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Stimmen vom Jupiter

Date post: 04-Jan-2017
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Expose-Redaktion: H.G.Ewers Band 52 der Fernseh-Serie Raumpatrouille HANS KNEIFEL

Stimmen vom Jupiter Sieben parapsychisch begabte und von dem Vitalitätsfeld einer Siegerpflanze „aufgeladene" Vorthanier „beglückten" die irdische Menschheit mit einer sanften Invasion. Milliarden Menschen verließen ihre Städte und irrten durch Wälder und Wiesen, Steppen und Dschungel, von unstillbarer Sehnsucht nach der „Blauen Blume" erfüllt. Diese Reaktion der Menschheit war nicht beabsichtigt. Die „Kinder der Blauen Blume" sollten die Menschen der Erde auf die bevorstehende Ankunft und Lehre Unandats vorbereiten. Da die Invasoren aber beim Anblick des „blauen Planeten" Heimweh nach der Blauen Blume bekamen, denen sie ihre besonderen Kräfte verdankten, gaben sie unbewußt der Menschheit statt des Sehnsuchtssymbols „Lehre Unandats" das Sehnsuchtssymbol „Blaue Blume" ein. Dennoch brachte die Invasion die Menschheit an den Rand einer Katastrophe. Nicht nur, daß niemand mehr arbeitete, es kümmerte sich auch niemand mehr um die Alten, die Kranken und die Kleinkinder, die in den Städten zurückblieben. Zahlreichen hilflosen Menschen drohte dadurch der Tod. Der wirtschaftliche Zusammenbruch und die Dezimierung der Menschheit durch Hungersnöte und Seuchen schienen unaufhaltsam zu sein. Doch letzten Endes schlief die sanfte Invasion von selbst ein, weil die sieben Vorthanier immer mehr von der Sehnsucht nach der Blauen Blume ergriffen wurden. Als sie im Dschungel des Amazonas-Gebiets schließlich auf eine blaue Orchideenart stießen, hatten sie ihren ursprünglichen Auftrag schon völlig ver-gessen. Ihre Sehnsucht nach der Blauen Blume wurde befriedigt — und mit ihrer Sehnsucht erlosch die geistige Zwangsbeeinflussung der irdischen Menschheit. Atan Shubashi, der als einziges Mitglied der ORION-Crew im Sonnensystem zurückgeblieben war, konnte Kontakt mit den sieben Vorthaniern aufnehmen und erfuhr dabei erstmals wieder etwas vom Schicksal seiner Freunde. Gemeinsam mit den kooperationsfreudigen Vorthaniern berät er, wie die Freunde befreit werden können. Doch bevor diese Absicht realisiert werden kann, bricht eine neue Gefahr mit unwiderstehlicher Gewalt über die Erde herein — und Freund und Feind vernehmen die STIMMEN VOM JUPITER ...

1. „Es gibt Stunden und Zeiten, in denen

man glücklich ist", bemerkte Mario de Monti ruhig, aber mit unverkennbar melancholischem Unterton, „aber gleich-zeitig hat man das Gefühl, auf einem schlummernden Vulkan oder auf einer tickenden Zeitbombe zu sitzen.

Genau dieses verteufelte Gefühl habe ich, leider, im Augenblick!"

Er lehnte sich zurück und nahm einen langen Schluck aus einem Glas, das wie ein Blütengefäß geformt war. Symbo-lik in diesem Super-Raumschiff! Auch das Getränk, das gut roch und ebenso schmeckte, überdies aufmunternd-narko-tisierende Wirkung hatte, war sicher aus Blütenstaub, Nektar und Rosenknospen hergestellt. Erethreja legte den Kopf schief und blickte den Raumfahrer interessiert, aber voller Nichtverstehen an.

„Ich bin sicher, daß ich deinen Aus-führungen nicht folgen und die Bedeutung deiner schönen Worte nicht entschlüsseln kann", sagte sie. Mario seufzte tief und lange. Auf eine völlig unvernünftige und erstaunliche Weise hatte er sich in dieses Mädchen verliebt. Verliebt? Richtig! Obwohl sie nicht nur einem anderen Planetenvolk angehörte, sondern so ganz anders aussah als die vielen Frauen seiner Träume, konnte er keine andere Vokabel benutzen. Ausgerechnet er, der geheime Held der ORION. Er lächelte verbindlich und keineswegs gezwungen und erklärte: „Obwohl wir versucht haben, von Vortha zu fliehen und von deinen Mit-Raum-fahrern hinterlistig daran gehindert wurden, bin ich gern hier. Bei dir Errie!"

„Das weiß ich!" antwortete sie mit großer Bestimmtheit.

Mario warf einen langen, stummen Blick zur Decke und erkannte, daß auch dort Blumen- und Rankenmuster in einer aufwendigen, für die Ewigkeit gedachten Technik waren. Überall in dieser riesigen Raumstation, die durch unbekannte Zonen des Weltalls driftete wie einst das Große Schiff der Dherrani - oder einer anderen kosmischen Überrasse -, gab es echte Blu-

men, wuchernde Pflanzen und eine Dekoration, die von einem farben-besessenen Treib-

hausbesitzer stammen konnten.

„Deine Stimmung ist keineswegs harmonisch, Mario!" sagte Erethreja leise.

„Du hast es gera-dezu mathematisch

perfekt ausgedrückt!" pflichtete er ihr bei.

Die Hauptpersonen des Romans:

Han Tsu-Gol — Regierungschef der Erde.

Cliff McLane, Hasso, Arlene und Helga —Der ORION-Kommandant und seineKameraden werden zu Quasi-Gefange-nen.

Mario de Monti — Der Kybernetiker verliebt sich in eine Fremde.

Erethreja — Das bezaubernde Geschöpf eines fremden Planetenvolks.

Unandat — Ein Elektronengehirn läßt sich auf ein Duell ein.

„Auch meine Ruhe ist gestört." „Es wird der Zauber meiner Gegenwart sein, der dich irritiert und im gewünschten Sinn nervös macht", brummte er selbstzufrieden und leerte den floristischen Spiel-zeugpokal.

„Dies nur am Rand", desillusionierte das schlanke Mädchen mit der hellblauen Haut, die in der Raumbeleuchtung wie Samt wirkte. „Eigentlich sind es sehr wichtige Ereignisse, die mich betreffen. Diejenige Gruppe, die deine Menschheit auf das höhere Erleben, also auf die praktizierte Lehre Unandats einstimmen sollte, hat sich nicht gemeldet. Die Informationen blieben aus. Wir alle sind sehr erregt."

„Quid?" fragte Mario. „Antike Sprache der schönen blauen Erde. Das soll heißen: Was? Wie? Ich habe nichts verstanden."

Das Mädchen mit den schillernden, verwirrenden Katzenaugen warf ihm einen

Blick zu; halb Ärger, halb Mitleid. Dann stand sie auf, bewegte sich in ihrem unnachahmlich sinnlichen Gang durch den Raum und füllte erneut den glasartigen Blumenkelch.

„Wenn ich es dir erklärt habe, wirst du es verstanden haben", antwortete sie ernsthaft.

Mario hörte auf zu lächeln; er bat: „Erkläre es mir bitte!" Etliche Zeit war vergangen, seit die

Crew ausgebrochen war und zu fliehen versucht hatte. Die anderen befanden sich jetzt wieder relativ unbelästigt und nur wenig in ihrer Bewegungsfreiheit einge-schränkt in ihren Quartieren. Nur er, Mario, dem seine Verbundenheit mit der Vorthanierin größere Freiheiten ver-schaffte, blieb weiterhin unabhängig. Jetzt aber hatte er ein deutliches Gefühl kommenden Ärgers.

„Eine Gruppe von uns ist auf eurem Planeten, auf der Erde. Sie ist seit längerer Zeit dort und soll die Menschheit auf die Lehre Unandats vorbereiten. Alle Men-schen sollen auf Unandats Glück einge-stimmt werden, auf die glückliche Lehre."

Mario hielt den Atem an. Schon die wenigen Worte hatten genügt,

um sein sachbezogenes Mißtrauen zu wecken. Die Angriffe auf die Erde, die er zurückzuschlagen geholfen hatte, waren zahlreich und beschwerlich gewesen. Jedesmal, wenn er sich mit dem blauwei-ßen Planeten beschäftigte, mußte er an Gefahren, Noteinsätze und abenteuerliche Gegenmaßnahmen denken - so wie jetzt. Das schmale Gesicht des Mädchens wandte sich ihm wieder zu.

„Sie haben sich nicht gemeldet. Irgend etwas ist nicht nach Unandats Plan gelaufen. Die Vollzugsmeldung ist überfällig. Unandat hält diese Entwicklung der Situation für bedrohlich."

„Verständlich", murmelte Mario ver-blüfft. Sein Gefühl hatte ihn also nicht getrogen. „Ich bin derselben Ansicht.

Sicher aus durchaus anderen Gründen." Erethreja ging nicht auf seinen Einwurf

ein; sie schien ebenfalls in echter Sorge um die Abgesandten zu sein. Mario seinerseits dachte logischerweise an das Schicksal einer von Unandat versklavten Erde. Nur war er überhaupt nicht in der Lage, das Ausmaß der Gefahr abzuschät-zen. Er lehnte sich zurück, äußerlich gelassen, innerlich jedoch sehr aufgeregt.

„Unandat denkt an Gegenmaßnahmen. Er bringt euch mit dem vermutlichen Scheitern oder der Verzögerung in Verbindung. Wenn er bestimmte Maß-nahmen trifft, so werden sie für die Gäste der Vorthanier auf Vortha höchst unange-nehm."

„Die einzigen sogenannten Gäste", knurrte der Chefkybernetiker, „sind wir, die unvollständige ORION-Crew, nicht wahr?"

„So ist es." „Und welche Zwangsmaßnahmen er-

wägt Unandat?" Sie schüttelte in einer durchaus mensch-

lichen Geste den Kopf. Mario ließ sich nicht ablenken und dachte an Atan Shubashi, der hoffentlich inzwischen das Warten aufgegeben hatte. Die riesige Raumstation schien ausgestorben zu sein, denn außer den Geräuschen, die in diesem Raum entstanden, konnte Mario nichts hören. Es gab nicht einmal das ferne Summen irgendwelcher Maschinen. Jedenfalls schien die Eröffnung, die Erethreja soeben gemacht hatte, tatsäch-lich eine Art Startzeichen gewesen zu sein.

„Das kann ich dir nicht sagen, Mario", antwortete sie leise. „Um genau zu sein, ich darf es dir nicht sagen."

„Will Unandat uns dafür bestrafen, weil etwas nicht funktionierte, das er eingeleitet hat, ohne daß wir daran beteiligt oder dafür verantwortlich waren?" fragte de Monti verblüfft.

Die junge Frau schüttelte den Kopf und flüsterte ehrfurchtsvoll:

„Ich weiß nicht, was Unandat ent-schieden hat. Ich kann seine Gedanken nicht lesen, seine streng rationalistischen Entscheidungen nicht beeinflussen."

„Ich bin ehrlich erstaunt. Und natürlich sehr beunruhigt", gestand Mario. Selbst wenn Cliff und die anderen es erfuhren - sie waren hilflos als Quasi-Gefangene in Vortha.

„Ich kann es verstehen. Könntest du mir einen Grund sagen, weswegen die Mission gescheitert sein könnte?"

Er verstand, daß sie ihnen auf einem Umweg helfen wollte. Gleichzeitig blieb sie loyal gegenüber Unandat.

„Hör zu", sagte Mario eindringlich. „Ich bin in dich verliebt, und ich habe keinerlei unschöne Hintergedanken dabei. Aber ich habe nicht die geringste Ahnung, warum die Gruppe, die ich nicht kenne, mit ihrem Auftrag, dessen Natur ich ebenfalls nicht kenne, gescheitert sein könnte. Vielleicht sind sie alle an der Influenza erkrankt."

Sie schüttelte wieder energisch den Kopf.

„Sie werden nicht krank. Und wenn, dann heilen sie sich gegenseitig. Wenn ich Unandat eine mögliche Lösung oder Erklärung anbieten könnte, würde er vielleicht von Strafmaßnahmen absehen."

„Mir muß Blütenstaub in die Ohren gekommen sein!" beschwerte sich Mario. „Mir scheint, daß ich schlecht verstehe. Wie können wir etwas erklären, worüber uns jegliche Informationen fehlen?"

„Gut. Ich sage dir, was auf deinem Planeten geschehen soll."

„Ich höre." Das zierliche Geschöpf mit der samt-

weichen Haut und dem haarähnlichen, wie feines Gespinst wirkenden Fellstreifen über Kopf, Nacken und Rücken erzählte ihm eine erstaunliche Geschichte, die den fatalen Vorzug hatte, wahr zu sein. Sieben Vorthanier waren als Agenten auf der Erde abgesetzt, beziehungsweise ins Sonnensy-stem gebracht worden und sollten versu-

chen, dort eine ähnliche Herrschafts-struktur zu errichten, wie sie, unter anderen Verhältnissen, bereits auf Cassina und anderen Welten herrschte. Viele Einzelheiten teilte Erethreja nicht mit, aber Mario konnte aus ihren Informationen ei-niges herauslesen und ergänzen. Je länger sie sprach, desto mehr wuchs sein Entset-zen.

„Das ist alles. Jedes Wort mehr würde Verrat an unserer wichtigsten Institution bedeuten. Unandat würde sich außerdem furchtbar rächen."

Mario nickte schweigend. Als ihm Erethreja diese Geschichte zum erstenmal erzählt hatte, war sie weitaus weniger dramatisch gewesen. Jetzt erst erkannte er die wahre Gefahr. Er persönlich hielt Unandat für eine Art Rechenmaschine mit einem gigantischen, wenn auch etwas de-naturierten Speicher. Unandat zusammen mit diesen parapsychisch begabten Agenten bildeten tatsächlich eine Gefahr, die auf keinen Fall zu unterschätzen war. Einmal schon wollte die Crew reagieren, war aber nachhaltig daran gehindert worden. Jetzt mußte ihm etwas einfallen, das geeignet war, einen Rechner zu „be-ruhigen"; keine sehr einfache Aufgabe.

„Ich weiß es natürlich nicht, weil ich nicht dabei war. Auch dachte ich, eure Truppe würde weitaus mehr Zeit brauchen. Jahrzehnte oder so. Ich kann mich aber an folgende geschichtliche Entwicklung erinnern, die vielleicht eine Erklärung ist:

Gegen Ende des zwanzigsten Jahr-hunderts entwickelten wir Menschen eine sehr innige Beziehung zu der Natur unseres Planeten, die wir jahrhundertelang unbesonnen ausgebeutet hatten. Dies führte in den langen Jahren einer spezifi-zierten Entwicklung dazu, daß sich zumin-dest die Pflanzen an uns Menschen gewöhnten. Jetzt steht die gesamte Menschheit, mit ein paar Ausnahmen natürlich, in einer fast symbiotischen Beziehung zu den Pflanzen, daß sie von

den Vitalitätsfeldern der Pflanzen - und es gibt unendlich viele Arten davon! - gegen parapsychische Beeinflussung von Wesen geschützt ist.

Von Wesen, die ihre Fähigkeiten dem Umstand verdanken, daß sie sozusagen von einer Siegerpflanze und in deren Vitalitätsfeld ausgebrütet worden sind. Das wäre eine mögliche Erklärung - aber ich bin natürlich kein Gärtner oder Forstbeamter."

Mit weit geöffneten Augen und flattern-den Schlitzpupillen hatte ihn Erethreja angestarrt. Sie saugte förmlich jedes Wort in sich hinein. Mario stand auf und stellte das Glas ab.

„Ich bin froh, daß ich Unandat helfen kann, ohne daß seine Reaktion euch schaden könnte!" rief sie enthusiastisch.

„Hoffentlich versteht Unandat die wahre Natur meines schwierigen Vortrags", meinte Mario ohne sonderlichen Humor. „Ich werde mich mit meinen Freunden ein wenig darüber unterhalten. Vielleicht ergeben sich neue, überraschende Ge-sichtspunkte."

„Zögere nicht, Liebster!" sagte sie und schlang die Arme um seinen Hals.

„Keine Sekunde", versprach er. Sie verabschiedeten sich voneinander.

Die Wohnquartiere der Vorthanier und der Menschen waren nicht weit voneinander entfernt. Mario ging die stillen Korridore entlang, bewunderte wie immer die Schlingpflanzen, deren Blüten einen unheimlichen Geruch verströmten. Er hörte von der sanften Lautsprecherstimme zwei Mitteilungen und eine philosophische Ermahnung Unandats und schlug dann, obwohl es Rufknöpfe gab, an Cliffs Tür - mit der Faust.

„Du störst! Komm herein!" brüllte der Commander laut.

Mario öffnete die Tür, schloß sie und lehnte sich dagegen. Er starrte in die großen Augen Arlenes, dann in das ruhige Gesicht Cliffs. und schließlich platzte er

heraus: „Die Blumenkinder sind los! Verrückte

Floristen bedrohen die Erde. Die Men-scheit ist unter Kontrolle von Orchideen, Brennesseln und Spargel. Oder meinetwe-gen Kakteen."

Cliff erwiderte sarkastisch: „Die Beschäftigung mit der blauhäutigen

Exotin, teuerster Kybernaut, hat deinen Wortschatz beeinflußt."

„Die Schlagzeilen mögen noch hu-moristisch gewesen sein, aber was ich euch jetzt berichte, entbehrt jeder Komik. Das erstemal waren wir skeptisch und versuchten trotzdem zu flüchten, und wenn du jetzt die Wahrheit erfährst. . . Was tun wir in diesem Ernstfall?"

„Schweigend Blumen in goldenen Vasen arrangieren", sagte Arlene und griff nach dem Hebel der Kom-munikationsanlage. „Ich rufe die anderen. Es wäre sinnlos, dieselbe Geschichte mehrmals zu erzählen."

„Ja, natürlich. Danke", sagte Mario und setzte sich kopfschüttelnd.

Das Ganze war irgendwie verrückt und auf eine fast phantastische Weise sinnlos. Sie waren von dem alten Fluchtweg auf dem Planeten Mars nach Cassina und von dort hierher gekommen. Die ersten Schritte einer Irrfahrt führten gleich wieder in eine Situation, die ohne Ironie nicht anders als bizarr zu bezeichnen war. Humanoide Wesen, gesteuert und moti-viert von einem Computer, versuchten mit der Kraft von Pflanzen, die schwer geprüfte und durch zahllose Auseinander-setzungen gehärtete Bevölkerung eines ganzen Planeten zu versklaven: Naturphi-losophie oder nicht, alles lief auf eine be-sonders erstaunliche Form von Diktatur hinaus.

Er nickte seinen Freunden zu und fing an zu erzählen, vermischte die Berichte mit seinen eigenen Interpretationen und schloß dann:

„Wir müssen versuchen, die Ent-

wicklung von hier aus zu beeinflussen. Wir haben es in der Hand, dem Computer, falls es ein solcher ist, und damit rechne ich, absurde, jedoch glaubhafte Fehlinfor-mationen über die Bezüge zwischen Mensch und Zimmerlinde zu geben. Sonst straft uns diese Maschine."

Die Vorstellung eines selbständigen, mit einem Ich-Bewußtsein und womöglich noch moralischen Maximen ausgestatteten Computers geisterte deutlich durch die Alpträume eines jeden Kybernetikers, seit dem ersten Semester der Ausbildung. Ein Horrorbild, hier sollte es womöglich zur Wirklichkeit werden?

„Einerseits können wir erleichtert sein, Freunde", sagte Cliff.

„Du hast einen skurrilen Humor!" rief Hasso Sigbjörnson verblüfft.

„Erleichtert deshalb", fuhr der Kom-mandant ungerührt fort, „weil es jeman-dem gelungen zu sein scheint, auf der Erde dieses Vorauskommando zu neutralisie-ren."

„Richtig. Andererseits kann dieses transistorierte Ungeheuer natürlich irgendwelche neuen Teufeleien ausbrüten und uns damit überraschen. Mit ,uns' meine ich sowohl die Crew als auch die Menschheit."

„Und genau das sollten wir verhindern!" pflichtete Helga Legrelle bei.

„Aber wie?" fragte Mario de Monti laut. Weder Cliff noch Arlene, weder Hasso,

Helga noch er selbst hatten eine Antwort auf diese entscheidende Frage. Aber sie rechneten damit, daß der Crew bald eine sehr interessante Erleuchtung kommen würde.

Vorausgesetzt, sie hatten noch genügend Zeit.

2. Tunaka Katsuro betrachtete Atan Shu-

bashi von der Seite, grinste zurückhaltend

und fragte schließlich: „Ihr Gesichtsausdruck, Atan, ist für

mich nicht entschlüsselbar. Und immerhin habe ich als GSD-Direktor einige Jahre angewandte Psychologie studiert."

Atan lachte kurz, nahm seine Blicke aber nicht von den Instrumenten. Er zuckte mit den Schultern und antwortete:

„Ich habe Sie bisher nicht als Schi-zocomat kennengelernt, Katsuro."

Katsuro erschrak und fragte verwirrt stotternd:

„Ein . . . ein Schizo-was?" Mit überlegener Miene erklärte der

Chefastrogator, der auch in dem GSD-Raumschiff SIGNORINA C. die Astroga-tion besorgte:

„Wenn Schizoaudit Schlitzohr bedeutet, dann heißt Schizocomat der ,Haarspalter', freie Übersetzung nach Shubashi. Ich wollte sagen, daß ich Sie bisher nicht als Haarspalter kenne. Ihre Frage allerdings ist Haarspalterei, denn mein Gesichtsaus-druck ist leicht zu entschlüsseln."

„Ja?" Die Vorthanierin Assimladja verfolgte

diesen Disput ebenso interessiert wie die beiden Assistenten des Galaktischen Sicherheitsdiensts. Die SIGNORINA C. war von der Erde gestartet und unterwegs zur Jupiterbahn.

„Jawohl, Direktor. Einerseits freue ich mich, einmal ohne die vertrauten Gesichter der Crew zu fliegen, andererseits vermisse ich Cliff und die anderen außerordentlich. Das führt zu diesem verinnerlichten Aus-druck."

„Ich verstehe. Wir hoffen ebenso, daß wir unsere Freunde bald wiedersehen."

Ein Versuch, nicht nur die Freunde wiederzusehen, sondern auch ein weiteres Geheimnis aus der Zeit der kosmischen Auseinandersetzung zu lösen, war dieser Flug. Genauer: das Ziel dieses Fluges, nämlich der dreizehnte Mond des Jupiters, ein ereignisloser Felsbrocken von einigen tausend Metern Durchmesser. In ihm

befand sich die winzige Geheimstation der „Blumenkinder", wie die Vorthanier von den wenigen Eingeweihten genannt wurden. Dort befand sich auch der Transmitter, der sie hierher ins Sonnensy-stem transportiert hatte. Das Schiff, mit dem sie die Erde erreicht und dort zu wir-ken angefangen hatten, befand sich im Zugriff von GSD und T.R.A.V.

Commander Ayck Shadogg blickte von der Zentralen Bildplatte hoch und hob die Hand.

„Gibt es irgend etwas Besonderes auf Ihren Schirmen, Astrogator Shubashi?"

„Nicht das geringste, Ayck. Schließlich befinden wir uns in einem altbekannten und zu Tode getesteten Bereich des Sonnensystems."

„Das immerhin noch mit Attraktionen wie einem versteckten Transmitter und einem Startschacht für Raumschiffe in einem bisher niemals beachteten Mond aufwarten konnte", gab Tunaka Katsuro zu bedenken.

„Wir werden uns von nichts überraschen lassen!" sagte Atan deutlich.

Der dreizehnte Mond des Jupiters war kurz vor der Jahrtausendwende von Charles Korwal entdeckt worden. Der Astronom des Mount Palomar-Observatoriums hatte mit seiner Entdek-kung seinerzeit eine Reihe kühner Vorstel-lungen ausgelöst. Man versteigerte sich sogar zu der Annahme, frühe Besucher des Sonnensystems hätten den öden Fels-brocken als Raumstation im System zurückgelassen. Sogar als Wächterstation war der Mond bezeichnet worden. Die seriöse Wissenschaft hatte seinerzeit diese kursierenden Spekulationen hohnlachend zurückgewiesen - inzwischen wußte man, daß die verrückteste Version immer noch nicht an die Wahrheit herangekommen war.

„Sind deine Geräte in Ordnung, Don?" fragte Shadogg etwas später. Die SIGNORINA C. glitt schnell und lautlos

auf den Jupiter zu, dessen gestreifte Kugel sich größer und deutlicher aus dem Gewimmel der Sterne hervorschob.

