viel mit den Menschen Sdeuropas gemeinsam haben.

    In ihrer Freizeit spielt die viel beschftigte Frau Geige und Gambe so-wie Kontrabass in einer Frauentangoband. Und ich fahre gerne Zug,lacht sie und gesteht, dass ihr Traumberuf nach wie vor Lokfhrerin sei.Ich lese sehr gerne im Zug und bin ein richtiger Zug-Junkie! Ob siedort auch schreibt, beantwortet Ursula Giger nicht eindeutig. Dochwahrscheinlich hat auch sie wie die meisten Islnder einen Romanin der Schublade.

    Der Wahlspruch der Islnder ist in etwa Es kommtschon gut. Und es kommt auch immer gut!

  • 10 SURPRISE 260/11

    UngleichheitKein Aufschrei. Nirgends.Die soziale Schere hat sich in der Schweiz geffnet wie in kaum einem anderen europischenLand. Das sieht sogar die Credit Suisse, doch Protest gegen die Ungleichheit regt sich kaum.Akzeptiert die Schweiz einfach, dass die Kluft zwischen Arm und Reich immer tiefer wird?Diese Frage diskutierten unlngst Wissenschafter und Politiker.

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    Muss es auch hierzulande soweit kommen, bis die Schweiz handelt? Dieser Rumne lebt mit seiner Familie in der Kanalisation.

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    VON INDRANI DAS

    Um es vorweg zu sagen: Eine neuere wissenschaftliche Untersu-chung darber, ob die Brger und Brgerinnen der Schweiz heute dieherrschende soziale Ungleichheit eher akzeptieren als die vorherigenGenerationen, gibt es anscheinend nicht. Jedenfalls ist dem emeritiertenProfessor fr Wirtschaftsgeschichte Hansjrg Siegenthaler keine aktuel-le bekannt. Aber genau deswegen braucht es eine solche Tagung wiediese. Mit dieser Tagung ist die Podiumsdiskussion Die neue Ak-zeptanz sozialer Ungleichheit gemeint, zu der die staatspolitischeInteressengemeinschaft Club Helvtique Mitte September in die Paulus-Akademie Zrich geladen hat.

    Es mag zwar keine aktuellen wissenschaftlichen Untersuchungen zurneuen Akzeptanz der Ungleichheit geben, die soziale Schieflage derSchweiz ist aber bestens belegt. Fast nirgends auf der Welt sei die Kluftzwischen Arm und Reich so gross wie hier, stellt der Basler SoziologeUeli Mder fest. Ausgenommen Namibia und Zimbabwe. Seinen Studiennach besitzen drei Prozent der privat Steuerpflichtigen so viel steuerba-res Vermgen wie die restlichen 97 Prozent. Der Gewerkschaftsbundspricht in seiner Untersuchung von zwei Prozent gegenber 98 Prozentund die Credit Suisse die definitiv nicht unter Klassenkampf-Verdachtsteht in ihrer aktuellen Global-Wealth-Studievon einem Prozent. Ein Prozent der SchweizerSteuerpflichtigen hat also genauso viel Verm-gen wie die restlichen 99 Prozent zusammen.Oder: Das Vermgen der 300 Reichsten derSchweiz hat sich nach dem Fall der Berliner Mauer 1989 in 20 Jahren von86 Milliarden Franken auf 449 Milliarden Franken fast verfnffacht. Unddie Kurve stieg nie so steil an wie jetzt, sagt der Soziologe. Whrend dieReichsten im Monat ber durchschnittlich 1,2 Millionen Franken verf-gen, mssen die rmsten mit 263 Franken auskommen, so der aktuelleVerteilungsbericht des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes. Zu die-sen Armen gehren auch die sogenannten Working Poor. Darunter ver-steht man diejenigen, die zwar zu 90 Prozent erwerbsttig sind, aberweniger als das Existenzminimum verdienen. Davon sind zhlt mandie Kinder dieser Familien und Alleinerziehende mit gut eine halbeMillionen Brger in der Schweiz betroffen.

    Das Zurckbuchstabieren des Vermgens betreffe nicht nur die Ar-men, sondern auch den Mittelstand, stellt Ueli Mder fest. Der Gewerk-schaftsbund rechnete aus: Whrend die Lhne der sehr hohen Einkom-mensklasse zwischen 1998 und 2008 um 21,3 Prozent wuchsen, stiegensie bei den mittleren Lhnen um 3,1 und bei den tiefen Lhnen um zweiProzent an. Lsst man nun die Teuerungsraten miteinfliessen, bedeutetdies: Die unteren Schichten haben 18 Prozent weniger Geld im Porte-monnaie als vor zehn Jahren.

    Begehrt jemand dagegen auf? Mssen wir nun einen SchweizerFrhling wie im arabischen Raum erwarten?, fragt der ehemalige Zr-cher Stadtprsident Josef Estermann die Runde.

    Mehr Ich statt WirDen Slogan Mehr Freiheit weniger Staat haben sogar diejenigen

    verinnerlicht, die von dieser Entwicklung gar nicht profitieren, beob-achtet SP-Nationalrtin Hildegard Fssler. Aber der Spruch klinge sotoll. Weniger Staat, mehr Eigenverantwortung. Jeder ist Herr ber seinTun, sein Fortkommen und sein Vermgen. Dabei stimmt dies sonicht. Fr Fssler verbirgt sich hinter dem Slogan nichts anderes als einRckzug aus der Solidaritt und der Verbundenheit mit der eigenenGesellschaft.

    Ueli Mder sieht die Schweiz damit in Einklang mit dem Zeitgeist:Weg von dem Idealen des politischen Liberalismus der Kapital und Ar-beit noch als gleichwertig ansah hin zum angelschsischen Marktli-beralismus mit seinem Credo Das Kapital nur dem Kapital. Dies legi-timierte eine verschrfte soziale Ungleichheit. Dazu kommt, dass in der

    politischen Diskussion bereits jeder als verdchtig gilt, der sich fr f-fentliche Belange einsetzt. Getreu dem Motto: Das ffentliche Interessegibt es nicht mehr. Nur Eigeninteresse. Also nehme ich dies als Politi-ker auch so wahr, stellt der Alt-Stadtprsident von Zrich, Josef Ester-mann, fest.

    Auch die Diskussionskultur hat sich verndert. Ein Beispiel sei derMissbrauchsdiskurs, sagt Josef Estermann. Es sei richtig, ber Miss-brauchsflle zu sprechen, doch wenn Sozialstaatsdiskussionen nichtmehr unter dem Aspekt Ausgleich von Ungleichheit, sondern nurnoch unter dem Titel Missbrauch gefhrt werden, dann haben solcheDiskussionen nur ein Ziel: das Herunterschrauben der Sozialstaatlich-keit und die inhrente Verdchtigung desjenigen, der staatliche Hilfe inAnspruch nimmt.

    Ohnmchtige NarzisstenGleichzeitig werden Menschen, die sozial schwach sind, mit dieser

    Art von Diskussionen in ihrer Wrde verletzt, gibt die Psychothera-peutin Erica Brhlmann-Jecklin zu bedenken. Der Verlust der Wrde immenschlichen Umgang miteinander sei Indiz dafr, dass soziale Un-gleichheit kein Thema mehr sei. Zudem reagiere die Schweizer Gesell-schaft oft zutiefst narzisstisch. Wobei der Narzissmus stets mit dem

    Ohnmachtsgefhl des Einzelnen gekoppelt sei. Getreu nach dem Mottoeiner bestimmten Partei: Wer sich mchtig fhlen will, gehrt zu denSchweizern. Wir mssen ber die Verteilung von Macht und Ohnmachtreden, sagt die Therapeutin.

    In den Wirtschaftswissenschaften ist die soziale Ungleichheit lautSiegenthaler also kein Thema. Ueli Mder ergnzt: Selbst in den sozial-wissenschaftlichen Fchern seien Gesellschaftsanalysen, die die Sozial-strukturen im Fokus haben, kaum anzutreffen. Heutzutage werde lieberim Zeichen der Individualisierung geforscht. Die Folge: In der ffent-lichkeit wird so der Anschein erweckt, dass die sozialen Strukturen einerGesellschaft kaum noch ein Thema wren.

    Wir knnten ja wieder in die Feudalgesellschaft zurckkehren unddas Konzept der sozialen Gleichheit als Fussnote der Geschichte be-trachten, scherzt Hansjrg Siegenthaler. Dann wird er ernst. Die Chan-cen, dass diese Konzept berleben werde, sei gering vor allem, wennman die Entwicklungen in China, Indien oder Russland betrachte. Aller-dings hlt Siegenthaler ein Festhalten an der sozialen Gleichheit nurschon aus rein soziokonomischen Grnden fr notwendig, wie er mitVerweis auf die Theorie des Politwissenschaftlers Karl Deutsch fest-stellte. Nach dieser erhalte sich eine Gesellschaft nur dann am Leben,wenn sie ber soziale Lernkapazitten egal auf welcher Ebene ver-fge. Durch zu grosse Ungleichheiten verliere sie diese. Es sei, so folgertHansjrg Siegenthaler, notwendig, eine Verbindung zwischen Ungleich-heit und Lernfhigkeit herzustellen. Denn entweder wir verstehen unsals Lerngesellschaft, die diese Fhigkeit allen Individuen erhlt, oderaber wir fallen in eine Plutokratie, in eine Feudalgesellschaft zurck. Ineinem solchen System werde der Machtbegriff von Karl Deutsch zur Re-alitt: Macht hat derjenige, der glaubt, es sich leisten zu knnen, nichtlernen zu mssen.

    Als aktuelles Beispiel fr diese Einstellung nannte Hansjrg Siegent-haler die UBS, bevor er schloss: Wir knnen nicht einfach aussteigen,sondern wir mssen uns bemhen, die Akzeptanz der Ungleichheit zuverringern.

