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STUZ-Interview mit Mitgliedern des Mainzer …...Athen 2004 einsetzen. Wenn Sie keinen olympischen...

Date post: 01-Feb-2020
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1 © Katie Scholl STUZ-Interview mit Mitgliedern des Mainzer „Research Team Olympia“ anlässlich der Olympischen Winterspielen in Vancouver 2010. 01.04.2010 Vorstellungsrunde der Interview-Teilnehmer, die während der Olympischen Spiele 2010 in Vancouver als Mitglieder des „Research Team Olympia“ eine Zuschauerbefragung beim Bi- athlon durchgeführt haben. Lisa Reithmann (R): Wissenschaftliche Mitarbeiterin von Prof. Müller. Sie war bereits 2008 bei den Olympischen Spielen in Peking mit im Team und hat auch dort die Befragung mit durchgeführt. Katharina Galuba (G) hat Bildende Kunst und Sport studiert, promoviert bei Prof. Müller im Bereich der Sportgeschichte zu dem Thema: Olympische Kulturprogramme. Katie Scholl (S) hat Anfang 2010 ihr Magister-Studium (Politikwissenschaft, Sportwissen- schaft, Philosophie) beendet und war über ein Seminar von Prof. Müller 2008 mit in Peking. Sie war bereits 2000 bei den Olympischen Spielen in Sydney. Norbert Müller (M) ist seit 1976 Professor der Sportwissenschaft. Seit seiner Doktorarbeit (1970-74) ist er mit olympischen Werten, Idealen und den Ideen Coubertins wissenschaft- lich eng verbunden. Er ist Herausgeber der pä- dagogischen und olym- piabezogenen Schriften Coubertins in Franzö- sisch, Englisch, Chine- sisch und Spanisch. Bei ihm wurden zirka 200 Examensarbeiten zu olympiabezogenen Themen geschrieben. Seine Leidenschaft ist auch die Auswertung seiner Sammlung von ca. 400 Filmen mit Olympiabezug. M: Mittlerweile ist die historische Frage nur noch ein Ableger, es geht vielmehr um die Zu- kunft der Olympischen Bewegung der Spiele und die Werte überhaupt, die sehr in Frage ge- stellt sind. Genau deshalb sind diese Befragungen, die seit 1992 – und international seit 2000 – durchgeführt werden, wichtig geworden. So können wir einen Einblick bekommen, wie die Menschen vor Ort und die internationalen Besucher der Olympischen Spiele vor ihrem eige- nen persönlichen Hintergrund die Spiele und die Wettkämpfe, die sie beobachten, beurteilen, warum sie zu den Olympischen Spielen fahren und wie sie die Werte selbst sehen und was sie im Fernsehen und anderen Medien und sonst gehört haben. So haben wir neben der histori- schen eine sehr breite soziologische Schiene mit umfassenden empirischen Auswertungen und qualitativen Befragungen. Letztere geht besonders auf den bekannten Sportsoziologen, Prof. Manfred Messing, der an der Uni Mainz von 1982- 2007, also 25 Jahre bis zu seinem Ruhe- stand gelehrt hat und als Mitglied der Forschungsgruppe die soziologischen Fragestellungen und deren Bearbeitung leitet.
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© Katie Scholl

STUZ-Interview mit Mitgliedern des Mainzer „Research Team Olympia“ anlässlich der Olympischen Winterspielen in Vancouver 2010.

01.04.2010 Vorstellungsrunde der Interview-Teilnehmer, die während der Olympischen Spiele 2010 in Vancouver als Mitglieder des „Research Team Olympia“ eine Zuschauerbefragung beim Bi-athlon durchgeführt haben. Lisa Reithmann (R): Wissenschaftliche Mitarbeiterin von Prof. Müller. Sie war bereits 2008 bei den Olympischen Spielen in Peking mit im Team und hat auch dort die Befragung mit durchgeführt. Katharina Galuba (G) hat Bildende Kunst und Sport studiert, promoviert bei Prof. Müller im Bereich der Sportgeschichte zu dem Thema: Olympische Kulturprogramme. Katie Scholl (S) hat Anfang 2010 ihr Magister-Studium (Politikwissenschaft, Sportwissen-schaft, Philosophie) beendet und war über ein Seminar von Prof. Müller 2008 mit in Peking. Sie war bereits 2000 bei den Olympischen Spielen in Sydney. Norbert Müller (M) ist seit 1976 Professor der Sportwissenschaft. Seit seiner Doktorarbeit (1970-74) ist er mit olympischen Werten, Idealen und den Ideen Coubertins wissenschaft-lich eng verbunden. Er ist Herausgeber der pä-dagogischen und olym-piabezogenen Schriften Coubertins in Franzö-sisch, Englisch, Chine-sisch und Spanisch. Bei ihm wurden zirka 200 Examensarbeiten zu olympiabezogenen Themen geschrieben. Seine Leidenschaft ist auch die Auswertung seiner Sammlung von ca. 400 Filmen mit Olympiabezug. M: Mittlerweile ist die historische Frage nur noch ein Ableger, es geht vielmehr um die Zu-kunft der Olympischen Bewegung der Spiele und die Werte überhaupt, die sehr in Frage ge-stellt sind. Genau deshalb sind diese Befragungen, die seit 1992 – und international seit 2000 – durchgeführt werden, wichtig geworden. So können wir einen Einblick bekommen, wie die Menschen vor Ort und die internationalen Besucher der Olympischen Spiele vor ihrem eige-nen persönlichen Hintergrund die Spiele und die Wettkämpfe, die sie beobachten, beurteilen, warum sie zu den Olympischen Spielen fahren und wie sie die Werte selbst sehen und was sie im Fernsehen und anderen Medien und sonst gehört haben. So haben wir neben der histori-schen eine sehr breite soziologische Schiene mit umfassenden empirischen Auswertungen und qualitativen Befragungen. Letztere geht besonders auf den bekannten Sportsoziologen, Prof. Manfred Messing, der an der Uni Mainz von 1982- 2007, also 25 Jahre bis zu seinem Ruhe-stand gelehrt hat und als Mitglied der Forschungsgruppe die soziologischen Fragestellungen und deren Bearbeitung leitet.

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Institut für Sportwissenschaft der Uni Mainz- Abt. Sportgeschichte Prof. Müller Stand: Sept 2010
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STUZ: Sie haben jetzt schon ganz kurz gesagt, was ihre Ziele sind; wie und wann ist denn die Forschungsgruppe Olympia entstanden? M: Erste Ansätze waren 1976 bei den Olympischen Spielen in Montreal. Seit 1982 veranstalten wir akademische Seminare im antiken Olympia, 1984 waren wir bei den Olympischen Spielen in Los Angeles präsent. 1988 mit 25 Studenten bei den Olym-pischen Spielen in Seoul/Korea. Das war ein Zufall! Der dama-lige Präsident der Partner-Universität Dankook in Seoul war hier 1987 zu Besuch und hatte sehr großzügig erklärt: „Ihr seid natürlich herzlich willkommen mit euren Studenten bei den Olympischen Spielen nächstes Jahr.“ Und da haben wir ge-schrieben, wir nehmen die Einladung gerne an. Da diese Forschungsreise ein großer Erfolg war, kamen von

