Stress bei Kindern – Ursachen, Folgen und
Präventionsansätze
Petra Hampel1 & Melanie Jagla2 1 Professur für Gesundheitspsychologie und Gesundheitsbildung, Universität Flensburg;
2 Hochschule Magdeburg-Stendal, Fachbereich Angewandte Humanwissenschaften
1. Einführung: Stress und Stressbewältigung im Kindes- und Jugendalter
2. Befunde einer Längsschnittstudie
3. Präventionsansätze
Gliederung
1. Einführung: Stress und Stressbewältigung im Kindes- und Jugendalter
2. Befunde einer Längsschnittstudie
3. Präventionsansätze
Gliederung
Beanspruchungssymptome
Was berichten Kinder und Jugendliche,
wenn sie gefragt werden,
ob sie Stress erleben?
Beanspruchungssymptome
Kinder und Jugendliche ... ... fühlen sich angespannt, nervös, unwohl
und ängstlich.
... klagen über körperliche
Beanspruchungssymptome wie
Einschlafschwierigkeiten oder Kopfweh.
Beanspruchungssymptome Einschlafschwierigkeiten
0 Tage; 36%
1-2 Tage; 29%
3-4 Tage; 15%
5-6 Tage; 14%
7 Tage; 6%
N=1.000 (3.-7. Stufe; D)
Beanspruchungssymptome Einschlafschwierigkeiten (D)
453 Schüler 575 Schülerinnen
Beanspruchungssymptome: DA Ute Missenböck: N=119; 6.-8. Stufe (A) EBF-KJ: Emotionale
Beanspruchung p=.051
1
1,5
2
2,5
3
3,5
Jungen Mädchen
EBF-KJ: Erholsamer Schlaf p =.013
Jungen Mädchen 1
1,5
2
2,5
3
3,5
Belastungssituationen
Insbesondere
Alltagsbelastungen
hängen mit Stressfolgen zusammen!
(N=500; A) 0 1 2 3
Note
Arbeit
Nachrede
Lehrer
kaum ziemlich
Belastungssituationen
Belastungssituationen
Stressoren liegen im
sozialen Kontext: Freundesstreit, üble Nachrede
schulischen Kontext: gute Note schreiben wollen, schwierige Klassenarbeit schreiben
Beisenkamp et al., 2012; N=3602; 2./3. Klasse: Wovon fühlst Du Dich gestresst?
Belastungssituationen
Beisenkamp et al., 2012; N=3602;
2./3. Klasse
Belastungs-situationen
Alterseffekte
Zunahme von Alltagsstressoren vom
Grundschul- zum mittleren Jugendalter
(Hampel et al., 2001; Schmeelk-Cone & Zimmermann, 2003)
Belastungssituationen
Geschlechtseffekte
Mädchen fühlen sich insbesondere durch
soziale Stressoren beansprucht.
(Hampel & Petermann, 2006; Rudolph & Hammen, 1999)
Belastungssituationen
Alter x Geschlecht
Mädchen in der Frühadoleszenz fühlen sich insbesondere durch soziale Stressoren beansprucht. (Nummer & Seiffge-Krenke, 2001)
Belastungssituationen
Nicht alle Kinder und Jugendlichen
erleben unter Anforderungen Stress.
Eine wesentliche moderierende
Funktion hat die Stressverarbeitung!
Belastung & Beanspruchung
Definition „Bewältigung besteht sowohl aus verhaltensorientierten als auch intrapsychischen Anstrengungen, mit umweltbedingten und internen Anforderungen sowie den zwischen ihnen bestehenden Konflikten fertig zu werden (d.h. sie zu meistern, zu tolerieren, zu reduzieren, zu minimieren), die die Fähigkeiten einer Person beanspruchen oder übersteigen“ (Lazarus & Launier, 1981, S.244).
Stresskonzept von Lazarus „Stresswaage“
nach Lohaus Stress Wohlbefinden
Anforderungen Ressourcen Anforderungen Ressourcen
Formen der Stressverarbeitung Günstige Stressverarbeitung: „Stresskiller“
Problemlösende Strategien
Günstige Stressverarbeitung: „Stresskiller“
Emotionsregulierende Strategien
Formen der Stressverarbeitung
Stressverarbeitungsstrategie Regel im „Anti-Stress-Training“
Passive Vermeidung Ich gehe dem Stress lieber aus dem Weg!
