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Suhrkamp Verlag · kann man sagen: Die Theorie von Hobbes, Locke und Con- dillac ( HLC ) versucht...

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Suhrkamp Verlag Leseprobe Taylor, Charles Das sprachbegabte Tier Grundzüge des menschlichen Sprachvermögens Aus dem Englischen von Joachim Schulte © Suhrkamp Verlag 978-3-518-58702-7
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Suhrkamp VerlagLeseprobe

Taylor, CharlesDas sprachbegabte Tier

Grundzüge des menschlichen SprachvermögensAus dem Englischen von Joachim Schulte

© Suhrkamp Verlag978-3-518-58702-7

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Grundzüge des menschlichenSprachvermögens

Aus dem Englischen vonJoachim Schulte

Suhrkamp

CHARLES

DASSPRACH-BEGABTE

TIER

TAYLOR

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Titel der Originalausgabe: The Language Animal. The Full Shapeof Human Linguistic CapacityFirst Edition was originally published in English in by Har-vard University Press.Erstmals erschienen bei Harvard University Press.

Copyright © by the President and Fellows of Harvard College

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikationin der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografischeDaten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Erste Auflage © dieser Ausgabe Suhrkamp Verlag Berlin Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vor-trags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, aucheinzelner Teile.Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie,Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigungdes Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischerSysteme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.Satz: Satz-Offizin Hümmer GmbH,WaldbüttelbrunnDruck: CPI – Ebner & Spiegel, UlmPrinted in GermanyISBN ----

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Inhalt

Vorwort

Teil I Sprache und Konstitution

Bezeichnungstheorien und Konstitutionstheorien

Wie sich die Sprache entwickelt

Jenseits des Codierens von Informationen

Teil II Vom Deskriptiven zum Konstitutiven

Die Theorie von Hobbes-Locke-Condillac

Die figurative Dimension der Sprache

Konstitution : Die Artikulation von Bedeutung

Konstitution : Die schöpferische Kraft

des Diskurses

Teil III Weitere Anwendungen

Wie Erzählen Bedeutung erschafft

Die Hypothese von Sapir und Whorf

Fazit: Die Reichweite des menschlichen

Sprachvermögens

Namenregister

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Für meine Enkelkinder

Francis und AnnikAlba und SimoneSabah und David

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Vorwort

Das Thema des vorliegenden Buchs ist das menschlicheSprachvermögen, und es geht mir um denNachweis, daß die-ses Vermögen mehr Formen annehmen kann, als man ver-muten möchte. Will sagen: Dieses Vermögen umfaßt Fähig-keiten zur Erschaffung von Bedeutungen, die weit über dieviel zu oft als zentral aufgefaßte Fähigkeit zur Codierungund Übermittlung von Informationen hinausgehen.Besonders angeregt haben mich die sprachtheoretischen

Ansichten, die in den er Jahren in Deutschland entwik-kelt wurden, also in jener Zeit und an jenem Ort, an demdas, was wir unter deutscher Romantik verstehen, in Blütestand. Die wichtigsten Theoretiker, auf die ich mich stütze,sind Hamann, Herder und Humboldt. Dementsprechendnenne ich die Theorie, die ich ihnen entnehme, die HHH-Theorie.Die Gegentheorie zu dieser Einstellung wurde von den gro-

ßen Denkern der frühen Neuzeit ausgearbeitet, also von je-nen sei’s rationalistischen oder empiristischen Philosophen,die außerdem für die erkenntnistheoretischen Gedanken ver-antwortlich sind, welche aus dem Werk Descartes’ hervor-gingen, ja, zum Teil in Opposition zu diesem entwickelt wur-den. Die frühen Hauptvertreter dieser Tradition, die ich hieranführe, sind Hobbes, Locke und Condillac. Dementspre-chend bezeichne ich diese Richtung abkürzend als HLC-Theorie.Einem Wissenschaftler des zwanzigsten oder einundzwan-

zigsten Jahrhunderts, der – wie wir alle – unter dem Einflußvon Saussure, Frege und (bis zu einem gewissen Grad) Hum-boldt steht, kommt diese Theorie unfaßbar unsubtil vor. Docheinige ihrer Grundannahmen leben in der nachfregeschen ana-

