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Suhrkamp Verlag · 2015-10-25 · In Philosophical Foundations of Neuroscience werden die...

Date post: 15-Jul-2020
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Leseprobe Bennett, Maxwell / Dennett, Daniel / Hacker, Peter Neurowissenschaft und Philosophie Gehirn, Geist und Sprache Mit einer Einleitung und einer Schlußbetrachtung von Daniel Robinson Aus dem Amerikanischen von Joachim Schulte © Suhrkamp Verlag 978-3-518-58542-9 Suhrkamp Verlag
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Leseprobe

Bennett, Maxwell / Dennett, Daniel / Hacker, Peter

Neurowissenschaft und Philosophie

Gehirn, Geist und Sprache

Mit einer Einleitung und einer Schlußbetrachtung von Daniel Robinson Aus

dem Amerikanischen von Joachim Schulte

© Suhrkamp Verlag

978-3-518-58542-9

Suhrkamp Verlag

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Maxwell Bennett, Daniel Dennett,Peter Hacker, John Searle

Neurowissenschaftund PhilosophieGehirn, Geist und Sprache

Mit einer Einleitungund einer Schlußbetrachtungvon Daniel Robinson

Aus dem Englischenvon Joachim Schulte

Suhrkamp

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Titel der Originalausgabe:Neuroscience and Philosophy. Brain, Mind, and LanguageErstmals veröffentlicht 2007

Auszüge aus Philosophical Foundations of Neurosciencevon M. R. Bennett und P.M.S. Hackercopyright 2003 Maxwell R. Bennett und Peter M.S. Hacker»Philosophie als naive Ethnologie:Ein Kommentar zu Bennett und Hacker« von Daniel Dennettcopyright 2007 Daniel Dennett»Packt das Bewußtsein wieder ins Gehirn.Erwiderung auf Bennett und Hacker,Philosophical Foundations of Neuroscience« von John Searlecopyright 2007 John Searle»Die begrifflichen Voraussetzungen der kognitiven Neurowissenschaft.Eine Erwiderung auf unsere Kritiker« von Maxwell R. Bennett undPeter M. S. Hackercopyright 2007 Maxwell R. Bennett und Peter M.S. Hacker»Epilog« von Maxwell R. Bennettcopyright 2007 Maxwell R. Bennett»Einleitung« und »Nach wie vor auf der Suche. Wissenschaft und Philosophieunterwegs zur fürstlichen Vernunft« von Daniel Robinsoncopyright 2007 Columbia University Press

Die Übersetzung erscheint mit freundlicher Genehmigungvon Columbia University Press 2007

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikationin der Deutschen Nationalbibliografie;detaillierte bibliografische Daten sind im Internetüber http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Erste Auflage 2010 der deutschen Ausgabe Suhrkamp Verlag Berlin 2010Alle Rechte vorbehalten, insbesondere dasdes öffentlichen Vortrags sowie der Übertragungdurch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)ohne schriftliche Genehmigung des Verlagesreproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systemeverarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.Satz und Druck: Memminger MedienCentrum AGPrinted in GermanyISBN 978-3-518-58542-9

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Inhalt

Daniel RobinsonEinleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

Die Kritik

Maxwell Bennett und Peter HackerDie philosophischen Grundlagender Neurowissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

Die Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15Auszug aus Kapitel 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31Auszug aus Kapitel 10 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59Auszug aus Kapitel 14: Die abschließendenBemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72

Maxwell BennettNeurowissenschaft und Philosophie . . . . . . . . . . . . . . 77

Die Erwiderungen

Daniel DennettPhilosophie als naive Ethnologie . . . . . . . . . . . . . . . . 105

John SearlePackt das Bewußtsein wieder ins Gehirn . . . . . . . . . . . 139

Replik auf die Erwiderungen

Maxwell Bennett und Peter HackerDie begrifflichen Voraussetzungen der kognitivenNeurowissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179

Maxwell BennettEpilog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235

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Schlußbetrachtung

Daniel RobinsonNach wie vor auf der Suche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247

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Daniel Robinson

Einleitung

Das Buch Philosophical Foundations of Neuroscience von MaxBennett und Peter Hacker erschien 2003 im Verlag Blackwellund erregte sogleich große Aufmerksamkeit, denn es handeltesich um die erste systematische Bewertung der begrifflichenGrundlagen der Neurowissenschaft in der von Naturwissen-schaftlern und Philosophen ausgearbeiteten Form. Zum Reizdes Buches trugen zwei Anhänge bei, die sich in spezifischerWeise kritisch mit den einflußreichen Schriften von John Searleund Daniel Dennett auseinandersetzen. Max Bennett – eine Ka-pazität auf dem Gebiet der Neurowissenschaft – hatte den zu-treffenden Eindruck gewonnen, Searle und Dennett seien dievon seinen Kollegen am meisten gelesenen Philosophen. Nunsetzte er sich das Ziel, den Lesern deutlich zu machen, aus wel-chen Gründen er und Peter Hacker anderer Meinung waren.