studentischer Seite im Vorfeld der nächsten Olympischen Spiele immer neu die Anfragen: „Wie kann ich das für mein Studium nutzen?“, und deshalb haben wir dann richtig große Gruppen von Studierenden, die zu den vor den Spielen stattfindenden Wissenschaftskongres-sen fahren, danach hoch motiviert von den Olympischen Spielen zurückkommen und darauf brennen, ihre Erfahrungen in Diplomarbeiten umzusetzen. Dass Olympia und die Olympi-schen Spiele so viele Studenten aus Mainz, bis heute etwa 500, begeisterte und zum Teil ihrer akademischen Lebensplanung gemacht haben, das ist ja das Spannende. Besonders berei-chernd ist für mich die enge Zusammenarbeit mit den Studierenden vor Ort und damit auch die gemeinsame Erfahrung mit ganz unterschiedlichen Augen gesehen. Wenn man wie 2008 fünf gemeinsame Wochen in China plant, dann muss der Verhältnis von Lehrenden und Ler-nenden zueinander stimmen; in Peking waren wir mit den Professoren Ochsmann, Messing und Marxen gleich vier Hochschullehrer, aber auch 20 Studierende. Ich betrachte die Olympi-schen Spiele als einer, der seit 1972 in München dabei war. Dort war ich Protokollchef im Olympischen Dorf für mehrere Monate, habe leider das Attentat hautnah miterlebt, aber auch unendliche Lebenserfahrungen gesammelt. Ich sehe die Olympischen Spiele in dieser Konti-nuität seit 1972 ständig mit anderen Augen, kritisch oder weniger kritisch oder wie auch im-mer, während die Studenten, die mitgehen, das aus ihrer einmaligen Perspektive sehen: Die junge Generation, deren Jugendkultur, deren andere Denkweise, aber auch deren veränderte Art Werte zu beurteilen. Und das macht es für mich so spannend, dass man einfach in diesem Austausch dazulernt und das gibt mir auch ganz viel Hintergrund, meine Beurteilungen aktu-eller und zeitnaher und auch mit studentischer Hintergrundmeinung abzugeben. Das mache ich auch gegenüber dem IOC oder in meiner Funktion als Präsident des Internationalen Cou-bertin-Komitee. Im IOC bin seit 1988 in verschiedenen Ausschüssen, gerade kam die Ernen-nung zum "Ausschuss für olympische Erziehung und Kultur". Wenn ich dort die Ergebnisse, die wir uns hier gemeinsam erarbeiten, vorstelle, dann ist das weltweit etwas Einzigartiges und für die IOC-Mitglieder und deren Entscheidungen eine wichtige Außensicht. STUZ: Und wer ist dann neben der Universität noch beteiligt, woher bekommen Sie Ihre fi-nanzielle Unterstützung? M: Meistens organisieren wir unsere Olympiaeinsätze ohne nennenswerte finanzielle Unter-stützung von außen. Zum Beispiel in Peking existiert ein Elitegymnasium, das den Namen des Olympiagründers Pierre de Coubertin trägt. Diese Schule hat uns als Gäste aufgenommen. Wir bauen dann sehr frühzeitig Kontakte auf, in diesem Fall haben unsere Studenten Email-Freundschaften zu Schülern aus dem dortigen Abschlussjahrgang über Internet begonnen. Diese chinesischen Schüler waren mit großem Engagement als Dolmetscher, aber auch als

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wirkliche junge Freunde bei unseren Aktionen dabei. Den Aufenthalt in China haben die Mainzer Teilnehmer völlig selbst finanziert, während wir jetzt für Vancouver 3000 Euro Zu-schüsse von der Universität bekommen haben. Zu Athen 2004: In den siebziger Jahren waren viele Griechen als Sportstudenten in Mainz. Einer ist Leiter des Hochschulsports an der Universität Athen und hat uns seine Sporthalle als Quartier angeboten, da im August in Griechenland Ferien. Dann hat er sie vorher noch Waschanlagen und eine kleine Küche einbauen lassen. So hatten wir für die Olympischen Spiele und Paralympics die Sporthalle gehabt – umsonst. Das war sein Dank an Mainz. STUZ: Und wie ist das jetzt, diese Olympischen Spiele waren ja eine Kooperation mit dem Internationalen Biathlon-Verband. M: Das ist kompliziert. Sie können bei Olympischen Spielen nicht einfach hingehen und Fra-gebögen austeilen. Dann werden Sie innerhalb von 10 Minuten vom Sicherheitspersonal fest-gehalten. Sie brauchen bei den Olympischen Sommer- und Winterspielen einen starken Part-ner. Bei den Sommerspielen ist es der Moderne Fünfkampf-Verband und deren deutscher Prä-sident Dr. Klaus Schormann. Bei den Winterspielen ist es der Biathlonverband, der mit dem Modernen Fünfkampf traditionell eine enge Zusammenarbeit pflegt. Aufgrund unserer Befra-gungen in Sydney 2000 hat uns der Biathlonverband für eine Befragung der Zuschauer in Salt Lake City 2002 angeworben; Grund war, dass Biathlon in Nordamerika nicht populär ist und der Verband ein Bedürfnis hatte, die Gründe für diese Situation - und auch die Möglichkeiten populärer zu werden - herauszufinden. Durch unsere Befragungen wecken wir Interesse, zu-mal wir ja rein aus wissenschaftlichem Antrieb arbeiten. Bei der Biathlon-Befragung 2002 bekamen unsere Forschungsgruppe 2500 Euro Anerkennungshonorar, das konnten wir für Athen 2004 einsetzen. Wenn Sie keinen olympischen Weltverband als Partner haben, und der damit auch vor Ort dem Organisationskomitee gegenüber für Sie bürgt und sagt, "das ist mei-ne Forschungsgruppe", dann haben Sie für eine solche Untersuchung keine Chance. Es gibt keine Forschungsgruppe nach meiner Information, die sich ein solches Vertrauen wie wir auf-gebaut hat. STUZ: Ja, das ist gut, aber eigentlich ist es dann ja eine sehr einseitige Sache, der Biathlon-Verband wird wahrscheinlich im Endeffekt Ihre Ergebnisse bekommen und wird davon profi-tieren. M: Ja natürlich R: Wir können ja vergleichen. Das Wichtigste ist, dass wir bei so vielen Spielen wie möglich dabei sind, um in der Zeitfolge vergleichen zu können. Die Fragen sind immer ähnlich, natür-lich werden sie auch an die Moderne angepasst: Was sind die Probleme von heute bei den Olympischen Spielen? Wir vergleichen dann, wie es 2002 in Salt Lake war und wie es 8 Jahre später in Vancouver aussieht, das ist natürlich sehr interessant. S: Der Fragebogen war auch sehr weit gefasst, es gab Fragen zum Biathlon, aber auch einen ganz großen Fragenkomplex zu der Kulturolympiade. Eigentlich haben die Biathlonfragen nur etwa die Hälfte ausgemacht. Andere interessante Fragen waren z. B. ob die Zuschauer interes-siert sind an einem Mix-Wettkampf, das gibt es bei den Olympischen Winterspielen noch nicht, so eine Fragestellung ist für die Biathlon-Union wichtig. Dann geht es im Fragebogen weiter mit Fragen zur Kulturolympiade, das interessiert die Biathlon-Union allerdings nicht. Stattdessen sind solche Fragen aber z. B. für Katharina Galuba aufschlussreich, die im Be-reich der Olympischen Kulturprogramme forscht.

