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Suhrkamp Verlag...Leseprobe Beckett, Samuel Ein Unglück, das man bis zum Ende verteidigen muß...

Date post: 19-Jun-2020
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Leseprobe Beckett, Samuel Ein Unglück, das man bis zum Ende verteidigen muß Briefe 1941 - 1956 Herausgegeben von George Craig, Martha Dow Fehsenfeld, Dan Gunn und Lois More Overbeck Aus dem Englischen und Französischen von Chris Hirte Mit zahlreichen Abbildungen © Suhrkamp Verlag 978-3-518-42456-8 Suhrkamp Verlag
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Page 1: Suhrkamp Verlag...Leseprobe Beckett, Samuel Ein Unglück, das man bis zum Ende verteidigen muß Briefe 1941 - 1956 Herausgegeben von George Craig, Martha Dow Fehsenfeld, Dan Gunn und

Leseprobe

Beckett, Samuel

Ein Unglück, das man bis zum Ende verteidigen muß

Briefe 1941 - 1956

Herausgegeben von George Craig, Martha Dow Fehsenfeld, Dan Gunn und Lois More

Overbeck Aus dem Englischen und Französischen von Chris Hirte Mit zahlreichen

Abbildungen

© Suhrkamp Verlag

978-3-518-42456-8

Suhrkamp Verlag

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SAMUEL BECKETT

Ein Unglück, das man bis zumEnde verteidigen muß

BRIEFE 1941-1956

Herausgegeben von George Craig (Editor),Martha Dow Fehsenfeld (Founding Editor),

Dan Gunn (Editor) undLois More Overbeck (General Editor)

Für die deutschsprachige Ausgabe übersetztund eingerichtet von Chris Hirte

Suhrkamp Verlag

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Titel der im Verlag Cambridge University Press, New York, veröffentlichtenOriginalausgabe: The Letters of Samuel Beckett, Volume II: -

Erste Auflage © der deutschen Ausgabe Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main

© The Estate of Samuel Beckett Einführung und Anmerkungen:

© George Craig, Dan Gunn, Martha Dow Fehsenfeldund Lois More Overbeck

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das desöffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk

und Fernsehen, auch einzelner Teile.Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form

(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)ohne schriftliche Genehmigung des Verlages

reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systemeverarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Satz: Satz-Offizin Hümmer GmbH, WaldbüttelbrunnDruck: CPI – Ebner & Spiegel, Ulm

Printed in GermanyISBN ----

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Ein Unglück,das man bis zum Ende verteidigen muß

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Samuel Beckett, Brief an Georges Duthuit, Mittwoch, . Oktober []

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INHALT

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

George Craig, Beckett und seine Entscheidung für diefranzösische Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dan Gunn, Einführung zu diesem Band . . . . . . . . . .

Chris Hirte, Vorbemerkung des Übersetzers . . . . . . . .

Briefe - . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Kurzporträts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Verzeichnis der Adressaten . . . . . . . . . . . . . . . . .

Verzeichnis der Abkürzungen und Archivquellen . . . . . .

Verzeichnis der Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . .

Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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E INFÜHRUNG

Hatte der erste Band dieser Ausgabe schon gezeigt, daß SamuelBeckett zu den großen literarischen Briefautoren des . Jahrhun-derts gehört, ist der zweite Band mit Briefen aus den Jahren