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lytischen Philosophie sowie in manchen Zweigen der Kogni-tionswissenschaft weiter.Ein wichtiger Teil dessen, was ich mir in diesem Buch vor-

genommen habe, besteht somit darin, die restlichen Bruch-stücke des HLC-Erbes dadurch zu widerlegen, daß ich Ein-sichten der HHH-Theorie weiterentwickle. Das Ergebnis isthoffentlich eine sehr viel befriedigendere und daher buntere,wenn auch weniger aufgeräumte Theorie über das Wesendes menschlichen Sprachvermögens.Als ich mich auf dieses Vorhaben einließ, hatte ich eigent-

lich vor, diese Weiterentwicklung der romantischen Sprach-theorie durch eine Untersuchung bestimmter Stränge der –

aus meiner Sicht eng damit zusammenhängenden – nach-romantischen Poetik zu ergänzen. Mit der Arbeit an diesemProjekt begann ich in den späten er und den frühener Jahren, doch angesichts zahlreicher selbstverschul-deter Unterbrechungen ist es mir bisher nur gelungen, denersten Teil abzuschließen sowie ein paar verstreute Einzel-studien, die dazu beitragen könnten, daß auch der zweiteTeil Gestalt annimmt.Daher habe ich beschlossen, zunächst dieses Buch über das

Sprachvermögen zu veröffentlichen und meine Arbeit überdie Romantiker fortzusetzen, um den zweiten Teil hoffent-lich als Pendant zu der vorliegenden Untersuchung zum Ab-schluß zu bringen. Hier werde ich von Zeit zu Zeit Hinweisedarauf geben, worum es in dieser zweiten Untersuchung ge-hen dürfte. Allerdings hoffe ich, daß die vorliegende als sol-che interessant genug ist, um ihr Erscheinen in einem sepa-raten Band zu rechtfertigen.In hohem Maße profitiert habe ich von Diskussionen mit

zahlreichenWissenschaftlern, vor allem jenen, die dem Kreisum das Centre for Transcultural Studies angehören. Hervor-heben möchte ich hier besonders Akeel Bilgrami, Craig Cal-

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houn, Dilip Gaonkar, Sean Kelly, Benjamin Lee undMichaelWarner.Des weiteren geht mein Dank an Muhammad Velji: Als es

darum ging, das Manuskript für die Veröffentlichung vor-zubereiten, hat er mich großartig unterstützt, indem er aufLücken hinwies, die unbedingt gefüllt werden mußten, undbesonders indem er brauchbare englische Übersetzungenfremdsprachiger Zitate ermittelte oder erstellte – von son-stigen Verbesserungen ganz zu schweigen. Außerdem schul-de ich ihm Dank für die Ausarbeitung des Registers.

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Teil I

Sprache und Konstitution

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1 Bezeichnungstheorien undKonstitutionstheorien

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Welchen Begriff sollen wir uns von der Sprache machen?Das ist eine Fragestellung, die bis in die Anfänge unserergeistigen Überlieferung zurückreicht. In welchem Verhältnissteht die Sprache zu anderen Zeichen? Und zu Zeichen über-haupt? Sind sprachliche Zeichen etwas Willkürliches, odergibt es Gründe für sie? Was haben Zeichen und Wörter ei-gentlich, wenn sie Bedeutung haben? Das sind uralte Fragen.Das Thema Sprache gehört seit eh und je zu den Gegenstän-den der abendländischen Philosophie, aber nach und nachhat es an Wichtigkeit gewonnen. In der Antike gilt es nochnicht als eine der Hauptfragen. Im siebzehnten Jahrhundert –bei Hobbes und Locke – nimmt seine Bedeutung zu. Und imzwanzigsten Jahrhundert wird das Thema nachgerade zurObsession. Alle Philosophen eines gewissen Rangs habennun ihre eigene Sprachtheorie: Bei Heidegger, Wittgenstein,Davidson, Derrida und allen möglichen »Dekonstruktivi-sten« wird die Sprache in den Mittelpunkt der philosophi-schen Überlegungen gerückt.In der Neuzeit, wie wir wohl sagen dürfen, also seit dem