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M: Oder unsere Werte-Fragen. Damit bekommen wir Antworten für eine laufende Doktorar-beit im sportethisch-philosophischen Bereich. R: Genau. Wir haben offiziell über die Sportart das Entree, müssen uns also nicht “reinschummeln“ und dann dürfen wir auch unsere persönlichen Forschungsinteressen ein-bringen. G: Zu Fragen nach den olympischen Werten existiert bisher keine Forschungsgruppe, die in-ternationale Befragungen in diesem Umfang durchführt. Mit den gewonnenen Ergebnissen kann z.B. Prof. Müller bei IOC-Konferenzen fundiert argumentieren und ggf. Veränderungen für kommende Spiele vorschlagen. Mit Blick auf die Entwicklung der kulturellen Angebote während der Olympischen Spiele, kann das Konzept von Vancouver 2010 als sehr gelungen bezeichnet werden. Diese subjektive Wahrnehmung gilt es im Nachhinein mit Hilfe der 600 Befragungen zu belegen. STUZ: Bedeutet das, dass ihr den Fragebogen gemeinsam erarbeitet habt, also jeder seine Interessen da mit eingebracht hat? G: Die Fragebögen haben eine lange Tradition, es gibt sie seit 1992. M: Richtig, aber zu 40-50 % hat jeder seine Interessen eingebracht. S: Das ist eine Trend-Analyse, man vergleicht über Zeiträume hinweg, natürlich immer aktua-lisiert. M: Das war auch das Problem, weil er dadurch so lang wurde. G: Einige der Befragten beklagten die Länge des Fragebogens. Da teilweise der Besucher, abhängig von seinen Englischkenntnissen, zwischen 10 und 15 Minuten mit dem Ausfüllen beschäftigt war. R: Weil beim Biathlon viele deutsche Fans waren, hätten wir besser auch auf Deutsch befra-gen sollen. S: Auch Österreicher und Schweizer waren vor Ort. Einige, die gründlich ausfüllen wollten, haben fast 20 Minuten gebraucht, 15 Minuten war wohl die Marke. G: Befragen konnten wir nur in den zweistündigen Mittagspausen. So wurden die Bögen z.B. von Zuschauer, die beim Essen angestanden oder auf der Tribüne saßen ausgefüllt. So hatten wir nur ein Zeitfenster von ca. 1 Stunde, in dieser wir versuchten, möglichst viele ausgefüllte Fragebögen einzusammeln. An den zwei Befragungstagen gelang uns dies sehr gut, unterstütz durch das schöne Wetter und die gute Stimmung. M: Und es war gutes Wetter, wenn schlechtes Wetter ist, können Sie die Zuschauer in Kälte und Schnee nicht zum Ausfüllen bewegen. Das war in Salt Lake City 2002 unsere Erfahrung: tolles Wetter, Mittagspause zwischen den Morgenwettkämpfen Frauen, Mittagwettkämpfen Männer oder umgekehrt, die Leute sind guter Stimmung, sie sitzen auf der Tribüne, das war in Salt Lake City noch besser, weil die Tribüne in der Sonne lag, hier war die Tribüne im Schatten, da war also der Hügel, wo die Stehplätze waren, viel besser in dem Fall, nur da saßen sie mit der Hose im Schnee, aber sie haben sich einen Karton oder Anorak darunter gelegt, da war die Stimmung einfach klasse.

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Wie gesagt, man muss die Stimmung mit einfangen und das Wetter. Ich war bereits am ersten Wettkampftag beim Biathlon zum Testen. Da war schlechtes Wetter und wir hatten Ängste, ob die Befragung überhaupt klappen wird. Dann kam die Wetterprognose und es war genau an den zwei folgenden Biathlon-Tagen gutes Wetter. Deswegen waren wir alle sehr glücklich, dass das so gelaufen ist. STUZ: Wie viele Tage hatten Sie denn insgesamt? M: Wir hatten 2 Tage und haben 608 Befragungen durchgeführt. R: …nach 2 Tagen, insgesamt etwa 4 Stunden. M: Vom Sozialwissenschaftlichen ist das top. STUZ: Und wie war so die Arbeitsweise: Seid ihr hingegangen und habt es den Leuten in die Hand gedrückt und habt gesagt, füllt das bitte aus, oder wie habt ihr das gemacht? G: Das war unterschiedlich, manchmal kamen sogar Leute direkt auf uns zu; mir ist es sogar 2-3 mal passiert, dass die Leute wirklich ihre Meinung loswerden wollten, und gesagt haben: “ja, nach so einem Wettkampf, kann ich so was ausfüllen“, aber meistens hat man die Leute angesprochen, ob sie etwas Zeit hätten und ein wissenschaftliches Projekt unterstützen möch-ten, es geht um Fragen … M: Ja, und wir hatten ja alle eine einheitliche Mütze mit dem Logo der Forschungsgruppe auf … R: …und waren präpariert mit hunderten von Bleistiften und Fragebögen A-4, auf Karton gedruckt. S: Bei mir war es zu 99 %, dass die Leute sehr nett waren und gerne die Bögen ausgefüllt haben. M: Das ist aber Nordamerika, dort klappt so eine Aktion viel besser. G: Die Kanadier waren sehr interessiert und fanden das super, so dass noch weiterführende Fragen direkt an uns gestellt wurden. So haben wir z.B. erzählt, dass mit der Umfrage auch ein Forschungsprojekt verbunden ist. Viele der jüngeren Zuschauer, die ebenfalls noch an der Uni studieren, verstanden: die brauchen unsere Hilfe, und da werden wir schnell die Bögen ausfüllen. STUZ: Das heißt, ihr habt nur die Fragebögen ausgeteilt oder habt ihr auch Interviews ge-führt? S/G: nein M: …oder bei Rückfragen, wenn jemand nicht so gut Englisch sprach, es ging ja nur bei we-nigen, weil keine Zeit war, haben wir fast mit übersetzt. Sie müssen sehr freundlich sein, Sie müssen überzeugen, das geht mit Studentinnen leichter als mit Studenten. G: Wichtig ist darüber hinaus zu wissen, dass sich das Publikum beim Biathlon von dem beim Eishockey deutlich unterscheidet. Da die eingefleischten Biathlon-Fans seit 10, 15 und teil-weise seit 20 Jahren bei jedem großen Biathlon-Wettkampf dabei sind.