    Dieser Text erschien ursprnglich auf der Onlineplattform infosperber.ch

    Die unteren Schichten haben 18 Prozent wenigerGeld im Portemonnaie als vor zehn Jahren.

  • 12 SURPRISE 260/11

    VON FLORIAN BLUMER (TEXT) UND KARIN SCHEIDEGGER (BILDER)

    Das Volk ist ein Idiot! Wir werden von einem Idioten regiert! Diejunge, elegant gekleidete Dame mit dem strengen Blick redet sich in Ra-ge. Nun geht es in der Politik nicht um Kinderkram, sondern um Men-schenleben! Um die Wirtschaft unseres Landes! Um eine Armee. Soll einIdiot ber diese Fragen entscheiden? Ihr Ausbruch gipfelt im Aufruf,die direkte Demokratie abzuschaffen, sie verteilt Zettel im Publikumund bittet um Unterschriften dafr.

    Vier junge Schauspieler gespielt von vier jungen Schauspielern beschliessen, ein politisches Stck auf die Bhne zu bringen. Beim erstenTreffen wird der Regisseur aufgrund inhaltlicher Differenzen gefeuert.Stattdessen bereiten sich die Figuren getrennt auf den Abend vor, umdas Stck gemeinsam live zu entwickeln. Als sie zusammenkommen,scheitert als Erstes die Idee, die Redezeit per Eieruhr zu beschrnken, ineiner Abstimmung. Dies sorgt schon einmal fr Unmut.

    So beginnt das Stck, das Jungregisseur David Voges, 30, auf die Bh-ne des Schlachthaustheaters in Bern brachte. Voges ist 2004 aus dem

    Gemss Umfragen wird auch dieses Mal ein Grossteil der Jungen den Wahlurnen fernbleiben. Den 30-jhrigenTheatermacher David Voges brachte die Haltung seiner Generation zur Politik ins Nachdenken: Vor wenigenTagen feierte sein eher pessimistisches Theaterstck ber die Demokratie in Bern Premiere. Optimistischerin die Zukunft blickt Politologe Georg Lutz.

    Junge und PolitikDie Qual der Wahl

    Die Elitre: Das Volk ist ein Idiot! Die Gutmeinende: Ich mchte vieles ndern.

  • 13SURPRISE 260/11

    deutschen Grenzort Lrrach in die Schweiz ge-kommen, um in Bern die Schauspielschule zuabsolvieren. Das selbst geschriebene Stck De-mocrazy ist sein Regiedebt. Bis vor ein biszwei Jahren sei er eher unpolitisch gewesen,sagt Voges. Doch die jngsten SVP-Kampagnen und vor allem der Aus-gang der Ausschaffungsinitiative htten ihn aufgerttelt: Ich dachtemir: Leck mich am Arsch, das wurde jetzt angenommen! Das ging anmir als Auslnder nicht einfach so vorbei. Ich fragte mich pltzlich:Was passiert hier eigentlich? Dass einige Schweizer Altersgenossenaus seinem Bekanntenkreis, die das Kreuzchen am anderen Ort ma-chen wrden, nicht an die Urne gingen, weil sie schon was anderesvorhatten, brachte ihn zum Nachdenken. Das Stck sei sein Kreuz-chen in der Abstimmung, das ihm als Auslnder verwehrt ist.

    Unpolitische Event-Chaoten?Unter dem Eindruck des Dauerfeuers von Werbung und Gratis-Life-

    style-News in ffentlichen Verkehrsmitteln, Internet und Fernsehen liegtder Schluss nahe, die Jugend von heute wrde im Kommerz ertrinkenund habe nichts mehr brig fr Politik. Tatschlich gab im SRG-Wahl-barometer von Anfang September nur gerade jeder Fnfte unter 30 an,dass er am 23. Oktober whlen gehe. Dies klingt nicht nach rosigen Aus-sichten fr ein politisches System, in welchem eigentlich die Brger dasSagen htten.

    Ein etwas einfltig, aber sympathisch wirkender junger Mann imHolzfllerhemd tritt aus dem Hintergrund an den Bhnenrand. Die Trg-heit seiner Altersgenossen macht ihn so richtig wtend: Ihr faulen

    Schweine. Geht abstimmen! Man wird doch ausreichend informiert. So-gar Zeitungen gibts gratis. Das versteh ich einfach nicht.

    Der populre Befund der apolitischen Jugend ist nur die halbe Wahr-heit. Zwar haben mittlerweile die von den Medien als linke ChaotenBetitelten ihr Monopol auf diese Bezeichnung verloren: Seit den jngs -ten Ausschreitungen in der Zrcher Innenstadt gibt es laut Tagesschauund Tageszeitungen neu die Gattung unpolitischer Event-Chaoten. Esdarf allerdings hinterfragt werden, ob Ihre Motivation und ihr Handelntatschlich so unpolitisch waren. Zudem: Zogen diesen Sommer nichtTausende von Schlern durch die Berner Innenstadt und skandiertenWeg, weg, Mhleberg!? Drei Monate lang campierten vor allem Ju-gendliche vor dem Hauptsitz der Berner Energiewerke BKW, entschlos-sen zu bleiben, bis das Pannen-AKW Mhleberg abgestellt wird. Siewurden letztlich von der Polizei mit Gewalt vertrieben. Ein kurzes Er-wachen einer vom Wohlstand eingelullten Jugend aus jahrzehntelan-gem politischem Dauerschlaf? Wer so denkt, hat die Schlerstreiks ge-gen den Irakkrieg vergessen, die globalisierungskritische Bewegungoder die Anti-WEF-Demos.

    Offensichtlich sorgt sich ein betrchtlicher Teil der Unter-30-Jhrigensehr wohl um den Zustand der Welt und ist bereit, sich fr die eigeneberzeugung auch einzusetzen. Das Problem ist nicht, dass die Jungenkein Interesse an der res publica mehr htten. Sondern, um es unla-

    36 Prozent der jungen Mnner stufen sichheute als politisch rechts ein.

    Der Hemdsrmlige: Ihr faulen Schweine! Geht abstimmen!Der Besserwisser: 90 Prozent der Spenden gehen in Werbung und Lhne.

  • 14 SURPRISE 260/11

    teinisch auszudrcken: Sie haben die Schnauze voll von der real insze-nierten Politik. Die 19-jhrige Bernerin Tina Jakob kmpfte an vorder-ster Front fr die Abschaltung von Mhleberg (siehe Portrt in SurpriseNr. 255). Monatelang campierte sie mit Gleichgesinnten vor der BKW.Nebenbei schrieb sie ihre Matur, die zweitbeste ihres Jahrgangs. Klug,idealistisch, selbstbewusst, engagiert: Da ist die Politikerkarriere vorpro-grammiert wrde man meinen. Jakob winkt ab: Ich werde auf jedenFall politisch aktiv bleiben. Aber Politikerin werden? Kein Interesse.

    Politologe Georg Lutz bringt es auf den Punkt: Ich wrde wenigervon einer Politikverdrossenheit als von einer Parteienverdrossenheitsprechen. Dies gelte natrlich nicht nur frJunge. Aber warum sollten sich diese fr vonlteren dominierte Organisationen begeistern,von denen schon die Erwachsenen selbst nichtviel halten? In Umfragen zeigt sich, dass euro-paweit Parteien die Institutionen sind, die inder Bevlkerung am wenigsten Vertrauen geniessen, sagt Lutz weiter,insbesondere von Jungen werden sie oft als verschlossene Lden vonLeuten wahrgenommen, die in erster Linie ihre Karriere frdern wollen.Manuela Kosch von Easyvote.ch, einer nationalen Social-Media-Kam-pagne zur Steigerung der Wahlbeteiligung bei Jungen, beklagt, dass sichdie Politiker zu wenig um die Themen der Jngeren kmmern: Eines ih-rer zentralen Probleme, die Jugendarbeitslosigkeit, wird zum Beispielvon keiner Partei aktiv angegangen.

    In Berlin haben jngst Internetpiraten das Parlament gestrmt. Polit-experten und Vertreter der grossen Parteien rieben sich die Augen: Miteinem unglaublichen Whleranteil von fast neun Prozent zog die Pira-tenpartei triumphal ins Berliner Abgeordnetenhaus ein. Das Votum derJungen fr die Piratenpartei war eigentlich ein Votum gegen die grossenParteien: 80 Prozent ihrer Whler gaben an, dass nicht deren rechtdnnes Parteiprogramm den Ausschlag gab, sondern ihre Unzufrie-denheit mit den etablierten Parteien.

    Selbstbewusste RechtswhlerGeorg Lutz gibt zu bedenken, dass fr Jugendliche in dieser Lebens-

    phase schlicht andere Dinge im Vordergrund stehen als die Politik: Aus-bildung, Jobsuche, Selbstfindung, Freunde, Reisen. Auch Kosch sagt,dass Junge oft den Zusammenhang zwischen der Politik und dem eige-nen Leben nicht sehen, den Einfluss der Politik auf ihren Alltag als sehrgering wahrnehmen. Umgekehrt htten viele den Eindruck, dass sie jadoch nichts bewirken knnen. Zu dieser Einsicht gelangt auch die Figurder jungen Frau mit dem Ethno-Haartuch auf der Schlachthausbhne.Sie meint erst: Ich mchte vieles ndern. Und wenn ich mir die Weltansehe, hat sie das auch ntig. Sie bewundert zwei rzte, die ihren Spi-taljob in der Schweiz aufgegeben haben, um in Afrika unter dem MottoBringe Licht in die Finsternis Augenoperationen durchzufhren. Siestellt einen Eimer hin, um Spenden fr ihre Organisation zu sammeln.Doch auch zu dieser Art des Engagements rauben ihr die Kollegen imVerlaufe des Stcks mit ihren pessimistischen Positionen den Mut. DenRest gibt ihr der Vierte im Bunde, ein unertrglicher Besserwisser, derniemanden ausreden lassen kann und der ihr (und dem von ihr zumSpenden aufgerufenen Publikum) vorrechnet, dass 90 Prozent einerSpende in Werbung und Lhne gehen und nur gerade 10 Prozent direktdie Betroffenen erreicht.