Im Herbst 2004 wurden Bennett und Hacker vom Programm-ausschuß der American Philosophical Association (APA) nachNew York eingeladen, um unter der Rubrik »Autoren und ihreKritiker« an der für 2005 geplanten Jahrestagung teilzunehmen.Die Wahl der Kritiker hätte nicht besser ausfallen können: Dan-iel Dennett und John Searle erklärten sich bereit, in schriftlichvorbereiteter Form auf die von Bennett und Hacker erhobenenkritischen Einwände zu replizieren. Der Inhalt des vorliegen-den Buchs basiert auf dieser dreistündigen Veranstaltung, diesich – unter der Gesprächsleitung von Owen Flanagan – durcheine ungewöhnlich lebhafte Diskussion zwischen den Teilneh-mern auszeichnete. Dennett und Searle hatten die schriftlichenFassungen ihrer Repliken rechtzeitig vor der Veranstaltung zur

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Verfügung gestellt, und das waren die Texte, auf die Bennettund Hacker sodann erwiderten.

Wendy Lochner, die für Philosophie zuständige Lektorin desVerlags Columbia University Press, war sich über die Bedeu-tung der behandelten philosophischen Fragen im klaren undforderte die Diskussionsteilnehmer dazu auf, eine Buchpubli-kation ihrer Beiträge in Erwägung zu ziehen. Normalerweiseläßt die schriftliche Wiedergabe einer lebhaften Diskussion dasursprünglich bunte und eindringliche Gespräch eher farbloswirken. Die Phantasie des Lesers ist dazu aufgerufen, das wirk-liche Geschehen aus den Überbleibseln und der Staffage der pu-blizierten Prosa neu zu erschaffen. Nach meinem Urteil darfman behaupten, daß der vorliegende Band nicht unter diesemüblichen Manko leidet. Diese Essays und Diskussionsbeiträgewerden, wie der Leser erkennen wird, von der motivierendenKraft intellektueller Leidenschaft getragen. Die Gesprächsteil-nehmer nehmen ihr Thema ernst, und die bemerkenswertenwissenschaftlichen Leistungen, die sie im Laufe von Jahrzehn-ten erbracht haben, geben ihnen das Recht, auch ihrerseits ernst-genommen zu werden. Außerdem steht ungewöhnlich viel aufdem Spiel. Denn bei dem Projekt der kognitiven Neurowissen-schaft geht es um nichts Geringeres als die Einbeziehung des-sen, was wir gern die menschliche Natur nennen, in den Bereichdieser Wissenschaft. Dennett und Searle neigen mit einer Zu-versicht, die wie Eifer wirken mag, zu der Auffassung, dieserProzeß der Einbeziehung sei schon recht weit gediehen. Ben-nett und Hacker hingegen erinnern mit einer Vorsicht, die wieSkepsis wirken mag, an die Möglichkeit, das Projekt selbst kön-ne auf einem Irrtum beruhen.

Mir wurde die ehrenvolle Aufgabe übertragen, das Schluß-kapitel des geplanten Buchs zu schreiben. Soweit ich mirüberhaupt feste Meinungen zu dieser Thematik gebildet habe,werden sie in diesem Kapitel zusammengefaßt, indem ich dieflinken Stöße und Paraden der Hauptfiguren dieser Debatte

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gegeneinander abwäge. Der Leser wird hoffentlich mit Nach-sicht feststellen, daß ich mich in dieser Sache kaum zu definiti-ven Ansichten habe durchringen können. Wie ich sehe, habensich Searle und Dennett das Ziel gesetzt, ein funktionsfähigesund glaubwürdiges Modell vorzulegen, aus dem hervorgeht, inwelcher Weise Vorgänge unter der Haut den Geist realisieren.Norbert Wiener, der zu den wirklich weisen Wissenschaftlerngehört, hat einmal gemeint, das beste physische Modell einerKatze sei eine Katze – nach Möglichkeit dieselbe Katze. Den-noch kann es ohne Modelle (zu denen übrigens auch anthropo-morph durchsetzte Modelle gehören können) auf keinem Ge-biet ausbleiben, daß schon allein das Gewimmel der wirklichenWelt jeglichen wissenschaftlichen Fortschritt vereitelt. Wederdurch einen Kalkül noch durch eine Gleichung werden dieGrenzen bestimmt, an die sich die Vorstellungskraft des Mo-dellkonstrukteurs halten muß.