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R: Franzosen, Schweizer, Österreicher, Deutsche, Norweger… S: Und die Norweger waren ja sehr erfolgreich. M: Deshalb wird es für die Auswertung interessant, die einzelnen Ländergruppen zu betrach-ten. Wir haben ja nach dem Land gefragt, aus dem sie kommen, da waren sicher viele Kana-dier, US-Amerikaner dabei, und für den Internationalen Biathlon-Verband ist es besonders wichtig, aber auch für uns im Vergleich zu 2002, die Nicht-Biathlon-Fans mit ihrer Meinung einzufangen. Von daher gesehen ist es nicht so schlimm, dass wir keinen deutschen Fragebo-gen hatten, bei diesen Fans, die keine Kosten und Mühen scheuen, können wir uns deren Antworten gut vorstellen, während die Befragung bei Kanadiern und Amerikanern völlig offen ist. S: Wir haben auch erfahren, wenn wir mit den Zuschauern sprachen, dass viele einfach spon-tan zum Biathlon gefahren sind, weil die Tickets noch erhältlich und relativ preiswert waren. Deswegen haben viele Kanadier und Leute aus den USA Tickets gekauft. Für die Kanadier waren die Olympischen Spiele größtenteils nur ein großes Eishockey-Event mit einigen ande-ren Wintersportarten als Zutaten. Die Kanadier sind ja komplett Hockey-verrückt, aber einige sind zum Biathlon gefahren und fanden das auch spannend. Deswegen ist es bestimmt sehr interessant zu sehen, was sie angekreuzt haben. Für viele war es das 1. Mal, dass sie beim Biathlon waren. STUZ: Bei Olympischen Spielen oder beim Biathlon? S: Sowohl als auch. Beides, die waren sehr offen, das ist wahrscheinlich deren Mentalität. STUZ: Wie ist denn der Biathlon speziell beim kanadischen Publikum angekommen? G: Ich glaube recht gut. Es waren viele auch mit ihren Kindern da. Diese Sportart baut sehr viel Spannung auf über den Wettkampfverlauf, da nicht zu jedem Zeitpunkt absehbar ist, wer die Führung übernehmen wird. Dies liegt an dem zeitversetzten Starten. Die Ranglisten wer-den jedoch ständig aktualisiert, so dass der Zuschauer erkennt, wer bisher rechnerisch „vorne liegt“. M: Oder auf dem Großbildschirm ist man ja eng dabei, das ist spannend, bleibt bis zum Schluss spannend. G: Im Gegensatz zu den alpinen Skidisziplinen ist der Zuschauer direkt an der Strecke. Und kann bis zu einem Metern an die Athleten ran. S: Die Anlage ist super gebaut, die haben Start, Ziel und die Schussanlagen, alles vor der Tri-büne, das war nicht bei allen Olympischen Winterspielen so. Manchmal hat man die Schuss-anlage irgendwo. Start und Ziel wieder sind wo anders, dann kann man entweder das eine oder das andere stehen. In Whistler waren alle Entscheidungspunkte gut einsehbar und das wurde viel gelobt. Man konnte den Athleten fast auf die Schulter klopfen beim Vorbeifahren, wenn man gewollt hätte. STUZ: Das ist schön. Noch mal zurück zu dem Fragebogen: Habt ihr speziell – weil ihr ja auch an unterschiedlichen Sachen Interesse habt – eine Frage, wo ihr sagt, da habt ihr sehr überraschende Antworten bekommen und das war jetzt sehr interessant?

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R: Also erst mal, die Auswertung ist ja noch im Gange, deswegen haben wir noch keine Er-gebnisse vorliegen, aber das wird noch kommen. M: Wir haben den 1. Mai als Stichtag. R: Genau. Für mich ist die Frage 13 am interessantesten. Da ich aus der Sportphilosophie komme, interessieren mich die ethischen Fragen natürlich am meisten. Die Frage dazu war: Was sind Ihre Erwartungen an einen olympischen Athleten? Das ist eigentlich genau das, was auch die Zukunft der Olympischen Spiele formen wird und da bin ich sehr gespannt, was die Zuschauer ankreuzt haben. Schwierig ist auch immer: man kriegt Antworten vorgegeben und die hören sich dann ethisch und gut an, also kreuzt man auch das an, weil es sich richtig und gut anhört. Die Frage ist also, wie ehrlich sind die Zuschauer, v.a. auch zu sich selbst, aber das ist immer so ein Problem… M: Wir haben auch Filterfragen, der Prof. Messing passt da schon auf. R: Das wird auf jeden Fall interessant für mich, wo die Tendenzen hingehen, ethisch oder eben nicht, oder nur noch kommerziell? STUZ: Und ist da schon eine Richtung absehbar? R: Das kann man noch nicht sagen. G: Da erst noch alle Daten der Fragebogen das Verarbeitungsprogramm eingeben werden müssen, was wirklich mühsam ist. Denn jede Frage wird einzeln erfasst. M: Man hätte das auch so machen können, dass man elektronisch direkt interviewt hätte, das machen so meist die Befragungsinstitute. Nur, dann müssen Sie das ganze Interview auf 5 Fragen reduzieren und immer dabei bleiben, dann können Sie weniger fragen und viel weni-ger differenzieren, wir hatten 150 Items bei 23 Fragen – Items heißt ankreuzbare Möglichkei-ten. Für eine spontane vor Ort-Befragung ist das ein ungeheuer großer Umfang. Dazu kommt die länderspezifischen Auswertung. Wir werden natürlich die Kanadier und Nordamerikaner bündeln, wir werden die Europäer einzeln betrachten, wir werden vielleicht, wenn die sog. Endzahl bei den 608 genügend Deutsche, Schweizer, Österreicher dabei sind, auch da noch mal Gruppen bilden, um vielleicht den Unterschied zu den Schweden, Norwegern, Finnen zu zeigen. Das sind dann die Möglichkeiten die man hat, und ich denke, dass es signifikante Un-terschiede zwischen den Nordamerikanern und den Kanadiern und den Europäern gibt. Mir ist klar, dass Sie gerne Ergebnisse hätten, aber die haben wir 10 Tage nach den Winterspielen leider noch nicht. Wir können zwar tendenziell sagen, dass Biathlon den Zuschauern "fun" gemacht hat, das mit Sicherheit, auch weil das Wetter an den zwei Befragungstagen sehr schön war, dass da richtig Stimmung aufkam und dass die Zuschauer alle durchweg mit Lust dabei waren. Das wissen wir schon aus den Re-aktionen, aber wir können jetzt nicht differen-ziert sagen, ob jetzt z. B. der olympische Athlet als ein PR-Mann angesehen wird oder als Vor-bild. Meine generelle Aussage: Die Zuschauer, die wir befragt haben, ob sie jetzt Nordamerika-ner waren oder Kanadier, die sonst immer so auf “fun“ aus sind, die haben sich natürlich über die biathlonverrückten Europäer gewundert, die mit

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Fahnen, Trachten und Kuhglocken auftraten, d. h. die Nordamerikaner waren zunächst über-rascht, dass so viele Europäer kamen und daraus ein Volksfest gemacht haben. Aber wenn man bei einer Biathlon-Veranstaltung in Ruhpolding oder wo auch immer schon war oder es im Fernsehen gesehen hat, dann ist das ja dort auch so, so dass die Olympischen Spiele sich eigentlich von solchen europäischen Veranstaltungen zunächst gar nicht unterscheiden. Aber die Olympiabesucher aus einem anderen Erdteil kennen eine solche Atmosphäre gar nicht. Biathlon wurde ja vom deutschen Fernsehen für die Zuschauer besonders spannend gemacht. Das hat das deutsche Fernsehen mit großer Einschaltquote bewusst ausgenutzt. Das war natür-lich beim kanadischen Fernsehen nicht der Fall, die haben dann zum Vorrundenspiel im Eis-hockey umgeschaltet. G: Man muss schon sagen, dass Deutschland besonders erfolgreich war, dies macht eine Sportart wie den Biathlon für deutsche Zuschauer besonders attraktiv. Abhängig wie stark die Athleten des Heimatlandes in einer Disziplin sind oder nicht, fällt oftmals auch die Unterstüt-zung bei den Wettkämpfen aus. R: Aber in übertragungstechnischem Sinne, im Vergleich zu Peking, war das dann doch in Vancouver sehr ausgeglichen. In Peking z. B. bekam man im chinesischen Fernsehen nur chi-nesische Athleten zu sehen, da wurde weggeschaltet zu einer anderen Sportart oder Siegereh-rung, sobald keine Chinesen mehr auf dem Treppchen standen. Und das war jetzt in Vancou-ver im Fernsehen nicht der Fall. M: Das war übrigens in USA bei Olympiaübertragungen 1996 oder 2002 viel stärker. Die Kanadier sind da viel fairer. G: Da muss ich zustimmen, die Kanadier haben wirklich im-mer viel applaudiert und jeden angefeuert, der an ihnen vor-beikam. M: Die Kanadier haben die Spiele als ihr Fest, ihre Gastge-berrolle gefeiert, das muss man sagen. G: Sie waren auch sehr hilfsbereit. M: Wir können das ja unterscheiden. G: Wie hilfsbereit die Kanadier sind, habe ich selbst erfahren dürfen: als ich auf dem Weg zum Stadion mit dem Bus nicht mehr weiterkam, aufgrund von Überfüllung. Da habe ich mir mit einer Kanadierin ein Taxi über einen Schleichweg geholt und wir sind so noch rechtzeitig zum Eisstadion gekommen. Supernett, wie sie am Ende darauf bestand, das Taxi alleine zu zahlen, mit der Begründung, dass ich zu Gast in Kanada sei und sie zu einem positiven kana-dischen Bild beitragen möchte .Wirklich sehr, sehr nett.