Die fünf Insassen des GSD-Schiffes trugen schmale, goldfarbene Stirnreifen; eine Spezialwerkstatt des GSD hatte die technische Ausstattung der Dekoder relativ schnell herausgefunden und mehrere dieser Geräte nachbauen können. Jetzt wandte sich Katsuro an die Vorthanierin.

„Glauben Sie, Assimladja, daß wir in der Geheimstation mehr Hinweise finden werden, als Sie schon kennen?"

„Wer weiß? Diese Station wurde in der vergessenen Zeit des Rudraja und Varunja von uns erbaut. Wir waren, wie bekannt ist, ein Hilfsvolk des Rudraja und lebten auf dem Mars, wie Sie den Roten Planeten nennen. Die Station schien bisher gegen-über allen, auch unseren damaligen Herren, total verheimlicht worden zu sein. Ich kenne den Grund auch nicht. Deshalb weiß ich nicht, was außer der Geheimsta-tion, dem Raumschiffchen und dem Startschacht dort noch vorhanden ist."

„Verstanden." Natürlich war Atan Shubashi halb krank

vor Sorge um seine Freunde. Eine innere Stimme sagte ihm, daß sie nicht tot waren. Es gab für die Crew immer wieder eine Möglichkeit, zu überleben. Shubashi kannte das hohe Überlebenspotential seiner Freunde.

Die Besatzung dieses GSD-Schiffes war nicht aufeinander eingespielt, trotzdem näherte sich der kurze Flug ohne jeden dramatischen Zwischenfall seinem Endpunkt. Als Jupiter, der Gasriese, den Bildschirm auszufüllen begann und Atan den Computer abrief, um die Bahn des dreizehnten Mondes zu errechnen, schnippte Don Brandi aufgeregt mit den Fingern.

„Augenblick", sagte er scharf. „Ich habe eben merkwürdige Signale herausgefil-tert."

Ayck Shadogg drehte seinen Sessel und

blickte scharf auf das Instrumentarium des Funkers. Brandi trug die schweren, isolierenden Kopfhörer und konzentrierte sich darauf, die vielfältigen Hintergrund-geräusche auszufiltern. Schließlich schal-tete er ein Oszilloskop ein und aktivierte die Lautsprecher.

Sie alle hörten aufmerksam zu. Natürlich lief ein Aufnahmegerät mit.

„Das ist eindeutig ein gefunktes Si-gnal!"' brummte Shubashi. Sowohl die graphische Darstellung als auch die verschieden stark einkommenden Signale ließen deutlich erkennen, daß sich irgend-wo dort in der Gegend des Jupiter ein Sender befinden mußte.

„Als ob ein Anfänger morsen würde!" sagte der Astrogator und deutete auf die charakteristischen Kennlinien.

„Ich schlage vor, wir halten das Schiff an und ermitteln erst einmal den Standort des Senders!" schlug Katsuro vor. „Ein-verstanden, Atan?"

„Ich wollte gerade dasselbe sagen." Ununterbrochen pfiffen und sirrten die

kurzen und langen Töne durch die Steuerkanzel des Schiffes. Atan biß auf seine Unterlippe und dachte nach. Signale dieser Art - wann hatte er sie zum letzten-mal gehört? Es mußte Jahrzehnte her sein.

„Verstanden", sagte Shadogg. „Raum-schiff ist stabilisiert. Wir machen praktisch keine Fahrt mehr."

Katsuro kam um die große Bildplatte herum und blieb dicht hinter Atan Shubas-hi stehen.

„Aufgeregt?" Atan zog die Schultern hoch und sagte

rauh: „Wir selbst sind in sicherer Entfernung.

Aber wenn diese Signale etwas mit dem dreizehnten Mond zu tun haben, dann ist zu erwarten, daß eine zweite Gruppe eingetroffen ist. Was sagt unser erwachse-nes Blumenkind dazu?"

Assimladja sah von Katsuro zu Shubashi und strich nachdenklich über ihren

Fellstreifen. Das feine, seidenartig leuchtende Gespinst schien Funken zu erzeugen.

„Ich bin sicher, daß es keine Kom-munikationssignale sind", hörten die vier Männer die Übersetzung in ihren Gedan-ken. „Ich würde sie erkennen. Diese Signale und ihre Bedeutung sind mir fremd."

„Warten wir's ab", schloß Shubashi. Er schaltete methodisch seine astrogatori-schen Geräte ein und rief leise:

„Etwas weniger Lärm, Freunde. Drosselt die Lautsprecher. Brandi, du könntest die Signale in unseren Computer einspeisen und versuchen, einen gewissen Rhythmus herauszufinden. Ich kümmere mich ein wenig um den Planeten und seinen Mond."

„Alles klar!". Atan spürte eine deutliche Erregung. Er

ließ die großen Antennen herumschwen-ken, berechnete Bahn und augenblickli-chen Standort des dreizehnten Planeten und fand heraus, daß die SIGNORINA C, der riesige Planet und sein winziger Mond in einer Linie standen. Von der Ebene der Ekliptik aus gesehen, wanderte der Felsbrocken gerade oberhalb des Planeten vorbei. Die scharfen, vielfarbigen Signale zeigten, daß der unmerklich rotierende sterile Brocken knapp über dem letzten Rand der Gashülle vorbeiziehen würde - von dem Beobachtungspunkt des Astro-gators aus.

Shubashi bemühte sich, das Problem leidenschaftslos und kalt zu sehen.

Möglicherweise wurde Unandat unruhig und ungeduldig, weil die sieben geschei-terten Agenten, ausgestattet mit den Kräften der Siegerpflanze, keine Voll-zugsmeldung abgegeben hatten.

Möglicherweise war tatsächlich eine zweite Gruppe dort im dreizehnten Mond rematerialisiert. Vielleicht waren dies Signale, die vorthanische Raumschiffe einweisen sollten?

„Assimladja!" rief er leise.

„Ja? Was kann ich tun?" Wieder formierte sich die wortgetreue

Übersetzung in Atans Gedanken. „Bist du sicher, daß dies keine vor-

thanischen Signale sind?" „Sicher zu fünfundneunzig Prozent",

erklärte sie. Shubashi schluckte einen Fluch hinun-

ter. „Es gibt noch eine Möglichkeit, Freund

der Sterne", wandte Katsuro halblaut ein. „Vielleicht sind irgendwelche Werkzeuge, Relikte oder Instrumente des Rudraja oder Varunja wieder aufgewacht. Vielleicht geraten wir in eine Auseinandersetzung hinein, die eigentlich vor einigen Jahrtau-senden hätte zu Ende sein sollen."

„Das ist eine Möglichkeit, an die ich eben gedacht hatte", bestätigte Shubashi. „Aber ich halte nichts davon, von Dingen zu sprechen, die ich vorläufig noch nicht beweisen kann."

Der Funker arbeitete mit dem Ein-gabeelement des Computers. Assimladja versuchte, irgend etwas zu begreifen, indem sie jeden Bildschirm und jedes Instrument anstarrte. Auf dem Bildschirm, jener riesigen runden Platte vor Ayck Shadogg, zeichnete sich die Halbkugel des Planeten ab. Der Große Rote Fleck leuchtete scharf und intensiv. Dieses Gebilde, rund vierzigtausend Kilometer lang und etwa zwölf tausend breit, befand sich im Augenblick genau im Zentrum Jupiters.

Shubashi schaltete einige Spürgeräte auf die Leitungen zwischen Antenne und Funkpult und versuchte, die Quelle der Strahlung genau zu lokalisieren. Aus dieser Entfernung war es nicht zu schaf-fen. Die präzise Richtung war klar, nicht aber der genaue Punkt. Atan hob die Hand und sagte kurz:

„Ayck! Bitte gehen Sie um ein paar Zehntausend Kilometer näher an unseren gestreiften Planeten heran. Wir können es uns leisten, die SIGNORINA C. ist weit

genug entfernt." „Wird gemacht, Atan!" Das Schiff setzte sich in Bewegung, glitt

lautlos und schnell näher und wurde wieder langsam abgebremst. Jetzt ver-schwand der Felsbrocken hinter dem Nordpol des Jupiters, und die brodelnden Wolkenmassen wölbten sich dem Schiff entgegen.

Wieder drehte Atan an seinen Fein-einstellungen und verglich die ver-schiedensten Bilder auf seinen Monitoren. Jetzt waren die Signale deutlicher und schärfer geworden, und die optischen Indikatoren deuteten darauf hin, daß sie aus dem Zentrum des Planeten kamen. Atan schüttelte verwirrt den Kopf. Signale vom Jupiter? Das wäre die Überraschung des Jahrhunderts!

„Brandi! Kann es sein, daß die Signale aus dem optischen Zentrum des Jupiters kommen?" rief Atan quer durch die Steuerkanzel.

„Möglich ist alles!" antwortete Brandi. „Dann finden Sie es auf funkmeß-

technischem Weg heraus. Ich bin ziemlich sicher."

„Ich werd's versuchen." Sie arbeiteten zehn Minuten lang und

versuchten mit allen technischen Einrich-tungen des Schiffes eine möglichst exakte Peilung vorzunehmen. Schließlich drehte Shubashi seinen Sessel herum und erklärte laut:

„Diese langweiligen Signale kommen vom Jupiter. Und in diesem Fall auch noch genau aus der Mitte des Großen Roten Fleckes."

„Das ist unmöglich!" beharrte Katsuro, schob den Commander ein wenig zur Seite und starrte herausfordernd dieses stechend rote Gebilde an.

„Signale aus dem Großen Roten Fleck, dieser Kohlenwasserstoff-Polymer-Wolke?"

„Das Unwahrscheinliche als möglich und wahrscheinlich einzuschätzen", sagte

Atan mit eigentümlicher Betonung, „das ist eigentlich bisher Spezialität der ORION-Crew gewesen. Vielleicht ist es eine Sonde, die aus dem Roten Fleck sendet? Hat der Computer gespeichert, was über die Antennen gekommen ist?" „Ja, natürlich!"

„Dann, ohne Ihren Vorschlägen vorgrei-fen zu wollen", schlug Atan ruhig vor, „sollten wir zunächst einmal mit Herrn Han Tsu-Gol bei T.R.A.V. Verbindung aufnehmen. Tun Sie uns den Gefallen, Brandi?"

„Selbstverständlich, Shubashi." Einige Minuten später funkelte der

Bildschirm auf, die Lautsprecher knister-ten, und der Oberkörper Hans erschien gestochen klar schräg oberhalb des Kommandanten. Langsam schob sich Shubashi in den Bereich der Linsen.

„Gibt es schon wieder Probleme?" fragte Han Tsu-Gol anstelle einer Begrüßung.

„Anscheinend. Wir erklären es Ihnen, wenn Sie uns versprechen, einen Kanal zu TECOM schalten zu lassen. Wir denken, daß es wichtig ist, das Computerzentrum zu beschäftigen. Die Sache ist die, daß wir eindeutig eine morseartige Folge von Signalen aus dem Zentrum des Großen Roten Fleckes empfangen. Vielleicht kann uns TECOM beim Entschlüsseln helfen."

„Sie können diese Signale nicht entzif-fern, Shubashi? Nicht einmal mit Katsuros Hilfe?" fragte Tsu-Gol verblüfft. Atan lachte laut auf und erkundigte sich sarkastisch:

„Sie können nicht im Ernst annehmen, daß der Große Rote Fleck mit uns per Morsezeichen korrespondiert. Wenn diese Wolke tatsächlich intelligent sein sollte, was ich für durchaus möglich halte, dann hätten wir vielleicht mit LINCOS einen kleinen Erfolg. Können wir eine Frequenz haben, auf der wir mit TECOM verkehren können?"

Er winkte Brandi, und einige Sekunden lang tauschten der Funker und der Chef

Zahlen und Buchstabengruppen aus. Dann richtete sich eine Antenne der SIGNORINA C. auf die Erde, und der Funkspruch wurde aufgefangen. Der Bordrechner überspielte die aufgenomme-nen Zeichenfolgen. Zweimal dieselbe Se-quenz; auch jetzt sendete der GRF ununterbrochen weiter. Atan Shubashi hatte sich zeitweise für diesen erstaunli-chen Effekt in der Jupiteratmosphäre interessiert. Damals, in seiner Kadetten-zeit, dann wieder während der ersten Flüge mit Cliff und der ORION VII und an-schließend hatten die Ereignisse es unmöglich gemacht, private Forschungen oder besser Untersuchungen zu unterneh-men. Natürlich wußte er sehr viel über den GRF, wie ihn die Astronomen abgekürzt nannten.

Han Tsu-Gol sah nacheinander die Gesichter der Crew an und meinte schließlich:

„Sie denken an neue Gefahren, Shubas-hi?"

„Nicht unbedingt. Die Erklärung kann ganz harmlos sein. Brandi erwischte die Impulse während des Anflugs zum dreizehnten Mond. Aber natürlich kann ebensogut das Gegenteil der Fall sein."

„Wir versuchen es also erst einmal mit LINCOS!"

LINCOS, eine Art Mitteilungsart, war ebenfalls eine Erfindung oder besser Entwicklung des ausgehenden Zweiten Jahrtausends. Ein Professor der Mathema-tik hatte sie entwickelt, LINgua COSmica wurde sie von Hans Freudenthal genannt. Natürlich waren durch die Zeiten hindurch Veränderungen und Verbesserungen durchgeführt worden. Der Umstand, daß Han Tsu-Gol den Begriff kannte, ließ schließen, daß die nötigen Informations-blöcke auch in den riesigen Speichern von TECOM enthalten waren. Schon nach einigen Minuten Rechenzeit meldete sich direkt ein externes Element von TECOM und strahlte eine Botschaft zum Raum-

schiff ab: „Mit Hilfe von TECOM und den späte-

ren Modifikationen, sowie anderen Hilfssprachen mathematischer oder sonstiger Art konnte die Zeichenfolge nicht entschlüsselt werden."

Die leuchtenden Buchstaben wurden auf sämtliche angeschlossenen Korrespon-denzbildschirme geschrieben. Shubashi nickte; er hatte sich wenige Chancen ausgerechnet. Aber er legte Brandi die Hand auf die Schulter und sagte:

„Bitten Sie die Große Maschine, einen kurzen Text zu formulieren, etwa eine Begrüßung oder eine Aufforderung, mit uns in Verbindung zu treten. Auch soll das Schiff als kosmisches Objekt und als Empfangsadresse klar definiert werden."

„Schon unterwegs, Atan!" sagte der Funker.

Mit der Geschwindigkeit einer Maschi-nenwaffe zuckten seine Finger hin und her, auf und nieder. Er formulierte den Auftrag an den Riesencomputer ganz exakt und sendete die Aufforderung sofort zurück zur Erde.

Diesmal dauerte es nur wenige Se-kunden, bis die breiten Bandspulen die „übersetzte" Botschaft der Formelsprache gespeichert hatten.

Wird meine Kapazität noch benötigt? ließ der Komputer schreiben.

Vorläufig nicht mehr. Kommuni-kationskanal trotzdem stehenlassen, tippte Brandi selbständig.

„Sie wollen es tatsächlich versuchen, Atan?" flüsterte Katsuro gebannt.

„Ja, natürlich!" Zusammen mit Brandi justierte er die

stärkste Antenne des Schiffes genau in das Zentrum des Großen Roten Fleckes ein, der in etwas weniger als fünf Stunden über die dem Schiff zugewandte Hemisphäre des Jupiter driftete, zwischen der Südli-chen Tropischen Zone und dem Südlichen Äquatorband.

„Fragen wir unseren Freund einmal, ob

er mit uns verkehren möchte", schlug Atan gutgelaunt vor. „Fahren Sie die Sendung ab. Dreimal, mit höchster Sendeenergie, ja?"

In der Stunde, seit sie die ersten Signale aufgefangen hatten, war der Fleck nur ein wenig gewandert. Einmal, in Schwankun-gen, die sich über Jahrzehnte erstreckten, blieb der Fleck nahezu unsichtbar, dann wieder verstärkte er seine Farbe und schien intensiver zu glimmen. Atan wußte, daß sich diese riesige Wolke in der kalten Jupitergashülle bewegte wie ein riesiger, runder Fisch; zwar zog der Fleck immer dieselbe Bahn zwischen Äquator und Pol, aber er tauchte tiefer und schwang sich in einer unendlich trägen Bewegung wieder aufwärts.

Man hatte Sonden in den GRF hin-eingeschossen. Die meisten waren von dem Mahlstrom der Gashülle aufgelöst und zerschmettert worden. Andere verschwanden auf dem unsichtbaren Boden des Eiskerns, wieder andere durchrasten den GRF und brachten keinerlei Ergebnisse mit. Vor der Invasion der Frogs war eine Workshop-Sonde abgefeuert worden, die innerhalb der Polymer-Wolke Untersuchungen anstellte. Man hatte Zellen entdeckt, Gebilde, die in ihrem Aufbau Nervenbahnen glichen, polymerisierte Kettenmoleküle, die Kohlenwasserstoffe umschlossen. Winzige Reaktionen liefen ununterbrochen ab, Benzindampfexplosionen nicht unähnlich, die in vielen winzigen Feuerkugeln die Wolke erhitzten und sie auf eine Durch-schnittstemperatur von dreihundertneunzig Kelvin brachten; ein Wert, der von außen nicht gemessen werden konnte und in krassem Gegensatz zu der Gashülle stand: Der kalte Jupiter maß nirgendwo mehr als minus hundertdreißig Grad Celsius.

Aber das Verblüffende war damals gewesen, daß ein Mikrophon im Innern der heißen roten Wolke Töne aufgefangen hatte. Sie klangen wie ein Nebelhorn, wie

der Schrei eines riesigen Tieres. Das Band speicherte diesen Schrei, und abermals waren die Wissenschaftler ausgelacht worden, die darin eine, wenn auch unge-wöhnliche. Intelligenzäußerung sehen wollten. Atan grinste breit und lehnte sich zurück.

Etwa zwei Minuten, nachdem die ko-dierte Grußbotschaft gesendet worden war, antwortete der Große Rote Fleck!

„Ich kann nicht glauben, was ich höre und sehe!" rief Han Tsu-Gol von seinem Bildschirm herunter.

„Auch für mich ist es überraschend", verkündete Atan ungerührt. „Es gibt also auch noch positive Überraschungen."

Allerdings fiel ihm im Augenblick nicht ein, worüber er sich mit dem GRF unterhalten sollte. Aber schweigend und ein wenig erschrocken hörte und sah er die Signale, die nicht gespiegelt oder reflek-tiert, sondern tatsächlich gesendet wurden.

Sie kamen einwandfrei aus dem warmen Zentrum des Großen Roten Fleckes. Es war, wie die Insassen des Schiffes bald erkannten, eine langsame, wie betont durchgeführte Wiederholung der Punkt-Strich-Signale von TECOM.

Einmal wurde die Antwort gesendet ... zweimal. . . dreimal. Dann entstand eine Pause.

„Was hat er gesagt, der Fleck?" fragte Assimladja unschuldig. Das Team, Katsuro und Han Tsu-Gol brachen in Gelächter aus. Aber es war ein humorvol-les, gelöstes Lachen.

„Du sollst ihm einen Strauß blauer Blümchen hinunterwerfen!" sagte Atan und wünschte sich in diesen Sekunden, daß Helga, Hasso und die anderen mitlachen würden.

„Quid?" fragte das blauhäutige Mäd-chen mit den faszinierenden Katzenaugen. „Was?"

*

Vorübergehend war der dreizehnte Jupitermond namens Korwal vergessen. Das Interesse konzentrierte sich auf den Großen Roten Fleck, der sich jetzt genau zwischen Süd- und Nordpol zwischen den vielen breiten Bändern der Gashülle befand und wie ein riesiges Auge wirkte, das die Mannschaft vom Bildschirm her-unter verwundert anstarrte. So empfand es wenigstens Atan Shubashi.

„Großes Rätselraten", sagte er. „Cliff würde jetzt vermutlich versuchen, mit der ORION den Fleck anzufliegen und direkt mit ihm zu verkehren."

„Ich bin sicher, daß dein Cliff bald wieder in seinem Raumschiff sein wird!" tröstete ihn Assimladja.

„Hoffen wir's!" murmelte Tunaka Katsu-ro und strich über seinen glattrasierten Schädel. „Wie gehen wir weiter vor?"

Shubashi, der seine Aufregung nur noch mühevoll zügelte, wiegte den Kopf hin und her und sagte schließlich:

„Der Fleck hat unseren Kontaktanruf wiederholt. Stellen wir ihm eine Aufgabe, auf die er antworten könnte."

Das rotschimmernde Gebilde, dessen wahre Natur und Eigenschaften bis heute noch nicht entschlüsselt werden konnten, schien tatsächlich zu leben und auf eine noch zu entdeckende Weise Intelligenz zu besitzen. Irgend jemand aus der ORION-Crew hatte einst gesagt, daß die Ge-setzmäßigkeiten der Jupiter-Intelligenz so deutlich sichtbar und so vollkommen unverständlich waren wie die Träume einer gigantischen Amöbe. Sollten sie hier in der SIGNORI-NA C. die Amöbenintel-ligenz voraussetzen?

„Einverstanden. Wieder auf dem Um-weg über LINCOS?" fragte der T.R.A.V.-Chef Tsu-Gol.

„Ja, bitte. Es erscheint nur vernünftig." Shubashi sah Don Brandi an, dann

schlug er vor: „Bitte TECOM, eine einfache Re-

chenaufgabe und eine Art Aufforderung zu

komponieren, und dann sehen wir weiter." „Sofort, Atan." Abgesehen von Assimladja kannte jeder

an Bord die Theorien, bewiesen durch die Existenz und teilweise noch unbewiesen, daß die Entstehung intelligenten Lebens nicht auf erdgleiche oder erdähnliche Pla-neten beschränkt war. Es war nur logisch, daß sich auch auf Jupiter Leben hatte bilden können, aber es war natürlich keineswegs humanoid und gehorchte eigenen, unbekannten Gesetzen.

TECOM arbeitete mit der erwarteten Schnelligkeit. Sekunden später traf eine kurze Funkbotschaft im Raumschiff ein, wurde gespeichert und nach kurzer Wartezeit wieder in die Richtung des merkwürdigen Partners abgestrahlt.

„Wenn der GRF tatsächlich intelligent ist, dann muß sein Alter einige Millionen Jahre betragen", sagte Ayck plötzlich. „Wir wissen, daß jede mögliche joviani-sche Lebensform träge sein muß, also hat das Leben sicher viel länger gebraucht, um einen gewissen Stand zu erreichen."

Shubashi nickte; der Einwand deckte sich mit seiner Meinung und darüber hinaus den maßvollen, aber belegten Thesen der Wissenschaft. Auf Jupiter fehlte Sauerstoff, ein Reagens, das Lebensäußerungen aller Art beschleunigte und aktivierte.

„Der nächste Schluß liegt nahe: Leben dieser hypothetisch ermittelten Art wird sozusagen semiunsterblich sein. Jedenfalls glauben wir, daß ein solcher Organismus sich selbst ununterbrochen regeniert."

Sie warteten schon mehrere Minuten, aber der Große Rote Fleck schwieg. Er gab weder die Computersignale zurück, noch sendete er seine zuerst aufgenommenen rätselvollen Funkimpule.

Er denkt? durchfuhr es Atan Shubashi. Waren die „Gedanken", des Fleckes

ebenso langsam wie seine scheinbare Bewegung? Denn ein Objekt, das in knapp zehn Stunden einmal in den obersten

Schichten der Gashülle um den Riesenpla-neten herumdriftete, entwickelte eine Geschwindigkeit, die erstaunlich war. Der Kern des Jupiters war rund 30.000 Kilometer dick, gemessen bis zur Oberflä-che, also nur der Radius, dann folgten rund 27.500 Kilometer der massiven Eisschicht, schließlich rund 13.000 Kilometer Atmosphäre. Dies ergab, zusammenge-rechnet und mit pi vervielfacht, eine Strecke von etwa 223.000 Kilometern. Diese Distanz durchjagte der GRF in zehn Stunden, was einer stündlichen Ge-schwindigkeit von 22.200 Kilometern entsprach. Langsam? In Wirklichkeit wirbelte der schweigende Gesprächs-partner mit mehrfacher Schallgeschwin-digkeit um den innersten Kern des Jupiters, des megen stiarna, des Mächtigen Sternes der Nordländer.

Atan schüttelte sich, nachdem er diese Berechnung ausgeführt hatte, und gerade, als er Brandi bitten wollte, die Bordküche in Betrieb zu nehmen, kamen die ersten Antwortsignale an.

Zuerst wiederholte der GRF die an ihn gesendeten Signale. Wie es die bedächtige Art der Polymer-Amöbe war, langsam und deutlich.