Gedankliche Weiterbeschäftigung Ich grübel ständig über das Problem!
Resignation Ich schaffe das nie!
Aggression Ich gehe erst mal in die Luft!
Formen der Stressverarbeitung Ungünstige Stressverarbeitung:
„Mega-Stresser“
Alterseffekte
Günstige Stressverarbeitung
Ungünstige Stressverarbeitung
(Compas et al., 1988; Hampel, 2007)
Stressverarbeitungsstile
Geschlechtseffekte
Soziale Unterstützung: ♀ > ♂
Günstige Stressverarbeitung: ♀ < ♂
Ungünstige Stressverarbeitung: ♀ > ♂ (zus.fassend s. Hampel, 2007; Knebel & Seiffge-Krenke, 2001)
Stressverarbeitungsstile
Stressverarbeitung und emotionale und Verhaltensstörungen
(1-J. LS: Hampel et al., 2005)
Externalisierende Auffälligkeiten
Internalisierende Auffälligkeiten
Problemlösende Bewältigung
Ungünstige Verarbeitung
Emotionsregulierende Bewältigung
Psychische Auffälligkeiten
Alterseffekte
Anstieg insbesondere der
externalisierenden Störungen in der
Adoleszenz
Psychische Auffälligkeiten
Geschlechtseffekte
Externalisierende Störungen: ♀ < ♂ ?
Internalisierende Störungen: ♀ > ♂
Geschlecht x Alter: Vulnerable Phase
Bei Mädchen in der Frühadoleszenz
Bei Jungen in der mittleren bis späten Adoleszenz (Jose & Brown, 2008; Seiffge-Krenke, 2000)
Psychosoziale Fehlanpassung
1. Einführung: Stress und Stressbewältigung im Kindes- und Jugendalter
2. Befunde einer Längsschnittstudie (Hampel & Pössel, 2012)
3. Präventionsansätze
Gliederung
Methode: Versuchsplan
Alter Geschlecht
6./7. Klasse 8./9. Klasse Σ
männlich 49 44 93
weiblich 59 48 107
Σ 108 92 N=200
2-Jahres-Längsschnitt: 3-faktoriell
3. Faktor: t0 (2005) und 2-Jahres-follow up (2007; t1)
Messinstrumente
Stressverarbeitungsfragebogen (SVF-KJ; Hampel, Petermann & Dickow, 2001)
Belastungssituationen
„Wenn mich andere Kinder unter Druck setzen und ich ganz aufgeregt bin...“
„Wenn mich etwas in der Schule unter Druck setzt
und ich ganz aufgeregt bin...“
günstige Verarbeitung (Stressreduktion)
ungünstige Verarbeitung (Stressvermehrung)
- Bagatellisierung - Ablenkung/ Erholung
- Situationskontrolle - Positive Selbst- instruktionen - Soziales Unter- stützungsbedürfnis
emotions- regulierend
problem- lösend
- Passive Vermeidung - Gedankliche Weiterbeschäftigung - Resignation - Aggression
Screening psychischer Störungen im Jugendalter (SPS-J)
Aggressiv-dissoziales Verhalten;
Ärgerkontrollprobleme
Externalisierende Störungen
Ängstlichkeit/ Depressivität;
Selbstwertprobleme
Internalisierende Störungen
(Hampel & Petermann, 2012)
Fazit: Längsschnitt Geschlecht Mädchen höhere
Ängstlichkeit/Depressivität
Alter x Zeit Externalisierende Störungen zunehmend
bei 6./7. Klasse
Geschlecht x Alter x Zeit Turning point in günstiger Stress-
verarbeitung bei Jungen mit 15-16 Jahren
8. Workshopkongress für klinische Psychologie und Psychotherapie 09.05.2013, Kerstin Kowalewski
Belastungen & Ressourcen: GeKi • Familiäre Ebene
Belastungen: – Diagnose: kritisches Lebensereignis
für alle Familienmitglieder – Emotionale Belastungen (z.B. Angst
& Trauer) – Zeitliche & finanzielle Belastungen – Freizeitmöglichkeiten eingeschränkt Ressourcen: – Verbundenheit & Zusammenhalt
36
(Baumann et al., 2005; Grundlach et al., 2006; Hackenberg, 2008; Javadian, 2011; Schmid et al., 2005)
8. Workshopkongress für klinische Psychologie und Psychotherapie 09.05.2013, Kerstin Kowalewski
Belastungen & Ressourcen: GeKi • Personale Ebene: Geschwisterkind
Belastungen:
– Alltagsbelastungen – Gefühlsambivalenzen – Helfende, pflegende, lehrende und
beaufsichtigende Funktion – Rollenumkehr bzw. Rollenkonfusion – Verantwortung – Konflikte: familiär, sozial – Freizeitgestaltung eingeschränkt – Schulische Leistungsfähigkeit beeinträchtigt
Ressourcen:
– Sozialkompetenz (z.B. Empathiefähigkeit) – Selbstständigkeit – Offenheit & Toleranz
37