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STUZ: Abgesehen jetzt von den Ergebnissen, das kann ich verstehen, dass Sie da noch nichts sagen können, würde mich interessieren – ich kann mir vorstellen, bei den Fragebögen wurde ja auch sehr viel, was man alltäglich mitbekommt diskutiert und wahrscheinlich auch sehr viel über olympische Werte gesprochen, ich habe das jetzt natürlich nur im Fernsehen ver-folgt, aber da war dann durch den Unfall in der Rodelbahn immer wieder die Frage: wo führt das denn hin, muss denn immer alles schneller werden und weiter – da würde mich interessie-ren, ob es auch solche Themen gab, die dann mit euch besprochen worden sind oder ob je-mand sich Luft machen wollte oder was dazu geäußert hat. R: Also bei den Befragungen ist mir das nicht vorgekommen. Ich hatte niemanden, der sich speziell Luft machen wollte oder mal wirklich interessiert ein Fachgespräch führen wollte. Die sind interessiert den Fragebogen auszufüllen, aber dann wollen sie auch wieder ihre Ruhe haben. So war es bei mir. S: Was man auch sagen muss, ist, dass die Olympischen Spiele, die über das Fernsehen trans-portiert werden, nichts mit den Olympischen Spielen vor Ort zu tun haben. Das war in Peking so und das war so, als ich aus Vancouver zurückkam. Wenn man dann die Berichte im Nach-hinein gesehen hatte, dachte man, wo war denn der Reporter da, so ein Quatsch, was erzählt der, das war alles ganz anders, hat der jemals sein Presseumfeld verlassen, um mit den Leuten vor Ort zu reden? Man hat das Gefühl, dass viele mit Vorurteilen hinfahren und sich diese dann bestätigen lassen und wieder zurückfahren. Wenn man sich mal ein bisschen Zeit nimmt und sich einfach mit Leuten unterhält, sich also nicht nur mit Sportlern unterhält und einge-fleischten Fans, sondern auch mit Leuten, die in Vancouver leben oder die in Peking leben und einfach mal in eine kleine Seitenstraße geht, wo nicht die großen Events sind, in China bei einer Tasse Tee sitzt oder in Vancouver abends beim Bier in einer Kneipe sitzt, beim Eis-hockey, dann kommt ein ganz anderes Feeling rüber. Also ich glaube, die Leute, die das hier erlebt haben, so wie du das jetzt geschildert hast, das kann man nicht vergleichen mit den Olympischen Spielen, die wir erlebt haben. Hier wird das oft beschränkt auf den Unfall, den man gesehen hat, Doping und den Leistungsdruck. Dass es aber viel mehr ist, mit der Kultur-olympiade, mit der Atmosphäre, die natürlich nicht übers Fernsehen rüberkommen kann, aber die man dann dort erfährt, das ist etwas ganz anderes, das ist auch sehr schwer rüberzubrin-gen, das merke ich immer, wenn ich das Freunden erzähle, man stößt an seine Grenzen, wenn man das vermitteln will. G: Ich denke, man kann als bestes Beispiel vielleicht die Fußball WM nehmen. Da waren wir Gastgeber und durften erleben, dass es manchmal gar nicht primär um den Fußball ging, son-dern darum, mit Leuten nett zusammen zu sein und das Event zu feiern. Bei allen public viewpoints drehte es sich selbstverständlich um das Fußballspiel, doch wurde es auch zum Anlass genommen sich mit seinen Freunden zu treffen oder auch neue Freunde kennenzuler-nen. Dies war in Vancouver nicht anders. Ich fand es interessant, es kamen z.B. Leute von außerhalb, die ich z.B. in einer Bar traf und mir erzählten, dass sie gar keine Tickets hätten. Aber nach Vancouver kamen, um diese Stimmung mitzuerleben. Denen war es gar nicht so wichtig, ein Ticket zu besitzen. Allerdings bemängelten viele Kanadier wie schwierig es für sie war, Tickets zu bekommen, und dass sie den Eindruck hätten, der Ticketverkauf für das internationale Publikum wäre einfacher zugänglich als für das Nationale. Dieser kleine Kri-tikpunkt wurde geäußert. Doch war es ihnen wichtiger, die besondere Stimmung mitzuerle-ben.

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M: Aber die haben Souvenirs gekauft, und zwar die offiziellen Olympia-Souvenirs, das fand ich so verrückt. S: Handschuhe, vielleicht hast du das im Fernsehen gesehen, es gab diese roten Handschuhe mit dem weißen Ahornblatt darauf, die waren ausverkauft nach ein paar Tagen. M: 3 Millionen. Aber überhaupt, an dem offiziellen Store, an dem größten, für diese Souve-nirs, war draußen eine 150 m lange Menschenkette, innen an der Kasse weitere 30 m pro Kas-se, und die Leute haben das als Auszeichnung empfunden, dass sie da überhaupt kaufen durf-ten. Die haben das so geschickt gemacht, dass sie plötzlich über die Souvenirs – und es gab ja ein paar tausend verschiedenster Souvenirs in jeder Preislage – dass sie da ein Gefühl erzeugt haben, das ist für uns unvorstellbar. Jetzt haben sie aber auch konkret gefragt. Also ich wurde natürlich gefragt, auch nach diesem Unfall. Das war schon tragisch. Und es war fast grob fahrlässig, deswegen, weil bereits vor einem Jahr der deutsche Bob-Pilot André Lange gesagt hatte, die Rodelbahn sei zu gefährlich. Dass diese Bobbahn zu gefährlich war und damit nur für ganz wenige hochklassige Bob- und Schlittenfahrer letztlich machbar, das wusste man seit mindestens 1 Jahr und es wurde nichts geändert und wurde erst dann geändert, als dieser schreckliche Unfall passiert war. Die Be-troffenheit der Menschen wegen des Unfalls war sehr stark. Die Eröffnungsfeier, die im Fern-sehen übertragen wurde, stand schon wesentlich unter diesem Eindruck. Es kommt darauf an, wie die Reporter, die die Eröffnungsfeier kommentiert haben, das rüberbrachten. Die Betroffenheit der Menschen in dem Eröffnungsfeierstadi- on, und dass man die Eröffnungsfeier dem toten Georgier wid-met, auch bei der Schlussfeier noch mal, das war für mich sehr beeindruckend. Und dass das für die Kanadier schrecklich war, und dass dieser Unfall ihren wunder-baren farbigen Olympischen Winter-spielen gleich am Anfang so einen Schock versetzte, das war allenthalben zu spüren. Ob die jungen Kanadier oder Amerikaner, die dann nach einer Woche nach Vancouver ka-men, um mal dabei zu sein, das noch so empfunden haben, das glaube ich nicht. Die Athleten im Olympischen Dorf haben das natürlich besonders wahrgenommen. Ich habe mich in einem von mehreren Kondolenzbüchern, die auslagen, eingetragen. Ich habe die Ker-zen gesehen, die da standen. Man hat einen Punkt gehabt – fast wie bei dem Tod von dem Torhüter Enke – der zu einem gewissen Stillhalten geführt hat, der dann den internationalen Bobverband gezwungen hat, die Bahn zweimal umzubauen, und dann die verkürzte Frauen-strecke zu nehmen. Man muss schon Nachdenken, Nachdenken was nun, das hoffentlich ein bisschen länger anhält, auch in der Planung der Sportstätten, insbesondere dann für Sotchi, dass die überlegen, das war doch auch bei der Skiabfahrt der Fall, mit diesen Sprüngen über 70 m, das war ja nicht nur beim Bobfahren. Also man hat schon die Sache herausgekitzelt, auch im Sinne der Fernsehattraktivität. Hier wird mit Effekten zusätzlich gearbeitet, die das Ganze, wie bei Formel 1, attraktiv machen sollen. Die Grenze ist überschritten aus meiner Sicht. Ich habe das auch in einem Rundfunk-Interview in der ARD gesagt. Das ist die Demonstration der menschlichen Hybris, und das ist olympisch deswegen nicht zu vertreten, weil man da ja jedem Land die Chance geben will, mitzumachen. Und wenn jedes Land teilnehmen soll, muss es ja eine Teilnehmerchance geben. Da darf es nicht heißen, 5 kommen durch und 5 bleiben auf der Strecke, das kann es ja nicht sein, wenn Olympia wirk-