    Bei vielen Jungen kommt die Politikabstinenz aus einer Mischungvon Desinteresse und einer berforderung mit der Komplexitt des The-mas. Auch fr Letzteres hat Politexperte Georg Lutz Verstndnis: Ichselbst fhle mich beispielsweise hochgradig berfordert, wenn ich michbei Gemeindeabstimmungen zu Zonenplanungsfragen ussern muss.Die 27-jhrige Newa Grawit, die die oben erwhnte sozial Engagierte inDemocrazy spielt, sagt, dass ihr politisches Interesse mit der Arbeitam Stck erwacht sei. Sie lese seither viel mehr Zeitung tatschlichschaut aus ihrer Tasche die aktuelle Ausgabe der deutschen Wochen-

    zeitung Die Zeit hervor. Ich hatte immer das Gefhl, ich habe so kei-ne Ahnung von Politik, sagt Grawit, nun merkte ich, dass bei mir sehrwohl eine klare politische Haltung da ist, dass ich mehr zu sagen htte.In Diskussionsrunden mit politisch gut Informierten schrecke sie jedochnoch immer davor zurck, aktiv einzugreifen.

    Nicht alle lassen sich jedoch davon abschrecken, dass ihnen derDurchblick fehlt. Der junge Mann im Holzfllerhemd, der sich mittelsPlakaten darber orientieren lsst, was gerade so abgeht, und sichausschliesslich in Gratiszeitungen ber das politische Geschehen infor-miert, ergreift erneut das Wort, um etwas zum Thema Auslnder zu sa-

    gen: Es gebe halt Kulturen, in denen ein falsches Wort reiche, dass dieWaffe gezckt werde: Ich mchte da jetzt keine Namen nennen oderLnder. Bin ja schliesslich kein Rassist. Aber es gibt nun mal Lnder mitStreitkultur und welche ohne. Von den Politikern ist er enttuscht: Al-so der Benzinpreis ist ja mal wieder gestiegen. Wofr haben wir Politi-ker? Was machen die mit meinem Geld? Es sei ja langsam fast wie inDeutschland! Damit es bei uns nicht ganz so schlimm komme, sei ereben gegen die EU.

    Mit solchen Einschtzungen vertritt der hemdsrmlige junge Manneinen immer grsser werdenden Teil der politisch engagierten Jugend:36 Prozent der jungen Mnner stuften sich gemss Lutz im Jahr 2007,zum Zeitpunkt der letzten eidgenssischen Wahlen, als rechts ein.Nur zwlf Jahre vorher waren es gerade mal 16 Prozent. Whrend dieanderen Parteien also mit ihren Schwerpunktthemen an der Lebensweltder Jungen vorbeischiessen, scheint die SVP mit ihren Dauerbrenner-themen Masseneinwanderung und Auslnderkriminalitt bei einemnicht unwesentlichen Teil der Jungen einen Nerv zu treffen. Am ande-ren Ende des poliltischen Spektrums konnten allerdings auch die Gr-nen punkten, die nach Fukushima glaubwrdig auf den bei Jungen po-pulren Atomausstieg setzen konnten.

    Am wenigsten interessant fr Junge sind die Mitteparteien. Familienuntersttzen und Steuern senken dies klingt nicht sehr knackig undhat schlicht nichts mehr mit der Lebenswelt eines Studienanfngersoder eines Lehrlings zu tun. Slogans wie Kapitalismus berwindenoder kriminelle Auslnder ausschaffen ziehen da schon eher.

    Besser informierte JugendDen vier Schauspielern in Democrazy ergeht es wie vielen Jungpo-

    litikern: Ihr guter Vorsatz zerschellt an der harten Wand der Realitt. Sieverlieren und berwerfen sich schliesslich im Geznk um ihre unter-schiedlichen Positionen. Weniger pessimistisch gibt sich PolitologeLutz: Das politische Interesse entwickelt sich mit zunehmendem Al-ter, sagt er. Es erwache bei vielen erst, wenn sie eine Familie gegrn-det haben, ein geregeltes Einkommen beziehen oder Steuern zahlen.Gemss seinen Untersuchungen ist der Whleranteil bei den 18- bis 24-Jhrigen seit 1995 sogar stetig gestiegen, von 21 Prozent vor zwlf Jah-ren auf immerhin 35 Prozent im Jahr 2007. Manuela Koch besttigt dieEinschtzung, dass diese Alterskategorie dank Gratisinformationen ausInternet und Pendlerzeitungen heute besser informiert ist als frher.Diese Erkenntnis wrde zumindest den Hemdsrmligen aus Voges Thea-terstck freuen.

    Performan & Company: Democrazy. Ein politisches Theater und eine Reise ans

    Ende der Demokratie. Weitere Auffhrungen sind geplant, Details entnehmen Sie

    bitte dem Internet.

    Politologe Lutz: Parteien werden oft als verschlosseneLden von Leuten wahrgenommen, die in erster Linieihre Karriere frdern wollen.

  • 15SURPRISE 260/11

    StrassensportBallspektakel auf dem BundesplatzNationale Entscheidungen wurden am 25. September nicht im Bundeshaus gefllt, sondernauf dem Platz davor. 14 Teams kmpften dort um die Schweizermeisterschaft und die Surprise-Nati zeigte den Berner All-Stars, wer auf der Strasse das Sagen hat.

    VON OLIVIER JOLIAT

    Die Surprise-Nationalmannschaft durfte nach ihrer Rckkehr vomHomeless World Cup in Paris endlich vor heimischen Publikum zeigen,warum sie bei der diesjhrigen Obdachlosen-WM so erfolgreich war. IhrGegner beim Freundschaftsspiel an der Schweizermeisterschaft von Sur-prise Strassensport war eine illustre All-Star-Auswahl, angefhrt vomErich Hnzi. Der Berner Fussballgott sollte wie gewohnt hinten links ab-sichern, whrend Enfant terrible Mslm vorne vorhatte, was er gemsseigener Aussage am besten kann: Aufmischen und Einlochen. Die Sur-prise-Nati verstand jedoch keinen Spass und besiegte die All-Stars mit7:3. Sie lehrten dem integrationswilligen Komiker humorlos eine typischschweizerische Fussball-Unart: die ehrenvolle Niederlage.

    Da half Mslm auch nicht, dass er vor Spielbeginn jeden Nati-Spie-ler herzlichst geherzt hatte. Doch zeigte er damit charmant, dass er denGeist von Surprise Strassensport verstanden hat. Fairplay wird hier nicht

    nur gross geschrieben, sondern praktiziert. Den Chbel dafr holte die-ses Jahr Glattwgs United.

    Die Penaltys, die das Finalspiel in der Kategorie B zwischen KickersSchwarzer Peter Basel und Surprise Bern prgten, wurden denn auchnicht wegen Attacken auf den Gegner gepfiffen. Die Spieler beider Te-ams waren nach sieben Spielen unter der sengenden Septembersonneeinfach zu wackelig auf den Beinen und traten immer wieder in denStrafraum, was im Streetsoccer mit Penalty geahndet wird. Am Ende derZitterpartie entthronte Surprise Bern den Titelhalter aus Basel.

    Der andere Schweizermeistertitel ging dennoch ans Rheinknie. Dennin der strkeren Spielklasse bezwangen die afghanischen Flchtlingevon AFG Boys Basel ihre Landsleute von den AFG Boys Aarau klar mit10:3. Ihren ersten Meistertitel konnten sie jedoch erst spt nachts feiern.Erst mussten die AFG Boys Basel als Auf- und Abbauteam von SurpriseStrassensport die Street-Soccer-Arenen wieder in Basel verstauen. Die Tabelle der Schweizermeisterschaft finden Sie unter www.strassensport.ch

    Kein Durchkommen fr Mslm und das Promi-Team gegen die Surprise-Nati.

  • 16 SURPRISE 260/11

    Surprise StrassensportDie Liga 2011

    Glattwgs United ZrichGewinner Fairplay-Trophe

    FC Barracudas Frenkendorf Surprise BaselAFG Boys BaselSchweizermeister Kategorie A

    Schwarzwald Brasilianer, Lrrach Surprise Zrich

    18 Teams aus der Deutschschweiz massen sich diese Saison bei den Streetsoccer Turnierenvon Surprise. Mehr Infos zu den Teams und der Liga unter: www.strassensport.ch

    BILDER: RUBEN HOLLINGER

    Ohne Foto: TASCH Schaffhausen; Street Soccer Basel

  • 17SURPRISE 260/11

    FC Haudenbe ZrichSFC Olten AFG Boys Aarau

    AC Gassechuchi Luzern Jarajoo BernDie Schiedsrichter der Surprise- Strassensport-Liga

    Surprise Bern Schweizermeister Kategorie B Kicker Schwarzer Peter Basel Team Olten

  • 18 SURPRISE 260/11

  • 19SURPRISE 260/11

    VON DIANA FREI (TEXT) UND ANDREA GANZ (BILDER)

    Fhrt man man von Luzern mit der S6 Richtung Entlebuch, wird esnach etwa zehn Minuten zur Linken sichtbar, das Chileli von Malters,markantes Erkennungszeichen des Dorfes. Es bettet sich in Hgel ein,die hellgrn leuchten, wenn an schnen Abenden langsam die Sonnehinter dem Horizont verschwindet und ihre letzten Strahlen ins Tal derKleinen Emme schickt. Am zweigleisigen Bahnhof wird gebaut. Ein un-gewohntes Bild fr einen Ort, an dem die alten Schindelhuser das Ge-fhl vermitteln, es bleibe ein Stein auf dem anderen, fr immer.

