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Sterben auf Terra

Date post: 04-Jan-2017
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IMPRESSUM

Romane des Projekt 99 erscheinen mit freundlicher Genehmigung der Erben Kurt Brands und des Hansjoachim Bernt-Verlages

bei HEUL-Press für den REN DHARK Club.

Anzeigenleitung, Bestellung & Vertrieb: Heinz Mohlberg, Hermeskeiler Str. 9, 50935 Köln

Fon/Fax 0221 / 43 80 54 email: [email protected]

Bankverbindung: Stadtsparkasse Köln, BLZ 370 501 98, Konto 11 33 73 955, lautend auf Heinz Mohlberg

Redaktion Projekt 99 und Exposeredaktion: Karl Eisner Redaktion REN DHARK MAGAZIN: Karl Eisner

Titelbild: Gerald H. Neumann Titellogo: Hartmut T. Klages, Covergestaltung: Ulrich Husse

Satz: Karl Eisner, Heinz Mohlberg Druck: Druckerei Klaus Stowasser

Auflage: 700 Exemplare

Alle Rechte an »Ren Dhark« liegen bei den Erben Kurt Brands.

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Ren Dhark und seine Welt

Tödliche Strahlenstürme treiben viele galaktische Völker zur Flucht in Richtung Erde. Die friedlich geeinte Menschheit des Jahres 2051 ahnt noch nichts von dieser kosmischen Bedrohung. Im Zuge der Suche nach neuen Siedlungsräumen wurde der Time-Effekt entwickelt, mit dessen Hilfe es möglich ist, Distanzen von bis zu 1,7 Lichtjahren in Nullzeit zu überwinden. Gerade als die Menschheit ihre ersten größeren Schritte ins All zu unternehmen beginnt, tauchen die außerirdischen Raumflotten im Sol-System auf, richten Verwüstungen auf Terra an und liefern sich auch untereinander tödliche Gefechte.

Inmitten dieser Wirren startet der erste Kolonisten-Großraumer GALAXIS, unter dem Kommando Sam Dharks, mit über fünfzigtausend Menschen an Bord in Richtung Deneb-System. Ein Defekt der Triebwerke verschlägt das Schiff jedoch tief in die unbekannten Weiten der Galaxis. Glücklicherweise entdeckt man die Doppelsonne Col und landet auf einem erdähnlichen Planeten, den man Hope tauft. Sam Dhark stirbt während der Landung an einer unbekannten Krankheit, nachdem er zuvor das Kommando an seinen Sohn Ren übergeben hat.

Während die Hope-Kolonisten die Stadt Cattan aus dem Boden stampfen, wird Ren Dhark mit seinen Getreuen durch Intrigen auf den Dschungel-Kontinent Deluge verbannt. Dort entdeckt er in einem Höhlensystem einen gewaltigen Industriedom und einen tausend Jahre alten, unvollendeten Ringraumer. Deren unbekannte, spurlos verschwundene Erbauer tauft man Mysterious.

Ein Angriff der aggressiven Amphis vernichtet die GALAXIS. Die intelligenten Amphibien können von Ren Dhark und seinen Leuten jedoch mit Hilfe der Flash –

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Beibooten des Ringraumers – zurückgeschlagen werden. Ihr Wissen über die fremde Technik bezogen Dhark und sein Team aus Mentcaps der Mysterious – kleinen Pillen, die gespeichertes Wissen enthalten. Ren Dhark wird zum neuen Stadtpräsidenten Cattans gewählt.

Der POINT OF getaufte Ringraumer wird fertiggestellt. Doch als Ren Dhark mit dem Schiff zur Erde zurückkehrt, muß er feststellen, daß die gesamte Menschheit von den telepathisch begabten, raubtierhaften Giants, die sich selbst als All-Hüter bezeichnen und die Menschen die Verdammten nennen, geistig versklavt wurde! Nach langem, erbitterten Ringen gelingt es Dhark, die Führungsspitze der Giants, den Cal, aufzuspüren, die Menschheit dadurch von ihrem geistigen Joch zu befreien und die Giants zum Rückzug zu bewegen. Jene Versklavten jedoch, die auf dem Planeten Robon von den Giants einer Spezialbehandlung unterzogen wurden, bleiben seltsam verändert – man nennt sie Robonen.

Im entlegenen Brana-Tal entwickelt der geniale indische Wissenschaftler Echri Ezbal derweil die Cyborgs – Menschen, die durch Implantate und Spezial-Viren in ihren Körpern unglaubliche Dinge vollbringen können. Diese Cyborgs sind für Ren Dhark in Zukunft eine unentbehrliche Hilfe.

Dharks Stellvertreter, Norman Dewitt, entpuppt sich als Diktator und reißt in den Wirren nach der Invasion die Herrschaft über die Erde an sich. Erneut ist Ren Dhark ein Verbannter; zusammen mit seinen Getreuen und einer kleinen Flotte versucht er, Dewitt das Handwerk zu legen. Auf dem Mond kommt es zum entscheidenden Duell zwischen Dhark und Dewitt, das der Diktator nicht überlebt.

Ren Dhark wird per demokratischer Wahl für eine Amtsperiode von zwölf Jahren zum Commander der Planeten gewählt, dem nahezu uneingeschränkten Herrscher über die von Menschen erschlossenen Welten. Er überläßt die

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Regierungsgeschäfte aber weitgehend seinem Stellvertreter, dem geistigen Cyborg Henner Trawisheim, denn seine Suche gilt den Mysterious, die vor rund tausend Jahren spurlos aus der Milchstraße verschwunden sind.

Mit der POINT OF stößt Ren Dhark auf immer fantastischere Relikte der Mysterious. Man trifft auf weitere galaktische Völker – die insektenartigen Nogks werden zu Freunden und wichtigen Verbündeten, ebenso wie die zwergenhaften Utaren. Eine geheimnisvolle Größe im Spiel der kosmischen Mächte bleiben dagegen die Synties – ein Volk tropfenförmiger, halbenergetischer Wesen, die im Vakuum des Alls existieren können und über unglaubliche Parakräfte verfügen.

Das Nor-ex, ein allesverschlingendes Wesen aus einer fremden Dimension, wird von Ren Dhark zurückgeschlagen; die Giants wurden vom Nor-ex vernichtet. Die größte Bedrohung für den galaktischen Frieden stellen jedoch die mörderischen Schattenschiffe der Grakos dar. Diese schwarzen Raumer, von denen niemand weiß, woher sie stammen, vernichten erbarmungslos jedes Schiff in ihrer Nähe.

Die Spuren der Mysterious führen Ren Dhark schließlich zu einer Sternenbrücke, die von den Mysterious aus neun Sonnen erschaffen wurde. Hier trifft Ren Dhark zum ersten Mal auf die Tels, ein Volk schwarzhäutiger Humanoider, das unter Führung des Gigantcomputers Kluis ein Imperium der Unterdrückung geschaffen hat. Ein Krieg zwischen dem Telin-Imperium und Terra kann nur knapp verhindert werden.

Auf seiner weiteren Suche nach den Mysterious bringt Ren Dhark nicht nur eine gewaltige Flotte von Robotringraumern und mehrere, von den Mysterious verlassene, Welten in seinen Besitz, er stößt sogar bis an die Grenzen der Milchstraße vor und entdeckt dort eine zweite Galaxis, von deren Existenz man bis dahin nichts ahnte; deren Randzonen kollidieren mit der

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Milchstraße und verursachen die verheerenden Strahlenstürme. Die POINT OF dringt in diese zweite Sterneninsel vor, in welcher die Strahlenstürme sich unerklärlicherweise nicht auswirken und in der anscheinend keinerlei Hyperfunk benutzt wird. Dort findet Ren Dhark endlich die letzten 108 Überlebenden der Mysterious und rettet sie vor dem sicheren Untergang.

Ihr Anführer, Olan, berichtet Dhark, daß die Mysterious – sie nennen sich selbst Salter – in Wahrheit die Stammväter der Menschheit sind. Sie stammen von dem untergegangenen Kontinent Lemur... (hier endete die alte Serie)

Mehr und mehr technologische Schätze der Mysterious werden von den Menschen in Besitz genommen, dennoch bleibt allzuvieles rätselhaft. Die meisten Salter zogen es vor, sich auf einen Planeten namens Venarii (Aufbruch) zurückzuziehen. Die Salter sind noch immer die Mysterious, die Geheimnisvollen... Unerklärliche Vorkommnisse, wie das spurlose Verschwinden von 300.000 Robotringraumern während der Entscheidungsschlacht gegen die Schattenraumschiffe der Grakos, sind weitere Steine in einem Mosaik, das bislang noch niemand zu deuten weiß – was geschieht wirklich auf Tarran, der Forschungswelt der Salter, die noch nie ein Mensch betreten hat?

Im Zuge der zunehmenden Unabhängigkeitsbewegung unter den terranischen Kolonien, wurde die Galaktische Handelsorganisation ins Leben gerufen, die den Handel mit freien und terranischen Kolonien ebenso aufrecht erhält, wie auch mit anderen Sternenvölkern.

Eine tödliche Gefahr stellen aber noch immer die Strahlenstürme dar, die bereits tausende von Welten unbewohnbar machten. Immer deutlicher zeichnet sich ab, daß den galaktischen Völkern langfristig keine andere Wahl bleibt, als in Galaxis II auszuwandern. Um diesen Exodus aber so

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lange wie möglich hinauszuzögern, wurde von der Terranischen Akademie der Wissenschaften das Noah-Projekt ins Leben gerufen: Tausende von Raumern durcheilen die Galaxis auf der Suche nach lebensspendenden Welten, die sie mit nogkschen Schirmfeldern versehen und so vor den Strahlenstürmen schützen. Dabei stoßen sie fast zwangsläufig auf weitere Spuren fremder Völker und deren Technologien.

Auf der Erde schreibt man inzwischen das Jahr 2061...

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REN DHARKDIE GROSSE SF-STORY VON KURT BRAND

Band 108

Sterben auf Terra Hans-Georg Hoffmann

Es ist den Terranern gelungen, einen Grako in ihre Gewalt zu bringen, einen jener goldenen Menschen, die vor langer Zeit Terror und Vernichtung über die Milchstraße gebracht haben sollen. Eine Untersuchung in der Cyborg-Station im Brana-Tal ergibt, daß der Grako von einem Mental-Parasiten, einem Mensiten, kontrolliert wird.

Die Arbeiten an dem Organismus nehmen plötzlich eine unerwartete Wende. Der Mensit detoniert in viele Millionen Partikel von viraler Größe und infiziert Cyra Simmons, die rechte Hand Ezbals. Sie verschwindet spurlos. Henner Trawisheim stellt daraufhin die Erde unter Quarantäne und riegelt die Heimatwelt der Menschen durch einen planetenweiten Schutzschirm vom restlichen Sonnensystem ab.

So bleibt Ren Dhark, dem es durch eine Rettungsexpedition zwar gelungen ist, eine Art diplomatischen Kontakt mit den Amphis zu etablieren, dabei aber durch den Angriff eines unbekannten Raumschiffs die POINT OF verloren geben mußte, die Heimkehr nach Terra verwehrt.

Olan, der weise Anführer der Salter, entrinnt nur knapp einer Katastrophe. Der Wohnturm, in dem er seine Mitarbeiter

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aufsuchen wollte, explodiert. Seine Artgenossen, die sich dort aufhielten, sind alle dem Unglück zum Opfer gefallen. Aber war es wirklich ein Unglück? Bernd Eylers bezweifelt dies und betraut seinen besten Agenten mit den Ermittlungen. Jos Aachten van Haag findet tatsächlich die bittere Wahrheit heraus und bezahlt diese Erkenntnis beinahe mit seinem Leben.

Cromar indes wird von einer unbekannten Ringraumerflotte angegriffen. Mit seinem neuen Flaggschiff – der GALAXIS II – eilt Ren Dhark zusammen mit einer riesigen Flotte der Zentralwelt des Telin-Imperiums zu Hilfe und kann die unbekannten Angreifer vertreiben. Doch die Tels erweisen sich als undankbar. Sie locken das Schiff des Commanders in eine Falle und bringen eine modifizierte Variante des Varios an Bord – jene grauenvolle Waffe, die ihren Opfern gnadenlos den Hitzetod bringt. Für Schiff und Besatzung gibt es keine Hoffnung.

Auf Terra fallen die Cyborgs durch unerklärliche Verhaltensstörungen auf, die sogar Menschenleben fordern. Henner Trawisheim verschwindet spurlos und die Lage auf der Heimatwelt der Menschen erscheint so verfahren, daß Marschall Bulton sogar militärische Maßnahmen in Erwägung zieht. Niemand ahnt es: dies sind die ersten Anzeichen für das STERBEN AUF TERRA...

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Personenverzeichnis

Marschall Bulton ............... der Chef der TF beschließt zu handeln

Hauptmann Fatener,Admiralin van Maarten .... Bultons MitstreiterBernd Eylers ...................... der Chef der GSO wird wieder

aktiv Matury Xentar,Ingmar Knutsson ............... zwei »Schläfer« der GSO werden

geweckt Manu Tschobe .................... der Arzt wird mißtrauischBert Stranger ...................... der Reporter erfährt

erschreckende Neuigkeiten Cyra Simmons, Echri Ezbal ......................... die Wissenschaftler stehen im

Bann des Mensiten Henner Trawisheim ........... der geistige Cyborg stellt seine

Fähigkeiten in den Dienst der Feinde der Menschheit

Holger Alsop ....................... ein Cyborg, der sein Gedächtnis verliert

Bram Sass, Mark Carrell,Jan Burton, George undCharly Snide, June Chiles . Cyborgs, die die Seiten wechseln

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Mit großen, weit ausholenden Schritten bewegte sich Mel Harrison auf den dunklen Bunkereingang zu. Knirschend zermalmten seine schweren Raumstiefel den grobkörnigen Sand, den der stete Marswind immer wieder auf die Landepisten, Abstellplätze und Taxiways des Raumhafens blies. Noch vor kurzem hatte sich auf den riesigen Landefeldern eine ganze Flotte Ringraumer befunden. Aber seit den frühen Morgenstunden des 17. August 2061 herrschte Ruhe auf dem Mars. Die terranische Heimatflotte war mit Ziel Cromar aus dem Sonnensystem verschwunden.

Mel Harrison war froh, daß er auf Drängen von Debbie einige Tage frei genommen hatte, denn so war ihm der Streß von 10.000 startenden Schiffen erspart geblieben. Schadenfroh dachte er an die Kollegen seiner Schicht. Er konnte sich lebhaft vorstellen, welche Hektik im Kontrollzentrum geherrscht haben mußte. Tausende von Startfreigaben, tausendfache Rückfragen und Slots, die eingehalten werden mußten. Gleichzeitig – Umleitung des Terra anfliegenden Verkehrs. Auch wenn das meiste im Jahre 2061 von Hochleistungs-Computern – den Suprasensoren – erledigt wurde, oblag es nach wie vor dem einzelnen Controller, die Übersicht zu behalten und gegebenenfalls in die Entscheidungen der Maschinen einzugreifen, und das blieb bei einem Massenstart nicht aus.

Mel hatte den Bunkereinstieg erreicht. Schnell zog er die ID-Karte durch den Scanner. Mit einem leisen Summen öffnete sich die Bunkertür und gab den schmalen Gang, der sich wie eine Spirale sanft in die Tiefe wand, frei. Fast alle Einrichtungen und lebensnotwendigen Teile des Raumhafens waren tief in den Marsboden hinein gebaut worden. So war sichergestellt, daß sie auch im Falle eines Angriffes ihre Tätigkeit versehen konnten. Selbst schwersten Beschuß aus dem All konnte die Besatzung eines Marsbunkers überstehen.

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Man hatte aus der Vergangenheit die Lehren gezogen. Seit dem Überfall der Giants waren alle militärischen Einrichtungen besonders geschützt worden. Dies war eine gigantische finanzielle Anstrengung gewesen. Eigentlich nicht zu verantworten und dem Steuerzahler nicht mehr vermittelbar, aber die Eingeweihten wußten, daß sich diese Maßnahmen irgendwann einmal bezahlt machen würden. Mit gleicher Intensität war natürlich auch der Zivilschutz vorangetrieben worden. Es gab kaum noch eine größere Stadt, die nicht über die modernsten Schutzeinrichtungen verfügte.

Harrison hatte den zentralen Bunkerbereich erreicht. Gut gelaunt und schwungvoll öffnete er seinen Spind im Umkleideraum. Von der Innenseite der Spindtür lächelte ihm eine Holographie entgegen. Sie zeigte eine dunkelhaarige Frau, die einen kleinen Jungen auf dem Arm trug. Mit raschen Bewegungen, die Routine verrieten, schlüpfte er in seine Einsatzmontur. Sorgfältig glättete Mel seine Straßenkleidung und hängte sie in den Spind. Debbie war zwar eine liebenswerte Ehefrau, aber wenn es um die Behandlung seiner Kleidung ging, hatte sie ihre eigenen Vorstellungen. Mel Harrison war nicht geneigt, es auf einen handfesten Krach mit ihr ankommen zu lassen. Mit einer kraftvollen Bewegung schloß er die Tür und begab sich ins Kontrollzentrum der Raumradarleitstelle. Schon mit dem Eintreten spürte er, daß die Atmosphäre in dem Raum knisternd vor Spannung war. Mel konnte sich den Grund beim besten Willen nicht vorstellen. Die Heimatflotte war vom Mars abgezogen worden, und für den heutigen Tag stand Routinearbeit an.