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lich noch immer diesen Grundsatz haben möchte. Bei den Sommerspielen ist es deutlicher als bei den Winterspielen, da sind ja am Schluss nur 30 Länder mit einer Medaille gewesen, und zwar gab es ja nur 83 Teilnehmerländer, von denen mindestens die Hälfte, schätze ich, mit einer realen Qualifikation nichts zu tun hatten – die Grenze ist überschritten. STUZ: Ich habe hier grade gesehen, dass auch sehr viel über das kulturelle Rahmenpro-gramm gefragt worden ist, wie wurde das denn angenommen bei den Zuschauern, sowohl bei den kanadischen als auch bei den europäischen Zuschauern? G: Ich habe ja einige Veranstaltungen besucht und ich saß immer in ausverkauften Veranstal-tungen. STUZ: Was waren das für Veranstaltungen? G: Zum Beispiel klassische Konzerte wie auch Charity Events, wo z.B. eine afrikanische Kindertanz- und Singgruppe aufgetreten ist, um mit dem Ticketverkauf Geld für ihr Hilfspro-jekt zu sammeln ... STUZ: Das heißt, das Kulturprogramm war nicht nur auf kanadische Ureinwohner bezogen sondern weltweit ... G: Das Kulturprogramm war international ausgerichtet und umfasste viel mehr, auch zahlrei-che Ausstellungen ... S: 666 Veranstaltungen an 60 Orten in 30 Tagen. Damit haben sie geworben. G: Was jetzt in Vancouver sehr außergewöhnlich war, dass die Kulturolympiade wirklich genauso stark beworben wurde, wie die Olympischen Spiele an sich. D. h. wenn man in der Stadt war und die Straßenlaternen gesehen hat, waren im Wechsel an jeder Lampe ein Werbe-plakat für die Olympischen Spiele und dann eins zur Kulturolympiade. Sie waren jeweils farblich verschieden gestaltet ... M: Das war noch nie der Fall. Und eine Schlange vor der Leonardo da Vinci Ausstellung von 300 m. Und die stellten sich dahin, sogar bei Regen mit Schirm. S: Die Kanadier waren extrem kulturinteressiert, sie waren das richtige Publikum für die Kul-turolympiade. G: Man muss erwähnen, dass Vancouver eine Stadt mit kulturellem Potential ist, d. h. auch außerhalb der olympischen Kulturolympiade ist ein Kultur interessiertes Publikum vor Ort. S: Ich habe nur den direkten Vergleich zu Peking und da war es ganz anders, da hat man auf die kulturellen Angebote überhaupt keinen Hinweis erhalten. Wenn wir nicht über Prof. Mül-ler immer erfahren hätten, wo was ist, wären wir auch nicht bei 2 oder 3 Veranstaltungen ge-wesen, die aber definitiv nicht ausverkauft waren und auch einen ganz anderen Charakter hat-ten als jetzt in Vancouver, das konnte man gar nicht vergleichen. Katharina hatte die Mög-lichkeit ein Interview zu führen mit dem Verantwortlichen für die Kulturolympiade; er hat bestätigt, dass es ihr Ziel war, Maßstäbe zu setzen für die künftigen Kulturprogramme und ich denke, das ist ihnen auch gelungen, die haben die Messlatte sehr hoch gehängt.

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M: Und wie sie sagte: ausverkauft! Wir waren ja auch noch bei mehreren Veranstaltungen: völlig anderes Publikum als beim Sport. G: Das zeigt auch – das Thema meiner Arbeit –, dass man Sport und kulturelle Aspekte wirk-lich sehr gut miteinander in einem Event vereinen kann. Dies wird oft nicht so gesehen, d. h. jeder kennt die Olympischen Spiele und sagt: “ ja, das ist ein Sportevent, wofür brauchen wir da Kultur?“ Aus diesem Grund haben wir dazu spezielle Fragen in die Umfrage aufgenom-men um ein Meinungsbild zu erhalten, wie Olympiabesucher diese Verbindung von Sport und Kultur wahrnehmen. R: Das soll ja eigentlich ein Event sein, denn es sind Olympische Spiele mit Kulturprogramm und nicht Kulturolympiaden als selbstständige Events. M: Das steht in der Satzung des Internationalen Olympischen Komitees, das geht auf den Gründer Coubertin zurück, der die ganzheitliche, sog. eurythmische Bildung des Menschen damit wollte, aber das ist zu philosophisch ausgedrückt. Nur das, was wir erlebt haben, hat uns eigentlich begeistert. Klassische Dinge gab es eigentlich nicht so viele, z. B. der russische Staatschor, der dann Verdi, Mozart, alles mögliche gesungen hat, das kann man in Europa natürlich auch haben, das haben die Kanadier begeistert aufgenommen, standing ovations. Aber es war mehr Modernes, die kannten diese Bands und diese Gruppen und sind dahin ge-strömt – junges Publikum. Und dann in den Ausstellungen: Familien mit Kindern, solche würden hier nicht in ein Museum gehen. Und das war nicht nur kostenmäßig, dass die Ein-trittskarten nicht so teuer waren, die sind einfach bereit, dafür was auszugeben und sie wollten damit in diesen Tagen – wenn sie schon nicht zu Olympia gehen – ihr zusätzliches Amüse-ment haben. Das war enorm. 666 Veranstaltungen in 30 Tagen, damit haben die geworben, und das Programmheft war so dick wie noch nie. G: Beim Hinausgehen gab es einen Plan zum mitnehmen, um damit durch die Stadt zu den Sehenswürdigkeit der Kulturolympiade geführt zu werden. Verschiedene Skulpturen waren in der Stadt verteilt, die teilweise nachts sogar beleuchtet waren. Davon haben die Touristen wie Einheimischen viele Fotos gemacht. Die Besucher haben diese also wahrgenommen, was die Absicht war. Mir ist es sogar 2 bis 3-Mal passiert, dass ich Passanten habe sagen hören: “ja, wir gehen zu einer Veranstaltung der Kulturolympiade heute Abend.“ Darum geht es eigent-lich, dass die Leute davon sprechen und mit dem Begriff "olympisches Kulturprogramm" et-was verbinden können. M: Und da die Kommission im IOC, der ich angehöre, "Kultur und olympische Erziehung" heißt, ist natürlich gerade das interessant zu sehen. Deswegen sind die Kulturveranstaltungen schon seit 1992 ein spezielles Mainzer Forschungsgebiet. Da das enorme Investitionen bedeu-tet und vom IOC eine Verpflichtung an den Organisator, sind die auch an der Rückkopplung interessiert. So war das Interview, das ihr mit dem Chef der Kulturorganisation geführt habt, der Vizepräsident des Organisationskomitees war, ganz wichtig, und für uns vom Inhalt her enorm bereichernd. G: Zudem hatte er den Vorteil, dass Kanada nicht zum ersten Mal die Olympischen Spiele ausrichten durfte. Er war, soweit ich weiß, davor auch mit im Organisationsteam, und konnte somit auf einen Erfahrungsschatz zurückgreifen. STUZ: Wenn Ihr jetzt zurückblickt auf Eure persönlichen Erfahrungen bei den Olympischen Spielen, was erzählt ihr denn gerne euren Freunden, Bekannten, Familie? – Anekdoten, das fand ich besonders toll oder das fand ich negativ.