siebzehnten Jahrhundert, gibt es eine anhaltende Diskussionüber das Wesen der Sprache – eine Diskussion, bei der diePhilosophen aufeinander reagieren und voneinander zehren.Nach meiner Überzeugung können wir Licht in diese De-batte bringen, wenn wir zwei Haupttypen von Theorien aus-einanderhalten. Den ersten Typus möchte ich als »Rahmen-theorie« bezeichnen. Damit ist der Versuch gemeint, dieSprache zu verstehen, indemman sich ganz im Rahmen eines

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bestimmten Bilds vom Leben und Verhalten des Menschen,von seinen Zwecken und seinen geistigen Funktionen be-wegt, und zwar eines Bilds, das sich seinerseits beschreibenund bestimmen läßt, ohne daß man auf die Sprache Bezugnimmt. Dabei wird die Sprache als etwas gesehen, was indiesem Rahmen, der seinerseits (wie wir feststellen werden)unterschiedlich aufgefaßt werden kann, entsteht und in ihmeine gewisse Funktion erfüllt, während der Rahmen selbstvor der Sprache kommt oder zumindest unabhängig vonihr beschrieben werden kann.Was den anderen Theorietypus betrifft, möchte ich von

einer »Konstitutionstheorie« sprechen.Wie schon das Wort»Konstitution« nahelegt, handelt es sich dabei um den Ge-gentypus zur Rahmentheorie. Die Konstitutionstheorie ver-mittelt uns ein Bild, wonach die Sprache neue Zwecksetzun-gen, neue Verhaltensebenen, neue Bedeutungen ermöglichtund daher nicht im Rahmen eines sprachunabhängig aufge-faßten Bilds vom menschlichen Leben erklärt werden kann.Damit ist ein wichtiger Streitpunkt zwischen den beiden

Theorien genannt. Doch wie sich herausstellt, sind sie imHinblick auf eine Reihe weiterer wichtiger Fragen ebenfallsverschiedener Meinung. Die beiden Ansätze können einan-der auch im Hinblick auf mehrere andere Bereiche gegen-übergestellt werden. So spricht man manchmal von derinstrumentellen Bezeichnungstheorie einerseits und der ex-pressiven Konstitutionstheorie andererseits. Überdies gehenletzten Endes ihre Ansichten auch dann auseinander, wennes um die Umrisse und Grenzen des intendierten Erklärungs-gegenstands – nämlich der Sprache – geht sowie um dieGültigkeit, die atomistischen im Gegensatz zu holistischenErklärungsweisen zukommt. Im Grunde stehen diese Theo-rietypen für grundverschiedene Auffassungen vom mensch-lichen Leben. Doch an irgendeiner Stelle müssen wir das La-

Teil I Sprache und Konstitution

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byrinth betreten, und ich für mein Teil werde so vorgehen,daß ich mit dieser Gegenüberstellung von Rahmen- und Kon-stitutionstheorie beginne, um später nach und nach eine Ver-bindung zu den übrigen Bereichen des Meinungsstreits her-zustellen.