Dann kamen wieder die zuerst erkannten Signale. Ein schneller Vergleich zeigte an, daß es sich um eine exakte Wiederholung der allerersten „Botschaft" handelte. Aber Shubashi glaubte, eine fast unmerkliche Änderung festgestellt zu haben. Es war wie eine bestimmte Betonung. Zugegeben, es dürfte fast an Einbildung grenzen, Betonungen bei schrillen, pfeifenden Morsesignalen festzustellen, aber etwas hatte sich verändert.

„So kommen wir nicht weiter", meinte Katsuro.

Han Tsu-Gol schaltete sich ein und sagte:

„Ich bin sicher, daß Sie den Auftrag nicht vergessen oder vernachlässigen werden, mit dem Sie gestartet sind. Ich

glaube, ich bin während Ihres interessan-ten Gesprächs mit dem GRF nicht unbe-dingt nötig. Nur der Gelangweilte drängt sich in fremde Probleme!"

„Wohl gesprochen, Han Tsu-Gol", erwiderte Shubashi. „Danke für die Hilfe. Die unwürdigen Sternenvagabunden loben ihren Herrn."

„Mit Recht", schloß Hans Tsu-Gol, grüßte nacheinander die anderen Be-satzungsmitglieder und zuletzt seinen Kollegen vom Galaktischen Sicherheits-dienst. Der Bildschirm verblaßte, die Verbindung wurde getrennt. Auch der Funkkanal zum Terrestrischen Computer-zentrum wurde abgeschaltet. Das Raum-schiff trieb weiter auf den Jupiter zu, die Männer und die junge Frau waren wieder allein.

„Schade", sagte Ayck leise und ak-tivierte den Autopiloten. „Zuerst schien es, als hätten wir einen interessanten Fund gemacht."

„Der Fleck bleibt weiterhin interessant", widersprach Atan leidenschaftlich. „Wir sind von einer unrealistischen Annahme ausgegangen. Wir haben unterstellt, daß etwas, das modulierte Funksignale aussenden kann, auch eine entsprechende Menge von funktechnischen Kenntnissen und der dazugehörigen Technik besitzt. Das würde voraussetzen, daß wir Men-schen und Wendy übereinstimmend einen gewissen Stand an naturwissenschaftlichen und mathematischen Kenntnissen gemein-sam erreicht haben."

„Wer ist Wendy?" erkundigte sich Assimladja, ohne recht zu begreifen, worum es ging.

Shubashi registrierte schweigend, daß er offensichtlich der einzige Vollprofessio-nelle im Schiff war. Die Unterhaltungen der ORION-Crew zeichneten sich dadurch aus, daß jeder fast immer wußte, erriet oder nachvollziehen konnte, was der andere dachte. Weniger Unduldsamkeit, Atan, sagte er sich und entgegnete heiter

und zuvorkommend: „Wendy ist meine Kurzform von Gwen-

dolyn. Ich habe unseren Langsamdenker dort in der jovianischen Gashülle so genannt. Wendy war einst ein Mädchen, das in den Kreisen meiner Freunde und Studienkollegen einen einschlägigen Ruf besaß. Sie hatte auch den Beinamen Wan-derpokal, und ihre Haarfarbe entsprach genau der Färbung des Großen Roten Fleckes."

Don Brandi stand lachend auf und rief: „Zweifellos eine hervorstechende Asso-

ziation. Ich bin auch für Wendy-Gwendolyn. Und jetzt gehe ich in unsere Küche und braue einen aufmunternden Kaffee."

„Endlich jemand, der die Zeichen der Zeit erkennt", murmelte Atan. „Jedenfalls scheint erwiesen zu sein, daß Wendy nicht in mathematischen Bahnen denkt. Auch TECOM hat diesen Tatbestand bestätigt. Vermutlich erzeugt Wendy elektroma-gnetische Wellen mit Hilfe organischer Prozesse. Wir müssen annehmen, daß außerdem seine Nervenbahnen, oder wie das Jupiter-Äquivalent dafür heißen mag, mehrfach länger sind als unsere menschli-chen Anlagen.

Wir wissen jetzt beide, daß wir mitein-ander sprechen können. Wir müssen nur noch eine Möglichkeit entwickeln, die es uns gestattet, zu verstehen, was der Partner meint."

„Verlassen wir also Wendy!" schlug Katsuro vor.

„Einverstanden", erklärte Shubashi. „Wendy kennt uns, wir wissen von Wendy, und zu gegebener Zeit werden wir uns wieder mit Wendy befassen."

Ayck drückte einen Schalter und über-gab die Steuerung der SIGNORINA C. dem Autopiloten.

„Bis dahin kann Wendy nachdenken. Wir hingegen stürzen uns wieder in die geheimnisvolle Welt der Abgesandten Unandats."

Während die Besatzung eine kleine Pause einlegte, nahm das Schiff wieder Fahrt auf, glitt in einem weiten Kreis um den riesigen Planeten herum, auf einen Punkt zu, an dem sich in berechneter Zeit der dreizehnte Mond Korwal auf seiner Umlaufbahn zeigen würde.

*

Es war erwacht, endlich erwacht... Es empfand sich nicht als einzelnes

Wesen, es vermochte sich nicht zu steuern, es war passiv. Aber während einer bestimmten Zeitspanne - es hatte ein Zeitgefühl, das nur für das eigene Bezugs-system galt und für die meisten anderen Lebewesen deswegen nicht gelten konnte, weil für sie ein „Tag" länger dauerte als ihre eigene Lebensspanne! - hatte es gespürt, daß es mehr und mehr begriff und erkannte.

Es befand sich in einem kalten, stru-delnden Meer, das den riesigen Körper wiegte und mit sich zog, auftauchen und untertauchen ließ. Vorher, alle jene Äonen, die in grauer Vergangenheit lagen, war das Wissen reiner, kreatürlicher Instinkt gewesen, jetzt erkannte es:

Tief am Grund des Meeres gab es heiße Quellen, die mächtige Säulen von kochen-den Gasen, rasend schnell ablaufenden chemischen Prozessen und Materieteil-chen hochschwemmten. Es bewegte sich auf seiner langsamen Fahrt durch das brodelnde Meer von einer dieser Quellsäulen zur anderen und aß von ihnen, wurde von ihnen ernährt. Die dünnen, grauen Massen stauten sich am Vorderteil des strömungsgünstig ge-formten Körpers, der einem langge-zogenen Tropfen glich. Es fühlte die Wärme in seinem Körper, die ununterbrochen erzeugt wurde.

Es bemerkte mit seinen Sinneszellen - es hatte keine Augen im Sinn von optischen Instrumenten! - das rötliche Leuchten der vielen Milliarden ununterbrochener

Zündungen und Explosionen, ein summen-der Herzschlag, der Nährstoffe durch die gewaltigen Netzstrukturen der Polymer-Adern pumpte. Die Explosionen im Innern waren heiß, aber sie glichen jenen anderen Punkten, jenen winzigen, kalten Feuern, die nie erloschen.

Es schob hin und wieder ein Pseu-dopodium durch die immer kälter werden-den Außenschichten seines Körpers und betrachtete diese Punkte in der großen, endlosen Schwärze. In den letzten Zeitab-schnitten hatte es gefühlt, daß es einsam war, nichts bewirkte, nur dazu da war, um nicht zu sterben und um mitzuerleben, wie sein riesiger Körper lebte.

Und irgendwann begann es zu spielen, zu probieren, zu experimentieren.

Aus dumpfen Träumen wurde eine langsam ertastete Wirklichkeit. Es begann zuerst, seinen Körper zu verstehen. Es beobachtete, mischte sich ein, sah die Reaktionen und machte sie teilweise rückgängig, beschleunigte sie und horchte mit mehr als einem Dutzend verschiedener Organe in sich hinein.

Es entdeckte innerhalb langer Zeiträume die Ausmaße des eigenen Körpers und die Bedingungen der Umgebung, in der dieser Körper sich befand. Es entdeckte ferner, daß es ein einziger großer Organismus war, dessen Myriaden von Zellen und Zellverbänden ununterbrochen mit-einander korrespondierten. Es spürte, wie es dachte, daß zum erstenmal in seinem sehr langen Leben Prozesse der Erkennt-nis abliefen. Dann erst begann es sich unbehaglich zu fühlen.

Dumpf erkannte es, daß es sich weit unterhalb seiner möglichen Intelligenz befand. Es war noch zu jung. Es mußte lernen, seine gewaltige, kaum auslotbare Kapazität zu benutzen. Wie konnte es lernen? Was konnte es lernen, auf welche Weise, von wem? Es beschloß, darüber nachzudenken und einen Weg zu finden.

Dieser Denkprozeß dauerte einige

Jahrzehnte, in der Zeiteinteilung der Bewohner des dritten Planeten. Von dem Planeten und dessen Bewohnern wußte es nicht das geringste.

*

Als die SIGNORINA C. die Geschwin-

digkeit derjenigen des kleinen Mondes angeglichen hatte und dreitausend Meter seitlich von Korwal dahintrieb, räumten die Besatzungsmitglieder ihre Becher und Tassen weg.

„Hier sind wir", sagte Ayck Shadogg halblaut. „Ein herrliches Plätzchen, dieser Mond."

„Das Innere ist interessanter." Sie umstanden den runden Bildschirm,

der den Mond plastisch und im rötlich gelben Licht des Jupiters zeigte. Ein annähernd runder Felsbrocken, zur Hälfte ausgeleuchtet, voller kantiger Schatten und zerrissener Einschnitte, an wenigen Stellen von dem jahrhunderttausendelangen Ansturm von kosmischen Partikeln glasartig poliert.

Assimladja deutete auf das Bild und sagte etwas in ihrer Sprache; gleichzeitig erfolgte die lautlose Übersetzung auf dem Weg über die Stirnreifen.

„Der Startschacht ist, soviel ich weiß, nicht auf dieser Hemisphäre zu finden."

„Wir werden sie mit Sicherheit finden", bemerkte Shubashi. Er nahm mit einem langen, konzentrierten Blick alle wichtigen Einzelheiten des Bildes in sich auf und wandte sich dann an Shadogg.

„Schalten Sie bitte sämtliche Scheinwer-fer und die Detektoren ein. Wir suchen den Ausstieg des Startschachts."

„Machen Sie die Untersuchungen?" „Natürlich. Außerdem sollte Don in die

Overkill-Steuerkammer gehen. Wir wissen nicht, ob es dort vielleicht nicht noch versteckte Sperren oder derartiges Zeug gibt!"

„Halte ich für eine gute Idee", erklärte

Tunaka Katsuro. „Ich auch", murmelte Atan und setzte

sich vor sein Pult. Auf dem Bildschirm zeichneten sich ganz andere Strukturen ab. Die Oberfläche des Mondes erschien in verschiedenen leuchtenden Farben, und als das Schiff sich wieder bewegte, näher herandriftete und eine Art unregelmäßiger Orbit um den Brocken einschlug, zeigten sich deutlich die natürlichen Teile der Oberfläche. Shubashi vergrößerte einzelne Ausschnitte und suchte nach einer Form des Geländes, die einen Ausgang, eine Art Tunnelmündung verdeckte.

„Ein Felsen hängt über dem Ausgang des Startschachtes", erläuterte Assimladja.

„So etwas habe ich vermutet", sagte Atan und suchte weiter. Ayck brachte das Schiff näher heran. Aus den Verkleidun-gen an der Nahtstelle zwischen den beiden Halbschalen des Schiffes schoben sich die kurzläufigen Projektoren der Overkill-Geschütze.

Sie kannten die Größe des Raumschiffs der Vorthanier und wußten, daß der Startschacht dem GSD-Schiff gerade noch das Eindringen gestatten würde. Es war undenkbar, daß jemals das Geheimver-steck der Eindringlinge entdeckt worden wäre - Korwal war und blieb völlig un-interessant, niemand hatte sich bisher je um diesen Gesteinsbrocken gekümmert.

„Hier könnte es sein. Halte die Ma-schinen!" rief Atan nach einigen Minuten.

Er schaltete kurz das Sucherbild auf den Hauptschirm. Dort konnten es Katsuro, Ayck und Assimladja sehen. Es überdeck-te die realistische Wiedergabe des Bild-ausschnitts, der von einem Dutzend starker Landescheinwerfer in grelles Licht getaucht wurde. Ein wuchtiger Felsen, ähnlich wie eine Nase geformt, stach aus der Rundung hervor, sein Schatten verschmolz mit einem annähernd runden Loch des Schachtes.

Atan prüfte die Umgebung des Einflug-lochs besonders gründlich, konnte aber

keinerlei Metallkonzentrationen oder Energieausstöße registrieren.

„Ich glaube, Ayck, Sie können Ihr Meisterstück versuchen. Bringen Sie das Schiff nach unten."

Shadogg nickte Katsuro und Shubashi zu und rief:

„Zieht bitte Raumanzüge an! Die Sache kann gefährlich werden. Freunde!"

Minuten später flog der silber-schimmernde Diskus drei Meter über den Felsen dahin und schob sich langsam auf die gekrümmte Felsnase zu. Noch immer kauerte Atan vor seinen Detektoren und suchte nach irgendwelchen Fallen oder Sperren.

Der Astrogator und alle anderen steckten bereits in Raumanzügen. Niemand sprach; ganz ruhig und mit beherrschten Bewe-gungen steuerte Shadogg das Schiff auf die Öffnung zu.

Die SIGNORINA C. schob sich über den Startschacht, der Felsen hing drohend über der Oberschale des Diskus. Dann schwenkten ein halbes Dutzend Schein-werfer herum und strahlten senkrecht nach unten, gleichzeitig erfaßten die Linsen das Bild eines exakt ausgehöhlten kreisrunden Schachtes.

„Fangen wir an!" murmelte Ayck und ließ das Schiff eine Handbreite nach der anderen absinken. Klickend arbeitete der Autopilot, dessen Meßfühler an fünf Stellen den Abstand zur Innenwand maßen und winzige Korrekturstöße der Projek-toren schalteten. Nach etwa zehn Minuten erkannte Ayck auf seinem Bildschirm einen flachen, bearbeiteten Boden und einige undeutliche Vertiefungen oder Eingänge am Boden des Schachtes.

Im Innern des Mondes herrschte keiner-lei künstliche Schwerkraft. Das Schiff blieb stehen, wurde mit Traktorstrahlen und den Antischwerkraftprojektoren in der Position verankert, dann lehnte sich Ayck zurück und wischte den Schweiß von seiner Stirn.

„Das wäre geschafft", meinte er. „Wir können an die Arbeit gehen."

Tunaka Katsuro zog mit bedächtigen Bewegungen seine Handschuhe an und blickte von Ayck zu Don.

„Auf alle Fälle müssen wir das Funkpult besetzt halten. Bleiben Sie bitte im Schiff, Brandi?"

Der Funker und GSD-Assistent erwider-te:

„Damit habe ich gerechnet. Selbst-verständlich überwache ich mögliche Funkaktivitäten. Schaltet bitte alle die Schiffsfrequenz der Helmfunkgeräte ein."

„Außerdem sollten Sie im Schiff blei-ben, Kommandant - wenigstens vorläufig. Wenn wir nicht mehr weiter wissen, rufen wir. Klar?"

„Klar." Der Kommandant war Transmitterexper-

te, und es war ziemlich sicher, daß sie ihn brauchen würden. Aber sie stießen trotz gegenteiliger Auffassung der Vorthanierin in möglicherweise gefährliches Gebiet vor. Atan half Assimladja, den Helm zu befestigen und die Innenversorgung einzuregulieren.

„Vielleicht sollten Sie sich einmal überlegen", sagte er, und dadurch testete er gleich die Funkverbindung, „welche Schachzüge wir von Unandat zu erwarten haben."

„Ich bin sicher, daß Unandat noch eine ganze Menge von Alternativplänen kennt. Aber ich habe nicht die geringste Ahnung, was unserem lautlosen Herrscher in den Sinn kommen wird."

Bewaffnet, hervorragend ausgerüstet und entschlossen, auch den nächsten Versuch von Unandat und Vortha schei-tern zu lassen, verließen Katsuro und Shubashi das Schiff. Der Boden des Lifts traf auf die abgeschliffene Felsplatte. Die Lichtflut von oben erhellte die Mündung des Schachtes. Katsuro stieß sich ab und blieb am Rand stehen. Shubashi sah zu, wie sich der metallene Rüssel des Lifts in

die geschwungene Unterschale zurückzog und wieder herunterkam. Die äußere Schleusenplatte bewegte sich zur Seite, langsam kam Assimladja aus dem Schleu-senlift.

Atans Handscheinwerfer blitzte auf, der Lichtkreis traf den gegenüberliegenden Teil des Schachtendes.

„Dorthin, Assimladja?" „Ja. Soviel ich weiß, gibt es nur einen Eingang oder Ausgang. Dort muß die Transmitterkam-mer sein." „Und der Transmitter ist noch immer auf Dauerbetrieb geschaltet?"

„Ja." Mit gemischten Gefühlen folgte Atan dem exotischen Gast. Er wußte, daß sie in einen Bereich der fernsten Vergan-genheit eindrangen. Diese Vergangenheit schleuderte noch immer ihre tödlichen Blitze nach den Menschen und den Pla-neten der Gegenwart.

Lauerte dort vorn am Transmitter die nächste gräßliche Überraschung für den Planeten Erde?

3. Der Raum, in dem sich Erethreja jetzt

befand, war schallschluckend ausgeklei-det; die Isolierung war unsichtbar. Ein würfelförmiges Behältnis, eine Zone aus Stille. Die junge Frau hörte ihre eigenen Atemzüge und sah vor sich nichts anderes als eine der sechs Wandinnenflächen; sie bestand aus den Sinneszellen dieses riesigen Elektronengehirns.

Erethreja saß in einem weichen Sessel und fühlte sich von den leuchtenden Linsen, den gitterförmigen Kreisen und Rechtecken, den Vertiefungen und herausragenden Antennen beobachtet, untersucht und ausgeforscht.

Sie hatte Unandat die Erklärungen vorgetragen, die Mario de Monti ihr gegeben hatte. Diese Informationen wurden jetzt während dieses entsetzlich direkten Schweigens, von dem mächtigen

Gerät verarbeitet. Dies geschah, was diese Zelle betraf, in

völliger Lautlosigkeit. Die Grundprogrammierung von Unandat

hatte in der Zeit des kosmischen Infernos stattgefunden. Aber die damaligen Erbauer und Programmierer schienen für unendlich lange Zeiträume gedacht und geplant zu haben. So, wie auch die „neueren" Ablegerstationen Unandats auf bisher kontrollierten Planeten auf Lernen und Selbstreparatur, auf genau umrissene Selbstvergrößerung angelegt waren, hatte sich auch Unandat von allem Anfang an weiterentwickeln können und sicher auch sollen.

Im Lauf der Jahrtausende modifizierte Unandat seine Grundprogrammierung. Er lernte ununterbrochen, speicherte gewalti-ge Datenfluten, baute neue Speicher und verwendete diese Informationen dazu, in. Millionen winziger Änderungen die Zielsetzung der ersten Programmierung zu variieren.

Der vorläufige Endpunkt heute war die uneingeschränkte Herrschaft Unandats über das zahlenmäßig kleine Hilfsvolk der Vorthanier. Er kontrollierte nahezu jeden Bereich ihres Lebens. Und sein Wort -gesprochen, geschrieben oder in Impulse verwandelt - war und blieb Gesetz.

„Ich habe deine Informationen ak-zeptiert", erklärte Unandat unvermittelt. Erethreja zuckte vor Schrecken zusam-men.

„Aber ich habe deutlich gesagt, daß es keine präzise Auskunft, sondern eine Meinung darstellt!" schränkte die junge Frau ein.

„Verstanden. Die Information, die als Meinung klar erkannt wurde, deckt sich mit der Wahrscheinlichkeit meiner natur-wissenschaftlichen Erkenntnisse."

Erethreja wunderte sich nicht im minde-sten; das Wissen Unandats war unendlich groß. Daß sich Marios Aussage mit der ermittelten oder errechneten Wirklichkeit

auf dem Planeten Erde deckten, auf Ssassara Hjuul also, mußte Unandat besser wissen als sie selbst und Mario.

„Welche Aktionen werden nach dem vermuteten Scheitern der sieben Pioniere geplant?" fragte Erethreja unruhig.

„Wir haben mehrere Welten von der Richtigkeit meiner Lehre überzeugt. Dort stehen meine Ableger, dort haben wir die Siegerpflanzen eingesetzt. Dasselbe wird auf Ssassara abgewickelt. Ein Aussaat-schiff wird programmiert und gestartet. Es wird die Samen der schnellwachsenden Siegerpflanze ausstreuen, und diese Pflanze sowie ihre Tochterpflanzen werden die Vegetation des störrischen Planeten unter ihre und somit meine Herrschaft zwingen."

„Wann soll das geschehen?" fragte Erethreja. Sie stellte fest, daß ihre Bereit-schaft geringer geworden war, Unandats Aussagen als die ultimate Weisheit zu erkennen.

„Sofort. Die Anweisungen gehen gerade zu den verantwortlichen technischen Abteilungen hinaus."

Erethreja überlegte, was die erre-chenbaren Folgen dieser Aktion sein würden. Sie wußte, daß innerhalb eines Lebensbezirks, wie er durch Vortha bestimmt wurde, ganz andere Bedingun-gen galten als für das Leben von Individu-en auf einem Planeten, beispielsweise auf Cassina, wie Mario ihn benannt hatte, oder auf dem Planeten Erde, seiner Heimat. Wenn ein Raumschiff über den Planeten hinwegraste und eine Menge der stets in Vortha vorrätigen Samenkapseln ausstreu-te, deren Wachstumsschnelligkeit jeder von ihnen kannte, dann überzog in Kürze ein zweiter Dschungel diese Welt. Klet-ternde und würgende, drosselnde und wuchernde Pflanzen, die überall dort gediehen, wo es Sonne, Wasser und etwas Boden gab.

„Brauchst du weitere Informationen von mir, Unandat?"

Mit melodischer Stimme erwiderte die Rechenmaschine durch ihren metallenen Kehlkopf:

„Ich werde dich oder den Terraner rufen, wenn ich Informationen benötige. Im Augenblick ist das alles."

Die Stimme schwieg, leuchtende Felder und glimmende Linsen wurden abgeschal-tet, der ferne Lärm und die summenden Vibrationen drangen wieder in die Dialogzelle. Die Tür öffnete sich, als Erethreja aufstand. Sie schloß sich leise, und die junge Frau ging langsam und nachdenklich durch leere Korridore und rankende Vorhänge aus wohlriechenden Gewächsen zurück in ihr Quartier.

Sie überlegte weiter. Wenn erst einmal die Tochterpflanzen der Siegergewächse und deren Ableger die Vegetation jener Planeten überwuchert hatten und kontrol-lierten, war der Zeitpunkt gekommen, an dem die Lehre Unandats eingesetzt werden konnte. Der Widerstand der planetaren Flora war dann zusammengebrochen, und die parapsychische Beeinflussung durch Pioniere Vorthas war leicht geworden.

Als Erethreja dieses Schema der Vor-gänge präzise erfaßt hatte, blieb sie überrascht stehen. Sie wußte, daß Mario andere Vorstellungen hatte als sie, was Vortha und Unandat betraf. Und sie fing an zu begreifen, daß seine Sicht der Probleme mindestens ebenso richtig und stichhaltig war wie ihre eigene - die von der Lehre Unandats gesteuert wurde.

„Ich muß mit Mario darüber sprechen", sagte sie laut und ging in die Richtung, in der die Quartiere der Terraner lagen.

„Ich muß unbedingt mit Mario sprechen! Und mit den anderen Terranern", sagte sie noch einmal und begann schneller zu gehen, schließlich lief sie, bis sie die Kabinen der gefangenen Gäste erreichte.

Nach dem dritten Summen des Rufknop-fes öffnete Mario de Monti die Tür und hob verblüfft den Kopf, als er Erethreja erkannte. Eine Sekunde später begriff er,

daß ihre Anwesenheit hier zumindest einen deutlichen Bruch der Konventionen bedeutete, schob die Tür ganz auf und zog Erethreja an der Hand herein.

In seiner Kabine befanden sich alle seine Freunde und starrten Erethreja neugierig an. Hasso Sigbjörnson brach das Schwei-gen der Überraschung und sagte in ruhigem Ton:

„Das ist ein entzückender Besuch, mit dem keiner von uns gerechnet hat. Komm, setz dich zu uns, Erethreja."

„Unandat hat mich rufen lassen - Mario weiß es!" sagte sie aufgeregt und nahm Platz. Die fünf Terraner schienen zu merken, daß das blauhäutige Mädchen unsicher geworden war und voller Zweifel steckte.

„Ich weiß es, Errie", bestätigte de Monti halblaut. „Unandat scheint soeben drastische Maßnahmen beschlossen zu haben."