bis geeignet, diese Tatsache nachdrücklich zu bekräftigen.Denn zwar existieren aus Kriegsgründen nur wenige Briefe aus denJahren bis , doch diesesManko wird in den folgenden Jah-ren reichlich kompensiert. Die Nachkriegsjahre waren wahrschein-lich Becketts fruchtbarste – es entstanden die Werke, die ihn be-rühmtmachten, in auffallend kurzer Zeit:Warten auf Godot,Molloy,Malone stirbt, Der Namenlose, Endspiel sowie etliche kürzere Texte(und wurden in der Folge meist von ihm selbst ins Englische über-setzt). Begleitet wird diese intensive literarische Produktion von leb-hafter Korrespondenz.Man könnte meinen, daß ihm die schriftstel-lerische Arbeit in jenen Jahren wenig Muße oder Neigung ließ, anFreunde und Bekannte zu schreiben, doch ist das Gegenteil derFall – fast so, als ob die für das Schaffen von Prosa und Stücken un-abdingbare Isolation nach Ausgleich durch eine direktere Form desschriftlichen Austauschs verlangte, nach brieflicher Verständigungmit konkreten Individuen. Denn Beckett war, auch wenn es imRückblick überraschen mag, in den ersten zehn Jahren der hier ab-gebildeten Lebensphase noch immer ein weithin unbekannter, un-veröffentlichter und unaufgeführter Autor. Die Briefe zeigen einenAutor, der dann, mit weit über vierzig Jahren, lernen muß, sicheinem großen und zunehmend enthusiastischen Publikum zu stel-len, einen Autor, für den Briefe hinfort nicht mehr der einzigeWeg sind, schriftlich mit der Welt in Verbindung zu treten.Der letzte Brief des ersten Bandes, datiert vom . Juni ,

wurde in Paris geschrieben, zwei Tage bevor Beckett die Stadt ver-ließ und vier Tage vor dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht.1

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Die viereinhalb Jahre zwischen diesem Brief und dem vom . Janu-ar , der diesen zweiten Band eröffnet, bilden eine klaffendeLücke in Becketts Briefwerk aus sechzig Jahren. Die Gründe dafürsind offenkundig – weiß man doch heute, daß er für die französi-sche Résistance tätig war und untertauchen mußte, um sich zu ret-ten. Doch wie sich die Kriegsjahre auf seine Korrespondenz aus-wirkten, ist nur eine von vielen Fragen, die sich die Leser diesesBandes stellen werden, und sei es nur, um über einen möglichenZusammenhang zwischen dem Versiegen der Briefkontakte wäh-rend des Krieges und der intensiven Korrespondenz in den Folge-jahren nachzudenken.

Die Herausgeber konnten diese große Unterbrechung nicht einfachübergehen. Immerhin sind Becketts Aktivitäten und die politischenGeschehnisse jener Jahre so weit aufgearbeitet, daß ein recht voll-ständiges Bild entsteht.2 Hier sollen vor allem die Personen und Er-eignisse benannt werden, die den Briefschreiber Beckett betrafen –

direkt oder auf dem Umweg über Freunde und Kontaktpersonen.Es waren Jahre zahlreicher, oft abrupter Ortswechsel für Beckett.

Zusammen mit seiner Gefährtin Suzanne Deschevaux-Dumesnilverließ er Paris am . Juni . Zuerst fuhren sie nach Vichy,wo sie James Joyce trafen, wie Beckett sich später in einem Briefan Patricia Hutchins erinnert: » verbrachte ich ein paar Tagebei den Joyces in ihrem kleinen Hotel in Vichy und sah sie nachSt. Gérand abreisen. Da habe ich ihn das letzte Mal gesehen.«3

Durch Joyces Vermittlung lieh sich Beckett Geld bei Valery Lar-baud, um dannmit Suzanne Deschevaux-Dumesnil nach Toulouseweiterzureisen und von dort nach Arcachon, wo ihnen Mary Rey-nolds und Marcel Duchamp für die Sommermonate eine Unter-kunft besorgten. Anfang September kehrten sie nach Paris zurück.Die deutsche Besetzung war von tiefen Einschnitten ins öffent-

liche Leben begleitet. Direkten Postverkehr zwischen Frankreich

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und Großbritannien oder Irland gab es nicht mehr, Geldüberwei-sungen waren erschwert.4 Selbst die Post innerhalb Frankreichs,zwischen der besetzten und der unbesetzten Zone, wurde stark be-hindert und kontrolliert, wofür Becketts letzte Nachricht an Joyceein beredtes Beispiel bietet.