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S: Für mich war es schon mal toll, dass ich eine Unterkunft in Vancouver hatte, weil sich meine Reise relativ spontan ergeben hatte, gab es natürlich keine Übernachtungsmöglichkei-ten mehr bzw. die waren unbezahlbar, und das ist vielleicht ein Beispiel für die olympische Familie: Ich hatte bei den Olympischen Sommerspielen abends bei einem Cocktail einen Ka-nadier kennengelernt, die Eltern sind Chinesen, aber er ist Kanadier, und wir sind – moderne Welt – über facebook in Verbindung geblieben. Den habe ich angeschrieben und just wohnte der auch in Vancouver und ich hatte eine Übernachtungsmöglichkeit und habe ihn bei den Olympischen Winterspielen dann wiedergetroffen, also kannte ich direkt jemanden, ich hatte jemanden, der mir eine Stadtführung gegeben hat, habe über ihn andere Volunteers kennenge-lernt. Das war für mich eine schöne Erfahrung, dass man direkt willkommen war. Und die Stadt an sich ist schon schön. Eigentlich war das zu viel an Eindrücken – ich wusste nie, wo ich anfangen sollte, wenn mich jemand gefragt hat. Die Kombination aus den Spielen, dem Sportereignis, der Natur, die einfach unglaublich ist, der Stadt und der Mentalität, das zu-sammen hat für mich das Einmalige ausgemacht. G: Ich kann das nur bestätigen, was Katie gesagt hat, dass die Kombination natürlich sehr beeindruckend war. Außerdem – für mich waren es die ersten Olympischen Spiele – gibt mir das natürlich auch einen Motivationsschub für meine Dissertation. So zu sehen, dass es etwas bewirkt, dass ich dazu promoviere, und es in Zukunft vielleicht auch noch weiterhelfen wird, um das ganze Konzept zu verbessern. R: Also, bei mir ist es ein bisschen anders, ich sehe es etwas kritischer, da ich mich aber auch sehr mit der Tradition und mit Coubertin beschäftigt habe: ich habe Angst, wo das hinführt. Für mich ist es ein riesen Hype um ein großes Fest, um die Legitimation zu bekommen, feiern zu können. Es treffen sich ganz viele Leute, alles ist international; das ist schön und gut, aber ich glaube, viele wissen gar nicht mehr warum und was und wie das so ist, und es kommt mehr darauf an: “Ich war dabei!“ Also diese Angeberei! “Ich habe da ein Ticket gehabt und wo warst du? Was hat deines gekostet?“ Sowas habe ich auch viel erlebt. Und was ich ganz extrem fand: ich war beim Super-G der Männer und da hat in der Pause ein Kommentator gefragt: ja, wie stellen Sie sich denn die Zukunft vor, wollen Sie die extrem gefährlichen, krassen Strecken oder sollen wir das wieder etwas normalisieren, damit nicht so viel passiert kann, es keine großen Unfälle gibt und dass jeder fahren kann. Neben mir stand eine Frau mit Bier und Hotdog in der Hand und schrie nur: “I wana see risk, risk is all I want“ – und da denke ich mir dann, wenn es wirklich solche Leute gibt, die nur “sensationsgeil“ sind, extrem gesagt, dann bin ich mal gespannt, wie die Zukunft der Olympischen Spiele aussieht. Also ich finde es traurig. Die Tradition geht verloren, das was es eigentlich mal war – natürlich kann man sich auch nicht immer in Traditionen verlieren und am Alten festhalten, aber die Ent-wicklung ist zu extrem. Und wenn wir sagen: “O.K., wir riskieren das Leben der Sportler, wenn wir dafür sensationelle und spannendere Wettkämpfe bekommen, dann sind wir letzt-endlich doch nur wieder im Vormittelalter bei Brot und Spiele, wo Menschen geopfert wur-den, damit die Leute mal etwas Spannendes und Ungewöhnliches sehen konnten, um sie aus ihrem Alltag herauszureißen. Aber das finde ich sehr extrem. M: Ihre Frage, die Sie uns gerade stellen, halte ich für sehr wichtig. Ich bin in der Richtung wie Frau Reithmann, insofern, obwohl die Kanadier, die keine Tradition im europäischen Sinne haben, nicht so die Einstellung zu olympischen Werten wie wir, ich sage bewusst noch haben, dass die ein Riesen-Oktoberfest daraus gemacht haben und eine große Feierbühne. Das hängt aber damit zusammen, dass Kanada aus 54 Einzelnationen und ihren 4 indianischen First Nations besteht, und von daher haben diese das einfach so genutzt. Das war der Erfolg der Kulturolympiade, dass ein ganz anderes Publikum angesprochen wurde als eigentlich von den Sportveranstaltungen, Sporttickets waren bis auf Skilanglauf und Biathlon extrem teuer,