„Ja. Sie werden schon jetzt durch-geführt!" sagte sie leise.

Die Crew wußte inzwischen ziemlich genau, welche Gefahren der Erde drohten. Was Mario nicht von Erethreja erfahren hatte, ließ sich aus Beobachtungen und durch Vergleiche und Theorien extrapolie-ren.

Cliff McLane murmelte: „Fragt nicht zu präzise. Wir wollen

Marios Freundin keineswegs in einen Loyalitätskonflikt stürzen."

„Richtig. Das müssen wir unbedingt beachten", warf Arlene ein.

„Will Unandat, nachdem er die Mission der Sieben als gescheitert ansieht, auch auf der Erde die Siegerpflanzen aussäen?" fragte de Monti behutsam.

Erethreja nickte schweigend. „Außerdem werden im Raumschiff, das

die Aussaat vornimmt, wieder einige eurer parapsychischen Supervorthanier sein, die das Werk der Pflanzen vollenden?"

Wieder nickte die Exotin. Hasso führte den Gedanken weiter und

erkundigte sich gespannt: „Das soll bedeuten, daß die gesamte

Pflanzenwelt der Erde, vom Grashalm bis hinauf zu den letzten Sequoiabäumen, besiegt und unterjocht und durch die Siegerpflanzen ersetzt wird, wie wir es auf Cassina erlebt haben. Und auf Cassina griffen uns die Pflanzen sogar an."

Erethreja flüsterte erschreckt: „Das habe ich noch gar nicht bedacht. Es

geraten ja auch die Bewohner des Planeten in Gefahr."

„Wenn nicht durch die Pflanzen selbst", unterbrach Helga Legrelle, „dann dadurch, daß die gesamte Ökologie der Erde zusammenbricht. Ein Chaos der Natur in nur ganz kurzer Zeit wird die Folge sein."

„Das ist zu befürchten", sagte Hasso. Cliff lehnte neben einem Bildschirm an der Wand, schwieg und dachte nach. Im Augenblick erinnerte er sich in aller Deutlichkeit an den Leichenhausgeruch, der ihnen am Fuß des stählernen Turmes der Dherrani auf Cassina entgegenge-schlagen war. Eine Vision zog vor seinem inneren Auge herauf: die Erde im Griff der Siegerpflanze, deren Ausstrahlungen aus jedem Vorthanier einen Diktator machen konnten.

„Die Erde wird für Menschen un-bewohnbar werden, wenn die ersten Tochterpflanzen wachsen!" rief Arlene. „Wir müssen etwas unternehmen, Cliff!"

Der Commander nickte geistesab-wesend.

„Ja, sofort!" brummte er. Offensichtlich wanderte er gerade auf den verschlunge-nen Wegen seiner phantastischen Einfälle.

„Und das alles", fragte Helga, „ist be-reits so gut wie beschlossen und wird in kurzer Zeit in die Wege geleitet?"

Abermals gab Erethreja durch Nicken zu verstehen, daß die Folgerung der Crew richtig war.

„Kannst du diese Entscheidung Unan-dats korrigieren oder rückgängig ma-chen?" fragte Hasso.

„Nein." „Warum nicht?" „Weil kein einziger Vorthanier jemals

gegenüber Unandat ungehorsam sein wird. Unandat ist der Mittelpunkt unseres Lebens und die Seele von Vortha. Ohne ihn gäbe es uns nicht. Ohne ihn gäbe es keinen festen Punkt in unseren Gedanken und im Universum."

„Wir verstehen." Cliff öffnete die Augen, hob die Hand

und brachte einen neuen Einwand, den sie bisher noch nicht in Betracht gezogen hatten.

„Ich glaube nicht, daß Unandats Plan durchführbar ist."

Er sagte es laut und unmißverständlich. Mehrmals hatte Mario sich erkundigt, ob in den Räumen Abhöranlagen installiert wären. Jedesmal hatte Erethreja strikt ver-neint, aber die Terraner blieben aus guten Gründen mißtrauisch. Trotzdem riskierte der Kommandant, daß der Großrechner sie abhören konnte.

„Wie kann ich das verstehen, Cliff?" fragte augenblicklich Arlene.

„Vergißt du, daß wir innerhalb der Neunhundert - Parsek - Raumkugel eine Unmenge von Schiffen der Raumflotte stationiert haben? Denkst du daran, daß wir T.R.A.V. und Han Tsu-Gol haben, darüber hinaus eine hervorragend funktio-nierende Raumüberwachung? Ein fremdes Raumschiff würde sich niemals unbemerkt ins System hineinschleichen können. Und ich kenne kein Schiff, das nicht letzten Endes vor einem massiven Overkill-Be-schuß kapitulieren würde. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?"

Mario warf ihm einen langen, außeror-dentlich schwer zu deutenden Blick zu, dann erklärte er:

„Schon immer war deine Diktion ohne jeden Fehl und Tadel. Wenn du sprichst, tust du es in geschliffener Form. Vergißt du, um deine eigenen Worte zu gebrau-chen, daß mit größter Wahrscheinlichkeit

bereits ein Schiff der Vorthanier in unser System eingedrungen ist? Zugegeben, wir wissen nicht, ob dieser Einsatz oder, von uns aus gesehen, dieser Angriff von Erfolg gekrönt war."

Cliff starrte ihn wütend an und erklärte: „Leider hast du recht. Unbesonnenheit

ließ mich sprechen, ehe ich alles wohl bedacht hatte."

„Und, noch etwas", pflichtete Helga ihrem Kameraden bei, „ohne dich verlet-zen zu wollen, arbeitsloser Commander der ORION Acht und Neun! Die Vortha-nier werden mit Sicherheit dieses ver-wünschte Schiff mit einigen ihrer parapsy-chisch hochbegabten Spitzenagenten be-setzen. Sie werden jeden Widerstand, ob auf dem Boden der Erde oder im freien Weltraum, im Keim ersticken. So sehe ich die Realitäten." Cliff sagte deutlich: „Ich werde alt. Der Schwung früherer Jahre ist hin! Die einst geschliffene Schneide meines überschätzten Verstandes ist stumpf geworden."

Hasso lachte breit und gutmütig und tröstete:

„Es gibt heute fabelhafte Medikamente gegen derlei Ausfallerscheinungen."

Er wurde wieder ernst und sagte: „Wir brauchen eine Gelegenheit, mit Unandat zu sprechen. Nur ein Dialog wird die Maschine überzeugen können, daß sie nicht gewinnen kann."

Erethreja schüttelte wild den Kopf und rief verzweifelt:

„Ihr wolltet schon einmal flüchten. Wenn ihr mit Gewalt etwas versucht, dann wird es ein zweites Mal fehlschlagen."

„Das denken wir auch!" sagte Hasso. „Wobei wir nicht einmal wissen, wo sich Unandat befindet oder ein einigermaßen funktionierendes externes Element dieses Rechners. Darfst du es uns zeigen, Erethreja?"

„Nein. Ich weiß es nicht. Das ist bisher niemals vorgekommen. Ich weiß nicht, wie ich mich verhalten soll."

Die junge Frau befand sich in einer höchst gefährlichen Situation. Einerseits schien sie erkannt zu haben, daß sich die Herrschaft Unandats auf einem entvölker-ten, sterbenden Planeten gründen würde. Andererseits konnte niemand von ihr verlangen, daß sie sich an die Spitze einer Revolution stellte. Immerhin: Mit exakten Argumenten und präzisen Informationen war selbst ein böswilliger Computer zu überzeugen, das wußten die Angehörigen der Crew.

Cliff fragte scharf: „Gibt es für uns eine offizielle Möglich-

keit, mit Unandat zu sprechen?" „Nein", erklärte Erethreja. „Wenn U-

nandat sich Informationen beschaffen will, dann ruft er die Informanten."

„Existiert eine Möglichkeit, ihn zu überzeugen, daß er uns ruft?" setzte Mario nach.

„Ich weiß nichts davon." „Wenn er uns nicht ruft", erklärte Mario

und wog schon während dieser Äußerung die Chancen ab, die sie hatten, „dann gehen wir zu ihm."

Wurden die Räume beobachtet und abgehört, dann wußte auch Unandat von diesem Plan. Wenn nicht, gab es immerhin eine schwache Chance.

„Wir sind schon einmal bis in die Steu-erkabine des Raumschiffs gekommen", bemerkte Hasso düster. „Wir können sicher auf irgendwelchen geheimen oder zumindest ungebräuchlichen Wegen bis in die Nähe des Rechenzentrums gelangen."

„Ich rate euch davon ab", sagte Erethreja leise. „Unandat ist furchtbar, wenn er zürnt."

„Wir sind es nicht minder", antwortete Cliff scharf. „Es geht hier nicht um uns, sondern darum, daß Unandats Entschluß den Tod für einen Planeten bedeutet und darüber hinaus für die vielen Kolonien der Erde."

Sie mußten versuchen, die Durch-führung von Unandats Plan zu vereiteln.

Cliff Allistair McLane schien sich zu einem Entschluß durchgerungen zu haben.

„Verrätst du Unandat, wenn du uns den Weg in die größte und bestausgerüstete Sprechstelle zeigst oder aufzeichnest?" fragte er die Vorthanierin.

„Nein. Das ist für jedermann zu-gängliches Wissen", erwiderte sie.

„Mario und Hasso - laßt euch den Weg dorthin ganz genau beschreiben. Sollte es schnell gehen müssen, und ich rechne fest damit, dann darf es kein Zögern geben. Klar?"

„Völlig klar!" meinte Mario. „Was hast du vor?"

Langsam ging Cliff zur Tür, drehte sich herum und entgegnete:

„Einiges. Je weniger ihr wißt, desto weniger Verantwortung habt ihr."

Er öffnete die Tür, schlüpfte hinaus und ging langsam den ruhigen, von mildem Licht durchfluteten und von Gewächsen in allen Größen und Farben überwucherten Korridor entlang. Es war gefährlich, was er versuchte, aber er rechnete sich reelle Chancen aus.

*

Das Leben im Innern Vorthas war einge-

spielt, ohne dramatische Höhepunkte, fast ein wenig steril. Nur dann, wenn neue Unternehmungen bevorstanden, lebten die Gänge, Rampen und Verteiler auf; dann versammelten sich Gruppen von Vorthani-ern in den großen Maschinenhallen, in den Treibhäusern und den Hydroponikkultu-ren. Dann tauchten auch Wächter auf, die sonst kaum zu sehen waren. Es gab nichts zu bewachen, wenn sämtliche Insassen der riesigen Raumstation sich völlig korrekt nach den Maximen Unandats richteten.

Cliff ging etwa zweihundert Schritte weit, ohne einen einzigen Vorthanier zu sehen. Er gab sich den Anschein, als mache er einen Spaziergang. Als er ein offenes Schott erreichte, das einen

Korridor von einer abwärts führenden Rampe trennte, kam ihm gerade ein Vorthanier entgegen.

Cliff blieb stehen und winkte schwei-gend. Er trug einen jener fabelhaft funktionierenden Stirnreifen und konzen-trierte sich daher darauf, mit keinem Gedanken an sein Vorhaben zu denken.

Der Vorthanier blickte ihn überrascht an und wurde schneller. Cliff blieb direkt unterhalb des Schottes stehen und sah zu seiner Zufriedenheit, daß dieser Mann offensichtlich Wächterfunktionen hatte. Als sie sich gegenüberstanden, sagte der Commanderlaut:

„Wo sind die anderen Wächter, mein Freund?"

Nichtsahnend drehte sich der Vorthanier um und deutete über die Rampe abwärts. Cliff verstand:

„Sie sind dort, wo die Ladung für das Raumschiff zusammengestellt wird. Und natürlich in der Umgebung Unandats."

„Ausgezeichnet", erwiderte Cliff und sprang nach vorn.

Seine Schulter rammte den Wächter. Mit der linken Hand griff er nach der Betäu-bungswaffe, die der Mann in einer dreieckigen Tasche trug, die an einem Gurt quer über der Brust befestigt war. Die rechte Hand traf mit einem zuverlässigen, blitzschnellen Schlag das Nervenzentrum des Halses. Mit einem gurgelnden Laut brach der Wächter zusammen und rutschte an der gläsernen Platte einer Verbindungs-tür herunter. Cliff lud sich den Körper auf den Rücken und lief stolpernd auf das nächste Schott zu. Mit einer schnellen Bewegung schob er die Waffe hinter sei-nen Gürtel und drückte die runde Platte auf. Der Raum war klein und leer; irgendwelche Maschinen arbeiteten summend und strahlten Wärme aus. Vorsichtig ließ Cliff den Körper von seinen Schultern gleiten, bettete ihn in den Winkel zwischen Wand und Boden und sah sich schweigend um.

Er bemerkte weder Linsen noch Mikro-phone, aber das hatte nicht viel zu sagen. Der Riesencomputer Unandat schien nur organische Helfer oder Sklaven zu haben, keine oder nur wenige Maschinen und Ro-boter.

Cliff wirbelte aus dem Raum hinaus, schloß das Schott und ging weiter in der zuerst eingeschlagenen Richtung. Er hatte eine Waffe. Dieser Besitz verschaffte ihm einen gewaltigen Vorteil, denn er schätzte die Vorthanier nicht gerade als besessene und wilde Kämpfer ein, obwohl sie während der Verfolgung vor einiger Zeit schnell und zuverlässig gehandelt hatten.

Als sei absolut nichts geschehen, ging er die Rampe abwärts. Weit vor sich hörte er Stimmen und undefinierbare Geräusche.

„Sie scheinen sich zu beeilen. Vielleicht ist das Schiff schon gestartet worden?" murmelte er und blieb abermals stehen, als er die nächsttiefere Ebene der Raumstation erreicht hatte. Hier herrschte weitaus mehr Betriebsamkeit. Cliff blickte in ein Deck hinein, das nur durch Säulen und Träger abgestützt war. Aus allen Ecken strahlten Scheinwerfer Vorthanier und leise funktionierende Maschinen an, die schwere Lasten transportierten. Immer wieder kurvte ein solcher Tieflader in eine breite Rampe ein und verschwand fau-chend nach unten.

Zögernd ging Cliff näher. Es gab zu viele Wächter hier. Er mußte sie dazu bringen, sich zu verteilen.

Genau in dem Augenblick, als sich einer der herumwandernden Wächter umdrehte und zufällig in Cliffs Richtung blickte, änderte der Terraner seine Absicht und ging ruhig nach links weiter. Dort vorn war es weniger hell; es standen gewaltige Stapel von undefinierbaren Gütern oder Vorräten da, es gab bessere und mehr Verstecke. Cliff schlenderte geradeaus und zwang sich dazu, sich nicht umzudrehen.

„Halt, Terraner!" hörte er durch den Lärm der Maschinen. Er ging ruhig weiter

und hoffte, daß auch dieser Teil seines Planes aufgehen würde. Sein Körper warf einen langen Schatten an die gegenüber-liegende Wand. Endlich erreichte er die Zone, in der es dunkler wurde.

„Halt! Das ist verbotener Bezirk!" rief der Vorthanier. Cliff beschleunigte unmerklich seine Schritte. Er registrierte voller Erregung, daß auch der Wächter zu laufen angefangen hatte. Hoffentlich nur ein Wächter, nicht eine ganze Gruppe! Als Cliff die ersten Stapel erreicht hatte, schwenkte er um neunzig Grad herum und verschwand zwischen den einzelnen Türmen aus Ballen, Kisten und Packen.

Der Wächter machte einen ent-scheidenden Fehler.

Er begann zu rennen und lief genau an der Stelle hinter Cliff her, an der McLane sich versteckt hatte. Cliff hob die Waffe, versuchte den Mechanismus zu begreifen und zog sich weiter in den Schatten zurück.

Der Vorthanier rannte unsicher an Cliff vorbei, blickte hin und her und versuchte, ihn zu entdecken. Cliff winkelte den rechten Arm an, zielte auf den Kopf des Mannes und feuerte.

Eine summende, zischende Entladung traf den Vorthanier, riß ihn augenblicklich von den Beinen und schleuderte ihn mit dem Rücken gegen den nächsten Stapel. Cliff sprang vorwärts, packte den leichten, schmalen Körper und zog ihn in eine noch dunklere Deckung. Mit einem schnellen Griff nahm er die zweite Beutewaffe an sich und richtete sich auf.

Cliff lachte kurz und lautlos. Vielleicht schaffte er es tatsächlich, mit fünf der Betäubungswaffen zurückzukommen.

Er lief ein paar Schritte, bog um einige Stapel herum und versuchte herauszufin-den, ob ihn andere Wärter verfolgten. Vielleicht hatte jemand gesehen, wie der zweite Mann ihm nachgelaufen war, vielleicht nicht. Cliff steckte die zweite Waffe unter der Hose in den Stiefelschaft

und schlich wieder in die Richtung des erhellten Vorraums. Die Geräusche waren nicht abgerissen, der Lärm nahm zu, als sich Cliff der belebten Zone näherte.

Genau dort, wo die beiden Bereiche aufeinanderstießen, blieb der Commander stehen und hob die Waffe. Keine dreißig Meter vor ihm bewegten sich Vorthanier und Maschinen. In jeder Sekunde konnten die Arbeitenden ihn entdecken. Cliff fühlte, daß die Zeit viel zu schnell verging.

Vier Wächter riefen sich etwas zu und winkten. Eine Gruppe entstand; die Männer strahlten geradezu Aufregung aus. Cliff wußte, daß sie den zweiten betäubten Posten auf keinen Fall entdeckt haben konnten, und der erste durfte eigentlich auch noch nicht aufgewacht sein.

Die Vorthanier kümmerten sich nicht um die Ladearbeiten. Sie liefen geschickt zwischen den fauchenden Maschinen und den polternden Ladegeräten hindurch und bildeten dann eine Reihe. Sie schienen etwas oder jemanden zu suchen.

„Wenn sie von Unandat alarmiert wur-den ...", flüsterte Cliff und fühlte sich unsicher. Er kannte seine Möglichkeiten genau, konnte die Erfolgsschancen der Crew abschätzen, aber weder sie noch er wußten um die Fähigkeiten und die Hilfseinrichtungen des Riesenrechners.

Er ging langsam rückwärts. Jetzt durfte er sich keinen Fehler leisten,

denn er hatte vier mögliche Gegner. Er blieb im Dunkeln und versuchte, zwischen den stählernen Säulen, Liftschächten, Rampen und Ausrüstungsstapeln einen strategisch günstigen Platz zu finden. Jetzt verschwanden die vier Wächter, die inzwischen ihre Waffen in den Händen hielten, hinter einem riesigen Block von stählernen großen Kisten. Cliff duckte sich, hob den Kopf über eine Rampe und wartete auf die günstige Gelegenheit. Als die vier Wächter sich jetzt in verschiedene Richtungen verteilten, sah der Commander deutlich, daß sie jemanden suchten. Sie

schienen zu ahnen, daß er sich hier versteckte. Oder vermißten sie den anderen Mann?

Er wußte es nicht. Es war ihm auch ziemlich gleichgültig. Er wartete, bis einer der Vorthanier nahe genug herangekom-men war und gleichzeitig von den anderen nicht mehr gesehen wurde. Dann stand er auf, zielte kurz und feuerte. Das Geräusch des Lähmstrahlers wurde vom Lärm der Maschinen verschluckt.

Gleichzeitig sah er, wie hinter einem anderen Stapel ein Wächter auftauchte und ihm direkt ins Gesicht starrte.

Cliffs Arm schwenkte herum, wieder spuckte die Waffe einen fahlen Lichtblitz aus. Der zweite Wächter ging zu Boden; sein Mund stand offen, er hatte gerade einen Warnruf ausstoßen wollen.

Cliff duckte sich, wich zur Seite aus und rannte schnell um einen der Stapel herum. Er rutschte auf dem glatten Boden, bremste und fing sich mit einer Hand ab, dann sah er undeutlich einen weiteren Vorthanier vor sich vorbeilaufen. Der Mann rannte dorthin, wo eben der Betäub-te zusammengebrochen war.

Wieder schoß der Commander und warf sich nach vorn, um seinen Standort zu wechseln und möglicherweise den vierten Mann zu verwirren. Er riß die Waffe aus der Hand des Bewußtlosen, steckte sie ein und suchte dann nach dem letzten Wäch-ter.

Er kauerte sich zu Boden, blickte nach-einander in drei verschiedene Schächte zwischen den Stapeln, und schließlich bemerkte er einen Schatten an der entfern-testen Stelle.

Cliff schnellte hoch, orientierte sich und holte die beiden Waffen der betäubten Vorthanier. Dann huschte er auf Zehen-spitzen dorthin, wo er die Bewegung wahrgenommen hatte, und blieb stehen, als er in nur zehn Metern Entfernung den letzten Wächter sah. Der Mann starrte ge-nau dorthin, wo Cliff gestanden und

geschossen hatte. Der Commander hob die Waffe, zielte

kurz und betätigte den Abzug. Er rannte schon auf den torkelnden und zusammen-brechenden Wächter zu, als der Mann noch nicht den Boden berührt hatte.

Eine Sekunde später hielt Cliff die Waffe in der Hand, sprang zurück und wußte, daß er jetzt keine Zeit mehr zu verlieren hatte. Er rannte bis zum Rand der helleren Zone und blieb wieder stehen. Er sah ein Stück der Rampe; sie war leer. Dort drüben, nur durch den Gegensatz von hell und Dunkel getrennt, arbeiteten die Maschinen. Aber inzwischen waren die Bewegungen weniger geworden. Der Start stand vermutlich unmittelbar bevor.

Cliff wußte, daß er das Risiko, zwischen hier und der Stelle, an der die anderen samt Erethreja warteten, nicht ausschalten konnte; das Risiko, gesehen und angehal-ten zu werden. Er steckte drei Waffen fest in seinen Gürtel, nahm zwei entsicherte Waffen in die Hände, holte tief Luft und spurtete los.

Er rannte die Rampe hoch, lief un-bemerkt auch über den Verteiler und stob, so schnell er konnte, den Korridor entlang.

Ganz weit hinten, am anderen Ende des langen Korridors, der ruhig und in mildem Licht dalag, tauchte ein anderer Insasse von Vortha auf. Cliff hielt vor der Tür an, schlug mit dem Kolben der Waffe gegen die Platte und wartete ungeduldig.

Die Tür wurde aufgerissen. Hasso stand vor ihm und schien begriffen zu haben. Er zog Cliff mit einem Ruck in den Raum hinein und sicherte die Tür.

„Ich weiß, was du vorhast, Com-mander!" sagte er.

Cliff warf ihm eine Waffe zu und knurr-te:

„Das war sicher ganz schwer zu erraten, Ingenieur Sigbjörnson."

Hasso fing die Waffe auf, Cliff zog die Beutestücke aus dem Gürtel und verteilte sie. Die großen, schillernden Katzenaugen

Erethrejas waren weit aufgerissen. Sie hatte Angst.

„Hört zu, alle", sagte der Commander mit ungewohntem Ernst. „Ich habe fünf Wächter betäubt. Wir haben fünf Waffen. Wir sind in einigen Minuten genau dort, wohin wir wollten. Bei Unandat."

Er deutete auf Mario de Monti. Sie alle kannten seinen Gesichtsausdruck. In diesem Stadium war es nicht mehr möglich, Cliff zu stoppen.

„Wir wissen, daß der Weg lang ist und daß einige bemerkenswerte Sperren eingebaut sind", erklärte Mario. „Erethreja wird uns führen."

Cliff sagte grimmig: „Worauf warten wir noch? Los!" Die Crew hatte sich bewaffnet. Sie

sprachen die Art ihres Vorgehens ab; sie brauchten nicht viele Worte dazu, denn derlei Aktionen waren sie gewohnt. Hasso blickte einen nach dem anderen an und murmelte:

„Immerhin benutzen wir sogenannte humane Mittel dazu, um eine höchst unhumane Aktion zu stoppen."

„Sofern wir durchkommen. Wir rennen los, Freunde!"

Cliff riß die Tür auf. Mario nahm Ere-threja, die immer noch erschrocken schwieg, bei der Hand, hob die Waffe und sprang hinaus in den Korridor. Die Freunde, die sich noch innerhalb des Raumes befanden, hörten das Geräusch von drei in regelmäßigen Abständen abgegebenen Schüssen. Als sie den Korridor erreichten, sahen sie drei bewegungslos daliegende Vorthanier.

„Wenn es so endet, wie es anfängt", rief Cliff, der als letzter den Raum verließ, vor sich Arlene, die hinter den anderen her rannte, „dann ziehen wir, wie immer, eine breite Spur."

An der Spitze lief Mario, so schnell er konnte. Erethreja, halb gelähmt vor Schrecken, rannte dicht hinter de Monti den nunmehr wieder leeren Korridor

entlang. Hasso folgte diesem ungleichen Paar, hinter ihm kamen Helga und Arlene, und der Commander sicherte nach hinten.