    Einmal aber wurde die Idylle der 6650-Seelen-Gemeinde gestrt. Vonaussen gestrt. Elf Jahre ist es her, dass es in Malters neun Monate langunruhig wurde. Anwohner des usseren Dorfgebiets meldeten uns, esfnden am Wochenende Veranstaltungen statt, sagt Ruedi Amrein, derdamals Gemeindeprsident war und es noch immer ist, es habe vor al-lem Tffahrer mit auslndischen Kennzeichen, die in der Quartierstras-se in ein Gelnde eines privaten Unternehmers hineinfahren wrden,und zum Teil sehr schnell. Der Gemeinderat suchte mit dem Eigent-mer der Liegenschaft das Gesprch und es kam die Ahnung auf, dass essich um Rechtsextreme handeln knnte. Der Gemeinderat legte demVermieter einem FDP-Lokalpolitiker nahe, den Personen den Miet-vertrag zu kndigen. Der blieb aber stur. Trudy Haldi, FDP-Kantonsr-tin aus Malters, meint: Ich glaube nicht, dass er ernsthaft mit demRechtsextremismus sympathisierte. Er hatte ja als Arbeitgeber selberAuslnder angestellt. Er war alles andere als ein Rassist. Aber er war infinanziellen Nten, und wenn der Mieter bezahlte, war die Sache fr ihnerledigt. Wenige Monate spter meldete er Konkurs an.

    Die Rechtsradikalen 2000, das war ein importiertes Problem, sagtAmrein. Alle sagen das in Malters. 1990 grndeten sich in Luzern dieSchweizerischen Hammerskins als eine Organisation mit elitremFhrungsanspruch, drei Jahre spter entstand im Raum Sempach dieUntergruppierung Morgenstern. Deren Mit-glieder stiessen auf der Suche nach einem Sze-nelokal auf die Rume in Malters. Die, die sichregelmssig trafen, waren Schweizer, aber kei-ne Malterser. An den grossen Veranstaltungenwie zu den Geburtstagen von Hitler und Hessfuhren Englnder ein, Niederlnder, Deutsche.

    Pltzlich hatte Malters ein Imageproblem. Die Dorfbewohner konn-ten im Blick nachlesen, was in der eigenen Gemeinde passierte.Wenn ich Medienberichte las, die mit Hakenkreuzen bebildert waren,ist mir das schampar eingefahren, sagt Kantonsrtin Trudy Haldi. Inden Strassen sah man die Neonazis aber kaum.

    Die Wirtsleute dagegen lernten sie persnlich kennen. In der Brauereiversammelten sie sich regelmssig vor ihren Veranstaltungen und im Ho-tel Kreuz trafen sie sich alle zwei, drei Wochen. Ich hatte das Gefhl,denen ging es einfach darum, zu spren, was ber sie geredet wird imDorf, sagt Pia Fallegger, Wirtin im Kreuz. Grundstzlich sei die Sachevon den Medien etwas hochgespielt worden: Wir sind von Gsten an-gesprochen worden, die fragten: Wie geht es euch da hinten in Malters?Es war fr uns aber keine gewaltige Sache. Man wusste: Die sind da.Punkt. Und man war sehr wachsam. Aber eigentlich eigentlich ist janichts passiert. Oder? Die Neonazis demolierten nichts, der Bevlke-rung gegenber waren sie zurckhaltend und sie tranken keinen Alko-hol. Trotzdem war abgemacht, dass die Mitarbeiter das Wirtepaar sofortinformierten, wenn sie kamen: Ich habe Prsenz markiert. Wenn manwusste, die sind da, bin ich immer in der Gaststube gestanden. Ich hat-te das Gefhl, die htten mehr Konfrontation erwartet. Aber den Bodenhaben wir ihnen gar nicht gegeben. Wenn einer der anderen Gste ag-gressiv reagierte, sagte sie: Hey, das sind Gste wie alle anderen auch.Ich habe die Sache heruntergekocht, damit sie gar nicht eskalierenkonnte, sagt Pia Fallegger, wir haben sicher nicht das gleiche Gedan-kengut. Aber man ist in einem Dorf und muss schauen, dass man mit al-len auskommt.

    Vor allem bers Benehmen geredetTrotzdem mussten die Wirtsleute in Malters eine gemeinsame Hal-

    tung finden. Pia Falleggers Mann Pirmin organisierte zusammen mit denanderen Wirten ein Treffen, damit man sich absprechen konnte. Manwurde wachsamer, und wenn sich eine Gesellschaft anmeldete, fragteman schneller einmal nach: Was ist das fr ein Verein?

    Heidi Snoek war zu jener Zeit Wirtin im Restaurant Kloster. Zusam-men mit den Wirten vom Muoshof und der Metzgerhalle lud sie die Neo -nazis zu einer Aussprache im Kloster ein. Snoek wollte das Problem an

    der Wurzel zu packen. Und die Neonazis kamen. Drei oder vier von ih-nen. Sie haben dann von ihren Idealen erzhlt, wofr sie kmpfen undso weiter. Sie redeten immer vom Arbeiter. Ich fand die Grundideale dass man zum Arbeiter ein bisschen besser schauen muss nicht soschlecht. Aber wir haben vor allem ber ihr Benehmen geredet. Die

    Im Jahr 2000 kamen ungebetene Gste nach Malters. Rechtsextreme brachten die LuzernerGemeinde in die Schlagzeilen. Das Dorf haderte mit seinem Image und fragte sich, wie weitGastfreundlichkeit gehen muss. Elf Jahre spter schauen die Bewohner zurck und erffnenEinblicke in die Dorfseele.

    Patriotismus Als im Kloster Nazis schliefen

    Wir haben sicher nicht das gleiche Gedanken-gut. Aber man muss schauen, dass man mit allenauskommt.

  • 20 SURPRISE 260/11

    Wirte liessen sich auf keine ideologischen Diskussionen ein, sie usser-ten keine politische Meinung. Doch sie sagten den Rechtsextremen, siewnschten nicht, dass sie in den Restaurants randalierten. Und dieseLeute haben das eigentlich ganz gut begriffen, sagt Snoek. Nur tauch-ten sie weiterhin Samstag fr Samstag auf. Da begann sie, das ganze Re-staurant weiss aufzudecken. Die Neonazis provozierten und sagten:Wir kommen trotzdem rein, ob ihr nun gedeckt habt oder nicht. Alseine Gruppe kahlgeschorener Skins aus Holland mit einem fnfjhrigenKind im Kloster logierte, schottete sie Heidi Snoek im Sli etwas ab. Un-wohl hat sie sich nie gefhlt: Die Aussprache hat mir innerlich Kraft ge-geben. Weil wir dann sagen konnten: Wir haben mit eurem Obmann ge-redet, er hat mir seine Zusicherung gegeben, dass nichts passiert. Voil.Ich hoffe, ihr steht zu euren Worten. Sie war trotzdem froh, als sie dannspter wieder weg waren.

    Gutbrgerliche AkzeptanzDas etwa 150 Quadratmeter grosse Lokal der Neonazis lag in einem

    riesigen Keller, der in etliche einzelne Abteile unterteilt war, die der Ei-gentmer einzeln vermietete. Hobbyrume waren da, Probelokale frTeeniebands. Bei den Neonazis gab es eine Tanzflche, eine lange Bar,und auf einem eingebauten Zwischenboden konnten sicher zehn bis 20Personen bernachten. Die Skins hatten den Raum fr etwa 40 000 Fran-ken ausgebaut und tauften ihn Nibelungensaal. Einige Meter davonentfernt war das Asylantenheim. Passiert ist nie etwas.

    Der ganze Keller hatte zwei Lifte, von denen nur einer einwandfreifunktionierte, und eine Treppe. Wre dort unten Feuer ausgebrochen,htte es vermutlich Tote gegeben und dieser Umstand sollte sich alsGlcksfall erweisen: Der ganze Keller konnte feuerpolizeilich geschlos-sen werden, nachdem in den Wochen zuvor klar geworden war, dassman keinerlei juristische Handhabe gegen die rechtsextremen Besucherhatte. Die Schliessung erfolgte nicht aufgrund der Strafrechtsnorm261bis StGB: Die Treffen der Neonazis galten als private Veranstaltungenund fielen somit nicht unter das Antirassis-musgesetz.

    Das Problem schien gelst, doch die Skin-heads akzeptierten die Schliessung nicht. Sieliessen sich weiterhin in den Beizen blickenund kndigten an, sie wrden Spalier stehen,falls man ihnen Hausverbot erteilen wrde.Ein Hakenkreuz wurde ans Gemeindehaus gesprayt. Die Reaktionenaus dem Dorf waren erstaunlich, sagt Ruedi Amrein, denn die Rechts-radikalen waren alle arbeitsttig und griffen niemanden an. Einige Leu-te sagten deshalb zu uns: Was fllt euch ein, gegen die vorzugehen?Die arbeiten ja und beschdigen nichts. Und manchmal wurde gesagt:Nicht wie die Linken. Nationale Symbole hochzuhalten, fandenmanche im Dorf nicht so eine schlechte Sache. Wenn du arbeitest,nichts kaputt machst und die Schweiz achtest, wird noch einiges ak-zeptiert, sagt Amrein, und diese Reaktionen kamen nicht etwa vonLeuten, die extrem sind, sondern gutbrgerlich.

    Der Gemeindeprsident sagte zu ihnen: Ihr msst sehen, was diefeiern. Die feiern den Geburtstag von Hitler. Den Geburtstag von Hitler-Stellvertreter Hess. Amrein erzhlte, was er im Nibelungensaal gesehenhatte: Die Hakenkreuze, die auch in verfremdeter Form immer noch Ha-kenkreuze waren. Die Zahl acht berall, 88 als Kennziffer fr HeilHitler, weil H der achte Buchstabe des Alphabets ist. Damit konnte Am-rein die Leute im Dorf schnell berzeugen: Das wissen die Leute nicht.Ich musste das auch erst lernen.