Abb. : Postkarte von Samuel Beckett an James Joyce, . Januar

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Es handelt sich um eine Postkarte mit vorformulierten Auskünften,die der Absender auswählen und ergänzen konnte. Nur private Mit-teilungen waren erlaubt, und selbst die unterlagen der Zensur.Beckett schickte seine Nachricht am . Januar ab, adressiertesie an James Joyce im Hôtel du Commerce, Saint-Gérand-le-Puy,Allier, ohne zu wissen, daß die Joyces bereits am . Dezember in die Schweiz ausgereist waren.5 Die Karte wurde am . Ja-nuar an die Pension Delphin in Zürich weitergeleitet, aber sie er-reichte den Adressaten nicht mehr. Joyce war am . Januar gestor-ben, einen Tag nachdem Beckett ihm geschrieben hatte.Am . Januar erwiderte Becketts Bruder Frank in Dublin

auf eine Anfrage von Thomas MacGreevy: »Wir haben keine Ver-bindung zu Sam, und das schon länger. Das letzte, was wir vonihm gehört haben, ist, daß er wieder in Paris ist & ich kann ihmhin und wieder etwas Geld beschaffen, es könnte also schlimmersein. Vermutlich hast Du gelesen, daß J. Joyce in Zürich gestorbenist.«6 Eine Verbindung nach Irland war nur über diplomatische Ka-näle möglich, weshalb Beckett am . Juni an Count GeraldO’Kelly von der irischen Gesandtschaft in Paris die Bitte richtete,eine Nachricht der Familie mit der Mitteilung zu beantworten:»Monsieur Beckett est en excellente santé et ne manque de rien.«7

Unter der deutschen Besetzung wurden Juden, Kommunistenund andere »Unerwünschte« aufgespürt und in Internierungslagerverschleppt. Zu den Opfern zählte auch Joyces Freund und Sekre-tär Paul Léon, der am . August verhaftet und am . April ermordet wurde.8 Von den zehn erhaltenen Briefen Beckettsan Lucie Léon, dessen Frau, sind nur einige datiert oder per Post-stempel zeitlich zuzuordnen (diese stammen aus der Zeit zwischen. Juli und . Februar ).9 Da Lucie Léon für das RoteKreuz tätig ist, bietet Beckett ihr in mehreren Briefen seine Unter-stützung an, zum Beispiel die Beschaffung von Schokolade zur Ver-teilung an Internierte. In anderen drückt er seine Sorge um dasSchicksal Paul Léons aus – oder seinen Hunger nach Informatio-nen, wenn er schreibt: »Ich weiß nicht, was los ist, nirgends.«10

Gelegentlich half er André Salzman, dem Ehemann der mit Su-

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zanne Deschevaux-Dumesnil befreundeten Ruth Salzman, indemer als Kurier (agent de liaison) fungierte. Zu Salzmans Tätigkeitfür die Résistance gehörte die Beschaffung von Geldern für illegalePublikationen. Als Inhaber eines irischen Passes konnte sich Beck-ett auch nachts frei durch Paris bewegen und daher unauffälligGeld und Dokumente transportieren.11

Am . September trat Beckett dem Résistance-Netzwerk»Gloria SMH« bei, damals »Teil der britischen SOE (Special Opera-tions Executive)«.12 Nach einem Jahr wurde das Netzwerk verraten,und mehr als fünfzig Mitglieder wurden verhaftet. Unter ihnenauch Alfred Péron, sein Freund seit der gemeinsamen Zeit an derÉcole Normale Supérieure, der ihn für die Mitarbeit gewonnenhatte. Pérons Frau Mania schickte Beckett und Suzanne Desche-vaux-Dumesnil ein Telegramm mit der versteckten Warnung: »Al-fred arrêté par Gestapo. Prière faire nécessaire pour corriger l’erreur.«13

Die beiden warnten sofort andere und ergriffen die Flucht. EndeSeptember half ihnen ein »passeur« beim Übergang in die Un-besetzte Zone, und am . September trafen sie in Vichy ein.14