Letzten Endes werden solche Dinge auf der höheren Ebeneder Ästhetik ausgetragen. Damit möchte ich keineswegs sagen,hier sei weniger Raum für analytische Strenge. Vielmehr ist phi-losophische Analyse im besten Sinn ein ästhetisches Unterfan-gen. Gewiß fühlen sich Physiker und Mathematiker aus demgleichen Grund von »Eleganz« angezogen. Ist es denn nicht et-was Ästhetisches, wodurch sich Ockhams Rasiermesser als be-vorzugtes Werkzeug der Verfeinerung und zur Findung vonMaß, Proportionalität und Kohärenz etabliert hat? Gerade indiesen Hinsichten wird der Leser in der Kritik von Bennett undHacker – und zwar vor allem in Peter Hackers philosophischreichhaltiger und versierter Kritik – nicht so sehr eine Tendenzzur Skepsis ausmachen, sondern eine, wie gesagt, elegante An-wendung der besonders tauglichen Werkzeuge, die von Philo-sophen verfertigt worden sind.

Dies vorausgeschickt, ist es wichtig, darüber hinauszugehenund einzusehen, wie unwahrscheinlich es ist, daß sich die wech-selnde, oft unbeständige und wundersam innerliche Realität

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unseres wirklichen Erlebens in seiner Gesamtheit je der Wahr-heitstafel, der Turingmaschine oder den Gerätschaften der Ana-tomie erschließen wird. Es sollte uns nicht überraschen, wennsich herausstellt, daß der Philosoph, von dem viele der erstenWorte über wichtige Themen stammen, womöglich auch dasletzte Wort darüber gesagt hat. Hier beziehe ich mich natürlichauf Aristoteles: Wir sollten dort nach Präzision streben, wo siemöglich ist. Wir sollten jene Werkzeuge wählen, die zur Erfül-lung der jeweils anstehenden Aufgabe geeignet sind. Zu guterLetzt müssen sich unsere Erklärungen auf verständliche Weisemit dem Gegenstand der Erklärung berühren. Der Demograph,der uns mit lobenswerter Genauigkeit darüber aufklärt, daß dieDurchschnittsfamilie 2,53 Angehörige umfaßt, fühlt sich kei-neswegs zu der Auskunft verpflichtet, daß es keine 0,53 Perso-nen gibt. Derartige Angaben tun gar nicht so, als beschrieben siedie Natur der gezählten Gegenstände, sondern ihr Resultat istlediglich diese angegebene Zahl. Die Pointe des Hinweises liegtnatürlich darin, daß wissenschaftliche oder auch arithmetischePräzision vielleicht so gut wie gar nichts über den Gegenstandaussagt, der mit solcher Exaktheit untersucht worden ist. Hierwie anderswo gilt der Grundsatz Caveat emptor – der Käuferselbst trägt das Risiko.

Die Leser werden mit angemessenem Interesse, ja mit einemAnflug von Eitelkeit an die folgenden Ausführungen herange-hen, denn sie handeln ja von ihnen selbst. An das vorgelegteMaterial werden sie ihre eigenen ästhetischen Maßstäbe anle-gen. Letzten Endes sind sie es, die entscheiden, ob sich die gebo-tenen Erklärungen in verständlicher Weise mit den wirklichausschlaggebenden Dingen berühren. Eine gute Jury ist aller-dings nicht besser als die Belege, welche den Geschworenenvorgelegt werden, die sich bei ihren Beratungen von soliden Re-geln der Indizienprüfung leiten lassen. Geduldiger Leser, wer-ter Geschworener! Auf den folgenden Seiten finden sich man-che Belege aus der kognitiven Neurowissenschaft sowie eine

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außerordentlich klare Darstellung der Regeln, die sich auf dieBewertung des Indizienmaterials anwenden ließen. Mit demUrteil hat es keine Eile.