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das hat es sicher vielen verleidet. Meine Nachbarin beim Eiskunstlauf sagte, sie hätte sich ein Ticket leisten können, das für dieses Eiskunstlaufpaarfinale. STUZ: Wie teuer waren die denn? M: 180 €, also das ist für so ein Ticket wahnsinnig viel Geld. Da war ja China billig dagegen. STUZ: Und wie teuer war es in China? R: Ab 8 €. M: Oder für 20 € konnten Sie ein Handballfinale haben. R: In Kanada gab es unter 50 € gar nichts. M: 17 €. Da wäre es möglich gewesen, aber die haben natürlich die Tickets, wo sie wussten, die Leute strömen hin, und dann kostete noch die Anfahrt, der Bus dorthin usw. Da sind die eiskalt gewesen. Aber jetzt will ich noch mal sagen: großes Event, weil auch von den meisten überhaupt keiner eine Vorstellung hatte, dass Olympia eigentlich doch mehr ist. Und offen-sichtlich auch im kanadischen Fernsehen das Ganze stilisiert war auf den Punkt hin: wir Ka-nadier müssen aufs Podium. Das war die Aktion, wo sie 100 Millionen kanadische Dollar gesammelt haben, weshalb die ersten 7 Tage so traurig waren, weil sie nicht aufs Podium ka-men, deshalb waren die ja da schon mit dem 3. Platz zufrieden. Und damit haben die die Na-tion so hochgepeitscht, dass alles andere für sie keine Chance mehr hatte, es sei denn, diese First-Nation-Kampagne, weil das ja eine nationale Sache war, so dass ich also feststelle, dass weder der Name Coubertin fiel, noch einer über olympische Werte, höchstens mal, als der Tod von diesem Georgier war, über die Grenzen der Leistung. Beim Eishockey – nur dass Sie das mal konkret wissen – die Pausen wurden gefüllt mit Kameras, die auf Pärchen gingen und die wurden so lange fokussiert bis sie sich küssten – das haben Sie schon gehört? Haben Sie das gesehen? War das im deutschen Fernsehen zu sehen? STUZ: Nein, im deutschen Fernsehen gab es nur eine Reportage: wie läuft das denn so ab … M: Und wenn sie das gar nicht wollten, haben sie die auch noch bedrängt. Aber andere haben das natürlich prohibitionistisch genutzt und sind übereinander hergefallen, nach dem Motto: die Chance ins Fernsehen zu kommen, lasse ich mir nicht entgehen. G: Das ist sehr amerikanisch, und es gibt das auch in Deutschland beim Football. M: Was man bewundern muss – jetzt komme ich noch mal auf die First Nations, die hatten ungeheuer viel Darstellungsmöglichkeiten, die hatten in der Stadt einen großen First-Nations-Pavillon, wo permanent Programm war, das diesen auch eine Möglichkeit gab, sich uns zu vermitteln, so dass wir überhaupt auf diese First-Nations-Problematik hingelenkt wurden. Und die Kanadier nutzten dass, um ihre First Nations eine Chance zur internationalen Darstel-lung zu geben. Nachdem die Häuptlinge bei der Eröffnungsfeier nur pauschal begrüßt worden waren, wurden sie auf öffentlichen Protest bei der Schlussfeier einzeln vorgestellt. Und über-all war dieses Thema vorhanden und die hatten ein eigenes Kulturprogramm, das auch ent-sprechend gefördert wurde. Ich war in deren Pavillon im Zentrum der Stadt und konnte mir ein Live-Programm von einer Stunde ansehen ich muss sagen, sie haben enorm viel an Identi-tät, zumindest uns Ausländern, vermittelt.

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G: Man muss dazu sagen, dass außer diesem Pavillon nicht besonders viel unter dem offiziel-len Kulturprogramm gelaufen ist. Es gab ein offizielles Kulturprogramm und dann die soge-nannten „Trittbrettfahrer“, die das Event nutzen, um sich darzustellen. So gibt es z.B. in ei-nem Stadtteil eine Künstlerkolonie, wo sich Künstler ebenfalls präsentiert haben, aber kein offizieller Teil des Kulturprogramms waren. Da muss also ein bisschen differenziert werden. M: Die aber auch bewusst zugelassen wurden. Und dieses First-Nations-Programm war au-ßerhalb vom Kulturprogramm, das hat mich überrascht, ich hätte gedacht, das wäre darin. G: Einige Kanadier erzählten, dass sie sich nicht ganz wohl damit gefühlt haben, dass den First-Nations so viel Zeit in der Feierlichkeit, in der Zeremonie, eingeräumt wurde. Da es un-ter anderem auch einen französischsprachigen Teil in Kanada gibt, der auch eine gewisse Tradition hat. Obwohl die Spiele in British Columbia statt fanden, vermisste man französische Programmpunkte. Dies war für die französischen Kanadier, die in ihrem eigenen Land „nur“ auf die andere Seite gereist sind, eventuell auch sehr fremd. So war es in Restaurants teilweise schwierig in Französisch zu bestellen. M: Das Ganze war ein innerkanadisches Problem. Ich war am Tag vor der Eröffnung bei ei-nem Jugendfestival, da ging es um Olympic peace. Und das ist rein darauf hinausgelaufen, dass Jugendliche aus diesen First Nations sich mit der Generalgouver-neurin aussprechen konnten, von peace hat man da gar nicht gespro-chen, sondern eigentlich social un-derstanding, das Miteinander dieser First Nations. Aber das war für mich eindrucksvoll. Wo kriege ich schon mal 4 Stunden junge Leute von 16-20, die sich da so um ihre Zukunft plagen, die waren engagiert. Also die haben da ihre Chance genutzt. Das war ihr Auftritt, kann man sagen. Da waren übrigens noch vor 5 Jahren Schilder: No Olympics on Stolen Land. STUZ: Und wie hat sich das geäußert, hat sich das in den Medien geäußert, dass das zu viel war oder bei Personen? G: Das waren persönliche Gespräche. Mich hat es interessiert, in wie weit sie integriert sind in der Gesellschaft, und da haben sie gesagt “ja, es besteht natürlich theoretisch das Recht, das alle gleich studieren können.“ Aber eine Studentin, bei der wir untergekommen sind, hatte gemeint, dass sie natürlich in gewisse Kurse hineinkomplimentiert würden, die nicht so ange-sehen sind und man sozusagen versteckte Ungleichheit hat. M: Die kanadischen Medien haben darüber im Vorfeld lange berichtet, aber auch während der Spiele. Jetzt aber vielleicht noch einen letzten Satz zu den Paralympics. Die Paralympics waren ja offensichtlich ein großer Erfolg, jetzt, in Kanada, zumindest was in den Medien rübergekommen ist. Und das ist im Zusammenhang mit dieser Wertediskussion ja eine neue Perspektive. Offensichtlich gibt man den Paralympics eher die Chance, die Werte

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zu leben als bei den Olympischen Spielen selbst, weil man sich da nicht so mit dieser extensi-ven Hochleistung identifizieren kann, d. h. also, dass es vielleicht durch das stärkere Zusam-menwachsen der Paralympics und der Olympischen Spiele hier über den Behindertensport eine stärkere Betonung gibt. Nur so wie die Kanadier die Paralympics angenommen haben, sie integrieren die Behinderten ja in Nordamerika schon viel länger als wir in Deutschland, haben sie diese Idee mit Leben erfüllt, da fehlte vor vier Jahren in Turin noch die Einstellung. Das muss man im Nachhinein sagen, aus ihrer Selbstverständlichkeit, behinderte Menschen und Sportler als gleichberechtigt anzunehmen und aus ihrer Bereitschaft, sie als ihre Olympia-Nachgäste zu empfangen. Unsere Forschungsgruppe war jedoch bei den Paralympics nicht mehr vor Ort, so dass ich diese Eindrücke zuvor gesammelt und im Wesentlichen vom Fern-sehen habe. G: Sie hatten auch gesagt, dass es das erste Mal war, dass das Logo der Paralympics und dem des Kulturprogramms mit dem, der „normalen“ Olympischen Spielen zusammen geführt wur-de, d. h. es waren drei eigene Embleme, die aber immer zusammen gezeigt wurden. M: Ja, und die Volunteers haben die gleichen Uniformen getragen. Also, es war ein Zusam-menwachsen wie es bisher noch nie war, und das möchte ich von der Werteseite positiv sa-gen. STUZ: Vielen Dank. Das Interview führt STUZ-Redakteurin Sandra Groß am 1.04.2010.

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