Begreiflicherweise gibt es kaum Briefe aus dieser Zeit – jedocheinen aus unerwarteter Quelle. Francis Stuart, ein irischer Schrift-steller, der während des Krieges in Berlin lebte, bekundet in seinemveröffentlichten Tagebuch und später in einem Gespräch mit denHerausgebern, er habe an Beckett geschrieben und am . August »einen Brief von Sam Beckett aus Paris« erhalten, »über denich mich gefreut habe«. Stuart weiter: »Er scheint dort noch abge-schnittener von Irland und noch isolierter zu leben als ich. Einervon den wenigen aus Friedenszeiten, mit dem ich etwas gemeinhatte.«15 Obwohl Stuart den Brief nicht mehr wiederfand, konnteer sich an Becketts Mitteilung erinnern, er habe »einen Roman fastfertig, das heißt, er habe das erste Kapitel geschrieben«.16 Es han-delte sich um Watt. Am . August war Stuarts erster Rund-funkbericht aus Berlin nach Irland ausgestrahlt worden.Wenige Ta-ge später mußte Beckett aus Paris fliehen.Bei der irischen Gesandtschaft in Vichy ließ Beckett im Oktober

seinen irischen Paß verlängern.17 Er und Suzanne Desche-

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vaux-Dumesnil erhielten einen »provisorischen Passierschein, derihnen erlaubte, binnen zwei Tagen nach Avignon zu reisen. Dortmeldeten sie sich beim Polizeipräsidium.« Als »besondere Vergün-stigung«, erhielten sie eine Aufenthaltserlaubnis für Avignon biszum . Oktober.18 Am Sonntag, dem . Oktober, meldet Beckettmit Absender »›Les Roches Rouges‹, Roussillon, par/Cavaillon,Vaucluse« an Cornelius Cremin, den Ersten Sekretär der irischenGesandtschaft in Vichy, daß er eine Zuflucht gefunden hat:

Obiges ist ab jetzt meine Adresse. Ein kleines Kaff in den Bergen,etwa Meilen von Avignon, Landschaft läßt keineWünsche of-fen, Ernährung schon. Die schlimmste Dürre seit Jahren, histo-rische Hungersnot etc. Keiner weiß, wo das Essen imWinter her-kommen soll, ich am wenigsten. […] Habe ausführliche Verhörebei den örtlichen Gendarmen in der Meilen entfernten Ka-serne. Meine Vergangenheit fast Tag für Tag seit Betreten franzö-sischen Bodens. Sie können nicht glauben, daß ich Samuel heißeund trotzdem kein Jude bin. Gestern haben sie mir den Ausweisabgenommen, wohl um zu prüfen, ob er gefälscht ist. Meine Be-wegungsfreiheit ist extrem eingeschränkt, Radius von etwa zehnKilometern. […] Können Sie mir raten, was ich tun soll oder wasgetan werden muß, damit meine Leine verlängert wird? Ichnehme an, Sie könnten jeden Antrag unterstützen, den ich in die-sem Sinne stelle, aber ich fürchte, das wird nicht reichen. Mo-mentan habe ich nicht vor, mich um eine Heimreise zu be-mühen.19

Mit der Auskunft beschieden, daß ein »permis de circuler« innerhalbdes Departements »fast unmöglich zu bekommen ist und selbst einPassierschein« für Fahrten in die nahe gelegene Stadt Apt »äußerstschwerwiegender Gründe bedarf wie zum Beispiel Krankheit«,schreibt Beckett am . Oktober an Cremin:

Wenn das tatsächlich das Ausmaß meiner Rechte ist, worin be-stehen dann eigentlich die Vorteile meiner irischen Staatsangehö-

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rigkeit? Könnte ich nicht genausogut ein Pole sein? Da diese vonmir vorgetragene Auffassung bis jetzt ohne Wirkung gebliebenist, wäre es für die Gesandtschaft vielleicht an der Zeit, für michzu intervenieren, besonders in der Frage, warum ich mich im»freien Frankreich« nicht frei bewegen kann, wie ich es tunmüßte, wenn […] ich beschlösse, die nötigen Schritte für eineHeimreise einzuleiten, und in der Frage, womit ich die Einsper-rung in der Gemeinde Roussillon verdient habe. Darf ich in die-sem Sinne auf ein wenig Vertretung durch die Gesandtschaftrechnen?20

Am . Juni wurde Beckett aufgefordert, »unverzüglich« inder »Präfekturbehörde Vaucluse, Ausländerabteilung« zu einer wei-teren »›Überprüfung meines Status‹« zu erscheinen. Am . Juni,dem Tag, als er die Vorladung erhielt, schreibt Beckett an SeánMurphy, den irischen Gesandten in Frankreich (damals in Vichy),um sich über die fortgesetzte Einschränkung seiner Bewegungsfrei-heit und die vielen Verhöre zu beschweren:

Aber was dieses ständige Ausforschenmeiner Identität betrifft, al-ler meiner vergangenen und gegenwärtigen Schritte, meines Le-bensunterhalts, meiner Existenzweise, warum ich Samuel heißeetc. etc., obwohl meine Papiere völlig in Ordnung sind, obwohlich seit meiner Ankunft in der »freien Zone« gegen keinerlei Vor-schriften bezüglich Meldung, Registrierung etc., die Ausländernin diesem Land gemacht werden, verstoßen habe, obwohl meineinziges Vergehen, ich meine die illegale Überquerung der De-markationslinie, vor dem Polizeigericht von Apt verhandelt unddurch die Zahlung einer Strafe von Francs angeblich gesühntwurde und obwohl all dies wieder und wieder klargestellt und imVerlauf wiederholter Verhöre offenbar als zufriedenstellend ak-zeptiert wurde, fühle ich mich verpflichtet, Sie dringend umein Einschreiten zu bitten. Würde man einen Schweizer Bürgerin dieser Weise schikanieren, oder einen schwedischen? Oderhat ein Ire weniger Anspruch auf die allgemeinen Gefälligkeitenund Privilegien, wie sie Kriegsunbeteiligten gewährt werden? […]

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Ich weiß nicht, was Sie unternehmen können oder ob Sie über-haupt etwas tun können, um dieser Inquisition ein für allemalein Ende zu machen.Wenn ich mir, ohne anmaßend sein zu wol-len, erlauben darf, einen Vorschlag zu unterbreiten, dann den,daß Sie vor dem nächsten Dienstag bei der Ausländerabteilungder Präfektur Vaucluse anrufen und wenn möglich in Erfahrungbringen, warum mir in dieser Weise zugesetzt wird, und dort zu-mindest versichern, daß ich Ihnen bekannt bin. Sie könnten so-gar erwähnen, wenn Sie so freundlich wären, daß Sie mich fürharmlos halten.21

Am Ende stellten sich die erwünschten Resultate ein, unter ande-rem auch deshalb, weil die Behandlung ausländischer Flüchtlingein Frankreich durch ein neues Gesetz geregelt wurde. Am . Juli konnte Beckett an Seán Murphy melden:

Die »Überprüfung meines Status« in der Präfektur Vaucluse un-terschied sich in keiner Weise von den mir bereits vertrauten.Mein Ausweis wurde flüchtig kontrolliert und der HoffnungAusdruck gegeben, daß ich weiterhin eine Unterstützung vonder Schweizer Gesandtschaft erhalte.Ich freue mich, Sie informieren zu können, daß ich bei dieser Ge-legenheit erfolgreich mein Recht durchsetzen konnte, kraft desDekrets vom . Mai dieses Jahres, veröffentlicht im J.O. [Amts-blatt] vom . Juni dieses Jahres, mich frei in Frankreich zu bewe-gen, mit keinen anderen Papieren als meinem Paß und meinemAusweis und ohne andere territoriale Einschränkungen als die,die für Ausländer allgemein gelten.22

Auch danach lief Becketts Kontakt zu seinen Angehörigen in Irlandüber die irische Gesandtschaft in Vichy und per Telegramm. » «lautet eins vom . Mai .23 Aber jetzt konnte Geld übermit-telt, der Transfer und Empfang bestätigt werden, alles per Tele-gramm.

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Am . August wurde Paris befreit, und am . Oktoberwaren Beckett und Suzanne Deschevaux-Dumesnil in ihre Woh-nung Rue des Favorites zurückgekehrt; unter diesem Datum je-denfalls teilte Beckett der irischen Gesandtschaft seinen Ortswech-sel mit. Er bat um Übersendung seiner ausstehenden Gelder undhielt fest: »Ich war davon ausgegangen, daß sich die Gesandtschaftwieder in Paris befindet, wurde aber heute in der Rue de Villejustinformiert, daß Sie nicht vor Ende des Monats erwartet werden.«24