    Die Leute htten nicht mit dem Rechtsextremismus sympathisiert,meint Amrein: Aber Teile der Bevlkerung waren sicher so unzufrie-den, dass sie ein gewisses Verstndnis dafr hatten. Die Stimmung seium das Jahr 2000 aufgeheizt gewesen: Wir hatten mehr Arbeitslose,wir hatten viele Leute aus Ex-Jugoslawien. Die rechtsradikale Bewegungbekam Aufwind in Deutschland. Im September wurde die rechtsextre-

    me Partei National Orientierter Schweizer PNOS gegrndet. Es war ei-ne Zeit, in der Rechtsextreme in die Politik einsteigen wollten, sagt Am-rein. Mit Pbeleien aufzufallen, lag nicht in ihrem Interesse.

    Im Stechschritt einmarschiertDer damalige CVP-Parteiprsident Josef Furrer ging sich das Gesche-

    hen am Dorfrand relativ frh ansehen. Und er kam zu einer eindeutigenMeinung: Wie die alle zusammen mit ihren Autos anfuhren, wie sie inReih und Glied einparkierten, ausstiegen, sich formierten wie im Deut-schen Reich und dann im Stechschritt runtermarschierten in ihren Kel-ler da war schnell klar: Das war nicht, was wir hier wollten.

    Nachdem die Schliessung des Nibelungensaals rein pragmatisch er-folgt war, war das Bedrfnis da, auch politischen Druck auszuben. Esfolgten mehrere Interpellationen, mit denen Trudy Haldi und Ruedi Am-rein im Kantonsrat Fragen grundstzlicher Natur stellten: Sind unsererechtsstaatlichen Mittel gengend, um das Problem zu lsen? Haldihielt fest: Wir haben im Herbst in den Schulen von Malters ein Projektber Sucht und Gewalt. Ich bin der Meinung, dass wir die Chance nut-zen mssen und das Thema Extremismus miteinbeziehen sollten. DieDorfidylle durfte Risse bekommen, und das Dorf war einverstanden da-mit. Man darf nicht einfach immer nur die Augen verschliessen und sa-gen: Wir leben in einer heilen Welt, meint Trudy Haldi rckblickend.

    An der Kundgebung Stopp dem Rechtsextremismus vom 2. Sep-tember hielt Gemeindeprsident Ruedi Amrein eine Rede: Ich rufe alle

    Gste wie andere auch. Alle zwei Wochen sassen Skinheads im Kreuz.

    Was fllt euch ein, gegen die vorzugehen?Die arbeiten ja und beschdigen nichts.

  • 21SURPRISE 260/11

    rechtsextremen Kreise auf: Wacht aus euren schlechten Trumen auf.Ihr wollt die Heimat schtzen, dabei macht ihr sie kaputt. Ich fordereeuch auf: Zieht an neue Ufer, rtlich wie geistig, richtet eure Ziele neu.Die rund 400 anwesenden Malterser bejubelten die klare Stellungnah-me. Amrein wandte sich an weitere Adressaten: Ich fordere die Parteienauf: Achtet bei eurem Vorgehen darauf, welche Gefhle ihr auslst. Ex-tremismus ist zu gefhrlich, als dass er als Wahlkampfmittel eingesetztwerden knnte.

    Es dauerte danach noch zwei Monate, dann waren die Neonazis weg.Der Luzerner Regierungsrat erliess im September 2000 ein Strategiepa-pier gegen den Rechtsextremismus. Die Beratung und Untersttzung

    Die Malterser Bevlkerung will das nicht. Der ehemalige CVP-Prsident Josef

    Furrer (links) und Gemeindeprsident Ruedi Amrein.

    Ich wollte mit denen reden. Heidi Snoek, Ex-Wirtin des Klosters.

    FR ALLESTATTFR WENIGEAm 23. Oktober: SP whlen!

    Anzeige:

    von Gemeinden oder Brgern stand dabei im Zentrum. Es wurde einekoordinierende Fachstelle gegen Rechtsextremismus eingerichtet, die esheute allerdings aufgrund der abnehmenden Zahl an Anfragen nichtmehr gibt. Das Erziehungs- und Kulturdepartement liess fr die Schuleneine Broschre mit dem Titel Mit vereinten Krften gegen Rechtsextre-mismus und Rassimus erarbeiten. In Matura- und Abschlussklassenwurden Arbeiten zum Thema Rechtsextremismus verfasst.

    In Malters ist lngst wieder Ruhe eingekehrt. In die Liegenschaft amDorfrand sind neue Firmen eingezogen. Auf dem Flachdach steht einMann und geniesst den Abendwind, whrend hinter den Hgeln dieSonne untergeht. Elf Jahre sind eine lange Zeit.

  • 22 SURPRISE 260/11

    kationsberatern aufgeschwatzte knallroteKrawatten tragen, um damit auszudrcken: Ichbin den Idealen der Partei treu geblieben (rot),aber trotzdem ein seriser Schaffer (Krawatte).

    Wer dazu noch, wie ich, lieber zuhrt, wievor dem Haus Geleise abgeschliffen werden,als einer Arena oder sonstigen Polit-Talk-Sendung zu lauschen, der muss die Listen ge-nau durchforsten und einfach wird es nicht,whlbare Leute darauf zu finden. Wieso sichdie Mhe machen, warum nicht einfach, wiedie Mehrheit, gar nicht erst whlen gehen?Nicht weil ich glaube, dass unser System per-fekt ist, es ist in vielen Bereichen reformbe-drftig. Aber weil es mir dekadent vorkommt,Grundrechte, fr die sich Leute in anderenLndern berall auf der Welt, zuletzt in Li-byen, gypten, Syrien, unter Gefahr ihres Le-bens einsetzen, einfach zu verschmhen. Auchwenn nur selten einer der von mir gewhltenKandidaten zu Amt und Ehren kommt.

    Aufschluss darber, wer im Parlament dankIhrer Stimme wessen Interessen vertritt, be-kommen Sie hier: http://parlament.infocube.ch/

    STEPHAN PRTNER

    ([email protected])

    ILLUSTRATION: MILENA SCHRER

    ([email protected])

    Bald stehen wieder Wahlen an. Ich gehrekeiner Partei an und vertraue auch keiner soganz. Mal bin ich einverstanden mit dem, waseine Partei verkndet, dann wieder stehen mirdie Haare zu Berge. Ich bin ein Mugwump.Dieses englische Wort steht fr jemanden, derunabhngig denkt und insbesondere der Par-teipolitik abgeneigt ist. Der Begriff bezeichne-te in den USA auch Republikaner, die sich 1884gegen den Kandidaten ihrer Partei ausgespro-chen hatten, und ist nicht freundlich gemeint.Das kmmert mich wenig.

    Wie also whlt man, wenn man nicht ein-fach eine Liste einwerfen will? Ich tue diesnach einem Ausschlussverfahren. Wer michfr dumm verkauft, wird gestrichen.

    Wer also behauptet, es ginge ihm oder ihrnicht um die eigene Person, sondern um dasLand, das Volk, die Natur etc: gestrichen. Leu-

    Wrter von PrtnerDas Streichkonzert

    te, die finden, der Staat msse sparen, ausserbei ihnen und ihrer Klientel; die den Staat undseine Organe als berflssig und untauglichdiffamieren, bis es an ihre Pfrnde geht, wor-auf der Staat sofort eingreifen und retten soll:gestrichen. Wer die Regulierung der Finanz-mrkte bisher abgelehnt hat und jetzt, da dieDevisenspekulation am eigenen Wohlstandnagt, nach Regulierung ruft: gestrichen.

    Ferner streiche ich Leute, die niemals einenFehler zugeben oder, wenn es gar nicht mehranders geht, sagen, ihr einziger Fehler sei der,zu nett/vertrauensvoll/naiv gewesen zu sein.Das ist die Standartantwort aller Betrger undHochstapler.

    Wer andere verhhnt und verlacht, selberaber nicht ertrgt oder sogar nach der Polizeiruft, wenn ber ihn gelacht wird: gestrichen.

    Leute, die Leistung und Eigenverantwortungpredigen und damit ihre Lizenz zum Abgreifenrechtfertigen, im Falle von Verlust und Misser-folg aber nie etwas dafr knnen: gestrichen.

    Dann gibt es noch jene, die das Parlamentals Schwatzbude abtun, selbst jedoch keine Ge-legenheit auslassen, ihre Hirnwinde daselbstwehen zu lassen. Oder die, die einmal gewhlt,vor allem durch Abwesenheit glnzen. Politi-ker, die kein anderes als ihr Mandatseinkom-men haben, sind mir ebenso suspekt wie Poli-tiker, die so tun, als seien sie gar keine Politiker.

    Ich persnlich whle auch keine Mnner,die wahrscheinlich von windigen Kommuni-

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  • 23SURPRISE 260/11

    Virtuelle AusstellungDas Chaos als Inspiration

    VON SARAH STHLI

    Citysharing steht fr eine aktive Teilhabe an der Gestaltung derWelt, fasst Rayelle Niemann das Konzept des Webprojekts zusammen,das 2006 gegrndet wurde und seit drei Jahren von Niemann und ErikDettwiler betreut wird. Knstler und Knstlerinnen aus der ganzen Weltprsentieren auf der Webseite ihre Texte, Videos, Soundschnipsel undFotos, mit denen sie das urbane und politische Geschehen reflektieren.Es sind alles Projekte, die ber ihre lokale Bedeutung hinaus eine Aus-sagekraft haben, so Niemann: Aus den Fragmenten, Schnittstellenund Beobachtungen generiert sich ein sich stetig vernderndes Mosaikaus Ecken und Orten des Globus und den Menschen, die dort leben.