Cliff schrie: „Schneller! Es geht um die Erde, ihr

Lahmen!" „Ruhe!" brüllte Mario von vorn zurück,

schwenkte seinen Arm und feuerte auf einen Angehörigen der Wachtruppe, der schräg über ihm hinter einem halbdurch-sichtigen Geländer auftauchte.

Die Crew war schnell und blieb schlag-kräftig wie immer.

Mario und Erethreja erreichten das Ende des Korridors. Sie zog Mario nach rechts, die Crew rannte in einen Seitengang hinein. Niemand war zu sehen, aber Cliff, der sich immer wieder kurz umdrehte und nach hinten blickte, ahnte beunruhigt und nervös, daß der Computer diesen Aus-bruch beobachtete, aufschlüsselte, analysierte und sich, falls eine Maschine dies vermochte, halb krank lachte über diese strampelnden Ameisen.

Fünfzig Meter weit rannten sie, dann schloß sich eine Rampe an.

„Vorsicht!" rief die Stimme Marios nach hinten und erzeugte in dem Gang ein nachhallendes Echo.

Kurz darauf feuerten Mario und Arlene auf Wächter, die vor ihnen oder neben ihnen auftauchten.

Es schien grundsätzlich nach unten zu gehen. Cliff glaubte festgestellt zu haben, daß das Deck, in dem ihre Quartiere lagen, im oberen Drittel einer Kugel errichtet war. Also befand sich Unandat im Zentrum der Kugel, im Kern der Station. Sie rannten eine Spirale mit großem Durchmesser nach unten, von der einige Dutzend verschiedener Korridore wegführten.

Nach fünf oder sechs Windungen der Abwärtsspirale schrie Cliff nach vorn:

„Wo ist diese Schaltzentrale?" „Noch weiter in diese Richtung", schrie

Erethreja zurück. Sie schien aus ihrer

Lethargie erwacht zu sein, oder sie hatte sich entschlossen, aktiv mit der Crew zusammenzuarbeiten.

Die Spirale aus Glas, Kunststoff, Stahl und Pflanzen wurde enger, die Decks schienen niedriger zu werden. Noch immer rannten die Angehörigen der ORION-Mannschaft wie die Rasenden abwärts. Auf der Spirale stellten sich ihnen keine Wächter entgegen, aber nach einem hasti-gen Lauf bog Erethreja mit Mario in einen strahlend ausgeleuchteten, pflanzenlosen Tunnel ein.

Hier öffneten sich Türen, und Vorthanier stürzten heraus. Hasso. Mario und Helga eröffneten augenblicklich das Feuer und rannten im Zickzack weiter. Als Arlene und Cliff den Übergang zwischen Trep-penhaus und Korridor erreichten, lagen sechs Wächter in seltsam verkrümmten Stellungen dicht neben den offenen Stahlplatten.

„Dort vorn ist die Zentrale!" rief Ere-threja.

Das Ende des Korridors war durch eine Reihe röhrenförmiger Säulen versperrt. Das Mädchen mit der blauen Haut lief zielstrebig darauf zu und zerrte Mario mit sich. Die Crew hatte aufgeschlossen und bildete in dem Augenblick, als sie die Säu-lenreihe passierte, eine dichte Gruppe. Als Cliff seine Geschwindigkeit verringerte und sich um eine Säule herumschwang, sah er hinter sich drei Wachen herankom-men. Er ging hinter der Stahlfläche in Deckung, riß seinen Arm hoch und feuerte etwa sieben Schüsse in die Richtung der Verfolger. Noch während er schoß, hörte er ein schleifendes, summendes Geräusch.

Schreiend brachen die Wachen zu-sammen, keine vierzig Meter von der letzten Sperre entfernt.

Der Commander wirbelte wieder herum und sah, wie vor seiner Gruppe zwei massive Portale nach den Seiten aufglitten und einen Blick in einen hellen, funkeln-den, von Reflexen erfüllten Raum freiga-

ben. Er rannte hinter Helga und Arlene her

und hechtete förmlich in den Raum hinein. Hinter ihm glitten mit denselben Geräu-

schen die stählernen Flächen wieder zu und wurden geschlossen.

Hier herrschte Ruhe. Nur die keu-chenden Atemzüge der sechs Personen unterbrachen die Stille.

Sie trugen alle die Stirnreifen und ver-standen deshalb sofort, daß Unandat mit ihnen sprach. Das Elektronengehirn sagte:

„Es besteht kein Grund zur Freude. Keiner von euch hätte das Ende des obersten Korridors erreicht, wenn ich es verhindert hätte. Ihr seid in der größten Außenzentrale dieser Raumstation."

Gleichzeitig ertönte ein knatterndes und prasselndes Geräusch. Vor den Mikropho-nen, Linsen, Eingabepulten und Bild-schirmen erzeugten zwei Reihen senkrecht angeordneter Projektoren einen glasklaren Schutzschirm, der das letzte Zehntel des Raumes abteilte. Sie waren dort, wohin sie wollten.

Direkt in Unandats innerstem Reich. Mario de Monti sagte schweratmend: „Du hast also deine Verteidigungs-

einrichtungen desaktiviert, Unandat, größter Rechner in diesem Gebiet des Weltalls?"

„Richtig. Ich habe euch den Weg frei-gehalten, nachdem ich eure Vor-bereitungen beobachtet hatte."

Auch hier vor Unandat brauchten sie ihre Fragen, Antworten und Äußerungen nicht in computergerechter Form zu bringen. Die Anlage war mindestens ebenso hochorganisiert wie ein wichtiges externes Element von TECOM. Nur die Form der Sinneszellen dieser Rechenma-schine unterschied Unandat von TECOM -und natürlich die Grundprogrammierung. Der Commander musterte die Antennen und Linsen, die sich auf die einzelnen Personen in diesem Raum ausrichteten, dann sagte Cliff:

„Du wolltest uns also sehen. Du wolltest mit uns sprechen?"

Bemerkenswerterweise sprach der Computer mit einer ruhigen, baritonähnli-chen Männerstimme.

„So ist es. Nachdem ich die Antwort verarbeitet habe, die Mario de Monti seiner Freundin gab, mußte ich mir zusätzliche und wichtige Informationen verschaffen.

Außerdem sagte mir die Natur eurer Selbsthilfeaktion mehr über die Art der Bewohner eures Planeten als alle mögli-chen theoretischen Ermittlungen."

Verwirrt merkten sie, daß die Sprache und der gedankliche Eindruck synchron waren. Mario zog den Reifen von der Stirn und fragte:

„Du sprichst in unserer Sprache?" „Es kostete mich nur kurze Zeit und

wenig Mühe, sie zu analysieren und zu beherrschen. Eine Kleinigkeit, nicht mehr."

„Wir wissen es", gab Arlene zu. Sie registrierte, daß sie sich nicht fürchtete und keineswegs beklommen war. „Und wir wissen auch, daß du meinst, wir Menschen könnten nichts gegen die Macht Unandats ausrichten."

„Das entspricht durchaus den herrschen-den Bedingungen", sagte der Computer.

„Warum soll der Überfall, der zweite Überfall auf unseren Planeten gestartet werden? Wir haben es bisher ohne die Diktatur eines Computers recht gut gehabt, und . ..", sagte Hasso und unterbrach sich selbst, als er an den Rechner dachte, der bis vor kurzem die „wohlwollende" Diktatur ausgeübt hatte. Das waren Informationen, die Unandat nicht besaß - wie so manch andere.

„Aber die Lehre und deren Aus-wirkungen, die ich nach Terra oder Ssassara Hjuul bringen werde, wird eine segensreiche Entwicklung einleiten."

„Was für Vortha und die Vorthanier gut ist, muß nicht für uns gut sein", sagte der

Commander. Er hatte einen Einfall, eine flüchtige Idee, aber immer dann, wenn er sie zu fassen versuchte, entzog sie sich ihm. Er hängte den Stirnreifen über einen Knopf in der Wand und schwieg.

„Aber ich habe beschlossen, daß es auch für euch Terraner gut ist", war die über-zeugte Antwort des Rechners.

„Deine Schirmherrschaft wird einen Planeten vernichten!" sagte Hasso plötzlich.

„Ich verlange Informationen und Erklä-rungen!"

Hasso nickte und begann bedächtig zu sprechen.

„Ein Raumschiff, das die Samen der Siegerpflanze ausstreut, wird starten. Ein Planet ist da, der diese Samen aufnehmen wird. Die Pflanzen wuchern überall, ersticken die andere Vegetation, die sich seit Millionen und aber Millonen von Um-läufen durch die Wechselwirkung von Evolution und Mutation herausgebildet hat."

„Dies ist die definierte Zielsetzung der Siegerpflanze!" entgegnete die Computer-stimme ohne hörbare Bewegung.

Bisher hatte sie der Versuch, sich einen Weg vor die Linsen und Mikrophone des Computers zu bahnen, beschäftigt. Jetzt erinnerten sich die fünf Terraner wieder daran, daß sie sozusagen vor dem Kaiser-thron standen. Ihr augenblicklicher Herr-scher war dieser unerbittliche Groß-rechner. Programmierung, gespeicherte Informationsmassen und eine gewisse Denaturierung verhinderten, daß Unandat anders handelte. Ihre Aufgabe, ihn zu beeinflussen, war gleichbedeutend damit, die Erde zu retten.

Hasso führte seinen Gedanken-gangweiter.

„Die Siegerpflanze und ihre Ableger werden die bisherige Vegetation ausrotten. Das führt zu einer Umweltkatastrophe von bisher nie gekannter Größe. Die Bewohner des Planeten Erde und die Tiere werden

sterben. Der Planet verwandelt sich in kurze Zeit in eine sterile Wüstenei. Soll die Lehre Unandats über einer Wüste verbreitet werden, zwischen Dornbüschen und Sanddünen?"

Unandat brauchte einige Sekun-denbruchteile länger, um eine Antwort zu finden. Aber deutlich ließ er erkennen, daß er keineswegs gesonnen war, seine Auffassung zu ändern.

„Ich habe errechnet, daß kein einziger Planet in eine Wüste verwandelt wird. Es liegen Beispiele vor. Alle Welten, deren Entwicklung durch die segensreiche Wirkung meiner Lehre verändert wurde, existieren weiter als wahre Juwelen des Weltalls."

Hasso drehte den Kopf und warf Cliff einen verzweifelten Blick zu. Arlene stellte sich vor die Linsen und rief:

„Auch deine Superintelligenzen sind gescheitert! Sie werden ebenfalls schei-tern, die Siegerpflanzen!"

„Woher nimmst du dieses Wissen?" „Schon vor Zeiten sind Anschläge und

Verbrechen dieser und ähnlicher Art auf unseren Planeten durchgeführt worden. Alle wurden sie letzten Endes zurückge-schlagen."

„Dieses Mal wird es anders sein. Es ist weder ein Anschlag noch ein Verbrechen. Es ist die weise Lehre Unandats, die segensreich wie die Morgensonne über den Planeten kommt."

Der Commander unterbrach und sagte schroff:

„Bisher haben wir immer nur über diese Lehre und die riskante Art der Verbreitung gesprochen. Was eigentlich ist diese Lehre Unandats? Was bedeutet sie? Was sagt sie aus? Warum sind wir nachher besser als vorher?"

Nunmehr fast im Selbstgespräch, inter-pretierte der Komputer den geheimsten Inhalt seiner Speicher. Mario begann sich einen riesigen Elektromagneten zu wünschen, mit dem er über die Speicher-

elemente strich und die Inhalte löste. Das Problem dieser Maschine waren elektroni-sche Verdauungsschwierigkeiten; das aufgenommene Wissen war falsch verarbeitet worden.

„Unandat verabscheut Gewalt, aber er wendet sie behutsam an, um zu überzeu-gen. Unandat ist gegen Technik und Fortschritt um den Preis einer geschädig-ten Struktur der Lebewesen. Die Freiheit des einzelnen wird sich in Unandats Lehre der Freiheit des Ganzen unterordnen müssen. Merkwürdige Bräuche, die Unandat auf anderen Welten feststellte, werden abgeschafft. Die Bilder der Blauen Blume werden zu Gesetzmäßigkeiten erklärt. Jede Frage wird beantwortet.

Jedes Problem wird von mir durchdacht und beantwortet werden. Nichts geschieht ohne meine Anordnungen, aber es wird viel geschehen. Zusammen mit allen mei-nen Teilen, die sich in den Individuen versinnbildlichen, wird Unandat über den Welten herrschen und für jedes Indivi-duum sorgen."

Also eine Diktatur, dachte Cliff. Darüber hinaus eine solche, die Freiheit der Gedanken und Handlungen ausschloß, denn sie hatten hier in den relativ wenigen Tagen erlebt, wie jede Stunde des Lebens an Bord der Raumstation von Unandat reglementiert wurde. Für die Crew jeden-falls war die undeutliche, von keinerlei realer Ethik begründete Philosophie unannehmbar.

Dann, als Helga versuchte, ein neues Argument anzubringen, durchfuhr es den Commander wie ein elektrischer Schlag. Er wußte, wie er Unandat - vielleicht! - bremsen konnte.

„Wie lange wird es dauern, bis deine Lehre unseren Planeten bedeckt hat wie ein Leichentuch?" rief Helga.

„Leichentuch ist eine nicht wertneutrale Aussage. Es kann bis zu drei Umläufen dauern", sagte Unandat.

Cliff hob die Hand und unterbrach die

Überlegungen seiner Freunde. „Auf den Welten, die bisher der Lehre

Unandats unterworfen wurden, gab es keine Macht, die groß genug war, um gegen dich zu kämpfen?"

„Definiere ,Macht'!" „Ich meine eine Technik, die in der Lage

ist, sowohl Siegerpflanzen als auch parapsychisch wirkende Intelligenzen wirkungsvoll zu bekämpfen. Technik ist hier definiert als Ausdruck für jede wie auch immer geartete Kraft."

„Nein. Auf den Welten, die du meinst, gab es keine bemerkenswerten Widerstän-de."

„Hihi", machte Cliff, ohne zu lächeln. Erschrocken und verwirrt drehten sich die Köpfe der Crew herum. Sie sahen ihn ein wenig so an, als glaubten sie, er wäre übergeschnappt.

„Definiere dieses Geräusch", meinte der Computer.

„Ein Zeichen von grimmiger Belu-stigung", gab Cliff zurück.

„Aus welchem Grund? Diese Ein-stellung scheint unmotiviert zu sein!" beharrte Unandat.

„Keineswegs. Die Erde, unser Hei-matplanet, besitzt eine solche Macht oder Kraft. Du müßtest deren Möglichkeiten besser kennen als wir."

„Ich habe zu wenige Informationen." „Wir stehen bereits unter der Schirm-

herrschaft einer Macht, die ähnlich ist wie Unandat."

Mario knurrte: „Das sollte eigentlich mir eingefallen

sein!" „Richtig", erklärte Cliff laut. „Die Herr-

schaft Unandats ist überflüssig. Wir hätten diese Informationen bereits vor langer Zeit geben können, aber wir wurden ja in unserer Bewegungsfreiheit drastisch eingeschränkt."

Er konnte nur hoffen, daß sein Versuch glückte. Zweifellos war die Programmie-rung Unandats anders ausgelegt als die

seines „Rivalen" auf der Erde. Auf alle Fälle operierte der Commander jetzt mit dem ehemaligen Orcuna.

„Noch immer habe ich zu wenige Infor-mationen."

Cliff McLane holte tief Atem und be-gann:

„Vortha ist eine Raumstation, von dir, Unandat, kontrolliert. Unser Heimatplanet ist eine große Welt, deren Oberfläche wir bewohnen. Die Erde aber wird kontrolliert von TECOM, von dem Terranischen Com-puterzentrum. Es ist für uns das, was du für Vortha und die Vorthanier bist. Es beherrscht unser Leben bis hinein in die winzigsten Verästelungen. Ich bin ganz sicher, daß erstens TECOM dir Wider-stand entgegenbringen wird und daß zweitens TECOM und Unandat sich hervorragend verständigen können."

Diesmal schwieg Unandat ziemlich lange.

„Informationen ungenügend. Ist TECOM ein selbständig funktionierender Computer?" fragte Unandat schließlich.

Unandats Reaktion überraschte die Crew; er bezeichnete sich selbst indirekt als Rechengehirn.

„Ein riesiger Komputer, mit einer her-vorragenden Programmierung, der nicht nur alle Aktivitäten auf dem Planeten selbst, sondern auch in unserem Sonnensy-stem, unserer riesigen Raumflotte und auf etlichen Kolonialwelten kontrolliert, steuert und korrigiert, falls nötig."

„Verstanden. Es ist euer Schirmherr, der Verkünder der Lehre, der ihr gehorcht?" fragte die Maschine.

„Sag's ihm, McLane!" brummte Hasso, der offensichtlich Spaß an dieser Diskus-sion fand.

„Ich glaube an diese Lehre. Und es ist unwichtig, ob einige Milliarden Individuen außer mir daran glauben oder nicht: TECOM hat uns alle unter Kontrolle. Er sorgt selbst für die Qualität der Luft, die wir atmen."

Es war nicht einmal übertrieben, denn seit Jahrzehnten kontrollierte TECOM die Qualität von Luft, Wasser und allen nur denkbaren Emissionen der terranischen Fabrikationsstätten. Unandat schien davon beeindruckt zu sein, denn seine nächste Frage lautete:

„Ist es möglich, die gesamte Gashülle eines Planeten zu kontrollieren? Es ist möglich, eine Raumstation wie Vortha perfekt einzustellen."

„Es ist möglich. TECOM hat es möglich gemacht. TECOM wächst unaufhaltsam", sagte Cliff zufrieden. Unandat schien zu begreifen, daß der zentrale Computer, Terras eine wichtige und mächtige Maschine war.

„Es ist also ein funktionierender, plane-tenumspannender elektronischer Kom-plex?" wollte Unandat wissen.

„Und mehr als das. TECOM ist in der Lage, sekundenschnell mit Raumschiffen in allen Teilen des Universums zu spre-chen und ihnen zu erklären, wie sie zu fliegen und zu landen haben."

Mario brummte leise: „Und einfache Lieder kann TECOM

auch singen, aber nur am Nachmittag." Unandat erkundigte sich sofort: „TECOM ist musikalisch? Welcher

Instrumente bedient er sich?" Cliff entgegnete grinsend: „Er erfindet ständig neue. Sein ganzer

Kosmos ist voller Töne." Die etwas entspannte Stimmung, in der

sich die Crew befand, hatte nicht auf Erethreja übergegriffen. Das Mädchen saß schweigend da und ängstigte sich noch immer, obwohl Mario neben ihr stand und seine Hand auf ihrer Schulter liegen hatte. Erethreja hatte begriffen, daß diese Diskussion wichtig und entscheidend war, daß die fünf Terraner auf eine gewisse Weise gegen Unandat kämpften und, wie sie es empfand, einen kleinen Sieg davongetragen hatten. Unandat hatte verstanden, daß der nächste Planet auf der

Liste seiner Eroberungen von einer zu-mindest gleichgroßen Macht besetzt und beherrscht war.

Endlich reagierte Unandat. In die span-nungsgeladene Ruhe hinein ertönte seine disziplinierte Stimme:

„Ich habe keine Veranlassung, meinen ursprünglichen Plan zu revidieren. Aber ich habe alle Wahrscheinlichkeiten durchgerechnet. Die Operation der Aussaat, die Saat der Siegerpflanzen, braucht nicht durchgeführt zu werden."

McLane dachte scharf nach und versuchte, zu erkennen, worauf der Computer hinzielte.

„Du denkst, in persönlichen Kontakt mit TECOM zu treten?"

„Das ist meine Absicht. Ich werde von euch die Möglichkeiten erfahren."

„Keine Schwierigkeiten", sagte Hasso leise. „Einfacher Raumfunkverkehr auf einigen verschiedenen Frequenzen. Wir kennen sie auswendig."

„Ich werde mit TECOM sprechen. Unandat hat verschiedene Möglichkeiten, mit TECOM und ähnlichen Rechnern zu verkehren. In ganz kurzen Bruchteilen von winzigsten Zeiteinheiten werden gewaltige Ströme von Daten und Informationen hin und her übermittelt. TECOM wird mich verstehen und mir gehorchen."

Diese Bemerkung erreichte Cliff. Im Verlauf der letzten Stunden hatte er

den letzten Rest der Resignation abge-schüttelt, die ihn seit dem ersten Tag dieser merkwürdigen Gefangenschaft befallen hatte. Er hatte wieder das Gefühl, handeln und agieren zu können.

„TECOM wird dich verstehen, Un-andat", erklärte der Commander deutlich, „aber ob er dir gehorchen wird - nun, versuche ihn zu überzeugen, ob es geht."

„Das wird zweifellos geschehen", sagte Unandats synthetische Stimme.

Die Absicht war klar und leicht zu durchschauen. Unandat würde versuchen, TECOM zu beherrschen. Die Rechner

würden über irgendwelche Leitungssyste-me miteinander verkehren, schneller und intensiver, als es Menschen je konnten. Aber weder Cliff noch Mario waren hier und jetzt in der Lage, einigermaßen zu-verlässig abzuschätzen, wessen Kapazität größer war: TECOMS oder Unandats.

„In diesem Fall erübrigt sich der Start des Aussaatschiffs mit Samen und parapsychischen Helden aus dem Volk der Vorthanier."

Aufgeregt blinkten irgendwelche Kon-trollichter. Der Rechner forschte sicher in den verschiedenen Abteilungen der Raumstation nach. Dann sagte er:

„Das Schiff ist bereits gestartet und auf Kurs gegangen."

„Wie peinlich", bemerkte Hasso. „Für einen Rechner ist es nur eine quantitative Frage, es wieder zurückzurufen."

„Dies wird gerade versucht." „Mit welchem Erfolg?" fragte Helga

Legrelle unruhig. Das Verhängnis schien trotz ihres kleinen Sieges seinen Lauf zu nehmen.

„Im Moment sind es elektromagnetische Stürme, die eine zufriedenstellende Kommunikation zwischen mir und dem Aussaatschiff unmöglich machen", bekannte Unandat.

„Du wirst das Schiff nicht zurückrufen können?" erkundigte sich Helga.

„Nicht im Augenblick", gab Unandat zu. „Aber es gibt zahlreiche Möglichkeiten, die Lage zu entkrampfen."

„Nicht für uns!" „Ich brauche nur das Programm zu

ändern, das Vorthas galaktische Positionen während der vergangenen Jahrhunderttau-sende bestimmte. Es ist nicht schwierig, die Position schnell zu ändern, wenn auch ungebräuchlich."

„Willst du mit Vortha das Aussaatschiff verfolgen und einholen?" rief Erethreja laut und schrill. Unandat rechnete mehrere Sekunden lang schweigend und entgegnete endlich:

„Dazu kein Kommentar. Ihr könnt jetzt gehen. Ihr werdet die Waffen nicht mehr benötigen, denn ich habe Anweisungen erteilt, daß ihr jederzeit jeden Raum der Station betreten könnt. Wenn ich Informa-tionen von euch Terranern brauche, weiß ich euch unschwer zu finden."

„Die erste Information aber können wir dir noch hier geben, Unandat!" warf Hasso Sigbjörnson ein.

„Wie lautet sie?" „In unserem Sonnensystem ist eine

zahlenmäßig sehr große Flotte mit tödlicher Bewaffnung stationiert. Wenn Vortha dort plötzlich erscheint, wird sie dies als Bedrohung auffassen müssen und das Feuer eröffnen."

Hasso nickte Cliff zustimmend zu und schloß:

„Und zwar einen konzentrierten Be-schuß aus ausgesprochen tödlichen und gegen Raumschiffe höchst wirkungsvollen Geschützen, Unandat. Du solltest vorsich-tiger sein, schon allein deshalb, weil wir an Bord sind."

„Es ist sinnlos und daher Energie-verschwendung, mich umstimmen zu wollen", schloß der Komputer und öffnete im selben Augenblick die massiven Türen des Raumes. Nacheinander schalteten sich die Kontrolllichter aus. Die Linsen drehten sich in ihre Fassungen und die Mikropho-ne zogen sich in die Decke zurück. Die Crew stand auf, die Freunde sahen sich schweigend und ein wenig ratlos an.

„Und jetzt, Cliff?" fragte Hasso leise und legte, als sie hinausgingen, seinen Arm um die Schultern des Commanders.

„Wir warten!" sagte Cliff ebenso leise.

4. Jetzt, nach einigen Momenten der Unsi-

cherheit, hatten sie den Transmitterraum erreicht. Hier herrschte künstliche Schwerkraft. Leise sprach Shubashi in sein

Helmfunkgerät: „Wir sind jetzt, Ayck, im Transmit-

terraum. Hier gibt es nichts zu sehen als den berühmten Transmitter, ein relativ einfaches Schaltpult und viel Leere. Dies zur Orientierung."