»Melde mich zum Dienst, Sir!« sagte Mel Harrison mit lauter Stimme und baute sich demonstrativ vor Leutnant Cohlham, dem diensthabenden Offizier der Leitstelle, auf.

»Ist gut, Harrison. Lassen Sie die Verrenkungen, dafür haben wir jetzt keine Zeit. Lösen Sie Duffy am Radar ab. Er

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wird Ihnen auch die aktuelle Lage mitteilen«, kam Cohlhams Antwort. Ohne Mel weiter Beachtung zu schenken, wandte sich der Leutnant wieder den Kontrollausdrucken zu, die vor ihm ausgebreitet lagen und betrachtete sie ausgiebig.

»Hi, Duff!« grüßte Mel seinen Teamkollegen. »Hi, altes Haus. Schönen Urlaub gehabt?« Duffy blickte

grinsend in Harrisons Gesicht, und ohne eine Antwort abzuwarten fuhr er fort: »Mach dich mal auf eine lange Schicht gefaßt. Am besten unterrichtest du Debbie, daß mit Feierabend vorerst Essig ist. Sag ihr, eine Marsschönheit hat dir den Verstand geraubt.«

»Was ist los, Duff? Dicke Luft?« Mel setzte sich neben den dicklich wirkenden Duffy.

»Hörst wohl keine Nachrichten?« »Wieso?« fragte Mel, er hatte seit dem Aufbruch der Flotte

nach Cromar tatsächlich keine Nachrichtensendung mehr verfolgt. Debbie hatte beharrlich den Standpunkt vertreten, seine freie Zeit müsse mit angenehmeren Dingen als Nachrichten ausgefüllt werden – und Debbie verstand es wie keine Zweite, ihm ihren Standpunkt mit »nackten« Tatsachen deutlich zu machen.

»Quarantäne, mein Freund! Ganz Terra steht unter Quarantäne!« flüsterte Duffy mit unheilvoll klingender Stimme.

* * *

Feuerrot schob sich die Sonne zwischen die hohen Berge, die das Brana-Tal umschlossen. Hier, in der Einsamkeit des Himalayagebirges, hatte Echri Ezbal seine Cyborgstation errichtet. Hatte sich vom Rest der Menschheit zurückgezogen um ungestört seinen Forschungen nachzugehen. Hier, umgeben von ewigem Schnee, waren die ersten Menschen zu Cyborgs

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umgestaltet worden – und hier lag auch das Zentrum des Bösen.

Seit sie den Grako, den goldenen Menschen, untersucht hatten, waren wenige Wochen vergangen. Die Erkenntnisse über die Geißel der Galaxis waren epochal! Endlich wußte man, was diese humanoid wirkende Rasse zu ihrem galaxisweiten Vernichtungsfeldzug getrieben hatte. Der Mensit!

Ezbal schaute in die aufgehende Sonne. In früheren Zeiten hätte sich der alte Mann an den wärmenden Strahlen erfreut, aber seit der Mentalparasit den Inder übernommen hatte und alle Funktionen kontrollierte, gab es für den 103-jährigen keine Gedanken an menschliche Bedürfnisse. Er stand ganz im Bann des Mensiten. Einzig die Befehle des Mensiten beherrschten den großen Denker und Wissenschaftler. Er schritt gemächlich in Richtung Cyborgstation. Schon aus der Entfernung erkannte Ezbal einige seiner »Kinder«. Mehrere Cyborgs waren aus den unterirdisch gelegenen Labors gekommen. Zielstrebig hasteten sie einer am Rande des Tales gelegenen Lagerhalle entgegen.

In früheren Zeiten hätte sich Ezbal gefragt, was diese Hektik sollte, aber diese Zeiten waren vorbei. Das Zeitalter des Mensiten hatte begonnen – die Herrschaft über die Erde!

Echri betrat den A-Gravlift und der sanfte Sog beförderte ihn sicher in die tieferen Regionen der Station. Ein kurzer Druck auf die Sensoren und mit leisem Zischen öffnete sich das Schott zur Hauptzentrale der Station.

»Ah, Ezbal. Gut, daß Sie kommen. Wir brauchen Ihre Hilfe!« Cyra Simmons, die Stellvertreterin des »Cyborgvaters« unterbrach ihre Tätigkeit an einem der Suprasensoren und ging auf den Inder zu. Sie war der erste Mensch auf Terra, der vom Mentalparasiten übernommen worden war. Sie hatte auch dafür gesorgt, daß sich die »Geißel« planmäßig in der Station verbreiten konnte. Alle Menschen im Tal waren innerhalb

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kürzester Zeit vom Mensiten befallen und übernommen worden. Letztlich hatte sie, Dr. Cyra Simmons, den bevorstehenden Untergang der Menschheit eingeläutet. Aber weder Ezbal noch Cyra machten sich Gedanken darüber.

»Was gibt es?« Kalt und gefühllos klang die Stimme des Brahmanen. Beide

standen sich nun gegenüber, und ein stiller Betrachter der Szene hätte sicher über das ungleiche Paar gelächelt. Hier der hagere, lang wirkende alte Mann, dort die kleinwüchsige, schlanke, ja fast knabenhaft wirkende junge Frau. Unterschiedlicher konnten zwei Menschen nicht sein, und doch verband sie ein gemeinsames Ziel. Ein Ziel, das sie mit ganzer Kraft verfolgten. Die geistige Versklavung des Planeten, der als Wiege der Menschheit galt.

»Macht Trawisheim Probleme?« »Nein, nein.« Cyras intelligent wirkende Augen blickten zu

dem Schöpfer der Supermenschen auf. »Henner Trawisheim entwickelt sich ganz in unserem Sinne. Der Mensit hat ihn fast gänzlich übernommen. In wenigen Stunden rechne ich mit seinem ersten Einsatz. Was mir Sorgen macht, ist unsere Verbreitung. Wir müssen sicherstellen, daß wir innerhalb kürzester Zeit die Schlüsselpositionen und die Zentren der Macht übernehmen können, und hier ist mir noch nicht ganz klar, wie dieses am effektivsten zu erreichen ist.«

»Welche Maßnahmen haben Sie bisher eingeleitet, Cyra?« »Wir haben unsere Sporen isoliert und bereiten den Einsatz

von Gleitern vor, die den Mensiten über den Ballungszentren mittels Sprühflaschen verteilen sollen. Wir erhoffen uns eine Übernahme der Metropolen innerhalb von ein paar Tagen. Weiterhin haben wir an eine generelle Verbreitung über die Atmosphäre gedacht, wobei wir uns nicht ganz sicher sind, ob dies die Wirksamkeit des Mentalparasiten nicht beeinträchtigt. Aber für all das reichen unsere Mittel nicht aus. Wir haben

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einfach zu wenig geeignete Fahrzeuge.« Cyra Simmons schwieg und schaute Ezbal fragend an.

Einige Sekunden vergingen, nur das Ticken und Summen der Kontrollanlagen war zu hören. Deutlich konnte man die Anspannung auf Ezbals Gesicht sehen. Die letzten Tage hatten dem Brahmanen alles abverlangt. Seine einst gutmütigen Gesichtszüge waren zu einer starren Maske geworden. Die Wangen hohl und eingefallen. Sein langer Bart wirkte ungepflegt. Die Übernahme durch den Mensiten hatte den Inder viel Lebensenergie gekostet. Ezbal merkte von alledem nichts. Hätte er sich umgeschaut, dann wäre ihm aufgefallen, daß alle Menschen im Tal mittlerweile so aussahen. Der Mensit hielt alle in seinen unsichtbaren Klauen, machte aus denkenden und fühlenden Menschen Zombies.

»Ich verstehe. Mit der atmosphärischen Verbreitung haben Sie sicherlich recht. Es bleibt trotz der flächendeckenden Verteilung ein Restrisiko. Wir sollten sie jedoch nicht ganz ausschließen.« Echri Ezbals Körper machte eine Drehung, dann stakste er davon.

Noch bevor er den Raum verlassen hatte, hielt er an. Cyra Simmons eilte ihm hinterher. Als sie ihn erreicht hatte, schaute sie ihn abermals fragend an. Plötzlich verzog sich Echri Ezbals Gesicht zu einer hämisch grinsenden Fratze. Auf seinem Gesicht zeichnete sich teuflisches Grinsen ab.

»Transmitter! Wir verbreiten den Mensiten über Transmitter! In allen größeren Städten gibt es Hunderte von aktivierten Anlagen. Der Transmitter gehört zu den beliebtesten, schnellsten und billigsten Möglichkeiten von Ort zu Ort zu reisen. Er wird zu jeder Tages- und Nachtzeit von Tausenden benutzt. Außerdem gewährleisten wir so, daß der Mensit dorthin gelangt, wo er hingehört – unter Menschen. Cyra, berechnen Sie doch einmal, wie lange es dauern würde, wenn wir die Sporen über Transmitter auf Terra verteilen. Die

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Ergebnisse hätte ich dann gerne bis Mittag vorliegen.«

* * *

Das kalte Licht der Deckenbeleuchtung überflutete den ganzen Raum, in dessen Mitte eine A-Gravliege stand. Deutlich zeichneten sich die Konturen eines Menschen ab. Er bewegte sich unruhig, so wie es Schlafende tun. Aber der Körper schlief nicht! Er kämpfte gegen einen unsichtbaren Feind. Immer wieder drangen Gedankenfetzen an die Oberfläche des gemarterten Bewußtseins und wurden sofort wieder in den dunkelsten Winkel des Unterbewußtseins zurückgedrängt.

Rückgängig machen lassen... Normal sein...! – Normal sein...?

Beherrschen... der Programmierung folgen! – Folgen? Nein, ich kann es nicht! Niemals! – Niemals? Aufgeben! Gehorchen! Erlösung! – Erlösung? Wieder zuckte der Körper. Diesmal heftiger, kurz schnellte

der Oberkörper des Mannes hoch, um einige Sekundenbruchteile später wieder in sich zusammenzusinken.

Der unsichtbare Feind war auf dem Vormarsch. Hatte große Teile des Gehirns bereits fest in seinem Griff. Stieß tiefer in die Windungen des Kleinhirns vor. Drängte immer weiter vor. Rücksichtslos sog der unsichtbare Feind die Daten in sich hinein. Speicherte sie, um dann, wenn auch die letzte Bastion des menschlichen Verstandes gefallen sein würde, darauf zurückgreifen zu können.

Gedanken, Bilder, Daten, Weltbilder. Alles sog der Mensit in sich. Ihm war es gleich. Er folgte einer Order, die vor Jahrtausenden gegeben worden war. Sein genetisches Material trug den Keim der Vernichtung in sich. Gleichzeitig war ihm ein unwiderstehlicher Drang zur Weiterverbreitung mitgegeben worden.

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Wieder zuckte der Mann heftig. Seine Arme bewegten sich unkontrolliert. Wirbelten durch die Luft. Die letzten Gedankenströme eines willensstarken Menschen waren vom Mensiten aufgesogen worden. Der Mensch wurde ruhiger. Henner Trawisheim, Cyborg auf geistiger Ebene, hatte den Kampf verloren. Sein Geist wehrte sich nicht mehr! Lehnte sich nicht mehr gegen die Allmacht des Mentalparasiten auf. Erneut war eine wichtige Persönlichkeit von der »Geißel der Galaxis« übernommen worden.

Noch immer überflutete das kalte Licht der Deckenbeleuchtung den ganzen Raum, in dessen Mitte eine A-Gravliege stand. Noch immer zeichneten sich die Konturen eines Menschen deutlich ab. Er bewegte sich nicht mehr.

* * *

»Dr. Simmons, wir haben es jetzt!« Der mit einem weißen Arbeitsoverall gekleidete Techniker

übergab Cyra Simmons eine Folie. Ein kurzer Blick und der 36-jährigen Frau war klar, daß die von Ezbal geforderten Daten vorlagen.

Achtzehn Stunden! schoß es ihr durch den Kopf, achtzehn Stunden würde es dauern bis ganz Alamo Gordo vom Mensiten beherrscht werden würde. Ezbal war ein Genie! Der Einfall mit den Transmittern war so naheliegend, einfach und wirkungsvoll.

Schnell tippte sie die neuesten Daten in ihren persönlichen Suprasensor ein, drückte entschlossen die Verarbeitungstaste. Innerhalb von wenigen Sekunden lag das Ergebnis vor. Cyra Simmons war hoch zufrieden. Sie sammelte die vom Suprasensor ausgedruckten Informationen und begann alles bisher Bekannte zu einem Bericht zusammenzutragen. Eine halbe Stunde später erhob sich Cyra von ihrem Platz. Mit

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einem Ruck der Entschlossenheit warf sie eine Strähne ihres langen, dunklen, fast schwarzen Haares, das ihr in die Stirn gefallen war, zurück, strich mit beiden Händen an der perfekt sitzenden Einsatzkombination entlang, so als wolle sie imaginäre Fussel abstreifen. Dann packte sie ihren Bericht zusammen und begab sich aus der Hauptzentrale der Cyborgstation hinaus in den schwach beleuchteten Gang. Berauscht von der Macht, die sie in Händen hielt, begab sie sich schnell zum A-Gravlift.

Innerhalb weniger Minuten hatte sie Ezbals Quartier erreicht. Früher hatte sie sich immer wieder gefragt, wie es ein Mensch nur in einem solch spartanisch eingerichteten Zimmer aushalten konnte. Das war vorbei. Dem Mensiten in ihr war es egal. Cyra hielt dem Inder die eng bedruckten Folien hin. Ezbals dürre Hand griff danach, und ohne seine ehemalige Stellvertreterin groß zu beachten, vertiefte er sich in den Bericht. Nach einigen Minuten des konzentrierten Lesens nickte er kaum merklich.

»Gut, sehr gut. Ihre Arbeit ist wie immer ausgezeichnet.« Er nahm einen der vielen Folienstifte, die vor ihm auf dem

Schreibtisch fein säuberlich in einem Halter gelagert waren, und unterstrich mit einer schwungvollen Bewegung einige Absätze des Schriftsatzes.

»Wenn wir Alamo Gordo innerhalb von 18 Stunden übernehmen können, dann dürften wir für den gesamten Planeten nicht viel mehr als 40 Stunden brauchen, bis er in unserer Hand ist.« Ezbal legte den Stift zur Seite. Nochmals blickte er auf die Folien. »Die technische Seite der Verbreitung ist damit wohl geklärt, bleiben noch die Fragen offen, wieviel Vorlaufzeit wir brauchen, um das Unternehmen beginnen zu können, und was können unsere potentiellen Gegner tun, um unsere Pläne zu gefährden?«

Plötzlich veränderten sich Ezbals Gesichtzüge. Er schien die

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Lösung gefunden zu haben. Mit eiskalter Stimme fuhr er fort: »Trawisheim! Wofür haben wir Henner Trawisheim? Ich habe doch nicht umsonst einen Cyborg auf rein geistiger Ebene erschaffen! Wecken Sie ihn! Es wird Zeit, daß er erfährt, wie ich mir seine künftige Aufgabe vorstelle!«

Cyra Simmons war entlassen. Wortlos wandte sie sich ab und verließ den Raum.

Echri Ezbal besah sich nochmals den vorgelegten Bericht. Vor seinem geistigen Auge entstand eine neue Welt. Hatten sie Terra in ihrem Griff, dann würden bald auch die Kolonien folgen. In Ezbals Geist entstanden neue Cyborgs, wirkungsvoller als alles was er bisher erschaffen hatte. Diese neuen Cyborgtypen würden nur noch bedingt an Menschen erinnern, ihr Aussehen würde ganz auf Funktionalität abgestellt sein. Ganze Heerscharen von Cyborgs würden sie auf das Universum loslassen. Erzittern sollten die Bewohner der Galaxis! Seine Genialität gepaart mit dem Programm des Mensiten und der wirtschaftlichen Stärke Terras würden der Menschheit das Tor zu ihrer wirklichen Bestimmung öffnen. Herr über eine versklavte Milchstraße!

Der Countdown zur Dämmerung im Universum hatte begonnen!

* * *

Leise, unauffällig, aber jederzeit präsent und gut unterrichtet, wie es vom Adjutanten eines Marschalls erwartet wurde, betrat Hauptmann Lionel Fatener den kleinen, abgedunkelten Raum im neunten Tiefgeschoß des Flottenhauptquartieres. Hierher, fast dreißig Meter unter der Erde, hatte Marschall Bulton sich zurückgezogen. Seit jener schwerwiegenden Entscheidung, ohne Zustimmung der Regierung gegen die sich gefährlich verschärfende Situation auf Terra mit Hilfe des Militärs

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vorzugehen, waren knapp zwanzig Stunden vergangen. Fatener war einer der ersten gewesen, der die Tragweite von Bultons Entscheidung im ganzen Umfang begriff.