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Das klassische Beispiel für eine Rahmentheorie und zugleichderen einflußreichste, ursprüngliche Form ist das von Lockeund Hobbes bis hin zu Condillac ausgestaltete Gedankenge-bäude. Diese Theorie habe ich in einem eigenen Aufsatz überSprache und menschliche Natur erörtert.1 Zusammengefaßtkann man sagen: Die Theorie von Hobbes, Locke und Con-dillac (HLC) versucht die Sprache innerhalb der Grenzender von Descartes zur Vorherrschaft gebrachten repräsenta-tionalistischen Erkenntnistheorie der Neuzeit zu verstehen.Demnach gibt es im Inneren des Geistes »Ideen«, bei denenes sich um Bruchstücke von Darstellungen (Repräsentatio-nen) einer weitgehend »äußeren« Realität handeln soll.Wis-sen bestehe darin, daß die Darstellung tatsächlich mit derWirklichkeit übereinstimmt. Das wiederum können wir nurdann zu erreichen hoffen, wenn wir unsere Ideen in Einklangmit einem bewährten Verfahren zusammenfügen. Unsere ge-genstandsbezogenen Überzeugungen sind etwas Konstruier-tes; sie sind das Ergebnis einer Synthese. Die Frage ist nun,ob die Konstruktion zuverlässig und belastbar ist oder sorg-los, schludrig und trügerisch.

»Language and Human Nature«, in: Charles Taylor,Human Agen-cy and Language, Cambridge: Cambridge University Press ,S. -.

1 Bezeichnungstheorien und Konstitutionstheorien

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Bei dieser Konstruktion spielt die Sprache eine wichtigeRolle. Eine Bedeutung erhalten die Wörter dadurch, daßsie den dargestellten Dingen mittels der sie darstellenden»Ideen« angeheftet werden. Die Einführung von Wörternmacht es sehr viel leichter, Ideen zu einem belastbaren Bildzu verknüpfen. Diese Erleichterung läßt sich in unterschied-licher Weise deuten. Nach Hobbes und Locke gestatten esdie Wörter, Dinge zu Klassen zusammenzufassen und somiteine pauschale Synthese zu ermöglichen, bei der die nicht-sprachliche Anschauung auf die mühsame Assoziation vonEinzeldingen beschränkt wäre. Nach Condillacs Meinungverschafft uns die Einführung der Sprache überhaupt erstdie Möglichkeit, den gesamten Vorgang der Assoziation zusteuern. Sie gibt uns die »Herrschaft über die Einbildungs-kraft – empire sur notre imagination«.2

Ihren kraftvollsten frühen Ausdruck findet die Konstitu-tionstheorie bei Herder, und zwar gerade im Zusammen-hang seiner Kritik an Condillac. An einer bekannten Stelleder Abhandlung Über den Ursprung der Sprache wiederholtHerder die von Condillac erzählte Fabel (man könnte auchvon einer Just-so-Story à la Kipling sprechen), in der es dar-

Siehe Thomas Hobbes, Leviathan, hg. vonMichael Oakeshott, Ox-ford: Blackwell , S. (hg. von Iring Fetscher, übers. vonWal-ter Euchner: Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines kirch-lichen und bürgerlichen Staates, Frankfurt/M.: Suhrkamp ,S. f.); John Locke, An Essay Concerning Human Understanding,hg. von P.H. Nidditch, Oxford: Clarendon Press , III.III.(Verweise auf dieses Werk bestehen im folgenden aus drei Zahlen,die sich auf das jeweilige Buch, das Kapitel und den betreffendenAbsatz beziehen, zum Beispiel hier: Buch III, Kapitel III, Absatz [zitiert wird ggf. aus der Übers. von C.Winckler: Versuch über denmenschlichen Verstand, Hamburg: Meiner u. ]); ÉtienneBonnot de Condillac, Essai sur l’Origine des Connaissances Hu-maines, Paris: Vrin , ...-.