    Das Projekt forget 2 forget zum Beispiel: Als Gedenken an das Mas-saker auf dem Pekinger Tiananmen-Platz fhren Menschen in ber 20Stdten von Bielefeld ber Melbourne bis nach Mexico City 20 Jah-re nach dem Massaker eine Choreografie auf, instruiert ber Youtube,die den Bewegungen des unbekannten Mannes nachempfunden sind,der am 4. Juni 1989 den Panzern Paroli bot. Dieses Projekt gefllt mir,weil es sich der Idee einer Autorenschaft vllig entzieht, es gibt kein Co-pyright. Im Gegenteil: Erst du und ich machen die Idee zu einem Pro-jekt. Dahinter steckt eine klare Stellungnahme und Botschaft, berzeu-gend und poetisch umgesetzt, erklrt die Webseite-Kuratorin. Sie siehtdie Internetplattform als stndig wachsende Ausstellung, die zeitlicheund rumliche Grenzen berschreitet. Die tgliche Statistik offenbare,dass die Seite unter anderem in Japan, Sdafrika und Jordanien gesich-tet wird: Eine Wanderausstellung mit dieser Reichweite wre kaumdenkbar. Und um interessierte Besucher mssen sich die Betreiber kei-ne Sorgen machen: Citysharing funktioniert nach dem berhmtenSchneeballsystem: Neue Beitrge erweitern die Community und jederAutor bringt wieder sein eigenes Netzwerk mit.

    In ihrem eigenen auf Citysharing vertretenen Projekt A Strollthrough Cairo and Time hat Rayelle Niemann auf langen Spaziergn-gen durch die unterschiedlichsten Viertel Kairos immer wieder dasselbeMotiv fotografiert: einen Fiat 1100. Die von mir gewhlte Perspektiveerzhlt die Geschichte eines Autos, das nach und nach aus dem Stras-senbild verschwinden wird. Der Fiat 1100 war das erste erschwinglicheFamilienauto in gypten. Anfang der Sechzigerjahre schloss der dama-lige gyptische Prsident Gamal Abdel Nassers mit Fiat Turin einen Han-delsvertrag ab, der es ermglichte, importierte Einzelteile des Fiat 1100in einer eigens dafr errichteten Fabrik zu einem Auto zusammenzuset-zen. Es wurden Arbeitspltze geschaffen und die Produktion der Autosbeflgelte einen wachsenden Nationalstolz, sagt Niemann. Die Fabrikgibt es seit Ende der Siebzigerjahre nicht mehr. Mein Projekt erzhlt dieGeschichte einer Stadt, ihrer Brger und einem Transportmittel. Die ei-

    gentliche Stadt, ihre Architektur, tritt jedoch diskret in den Hintergrundund wird zur Bhne fr den Fiat 1100.

    Die Schweizerin lebt und arbeitet seit 2003 in Kairo. Ausgerechnetwhrend den Demonstrationen auf dem Tahrir-Platz war sie fr neunMonate in die Schweiz zurckgekehrt: Die 18 Tage der gyptischen Re-volution habe ich im Kreis 5 in Zrich im Internet verfolgt.

    Trotz des Aufbruchs liege eine Schwere ber der Stadt, sagt Nie-mann. Die Armut ist geblieben, die Militrprozesse gehen weiter, dasNotstandsgesetz wurde erneuert. Lehrer, Fabrikarbeiter, Studenten strei-ken, viele Menschen sind verunsichert und es gibt sehr, sehr viel zutun. Gleichzeitig geschehe in Kairo Erstaunliches, das den politischenWandel sprbar mache: Ein Verkehrsrondell in meiner unmittelbarenNhe war frher immer vollgemllt und zugeparkt. Nach der Revolutionhaben sich Bewohner, Ladenbesitzer und Teile der Stadtregierung zu-sammengetan und frischen Rasen angest, eine Agave gepflanzt und dieStmme der Bume in den Farben der gyptischen Nationalflaggen an-gemalt. Tglich wird der Platz gegossen und sauber gemacht. Trotz-dem: Kairo bleibe ein Chaos der permanenten Widersprche. Eineberwltigung, die aber auch sehr inspirierend sein knne. Das Chaosder Grossstadt als Inspirationsquelle: Es ist eines der wiederkehrendenThemen auf der virtuellen Spielwiese Citysharing.

    www.citysharing.ch

    Aus dem Stadtbild von Kairo auf die virtuelle Spielwiese: Der Fiat 1100.

    Ein Fiat als Symbol des Wandels in Kairo, Menschen, die im Gedenken an das Massaker auf dem Tiananmen-Platz Choreografien auffhren die Internetplattform Citysharing versammelt knstlerische Auseinanderset-zungen mit stdtischen Szenen aus allen Ecken der Welt.

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    2007

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    Kulturtipps

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    BuchSprachschatzkstlein

    Die Schweizer Sprachlandschaft ist ein Flickenteppich. Doch wasdem einen ein Graus, ist der anderen eine unerschpfliche Fund-grube gmgiger Ausdrcke.

    VON CHRISTOPHER ZIMMER

    Dialekt hat mehr zu bieten als Zungenbrecher und Schenkelklopfgaran-ten fr Sprachtouristen, Klassiker etwa wie Chuchichschtli oder DrPapscht hets Schpck-Bschteck z'schpot bschtellt (wobei Letzteres sicherst in der phonetischen Annherung als latent krperverletzend outet).Dialekt ist nicht nur Zungen- und Lippenakrobatik nebst gaumig-kehli-gem Timbre. Nein, Dialekt, im Besonderen die Schweizer Mundart, istauch und vor allem ein Sprachschatzkstlein. Als solches kommt auch das Bchlein Dialektisch daher, das 112 Kurz-texte zu Mundartwrtern und -ausdrcken von Aahuel bis zwgversammelt. Ursprnglich als Beitrag des Tagesanzeigers (dem Tagi)zum Dauerbrenner Schweizer versus Deutsche gedacht, wurde darausin Krze eine beliebte Kolumne und nun auch ein Buch: schweizer-passrot und -gross, mit einem hochgestellten Schweizerkreuz nebendem Titel, das die Mundart zum eingetragenen Markenzeichen adelt.Wissenschaftliches hat dieser helvetische Kleinstalmanach nicht imSinn. Vielmehr ist er eine lust- und humorvolle Annherung an eineSprache, die ebenso vielfltig ist wie dem Kantnligeist verpflichtet. Je-der Marktflecken kocht sein eigenes Sprachspplein ein Unding in Sa-chen Einheitssprache, aber in punkto Sprachreichtum ein Glcksfall.Aus diesem Fllhorn finden sich in Dialektisch reichlich Kostproben,die selbst Einheimischen so manche Knacknuss aufgeben wie chrbele,hscherle, htterle und Co. Und wenn nicht das, so doch erhellendErheiterndes, wenn man etwa erfhrt, dass ausgerechnet der, der Fdli,nmlich das verlngerte Rckgrat hat, das Gegenteil eines Fdlibr-gers ist. Oder dass das beschnigende gmugget seine tierische Ent-sprechung im hochdeutschen gemopst hat.Was Dialekt ist so der Untertitel , enthllt sich zwar nicht, doch dassdieser viel zu bieten hat, umso mehr. Und damit eignet sich dieses Buchnicht nur als Morgengabe fr Nicht- und Neu-, sondern ebenso fr Ur-schweizer. Lsst sich doch, wie es im Vorwort heisst, in Kenntnis dersprachlichen Eigenheiten auch das andere entspannter betrachten. Dialektisch. Was Dialekt ist. Hrsg. von Guido Kalberer. Drlemann 2011. CHF 19.80.

    PopDie versteckte Festplatte

    Als ausgebildete Opernsngerin kennt sich Shara Worden aliasMy Brightest Diamond mit berpraller Musik aus. Ein Wissen, dasdie Amerikanerin auf ihrem neuen Album All Things Will Unwindaufs Kreativste einsetzt.

    VON MICHAEL GASSER

    Detroit ist auf dem absteigenden Ast, verliert massenhaft Bewohner undist dennoch die neue Heimat von Shara Worden. Die Stadt fhlt sichziemlich verlassen an, gesteht die Musikerin, die bereits in zehn US-Staaten gelebt hat. In die Motor City sei sie aus einem Grund gezogen:Hier gibts billige Huschen mit Garten zu kaufen. Und genau ein sol-ches habe sie sich gewnscht, als sie im letzten Jahr Mutter wurde.Ganz sicher fhlt sich Worden in Detroit nicht. Als sie das letzte Mal ln-ger verreist sei, habe sie aus Angst vor einem Einbruch ihre Festplattegut versteckt, zu gut. Ich kann sie nicht mehr finden. Was die Verf-fentlichung ihres dritten Albums All Thing Will Unwind glcklicher-weise nicht tangiert. Obwohl die Amerikanerin zum Sound von Michael Jackson und JoanJett aufwuchs, liess sie sich zur Opernsngerin ausbilden. Dank demintensiven Vokalstudium muss ich nun nicht mehr gross auf meineStimme achten, sagt die 37-Jhrige. Die fliesst wie von selbst. Mgli-cherweise falle ihr deshalb nicht auf, dass ihr Gesang laut Musikkriti-kern opernhaft klingen soll. Fr meine letzte CD benutzte ich noch ei-ne verstrkte Gitarre, was jedoch meinen Violinisten Rob Moose arg zufrustrieren schien, so Worden. Deshalb habe sie die elf neuen Stcke inGedanken an ein Kammerorchester komponiert. Erffnet wird All Things Will Unwind durch We Added It Up. Mit ei-ner Ragtime-Melodie, einer zwitschernden Klarinette und schwofendenGeigen. She Does Not Brave The War, eine Ballade im klassischenFolk-Sinn, stellt Harfe und Holzblser zum Gesang in den Vordergrund,whrend High Low Middle trompetenhaft swingt. Die stets tnzelndeStimme der Knstlerin krallt sich die Noten oder springt ber sie hin-weg, leicht und prchtig affektiert. All Things Will Unwind ist einedick aufgetragene, eklektische und beraus sinnliche Affre. Den dich-ten Sound live mit Orchester aufzufhren, das werde sie sich kaum leis -ten knnen, erklrt Worden. Bleiben Soloauftritte. Und fr die be ichnun tchtig Ukulele und Zither.My Brightest Diamond: All Things Will Unwind (Asthmatic Kitty/Irascible),

    erhltlich ab 14. Oktober. Live: 23.10., Papiersaal, Zrich.