Putsch! Bulton putschte gegen Terra! Auch im Jahre 2061 war ein Militärputsch kein

Kavaliersdelikt, und Hauptmann Fatener war sich über die Konsequenzen, auch über seine persönlichen, im Falle eines Scheiterns im klaren. Und trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb bewunderte er den Marschall ein weiteres Mal. Lionel Fatener war Soldat, durch und durch. Genau wie sein direkter Vorgesetzter, Marschall Ted Bulton, liebte er seinen Beruf. Bulton hatte es zwar nicht ausgesprochen, aber er erwartete gerade von ihm, seinem Adjutanten und engstem Vertrauten, Loyalität.

Fatener hatte nicht lange zu überlegen gebraucht. Er stand hinter »seinem« Marschall, und würde den eingeschlagenen Weg mit ihm zusammen bis ans Ende gehen. Egal, wo dieses Ende lag und wie es aussah.

Fast geräuschlos trat er an Bultons Arbeitstisch heran. Der Marschall stützte sich mit beiden Händen auf den Rand des Tisches. In Gedanken versunken stand er da, bewegungslos, das Gesicht von tiefen Sorgenfalten durchzogen.

Er sieht alt und verbraucht aus, fuhr es dem Hauptmann durch den Sinn.

»Herr Marschall?« Fatener hatte mit leiser Stimme gesprochen und dabei den dünnen Ordner zu Bulton hingeschoben. »Herr Marschall, die letzten Meldungen!«

Schweigend ließ sich Ted Bulton in den schweren Sessel gleiten und zog den mit mehreren Folien gefüllten Ordner zu sich heran. Er schlug ihn auf, doch Bulton las ihn nicht. Stattdessen fragte er zweifelnd: »Ist es richtig? Fatener, ist es richtig, was wir beabsichtigen zu tun?«

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»Ja, Herr Marschall! Ich bin sicher, Sie tun das Richtige zum Wohl unseres Volkes!« antwortete Lionel Fatener schnell.

»Na, dann wollen wir mal!« Bultons »schwache« Minute war vorüber. Mit gewohntem Elan schlug er das Dokument auf.

»Welche Einheiten stehen uns zur Verfügung, Fatener?« »Im direkten Einflußbereich und sofort?« Fatener hatte

diese Frage zwar gestellt, aber er erwartete keine Antwort von Bulton. Schließlich war es seine Aufgabe, solche Dinge zu wissen. Zu jeder Zeit hatte er bereit zu sein, Antworten zu geben, auch auf die Gefahr hin, daß der Marschall die Informationen gar nicht benötigte.

»Die Raumhafengarde von Cent Field, das Wachpersonal im Hauptquartier und einige Stabsangehörige, Herr Marschall.«

»Nicht gerade eine vor Kraft strotzende Armee, oder, Fatener?«

»Wenn Herr Marschall sich erinnern wollen, Trawisheim hat nie größere Truppenkonzentrationen in seiner unmittelbaren Umgebung geduldet! Das rächt sich nun leider.«

»Schon gut, Fatener, machen Sie weiter!« brummte Bulton. »Waranow hat seinen Verband schon vor einigen Stunden

einsatzklar gemeldet. Er wartet auf den Marschbefehl, und...« »Waranow«, zischte Bulton gefährlich. »Waranow ist ein

Fanatiker! Der wartet nur darauf, hier Rabatz machen zu können! Fatener, sorgen Sie dafür, daß er diesen Marschbefehl nur im Notfall erhält! Haben Sie verstanden, Fatener? Das letzte, was ich hier gebrauchen kann, ist ein fanatischer Verrückter, der sich in einem noch nicht geschriebenen Heldenepos verewigt sehen möchte.«

Hauptmann Fatener hatte es sich im Laufe seiner Zeit als Bultons Adjutant abgewöhnt, Überraschung zu zeigen. Viele, die den Marschall nicht so gut kannten wie er, verfielen immer wieder in den Glauben, Bulton sei ein Choleriker, der zu oft

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seine Beherrschung verlieren würde. Es stimmte schon, daß Bulton oftmals leicht zu reizen war, aber in Momenten wie diesem war der Marschall der eiskalte Militär, und man tat gut daran, jedes seiner Worte ernst zu nehmen. Sehr ernst sogar.

Schnell machte er eine entsprechende Notiz hinter dem Namen Jossip Waranow. Damit war das Schicksal des »Falken« besiegelt. Die »Revolution« würde ohne ihn stattfinden. Innerlich mußte Lionel Fatener lachen. Er hatte diesen arroganten Schnösel noch nie sonderlich gemocht.

»... dann bleibt uns für den Moment nur die 78. Sturmdivision. Sie liegt zwar derzeit in der Nähe von Sumburgh, könnte aber innerhalb von 15 Stunden ihre mobilen Teile hierher verlegen. Sie ist übrigens auch die einzige greifbare Einheit, die über schweres Material verfügt, alle anderen gemeldeten Verbände brauchen mindestens 24 bis 35 Stunden bis zum Abmarsch.«

Hauptmann Fatener blickte fragend zu Bulton. »Erteilen Sie den 78ern sofort den Marschbefehl! Außerdem

unterrichten Sie Admiralin van Maarten, daß wir es im Extremfall bis zu zehn Stunden allein durchstehen müssen.«

Mit einem kraftvollen Schwung unterzeichnete Ted Bulton, Marschall der Terranischen Flotte, den Befehl zur Machtübernahme auf Terra. Fatener nahm die Folie entgegen. Mit einem kurzen Blick darauf erkannte er, daß Bulton mit seiner Unterschrift den Planeten unter Kriegsrecht stellte.

Leise und unauffällig, wie es seine Art war, schob Hauptmann Lionel Fatener die Folie zurück in die Mappe und entfernte sich von Bultons Arbeitstisch. Er würde alle an ihn gestellten Aufgaben so erledigen, wie es der Marschall von ihm erwartete. Noch bevor er die Tür erreicht hatte, hörte er Ted Bulton sagen: »Fatener, entweder ich habe mit meiner Unterschrift unter diesen Befehl ein Stück terranischer Geschichte oder unser Todesurteil geschrieben. Gott stehe uns

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bei!« Lionel Fatener verließ den Raum. Dabei fiel sein Blick auf

die große Wanduhr, die über den Kartentischen angebracht war.

Knapp vier Stunden noch, schoß es ihm durch den Kopf. In knapp vier Stunden würde die Bevölkerung darüber informiert, daß Kriegsrecht herrschte. In knapp vier Stunden würden die Militärs das Regime zum Wohl des Volkes übernehmen. Mit einem leisen Klick überschritt der Sekundenzeiger der großen, runden Wanduhr die Markierung der Zwölf. Auf dem Quarantäneplaneten Terra schrieb man Mittwoch, den 17. August 2061, 23:57 Uhr Normzeit.

* * *

»Wo wollt ihr beiden Helden denn hin?« hatte der Wachhabende der 2. Kompanie im 1. Regiment der 78. Sturmdivision die Obergefreiten Heyne und Jurgasson gefragt, als sie sich bei ihm meldeten, um die begehrten Ausgangsscheine in Empfang zu nehmen.

»Seht bloß zu, daß ihr in eure Unterkünfte kommt! Seit genau...«, er schaute genüßlich grinsend auf seinen Armbandchronometer und legte eine Kunstpause ein, »... 3 Minuten und 44 Sekunden befindet sich die gesamte Division in Alarmbereitschaft. Sagt bloß, davon hättet ihr noch nichts mitbekommen? Also trollt euch!«

Unverständnis zeichnete die Gesichter der beiden Männer, aber keiner wagte es, die Worte des Unteroffiziers anzuzweifeln. Auch wenn diese Gattung von Soldaten einfache Manschaftsdienstgrade des Öfteren auf den Arm nahm, soweit würde es keiner treiben, dafür waren die zu erwartenden Strafen zu drakonisch. Außerdem galten die beiden Obergefreiten als altgedient, und somit konnten sie durchaus

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spüren, wenn die Stimmung umschlug. So wie der Wachhabende sich benommen hatte, war wirklich etwas im Busch. Die Frage war nur – was?

»Aus mit dem Schäferstündchen! Mist, warum haben mich meine Eltern nichts anständiges werden lassen!« knurrte Heyne als sie durch den Gang zurück zu den Quartieren stiefelten. »Möchte bloß wissen, wer uns das eingebrockt hat!«

»War doch zu erwarten, Heyne«, entgegnete ihm der Freund und Leidensgenosse Jurgasson. »Seit dieser verdammte Nogkschirm den Planeten isoliert hat, liegt was in der Luft und seit der Rückkehr vom Alten aus dem Hauptquartier der TF spielt die ganze Division verrückt. Wenn man Gumb vom 4. Zug glauben darf, dann sind die Jungs schon seit mehreren Stunden dabei, das schwere Gerät klar zu machen. Angeblich sollen auch die Panzer aufmunitioniert werden, und das haben wir noch nie nur so zum Spaß gemacht. Heyne, ich sag dir, diesmal ist es ernst! Wir gehen in den Einsatz!«

Noch bevor einer der beiden noch etwas sagen konnte, heulten die Sirenen. »Alarm!« gellte es aus den Lautsprechern in allen Bereichen der Division. Langsam klang der Heulton aus und eine befehlsgewohnte Stimme gab Anweisungen. »Dies ist keine Übung! Ich wiederhole, dies ist keine Übung! Hier spricht der Gefechtsstand 78. Sturmdivision. Ab sofort befinden sich alle Teile der Division in höchster Alarmbereitschaft. Alle Offiziere melden sich zum Befehlsempfang im Divisionsgefechtsstand! Mannschaften und Unteroffiziere gehen zum Waffenempfang und warten danach weitere Befehle ab!«

* * *

Vom Panoramafenster seiner Unterkunft hatte Oberst Kolima, derzeitiger Kommandeur der 78. Sturmdivision, den Rundruf

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aus dem Gefechtsstand mitgehört. Mit Stolz beobachtete er, wie die Soldaten hin und her wuselten. Obwohl von seinem Beobachtungspunkt aus alles ein wenig »chaotisch« anmutete, wußte der Oberst ganz genau, daß jede Bewegung und jeder Handgriff seiner Männer alles andere war als Chaos. Seine Soldaten stellten eine Kampfgruppe dar, in der Disziplin an erster Stelle stand. Kolima hatte schon bei der Übernahme der Division dafür gesorgt, daß seine Soldaten den Unterschied zwischen notwendigem und Kadavergehorsam erkannten. Mit Genugtuung stellte er fest, daß sich seine Arbeit gelohnt hatte.

Eigentlich hatte der Oberst nicht so schnell mit einem Einsatz gerechnet. Bulton hatte zwar allen Anwesenden klargemacht, wie notwendig das Eingreifen der Militärs war, um die Sicherheit und Ordnung auf Terra aufrecht erhalten zu können, aber so recht hatte eigentlich niemand daran geglaubt, daß dieser Einsatzbefehl so schnell kommen würde. Kolima beglückwünschte sich im stillen, daß er sofort nach seiner Rückkehr die ersten Maßnahmen eingeleitet hatte. Auch im Jahr 2061 und trotz der Saltertechnik brauchte es einige Zeit, bevor eine Division aus dem Alltagstrott heraus in »Kriegszustand« gebracht werden konnte. Schon bei der Besprechung mit Bulton hatte er die Anwesenden darauf aufmerksam gemacht, daß die Mobilmachung eines Kampfverbandes eben seine Zeit brauchen würde. Trotz seiner Vorbeugemaßnahmen rechnete er damit, die ersten schnellen Truppenteile in frühestens sechs bis sieben Stunden auf den Weg bringen zu können. Für die gesamte Division einschließlich der Trosse hatte er 18 bis 20 Stunden einkalkuliert. Solange mußte Bulton sich selbst helfen. Es wurde Zeit, seinen Soldaten zu sagen, worum es ging. Oberst Kolima verließ seinen Beobachtungsstandort. Er wußte, daß es leicht sein konnte, daß dies sein letzter Einsatz war.

Noch wäre es möglich gewesen, den Befehl zu wiederrufen,

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die 78. Sturmdivision anzuhalten, aber niemand war da, der die Rücknahme der Mobilmachung befahl. Terra steuerte unaufhaltsam der Katastrophe entgegen.

Nachdem der Oberst den Raum verlassen hatte, sprang der Zeiger von Kolimas Tischuhr auf Donnerstag, den 18. August 2061, 1:29 Uhr Normzeit.

* * *

Henner Trawisheim, Cyborg auf geistiger Ebene und bis vor kurzem Regierungsoberhaupt auf Terra, hatte sich seit der Übernahme durch den Mensiten sehr verändert. Zwar konnten Nichteingeweihte keinen sichtbaren Unterschied zum früheren Trawisheim feststellen, aber seine Geisteshaltung und die Einstellung zu den Obliegenheiten, für die er früher eingetreten war, hatten sich in Luft aufgelöst.

Mit sicheren Schritten näherte er sich Ezbals kleiner Einsatzzentrale.

»Die größten, zu erwartenden Schwierigkeiten«, begann er, »sind wohl Bulton und sein Stab! Ihn müssen wir ausschalten, bevor die planmäßige Verbreitung des Mentalparasiten beginnt!«

»Wie kommen Sie darauf, Trawisheim? Niemand auf Terra kennt unsere Pläne und Ziele!« entgegnete ihm Cyra Simmons. »Nur noch wenige Stunden und dann steht Alamo Gordo unter unserer Kontrolle. Damit also auch Bulton und der Stab der TF. Es gibt also keinen Grund...«

»Doch, es gibt sogar einen sehr triftigen Grund, Cyra!« Henner Trawisheims Stimme klang emotionslos, aber gerade diese Tatsache machte sie so gefährlich.

Echri Ezbal, der bisher eher gelangweilt die Szene verfolgt hatte, mischte sich nun ein. »Spannen Sie uns nicht unnötig auf die Folter, Trawisheim! Sagen Sie uns was unsere Feinde, allen

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voran Bulton, machen werden, ja was sie machen können?« »Nun, ich habe mich in den letzten Stunden ausgiebig mit

der Lage und den daraus resultierenden Möglichkeiten beschäftigt.« Der Cyborg machte eine kleine Pause, ging zu dem Wasserspender, der gleich neben der Tür stand. Mit betonter Langsamkeit stellte er den Becher unter die Ausflußöffnung und beobachtete, wie sich die kristallklare Flüssigkeit in das Behältnis ergoß.

»Bulton weiß um die Gefährlichkeit des Mensiten! Wenn ihm auch die technischen und medizinischen Einzelheiten unbekannt oder, das ist meine Meinung, unverständlich sind, so kann er doch mit dem Spürsinn eines alten Wolfes erahnen, daß da große Schwierigkeiten auf ihn und seine Leute zukommen.« Genüßlich sog Henner Trawisheim die Flüssigkeit in sich auf. Ohne Hast warf er den leeren Becher in den Müllbeseitigungsschacht. »Er wird also in der einzigen ihm angemessenen Weise reagieren. Er wird das Militär zu Hilfe holen!«

»Trawisheim«, fuhr Cyra ihm aufgeregt ins Wort. »Trawisheim, Sie spinnen! Jedem von uns sind die politischen Einrichtungen, die Terra steuern, bekannt! Sie und ich wissen ganz genau, daß Bulton ohne die Zustimmung der Parlamentskammer keine Soldaten gegen die Bevölkerung, also auch gegen uns, einsetzen kann! Mal ganz davon abgesehen, daß er erst mal das Parlament überzeugen müßte!«

»Cyra, lassen Sie ihn doch ausreden!« Ezbal hatte ruhig und mit fester Stimme gesprochen. Ihm war klar, daß der Cyborg ihnen nur die Situation möglichst präzise vor Augen führen wollte, um danach die richtigen Schritte bekannt zu geben. »Fahren Sie bitte fort, Henner!«

»Bulton wird sich einen Dreck um die Regierung und die Kammer scheren!« stieß Trawisheim heftig aus. »Abgeordnete sind das letzte was ihn in dieser Situation interessieren wird.

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Warum sollte er sich auch um sie kümmern?« »Falls Sie auf die Notstandsgesetze von 2049 anspielen...«,

zischte Cyra Simmons. »Die geben ihm nicht die Möglichkeit, ohne Zustimmung der Regierung irgendetwas zu unternehmen!«

»Liebste Cyra, Sie sind sicher eine der fähigsten Wissenschaftler, die es auf diesem Planeten gibt. Auch möchte ich Ihre sonstigen Qualitäten, Dinge zu analysieren und zu den richtigen Ergebnissen zu kommen, nicht in Frage stellen. Sie haben natürlich recht was die Notstandsgesetze betrifft«, Henner bedachte die zierliche Frau mit einem väterlichen Lächeln, »aber von einem Mann wie Marschall Bulton haben Sie keine Ahnung! Notstandsgesetze werden ihn nämlich nicht sonderlich beeindrucken! Nein, Bulton schwebt etwas anderes vor! Er wird das Kriegsrecht über Terra verhängen und somit alle anderen Entscheidungsträger ganz elegant umgehen! In früheren Zeitaltern nannte man das wohl einen Putsch!«

Für einen Moment lang herrschte Schweigen in dem kleinen Raum. Es hatte ganz den Anschein, als wäre die Bedeutung der Worte des Cyborgs noch nicht ganz bei Echri Ezbal und Cyra Simmons angekommen.