Teil I Sprache und Konstitution

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um geht, wie die Sprache in einer Situation hätte entstehenkönnen, in der sich zwei in der Wüste ausgesetzte Kinderbefinden.3 Nach Herders eigenem Bekunden fehlt dieser Ge-schichte etwas: Sie setzt, wie er meint, voraus, was sie ersterklären soll.Was sie nämlich erklären soll, ist die Sprache –der Übergang von einem Zustand, in dem die Kinder ledig-lich tierische Schreie von sich geben, zu einem Zustand, indem sie bedeutungsvolle Wörter gebrauchen. Die assoziativeVerknüpfung zwischen Zeichen und mentalem Inhalt ist be-reits mit dem animalischen Schrei (den Condillac ein »natür-liches Zeichen« nennt) gegeben. Die vorsprachlichen Säug-linge werden, ebenso wie andere Tiere, vor Angst schreien,sobald sie beispielsweise einer Gefahr gegenüberstehen. DasNeue am »instituierten Zeichen« besteht darin, daß die Kin-der es jetzt benutzen können, um die damit assoziierte Ideein den Brennpunkt zu rücken und zu manipulieren und so-mit das ganze Spiel ihrer Vorstellungskraft zu steuern. DerÜbergang läuft lediglich darauf hinaus, daß sie zufällig aufden Einfall kommen, die assoziative Verbindung könne indieser Weise eingesetzt werden.Das ist ein klassisches Beispiel einer Rahmentheorie. Ge-

deutet wird die Sprache durch Bezugnahme auf bestimmteElemente – Ideen, Zeichen und deren assoziative Verbin-dung –, die ihrer Entstehung vorausgehen. Vorher wie nach-her ist die Einbildungskraft am Werk, und Assoziationenfinden ebenfalls statt. Neu ist, daß jetzt das Bewußtsein dieZügel in der Hand hält. So kann der Angstschrei benutztwerden, um einer anderen Person durch eine Handlung, diekein bloßer Reflex, sondern eine Willensäußerung ist, mitzu-

Johann Gottfried Herder, Abhandlung über den Ursprung derSprache, hg. von Hans Dietrich Irmscher, Stuttgart: Reclam ,S. -.

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teilen, daß Gefahr droht. Außerdem kann der Schrei benutztwerden, um mit Bezug auf die Vorgeschichte und die Konse-quenzen bestimmter Formen von Bedrohung Schlußfolge-rungen zu ziehen.Diese Art der Steuerung ist natürlich selbst etwas, was vor-

her nicht vorhanden war. Aber die Theorie sorgt für höchst-mögliche Kontinuität zwischen Vorher und Nachher. DieElemente sind die gleichen, die Zusammenstellung bleibt er-halten, nur die Richtung ist eine andere.Wir können vermu-ten, daß es genau diese Kontinuität ist, die der Theorie ihrescheinbare Klarheit und Erklärungskraft verleiht: Die Spra-che wird ihres geheimnisvollen Charakters beraubt und mitElementen verknüpft, die allem Anschein nach unproblema-tisch sind.Herder geht von der Einsicht aus, daß die Sprache eine

neue Art von Bewußtsein ermöglicht – er spricht hier von»Reflexion« oder »Besonnenheit«. Das ist der Grund, wes-halb er eine Kontinuitätserklärung, wie sie von Condillac ge-geben wird, so enttäuschend und unbefriedigend findet. Miteiner Erklärung, die auf vorher bereits existierende Elementeabhebt, wird die Frage, worin dieses neue Bewußtsein be-steht und wie es entsteht, aus Herders Sicht gar nicht ange-sprochen. Darum wirft er Condillac eine Petitio principiivor: »Der Abt Condillac […] hat das ganze Ding Spracheschon vor der ersten Seite seines Buchs [als] erfunden voraus-gesetzt.«4

Was meint Herder mit »Besonnenheit«? Das ist gar nichtso leicht zu erklären, und in einem Artikel über die Bedeu-tung Herders habe ich einen Rekonstruktionsversuch unter-nommen.5 Man könnte die Sache wie folgt zu formulieren

Ebd., S. . »The Importance of Herder«, in: Charles Taylor, Philosophical Ar-

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versuchen: Vorsprachliche Lebewesen können auf die sieumgebenden Dinge reagieren. Die Sprache jedoch gibt unsdie Möglichkeit, etwas als das, was es ist, zu erfassen. Zwarleuchtet diese Erklärung nicht gerade unmittelbar ein, abersie bringt uns auf die richtige Spur. Um uns ein klareresBild zu machen, müssen wir über die Frage nachdenken,was beim Gebrauch der Sprache zum Tragen kommt.Angenommen, jemand fragt mich nach der Form eines be-