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Die Kritik

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Maxwell Bennett und Peter Hacker

Die philosophischen Grundlagender Neurowissenschaft

Die Einleitung1

In Philosophical Foundations of Neuroscience werden die Er-gebnisse der Zusammenarbeit zwischen einem Neurowissen-schaftler und einem Philosophen vorgelegt. Dabei geht es umdie begrifflichen Grundlagen der kognitiven Neurowissen-schaft. Gebildet werden diese Grundlagen von den strukturel-len Beziehungen zwischen den psychologischen Begriffen, diebei der Erforschung des neuronalen Unterbaus der kognitiven,affektiven und volitionalen Fähigkeiten des Menschen eine Rol-le spielen. Die Untersuchung der logischen Beziehungen zwi-schen Begriffen ist eine philosophische Aufgabe. Der Neuro-wissenschaft obliegt es, diese Untersuchung so zu leiten, daß siefür die Gehirnforschung erhellend ist. Aus diesem Grund ha-ben wir uns diesem Gemeinschaftsunternehmen verschrieben.

Klarheit hinsichtlich der einschlägigen Begriffe und Katego-rien ist unabdingbar, wenn man verstehen möchte, was es mitden Wahrnehmung, Denken, Gedächtnis, Emotionen und ab-sichtliches Verhalten ermöglichenden Strukturen und der Dy-namik des Nervensystems auf sich hat. Aus ganz verschiedenenForschungsrichtungen kommend, hat sich bei uns beiden dasGefühl eingestellt, daß der Gebrauch, der in der heutigen Neu-

1 Der hier wiedergegebene Text der Einleitung aus M.R. Bennett undP. M.S. Hacker, Philosophical Foundations of Neuroscience, Oxford: Black-well 2003 (im folgenden: PFN), ist ungekürzt bis auf die letzten beiden Ab-sätze, die hier nicht abgedruckt werden, und einige Querverweise, die nöti-genfalls durch Anmerkungen ersetzt wurden.

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rowissenschaft von psychologischen Begriffen gemacht wird,verwirrend ist und mitunter Unbehagen bereitet. Die Verwir-rung bezieht sich oft auf Fragen wie: Was kann mit den The-sen des Neurowissenschaftlers über Gehirn und Geist gemeintsein? Wieso glaubt er, daß die von ihm angestellten VersucheAufschluß geben über die psychische Fähigkeit, der seine For-schung gilt? Welches sind die begrifflichen Voraussetzungender aufgeworfenen Fragen? Das Unbehagen entstand aus demVerdacht, daß die Begriffe in manchen Fällen nicht richtig inter-pretiert, falsch angewendet oder über den Bereich der definie-renden Anwendungsbedingungen hinaus strapaziert wordenwaren. Je mehr wir nachforschten, desto mehr festigte sich un-sere Überzeugung, daß es den imponierenden Fortschritten inder kognitiven Neurowissenschaft zum Trotz mit der allgemei-nen Theoriebildung nicht zum Besten steht.

Empirische Fragen, die das Nervensystem betreffen, gehörenzum Gebiet der Neurowissenschaft. Deren Aufgabe ist es, Sach-verhalte aufzuzeigen, die sich auf neuronale Strukturenund Wir-kungen beziehen. Der kognitiven Neurowissenschaft obliegtes, jene neuronalen Bedingungen zu erklären, die perzeptuelle,kognitive, kogitative, affektive und volitionale Funktionen er-möglichen. Diese erklärenden Theorien werden durch experi-mentelle Untersuchungen bestätigt oder widerlegt. Zum ange-stammten Bereich der Philosophie hingegen gehören sowohlbegriffliche Fragen (bei denen es etwa um Begriffe wie »Geist«oder »sich erinnern«, »denken« oder »sich etwas vorstellen«geht) als auch die Beschreibung der logischen Beziehungenzwischen Begriffen wie »Wahrnehmung« und »Empfindung«,»Bewußtsein« und »Selbstbewußtsein« sowie die Untersu-chung der strukturellen Beziehungen zwischen verschiedenenBegriffsfeldern wie dem Psychischen und dem Neuronalenoder dem Mentalen und dem Verhalten.