»Sie müßten sich jetzt sehen können!« lachte Henner Trawisheim laut. »Ihre Gesichter sprechen Bände! Keine Angst, meine Lieben. Gerade weil wir diese Möglichkeit frühzeitig erkannt haben, wird sie nicht greifen! Wir werden den sprichwörtlichen Spieß ganz einfach umdrehen. Also, passen Sie auf, wir werden...«

Henner Trawisheim, Cyborg auf geistiger Ebene, die wohl genialste Schöpfung von Echri Ezbal, begann den Anwesenden seine Pläne zu unterbreiten. Je länger er sprach, umso einsichtiger wurde es den beiden Wissenschaftlern. Trawisheims Plan war einfach nicht zu widerlegen. Man hätte meinen können, der Teufel persönlich hätte bei der Ersinnung

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Pate gestanden. Als der Cyborg geendet hatte, handelte Echri Ezbal sofort.

Die Lunte, die das Pulverfaß Terra zur Explosion bringen sollte, war wiederum ein Stückchen kürzer geworden. Als der Inder nach dem Vipho griff, streifte sein Blick den Chronometer: Donnerstag, der 18. August 2061, 2:44 Normzeit.

* * *

»... freigegeben für Landesektor 23-5. Standard-Anflugverfahren via Funkfeuer Charlie. Nach Überfliegen von Charlie drehen Sie in den Landetrichter 23! Folgen Sie dann dem Leitstrahl zur Parkposition 5! Marsleitstelle Ende.«

Mel Harrison wußte nicht mehr, wie oft er in den letzten Stunden diesen Standardspruch an anfliegende Raumschiffe gegeben hatte. Mit einem kurzen Blick auf den Suprasensor versicherte er sich, daß er für eine knappe Minute Ruhe haben würde. Danach hatte er ein Lazarettschiff sicher nach unten zu bringen. Während Mel versuchte, sich die Müdigkeit aus den Augen zu reiben, überlegte er, wohin er den Ringraumer schicken konnte. Langsam wurde der Parkraum auf dem Mars knapp! Immer mehr Schiffe stauten sich im Sonnensystem. Zwar hatten die Verantwortlichen sofort nach Errichtung des Quarantäneschirms um Terra reagiert und alle unnötigen Einflüge verboten, aber das war nur die halbe Miete.

»Kaffee?« Duff, der ihn in 30 Minuten ablösen würde, hielt ihm den dampfenden Becher hin. Dankend nickte Mel Harrison. Mit großem Genuß trank er die belebende, schwarze Flüssigkeit.

»Na, wie sieht es aus, Jungs? Schaffen wir es?« Leutnant Cohlham war leise an die beiden Männer herangetreten. Mit großer Routine ergriff er den Packen

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Kontrollstreifenausdrucke, der vor Mel Harrison lag, und begann sie sich einzeln anzusehen.

»Den hier...«, sortierte er aus, »... schicken Sie zurück! Die Yacht eines Großindustriellen hat in dieser Ausnahmesituation hier nichts zu suchen. Und die beiden...«, es handelte sich um zwei Erzfrachter aus dem Kohlensacknebel, wie Harrison anhand des Rufzeichens erkennen konnte, »... gehen erst mal in Warteposition! Sobald es etwas ruhiger wird, leiten wir sie zum Pluto um.«

Mel nickte nur, seine Gedanken kreisten bereits wieder um das Lazarettschiff. Er schluckte den Rest Kaffee hinunter, dann wandte er sich wieder seinem Schirm zu.

»Hier spricht Mars Leitstelle, begeben Sie sich...« »Wird schon klappen, Herr Leutnant!« sagte Duff

ermutigend, er nahm sich der leeren Kaffeebecher an, um sie zu entsorgen. Hätte er auch nur erahnen können, was sich in Kürze unter dem Schutzschirm, der Terra umgab, abspielen würde, seine Ermutigung hätte er sich erspart. Die Lunte war wieder ein Stückchen mehr heruntergebrannt. Mit jedem Zentimeter, den die Zündschnur kürzer wurde, bewegte sich der Planet Erde näher an den Untergang heran.

Duffs Blick fiel auf den Kontrollschirm, vor dem Mel saß. Ganz unten, in der linken Ecke, konnte er das Datum erkennen – und gleich über den leuchtenden Ziffern und Buchstaben erkannte er die digitale Zeitanzeige. Donnerstag, der 18. August, 3:20 Uhr Normzeit.

* * *

Der schwere Lastgleiter bog sanft in die menschenleere Straße ein, an deren Ende sich das Hauptquartier der TF befand. Deutlich konnte der Pilot das Säulengebäude vor sich sehen. Geschickt steuerte der Mann das Gefährt auf eine der vielen,

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leeren Parkzonen, die sich auf beiden Randseiten der Fahrbahn hinzogen und schaltete den Antrieb ab. Langsam erstarben die Geräusche des Triebwerkes, der Lastgleiter kam zur Ruhe.

»Einheit eins an Basis – haben Ziel erreicht. Erwarten weitere Anweisungen«, sprach der Pilot schnell in das Vipho.

Dabei schaute er hinter sich auf den kastenförmigen Aufbau, der auf der Ladefläche verstaut war. In großen Lettern prangte an den Außenwänden des Containers der Werbespruch eines Fleischlieferanten: FRISCHES FLEISCH – DAS BESTE WAS DIR PASSIEREN KANN!

»Basis an Einheit eins – ruhig verhalten und weitere Anordnungen abwarten. Basis Ende.«

Der Mann drückte die Stand-By-Taste des Viphos, und nur noch das übliche Rauschen war zu hören. Entspannt lehnte sich der Pilot zurück, dabei geriet er mit einem Arm an einen Gegenstand, der scheppernd zu Boden fiel. Leise fluchend tastete der Mann danach. Endlich hatte er ihn. Mit einem Schwung hievte er das Blastergewehr zurück in die Halterung. Sogleich überprüfte er die Waffe und die Reservemagazine, die er neben sich deponiert hatte. Eher gelangweilt schaute er auf das TF-Gebäude. Obwohl sich seine Parkposition noch gute 70 Meter von den Eingängen zu dem Gebäude entfernt befand, konnte er deutlich die patrouillierenden Posten erkennen. Vor dem riesigen Eingangsportal nochmals ein Doppelposten – und in den Parkanlagen Streifen. Mindestens zwei von ihnen mußten Roboter sein!

Ein leichtes Grinsen konnte er sich nicht verkneifen. Roboter konnte er sowieso nicht ausstehen. Es würde großes Vergnügen bereiten.

Sein Blick streifte den Chronometer, der in das Armaturenbrett des Gleiters eingearbeitet worden war. Donnerstag, der 18 August 2061, 3:50 Uhr Normzeit.

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* * *

»Marschall Bulton! Marschall, es ist Zeit!« sanft berührte Hauptmann Fateners Hand Bultons Schulter.

»Was? Was gibts...? Oh, Fatener, Sie sind es. Ich muß wohl eingenickt sein«, entschuldigte sich Ted Bulton verschlafen. Dankbar nahm er den Becher Kaffee, der ihm von Lionel Fatener entgegengehalten wurde. Nach einem kräftigen Schluck des heißen Getränkes fühlte Bulton seine Lebensgeister zurückkehren.

»Gibt es etwas Neues von den Truppen?« »Nein, alles verläuft planmäßig. Kolima hat noch keine

Einsatzbereitschaft gemeldet! Aber das war auch nicht zu erwarten«, antwortete Fatener.

Mit geschmeidigen Bewegungen stand der Marschall auf und streckte seine Glieder, um auch den letzten Rest der Müdigkeit zu vertreiben. Schnell trank er den Rest Kaffee und sagte dann tatkräftig: »Es hilft nichts, packen wir es an, Fatener!«

Beide Männer verließen den Raum. Mit schnellen Schritten bewegten sie sich durch das unterirdische Labyrinth der Gänge auf den A-Gravlift zu, der sie in die höher gelegene Funkstation bringen sollte.

Im Geiste ging Marschall Ted Bulton nochmals seine Rede durch, die er in wenigen Minuten vor dem ahnungslosen terranischen Volk zu halten gedachte. Er wußte um seine nicht vorhandenen Fähigkeiten, Einfluß auf Massen zu nehmen. Eines seiner größten Handicaps, aber er würde nicht mehr von dem eingeschlagenen Weg abweichen. Sein eigenes Schicksal sah er eng verknüpft mit dem des Planeten Erde. Die wenigen loyalen Truppenteile und er begaben sich auf sehr dünnes, brüchiges Eis. Inbrünstig hoffte er, daß die Machtübernahme zum Wohl der Menschheit unblutig verlaufen würde. Eine

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unbesonnene Handlung seiner Soldaten konnte ein Blutbad anrichten.

Sie hatten die Funkstation erreicht. Mit leisem Zischen öffneten sich die Schotte und gaben den Blick ins Innere frei.

»Achtung!« Der Wachhabende salutierte vor dem Marschall und seinem Begleiter. Mit einem schnellen Blick hatte Ted Bulton erfaßt, daß sich alle im Raum Anwesenden erhoben hatten und auf seine Anweisungen warteten.

»Stehen Sie bequem, meine Herren. Der Ernst der Lage ist Ihnen allen bekannt! Ich möchte nochmals darauf hinweisen, daß sich jeder einzelne von Ihnen noch anders entscheiden kann. Ich bin keinem böse, wenn er sich im letzten Augenblick noch anders besinnt. Aber wenn Ihre Entscheidung gefallen ist, erwarte ich, daß jeder einzelne dazu steht und seine Pflicht erfüllt.«

Ted Bulton ging langsam auf den großen Bildschirm zu, der in der Mitte des Raumes stand. Der Wachhabende baute sich vor ihm auf.

»Marschall, ich möchte nochmals zum Ausdruck bringen, daß meine Männer und ich hinter Ihren Entscheidungen stehen und alles Notwendige tun werden, damit Terra gerettet wird. Jedem der Anwesenden ist die Verantwortung, die er übernimmt, bewußt!«

»Danke, Sherman!« Bulton schaute jeden einzelnen in der Funkzentrale lange

an. Er konnte spüren, daß sie ihm glaubten, und seinen Befehlen Folge leisten würden. Wieder einmal wurde ihm bewußt, welch schwere Verantwortung er und seine wenigen Getreuen übernommen hatten. Sein letzter Blick galt Fatener, der junge Leutnant hatte ihm immer treu gedient. Wenn alles vorbei war, die Macht an das Parlament zurückgegeben wurde, dann gab es wohl für diesen Jungen keinen Platz mehr in der Flotte. Bulton war klar, daß es später Säuberungsaktionen

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innerhalb der TF geben würde. Zu vielen der Parlamentsabgeordneten war das Militär im allgemeinen und Bulton und sein Stab im besonderen ein Dorn im Auge. Daß er selbst würde gehen müssen, hatte der Marschall eingeplant, es würde schmerzen, aber es war wohl unvermeidlich. Doris, seine Frau, würde es verstehen und ihm über das Ärgste hinweg helfen. Aber was würde ein Mann wie Fatener machen? In diesem Augenblick wurde dem Marschall bewußt, daß sie alle sich nie über ein später unterhalten hatten. Würde es überhaupt ein später geben? Würde es für ihn ein später geben?

Lautlos bewegte sich der große Sekundenzeiger der Wanduhr, überschritt den Zenit. Bulton schaute, wie sich der Minutenzeiger um eine Position weiterschob. Noch wäre alles rückgängig zu machen, Kolimas Sturmdivision in ihre Ausgangsposition zurückzubringen. Noch konnte er seine und Fateners Zukunft beeinflussen.

»Herr Marschall! Wir müssen mit der Sendung beginnen!« Shermans feste Stimme unterbrach ihn in seinen Gedanken.

Marschall Ted Bulton nahm in dem bequemen Drehsessel der Funkstation Platz. Mit sicherem Griff schaltete er den Sender ein. Bevor er mit seiner Rede an das Volk begann, drängte sich ihm eine Frage auf, die er unbeantwortet ließ, ja unbeantwortet lassen mußte.

Habe ich den Rubikon schon überschritten?

* * *

Mit gelangweiltem Blick schaute Steven Reagel auf das Vipho. »Blödsinnige Show«, murmelte er und griff in die auf dem

kleinen Tisch stehende Box. Mit einem geübten Pinzettengriff, der eigentlich nur kleinen Kindern zu eigen ist, fischte er einen Brocken »Soilent Green« aus der Box und schob es sich in den

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Mund. »Schmeckt genauso fade wie die Show«, stellte er fest. Schon lange hatte er es aufgegeben, von den vielen TV-

Sendem, die der Menschheit im Jahre 2061 zur Auswahl standen, etwas zu erwarten. Immer die gleichen einfallslosen Shows und Spielfilme, unterbrochen von den ewig gleichen und noch schlechteren Werbespots, in denen meist züchtig bekleidete junge Damen über die Wirksamkeit von Waschmitteln sprachen oder die ewige Jugend durch das Auftragen von diversen Pasten anpriesen.

Reagel schob sich einen weiteren Brocken des Modesnacks in den Mund, spülte die trockene Masse mit einem Schluck lauwarmem Syntho-Bier runter und schüttelte sich im gleichen Moment heftig und angewidert. Sein Blick galt nun dem Handchronometer.

Gleich Vier! Zeit, um zur Arbeit zu gehen. Er hatte sich schon halb erhoben, als sein Blick zurück auf

den TV-Schirm fiel. Die Show war unterbrochen worden. Dort wo eigentlich irgendwelche Hupfdohlen ihre formvollendeten Beine in die Luft schwingen und ihre spärlich bekleideten Körper zur Schau stellen sollten, prangten die goldenen, ineinander verschlungenen Insignien der Flotte. Steven ließ sich zurück in den Sessel fallen und starrte gebannt auf den Schirm. Das Blau war verschwunden. An seiner Stelle war nun Marschall Ted Bulton zu sehen. Zum erstenmal seit langer Zeit vermochte das Programm ihn wieder zu fesseln – unterbrach sein langweiliges Leben.

»Terranische Mitbürger, von tiefen Sorgen um das Wohl der Menschheit geplagt, wende ich mich heute an Sie alle, um Ihnen die Entschlüsse der...«

Reagel vergaß komplett, daß er sich eigentlich auf den Weg zur Arbeit machen mußte, und schaute weiterhin gebannt auf das, was vor ihm auf dem TV-Schirm ablief. Bultons Sendung war unterbrochen worden. Genauso wie kurz vorher die Show

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mit den Hupfdohlen einfach abgewürgt worden war, erging es nun dem Marschall. Anstelle des Oberbefehlshabers der Flotte schoben sich die Symbole der Weltregierung ins Bild. Nach einigen Sekunden wurden sie durch Henner Trawisheim ersetzt. Als der Stellvertreter Dharks zu sprechen begann, konnte Steven Reagel nicht wissen, daß sich an anderer Stelle des Planeten die Ereignisse überschlugen.

* * *

»Basis an Einheit eins, der Tanz beginnt! Basis Ende.« Bram Sass, einer der ältesten Cyborgs und Weggefährte von

Ren Dhark, phantete. Seinem Gesichtsausdruck konnte niemand ansehen, daß der Cyborg auf sein zweites System geschaltet hatte. Er startete den Lastgleiter, bugsierte ihn aus der Parkposition zurück zum Leitstrahl, der sich unsichtbar in der Mitte der Fahrbahn befand. Mit einem schnellen Blick durch die Frontscheibe des Gefährtes vergewisserte sich der Cyborg, daß vor dem TF-Gebäude alles ruhig geblieben war. Sass erhöhte die Geschwindigkeit des Transporters. Immer schneller bewegte sich der Gleiter. Die Hand des Cyborgs griff nach dem auf dem Nebensitz abgelegten Weichenregulator. Das moderne Leitstrahlsystem für die Überwachung des Verkehrsflusses mußte ausgeschaltet werden! Es wurde nicht zugelassen, daß sich ein Gleiter mit hoher Geschwindigkeit auf ein Gebäude zubewegte. Sass aktivierte den Regulator und polte so die Leitstrahlweiche vor dem TF-Gebäude um. Innerhalb von Sekundenbruchteilen hatte er die 70 Meter, die ihn vom Feind trennten, überwunden.

Mit einem lauten Krachen raste der Lastgleiter in das Portal hinein. Glas splitterte, Metallteile, die einst einen Rahmen um die Eingangstür gebildet hatten, wurden nach innen gedrückt. Gleichzeitig gab es eine heftige Detonation. Betonteile wurden

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vom Gebäude abgesprengt, rasten mit heulendem Getöse durch die Luft. Mit ungeheurer Wucht bohrte sich die zusatzgepanzerte Spitze des Lastgleiters in die Eingeweide des Gebäudes, rissen es auf. Noch bevor das schwere Gefährt zum Stillstand kam, öffnete sich die Ladeklappe des Containers. Schwerbewaffnete Männer sprangen heraus, rollten sich ab und gingen sofort zum Angriff auf die verwirrten Wachen über. Mehrere gezielte Blasterschüsse, und der Widerstand war gebrochen.

»Carrell, Eingang sichern und die Wachen im Park ausschalten. Der Rest folgt mir in die oberen Stockwerke! Jeglicher Widerstand ist im Keime zu ersticken!« Bram Sass erteilte seine Anweisungen schnell und präzise. Jeder an diesem Einsatz beteiligte Cyborg wußte, was er zu tun hatte. Ohne sich weiter um das Geschehen in und außerhalb der Halle zu kümmern, stürmte Sass die Treppen hinauf. Ihm folgten Cyborgs, die zu allem entschlossen waren.