(Baumann et al., 2005; Cuskelly & Gunn, 2003; Freilinger et al., 2006; Hackenberg, 2008; Schmid et al., 2005; Stalberg et al., 2004; Stoneman, 2005)
8. Workshopkongress für klinische Psychologie und Psychotherapie 09.05.2013, Kerstin Kowalewski SuSi - Ein Lebenskompetenztraining für Geschwister chronisch kranker und/oder behinderter Kinder
Folgen: GeKi • Inkonsistente Studienlage zur Entwicklung psychischer Probleme und schulischen
Schwierigkeiten • Versorgungsaufwand ist assoziiert mit dem Risiko für psychische Probleme • Gesundheitsbezogene Lebensqualität ist beeinträchtigt
Geschwisterkinder stellen eine vulnerable Gruppe dar, die vermehrter Aufmerksamkeit in der
Primärprävention bedarf.
38
(Alderfer et al., 2010; Besier et al., 2010; Sharpe & Rossiter, 2002; Vermaes, van Susante & van Bakel, 2012; Williams, 1997)
1. Einführung: Stress und Stressbewältigung im Kindes- und Jugendalter
2. Befunde einer Längsschnittstudie
3. Präventionsansätze
Gliederung
40
Ressourcenstärkung Lebenskompetenzen
„Die Förderung von Lebenskompetenzen (...) gilt derzeit als der erfolgreichste Ansatz in der ressourcenorientierten Gesundheitsförderung (und Prävention)“ (Jerusalem & Meixner, 2009, S.141)
Lebenskompetenzen sind psychosoziale Fertigkeiten, die Kinder und Jugendliche befähigen, mit Anforderungen und Schwierigkeiten des täglichen Lebens erfolgreich umzugehen.
10 Lebenskompetenzen, u.a. (WHO, 1994):
• Selbstwahrnehmung • Empathie • Problemlösefertigkeit • Effektive Kommunikationsfertigkeit • Emotionsbewältigung • Stressbewältigung
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Ressourcenstärkung Lebenskompetenztrainings
(Bühler, Schröder & Silbereisen, 2007, S.2)
Anti-Stress-Training: Indikation
Primärpräventiv Sekundärpräventiv
Geschlechtsspezifisches Anti-Stress-Training in der Schule:
Dissertation Backhaus: 2007
Petra Hampel1, Olaf Backhaus2 & Alexandra Jahr2
1 Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation, Universität Bremen
2 Zentrum für Angewandte Gesundheitswissenschaften, Universität Lüneburg
Sekundär-präventives Programm
Fragestellung
Kann das neu entwickelte
geschlechtsspezifische
Anti-Stress-Training
die Stressverarbeitung verbessern?
Methode: Versuchsplan
1-faktorieller Versuchsplan: within-design (5./6. Klasse, vier Klassen einer Realschule des
Landkreises Lüneburg, 10-15 Jahre)
1. Faktor: Messzeitpunkt • 1-Monat prä, prä, post,1-Monatskatamnese
Methode: Versuchsplan 1-faktorieller Versuchsplan
Intervention Kontroll- phase
Experimental-phase
Follow up- phase
Mädchen- spezifisch
N=33 N=33 N=33
Jungen- spezifisch
N=45
N=45 N=45
4 Wochen 4 Wochen 4 Wochen t-1 t0 t1 t2
Präventionsprogramm
„Anti-Stress-Training für Kinder“: AST_6 (8-13 Jahre)
Hampel & Petermann (2003)
Diskrimination
„Video: Stresskiller vs. Mega-Stresser“
Modifikation der Stressverarbeitung
Jungen
– Entspannung (Phantasie, PMR)
Emotions-regulierende Bewältigung ↑
– Soziale Unterstützung
Problem-lösende Bewältigung ↑
– Externalisierende Verarbeitung
Ungünstige Verarbeitung ↓
Mädchen – Entspannung – Ablenkung/Erholung
Emotions-regulierende Bewältigung ↑
– Positive Selbstinstruktionen
Problem-lösende Bewältigung ↑
– Bagatellisierung
– Gedankliche Weiterbeschäftigung
Ungünstige Verarbeitung ↓
Modifikation der Stressverarbeitung
Stresskonzept von Lazarus
„Stresskette“
Einüben der „Stresskiller“
Ausgewählte Methoden • Entspannung
• Erholung
• Positive Selbstinstruktionen
• Flexibilisierung der Bewältigungsstrategien
Einüben der „Stresskiller“ Erholung
Cool-man
Seidentücher bemalen
Mit Freundinnen etwas unternehmen
Fahrrad fahren oder andere Sportarten
Gammeln
Musik hören
Lesen
Einüben der „Stresskiller“
Positive Selbstinstruktionen
Einüben der „Stresskiller“ Flexibilisierung der Bewältigungsstrategien
The winner is...