„Braucht ihr noch immer keinen Trans-mitterfachmann?" kam die Frage aus den Helmlautsprechern.

Katsuro und Atan sahen sich durch die großen, voll transparenten Visiere der Helme an, der GSD-Cef schüttelte leicht den Kopf.

„Nein, noch nicht. Behaltet die ver-schiedenen Funkkanäle im Auge oder noch besser im Ohr."

„Wird ständig gemacht, Atan." Atan, Assimladja und Katsuro blieben

nebeneinander stehen und blickten die Farbenpracht der lodernden Energiesäulen an. Atan bemerkte die schmale Schottplat-te, die in den relativ winzigen Bezirk der Überlebenskammer führte und wußte, daß hier wie auch rund um die Fluchtwege die Maßstäbe für die Körpergröße der Vorthanier galten und nicht für Terraner.

Mit einigen Schritten ging Assimladja entschlossen auf das Schaltpult zu, fuhr mit den behandschuhten Fingern prüfend über die Instrumente und Schalter und sagte kurz:

„Der Transmitter ist auf Empfang einge-stellt. Theoretisch können jede Sekunde einige von meinen Leuten hier auftau-chen."

„Kannst du den Transmitter umpolen?" fragte Shubashi.

„Ja. Ohne Schwierigkeiten. Soll ich es euch erklären?"

Katsuro und Shubashi gingen zum Pult und starrten die ruhig stehenden Zeiger und die klaren Farbfelder an. Katsuro sagte nach einigen Sekunden mit deutlich unbehaglichem Unterton:

„Ehe hier noch weitere Aggressoren hervorströmen, sollten wir schnell diese Gefahr bannen. Assimladja, bitte polen Sie

den Transmitter um." Mit beiden Händen drehte sie zwei

wuchtige Schalter um jeweils hun-dertachtzig Grad. Die beiden Trans-mitterschenkel veränderten für einen Sekundenbruchteil ihre Färbung, aber der Lichtbogen funkelte und leuchtete nach der Umschaltung ebenso intensiv weiter wie zuvor.

„Jetzt könnten wir nach Vortha sprin-gen!" sagte das Mädchen.

„Klugerweise werden wir genau das unterlassen", gab der GSD-Chef zurück. „Ist es möglich, diesen Transmitter von Vortha aus wieder umzuschalten?"

„Ich weiß es nicht", erwiderte As-simladja.

Shubashi deutete auf das schmale Schott und schlug vor:

„Sehen wir uns den Überlebensbereich kurz an. Vielleicht entdecken wir etwas, das uns weiterhilft und die Gefahr, in der Erde und Sonnensystem schweben, etwas besser verstehen läßt."

Sie gingen auf den Transmitter zu, der auf der Plattform zwischen den wuchtigen Isolatoren lautlos für die Raumfahrer glühte und arbeitete. Nach drei oder vier Schritten gab es einen Blitz, der die zwei Männer und das Mädchen blendete. Als sie zwinkernd die Augen wieder öffneten und sich an die geänderte Helligkeit gewöhnt hatten, wußten sie, daß abermals eine fremde Macht vor ihren Augen zugeschlagen hatte.

Der Transmitter hatte sich, ohne daß einer von ihnen das Pult auch nur berührt hätte, selbstständig abgeschaltet.

„Verdammt!" sagte Katsuro. Er war, durch den Blitz erschrocken, bis an die Wand zurückgewichen.

„Ein neues Rätsel. Wer hat den Trans-mitter abgeschaltet - und warum?" rief Atan aus.

„Ich kann, denke ich, das Rätsel lösen", erklärte Assimladja. „Nach der Umpolung kann sich der Transmitter nur aus einem

einzigen Grund ausgeschaltet haben, nämlich deswegen, weil Vortha nicht mehr existiert."

„Das würde bedeuten ...", begann Atan und schwieg. Wenn Assimladjas Erklä-rung richtig war, und warum sollte die junge Frau ausgerechnet hier und jetzt lügen, dann würde die Vernichtung Vorthas auch den Tod seiner Freunde bedeuten. Aber er akzeptierte diesen Gedanken nicht.

„Nein!" flüsterte er. „Denke nach, Blau-häutige! Gibt es noch eine andere Mög-lichkeit? Eine Raumstation von dieser Größe kann doch nicht einfach vernichtet sein!"

„Doch!" schrie das Mädchen auf. „Doch, es kann noch eine andere Erklärung geben, Atan. Es kann auch sein, daß sich Vortha in einer anderen Position befindet, radikal von der ursprünglichen entfernt und weit außerhalb des Kurses. So radikal, daß Unandat nicht mehr in der Lage ist, die Transmitter zu korrigieren, die Abwei-chungen zu koordinieren und zu berech-nen. Das muß es sein, Atan! Deine Leute leben! Die Raumstation hat sich sprungar-tig von ihrem Kurs entfernt. Der Trans-mitter wurde abgeschaltet, damit keiner der Benutzer irgendwohin geschleudert wird und in den Dimensionen verschwin-det."

„Vielleicht hat Mario ihn irgendwie manipuliert!" meinte der Chefastrogator.

„Unandat gestattet nicht, daß er manipu-liert wird. Er programmiert sich selber", gab Assimladja zur Antwort. Sie ergriff die Hebel des Schottes und öffnete die schmale Tür. Automatisch flammte Licht dahinter auf. Sie sahen sich einer für terranische Verhältnisse einfachen und kleinen, aus dem Felsen gebrannten Luftschleuse gegenüber. Katsuro zog die HM-4 und winkte der jungen Frau.

„Untersuchen wir den Schlupfwinkel!" Wurde Vortha von unbekannten Feinden

angegriffen? fragte sich Atan, als er sich

zu Assimladja und Katsuro in den zylin-drischen Raum zwängte und auf den Druckausgleich wartete. Er schaltete die Außenmikros und Lautsprecher des Raumanzugs an und erkundigte sich vorsichtig:

„Hat Vortha Feinde?" „Keine, von denen ich weiß. Auch

andere, mit denen ich sprach, kennen keine Feinde. Es erscheint undenkbar, daß die Raumstation vernichtet wurde."

Assimladja würde ihr Volk, Atan und die Erde würden die ORION-Crew verloren haben, gerade zu einem Zeit-punkt, an dem sich Probleme, Fragen und Einsätze häuften. Die innere Schleusentür klappte langsam nach innen auf. Wieder klickte ein Schalter, die Decke erhellte sich.

„Wir hielten uns nur ganz kurz hier auf", erklärte Assimladja und stieß die Türen zu den einzelnen Räumen auf. Eine winzige Küche, in der zwei Behälter mit Ausrü-stungsgegenständen und Nahrungsmitteln vergessen worden waren.

Dann sahen sie kleine Aufenthaltsräume, wieder einen Stapel Ausrüstungsgegen-stände, einige Lagerstätten, das abgekap-selte Lebenserhaltungssystem.

„Verlassen wir diesen Stützpunkt? Er ist ohne Geheimnisse, jetzt, nachdem der Transmitter sich abgeschaltet hat!"

„Mit Vergnügen", antwortete Katsuro. „Ich fühle mich in diesem wildgeworde-nen Steinbrocken ohnehin nicht wohl."

Nacheinander stapften sie aus den schmalen Räumen hinaus und ver-schlossen sie so gut wie möglich. Jeder von ihnen ahnte, daß irgendeine neue, nur schwer vorstellbare Gefährdung auf sie zukam. Den ersten Angriff Vorthas oder Unandats hatten die terranischen Gewäch-se sozusagen selbst zurückgeschlagen, der nächste Eindringling würde ungleich mehr Macht und Kraft haben. Als sie im Transmitterraum standen, klickte es in den Helmlautsprechern.

„Don Brandi hier. Ich habe wirren Funkverkehr auf der Flottenwelle. Schnell ins Schiff, Freunde!"

„Wir kommen!" stieß Katsuro hervor und begann zu laufen. Atan packte Assimladja an einem der Gürtelgriffe und zog sie mit sich. Sie verließen den Bezirk der künstlichen Schwerkraft und schossen dann durch das Vakuum auf die ausgefah-rene, geöffnete Liftschleuse zu.

Atan schob die junge Frau auf die Öff-nung zu, Katsura fing sie auf und schloß die Schleuse.

„Wir haben Funkkontakt mit Han Tsu-Gol. Schneller, Shubashi!" rief Brandi aus dem Schiff.

„Wir sind schon unterwegs. Nicht ab-schalten."

Der Lift wurde nach oben gezogen, Shubashi hörte wildes Gemurmel und aufgeregte Kommandos aus der Steuer-kanzel, dann schob sich wie ein metallener Rüssel der Schleusenlift wieder herunter. Atan befand sich Sekunden später im Schiff, riß den Raumhelm herunter und sprang aus dem kleinen Lift in die Kanzel. Auf dem großen Bildschirm war Han Tsu-Gol zu erkennen.

„Katsuro! Ich erhalte über die Leitungen und Satelliten von T.R.A.V. seit zwanzig Minuten alarmierende Nachrichten. Ein zweites Raumschiff der Vorthanier ist im Sonnensystem."

Katsuro warf Assimladja einen langen Blick zu.

„Sicher kam das Schiff nicht über den Transmitter", sagte Shubashi. „Wir sollten starten, Shadogg, nicht wahr? Von hier innen werden wir in galaktische Großkrie-ge nur schwer eingreifen können. Wo ist das verdammte Schiff, Exorcast?"

„Im Augenblick noch hoch über der Ekliptik, etwa zwischen Mars und der Jupiterbahn."

Der Rote Planet bewegte sich im Au-genblick, vom Jupiter aus gesehen, jenseits der Sonne. Die Gefahr war also momentan

noch nicht akut. Ayck Shadogg konzentrierte sich auf

seine Steuerung, aber immer wieder blickte er zum Korrespondenzmonitor hinüber. Han Tsu-Gol erklärte, was geschehen war.

„Das Schiff rematerialisierte vor genau einundzwanzig Minuten hoch über der Ebene der Ekliptik. Natürlich wurde der Fremdkörper sofort angemessen. Ein Schiff unserer Raumpatrouille war zufällig ebenfalls im Anflug aus dieser Zone zur Erde und wurde sofort umdirigiert. Der Kreuzer versuchte, die Invasoren anzufun-ken und erhielt keinerlei Antwort.

Aber dadurch wissen wir, daß das Schiff um einiges größer ist als jenes der sieben ,Kinder der Blauen Blume', in dem Assimladja aus dem Mond Korwal hervorstartete."

Langsam hob sich der GSD-Kreuzer durch den engen Startschacht. Jetzt arbeitete Shadogg, ohne sich um Han Tsu-Gol zu kümmern.

„Was haben Sie, die Flotte betreffend, veranlaßt?" erkundigte sich Atan.

„Sämtliche Schiffe, die wir im Son-nensystem haben, sind auf direktem Kurs auf das fremde Schiff. Die meisten sind noch im Anflug, aber bei den rund dreißig Schiffen, die sich in unmittelbarer Nähe des großen Vortha-Schiffes befinden, trat ein Effekt auf, den niemand zu erklären vermag."

Also standen der abgeschaltete Trans-mitter im dreizehnten Mond und die Existenz eines neuen Invasionsschiffs in direktem Zusammenhang. Shubashi fragte seinen Vorgesetzten :

„Welcher Effekt trat auf ?" „Überraschend drehten die Schiffe bei,

bremsten ihre Fahrtgeschwindigkeit ab und verhalten sich seit rund sieben Minuten völlig passiv. Sie antworten nicht auf unsere Funkanrufe."

„Das kann ich erklären, Han Tsu-Gol", rief Assimladja. „Das Raumschiff von

Vortha hat mit großer Sicherheit eine parapsychisch hochbegabte Mannschaft. Sie verhindert, daß Ihre Befehle ausgeführt werden!"

Atan Shubashi übersetzte auch diese Bemerkung. Auf der Zentralen Bildplatte sah er inzwischen wieder die Sterne und die riesige gestreifte Kugel des Jupiters. Klickend bewegten sich Schalter, aus einem zweiten Lautsprechersatz kam das Murmeln von Hunderten verschiedener Sprechfunkkontakte der aus allen Richtun-gen heranrasenden Schiffe.

„Warum eine solche Besatzung?" Han Tsu-Gol trug keinen der „Überset-

zungsreifen", und wieder half ihm Shubashi.

„Sie, die Mannschaft, soll den Erfolg sicherstellen, den meine Gruppe und ich nicht hatten. Ich schlage vor, daß ich telepathischen Kontakt mit meinen Freunden aufnehme und sie vor den Gefahren des Planeten warne!"

Han Tsu-Gol hörte sich Shubashis Übersetzung an, nickte und sagte dann überraschend:

„Kommandant Shadogg! Bitte, gehen Sie auf Kurs dieses fremden Schiffes. Die Koordinaten sind .. .", er las einige Buchstaben reihen und Zahlenkombinatio-nen vor, die der Funker durch Tastendruck speicherte. „Äußerste Kraft voraus. High speed, Ayck. Und nun zu Ihnen, As-simladja.

Versuchen Sie, mit Ihren Kollegen Kontakt aufzunehmen. Aber begeben Sie sich nicht freiwillig in zu große Gefahr. Ich kann mir denken, daß Sie auf einen geschlossenen parapsychischen Block aufprallen. Sagen Sie den Vorthaniern, daß sie es sind, die sich in Gefahr begeben -aber das wissen Sie ja besser als ich. Viel Glück.

Shadogg, bringen Sie den Kreuzer in die Nähe des Eindringlings. Und wenn Sie einen Rat brauchen, holen Sie ihn sich von Shubashi. Klar?"

„Klar verstanden, Chef!" „Dann viel Glück Ihnen allen." Han Tsu-Gol schaltete ab, aber Brandi

wählte einen anderen Kanal und schaltete sich in die Informationskanäle von T.R.A.V. ein. Der Raumkreuzer raste jetzt mit Höchstgeschwindigkeit aus dem Gebiet des Jupiters und seinen Monden hinaus. Schon auf halbem Weg zwischen Jupiter und dem Asteroidengürtel schwang sich das Schiff schräg aufwärts, verließ die Ebene der Planetenekliptik, näherte sich dem Schiff der Vorthanier.

Ayck Shadogg setzte sich in seinen Kommandantensessel, befestigte die Sicherheitsgurte und fluchte, weil der Raumanzug ihn behinderte.

„Wann soll ich es versuchen?" fragte Assimladja.

Wortlos deutete Shubashi auf einen der Sessel. Assimladja setzte sich und zog langsam ihre Handschuhe aus.

„Was brauchen Sie für diesen Versuch, Assimladja?"

„Nichts. Nur Ruhe und genügend Kon-zentration."

„Beides kann geliefert werden", ver-sprach Shubashi leise. „Freunde, nehmt euch zusammen."

Augenblicklich trat Ruhe ein. Keiner der Crew sprach. Katsuro setzte sich neben den Funker, Shubashi blieb vor seinem Pult, und Brandi drosselte den Lärm, der aus den Lautsprechern kam. Assimladja lehnte sich langsam zurück und schloß die Augen.

Ohne Zeitverlust, unsichtbar, unhörbar, schnell wie Gedanken und gezielt wie Laserstrahlen griffen die geheimnisvollen Impulse durch den Weltraum und endeten in dem Schiff der Vorthanier.

Die Sekunden vergingen in absoluter Ereignislosigkeit.

Atan drehte sich von seinen noch immer arbeitenden Geräten weg und blickte in das blauhäutige Gesicht Assimladjas. Die junge Frau sah plötzlich anders aus; sie

schien auf unbegreifliche Weise gealtert zu sein.

Nach etwa zwölf Sekunden bäumte sich der Körper im Raumanzug auf. Die Arme flogen zur Seite, der Sessel klappte nach hinten, und die Beine wurden hochgeris-sen. Assimladja stieß einen gurgelnden, langgezogenen Seufzer aus und krümmte sich wieder zusammen. Dann riß sie die Augen auf, sprang aus dem Sessel und begann zu taumeln. Brandi machte einen drei Meter weiten Satz und fing sie auf, ehe ihr Körper auf dem Boden der Steuerkanzel aufschlagen konnte.

„Die anderen haben zurückgeschlagen! Die Invasoren müssen sie als Verräter identifiziert haben!" keuchte Katsuro auf und half dem Funker, den schlaffen Körper auf den ganz ausgeklappten Sessel zu heben.

Katsuro untersuchte die junge Frau flüchtig. Sie atmete schwer und stoßweise. Zusammen mit dem Funker öffnete er den Raumanzug und versuchte, Assimladja wieder zu sich zu bringen.

„Behalten Sie den Kurs bei, Shadogg?" fragte Shubashi.

„Ja. Wir müßten bald im fraglichen Gebiet sein."

Shubashi regulierte seine Fern-beobachtungsgeräte ein. Weit vor dem Schiff entdeckte er schließlich die Signale der verschiedenen Schiffe. Ein überra-schender, wenn auch nicht ungewohnter Anblick: mit höchster Geschwindigkeit rasten von allen Richtungen Flottenschiffe auf den Punkt in der Mitte des Bildes zu. Ein Kreis bewegungsloser Signale umgab das zentrale Objekt. Plötzlich verengten sich Atans Augen.

„Moment!" murmelte er vor sich hin und veränderte einige Einstellungen.

Hinter dem Punkt, der stechend leuchte-te und die exakte Position des Invasoren-schiffs kennzeichnete, erschien eine Linie. Sie war keineswegs gerade oder verlief in flachen Kurven, wie es hätte sein müssen.

Sie beschrieb eine taumelnde Spirale. So sah die Kennlinie eines Objekts aus, das mit beschädigter Steuerung oder ohne Steuerung durch den Weltraum trieb.

Ein schnarrendes Summersignal unter-brach seine Überlegungen. Brandi sprang zu seinem Pult und begann wild zu schalten. Bildschirme wurden hell. Ein Funkspruch schrie durch die Kanzel, als Brandi einen Regler zog.

„ . .. verblüffende Vorkommnisse. Schlagartig kamen wir wieder zu uns. Der Nebel um unsere Gedanken ist wie weggeblasen. Moment, eben erhalte ich die Meßwerte - und hier ist ein Bild ..."

Ein anderer Funker oder Kommandant rief aufgeregt:

„Da muß etwas passiert sein! Der Frem-de schlägt eine total verrückte Bahn ein. Ich bekomme gerade die Computerberech-nung. Freunde!

Wenn das Schiff in dieser Art wei-terrotiert, ist es in einer halben Stunde in der Korona unserer guten, alten Sonne."

„Mir dünkt", sagte Atan Shubashi laut, „die Dinge nehmen eine sehr unerwartete Wendung. Die Invasoren proben den Absturz."

„Es wird am besten sein, mit T.R.A.V. zu sprechen!" rief Brandi.

„Gerade wollte ich's vorschlagen!" schrie Atan zurück. „Schnell! Sonst beginnt noch einer unserer kampf-unerprobten Kommandanten durch-zudrehen. Ich brauche sofort den Chef!"

Don Brandi bewies, daß er ein her-vorragender Funker war. Nach zwanzig Sekunden flammte der Monitor auf, und dreidimensional schien der Oberkörper Han Tsu-Gols über der Zentralen Bildplat-te zu schweben. Er sah kurz auf die noch immer besinnungslose Vorthanierin, um die sich, inzwischen mit medizinischen Mitteln, noch immer Tunaka Katsuro kümmerte.

„Ich nehme an, daß Shubashi uns einiges zu sagen hat", rief der Chef der Terrani-

schen Raumabwehrverbände. „Ich habe diese Unterhaltung in die Systeme aller Schiffe schalten lassen. Bitte, Ruhe! Keinerlei übereilte und sinnlose Reaktio-nen."

Brandi drehte sich herum und machte, auf die Lautsprecher und seine Anzeigen deutend, Shubashi ein deutliches Zeichen. Keiner spricht mehr, sollte es heißen.

„Danke", sagte Shubashi. „Chef! Ich spielte eben mit dem Gedanken, einen overkill-unterstützten Rammanflug zu starten. Nach den Messungen der Schiffe, die inzwischen vorliegen sollten, wird das Raumschiff der Vorthanier in die Sonne stürzen. Irgendwelche Impulse haben nicht nur unser blauhäutiges Mädchen hier, sondern auch den Invasor getroffen und lahmgelegt."

„So ungefähr sehe ich im Moment unsere Probleme", bestätigte Han Tsu-Gol grimmig. „Der hungrige Tiger ist in einen giftigen Dorn getreten."

„Vielleicht findet der Tiger auch jeman-den, der ihm ein Quentchen Penecillin verkauft", schränkte Atan ein. „Aber geben Sie auf keinen Fall den Befehl, das Schiff mit Overkill anzugreifen."

„Warum nicht?" „Weil die Beeinflussung unserer Schiffe

aufgehört hat. Aber die Fremden scheinen noch irgendwie gelähmt zu sein."

Han Tsu-Gol schüttelte den Kopf und sagte:

„Sie sehen das Problem zu optimistisch. Wir wissen, welche Aktionen gegen Terra geplant werden. Selbst ein Schiff, das im Moment ohne Steuerung zu sein scheint, ist eine Gefahr. Es kann sich um einen Trick handeln, Atan."

„Das ist nicht auszuschließen. Aber selbst wenn Cliff nicht an Bord dieses Kreuzers ist, werde ich Ihren Befehl nicht sonderlich schätzen können."

Katsuro wandte sich um und stellte sich vor die Linsen.

„Warten Sie, Tsu-Gol", sagte er deut-

lich. „Ich habe soeben den Befehl gege-ben, das feindliche Schiff nach einem von Shadogg durchgeführten Präzisionsanflug zu entern. Wir sollten einen Kompetenz-streit vermeiden."

Shadogg, der diesen Befehl niemals gehört noch jemals erwartet hatte, spielte fabelhaft mit. Er verzog keine Miene seines grimmigen Gesichts.

„Ich bin für die Sicherheit der Erde und des Sonnensystems verantwortlich", sagte der Asiate. Seine Stimme war leiser, aber der Tonfall war rauher geworden.

„Ich nicht weniger. Wenn unsere Mei-nung richtig ist, daß sowohl die Fremden als auch Assimladja hier von einer anderen, unbekannten Kraft beeinflußt worden sind, dann droht uns von den Invasoren so wenig Gefahr wie von den Kindern der Blauen Blume. Lassen Sie uns den Fall, ich meine das Schiff, in guter Ruhe untersuchen."

„Nein!“ Inzwischen war das GSD-Schiff mit

dem ungewöhnlichen Namen durch den Ring der wartenden Flottenkreuzer hindurchgeflogen. Shadogg bremste seine Geschwindigkeit ab. Atan projizierte ein Bild des eingedrungenen Schiffes mit sämtlichen möglichen Meßlinien auf die zentrale Scheibe vor dem Kommandanten. Noch immer fiel das fremde Schiff auf die Sonne zu.

Shubashi drehte sich wieder herum und hob den Arm, um Han Tsu-Gol auf sich aufmerksam zu machen.

„Chef", sagte er entschlossen, „das können Sie nicht machen. Ich habe mein halbes Leben damit verbracht, Ihren verehrten Vorgänger Wamsler und seine kriegerischen Einfälle zu bremsen. Muß ich dasselbe Verfahren auch bei Ihnen anwenden? Warum sollen wir diese bewußtlosen Vorthanier dahinmetzeln? Denken Sie an Ihr eigenes Geschichts-bild!"

Bewußt übertrieb er, ebenso bewußt

versuchte er, ein wenig Sarkasmus in die Auseinandersetzung hereinzubringen, um die Situation zu entspannen.

„Mit Verlaub", erwiderte Han Tsu-Gol scharf, „mir ist die Sicherheit der Erde, des Systems und der Kolonien mehr wert als mein möglicherweise negatives Ge-schichtsbild."

Mit Zufriedenheit beobachtete Shubashi die Gesten und Bewegungen Shadoggs. Da die Besatzung der SIGNORINA C. mit einiger Sicherheit sämtliche Versuche anderer Stellen, mit Han Tsu-Gol zu spre-chen, erfolgreich blockierte, konnte keiner der anderen Kommandanten die Meldung durchgeben, daß dieses Schiff sich bis auf Wurfleinenabstand dem fremden Raum-schiff genähert hatte und praktisch dicht daneben schwebte, mit laufenden Ma-schinen, aber im Mindestabstand.

„Die Fremden sind hilflos, Tsu-Gol!" rief Katsuro.

„Wir waren auch hilflos, als die Blu-menkinder landeten", gab der Minister zurück.