* * *

Auch Heyne und Jurgasson hatten den Beginn von Bultons Rede im Fond ihres Transportpanzers mitgehört. Seit nunmehr über einer Stunde waren sie in der engen Fahrerkabine des Transportpanzers. Sitzbereitschaft war befohlen. Also saßen sie. Saßen und warteten, was geschehen würde. Dann kam Bultons Rede, und so langsam dämmerte es den beiden Obergefreiten, gegen wen sie eingesetzt werden sollten. Kolima hatte zwar verlauten lassen, daß die Sicherheit der Erde auf dem Spiel stand, und daß die Division für Ruhe und Ordnung sorgen sollte, aber er hatte ihnen nicht gesagt, daß ein Putsch stattgefunden hatte. Denn nichts anderes konnten die Worte Bultons bedeuten. Dann war diese zweite Sendung gekommen. Trawisheim sprach lange und eindringlich zur

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Weltbevölkerung. Redete von einer kleinen Clique rebellischer Militärs, die versucht hätten, die Macht im Staate an sich zu reißen. Die Rebellen, an deren Spitze Ted Bulton und der Stab der TF stehen würden, wären von den Cyborgs entweder getötet oder verhaftet worden.

Trawisheim sprach noch weiter, aber die beiden im Fond ihres Panzers hörten nicht mehr zu, über die Divisionsleitung meldete sich der Gefechtsstand.

»Soldaten der 78. Sturmdivision. Niemals zuvor in der Geschichte der Menschheit war unser Planet so bedroht wie heute. Ein Feind, der unheimlicher nicht sein könnte, hat Besitz von den fähigsten Köpfen der Menschheit ergriffen, hat ihr Denken und Handeln beeinflußt. Es ist daher unsere Pflicht, diesen Feind mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln zu bekämpfen! Cyborgs, einst die Freunde des Menschen, bedrohen die militärische Führung des Planeten. Ob Marschall Bulton und der Stab der TF noch Herren der eigenen Sinne sind, darüber kann im Moment nur spekuliert werden. Wir werden gegen diesen Feind vorgehen und ihn mit aller Härte bekämpfen. 78. Sturmdivision, auf euren Schultern liegt das Schicksal der Menschheit! 78. Sturmdivision, marsch!«

Mit einem tiefen Summen sprangen die Motoren der Panzerfahrzeuge an. Von allen Standorten der Division kamen die Klarmeldungen. Oberst Kolima fühlte sich zwar nicht besonders wohl in seiner Haut, trotzdem nahm er es mit großer Genugtuung auf, daß sich sein Verband planmäßig in Bewegung setzte. Fahrzeug um Fahrzeug verließ den Paradeplatz; glitten auf den Prallfeldern ihrem Ziel entgegen. Von allen Stützpunkten, die rund um Sumburgh lagen, rollten die gepanzerten und ungepanzerten Teile der Division in die befohlenen Bereitstellungsräume. Knapp dreißig Minuten nach dem Marschbefehl, erreichten die ersten Teile des Verbandes die nahegelegene Küste. Verband um Verband gliederte sich an

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der festgelegten Position ein. Langsam formierte sich die 78. Division zu einem geschlossenen Kampfverband. Ein Verband, der, ging es nach dem Willen Kolimas, über das Schicksal des Planeten Erde entscheiden würde. Aber ging es nach Kolimas Willen?

Die Lunte, von Echri Ezbal und seinen Gehilfen unter dem Einfluß des Mensiten stehend an das Pulverfaß Terra gelegt, war abgebrannt – die Detonation stand unmittelbar bevor. Es gab niemanden mehr, der die folgenden Ereignisse aufhalten konnte. Der Countdown des Todes hatte begonnen.

* * *

Immer zwei Stufen auf einmal nehmend hastete Bram Sass, gefolgt von seinen Leuten, die breite Treppe hinauf, den oberen Stockwerken und somit dem Feind entgegen. Dem Cyborg war klar, daß sie diese Schrecksekunden nutzen mußten, denn je mehr Zeit verstrich, umso heftiger würde der Widerstand der TF-Angehörigen im Gebäude werden. Trawisheim hatte zwar Verstärkung versprochen, aber Sass war sich nicht sicher, wann die eintreffen würde. Außerdem verbot es sein Cyborgstolz, geschürt von den Mentalimpulsen des Mensiten, für eine so kleine Operation Verstärkung in Anspruch zu nehmen.

Schon hatten sie die obersten Treppenstufen zum nächsten Stockwerk erreicht. Sass schickte sich an, vorsichtig um den Treppenvorsprung herum zu blicken. Noch bevor er seinen Körper auch nur wenige Zentimeter in den halbdunklen Gang hineingeschoben hatte, hörte er das charakteristische Zischen eines Blasters. Der Cyborg ließ sich augenblicklich fallen. Eine Woge heißer Luft streifte sein Gesicht, und an dem Geländer der Treppe tropfte verflüssigtes Metall auf den Boden.

»Carrell, Blendgranate, schnell!« brüllte Sass.

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Befriedigt registrierte er, wie die tennisballgroße Granate in der Dunkelheit des Ganges verschwand. Nur ein paar Augenblicke später war die ganze Umgebung in gleißende, schmerzende Helligkeit getaucht.

»Los, Männer, mir folgen!« Sass wartete nicht länger, er sprang auf und schnellte in den Gang hinein. Gleichzeitig mit ihm eröffneten die anderen Cyborgs das Feuer aus ihren Blasterkarabinern. Lichtschnelle Bahnen aus reiner Energie schlugen in den Körper des TF-Soldaten ein, verwandelten ihn und seine Umgebung in ein tobendes, waberndes Inferno aus Energie. Als die Männer den Beschuß einstellten, kochten die Wände und der Boden des Stockwerkes. Von dem Soldaten, der auf Bram Sass geschossen hatte, war nichts mehr zu sehen.

Von überall her konnte der Cyborg nun den Gefechtslärm und das Explodieren von Granaten hören. Genau das, was er befürchtet hatte, war eingetreten, der Widerstand verstärkte sich. Irgendwo über ihnen mußten sich Bulton und sein Stab befinden. Wenn sie ihn erreicht hatten, würde der eigentliche Kampferst beginnen.

»Erdgeschoß freigekämpft, befindet sich unter unserer Kontrolle! Stoßen weiter in die tieferen Stockwerke vor!« konnten Sass und Carrell aus dem Vipho hören. Mit einem kurzen Seitenblick überzeugte sich Bram davon, daß der Mann am Vipho die Meldung bestätigte und den eigenen Standort an die Zentrale meldete.

»Weiter«, knurrte Carrell, mit einem kurzen Ruck entfernte er das Magazin aus dem Blaster. Scheppernd fiel es auf den Boden. Mit einem geübten Griff langte der Cyborg in seine Einsatzkombination und führte ein frisches Magazin in den Blasterkarabiner ein. »Die Hauptzentrale ist noch drei Stockwerke höher.«

* * *

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»Wie sieht es aus, Fatener?« Marschall Ted Bulton ging unruhig vor dem Kartentisch der Operationszentrale auf und ab, dabei machte er sich die größten Vorwürfe. Wie hatte er nur den Einsatz der Cyborgs übersehen können?

»Schlecht, Herr Marschall. Wie es genau ausschaut, kann ich im Moment noch nicht sagen, dafür sind die Meldungen zu unübersichtlich. Die unteren Stockwerke befinden sich aber auf jeden Fall in der Hand des Gegners. Auf der zweiten Etage gibt es noch hinhaltenden Widerstand. Den meisten Männern fehlt die Kampferfahrung, und selbst wenn sie die hätten, niemand hat ihnen beigebracht, wie sie gegen Cyborgs kämpfen sollen! Ist wohl nur eine Frage der Zeit bis sie hier sind!« erwiderte Leutnant Fatener.

»Versuchen Sie mir umgehend eine Verbindung mit den 78ern herzustellen! Kolima muß her! Ohne wenigstens einen Teil seiner Truppen halten wir uns nicht lange!« Bultons Stimme zeigte nicht die geringsten Anzeichen von Nervosität, aber Fatener wußte, wie es im Inneren des Marschalls aussah.

»Sir, Sir, wir bekommen keine Verbindung mit Kolimas 78ern! Irgendetwas stört unsere Geräte!« Der kleinwüchsige Soldat am Vipho drehte sich halb um und sah den Marschall verzweifelt an.

»Schon gut, Norgrad«, tröstete Ted Bulton den verzweifelten Mann. »Versuchen Sie es einfach immer weiter.«

* * *

»Sie kommen!« Gefreiter Wolten schaute die breiten Treppenstufen hinunter. Irgendwo dort unten in der Dunkelheit konnte er die Cyborgs wüten hören. Kleinere Brände waren in den tieferen Stockwerken entbrannt. Gespenstischer Widerschein, erzeugt von den Blasterschüssen, loderte zu den

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letzten Verteidigern des TF-Gebäudes herauf. Wolten starrte in die mit beißendem Qualm durchsetzte

Dunkelheit. Dumpfe, entfernte Explosionen waren zu hören. Einer der

Vorposten kam die Stufen herauf gerannt und warf sich hinter die aus Büroeinrichtungen bestehende provisorische Sperre.

»Sie müssen jeden Augenblick hier sein!« hörte Wolten den Mann stammeln. »Unter uns sind nur Cyborgs und Tote. Mein Gott... so viele Tote! Sie schlachten alles und jeden ab!«

Wolten drehte den Kopf weg, er hatte genug gehört. Hier würden sie nicht mehr raus kommen. Langsam zog er sich von der Treppe zurück in den vermeintlichen Schutz ihrer hastig angelegten Stellung. Seit die Cyborgs die Energiezufuhr im gesamten Gebäude unterbrochen hatten, war die Dunkelheit zu ihrem Freund geworden. Wie besagte ein alter militärischer Grundsatz: Die Nacht ist der Freund der Schwachen. Ob das hier auch zutraf, wagte der Gefreite zu bezweifeln. Denn hier stand ihnen ein Feind gegenüber, auf den die Lehrsätze aus dem Handbuch für Soldaten nicht anzuwenden waren.

»Fertig machen, Männer!« ertönte die Stimme von Leutnant Xato aus der Dunkelheit. Es konnte nur noch wenige Sekunden dauern, bis das große Töten auch hier begann.

* * *

Langsam, doch immer mehr an Kraft gewinnend, vertrieben die Lichtstrahlen der Sonne die Frühnebel aus den Straßenschluchten von Alamo Gordo. Die Menschheit des Jahres 2061 hatte zwar die Kontrolle über das planetare Wetter längst in ihre Gewalt gebracht, aber man wollte den Ablauf der Jahreszeiten nicht mehr als nötig beeinflussen. So mußte sich der Mensch immer noch mit Nebel, Regen und sonstigem meteorologischen Unbill abfinden.

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Charly Snide, einst als schwachsinnig abgestempelt und zusammen mit seinem Bruder George von der Gesellschaft verstoßen, ließ sich die ersten Sonnenstahlen, die durch die Oberlichter des TF-Gebäudes drangen, ins Gesicht scheinen. Gelangweilt blickte er den Gang entlang. Ganz am Ende, fast sechzig Meter entfernt, konnte er die Umrisse eines menschlichen Körpers erkennen. Ohne daß man es ihm gesagt hatte, wußte Charly, daß dort sein Bruder patrouillierte. Die beiden Brüder waren durch ein parapsychisches Band untrennbar miteinander verbunden. Auch als die beiden zu Cyborgs gemacht wurden, war dieses Band nicht zerrissen. Selbst Ezbal konnte nicht sagen, was die beiden Brüder miteinander verband. Was es auch immer sein mochte, es funktionierte auch über große Entfernungen hinweg. Dinge, die einer der beiden erlebte oder die ihm angetan wurden, spürte der andere instinktiv.

Charly schulterte seinen Strahlenkarabiner und begab sich an das Panzerschott, das nur wenige Schritte von ihm entfernt lag. Ein kurzer Druck auf das Sensorfeld aktivierte einen kleinen Bildschirm, der oberhalb des Kontrollpanels angebracht war. Mit einem schnellen Blick vergewisserte sich der Cyborg, daß sich im Inneren des Raumes nichts rührte. Obwohl die Beleuchtung des Raumes abgeschaltet worden war, konnte der Cyborg die Umrisse des hier Eingesperrten ausmachen. Dank seines Phantzustandes war er auf Hilfsmittel, wie etwa Lichtquellen, nicht angewiesen. Befriedigt schaltete Snide den Schirm ab. Charly wandte sich von der Zelle ab und trat wieder unter das Oberlicht. Sofort spürte er die wärmenden Strahlen auf der Kopfhaut. Er mochte es, sich von den Sonnenstrahlen bescheinen zu lassen. Mit geschlossenen Augen ließ er sich an der Gangwand zu Boden gleiten, immer darauf bedacht, so viel Sonne wie möglich auf sein Gesicht scheinen zu lassen. Seinen Gefangenen, Marschall Ted Bulton,

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wußte er sicher hinter der Tür aus massivem Tofirit. Selbst der Teufel hätte den einst mächtigsten Mann des Militärs nicht aus der Zelle holen können.

Es mochten einige Minuten vergangen sein, in denen sich Charly ganz seinem Vergnügen hingegeben hatte, als er mit einem Mal hellwach war. Ganz deutlich hörte er Schritte. Schritte, die sich langsam aber ganz zielstrebig seiner Position näherten. In einer fließenden Bewegung stand er auf und brachte seinen Strahler in den Anschlag. Die Schritte kamen näher. Charly Snide warf einen Blick hinter sich. Sein Bruder George hatte es gespürt und ebenfalls eine Abwehrhaltung eingenommen. Charly Snide atmete kaum merklich aus, sein ganzer Körper war auf das Höchste angespannt. Dank des Phantens hörte er alle Geräusche um sich herum doppelt so laut wie sie ein Nichtcyborg gehört hätte. Da – es mußten mindestens zwei Personen sein, die sich ihm näherten. Er hörte ein leises Scheppern, so als würde eine Metallstange auf den Boden aufgesetzt. Seiner Empfindung nach mußten die beiden Personen in einem der Nebengänge sein. Charly überlegte kurz, ob er ihnen entgegen gehen sollte, um so das Überraschungsmoment auf seiner Seite zu haben, aber noch bevor er den Gedankengang zu Ende gebracht hatte, wurde er angerufen.

»Snide, alles in Ordnung?« fragte Jan Burton besorgt. Er kannte die Snide-Brüder schon einige Zeit. Mit ihnen und Ren Dhark hatte er den Vorstoß nach Erron-1 gewagt. Schon damals war er sich nicht ganz im klaren darüber gewesen, ob die beiden Brüder nicht trotz ihres Cyborgstadiums verrückt geblieben waren. Er hatte nie über seine Zweifel gesprochen, aber hier und heute sah es für Burton so aus als wäre Charly Snide vollkommen durchgeknallt. Er erinnerte sich noch ganz deutlich an die entarteten Cyborgs Dordig und Mildan, auch bei ihnen war immer wieder eine Phase der vollkommenen

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Abwesenheit aufgetreten. Leider hatte er den Fall der beiden damals nicht weiter verfolgt und wußte nicht, was aus ihnen geworden war.

»Ja, ja«, brummte Charly, »ich bin voll da. Was treibt dich denn hierher?«

»Befehl von Trawisheim. Wir sollen Bulton zum Verhör abholen und in die Zentrale bringen. Also setz deinen Hintern in Bewegung und übergib uns den Marschall!«

Erst jetzt erkannte Charly den Begleiter von Jan Burton. Es war Mark Carrell, Cyborg der Null-Serie der Zweiten Generation. Carrell verkörperte den neuen Cyborgtyp. Sein Körper war planmäßig mit den gefährlichen F-Viren des Planeten Bittan verseucht worden. Diese Viren hatten das früher gebräuchliche Adhesiv-Steuergerät abgelöst. Nach den erfolgreichen Experimenten mit Mark Carrell hatte Echri Ezbal darauf gedrängt, alle Cyborgs auf das neue F-Virensystem umzustellen.

Außer Henner Trawisheim gab es im Jahre 2061 keinen Cyborg mehr, dessen Körper nicht mit den Viren des 404­Systems verseucht war.

Mit einer Schnelligkeit, die man Charly Snide nicht zugetraut hätte, öffnete er die Zellentür von Bultons Gefängnis, stürmte hinein und trieb den Marschall unter Zuhilfenahme des Karabinerkolbens auf den Gang hinaus.

»Los Marschall, dein Typ wird verlangt!« verhöhnte Snide Ted Bulton. Mit einem kräftigen Stoß beförderte er Ted Bulton vor die beiden Cyborgs.

Bulton, der auf diese Brutalität nicht vorbereitet war, stolperte und fiel vor Carrell hin.

»Na, na, Bulton, es ist dir doch noch gar nichts passiert«, erklang die von Spott durchzogene Stimme Burtons.

Und um Ted Bulton zu zeigen, was alles noch passieren könnte, stieß Charly Snide dem Marschall den Kolben seines

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Gewehres mit aller Kraft zwischen die Schulterblätter. Bulton brach vor dem höhnisch lachenden Mark Carrell zusammen.