Begriffliche Fragen kommen vor allen Überlegungen, dieWahrheit und Falschheit betreffen. Bei diesen Fragen geht es

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nicht um die Wahrheit oder Falschheit empirischer Aussagen,sondern um unsere Formen der Darstellung. Diese Formenwerden von wahren (und falschen) erfahrungswissenschaftli-chen Aussagen ebenso vorausgesetzt wie von zutreffenden (undunzutreffenden)erfahrungswissenschaftlichenTheorien. Siebe-stimmen nicht, was empirisch wahr oder falsch ist, sondernwas Sinn hat und was nicht. Daher sind begriffliche Fragen we-der erfahrungswissenschaftlichen Untersuchungen und Experi-menten noch erfahrungswissenschaftlichen Theorien zugäng-lich. Denn die Begriffe und die begrifflichen Beziehungen, umdie es hier geht, werden von allen derartigen Untersuchungenund Theorien vorausgesetzt. Dabei geht es uns nicht um dieGrenzen zwischen den Zuständigkeitsbereichen verschiedenerGewerkschaftsorganisationen, sondern um Unterscheidungenzwischen logisch verschiedenen Formen der theoretischen For-schung.2

Die Unterscheidung zwischen begrifflichen und empirischenFragen ist von größter Bedeutung. Wird eine begriffliche Fragemit einer erfahrungswissenschaftlichen verwechselt, muß dasProblem überaus widerspenstig wirken. In solchen Fällen hatman den Eindruck, die Wissenschaft sollte dazu in der Lagesein, die Wahrheit über die untersuchte Sachlage mit theoreti-schen und experimentellen Mitteln herauszubekommen. Aberes will einfach nicht gelingen. Das ist kein Wunder, denn be-grifflichen Fragen ist mit empirischen Untersuchungsmetho-den ebensowenig beizukommen, wie rein mathematische Auf-gaben durch physikalische Methoden zu lösen sind. Wenn manohne angemessene begriffliche Klarheit an empirische Proble-me herangeht, kann es gar nicht ausbleiben, daß falsch verstan-dene Fragen gestellt werden, und die dann eingeschlagenenForschungswege führen wahrscheinlich in die Irre. Denn jede

2 Auf methodologische Einwände gegen diese Unterscheidungen wird imfolgenden sowie (in detaillierterer Form) im 14. Kapitel von PFN eingegan-gen.

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Unklarheit hinsichtlich der betreffenden Begriffe wird sich inentsprechenden Unklarheiten der Fragestellungen spiegeln unddaher in der Anlage von Experimenten, die der Lösung dienensollen. Jede Ungereimtheit im Verständnis der relevanten Be-griffsstruktur äußert sich wahrscheinlich in Ungereimtheitender Interpretation der Versuchsergebnisse.

Die kognitive Neurowissenschaft überschreitet die Grenzezwischen zwei Bereichen – nämlich Neurophysiologie undPsychologie –, deren jeweilige Begriffe verschiedenartigen Ka-tegorien angehören. Die logischen, also begrifflichen Beziehun-gen zwischen dem Physiologischen und dem Psychologischensind zweifelhaft. Bei vielen psychologischen Begriffen und Be-griffskategorien bereitet es große Mühe, die Optik scharf einzu-stellen. Das Verhältnis zwischen Geist und Gehirn ist ebensounübersichtlich wie das zwischen den Bereichen des Psychi-schen und des Verhaltens. Daß man sich hinsichtlich dieser Be-griffe und ihrer Äußerungen sowie hinsichtlich dieser allemAnschein nach gegebenen »Bereiche« und ihrer gegenseitigenBeziehungen nicht auskennt, kennzeichnet die Neurophysiolo-gie von Anfang an.3 Trotz der großen neurowissenschaftlichenFortschritte, die zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts vonCharles Sherrington erzielt wurden, sind die diversen begriff-lichen Fragen, die gemeinhin unter Bezeichnungen wie »Leib-Seele-Problem« oder »Geist-Gehirn-Problem« bekannt sind,von einer Lösung genauso weit entfernt wie eh und je. Das zeigtsich auch an den unzulänglichen cartesianischen Auffassungen,die nicht nur von Sherrington selbst, sondern auch von Kolle-gen und Proteges wie Edgar Adrian, John Eccles und WilderPenfield vertreten worden sind. An der Vortrefflichkeit ihrerLeistungen ist zwar nicht zu rütteln, aber die Begriffsverwir-

3 Dementsprechend beginnt das 1. Kapitel von PFN mit einem histori-schen Überblick über die Entwicklung der Neurowissenschaft, als sie nochin den Kinderschuhen steckte.

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rungen bestehen nach wie vor.4 Die Frage, ob es der heutigenGeneration von Neurowissenschaftlern gelungen ist, die be-grifflichen Konfusionen früherer Generationen zu überwinden,oder ob sie lediglich eine Form der Begriffsverwirrung durchandere ersetzt hat, ist das Thema der in unserem Buch vorgeleg-ten Untersuchung.