Um den . September versuchte sein Bruder Frank, ihn zu errei-chen. Am . November bestätigte er dann, ebenfalls über die irischeGesandtschaft, daß Becketts Antworttelegramm »Back in Paris. Allwell. Impossible move at present. Love to you all«25 eingetroffenwar.Erst im April konnte Beckett von Frankreich nach England

reisen, wo seinWatt-Manuskript beschlagnahmt und auf chiffrierteBotschaften untersucht wurde, dann weiter nach Irland zu seinerFamilie. Ein paar Jahre später schrieb er seinem Freund GeorgeReavey, er habe Watt »stückchenweise geschrieben, erst auf derFlucht, dann immer mal abends nach dem Stoppelhopsen, wäh-rend der Besetzung«.26 Die Watt-Notizhefte können bestätigen,daß Beckett noch in Paris mit dem Roman begann und sogar aufder Flucht an ihm weiterschrieb.27 Beckett an Gottfried Büttneram . April : »Er wurde geschrieben, wie es kam, ohne vorge-fertigten Plan.« An George Reavey: »Es ist ein unzulängliches Buch[…] Aber es hat seinen Platz in der Serie, wie sich vielleicht mit derZeit herausstellen wird.«28 Und später, er habe es geschrieben, »umbei Verstand zu bleiben«.29 Zweierlei ist hier bemerkenswert: zumeinen die unübertrefflich lakonische Bezeichnung clodhopping(»Stoppelhopsen«) für Monate anstrengender Feldarbeit, zum an-deren die Tatsache, daßWatt noch auf englisch geschrieben wurde.Angesichts der zeitlichen Lücke in Becketts Briefwerk wollten

die Herausgeber diesen zweiten Band ursprünglich mit dem Unter-titel »-« versehen. Doch die für Beckett entscheidendenund prägenden Kriegsjahre sollten nicht unterschlagen oder in ihrerBedeutung herabgemindert werden, daher wurde nach reiflicher

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Überlegung beschlossen, den Hinweis auf die fehlenden Jahre hin-ter die Betonung der Kontinuität der Epoche und der Briefeditionzurücktreten zu lassen.

Die Erschließungsarbeiten im Vorfeld der Briefedition sind in derEinführung zum ersten Band ausführlich beschrieben worden.Eine wichtige Akzentverschiebung soll hier jedoch benannt wer-den. Viele Adressaten und erwähnte Personen aus der Nachkriegs-zeit waren noch am Leben, als die Ausgabe Jahrzehnte später vor-bereitet wurde, oder es konnten ihre Kollegen und Angehörigenbefragt werden. Einige große Sammlungen, aus denen die Ausgabeschöpft, sind in privater Hand, wie zum Beispiel die Briefe anGeorges Duthuit. Sein Sohn Claude Duthuit, der sie aufbewahrt,hat sie vorbehaltlos freigegeben und zudem ausführliche Informa-tionen beigesteuert.In den seltenen Fällen, in denen Beckett Briefe aufbewahrte, die

Fragen und seine Antwortentwürfe enthielten, verfolgten die Her-ausgeber die Spur der Absender, um Becketts Antwortbrief zu fin-den. Manchmal, wie bei der Suche nach einem Desmond Smithaus Toronto, der Beckett zu Warten auf Godot befragt hatte,waren Intuition und Glück gefragt. Jahre später riefen die Her-ausgeber jeden Desmond Smith im Telefonbuch von Torontoan – und fanden den Gesuchten, der sich gut an den damaligenBriefwechsel erinnern konnte. Er war gerade beim Packen für einenUmzug, versprach aber, nach dem Beckett-Brief zu suchen. EinigeWochen später faxte er eine Kopie: Er hatte den Brief in einem Kar-ton mit alten, aussortierten Zeitungen aufgespürt. Dann die Korre-spondenz mit Édouard Coester: Sie fand sich in Papieren, die Beck-ett aufbewahrt hatte, aber Coester zu lokalisieren war ein doppeltesProblem, weil er den Komponistenberuf unter anderem Namenausgeübt hatte als seinen Richterberuf. Die Anfrage an seine letztebekannte Adresse wurde an seine Tochter weitergeleitet. Sie teilte

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