Snide erhob erneut den Strahlenkarabiner und zielte auf den Kopf des wehrlosen Mannes. Gerade als er zustoßen wollte, zog Carrell den mittlerweile bewußtlosen Marschall zur Seite. Krachend donnerte der Kolben auf den Gangboden. Snide, von der Reaktion vollkommen überrascht, konnte seinen Körper nicht mehr unter Kontrolle halten, und von dem Schwung des Schlages mitgerissen landete er unsanft auf dem Boden. Mark Carrell und Jan Burton brachen in schallendes Gelächter aus.

Burton warf sich den bewußtlosen Ted Bulton über die Schulter und danach marschierten die beiden Cyborgs davon.

Zurück blieb ein verdrießlich dreinblickender Charly Snide.

* * *

»Willkommen in der Wirklichkeit!« Gleichzeitig mit den Worten Henner Trawisheims drang auch das höhnische Lachen einer Person, die er kannte, an das Ohr von Marschall Ted Bulton. Mit schmerzverzerrtem Gesicht erhob sich der einst mächtigste Militär Terras vom kahlen Boden des Raumes. Mit einem schnellen Blick vergewisserte sich Bulton, daß er sich nach wie vor im TF-Gebäude befand. Vor dem Marschall hatten sich mehrere Leute versammelt.

Er erkannte den Cyborgschöpfer Ezbal, begleitet von der Person, die als erste von dem Mensiten versklavt worden war – Cyra Simmons. Hinter den beiden Wissenschaftlern jedoch verbarg sich jemand, den Ted Bulton am allerwenigsten hier erwartet hätte: Jossip Waranow, der Falke!

»Das war es dann wohl, Bulton!« Trawisheim sprach genüßlich und langsam zu dem Marschall. »Ihre kleine Palastrevolution ist beendet. Haben Sie wirklich geglaubt, Sie könnten mit Ihren lächerlichen Maßnahmen unsere Pläne

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vereiteln? Wie Sie unschwer erkennen können, hat sich auch ein Teil Ihrer Revolutionsarmee uns angeschlossen.«

Der Cyborg deutete auf den ehemaligen Mitstreiter Bultons. An dem Tonfall Trawisheims konnte Ted Bulton erkennen, daß der Stellvertreter Dharks keine Antwort erwartete.

Trawisheim fuhr zynisch fort: »Ich vergaß zu erwähnen, daß Ihre Busenfreundin van Maarten ebenfalls unsere Gastfreundschaft genießt. Sie bedauert es allerdings sehr, daß ihre momentane Situation es nicht erlaubt, Besucher zu empfangen. Aber sehen Sie selbst, Marschall!«

Lautes Gelächter erfüllte den Raum. Jossip Waranow bohrte den Lauf seines Blasters in den Rücken von Bulton und drückte ihn mit brutaler Gewalt zu einem der vielen Vipho-Schirme. Augenblicklich erkannte Bulton, was sich vor seinen Augen abspielen sollte. Der Schirm zeigte eine der vielen Lagerhallen des Raumhafens Cent Field. Die hintere, glatte Wand wurde von gleißendem Scheinwerferlicht angestrahlt. Die Scheinwerfer waren so ausgerichtet, daß Ted Bulton nur diese Wand sehen konnte, alles andere der Halle lag in Dunkelheit.

»Fangt an!« hörte Bulton die Stimme von Trawisheim hinter sich.

Mehrere Soldaten, Bulton konnte anhand der Divisionsabzeichen erkennen, daß es sich um Waranows Männer handelte, eskortierten Admiralin van Maarten zu der Wand hin. Dort angekommen, wurde die Frau herumgedreht. Obwohl Ted Bulton nichts weiter in der Halle erkennen konnte und auch nur die Schritte der Admiralin und der Soldaten zu hören waren, wußte der Marschall genau, was sich nun ereignen sollte.

»Das können Sie nicht tun, Trawisheim! Das wagen Sie nicht!« stieß Ted gepreßt hervor und schaute dabei in das stahlgraue, ausdruckslose Gesicht des Cyborgs.

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»Können? Wagen?« schrie Trawisheim ihn an. »Bulton, Sie scheinen vergessen zu haben, wer hier das Sagen hat. Ich kann und wage alles was ich möchte. Aber Sie haben recht, Bulton, die arme Admiralin hat es nicht verdient, so allein dort zu stehen.«

Trawisheim machte eine kurze Handbewegung in Richtung Ezbal. Der alte Brahmane nickte kaum merklich und verschwand hinter einer Steuerkonsole. Ted konnte leises Stimmengemurmel hören. Dann zwang ihn Waranow, indem er ihm den Blaster an den Kopf hielt, wieder auf den Schirm zu starren.

Mittlerweile hatten die Soldaten der Frau das Gesicht mit einem alten Sack oder Lappen verdeckt.

In den hellen Lichtkreis der Deckenbeleuchtung waren erneut Soldaten getreten. Sie führten eine männliche Person zur Wand hin. Ein Schrei des Entsetzens entfuhr dem Marschall. Obwohl der größte Teil des Kopfes des Eskortierten ebenfalls von Stoffetzen verdeckt wurde, erkannte Ted Bulton seinen Weggefährten Fatener sofort.

Die Soldaten hatten ihr Ziel erreicht. Genau wie die Admiralin zuvor wurde auch Fatener mit dem Rücken zur Wand gestellt. Eilig entfernten sich die Männer Waranows, um etwa zehn Meter vor den beiden Delinquenten Aufstellung zu nehmen. Ted Bulton wollte die Augen schließen, um nicht mit ansehen zu müssen, wie zwei seiner Freunde ihrem Ende entgegen sahen, aber er konnte es nicht. Mit verzerrtem, wutentbranntem Gesicht mußte er auf die beiden schauen.

»Exekutionskommando, stillgestanden!« ertönte plötzlich eine befehlsgewohnte Stimme aus der Halle. Bulton war sich sicher, diese Stimme schon einmal gehört zu haben, konnte sie aber im Augenblick niemanden zuordnen.

»Exekutionskommando, legt an!« Bulton versuchte, den Blick vom Geschehen abzuwenden,

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aber der Blaster Waranows zwang den Marschall wieder auf den Schirm zu starren.

»Exekutionskommando! Feuert!!« Ohnmächtig sah Marschall Ted Bulton seine Weggefährten

sterben. Er hatte das Gefühl, die acht dünnen, sonnenhellen Energiestrahlen aus den Blastern der Soldaten auf seine Mitstreiter zueilen zu sehen. Sah, wie sie in die Körper einschlugen. Fleisch verdampfend, sich einen geraden Weg durch menschliches Gewebe suchend.

Bulton konnte nicht mehr. Er schloß die Augen. Aber es half nichts. Immer wieder sah er die Bilder der Sterbenden vor sich. Glaubte, die Schreie der Gequälten zu hören.

Ted Bulton vermochte nicht zu sagen, ob Sekunden oder Stunden vergangen waren, als Henner Trawisheim ihn ansprach: »Schauen Sie genau hin, Bulton! Hoffentlich erkennen Sie nun wie groß unsere Macht tatsächlich ist! Und nun pfeifen Sie Ihren Spezi Kolima zurück. Sofort!«

* * *

Man schrieb den 19. August 2061, gegen 18:00 Uhr Normzeit, als sich Cyra Simmons aufmachte, in die Sendezentrale des Regierungssenders zu gehen.

38 Stunden waren seit der Besetzung des TF-Hauptquartiers vergangen.

38 Stunden, die das Gesicht des Planeten verändert hatten. Auch wenn die große Masse der Bevölkerung noch immer nicht genau wußte, was eigentlich passiert war. Die meisten Schlüsselpositionen waren in der Hand der Mensitenbefallenen. Endlich würde Ezbal mit der planmäßigen Verteilung des Mensiten über den gesamten Planeten beginnen können.

Im Geiste rekonstruierte Cyra die Rede, die sie in den

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letzten zwei Stunden vorbereitet hatte. Jedes Detail mußte sitzen! Nur wenn alles so klappte, wie es im Drehbuch des Autors Trawisheim stand, würde die Bevölkerung Terras die Erklärungen schlucken und eine größere Panik ausbleiben.

Auch wenn der vermutlich gefährlichste Gegner, Ted Bulton und die ihm zur Verfügung stehenden Militärs, weitestgehend ausgeschaltet waren, gab es immer noch Institutionen von denen Gefahr drohte.

Zum Beispiel: Bernd Eylers' GSO. Cyra durchschritt die Pforten des Senders und begab sich

zum Empfang hin. »Wo finde ich Trawisheim?« fragte sie den Posten, der

gelangweilt hinter dem Counter saß und in einem Magazin blätterte.

»Vierter Stock«, murmelte der Mann und widmete sich wieder seiner Beschäftigung.

Ohne sich weiter um den Posten zu kümmern, ging die junge Frau auf den A-Gravlift zu. Sanft nahm die Strömung den Körper der Wissenschaftlerin auf und beförderte sie nach oben.

In der vierten Etage verließ Cyra Simmons den Schacht und schritt mit sicheren, schnellen Schritten auf die Doppeltüren am Ende des hellbeleuchteten Ganges zu. Leise öffnete sie die Türen und betrat das Studio. Ein kurzer Rundblick und sie hatte erkannt, daß alle Akteure anwesend waren.

»Cyra!« Henner Trawisheim kam mit geöffneten Armen auf die Frau zu. Gerade so als verkörpere er die Rolle des guten Onkels.

»Schön, Sie zu sehen. Ich glaube, wir sollten nochmals alle Aspekte der Rede durchsprechen. Kommen Sie mit. Hier finden wir nicht die nötige Ruhe.«

Trawisheim wartete auf keine Antwort. Noch ehe sich Cyra Simmons versah, hatte der Cyborg sie auch schon durch das

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halbe Studio gezogen und verschwand mit ihr in einer der vielen Garderoben. Nur wenige Augenblicke später betrat auch Ezbal in Begleitung eines weiteren Cyborgs den kleinen Raum. Cyra überlegte, woher der Vater der Cyborgs von der Zusammenkunft gewußt hatte.

»In genau...«, begann Trawisheim und sein Blick galt der großen Garderobenwanduhr, »... 47 Minuten gehen wir auf Sendung. Im großen und ganzen ist der Sinn und Zweck dieser Veranstaltung allen Anwesenden bekannt und es sollten keine Fragen mehr offen sein.«

Henner Trawisheim unterbrach sich und schaute die Anwesenden der Reihe nach an. Am schönen Gesicht der Stellvertreterin Ezbals verharrte er. Als diese kaum merklich nickte, fuhr er fort: »Gut, beziehungsweise nicht so gut! Würden wir es nur mit der Bevölkerung Terras zu tun haben, dann stellte diese Rede keine so großen Anforderungen dar. Es können aber einige Probleme auf uns zukommen, an die im Vorfeld niemand gedacht hat!«

Wieder unterbrach sich der Cyborg kurz. Er verschränkte die Arme vor der Brust und sprach weiter: »Wie bereits gesagt, die Bevölkerung stellt kein so großes Problem dar. Wir haben es aber leider auch noch mit Eylers' GSO und einigen anderen Menschen zu tun, die entweder über gute Informationsquellen verfügen, oder genügend Hintergrundwissen haben und eins und eins zusammenzählen können. Ich denke hier an die diversen Pressehäuser und einige Parlamentsangehörige! Unsere Aktionen am Raumhafen und im TF-Gebäude waren zwar effektiv und sehr erfolgreich, wir können aber leider nicht ganz ausschließen, daß irgend jemand vielleicht doch mehr mitbekommen hat als für unsere Zwecke gut wäre.«

»Trawisheim«, fiel Echri Ezbal ihm ins Wort, dabei verfinsterte sich seine Miene deutlich und das von den Anstrengungen der kürzlichen Mensitenübernahme

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ausgemergelte Antlitz verzog sich zu einer wilden, dämonischen Fratze. »Worauf wollen Sie eigentlich hinaus? Uns allen ist klar, daß es ein Restrisiko gibt! Aber es gibt nichts, mit dem meine Cyborgs nicht fertig werden!«

»Echri, gerade die unkontrollierten Aktionen Ihrer Cyborgs sind der Grund, weshalb wir sehr vorsichtig sein müssen«, entgegnete Henner Trawisheim dem Brahmanen scharf. »Und nun passen Sie auf! Cyra, Sie werden Ihren Teil der Rede auf das Notwendigste beschränken. Halten Sie sich mit wissenschaftlichen Erklärungen zurück! Dort draußen...«, der Cyborg deutete mit seiner Hand auf eines der kleinen Fenster, hinter dem die Lichter des abendlichen Alamo Gordo zu sehen waren, »... dort draußen gibt es mehr Menschen mit wissenschaftlich geschultem Verstand als uns lieb sein kann. Sie würden wir mit zu viel Detailwissen mißtrauisch machen. Halten Sie sich an allgemeine Aussagen. Sie sollten für 90% der Bevölkerung als Erklärung ausreichend sein!«

Trawisheim schaute wieder alle Anwesenden genauestens an, so als wolle er persönlich nachprüfen, ob seine Worte richtig verstanden worden waren. Scheinbar war der Cyborg auf geistiger Ebene mit dem Ergebnis zufrieden, denn er fuhr fort: »Nun, meine Herrschaften, kommt die Fahrplanänderung! Im Anschluß an unsere Sendung, werden Sie, Ezbal und Cyra, ins Brana-Tal zurückkehren. Stoppen Sie die Vorbereitung für die Verbreitung des Mensiten. Wir werden ein bis zwei Tage abwarten, bevor wir zum großen Schlag ausholen. So stellen wir hoffentlich sicher, daß es zu keinem unübersehbaren Chaos kommt. Morgen schicke ich Ihnen dann auch die Cyborgs. Es ist besser, wenn sie eine Weile von der Bildfläche verschwinden. Sie werden uns im Tal nützlicher sein als hier. Außerdem begegnen wir so unnötigen Fragen. So, meine Herrschaften, wenn es keine weiteren Einwände oder Fragen gibt, dann packen wir es an!«

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* * *

»Packen wir es also an!« sprach auch der einsame alte Mann am Ende der Theke von Giligans Bar zu sich selbst. Mit einem kurzen Ruck, der jahrelange Übung verriet, hob er den Plastikbecher an den Mund und schluckte die glasklare Flüssigkeit in einem Zug runter. Dann schüttelte er sich. Obwohl es ihm eigentlich nichts mehr hätte ausmachen dürfen, brannte die Flüssigkeit, die Giligan als reinen Whiskey aus Schottland verkaufte, in seiner Kehle.

Wäre den Besuchern von Giligans Bar bekannt gewesen, daß ihr Wirt seine angeblichen Qualitätsprodukte aus den dunklen Kreisen der Unterwelt bezog, und niemand garantieren konnte und wollte, daß längerer Verzehr keine bleibenden Schäden verursachte, hätte sich Giligans Umsatz wohl drastisch verringert, aber es war nicht bekannt, und der Wirt sorgte mit »schlagendem« Nachdruck dafür, daß es so blieb.

Trotz des Betriebes an diesem Nachmittag bemerkte niemand, wie der alte Mann langsam kopfüber auf den Tresen der schummrigen Bar sank und einzuschlafen schien. Sein Gesicht lag dabei verdächtig nahe an einer Alkoholpfütze, von der niemand sagen konnte wie lange sie schon dort war und um welche Art von Stoff es sich handelte. Vielleicht bemerkte es auch jemand, aber Giligans Bar war nicht der Ort, an den man kam, um Nachbarschaftshilfe zu praktizieren.

Giligan, einer der wenigen Wirte, die es auch im Jahr 2061 vorzogen selbst zu bedienen und der keine Servierroboter in seinem »Etablissement« duldete (so seine Version der Dinge, seine wenigen Freunde behaupteten, er wäre zu geizig, um Servo-Robs anzuschaffen, und die Wirklichkeit war wie stets in solchen Fällen eine ganz andere: Giligan konnte sich keine Servo-Roboter leisten), schob seinen mächtigen, vom Alkohol

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aufgedunsenen Körper in Richtung Tresenende. Daß er dabei einige mit Synthobier gefüllte Becher mit sich riß, störte ihn nicht. Als er den Alten erreicht hatte, gab er ihm einen kurzen Stoß in die Rippen.

»Ryan, Ryan...«, schnauzte er den Mann an. »Wach auf und schieb ab, für heute hast du genug!«

Der Angeschnauzte hob müde den Kopf und Giligan schaute in ein leeres, ausdrucksloses Gesicht. Giligan hörte, daß der Mann mit dem Namen Ryan irgendetwas vor sich hinmurmelte, gab sich aber gar nicht erst die Mühe, es verstehen zu wollen.

»Ryan, du siehst furchtbar aus. Mach mal Pause mit dem Saufen – du bist dem Friedhof näher als du glaubst. Und nun verschwinde endlich!«

Giligan stellte mit Zufriedenheit fest, daß Ryan wirklich anhob, die Bar zu verlassen. Aber bevor er den Ausgang erreichte, drehte er seinen Kopf zu Giligan hin. Mit schwerer Zunge nuschelte er: »Ich werde es tun, Giligan! Jetzt gleich werde ich es tun!«

Giligan wandte sich wieder seinem Geschäft zu. Was auch immer der alte Ryan zu tun gedachte, ihn störte es nicht. Ryan hatte seine Zeche bezahlt, und das war alles was einen Mann wie Giligan interessierte.