Eine dieser Begriffsverwirrungen wird daran deutlich, daßdem Gehirn immer wieder psychologische Eigenschaften zuge-schrieben werden. Denn während psychologische Eigenschaf-ten von Sherrington und seinen Schützlingen dem (als eigen-tümliche, vielleicht immaterielle und vom Gehirn verschiedeneSubstanz begriffenen) Geist zugeschrieben wurden, haben heu-tige Neurowissenschaftler die Tendenz, die gleichen psycholo-gischen Attribute vom Gehirn auszusagen (das normalerweise,wenn auch nicht durchweg, als mit dem Geist identisch aufge-faßt wird). Der Geist ist jedoch, wie wir geltend machen,5 we-der eine vom Gehirn verschiedene noch eine mit dem Gehirnidentische Substanz. Außerdem zeigen wir, daß es ungereimtist, dem Gehirn psychologische Eigenschaften zuzuschreiben.6

Wir Menschen verfügen über eine Vielzahl psychischer Fähig-keiten, die im Leben zum Einsatz gebracht werden, wenn wirwahrnehmen, denken und Überlegungen anstellen, Emotionenempfinden, Dinge haben wollen, Pläne schmieden und Ent-scheidungen treffen. Daß wir diese Fähigkeiten haben, defi-niert uns als die Lebewesen, die wir tatsächlich sind. Die Be-dingungen und Begleitumstände des Vorhandenseins und derAusübung dieser Vermögen kann man erforschen. Das ist dieAufgabe der Neurowissenschaft, die immer mehr darüber her-ausfindet. Doch ihre Entdeckungen ändern gar nichts an der

4 Das 2. Kapitel von PFN ist einer kritischen Prüfung ihrer begrifflichenFestlegungen gewidmet.5 PFN, 3. Kapitel, Abschnitt 10.6 Siehe unten den Auszug aus dem 3. Kapitel von PFN. Im Original ist die-ses Kapitel sehr viel länger als der hier wiedergegebene Auszug und die Ar-gumentation entsprechend komplexer.

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begrifflichen Wahrheit, daß diese Fähigkeiten und deren Aus-übung in der Wahrnehmung wie im Denken und Fühlen Eigen-schaften von Menschen sind, nicht Eigenschaften ihrer Teile,insbesondere nicht des Gehirns. Der Mensch ist nicht ein inden Schädel eines Körpers eingebettetes Gehirn, sondern einepsychophysische Einheit, ein Lebewesen, das wahrnehmen,absichtlich handeln, Überlegungen anstellen und Emotionenempfinden kann, ein die Sprache gebrauchendes Lebewesen,das nicht nur Bewußtsein, sondern auch Selbstbewußtsein hat.Sherrington, Eccles und Penfield hatten den Menschen als einLebewesen begriffen, dessen als Träger psychologischer Ei-genschaften aufgefaßter Geist mit dem Gehirn verbunden ist.Gegenüber dieser verfehlten Auffassung bedeutet es keinenFortschritt, wenn man annimmt, das Gehirn sei ein Träger psy-chologischer Attribute.

In der heutigen Neurowissenschaft ist es üblich zu sagen, dasGehirn nehme wahr, denke, vermute oder glaube, und manspricht davon, daß die eine Hälfte des Gehirns etwas wisse, wo-von die andere Hälfte keine Ahnung habe. Zur Verteidigungwird manchmal vorgebracht, das sei nichts weiter als eine harm-lose Facon de parler. Darin liegt jedoch ein Fehler. Denn in derheutigen kognitiven Neurowissenschaft besteht die charakteri-stische Form der Erklärung darin, daß man dem Gehirn undseinen Teilen psychologische Eigenschaften zuschreibt, um zuerklären, inwiefern dem Menschen psychologische Attributeund die Ausübung (bzw. Defekte in der Ausübung) kognitiverFähigkeiten zuzusprechen sind.

Daß dem Gehirn psychologische und speziell kognitive undkogitative Eigenschaften zugeschrieben werden, ist, wie wirzeigen, auch die Quelle vieler weiterer Konfusionen. Die Neu-rowissenschaft kann die neuronalen Bedingungen und Begleit-umstände des Erwerbs, des Besitzes und der Ausübung derEmpfindungsfähigkeiten bestimmter Lebewesen untersuchen.Außerdem kann sie die neuronalen Voraussetzungen der Mög-


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