„Richtig. Aber wir haben hier etwas weniger als hundert Schiffe. Und sie sind allein. Dazu kommt, daß wir das Medium Weltraum besser beherrschen als die Fremden. Sie sind unter unserer Kontrol-le."

„Das werden sie nicht mehr sein", rief Han Tsu-Gol wütend, „wenn sie wieder aufwachen und ihre teuflische Lähmung ausstrahlen."

Dies war ein sicherlich richtiges Argu-ment. Atan blickte Katsuro an, der GSD-Chef starrte betreten zurück. Natürlich entging dieser Blickwechsel keineswegs Han Tsu-Gol. Mißtrauisch erkundigte er sich:

„Was haben Sie vor, meine Herren?" Shubashi deutete mit dem Zeigefinger

auf Tunaka Katsuro. „Wir haben nichts mehr vor. Wir haben

erreicht, was wir wollten. Wir treiben direkt neben dem Raumschiff der Vortha-

nier. In dem Augenblick, da Ihre Schiffe mit Overkill zu feuern beginnen, Herr Kollege, bringen Sie den Chef des Galaktischen Sicherheitsdiensts um. Schachmatt, für diesen Augenblick."

Betretenes Schweigen breitete sich aus. Diesmal starrten sich Katsuro und Han Tsu-Gol an. Beide Standpunkte waren richtig, beide Überlegungen konnten tödliche oder zumindest nicht mehr gutzumachende Fehler enthalten. Aber bisher war Assimladja noch nicht aus ihrer Bewußtlosigkeit erwacht. Wahrscheinlich lagen auch die Invasoren noch handlungs-unfähig in ihrem Raumschiff. Irgendwie, so dachte Atan Shubashi mit gewisser Erleichterung, schien auch der große Unandat nicht das zu sein, was er, Atan, befürchtet hatte.

Han Tsu-Gol atmete tief ein und aus und sagte leise:

„Oft ist es klüger, einen Schritt zurück-zuweichen. Dann hat man wieder festen Boden unter den Sandalen, während der Gegner in den Morast tappt."

„Morast hin, fester Boden her - wir sollten alle eine Denkpause einlegen. Im Augenblick scheint die Lage stabil zu sein", erklärte Katsuro.

Nach wie vor schwebte die SI-GNORINA C. neben dem Raumschiff der Vorthanier. Das Mädchen von Vortha war, wie mit größter Sicherheit auch ihre Artgenossen hinter der gerundeten Wandung des anderen Raumschiffs, noch immer bewußtlos. Aber Katsuro hatte die Gewißheit ausgesprochen, daß sie in einer Art Tiefschlaf lag und keineswegs gefährdet war. Ein Ring von rund dreißig Flottenschiffen schwebte fast bewegungs-los rund um den Fremden, der nach wie vor in einer taumelnden Spirale auf die Sonne zudriftete. Noch fünfzehn Minuten bis zur kritischen Entfernung.

Und dann wurde allen Beteiligten aber-mals die Möglichkeit des Handelns aus der Hand gerissen.

5. Blitzende Störungen fegten den Ober-

körper und das mißbilligende Gesicht Han Tsu-Gols vom Bildschirm. Meßgeräte schlugen heftig aus. Der Satellit EAS registrierte zwischen der Sonne und der Venus-Planetenbahn einen gewaltigen Körper. Hyperrauminstrumente schalteten sich selbstständig ein und aus. Etwa hundert Funker und Astrogatoren in ebenso vielen Raumschiffen wurden durch Warnsummer aufgescheucht und re-gistrierten dasselbe: Es war in vielerlei Hinsicht ein Schock, als eine riesige Stahlkugel im Sonnensystem materialisier-te und mit einem Energieaufwand, der abermals sämtliche Meßstationen heftigst reagieren ließ, abbremste.

Auch auf Atans Monitoren tauchte ein mächtiges, alles auslöschendes Signal auf. Der Astrogator unterdrückte fluchend seine aufkommende Panik und stellte Messungen an, und da die Entfernung gering genug war, da ebenfalls das Sonnenlicht diesen Körper anstrahlte wie einen kleinen Planeten zwischen Merkur und Venus, wuchs auf einem Bildschirm der Umriß dieses erstaunlich massereichen Körpers.

„Das kann nur... Katsuro! Nach Assim-ladjas Erzählungen kann es sich hierbei nur um Vortha selbst handeln!" schrie Shubashi in heller Aufregung. „Hier, seht selbst!"

Es war, als ob man in einen kleinen Teich einen Meteoriten hineinwarf. Wellen aller nur denkbaren Energien breiteten sich von der Eintauchstelle aus und erschütterten das Sonnensystem.

„Sie haben recht, Atan. Das ist Unandat selbst. Es muß Vortha sein, der Kunstpla-net der Vorthanier!" flüsterte Katsuro.

Mit einem einzigen Schlag waren sämt-liche vorausgegangenen Wahrscheinlich-

keiten umgeworfen. Nichts galt mehr. Mit dem Auftauchen

von Vortha im Sonnensystem hatte sich alles verändert.

Zuerst reagierten T.R.A.V. und dessen Chef Han Tsu-Gol. An sämtliche Raum-schiffe und alle offiziellen Stellen wurde ein gleichlautender Funkspruch mit höchster Dringlichkeit ausgestrahlt.

„Mit dieser Aufforderung werden alle die Invasoren betreffenden Befehle widerrufen. T.R.A.V. gibt folgenden Befehl: Alle bewaffneten Schiffe ziehen sich in Richtung Erde zurück und bilden dort eine Verteidigungsfront, die in der Lage sein soll, den Angriff der riesigen Raumstation Vortha abzuwenden. Höchste Alarmstufe für sämtliche Planeten-Verteidigungseinrichtungen. Alarm Rot für sämtliche Schiffe der Raumflotte, der Strategischen Flotte, der Schiffe des Galaktischen Sicherheitsdienstes und der Raumpatrouille.

Obwohl der Gegner gewaltig groß ist, wissen wir nichts über seine Bewaffnung. Das Sonnensystem ist in Gefahr. Wir erwarten von allen Raumfahrern den höchsten Einsatz. Wir wiederholen..."

„Das gilt auch für uns", sagte Katsuro und übersah, daß die dünnen Augenlider Assimladjas zu zittern begannen.

„Verstanden. Ich bereite Rücksturz zur Erde vor!" sagte Ayck Shadogg.

„Das habe ich nicht erwartet!" stöhnte Shubashi mit rauher Stimme. „Aber, sollten Cliff und die anderen dort in Vortha sein ...", er ließ den Satz unbeendet und versuchte, auf seinen Ortungsgeräten irgend etwas zu erkennen, das ihnen wei-terhalf.

„Es herrscht fast Funkstille", flüsterte Brandi, als sich die SIGNORI-NA C. aus der Nähe des fremden Schiffes löste und dem Schwarm der Raumschiffe folgte, die sich auf einen Punkt zwischen dem zweiten und dritten Planeten stürzten, zwi-schen Venus und Venusbahn und Erde.

„Begreiflich, daß keiner zu funken wagt. Mann! Das ist ein riesiges Ding. Wenn Vortha so gut bewaffnet wie groß ist, dann werden wir wohl bald von einem pflan-zenzüchtenden Elektronendiktator beherrscht Atan", sagte Don Brandi entsetzt.

Atan brummte zurück: „Mit größter Sicherheit befinden sich

meine Freunde dort in diesem Koloss. Wenn das zutrifft, können sich unsere Ängste reduzieren. Cliff fällt immer auch noch dann etwas ein, wenn andere schon längst aufgegeben haben."

Jetzt richtete sich Assimladja auf und schüttelte verwirrt den Kopf. Atan sah dies nicht; er beobachtete voller Verblüffung, daß aus dem steuerlosen Sturz des fremden Raumschiffs Richtung Sonne wieder so etwas wie ein geordneter Flug wurde, dessen Richtung eindeutig auf den eingedrungenen Giganten deutete.

Die Katastrophe schien unausweichlich näherzukommen.

Einige Minuten vergingen. Die vier Männer im Schiff waren mit ihren technischen Problemen beschäftigt. Katsuro saß neben Brandi, hatte die schweren Kopfhörer über den Ohren und versuchte, irgendwelche erklärenden Funksprüche aufzufangen.

Dann, scheinbar unmotiviert, riß Katsu-ro einen Arm hoch und rief:

„Schon wieder eine neue Teufelei. Was sind das für Signale?"

Neben ihm hantierte Brandi, fand her-aus, welche Frequenz Katsuro gerade eingestellt hatte, dann schaltete er diesen Kanal auf die Lautsprecheranlage um. Infernalischer Lärm erfüllte sekundenlang die Steuerkanzel, dann drosselte Brandi die Lautstärke.

„Wir haben über diese Frequenz mit TECOM korrespondiert, auf dem Hinflug nach Korwal!" schrie er.

„Das ist TECOM?" „Ja. Sonst funkt nichts und niemand

solche Zeichen! Hört genau zu! Das sind rasend abgegebene mathematische Formelgruppen. TECOM jagt einen gewaltigen Datenstrom los - wohin eigentlich?"

„Vortha spricht mit TECOM", erklärte Assimladja und ging schwankend auf das Funkgerät zu.

Sie alle lauschten gebannt und verblüfft. Obwohl keiner der Mannschaft auch nur

ein einziges Signal richtig deuten konnte - den anderen Schiffen und sämtlichen Funkstellen erging es ebenso -, drängte sich ihnen ein Eindruck auf, der wahrhaft gigantische Ausmaße hatte. Das Zirpen und Summen, Rattern und Pfeifen, das Trillern rasend schnell abgegebener Impulse, alles das, was gerade noch hörbar war, erreichte eine Massierung, die einmalig war. Dazu kam, das wußten sie auch, ein ebenso gigantischer Informati-onsaustausch im Bereich des nicht mehr Hörbaren. Dieser erste Strom wurde von TECOM nur wenige Sekunden lang ausgestrahlt, dann verdoppelte sich der akustische Eindruck.

„TECOM spricht auch mit Vortha. Sie dialogisieren!" warf Shubashi ein. „Kön-nen Sie das bestätigen, Don?"

Brandi zuckte hilflos die Schultern. Er deutete auf die Bildschirme, die

zufällig eingeschaltet oder nur zur Reserve aktiviert waren. Jeder von ihnen funktio-nierte. Aber es gab keine Bilder. Nur Störungen, aber von einer Art, die den Spezialisten unbekannt war. Da sie alle einen bestimmten Gedanken hatten, inter-pretierten sie die Natur der Störungen. Diese Interpretation war richtig, erfuhren sie viel später.

Es sah aus, als würden über alle Schirme verschiedene Filme oder Magnetbänder abgespielt, dies aber in einer so hohen Geschwindigkeit, daß man weder einzelne Bilder noch ganze Sequenzen erkennen konnte. Es war nur ein Gewimmel von Farbenspielen und grafischen Rastern, die

sich ununterbrochen änderten. Eine dröhnende Stimme kam aus den

Lautsprechern und übertönte alle anderen Geräusche.

„Hier ist TECOM. Ich unterhalte mich auf meine Art mit

einem anderen Riesenrechner. Es ist eine Art Duell. Ein Gefecht, bei dem nicht nur Übermittlungsgeschwindigkeit, sondern ebenso Speicherinhalte, Zugriffszeiten, ethische Kodifizierungen, entwickeltes maschinelles Ego und Erfahrung ent-scheiden.

Mein Partner oder Gegner ist Vortha. Wir kämpfen um die Macht. Meine

Auskünfte sind deswegen so knapp, weil ich nur ein Millionstel Prozent meiner Kapazität auf diese Mitteilung konzentrie-ren kann. Den Rest werfe ich in diese Auseinandersetzung.

Eine Dokumentation wird später ange-fertigt. Ich werde versuchen, Vortha zu einer untergeordneten Schaltstation zu machen.

Der Kampf wird schwer sein, weil der Gegner riesige Kapazitäten mobilisiert. Ich melde mich wieder, sobald der Kampf entschieden ist."

Mit einem knisternden Nachhall endete TECOM.

Die Geräusche und Bilder bewiesen, daß der Kampf weiterging. Atan stützte die Ellbogen auf sein Pult, schaltete die meisten Geräte ab und legte dann den Kopf auf seine Arme. Die Giganten kämpften, und dadurch war die Flotte zur reinen Bedeutungslosigkeit degradiert worden. Wenigstens für die Zeitspanne des Duells, das mit kaum mehr vorstellbaren Kräften ausgetragen wurde. Wie zwei riesige Flutwellen warfen Vortha und TECOM ihre Informationen gegeneinan-der. Welche Welle würde die andere brechen?

Vortha versuchte, TECOM unter seinen Willen zu zwingen, so wie es mit allen Vorthaniern und mehreren Planeten

geschehen war. Und die größte Rechenanlage des be-

kannten Universums nahm den Kampf auf. Menschen oder menschliche Einrichtun-gen waren hilflos und verstanden nicht, wie dieser Kampf geführt wurde und wie er ausgehen mußte. Allerdings hatten Menschen TECOM konstruiert und ihm die Möglichkeiten verschafft, zu Orcuna zu werden.

Orcuna hatte sich aufgelöst. Nur noch TECOM war übrig. War es

so?

* Das Raumschiff der Vorthanier flog mit

mittlerer Geschwindigkeit auf Vortha zu, entfernte sich, entweder von Unandat gesteuert oder von der erwachten und handlungsfähigen eigenen Mannschaft, aus der Position über der Ekliptik. Vortha selbst driftete in die Richtung des Roten Planeten.

Katsuro deutete auf das Funkpult, die Lautsprecher und die Monitoren. Nichts hatte sich in den letzten zehn Minuten verändert. Noch immer rasten Datenfluten hin und her, noch immer kämpfte TECOM gegen Unandat.

„Die Auseinandersetzung geht weiter. Welche Chancen hat TECOM wirklich?"

Shubashi zuckte die Schultern und wandte sich dann an Assimladja:

„Wer von beiden bleibt Sieger, deiner Meinung nach, Blumenmädchen?"

„Unandat ist mächtig", flüsterte sie ahnungsvoll. Shubashi kümmerte sich wieder um die Ortungsschirme. Er ließ sich das automatisch produzierte Ortungs-bild von Earth Outer Space Station III geben und erkannte folgende Situation innerhalb der Marsbahn:

Sämtliche Flottenschiffe bildeten einen Schild zwischen Erde und Vortha. Vortha veränderte seinen Standort sehr langsam in Richtung auf den Mars. Das vorthanische

Raumschiff hatte die riesige Kugel schon fast eingeholt und würde vermutlich in wenigen Minuten eingeschleust werden. Plötzlich vergrößerte sich der Abstand zwischen Schiff und Raumstation wieder; das blinkende Signal sagte aus, daß Vortha seine Geschwindigkeit wieder heraufge-setzt hatte.

TECOMS Stimme klirrte aus den über-steuerten Lautsprechern.

„Vortha betrachtet sich ab jetzt als eine untergeordnete Nebenstelle TECOMS. Die Station wird in einer Mars-Umlaufbahn zu unserer Disposition stehen."

Schlagartig erloschen die wilden Farb-muster auf den Bildschirmen. Das unirdi-sche Geräusch aus den Lautsprechern drosselte seine Intensität bis hinunter zu einem elektronischen Flüstern.

„Das bedeutet Sieg für TECOM", flü-sterte Katsuro mit einer Stimme, die seine Spannung und Erschöpfung deutlich kennzeichnete.

„Ich habe es nicht für möglich gehalten", erklärte Assimladja. „Unandat ist sehr mächtig - gewesen. Ich glaube, die Invasion ist fehlgeschlagen."

„Das glaube ich nunmehr auch", meinte Shubashi. „Aber die Situation ist noch lange nicht geklärt. Ich glaube nicht, daß sich Unandat dazu bringen läßt, sich als bessere Nebenstelle von TECOM zu verhalten."

Brandi, der Funker, suchte eine Verbin-dung mit T.R.A.V. und sagte über die Schulter:

„Es ist damit zu rechnen, daß unser Riesenrechner gewisse Fallen und Sperren eingebaut hat. Wenn erst einmal ein bestimmtes Maß an Abhängigkeit geschaf-fen ist, dann bleibt Unandat machtlos. Es läuft letztlich auf eine Verringerung der Speicherqualitäten oder auf ein Un-brauchbarmachen der Informationen hinaus."

„Warten wir ab", sagte Ayck Shadogg. „Sie sind der Chef hier an Bord, Minister

Katsuro. Wohin sollen wir fliegen?" „Es liegt nahe, zu Vortha zu fliegen.

Wenn Cliff McLane und seine Leute an Bord sind, ist dies das beste Ziel."

„Verstanden." „Ich bin einverstanden", sagte Shubashi

voller Zufriedenheit. Wieder meldete sich TECOM. Das

Terrestrische Computerzentrum wirkte wie ein erschöpfter Kämpfer, der ab und zu ein paar aufklärende Worte stammeln konnte, ehe ihn wieder die Schwäche überfiel.

„Eine wichtige Durchsage an alle Raum-fahrer", dröhnten die Lautsprecher. „Inzwischen wurde ein Totalcheck durchgeführt. Unandat ist und bleibt eine TECOM-Nebenstelle. Ich verständige mich gerade über den späteren Verwen-dungszweck dieser Anlage mittlerer Leistungsfähigkeit und Kapazität. Aber vor der Materialisation Vorthas wurden die Insassen des Raumschiffs von einer bisher noch unbekannten Flut von Strahlen außer Gefecht gesetzt. Ich bin gerade dabei, meine Informationsquellen abzuru-fen, und werde diese Feststellungen so schnell wie möglich präzisieren."

Atan sagte verblüfft: „Können Sie damit etwas anfangen,

Minister? Wer kann solche Strahlen ausgeschickt haben? Assimladja! Kannst du etwas darüber sagen?"

Sie schüttelte langsam den Kopf. „Ich erreichte die Insassen unseres

Schiffes. Gerade in dem Augenblick, als ich mit den Gedanken der Freunde Verbindung aufnehmen wollte, schlug das Fremde zu. Ich wurde augenblicklich bewußtlos. Es müssen psionische Strah-lungen gewesen sein, die uns Telepathen alle gleichzeitig erfaßten."

Ayck stöhnte auf: „Eine dritte Gefahr! Schon wieder etwas

Neues! Wer soll denn im Sonnensystem in der Lage sein, dimensional übergeordnete Strahlungen auszusenden, sie an zwei verschiedene Orte zu projizieren und das

auch noch, ohne daß uns das geringste be-kannt war? Telepathen von solcher Kraft kommen und gehen doch nicht so einfach wie Kometen oder Meteore!"

„Ich bin Ihrer Meinung, Commander", sagte Katsuro leise. „Meinen Sie, daß ausgerechnet ich eine zufriedenstellende Antwort geben kann?"

„Schwerlich." Die Ereignisse hatten sich in derart

schneller Folge abgelöst, daß zumindest die Mannschaft der SIGNORINA C. nicht mehr in der Lage war, den einzelnen Schrecken voll zu erleben. Noch ehe sie einen vernünftigen Gedanken entwickeln konnten, brach das nächste Unheil herein. Jetzt, als sich zeigte, daß Vortha tat-sächlich einen stabilen Orbit um den Mars einzuschlagen begann und das Raumschiff einschleuste, war es vollkommen unklar und unbegreiflich, wer diese geheimnis-volle neue Kraft sein konnte.

Das GSD-Schiff entfernte sich mehr und mehr aus der Nähe des Heimatplaneten und raste auf den Mars zu. Deutlich zeichneten sich Planet, Vortha und das Invasorenschiff ab, das jetzt gerade mit dem großen Körper verschmolz und in ei-nem Schleusenhangar verschwand.

„Ich habe eine Verbindung mit Han Tsu-Gol", sagte Brandi kurze Zeit später und nahm seine Schaltungen vor.

„Ich sehe. Han Tsu-Gol, Sie haben miterlebt, daß uns einige Aktionen aus der Hand genommen worden sind", begann Tunaka Katsuro voller Ernst. „Ich bin genauso überfordert wie wir alle. Haben Sie Informationen von TECOM, Kollege?"

Han Tsu-Gol schüttelte bedächtig seinen massigen Schädel und eröffnete:

„Nein. Ich weiß im Moment nur eine Spur mehr als die Schiffe außerhalb der Erde. Jedenfalls ist der Energieverbrauch von TECOM um das Vierzigfache angestiegen. Inzwischen sank die Bela-stung wieder auf das Zwölffache des Durchschnitts."

„Was wissen Sie von jenem tele-pathischen Giganten?" rief Atan.

„Absolut nichts!" „Wer zum Teufel kann darüber etwas

sagen?" schrie Brandi. „Das ist ja geradezu gespenstisch!"

„Auf keinen Fall war es Unandat. Das ist sicher. Unandat besitzt keinerlei telepathi-sche oder parapsychische Begabungen", erklärte Assimladja.

„Entfernung elftausend Kilometer!" sagte der Kommandant und bremste die Geschwindigkeit des Schiffes stark ab. Direkt vor ihnen schwebte jetzt Vortha, schwach glänzend im Licht des Zentralge-stirns. Die Crew des Schiffes war ebenso ratlos wie Han Tsu-Gol. Plötzlich hob der Chef von T.R.A.V. die Hand und blickte zur Seite. Er schien soeben eine Meldung zu lesen oder auf einem Bildschirm zu verfolgen.

„Achtung", sagte er leise. „TECOM meldet sich wieder."

„Vielleicht kennt der Rechner die Lö-sung", mutmaßte Don Brandi hoffnungs-voll. Han Tsu-Gol nickte mehrmals, dann wandte er sich wieder, seinen fünf schweigenden und gespannten Gesprächs-partnern zu.

„Soeben hat das Nachrichtenzentrum eine vorrangige Durchsage von TECOM an die gesamte Bevölkerung im Sonnensy-stem angekündigt. Inzwischen bedient sich TECOM wieder seiner menschlichen Helfer."

„Apart. Und was sagen die unter-bezahlten Helfershelfer?"

„Nichts. Sie haben nur alle Leitungen geschaltet. Achtung - TECOM beginnt mit seiner Durchsage."

Mit einem Schalterdruck aktivierte Brandi einen Lautsprechersatz und einen Monitor. Schweigend und konzentriert saßen die Besatzungsmitglieder da und warteten. Der Großcomputer hatte es dramatisch genug gemacht.

TECOMS synthetische Stimme, nur eine

von vielen Mitteilungsarten, war erstaun-lich gefaßt und sachlich. Offensichtlich zur Beruhigung der Milliarden Zuhörer hatte er die sanfte, rauchige Altstimme einer Frau ausgewählt.

„Ich richte diese Sendung an die gesam-te Menschheit. Hier spricht TECOM, der nunmehr größte Rechner des bekannten Universums."

„Bescheiden wie stets. Er wird zu-sehends menschlicher, unser Ta-schenrechner."

TECOM erklärte weiter. „Ich habe Vortha und Unandat voll unter

meiner Kontrolle. Vortha deswegen, weil ich Unandat besiegt habe. Folgende Erklärung ist für alle, die mit diesen Namen und Bezeichnungen nichts anfangen können."

Offensichtlich hatte sich TECOM sämt-liche Daten von Unandat besorgt und berichtete jetzt in kurzen Zügen, was Vortha war, wer die Vorthanier waren, was die Invasoren wollten, und wie es TECOM gelungen war, diese Invasion zu stoppen. Dann, nach einer kurzen Pause, kam der interessanteste Teil.

„Eine dimensional übergeordnete, psio-nische Strahlenflut hat die Invasoren des Raumschiffs gelähmt und betäubt. Nach den Messungen, deren Ergebnisse mir zugänglich sind, kamen diese gezielten Impulse vom Planeten Jupiter. Sie waren perfekt angewendet, so daß sie genau im Sinn der Menschheit wirkten.

Von den Vorthaniern droht der Mensch-heit keinerlei Gefahr mehr. Sie werden tun, was Unandat will, und Unandat wird tun, was ich will."

Atan schrie auf: „Wendy! Das muß Gwendolyn gewesen

sein! Unsere funkende Amöbe!" Ungerührt von diesem Zwischenruf fuhr

TECOM fort: „Die Gefahren für die Erde und das

System sind nicht mehr relevant. Die Strahlenflut aus der Gashülle des Jupiters

ist inzwischen erloschen; sie dauerte gerade lange genug, um unverhofft den erwünschten Effekt zu erbringen.

Die Forschung wird sich in der nächsten Zeit zweifellos mit Jupiter und den Besonderheiten seiner Atmosphäre zu beschäftigen haben. Ich werde mich mit neuen Informationen wieder melden, wenn es sinnvoll erscheint. Danke für die Auf-merksamkeit."