Ryan stolperte die dunklen Treppen der Kellerbar hinauf ins Freie. Schwüle, drückende Luft empfing ihn, vernebelte seinen Kopf noch mehr. Ryan torkelte auf die kaum befahrene, enge Straße. Schlingerte die wenigen Meter bis auf die gegenüberliegende Seite. Dort angekommen, wurde er durch die massiven Mauern eines Wohnkomplexes gestoppt. Ryan schrammte an der Wand entlang. Die Richtung, in die er »fiel«, war ihm relativ gleichgültig, solange sie ihn nur zu einer Öffentlichen Vipho-Zelle führte.

Ryans Gedanken wirbelten durcheinander. Den ganzen Abend über hatte er sich immer wieder überlegt, ob er es

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jemanden erzählen sollte, und wenn – wem? Mit jedem Glas von Giligans billigem Fusel kam er seiner Entscheidung ein Stück näher. Einem nüchternen Ryan wäre es leicht gefallen, der hätte geschwiegen. Aber einen nüchternen Ryan gab es schon lange nicht mehr. Seit er bei der Giant-Invasion im Jahre 2051 alles verloren hatte, war der Alte dem Teufel Alkohol verfallen. Manchmal, wenn Ryan genügend »unter Strom« stand und redselig wurde, fielen ihm Einzelheiten von damals ein. Giligan hatte so im Laufe der Jahre, mehr oder weniger unfreiwillig, Ryans ganze Lebensgeschichte erfahren. Nicht, daß sie ihn besonders berührt hätte, dazu waren die Zeiten zu hart und jeder mußte selbst sehen wie er zurecht kam, aber der Wirt ließ sich dann und wann erweichen und gewährte dem Alten einen Drink umsonst.

Ryans Wissen war gefährlich, konnte ihn leicht sein Leben kosten, andererseits konnte es – richtig angewendet – auch einen Haufen grüner Scheine bringen! Scheine, die Giligan nur zu gerne in Alkohol umtauschen würde!

Der alte Mann hatte trotz seines hohen Alkoholspiegels mindestens zwei Persönlichkeiten erkannt. Hochgestellte Persönlichkeiten! Ryan hatte anfangs nichts mit den beiden Gesichtern anfangen können, aber dann hatte er sie in Giligans Bar wieder gesehen. Diesmal im TV! Auf sein Drängen hin hatte der Wirt ihm dann gesagt, wer die beiden waren.

Nun fiel er die Straße entlang und hoffte bald eine der Vipho-Zellen zu finden. Ryans Kopf brummte zwar gewaltig, aber er hatte seine Gedanken wieder unter Kontrolle bekommen. Aus langer Erfahrung wußte er, daß sein Körper noch einige Zeit länger benötigen würde. Ryan stolperte und instinktiv versuchte er, sich irgendwo festzuhalten, seine Hände griffen jedoch ins Leere! Die Straße, in der Giligans Bar lag, war zu Ende. Ryan fiel auf den harten Beton der Straße, aber es machte ihm nichts aus. Er hatte sich erinnert! Nur

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wenige Meter von ihm entfernt mußte eine Vipho-Zelle stehen. Der Alte rappelte sich hoch. Richtig, dort stand die Zelle. Zielstrebig, aber immer noch leicht benommen und torkelnd erreichte Ryan die Zelle.

Lieber Gott, laß sie nicht kaputt sein! Ryan schickte ein Stoßgebet gen Himmel und betrat die

Kommunikationseinrichtung. In Stadtteilen wie diesem wurden die öffentlichen Einrichtungen gerne zum Ziel gewalttätiger Banden. Die Stadtverwaltung war schon lange nicht mehr in der Lage alle Schäden zu beheben. Dafür war das Geld zu knapp.

Mit zitternden Fingern aktivierte Ryan das Sensorfeld. Mit großer Erleichterung sah er das graue Tastenfeld, in dessen oberer Hälfte ein kleiner Bildschirm eingearbeitet war, aufleuchten. Das Vipho meldete Betriebsbereitschaft!

Ryan kramte in einer seiner Hosentaschen und fingerte eine alte, abgenutzte Chipkarte zu Tage. Irgendwann, in ferner Vergangenheit, hatte er sie auf dem Raumhafen zwischen den Abfällen des Schnellrestaurants gefunden. Schnell schob er sie in den dafür vorgesehenen Einschub.

Plötzlich stutzte Ryan. Wie war der Name des Mannes, den ihm Giligan gesagt hatte? Ryan schaute verzweifelt an die Zellendecke. Wie war der Name?

Dann grinste er. Klar, er erinnerte sich! Name und Anschlußnummer des Mannes waren wieder da. Er dankte seinem Schöpfer und schloß auch Giligan in dieses Gebet mit ein. Schnell tippte er die Nummern und Buchstaben auf dem Sensorfeld an. Nur wenige Augenblicke später war die Verbindung hergestellt. Eine weibliche Stimme meldete sich und Ryan sagte mit erstaunlich klarer und kraftvoller Stimme: »Stranger, ich möchte Stranger sprechen! Geben Sie mir Bert Stranger, es ist wichtig!«

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* * *

Eine innere Unruhe, die sie sich nicht erklären konnte, hatte Cyra Simmons befallen. Schon bevor sie das Studio betreten hatte, war ihr schlecht gewesen.

Magensaft stieg auf und Cyra hatte sich überwinden müssen, die Flüssigkeit wieder runterzuschlucken. Kurze Zeit später wurde ihr schwindelig. Die junge Frau mußte sich an einer der Wände abstützen. Cyra Simmons war besorgt, schon seit ihrer Kindheit galt sie als zäh und widerstandsfähig. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals ernsthaft krank gewesen zu sein. Und nun das!

Erst vor ein paar Stunden hatte sie eine Art Erstickungsanfall gehabt. Etwas Unsichtbares hatte sich wie eine stählerne Fessel über ihre Brust gelegt, hatte ihr den Atem genommen, sie sekundenlang handlungsunfähig gemacht.

Gleichzeitig hatte sich ihr Körper in einen Atomofen verwandelt. Eine Hitzewelle durchlief den schmächtigen Körper der Frau, um Sekunden später wieder zu verebben. Das Unwohlsein aber blieb.

Jetzt, kurz vor ihrer Rede war der bittere Geschmack zwar noch in ihrer Mundhöhle spürbar, aber sie konnte frei atmen und der rätselhafte Fieberanfall war gänzlich verschwunden.

Ich bin wohl nur überarbeitet und ein paar Tage Ruhe bringen alles wieder in Ordnung.

Weitere Bedenken schob sie einfach zur Seite. Mit festem Schritt trat sie zu Henner Trawisheim, der schon vor dem Rednerpult stand und sich leise mit einem der Techniker unterhielt.

Er wird wohl letzte Anweisungen geben, dachte Cyra, da sie kein Wort von dem verstand, was Trawisheim sprach. Immer wieder deutete der Cyborg auf eine der Kameras. Der Mann des Fernsehsenders nickte nur.

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Je näher sich der Zeiger der Wanduhr auf die volle Stunde hinbewegte, umso mehr Menschen versammelten sich im Studio. Hinter den diversen technischen Einrichtungen nahmen Männer und Frauen ihre Tätigkeit auf, und auch Trawisheim schien soweit zu sein. Nur noch wenige Augenblicke, und die Hauptnachrichtensendung des staatlichen Fernsehsenders würde beginnen. Millionen Menschen würden die Sieben-Uhr-Nachrichten mitverfolgen. Trotz der Vielfalt von Programmen und Fernsehsendern im Jahr 2061, darunter auch einige, die sich ausschließlich mit Nachrichten beschäftigten, hatten sich die Sendungen der öffentlichen Sender halten können. Sie standen in der Gunst des Zuschauers besonders hoch, galten sie doch als ausgewogen und fair.

Dhark selbst hatte nachdrücklich darauf bestanden und durch sorgfältige Personalauswahl dafür gesorgt, daß die öffentlichen Medien, verkörpert durch die Sender Terra 1 bis 3 ein gut recherchiertes Programm auszustrahlen hatten.

Cyra stellte sich nun direkt hinter Trawisheim auf. Sie sollte sofort nach dem Cyborg reden und die Menschheit besänftigen. Sollte den ahnungslosen Menschen Lügen auftischen, sollte die bisherige Führungsschicht der Terraner an den Pranger stellen. Ihr, Cyra Simmons, 36 Jahre alt und offiziell Ezbals Assistentin, fiel die Aufgabe zu, den Planeten Terra für wenige Tage in Sicherheit zu wiegen. Eine trügerische Sicherheit sollte sie den wartenden Menschen verkaufen. Noch bevor sie weiter darüber nachdenken konnte, war es soweit.

»Guten Abend, meine Damen und Herren, hier ist Terra 1 mit den Nachrichten. Unser Überblick...«

* * *

Pam Gavron rührte mit kräftigen Bewegungen in dem Topf umher. Das Abendessen der Familie befand sich fast vor der

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Fertigstellung. Sie tauchte den großen Kochlöffel in den Topf hinein und nahm eine Kostprobe. Mit geübter Sicherheit fügte Pam noch einige Kräuter und Gewürze hinzu, rührte nochmals um und rief ihrer 19-jährigen Tochter Dawn zu: »Das Essen ist gleich fertig, Liebes! Decke bitte den Tisch.«

Pam betätigte kurz zwei Sensorfelder auf der hausinternen Kommunikationsanlage. Ehemann Gordon und Sohn Magnus wurden vom Suprasensor unterrichtet. In dem Moment, als sie mit dem Topf ins Speisezimmer gehen wollte, hörte sie auch schon den 8-jährigen Magnus die Treppe herunterstürmen, gefolgt von ihrem Mann. Mit einem Lächeln betrat Pam den Raum und stellte die Hauptspeise des Abends auf den liebevoll gedeckten Tisch. Nochmals eilte sie hinaus in die Küche, um noch einige Dinge zu holen. Sie hörte ihren Ehemann sagen: »Schalte doch mal TERRA 1 an, es ist Zeit für die Nachrichten.«

»... bevor wir zum aktuellen Tagesgeschehen übergehen, die bereits angekündigte Erklärung von Henner Trawisheim. Wir schalten um.«

»Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, wie bereits berichtet, versuchte eine kleine Clique von Verrätern am frühen Morgen die Regierungsgewalt über den Planeten zu übernehmen, versuchte, das freigewählte Parlament für verbrecherische Umtriebe zu gewinnen. Nur das beherzte Eingreifen von Cyborgs, den Helfern der Menschheit, hat schlimmeres verhindern können. Leider mußten wir feststellen, daß sich auch einige hohe Militärangehörige an dem Putschversuch beteiligten. Die Haupträdelsführer, Marschall Ted Bulton und sein Stab, konnten überwältigt werden und befinden sich zur Zeit in Sicherungshaft. Die rechtmäßige Regierung ist wieder im Amt. Auch wenn es noch einige Zeit dauern wird, bis wir das gesamte Ausmaß des Verrats überblicken können, bitte ich Sie alle, Ruhe zu bewahren. Es ist

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alles in den Händen der von Ihnen gewählten Regierung! Sie, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, stellen mit Recht

die gleichen Fragen wie wir von Regierungsseite sie uns auch gestellt haben: Wie konnte es geschehen, daß sich bis vor kurzem loyale Terraner von Ren Dhark und der Menschheit abgewandt haben. Blickt man zurück in die Geschichte unseres Planeten, standen immer die gleichen Dinge als Ursachen für Regierungsumstürze: Machtgier, Geld und soziale Ungerechtigkeit. Nun, es sieht so aus, als müßten wir für die Geschichtsschreibung einen weiteren, bisher unbekannten Faktor hinzufugen: Die Natur!

Ich möchte Ihnen heute abend Dr. Cyra Simmons vorstellen, eine Stütze Echri Ezbals, der momentan leider verhindert ist, zu Ihnen zu sprechen. Cyra Simmons und ihrem Team ist es hauptsächlich zu verdanken, daß wir Ihnen so schnell sagen können, warum es zu diesen Ausschreitungen kommen konnte.«

»Papa, was spricht der Mann da?« »Pst! Magnus, Papa möchte die Sendung in Ruhe ansehen«,

entgegnete Gordon Gavron seinem Sohn leicht verärgert. »Papa, die Frau sieht aber komisch aus. Ist sie krank?« »Pam, komm her und kümmere dich um deinen Sohn!« »Meine Damen und Herren, ich bin Dr. Cyra Simmons,

Assistentin von Echri Ezbal. Wie mehrfach in den letzten Tagen bekannt geworden ist, kam es zu verstärkten Übergriffen von Cyborgs. Dies reichte von harmlosen Scherzen bis hin zu lebensbedrohlichen Situationen. Gleich nach Bekanntwerden der ersten Fälle setzten wir alles daran, die Ursachen dieses artfremden Verhaltens zu ergründen. Leider brauchten wir einige Zeit, um dem Rätsel auf die Spur zu kommen. Diese Zeit nutzten verbrecherische Kreise aus, um an die Macht zu gelangen. Glaubten sie doch, daß die Beschützer der Menschheit, die Cyborgs, außer Kontrolle geraten seien. Wie Sie bereits von Henner Trawisheim gehört haben, gelang dies

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nicht! Nun, wie war es möglich, daß unsere Cyborgs sich so

verhalten haben? Wie Ihnen allen bekannt ist, wird unser Heimatplanet, wie

auch alle Kolonien der Menschheit, von einem nogkschen Schirm gegen die in der ganzen Galaxis tobenden Magnetstürme geschützt. Bis vor einigen Tagen konnten wir auch in diesem Schutz gut leben. Leider, und das konnte niemand voraussagen, durchzog unseren Spiralarm ein Sturm von bisher nie gekanntem Ausmaß. Es kam zu Rückkopplungen, die leider negative Auswirkungen auf die Programmhirne unserer Cyborgs hatten. Nachdem die Ursachen erkannt worden sind, justierten wir den Nogkschirm neu. Die gemachten Veränderungen zeigten auch sofort Wirkung bei den Cyborgs. Es kam zu keinen weiteren Ausschreitungen mehr. So daß wir hier und heute sagen können, die Krise ist gemeistert!

Zur Sicherheit der Bevölkerung Terras wird Echri Ezbal, Schöpfer der Cyborgs, persönlich jeden seiner Schützlinge nochmals einer medizinischen Untersuchung unterziehen. Zu diesem Zwecke befinden sich alle Betroffenen in unserer Forschungsstation im Brana-Tal. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.«

* * *

Leise summend arbeitete die Klimaanlage, um die schwüle Luft, die aus den Straßenschluchten Alamo Gordos hinauf in die 17. Etage des Wohnblocks zog, vom Eindringen abzuhalten. Wäre die Klimaanlage ein denkendes Wesen gewesen, sie hätte ihre Versuche umgehend eingestellt. Schon seit dem Überfall der Giants waren die technischen Systeme in dem Wohnblock ganz oder teilweise defekt. Niemand

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kümmerte sich darum – und so verfiel die einstige Herberge von Hunderten von Familien immer mehr. Obwohl sich langsam die Dämmerung der hereinbrechenden Nacht über der Stadt ausbreitete, war es drückend heiß. Hier in der 17. Etage hatte ein einsamer Mann vor dem TV-Schirm gesessen und aufmerksam die Sendung von Terra 1 verfolgt.

Niemand hatte ihn in das Hochhaus kommen sehen, und wenn es nach dem einsamen Mann ging, würde ihn auch niemand sehen, sobald er es wieder verließ. Im Gegensatz zu allen anderen Bewohnern des Hochhauses – es waren nur noch eine Familie im 25. Stock, zwei Männer, ehemalige Arbeiter eines Stahlwerkes und einer Bekleidungsfabrik im elften und vierten Stockwerk, sowie eine Gruppe Jugendlicher, in der Zusammensetzung schwankend, in den Kellerräumen – wußte der Mann immer sehr genau, wer sich zu den Zeitpunkten seiner Ankunft wo im Haus befand.

Der Mann würde noch einige Dinge erledigen müssen, bevor er den überhitzten Raum der verwahrlosten Wohnung wieder verlassen konnte. Eigentlich war es nicht der Stil des Mannes, sich in Ruinen aufzuhalten, besaß er doch ein gut klimatisiertes Büro nur wenige Kilometer von seinem momentanen Aufenthaltsort entfernt. Hätte sich jemand die Mühe gemacht, in diesem Büro nach dem einsamen Mann zu fragen, dann hätte die Sekretärin lächelnd geantwortet, ja, er sei da, aber im Moment nicht zu sprechen.

Auch die Kleidung des Mannes, ein einfacher, unifarbener Straßenanzug, ließ keine Schlüsse auf die soziale Stellung zu. Sein Gesicht glich einem Dutzendgesicht. Nichts Besonderes würde einem zufälligen Beobachter an diesem Mann auffallen – und genau das war die Stärke des Mannes, dessen bürgerlicher Name Bernd Eylers war.