Ich habe dieseStresssituation erlebt:
Ich habe den Stressmit diesemStresskiller in denGriff gekriegt!
Ich hätte den Stressauch mit diesemStresskiller in denGriff gekriegt!
Arbeit geschrieben Mut machen Entspannen
Zu viele Sachen Einen Plan machen:Nur wichtige Dinge
Pause machen
Adipositas-Anti-Stress-Training
Vorstellung einiger Bausteine • Rückfallprävention
Adipositas-AST: Rückfallprävention „Mein Brief an die Zukunft“
Meine Fantasy-Geschichte über eine Stresssituation in der Zukunft und wie ich damit fertigwerde
Ich bin gerade im AST und möchte dir jetzt über die Stresssituationen berichten,die mir passieren könnten, wenn ich wieder zu Hause bin. Ich könnte einen Jojo-Effekt kriegen und wieder zunehmen! Ich würde mich total unwohl fühlen. Ichglaube, ich würde dann mit meiner Mutter darüber reden und es könnte sein,dass wir den Entschluss fassen, dass wir zusammen wieder abnehmen! Ich hoffeaber, es passiert nichts! Pass´ auf, dass du den Mega-Stresser nicht einsetzt ->dass du vor Frust wieder isst und nichts dagegen tust. Bis bald! Deine Katharina
Multimodales Programm
Kinder &
Jugendliche 6 Sitzungen
Lehrerschulung Elternberatung: 2 Elternabende +
Ergebnisse: Jungen Externalisierende Verarbeitung
N=17
0,5
0,75
1
t-1 t0 t1 t2
Skal
enm
ittel
wer
te.
p<.013, d=.33
p=.02, ns, d=.25
Ergebnisse: Mädchen
Bagatellisierung
1,5
1,75
2
t-1 t0 t1 t2
Skal
enm
ittel
wer
te.
p<.013, d=-.35
Anti-Stress-Training: Indikation
Primärpräventiv - Geschlechtsspezifisches
AST (AST_6)
Sekundärpräventiv - Geschlechtsspezifisches
AST (AST_10)
Gesundheits-förderung
- AST Erstklässler - Schulbasiert mit
erlebnispädagogischen Anteilen
Anti-Stress-Training bei Kindern und Jugendlichen mit chronischen Erkrankungen
Diabetes Atopische Dermatitis Asthma
Krebs Adipositas
ADHS
Sekundär und tertiärpräventiv
Fazit: Präventionsprogramme
Erste Befunde weisen auf eine Wirksamkeit des geschlechtsspezifischen AST in der Schule hin, allerdings als primär-präventives Programm.
Das Stress- und Krankheitsmanagement von chronisch körperlich kranken Kindern und Jugendlichen kann im Rahmen einer Sekundär- und Tertiärprävention gestärkt werden.
Abschließendes Fazit Längsschnitt: Untersuchung über das Grundschul-
und späte Jugendalter; turning point Mädchen um 13-14 vs. Jungen 15-16 Jahre?
Für eine sekundär-präventive Maßnahme des geschlechtsspezifischen AST müssen die Trainingssitzungen erhöht und Kompetenzen noch gezielter gefördert werden.
Zukünftig sollten zusätzlich noch volitionale Kompetenzen der Jugendlichen gefördert werden.
Geschlechtsspezifische Programme werden den Bedürfnissen besser gerecht, insbesondere im Jugendalter.