Der Bildschirm wurde dunkel, die Laut-sprecher knackten. Assimladja sagte atemlos:

„Dann war es also Wendy, diese Proto-plasmawolke, die mich ausgeschaltet hat! Ich merkte es nicht, wer diese Blockierung ausstrahlte."

Don Brandi und Shubashi blickten einander zweifelnd an.

„Das unterstellt diesem Großen Roten Fleck aus Polymeren und Kohlenwasser-stoffen Fähigkeiten, die wir nicht vermutet haben. Fähigkeiten, die offensichtlich nicht in diesem Wesen hätten schlummern dürfen. Wir haben uns verdammt geirrt, Kollege!"

„Ausgerechnet Gwendolyn. Das bedeu-tet, daß dieses Ding oder Wesen auch genau die Gefahren begriffen hat, die dem System drohten."

„Einwandfrei. Der Große Rote Fleck scheint genau zu sehen und zu spüren, was hier im System vorgeht."

„Aber warum ist dies früher nicht ge-schehen?" fragte Katsuro aufgeregt.

„Vielleicht ist Gwendy durch irgendwel-che Aktivitäten der Erben des Kosmischen Infernos aufgeweckt worden?" gab Shubashi zu bedenken. Er hielt dies zumindest für eine plausible Erklärung.

„Das könnte möglich sein", sagte Katsu-ro. „Im übrigen schließe ich mich dem Schlußsatz TECOMs an. Kümmern wir uns später darum." Dann sagte er zu Han Tsu-Gol, der die ganze Zeit über die Auseinandersetzung schweigend verfolgt hatte:

„Wir werden jetzt versuchen, an Vortha anzulegen. Atan Shubashi hat einiges Interesse daran, seine Kameraden wieder-zusehen. Würden Sie bitte TECOM verständigen, damit er Unandat verstän-digt, damit dieser seine Schleusenmann-schaften verständigt und so fort?"

Han Tsu-Gol nickte grinsend und ant-wortete:

„Selbstverständlich. Ich habe eine offene Kommandoleitung zu TECOM. Der Großcomputer hört mit. Bringen Sie die Crew zurück zur Erde? Cliff hat einen Wohnturm dort, und ich möchte mich mit unseren Helfern und Helden auch ein we-nig unterhalten. Tun Sie das für mich? Ich erwarte Sie alle dann in Basis Einsnull-vier."

„Wir werden alles tun, was möglich, wünschenswert und notwendig ist, Kollege Han Tsu-Gol!" versprach Katsuro und nickte dem Kommandanten zu.

„Kurs auf Vortha!" Wieder nahm das Diskusschiff Fahrt auf

und näherte sich dem riesigen, kugelför-migen Gebilde. Eine Schleuse öffnete sich; der Lichtschein wies dem Kommandanten den Weg. Er setzte den Diskus ohne die geringsten Schwierigkeiten in dem Hangar ab und wartete, bis die Schleusentüren geschlossen und der Raum wieder mit Atemluft gefüllt waren. Dann stiegen sie nacheinander aus. Mit Assimladja an der Spitze gingen sie auf ein großes Schott zu, das sich öffnete.

Warum waren Cliff und die anderen nicht da, um sie abzuholen? fragte sich Shubashi und wußte, daß er während der gesamten Auseinandersetzung der letzten Stunden nicht eine einzige Information über seine Freunde erhalten hatte.

6. Wie sich schnell zeigte, wurden die

Terraner tatsächlich abgeholt.

Vor dem Schott stand eine Vorthanierin mit einem Stirnreifen; die Besatzung hatte aus gutem Grund diese Kontaktgeräte mitgenommen und streifte sie jetzt wieder über. Atan hörte in seinen Gedanken einen Satz, der ihn beruhigte:

„Ich soll euch zu Cliff McLane und den anderen bringen. Ich bin Erethreja. Mario ist auch auf dem Weg hierher. In dieser Raumstation herrschte in den letzten Stunden das Chaos."

„Verständlich!" erwiderte Atan und folgte dem Mädchen. Die Mannschaft sah sich immer wieder um, als sie die kühle, ruhige Umgebung aus Stahl, Glas, Kunststoff und wuchernden Pflanzen erkannte. Nach einem Zickzackweg von einigen hundert Schritten summte eine Art Gleiter heran, den sie bestiegen. Kurze Zeit später bogen sie in einen breiten Korridor ein und fuhren beinahe Mario de Monti nieder, der ihnen entgegenrannte.

„Mario!" brüllte Atan und schwang sich in einem weiten Satz aus dem Gleiter. Sie schüttelten sich die Hände, schlugen sich auf die Schultern und den Rücken, dann schob Mario den Chefastrogator auf den Gleiter zurück und stellte sich auf einen Vorsprung.

„Und der GSD-Chef ist auch anwesend. Um es vorgwegzunehmen .. . Die Idee des Wettstreits der Elektronen stammte von unserem Commander. Es scheint geklappt zu haben, nicht wahr?"

Mario begrüßte die anderen Terraner mit einem Bruchteil des Aufwandes, aber man spürte deutlich, daß er heilfroh war, sich wieder im terranischen Einflußgebiet zu befinden.

Dann hielt der Gleiter, und die Crew lief schreiend, lachend und offensichtlich ein wenig betrunken auf den Korridor hinaus. Sie zerrten Katsuro und Atan förmlich in die Räume hinein. Etwa zehn Minuten lang dauerte die geräuschvolle Be-grüßungszeremonie.

„Wir haben alle Blut und Wasser ge-

schwitzt, die ganzen Wochen lang!" murmelte Atan und roch mißtrauisch an dem grünlichen, prickelnden Getränk, das ihm Arlene in einem großen Becher in die Finger gedrückt hatte.

„Wir nicht weniger. Aber es scheint sich alles in Wohlgefallen aufgelöst zu haben", meinte Helga. „Seid ihr mit der ORION da?"

„Nein", unterbrach Katsuro. „Mit einem meiner Schiffe."

Binnen weniger Sekunden bildete sich in der Kabine Cliffs und auf dem Korridor eine laute, große Gruppe von Terranern und zwei Vorthanierinnen. Ununterbro-chen schaffte Mario zusammen mit Erethreja gewaltige Mengen dieses champagnerähnlichen grünen Getränks herbei. Nur Ayck Shadogg blieb fest und lehnte nach einem einzigen tiefen Schluck weitere Becher ab.

„Schließlich muß wenigstens einer in diesem verdammten Schiff nüchtern sein. Oder wollen wir im Carpentariagolf notwassern?"

Irgendwann, mitten im Lärm, in einem Arm Helga, im anderen Arlene, richtete sich Atan auf und schrie:

„Achtung! Ruhe! Aufmerksamkeit! Anteilnahme!"

Überrascht wandten sich ihm alle Köpfe zu. Ein Halbkreis von männlichen Vortha-niern, die vor der Kabine standen, er-schrak. Höfliche Zurückhaltung, das war präzise die Umschreibung für die Reaktion der Leute von Vortha auf die terranische Mini-Invasion in der Raumstation.

„Was schreist du hier herum? Denke daran, daß du hier Gast bist!" wies ihn Cliff lachend zurecht.

„Nicht mehr als ihr auch", gab Shubashi zurück. „Wamslers Nachfolger will, daß wir ihn auf unserem Heimatgestirn treffen. Vermutlich grämt er sich und will sich, indem er uns einzeln anfaßt, davon überzeugen, daß es die glanzvolle und überaus lebendige ORION-Crew noch

gibt. Holt eure Zahnbürsten, Freunde, und dann fliegen wir zurück zur Erde. Um dieses Ding hier soll sich TECOM kümmern."

„Warum eigentlich nicht", fragte sich Arlene laut. „Wir könnten uns bei der Gelegenheit von den innenarchitek-tonischen Fortschritten in unserem Wohnturm vergewissern, Geliebter!"

„Meinetwegen. Wir haben nur unsere Raumanzüge hier, sonst gehört alles Unandat... der neuen Nebenstelle TE-COMs. Ich könnte mich kranklachen."

„Danach", verkündete Tunaka Katsuro leicht säuerlich, „war uns die vergangenen Tage wirklich nicht zumute, Commander."

Cliff grinste ihn breit an und erwiderte: „Uns auch nicht. Mario. Deine Pläne?" Mario de Monti zog Erethreja an sich

und sagte so leise wie möglich: „Ich gehe mit euch. Aber ich werde

nicht lange bleiben, denn es wird sich als sinnvoll herausstellen, daß ich die Vortha-nier auf die nunmehr neue, gänzlich veränderte Situation vorbereite. Ich glaube, ich bin inzwischen genügend integriert."

„Ja, Liebster, das bist du. Du bist schon ein halber Vorthanier!" sagte Erethreja, die sich der allgemeinen gelösten Heiterkeit nicht hatte entziehen können.

„Der erste Terraner, der aus Gründen der Verliebtheit freiwillig schrumpft!" sagte McLane. „Los, Freunde! Benutzen wir den GSD-Fährendienst Vortha und Erde."

„Sie vergessen sich, Commander!" drohte Katsuro schwankend. Er blickte in seinen leeren Becher und brummte, ohne daß jemand Notiz von seiner Äußerung nahm: „Reiswein ist es keiner gewesen."

Vorthanier brachten den Raumfahrern die Raumanzüge, die zwischenzeitlich wohl auf Weisung Unandats perfekt gereinigt und neu ausgestattet worden waren. Mit einem schweigenden Vortha-nier an der Steuerung summte der Gleiter durch Korridore und über Rampen. Die

Crew registrierte zweierlei: Die Vorthanier, denen sie begegneten,

waren zweifellos geschockt und verwirrt. Ihre einzige Stütze, die Maximen des Lebens verkündete und jede Frage beantwortete, war unter dem Einfluß eines anderen Geräts zur Bedeutungslosigkeit abgesunken. Es hatte lange gedauert, bis sich die Vorthanier unter Unandat einge-ordnet hatten, und es würde eine lange und schmerzvolle Zeit sein, bis sie wieder einigermaßen selbstständig werden würden.

Und: Es gab keine Durchsagen mehr, keine Lebensweisheiten und Sinnsprüche, die über das Lautsprechersystem der großen Raumstation abgestrahlt wurden und die Vorthanier dirigierten, gängelten und unselbständig hielten.

Die Unandat-Ära schien ein für allemal vorbei zu sein.

Die SIGNORINA C. brachte sie schnell hinunter in den Carpentaria-Golf und zur Basis 104. Dort erwartete sie Han Tsu-Gol in philosophischer Ruhe, aber zu einem erstklassigen Abendessen.

Noch bevor sich die Terraner zu-sammensetzten, brachte ein Ordon-nanzkommando Assimladja in ihre Unterkunft. Ein Arzt war bei ihr und hatte den Auftrag, nicht eher zu gehen, bis sich die junge Frau vollständig erholt habe.

*

Die Nachspeisen, der Kaffee und der

Cognac kamen. Han Tsu-Gol hob sein Glas und sagte:

„Sie haben jetzt alles gehört. Wir haben auf diesen Bildschirmen dokumentiert, was zu zeigen war. Sie sind, Cliff und Arlene, Hasso und Helga und Mario, sozusagen wieder auf dem letzten Stand der Dinge. Was halten Sie von all dem?"

Gelockerte Stimmung herrschte hier. Es gab kein Protokoll, und die champagnerse-lige Laune, der Wiedersehensfreude

entsprungen, hatte sich beruhigt. Die Crew aber war gelockert und gleichzeitig gespannt.

„Wir werden mit Vortha und dessen Insassen eine Menge Arbeit und nur geringe Schwierigkeiten haben", erläuterte Cliff. „Das weiß jeder von uns. Ich persönlich - aber das ist meine eigene Meinung - wäre dafür, dieses Volk zwischen den Sternen an eine Stelle zu bringen, die sehr weit von Terra entfernt ist. Ich habe kein sehr gutes Gefühl, wenn ich an eine unmittelbare Nachbarschaft denke. Sicher kann ich mich irren, und wenn ich an Mario hier denke, dann möchte ich auch keine Tragödien herauf-beschwören. Aber es hängt glücklicher-weise nicht von mir ab, was geschehen wird.

Lassen wir die Sache auf uns zu-kommen. Es ist heute noch zu früh, darüber ernsthaft zu diskutieren."

Han Tsu-Gol senkte den Kopf und erkundigte sich:

„Aber als Gefahr für uns und die Neun-hundert-Parsek-Raumkugel sehen Sie, Angehörige der ORION-Crew, Vortha nicht mehr an?"

„Nein", erwiderte Arlene. „Wenn TECOM tatsächlich Unandat im Griff hat und auch behält, dann brauchen wir alle nichts mehr zu befürchten."

„Und was hältst du von Wendy?" rief Atan leise vom anderen Ende des runden Tisches herüber.

„Das ist etwas, das mich fast noch mehr verblüfft als alles andere. Die Vorgänge der beiden fehlgeschlagenen Invasionen waren in gewisser Weise logisch und zusammenhängend. Aber daß ein Phäno-men, das wir seit Schiaparelli kennen, sich nun plötzlich als parapsychischer Riese herausstellt, das ist wahrhaftig verblüf-fend."

Arlene beugte sich vor und sagte scharf: „Gwendolyn oder Wendy hat der

Menschheit ganz bewußt geholfen. Das

meine ich, davon bin ich fest überzeugt." „Ich nicht weniger", erklärte Katsuro.

„Trotzdem sind alle von uns mehr als überrascht. Es ist so, als würde ein Teekessel sich plötzlich in eine Orgel verwandeln und entsprechende Melodien spielen."

„Ein ungeschickter Vergleich", sagte Helga Legrelie. „Laßt mich nur in die neue ORION, und ich werde ein Verfahren finden, um mit dem Großen Roten Fleckchen lange und tiefsinnige Gespräche zu führen."

„Ihnen glaube ich es sogar", bekannte Katsuro, und dies war als un-eingeschränktes Kompliment gedacht. Helga schenkte ihm ein bezauberndes Lächeln.

„Scherz zur Seite", sagte Cliff. „Wenn die hier vorgebrachten Beobachtungen richtig waren, und niemand zweifelt daran, dann muß Gwendolyn-Wendy erstens exakt definiert haben, daß die Menschheit dieses System bewohnt. Zweitens muß sie oder es starke Sympathien für uns empfin-den, und drittens ist der Große Rote Fleck intelligent. Wie stark nun die parapsychi-schen Möglichkeiten sind, sie haben sich bestimmt unbewußt entwickelt. Aber die durchgeführte Aktion, ebenfalls perfekt im zeitlichen Ablauf - im timing, wie wir Raumfahrer sagen -, hat bewiesen, daß wir mit Wendy rechnen müssen und können. Zweifellos eine größere Bereicherung des Sonnensystems als der dreizehnte Jupiter-mond Korwal."

Er hob sein Glas und trank den vorletz-ten Schluck des guten Cognacs aus der gleichnamigen Grafschaft Frankreichs.

„Sympathie für die Menschen?" mut-maßte Helga Legrelie.

„Vielleicht wollte Wendy seine oder ihre neuen Partner nicht verlieren, nämlich Atan und das GSD-Schiff ?" warf Arlene Mayogah in die Debatte.

Han beugte sich vor und erklärte: „Nachdem wir uns alle ausgeschlafen

und ausgeruht haben, wird es wichtig sein, nicht nur ein gutes Verhältnis zu den Vorthaniern, sondern auch ebenfalls ein passendes Verfahren für Gwendolyn zu finden."

„In beiden Fällen können Sie auf uns" zählen, Meister der Vergleiche, von denen Sie heute abend noch keinen gebracht haben", bestätigte Cliff. „Ausgestandener Schrecken lähmt die Spruchweisheiten?"

Han Tsu-Gol lächelte und erklärte: „Nur ein Törichter spricht, wenn er nichts zu sagen hat. Der Affe schnattert, aber der zornige Elefant schweigt."

„Trefflich", sagte Mario laut. „Vielleicht ist ein solcher Dickhäuter unter uns, der uns erklärt, aus welchen Gründen TECOM sich so schnell, so wirkungsvoll und so zielbewußt auf den Angriff Unandats eingestellt hat?"

Betretenes Schweigen. Nach einer Weile meinte Cliff:

„Ich schnattere: Sicher griff Unandat an. Er war von uns zu diesem Angriff ge-bracht und genügend gereizt worden. Aber die Frage bleibt, wie es TECOM schaffte, zur richtigen Zeit mit der richtigen Kapazität zuzuschlagen. Es müssen während dieser Minuten sämtliche anderen Leistungen des Rechners ausgefallen sein."

„Ja. So war es. Überall sprangen Hilfs-aggregate und kleine, autonome Systeme an. Der Alarm und das Abschalten aus diesen Steuerfunktionen rund um die Raumkugel dauerten eine Sekunde. Dann schlug TECOM mit nur einem Bruchteil weniger als mit allen seinen hundert Prozent Leistungsvermögen zu. Wir merkten es zu dieser Zeit nicht, aber inzwischen liegt mir eine Analyse vor."

Sie alle waren noch viel zu aufgeregt, um ernsthafte Versuche zur Klärung zu betreiben. Außerdem fehlten ganze Stapel oder Bänder von Detailinformationen, die erst in Tagen vorliegen würden. Es war sinnlos, mehr tun zu wollen, als einfach zu

diskutieren und Meinungen, Thesen und Phantasien auszutauschen. Genau dies taten sie, und Arlene stand schweigend auf und schenkte die Cognacgläser wieder voll.

„TECOM hat ohne Auftrag gehandelt. Nicht eine einzige Taste wurde gedrückt, kein Programmierer hatte ab dem Augen-blick, da Vortha erschien, noch etwas zu sagen oder zu tun. Aus welchem Grund mag TECOM die Initiative ergriffen haben?" fragte Han Tsu-Gol in die Ruhe hinein.

„Ich habe nicht die geringste Ahnung, wie schon betont", antwortete Katsuro, der sich angesprochen fühlte.

„Und aus welchem Grund handelte TECOM abermals völlig unbeeinflußt, als der Computer uns alle in einer Spezialaus-strahlung informierte?" erkundigte sich Atan.

„Auch darauf gibt es keine Antwort. Noch nicht. Ich habe übrigens dreimal auf verschiedenen Wegen versucht, TECOM diese Frage zu stellen. Alles, was das Zentrum antwortete, war: ,Auskunft infolge voll ausgeschöpfter Rechnerkapa-zität erst später möglich.' Das ist auch nicht sonderlich aufschlußreich!"

Han Tsu-Gol breitete die Arme aus und bekannte dadurch, was sie alle schon wußten. Ihnen ging es nicht anders.

„Eine Eigenmächtigkeit, die ganz sicher niemals in der Grundprogrammierung vorgesehen war!" warf der GSD-Chef ein.

„Abermals richtig. Ich habe keine Erklä-rung."

Cliff schob seinen Sessel langsam zu-rück, zwinkerte Arlene zu und sagte halblaut:

„Freunde, ich werfe nur noch eine Frage in die Diskussion, dann ziehen wir uns in unseren Wohnturm über der Brandung zurück.

Könnte es nicht sein, daß im riesigen Komplex von TECOM etwas noch vorhanden war oder etwas, das ausge-

brannt oder erloschen sein müßte, sich wieder regeneriert haben könnte? Die Menscheit hat noch keine Erfahrungen, wie sich Elektronengehirne im Lauf einer bestimmten Zeit verändern.

Denkt an Unandat, der auch einmal nichts anderes als das Steuerzentrum einer Raumstation war. Und was wurde daraus? Ein Herrscher, ein elektronischer Autokrat. Wir sollten nicht vergessen, diese Ent-wicklung zu prüfen. Bisher hatten wir Glück; Glück ist eine sehr zerbrechliche Sache - so wie meine Ruhe, die ich jetzt beginne. Kommst du, Arlene?"

Sie lachte und stand auf, um sich von Han Tsu-Gol zu verabschieden.

„Wohin du gehst, gehe auch ich. Al-lerdings weiß ich, wohin du gehst."

Sie verließen die Runde, die sich alsbald aufzulösen begann. Sie alle waren müde, aber einige der geäußerten Gedanken gingen ihnen nicht aus dem Kopf. Zumin-dest Katsuro und Han hatten gräßliche Träume.

*

Es war weit nach Mitternacht. Im Kamin

loderte ein Feuer. Unterhalb des Wohn-turms rauschte donnernd in ihren ewigen Intervallen die Brandung des Golfes. Ein Teil des Hauses war fertig eingerichtet, und all jene Utensilien, die ein bequemes Leben ausmachten, befanden sich in den Fächern und Schränken. Cliff stand am offenen Fenster und hielt einen Pokal voll Champagner in der Hand.

„Für den Augenblick ist die Har-monische Kosmische Ordnung wenigstens in unserer Einflußsphäre wiederhergestellt. Ich muß gestehen, daß ich mich auf diesen Augenblick hier und jetzt wochenlang ge-freut habe."

Sie waren langsam hierhergefahren, hatten die Uferlandschaft mit großen Augen angesehen, als wären sie das erstemal auf Terra. Die Enge der Raumsta-

tion hatte sie alle mehr bedrückt, als sie gemeint hatten. Hier gab es wieder Weite, Ruhe und Ausblicke. Und all die Geräu-sche, die sie so lange entbehrt hatten.

„Hoffentlich haben wir einige Zeit, ehe die fürchterliche ORION-Crew wieder startet", erklärte Arlene und schmiegte sich in Cliffs Arme. Sie nahm seinen Pokal und trank daraus. Das Knistern des Feuers mischte sich in die Klänge der Musik, die von überall her zu kommen schien.

„Das hoffe ich ebenso wie du. Schwim-men, segeln und einfach in der Sonne liegen. Und in Ruhe über alles nachden-ken. Über Rithaa, die Kosmische Ordnung, über Varunja und Rudraja, versuchen, die Geheimnisse des V'acora aufzuschlüsseln, dich küssen und Champagnerflaschen öffnen - lauter lustvolle Tätigkeiten."

„Hmm", machte Arlene. Sie war immer dann, wenn sie angeblich viel Zeit für sich hatten, außerordentlich skeptisch.

Engumschlungen gingen sie auf eine der Terrassen hinaus. Über ihnen wölbte sich der Nachthimmel mit den bekannten, faszinierenden Sternen. Die Kämme der Brandungswellen waren weiß, Mondlicht brach sich auf dem unruhigen Wasser. Der Sekt wurde langsam warm.

„Dieses Abenteuer scheint zu Ende zu

sein", murmelte Cliff und streichelte Arlenes Samthaut.

„Du sagst es so zurückhaltend, als wärest du nicht davon überzeugt!"

Cliff küßte sie und murmelte an ihrem Ohr.

„Wie?" „Ich halte alles für möglich. Grundsätz-

lich. Wir alle haben schon zuviel erlebt, als daß wir uns in naiver Beruhigung wiegen dürften. Eines erscheint mir jedenfalls sehr sicher!"

Er trank den Pokal leer und deutete dann zu den Sternen hinauf.

„Was ist sicher?" „Daß wir uns diese Nacht nicht stören

lassen, was auch immer passiert." Die Erde hatte sie wieder. Sie merkten

es, als sie in der Nähe des herunterbren-nenden Feuers einschliefen, irgendwann die leere Champagnerflasche umstießen und von dem Zischen und Rauschen der Brandung immer dann wieder eingeschlä-fert wurden, wenn sie aus einem wirren Traum auffuhren, der ihnen vergangene und zukünftige Schrecken und Abenteuer vorspiegelte. Irgendwann würden Teile dieser Träume wohl zur Wirklichkeit werden; nichts ist für immer, wie Han Tsu-Gol zitierte.

ENDE

Unandat, das Elektronengehirn aus der Zeit des Kosmischen Infernos, mußte seinen Plan, die Menschheit unter seine Vorherrschaft zu bringen, aufgeben, denn es ließ sich auf ein Duell mit TECOM ein und TECOM erwies sich als „der Stärkere". Doch wer weiß, wie der Kampf ausgegangen wäre, hätte im entscheidenden Augenblick nicht eine Wesenheit zugunsten der Menschheit eingegriffen, von deren Existenz man bisher nichts ahnte, obwohl sie seit jeher ein kosmischer Nachbar der Menschheit war. Dennoch wird Gwendolyn oder Wendy, wie die ORION-Crew den Großen Roten Fleck des Jupiter taufte, noch zahllose Rätsel aufgeben. Doch mit der Niederlage und Integrierung Unandats sind die Aufregungen längst nicht zu Ende. Sowohl im Bermuda-Dreieck als auch in der Nähe des Saturn kommt es zu neuen unheimlichen Geschehnissen. Was die ORION-Crew an neuen und gefährlichen Abenteu-ern erwartet, davon berichtet Hans Kneifel im ORION-Roman der nächsten Woche mit dem Titel

GOLDENER KÄFIG SATURN


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