stimmten Gegenstands, und ich antworte: »Ein Dreieck.«Nehmen wir ferner an, es handele sich wirklich um ein Drei-eck. Also trifft meine Feststellung zu. Doch was gehört dazu,daß man in einem Fall wie diesem eine richtige Feststellungtreffen kann? Vielleicht kann ich sogar einen Grund fürmeine Feststellung angeben: »Guck doch, das Ding wirdvon drei geraden Seiten umschlossen.« Manchmal kommtes jedoch vor, daß ich etwas erkenne, ohne viel oder über-haupt irgend etwas über das Warum sagen zu können. Soweiß ich einfach, daß das, was wir im Augenblick hören,eine klassische Symphonie ist. Aber selbst in diesem Falllasse ich die Berechtigung der Frage nach demWarum durch-aus gelten. Ich kann mir vorstellen, daß ich der Sache weiternachgehe und auf etwas stoße, was meiner zweifelsfreienFeststellung, daß mein Eindruck stimmt, zugrunde liegt.Diese Überlegung verdeutlicht, daß ein gewisses Verständ-

nis der Problematik, um die es hier geht, nicht von der Exi-stenz einer deskriptiven Sprache zu trennen ist, also von derMöglichkeit, daß das betreffende Wort richtig oder falschist, was wiederum davon abhängt, ob die beschriebene Enti-tät bestimmte Merkmale besitzt. Ein Lebewesen, das sicheiner deskriptiven Sprache bedient, handelt dabei aus einer

guments, Cambridge, MA: Harvard University Press , S. -.

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gewissen Empfänglichkeit für Fragen dieses Bereichs heraus.Diese Feststellung gilt mit Notwendigkeit. Wir würden nie-mals behaupten, daß ein papageienhaftes Wesen, dem wirkeine derartige Empfänglichkeit unterstellen können, irgendetwas beschreibt – einerlei, wie unfehlbar dieses Wesen das»richtige Wort« herauskreischt. Natürlich, wenn wir bloßdrauflosplappern, haben wir die Richtigkeitsfrage kaum imBlick. Das geschieht erst dann, wenn wir unsicher werdenund unausgelotete Tiefen des Wortschatzes erkunden. Aberdie Richtigkeit ist etwas, worauf wir fortwährend anspre-chen, und das ist der Grund, warum wir die Relevanz desVorwurfs, wir hätten uns falsch ausgedrückt, stets anerken-nen. Es ist diese ungerichtete Reaktionsbereitschaft, die ichhier mit Hilfe eines Worts wie »Empfänglichkeit« oder »Sen-sibilität« in den Griff zu bekommen versuche.Zur Sprache gehört also Empfänglichkeit für die Frage der

Richtigkeit.6 Im deskriptiven Fall ist die Richtigkeit von denEigenschaften der beschriebenen Sache abhängig. Hier könn-te man von »intrinsischer Richtigkeit« sprechen. Um zu er-kennen, was damit gemeint ist, wollen wir uns ein Gegenbei-spiel anschauen: Es gibt auch andere Arten von Situationen,

Dieser Gedanke ist in Wirklichkeit eine weitere Facette der Grund-einsicht, die der gesamten nachfregeschen Philosophie zugrundeliegt. Diese Einsicht ist einer ganzen Reihe verschiedener Philoso-phen, die im späten neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhun-dert wirkten, gemeinsam. Zu ihnen gehören nicht nur Frege undRussell, sondern auch Husserl und Meinong. Der Grundgedankeist der, daß die Sprache und die von ihr zugelassenen logischen Be-ziehungen nicht von einer empirischen Wissenschaft vom Schlageder Psychologie erfaßt werden können, weil es dabei um maßgeb-liche Fragen der Geltung geht. Der »Psychologismus«, also dievon John Stuart Mill und anderen Philosophen des neunzehntenJahrhunderts vertretene Theorie, der es darum ging, die Logik aufPsychologie zurückzuführen, wurde rundweg abgelehnt.

Teil I Sprache und Konstitution


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