    Prchtig affektiert: Shara Worden trgt als My Brightest Diamond gern dick auf.

    Poschte, nid mugge das Dialektbuch.

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    Die 25 positiven FirmenDiese Rubrik ruft Firmen und Institutionenauf, soziale Verantwortung zu bernehmen.Einige haben dies schon getan, in dem siedem Strassenmagazin Surprise mindestens500 Franken gespendet haben. Damit helfensie, Menschen in pre kren Lebensumstn-den eine Arbeitsmglichkeit zu geben undsie auf ihrem Weg zur Eigenstndigkeit zube g leiten. Gehrt Ihr Betrieb auch dazu? DieSpielregeln sind einfach: 25 Firmen werdenjeweils aufgelistet, sind es mehr, fllt jenerBetrieb heraus, der am lngsten dabei ist.

    Mchten Sie bei den positiven Firmen aufgelistet

    werden?

    Mit einer Spende von mindestens 500 Franken

    sind Sie dabei! PC-Konto: 12-551455-3,

    Verein Strassenmagazin Surprise, 4051 Basel

    Zahlungszweck:

    Positive Firma + Ihr gewnschter Eintrag.

    Wir schicken Ihnen eine Besttigung.

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    Philip Maloney, Privatdetektiv

    VXL gestaltung und werbung ag, Binningen

    Scherrer & Partner GmbH, Basel

    Balcart AG, Carton Ideen Lsungen, Therwil

    KIBAG Bauleistungen

    responsAbility, Zrich

    Odd Fellows, St. Gallen

    Coop

    Arbeitssicherheit Zehnder GmbH, Ottenbach

    Velo-Oase Bestgen, Baar

    Schweiz. Tropen- und Public Health-Institut, BS

    Augusta-Raurica-Loge Druidenorden Basel

    Druckerei Hrzeler AG, Regensdorf

    Klinik Sonnenhalde AG, Riehen

    Stellenwerk AG, Zrich

    www.bauernschlau.ch, Hof, Web, Kultur

    Axpo Holding AG, Zrich

    AnyWeb AG, Zrich

    Niederer, Kraft & Frey, Zrich

    Gemeinntziger Frauenverein Nidau

    Knackeboul Entertainment, Bern

    Locher Schwittay Gebudetechnik GmbH, Basel

    Kaiser Software GmbH, Bern

    Responsability Social Investments AG, Zrich

    Lions Club Zrich-Seefeld

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    KinoGeteiltes Leid

    Ein lyrischer Roadtrip durch Zentralrussland, eine Spurensuchenach einer lngst vergessenen Kultur, ein enigmatisches Lehr-stck in Trauerarbeit Silent Souls des russischen RegisseursAleksei Fedorchenko ist vor allem eine Ode an die Zweisamkeit.

    VON THOMAS OEHLER

    Traditionen helfen uns im Umgang mit Dingen, mit denen wir aus reinpersnlicher Entscheidungsgewalt sonst nicht umgehen knnten. ZumBeispiel: dem Tod. Mirons Frau Tatjana ist gestorben. Er beschliesst, sienach Sitte der Merja-Kultur, zu der er sich zugehrig fhlt, zu bestatten.Die Merja waren ein Volk finno-ugrischer Herkunft im Gebiet nrdlichvon Moskau, das vor Urzeiten von den Russen absorbiert worden ist.Miron holt sich die Untersttzung eines Arbeitskollegen: Aist, des Er-zhlers des Films. Gemeinsam machen sie sich auf den Weg durch dienasse und triste russische Landschaft im Gepck die Leiche und einKfig mit Aists zwei Vgeln (Jemand muss sie ja fttern). Auf der Rei-se erfahren wir nicht nur intime Details aus dem erotischen Leben Mi-rons und Tatjanas, sondern auch, dass Aist selber in Tatjana verliebtwar. Und dass Aists Vater einst am Tod seiner Frau verzweifelt ist. DieGeschichte wiederholt sich.Vieles bleibt rtselhaft in diesem melancholisch-sinnlichen Film. Gab eszum Beispiel diese Merja wirklich? Regisseur Fedorchenko betont gerne,Fiktion und Dokumentation seien gar nicht so verschieden. Bekannt wur-de er notabene mit einem geflschten Dokumentarfilm ber die angeb-lich erste russische Mondlandung 1930 (First on the Moon, 2005). Undwas bedeuten diese beiden Vgel, deren russische Bezeichnung Ovsy-anki immerhin der originale Filmtitel und (oha!) der Mdchenname Tat-janas ist? Und wie hngen Frau und Fluss und ja, klar! Sex undTod zusammen? Und woran ist Tatjana eigentlich gestorben? Denn siebleibt bei aller Liebe und Erzhlung Mirons doch seltsam fremd.Bemerkenswert ist, dass es in diesem Film trotz aller Tristesse fast kei-ne einsamen Personen gibt: nicht Miron vor dem Tod seiner Tatjana,nicht die beiden Mnner danach, nicht die Prostituierten, denen sie aufdem Nachhauseweg begegnen. Selbst die Vgel sieht man immer nur zuzweit. Eine trstliche Botschaft des Films knnte also sein: Traditionsetzt Gemeinschaft voraus und die ist es, die uns die Schrecken der Weltertragen lsst.Silent Souls, 77 Minuten, mit Igor Sergeyev, Yuri Tsurilo u.a.

    Der Film luft ab 13. Oktober in den Deutschschweizer Kinos.

    Immer zu zweit: Regisseur Fedorchenko lsst seine Figuren nicht allein.

  • 26 SURPRISE 260/11

    Ausgehtipps

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    Lachen, weinen und fremdschmen: Pixmix wird 50.

    ZrichSchlechte Kunst

    Das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Ausge-hend von dieser Erkenntnis hauen AndreasStorm und Cathrin Strmer dem duldsamenZuschauer knstlerische Ergsse um die Oh-ren, dass es einem Angst und Bang um denFortbestand unserer Gattung wird. DiesenHerbst luft die dritte Staffel ihrer thematischgegliederten Reihe an. Das Motto: Schlimmergeht immer. Was sie damit meinen, konnteman zum Beispiel in Folge fnf zum ThemaMusik am eigenen Leib erleben. Die Behaup-tung war kein bisschen gelogen, und das, ob-wohl der Abend mit einem singenden JrgHaider vor sterreichischer Bergkulisse be-gonnen hat. Was kann schlimmer sein? ZumBeispiel der Reggae-Song, der am Fest zum ja-maikanischen Unabhngigkeitstag aufgefhrtwurde und zum Abknallen aller Schwulenaufruft. Oder Songs aus dem Genre des Fka-lien-Rap, Beispiele knnen sie sich (hoffent-lich nicht) vorstellen. Die erste Folge der neuenStaffel drfte etwas geniessbarer und heitererwerden: Das Thema ist Esoterik. Von Entfh-rungen im Dreilndereck ber Indigo-Kin-der bis zu frauenfeindlicher Esoterik wird inSturm Strmers neusten Lecture Performancedie Rede sein. Und das im Jahr des Maya-Kalender-Weltuntergangs! (fer)Storm Strmer: Worst Case Szenarios.

    Schlechte Kunst. Vortrge mit Fallbeispielen.

    Folge 11: Esoterik, 18. Oktober, 20.30 Uhr,

    Theaterhaus Gessnerallee Zrich.

    Hauen drauf, wo Kritik sinnlos ist: Strmer und Storm.

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    Russische Familie: Alltag oder Bilderbuchszene?

    JUBILUMSKONFERENZ VON PEACE BRIGADES INTERNATIONAL:WIE KNNEN WIR DEN SCHUTZ FR MENSCHENRECHTS-VERTEIDIGERINNEN VERBESSERN? 19.OKTOBER 2011, GENFEs diskutieren Betroffene sowie UNO-,Regierungs- und NGO-Vertretende. Die interessierte ffentlichkeit ist herzlich

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    eingeladen. Eintritt frei.Sprachen: Englisch und Spanisch.

    Infos und Anmeldung: peacebrigades.ch/conference [email protected]

    Anzeige:

    Bern6 Minuten 40 Ruhm20 Menschen zeigen 20 Bilder je 20 Sekun-den. Dies ist die Vorgabe, der Rest ist prak-tisch frei. Jeder darf auf die Bhne. Das kannzum Lachen sein: Zum Beispiel, wenn derDampfzentrale-Wirt mithilfe von Powerpointund Erdnssen den Ablauf der Finanzkrise er-klrt, whrend im Hintergrund zwei seiner K-che auf mitgebrachten Herdplatten eine Deli-katesse zubereiten. Es kann zum Heulen sein,wenn ein Musiker ein Requiem for animalsspielt und dazu Fotos von berfahrenen Tierenzeigt. Oder es kann zum Fremdschmen sein,wenn aber schauen Sie doch selbst! Amnchsten Pixmix wird ein besonders buntesberraschungsfeuerwerk gezndet, es wirddie 50. Ausgabe gefeiert. Der Eintritt ist frei,wer sitzen will, sollte vor acht kommen. (fer)Pixmix zum 50., 12. Oktober, 20.20 Uhr, Foyer

    International, Dampfzentrale Bern. Anmeldung fr

    eigene Auftritte ab der nchsten Ausgabe (9.11.)

    wieder mglich.

    Basel Erzhlen, was istDer Knstler John Askew hat in Russland einebefreundete Familie besucht und sie und derenFreunde fotografisch festgehalten. Menschen,Blumen, Essen, Tiere und Landschaften zeigter in einem kleinen elektronischen Bilderrah-men. Er selber konnte sich mit den Portraitier-ten kaum verstndigen, er war der Aussensei-ter. Trotzdem war er eine Zeit lang Teil dieserGemeinschaft. Askew kreiert damit mit Um-weg ber die russische Familie auch seine ei-gene Geschichte.Die beiden Knstlerinnen Franoise Caracound Sabine Hagmann laden mit RealityCheck zu einer Gruppenausstellung ein, inder sie die Werke mit dokumentarischen undnarrativen Zgen vereinen. Ihnen allen ist dasErzhlerische gemeinsam und zwar nichtals Fiktion, sondern als eigene Mglichkeit,sich auf die Wirklichkeit zu beziehen. (dif)Reality Check, noch bis 30. Oktober,

    Ausstellungsraum Klingental, Basel.

    www.ausstellungsraum.ch

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    Zwei Stimmen gegen Armut: Pyro und Aernschd Born.

    Zrich/BaselGegen Armut1992 erklrte die Generalversammlung der UNO den 17. Oktober zumWelttag zur berwindung der Armut. Seither rcken an diesem Tag Be-troffene und Hilfseinrichtungen rund um den Globus die Folgen vonmaterieller und sozialer Verarmung in den Fokus der ffentlichkeit. Al-lein der Umstand, dass es ein solches Datum gibt, zeigt, wie weit wirvon einer gerechten Gesellschaft entfernt sind. Und die Welt wird kei-ne bessere, wenn Politik und Gesellschaft einmal im Jahr ihre Betrof-fenheit zum Ausdruck bringen. In Zrich und Basel zumindest bestehtdie Gefahr einer Alibibung nicht. Denn mit der Selbsthilfegruppe Pla-net13 (Basel) und der IG Sozialhilfe, einem Verein zur Verwirklichungder Menschenrechte fr Armutsbetroffene (Zrich), gehren Leute vonder Basis zu den Veranstaltern. In Zrich ist der Tag der Geschichte derVerding- und Heimkinder gewidmet, einem traurigen Kapitel schwei-zerischer Sozialpolitik, das bis heute nachwirkt. In Basel geben Armuts-betroffene Einblick in ihre Lebenswelt, zudem sprechen der SoziologeUeli Mder und die Nationalrtin Silvia Schenker. Und weil auch ernsteThemen ein bisschen Auflockerung vertragen, sorgen der Rapper Pyrosowie Aernschd Born fr Musik. (ash)Welttag zur berwindung der Armut: Montag, 17. Oktober.

    Basel, 16.30 bis 19 Uhr, Claraplatz.

    Zrich, ab 17 Uhr, GZ Riesbach, Seefeldstrasse 93.

    http://overcomingpoverty.org

    Anzeige:

    www.theater-basel.ch, Tel. +41/(0)61-295 11 33

    Rosa ist das neue grau: John Cale.

    BaselDer Andere von Velvet UndergroundLeicht hat mans nicht als alternder Rockmusiker. Schon gar nicht alsJohn Cale. Einst prgten seine Songs und seine Viola den Sound vonVelvet Underground gerade so sehr wie die Beitrge von Lou Reed.Nach seinem Ausstieg produzierte Cale die Stooges und Patti Smith underkundete auf seinen Soloalben immer wieder neue Stile. Nebenbeientwickelte sich der Waliser zu einem begnadeten Interpreten vonFremdkompositionen, unerreicht bleibt bis heute seine Piano-Versionvon Leonard Cohens Halleluja. Trotz dieser Meriten steht der Multi-Instrumentalist bis heute im Schatten von Lou Reed, dem mittlerweilenichts anderes mehr einfllt, als ein Album mit der Stadion-MetalbandMetallica aufzunehmen. Cale hingegen spielt in berschaubaren Klubsvor einem Publikum, das zu unschn weiten Teilen aus angejahrten Be-scheidwissern besteht. Und wenn dann doch mal eine junge Frau auf-taucht, wendet die sich zu ihrem Freund, whrend Cale den Velvet-Klassiker Venus In Furs fiedelt: Ist das neu, dass der Geige spielt?Das hat der Mann nicht verdient, denn seine Kunst wirkt bis heute frischund lebendig, wie die neue EP Extra Playful zeigt. Wenn wir hier et-was bemkeln mchten, dann nur, dass rosa Haare bei einem dem-nchst 70-jhrigen Mann doch ein bisschen komisch aussehen. (ash) John Cale live: 20. Oktober, 20.30 Uhr, Grand Casino, Basel.

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    AUFGEZEICHNET VON ISABEL MOSIMANN

    Bevor ich im Januar 2010 in die Schweiz einreiste, lebte ich im Su-dan und betrieb in Khartoum mein eigenes Fotostudio. Es lief sehr gut,denn ich hatte regelmssig Auftrge fr Passfotos von der nahe gelege-nen saudi-arabischen Botschaft. Doch mit der Zeit kriegte ich immermehr Probleme mit Leuten aus der Nachbarschaft, die gerne mein Stu-dio mitsamt den Auftrgen bernommen htten. Diese Leute wren f-hig gewesen, mich, als Eritreer, mit Tricks ins Gefngnis zu bringen.Dieses Risiko wollte ich nicht eingehen, denn ich war frher schonzweimal im Gefngnis gewesen, einmal in Eritrea, einmal im Libanon.

    1974, als 16-Jhriger, schloss ich mich der Revolution Army an, wel-che fr ein unabhngiges Eritrea kmpfte. Unser Land war ja stndigunter fremder Herrschaft: unter den Trken, unter italienischer Koloni-almacht, unter britischem Mandat, und nach dem Zweiten Weltkriegwurde Eritrea durch einen Entscheid der Vereinigten Nationen eine Pro-vinz von thiopien. In den vielen Jahren, in denen wir fr die Freiheitkmpften, bildeten sich innerhalb der Revolutionsbewegung verschie-dene Gruppen. Meine Gruppe beschuldigte mich zu Unrecht, ich geh-re der anderen Oppositionspartei an, und steckte mich Ende der Acht-zigerjahre acht Monate ins Gefngnis.

    Als sie mich freiliessen, ging ich ins Ausland. Ich lebte und arbeitetezuerst vier Jahre im Sudan, zog dann weiter nach Libyen und Syrien.Schliesslich landete ich im Libanon. Dort verdiente ich mein Geld nichtmehr als Fotograf, sondern ich erffnete nach einigen Gelegenheitsjobsden ersten afrikanischen Beautysalon in Beirut. Wir waren spezialisiertauf afrikanisches Haar, flochten Zpfe oder streckten auf Wunsch dieHaare.

    Nebenbei zog ich mit einem Partner eine Personalvermittlung auf frthiopier, die im Libanon Arbeit suchten. Zu diesem Zweck lebte ichauch ein paar Monate in Addis Abeba. Doch 1997 verbot die thiopischeRegierung diese Vermittlung und ich zog zurck nach Beirut. Dort hat-te ich immer noch meinen afrikanischen Salon. Mit der Zeit bekam ichaber mehr und mehr Konkurrenz von anderen Salons, die sich ebenfallsauf afrikanisches Haar spezialisiert hatten. Aus diesem Grund erneuer-te ich meine Aufenthaltsbewilligung nicht. Das war ein Fehler, denn dielibanesischen Behrden verhafteten mich und fhrten mich Anfang2005 nach zwei Monaten Gefngnis zurck nach Eritrea. Dort blieb ichkeine drei Wochen, denn hchstwahrscheinlich wre ich frher oderspter wieder verhaftet worden.

    Wieder fhrte mein Weg in den benachbarten Sudan und nach Khar-toum. Ich begann erneut als Fotograf zu arbeiten und konnte eben die-ses Fotostudio nahe der saudischen Botschaft erffnen. Als dann die Pro-bleme und Schikanen anfingen, beschloss ich, in ein demokratischesLand zu fliehen, wo ich in Frieden, Sicherheit und Freiheit leben kann.

    Fr die Pendler im Berner Bahnhof ist Negussie Weldai (52) einfach ein Surprise-Verkufer. Doch eigentlich istder Eritreer Fotograf, Personalvermittler und Spezialist fr afrikanisches Haar. Am liebsten wrde er in derSchweiz wieder mit der Kamera arbeiten.

    Nun bin ich seit bald zwei Jahren hier, zuerst im Empfangszentrumvon Vallorbe, dann wurde ich ins bernische Enggistein transferiert. DieVerantwortlichen dort gaben mir brigens den Tipp mit Surprise, weilich etwas zu tun suchte. Kurz bevor ich mit dem Heftverkauf anfangenkonnte, bekam ich mit zwei andern Eritreern eine Wohnung in Signauim Emmental vermittelt. Deshalb fing ich mit dem Verkauf in Langnauan. Das war hart, weil das Magazin dort anscheinend nicht so bekanntist. Nun bin ich glcklicherweise in Bern am Bahnhof, bei der soge-nannten Welle.

    Fr mich ist der Heftverkauf ein Glcksfall, denn so kann ich einenTeil meines Lebensunterhalts selbst verdienen. Es ist das erste Mal inmeinem Leben, dass ich nicht fr mich selber sorgen kann. Das ist frmich sehr ungewohnt und auch unangenehm. Eine andere Arbeit kannich zurzeit nicht suchen, weil ich erst die Aufenthaltsbewilligung N ha-be. Wenn sich das in nchster Zeit ndert, wrde ich am liebsten wie-der als Fotograf arbeiten. Ich habe eine Digitalkamera, kenne mich abernoch nicht aus mit der hier blichen Technik. Aus dem Grund versucheich jetzt, einen Fotografen oder eine Fotografin zu finden, die mir das ei-ne oder andere zeigen knnte. Das ist im Moment fr mich the apple toreach, das Ziel, das ich erreichen mchte.

    BIL

    D:

    MW

    F

    Verkuferportrt da beschloss ich, in ein demokratisches Land zu fliehen

  • 29SURPRISE 260/11

    Surprise kmmert sich um Menschen, die weniger Glck im Leben hat-ten als andere. Menschen, die sich aber wieder aufgerappelt haben undihr Leben in die eige


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