Eylers war schon früh dazu übergegangen, versteckte Plätze ausfindig zu machen und für die Bedürfnisse der GSO

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einzurichten. Da es in dem Gewerbe, das Eylers betrieb, nicht immer ganz legal zuging, und seine Agenten sich oft genug der unfeinen Methoden ihrer Gegner bedienen mußten, brauchten sie Rückzugsstätten, an denen sie untertauchen konnten. Diese Wohnung im 17. Stockwerk eines halbverfallenen Wohnblocks war einer dieser Plätze.

Nachdenklich schaltete Eylers den TV-Schirm ab. Ihm war schon seit geraumer Zeit klar, daß etwas auf dem Planeten Erde vorging, und wenn er alle von seinen Agenten gesammelten Informationen der letzten Tage im Zusammenhang mit den Meldungen des heutigen Tages betrachtete, dann wurde ihm schwarz vor Augen.

Der Chef der GSO hatte verstanden! Trawisheim, Ezbal und die Cyborgs waren vom Mensiten

befallen! Standen unter dem Einfluß der Geißel der Galaxis! Eylers zwang sich zur Ruhe. Auch wenn sich vor seinem

geistigen Auge das Schicksal der Menschheit abzeichnete, versuchte er die hoffnungslos scheinende Situation analytisch zu betrachten. Die weiteren Schritte seiner Gegner konnten nur das Ausschalten der letzten Wissenden sein. In seinen Gedanken bezeichnete sich Eylers als Wissender, da er einer der wenigen Menschen war, die um die Gefährlichkeit des Mensiten wußten. Danach würde die Bevölkerung des Planeten systematisch mit dem Mensiten verseucht werden. Und Eylers hatte keine Möglichkeit es zu verhindern!

Spontan entschloß sich der Chef der GSO erst einmal hier in dem Unterschlupf zu bleiben. Sicher hatten Trawisheim und Co ihre Häscher schon ausgeschickt, um ihn und einige andere auszuschalten.

Diese Wohnung erschien dem GSO-Chef als idealer Unterschlupf, war sie doch zum letztenmal vor mindestens fünf Jahren benutzt worden. Niemand konnte ahnen, daß er ausgerechnet hier Zuflucht gefunden hatte.

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Langsam schritt Bernd Eylers zu dem verdreckten Fenster hin und schaute hinaus in die Dunkelheit. Ganz weit weg, am Horizont, strahlten die Lichter des Raumhafens.

Aber auch in ihnen fand der einsame Mann keinen Trost. Wieviel Zeit bleibt mir noch? Wem kann ich noch

vertrauen? Eylers hatte keine Antworten! Konnte sie nicht haben! Er, der immer stolz darauf gewesen war, alle Gefahren

rechtzeitig erkannt zu haben, war mit einem Male hilflos. Bernd Eylers konnte hinterher nicht mehr mit Bestimmtheit

sagen, was in den nächsten Stunden alles durch seinen Kopf ging. Er entwarf immer neue Szenarien, versuchte sich an Leute zu erinnern, die zwar der GSO angehörten, aber seinen Gegnern nicht bekannt sein konnten. Denn er konnte getrost davon ausgehen, daß alle Top-Leute verhaftet waren oder unter Beobachtung standen. Jede Kleinigkeit wurde von dem Chef der GSO auf einem Block schriftlich festgehalten. Immer mehr Seiten füllte Eylers mit seiner kleinen, doch gut lesbaren Handschrift.

Schon lange hatte er alles andere um sich herum vergessen. Eylers arbeitete wie ein Besessener. Er glaubte endlich einen gangbaren Weg gefunden zu haben. So etwas wie ein Plan nahm in seinen Gedanken und wenig später auch auf seinem Block langsam Gestalt an. Eine Möglichkeit, um dem übermächtig wirkenden Gegner Widerstand entgegen zu setzen. Es war nur eine winzige Chance, aber immerhin, es war eine Chance!

Im Laufe der nächsten Tage würde er beginnen, einige ausgesuchte Leute um sich zu versammeln. Danach würde man sehen, wie sich sein Plan in die Tat umsetzen lassen konnte.

Eylers hatte sich wieder etwas gefangen, kampflos wollte er dem Mensiten auf gar keinen Fall den Planeten Terra überlassen!

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Als Bernd Eylers das Licht in der zur Ruine verkommenen Wohnung des Wohnblocks herunterdimmte und versuchte, in einem Armeeschlafsack, der hier für Notfälle von seinen Leuten vor über fünf Jahren deponiert worden war, etwas Ruhe zu finden, war der 19. August des Jahres 2061 schon seit über drei Stunden vorüber.

* * *

Noch ein einsamer Mann versuchte in dieser Nacht Schlaf zu finden. Marschall Ted Bulton wälzte sich auf der schmalen Pritsche seines Gefängnisses hin und her. Immer wenn er glaubte, müde genug zu sein, um einschlafen zu können, traten die am Vortag Exekutierten vor sein geistiges Auge und erhoben stumme Anklage.

Warum wir? Bulton schreckte zum wiederholten Male hoch. Sein Körper

war in Schweiß gebadet. Er stand schnell auf, als könnte er damit die Geister, die ihn plagten, vertreiben, und lief unruhig in der Zelle auf und ab.

Er, der einst mächtigste Militär des Planeten Terra, war hilflos! Konnte nichts tun, um den Gegner zu bekämpfen. Ihm war klar, daß es sich nur noch um ein paar Tage handeln konnte, bis sein Heimatplanet von einem übermächtigen Feind versklavt sein würde. Die schleichende Invasion hatte schon begonnen.

Das geänderte Verhalten der Cyborgs und seiner ehemaligen Freunde zeigte dem Marschall ganz deutlich, daß auch sein Ende kurz bevor stand.

Trawisheim würde ihn auf keinen Fall am Leben lassen. Das war mein letzter Kampf. Resignierend ging der Marschall zu der schmalen Liege

zurück. Seine letzten Gedanken vor dem Einschlafen galten

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seiner Frau Doris und dem langjährigen Freund Ren Dhark. Was mochte den Commander bei Cromar erwarten? Wie würde Doris mit all dem fertig?

Marschall Ted Bulton fiel in einen leichten, unruhigen Schlaf.

* * *

Schwaden von weißem Nebel zogen langsam über die mit Felsen übersäte Hochebene, nisteten in kleinen Bodenmulden, um später von der kräftiger werdenden Sonne aufgelöst zu werden. Hier, an der ehemaligen Landesgrenze zwischen China und Bhutan schien die Zeit stehen geblieben zu sein. Nichts deutete darauf hin, daß auch in dieser Gegend der Morgen des 19. August 2061 angebrochen war.

Mit majestätischem Flügelschlag erhob sich ein mächtiger Steinadler von seinem nächtlichen Ruheplatz, stürzte von der Bergzinne hinab, um dann in einem gemächlichen Gleitflug über die Ebene zu streifen. Den Blick auf den Boden gerichtet, auf der Suche nach jagdbarem Wild.

Holger Alsop, Cyborg der ersten Stunde, stocherte mit einem langen, dürren Ast in der erloschenen Glut der Feuerstelle, die er am Abend hier zwischen zwei großen Felsbrocken angelegt hatte, um sich vor der nächtlichen Kälte zu schützen. Minutenlang starrte er in die schwarze Asche, so als würde in dem niedergebrannten, erloschenen Feuer die Antwort liegen.

Alsop hatte Fragen, eine ganze Menge sogar, aber es war niemand da, der sie ihm hätte beantworten können. Eine seiner Fragen war die: Was machte er hier am Ende der Welt?

Der Cyborg wußte es nicht. Überhaupt schien sich sein Gehirn an nichts zu erinnern, was in den letzten Tagen passiert war. Die halbe Nacht über hatte er vergeblich versucht zu

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ergründen, wie er hierher gekommen war und warum. Klare Vorstellungen besaß er nicht. Auch der Versuch auf das zweite System zu schalten, hatte sich als erfolglos erwiesen. Es schien so, als hätte Holger Alsop seine Cyborgfähigkeiten verloren.

Hatte Echri Ezbal ihn wieder zum normalen Menschen gemacht?

Er konnte sich nicht mehr erinnern! Alsop schloß die Augen und versuchte in seine

Erinnerungen einzudringen, obwohl ihm klar war, hier keine Antworten zu finden.

Gesichter tauchten auf, Begriffe und Namen wirbelten durch seinen Kopf, aber Holger Alsop konnte nichts mit ihnen anfangen. Er fühlte sich leer, ausgebrannt und erloschen, wie das Feuer vor ihm.

Irgendwo in der Ferne hörte er den Schrei eines Adlers, müde schaute er in den Himmel, aber er konnte den einsamen Jäger nicht entdecken.

Du bist genauso einsam wie ich, mein Freund, rief er in Gedanken dem Vogel, den er nicht sehen konnte, zu. Aber du hast ein Ziel und kannst dir helfen!

Holger Alsop sah an sich herab. Er trug eine in den terranischen Streitkräften übliche Einsatzkombination. Auch die schnelle aber gründliche Durchsuchung der Taschen brachte keine neuen Erkenntnisse.

Blaster, Verpflegung, Messer, Verbandszeug und einige weitere nützliche Kleinteile. Alles Ausrüstungsgegenstände, die jeder andere Soldat im Einsatz auch bei sich tragen würde.

Seltsamerweise konnte er sich an solche Dinge erinnern. Auch, daß er vor wenigen Tagen einen Auftrag erledigt hatte, war klar in seinen Gedanken.

Alsop erhob sich, raffte seine wenigen Habseligkeiten zusammen und trat aus den Felsen heraus auf die Ebene. Keine zwei Kilometer von seinem Standpunkt entfernt zog sich das

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glitzernde Band einer schmalen Straße hin zum Horizont. Die Straße nach T-VII! Woher kenne ich die Straße? Was ist T-VII? Explosionsartig stiegen bruchstückhafte Erinnerungen auf. Es war wie eine Befreiung! Alsop konnte sich plötzlich an etwas erinnern. T-VII war

eine Station, die dem Forschungskomplex im Brana-Tal angeschlossen war. Er war vor kurzem dort gewesen, hatte irgendetwas im Inneren der Station getan.

Cyra Simmons! Der Name einer Frau! Holger Alsop, der Cyborg, der seine Fähigkeiten verloren zu

haben schien, verband den Namen Cyra Simmons mit seiner jüngeren Vergangenheit. Sie hatte er vor kurzem aufgesucht!

In der Cyborgstation hatte sie irgendwelche Veränderungen an ihm vorgenommen. Veränderungen, an die ihn nun die Straße nach T-VII erinnert hatte.

Schnell überwand er die Entfernung zur Straße hin. Als er das Band aus Asphalt betrat, hatte sich die Sonne ein Stück weiter an den Zenit geschoben. Da er nicht mehr über die Fähigkeit verfügte, auf das zweite System zu schalten, begann er durch die Anstrengung wie ein normaler Mensch zu schwitzen.

Schnell zeigten sich auf dem Rückenteil seiner Einsatzkombination dunkle Flecken. Holger Alsop grinste. Er hatte tatsächlich im Laufe der Jahre vergessen, wie es war, ohne Cyborgfähigkeiten zu leben. Dazu gehörte auch die Tatsache, daß ein Mensch nach wenigen Kilometern anstrengenden Gehens schwitzte.

Norden! Ich muß nach Norden! Ihm kam es so vor, als würden ihn die Reste seines einstigen

zweiten Systems steuern. Mit jedem Schritt, den er nach

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Norden tat, kam er näher an die Station heran, kam näher an das Ende seiner Amnesie. Etwas in ihm schien zu sprechen: »Gehe nach Norden! Erreiche T-VII!«

Wieder hörte der Cyborg den Schrei des Adlers, diesmal etwas näher und als er stehenblieb und den Kopf gen Himmel hob, konnte er den König der Lüfte sehen. Einsam zog der Vogel seine Kreise. Einsam wie der Mann auf dem glitzernden Band, das den Weg zur Station T-VII wies.

Ja mein Freund, geleite mich nach T-VII. Zeige mir den Weg!

* * *

Tausende von Kilometern von Holger Alsop entfernt machten sich an diesem Morgen zwei Männer zum Aufbruch bereit. Im Gegensatz zu dem verwirrten Cyborg kannten sie ihr Ziel aber ganz genau, hatte der frühmorgendliche Anrufer doch seine Anweisungen präzise formuliert. Während Matury Xentar sich von einem Taxi durch den Verkehr des frühen Nachmittags zur zentralen Transmitterstation in Tokio bringen ließ, saß sein norwegischer Kollege Ingmar Knutsson zur selben Zeit noch am Frühstückstisch seiner Trondheimer Wohnung und verzehrte mit großem Genuß ein Stück Lachspastete in Blätterteig. Ingmar war keineswegs überrascht, als er den Vipho-Anruf von Eylers bekommen hatte. Er, genau wie sein Kollege Xentar, waren die Schläfer der GSO. Männer, die niemand kannte! Männer, die Angehörige der Sicherheitsabteilung waren, aber nur selten zu Einsätzen herangezogen wurden. Bernd Eylers hatte schon auf Hope damit begonnen, Männer und Frauen auszuwählen und auf die Gehaltsliste der GSO zu setzen, die unter Umständen nie zum Einsatz kamen. Das war eine der Stärken der GSO. Neben den aktiven Agenten verfügte Eylers über eine kleine Gruppe

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Männer und Frauen, die nur im Notfall eingesetzt wurden. Im normalen Leben, und das hatte Knutsson die letzten

sechs Jahre lang, seit seiner Rekrutierung, geführt, verdiente der Norweger sich seinen Lebensunterhalt in einem Bürokomplex als Im- und Exportkaufmann. An diesem Morgen hatte er gleich nach Eylers Anweisungen in dem Betrieb angerufen und um seinen Jahresurlaub gebeten.

Ingmar beendete sein Frühstück, indem er den Rest Kaffee aus der großen Kanne in seinen Trinkbecher eingoß und sich eine Zigarette ansteckte.

Rauchend und genüßlich Kaffee schlürfend saß er am Tisch und freute sich auf das bevorstehende Treffen mit Bernd Eylers.

Nach einigen Minuten stand er auf und schnappte sich die leichte Reisetasche, in der sich seine Einsatzmontur befand. Eylers hatte ausdrücklich darauf hingewiesen, daß es zu einem Nachteinsatz in feindlich besetztem Gebiet kommen würde. Während Knutsson das Taxi rief, überlegte er, um was für einen Feind es sich handeln würde, und wo das besetzte Gebiet liegen könnte.

* * *

Die Cyborgstation im Brana-Tal erwachte langsam zu neuem Leben. Echri Ezbal fühlte die Kraft des Mensiten in sich. Die kräftezehrende Übernahmeprozedur durch den Mensiten klang langsam ab. Nur an Ezbals eingefallenem, blassen Gesicht konnte man noch Spuren der Übernahme erkennen.

Ezbal erhob sich von seinem Nachtlager und verscheuchte mit barschen Worten den Hund, der seine feuchte Nase an das Gesicht des alten Brahmanen gepreßt hatte. Die Katze, die gewöhnlich immer um seine Beine strich, war schon seit längerem verschwunden. Wohin, konnte der alte Mann nicht

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sagen. Es interessierte ihn auch nicht. Echri hatte kein Verständnis mehr für seine Tiere. Noch vor wenigen Tagen hätte er sich liebevoll um seine beiden Freunde gekümmert, aber das war Vergangenheit. Ezbal stieß die Tür seiner Unterkunft auf und schritt mit schnellen Schritten dem Laborkomplex entgegen.

»Wo ist Dr. Simmons?« galt seine Frage beim Eintreten dem Techniker, der hinter einer Konsole stand und Eintragungen in eine Folie machte.

»Ist heute noch nicht hier gewesen. Soll ich sie suchen lassen?«

»Nein, sie wird schon noch kommen. Geben Sie mir die neusten Daten über die Vorbereitung zur Verteilung der Mensitenbruchstücke.«

Wortlos und ohne sich weiter um den Brahmanen zu kümmern, rief der Techniker die entsprechenden Daten vom Terminal ab und überreichte sie Ezbal. Mit einem schnellen Blick überflog der Cyborgvater den Print-out. Dann ging er wortlos davon.

Eigentlich würde es in den nächsten beiden Tagen nichts für ihn zu tun geben. Ezbal war nicht besonders erbaut von der Zwangspause, die Trawisheim ihnen allen verordnet hatte, aber er mußte zugeben, daß der Cyborg recht hatte.

Es würde für die Durchsetzung ihrer Ziele besser sein, jegliche Opposition vorher zu beseitigen. Von allen potentiellen Gegnern war wohl Eylers und seine GSO der gefährlichste, ihn galt es umgehend unschädlich zu machen.

Bisher waren nur wenige ausgewählte Spitzenpolitiker und Wirtschaftsbosse von Trawisheim ins Tal bestellt worden. Bereitwillig waren sie der Aufforderung des Regierungsoberhauptes gefolgt. Unternehmer waren immer daran interessiert, mit der Regierung im Geschäft zu bleiben, hofften sie doch so, ihre Pfründe zu wahren. Bei der Gruppe

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der Spitzenpolitiker war die Sache noch einfacher, sie wollten wiedergewählt werden, und Trawisheim konnte sich als Garant erweisen. Sie hofften auf eine bevorzugte Behandlung.

Nun, Ezbal hatte ihnen ihre »Sonderbehandlung« verschafft. Gleich nach der Ankunft in der Cyborgstation, hatte er die ganze Gesellschaft von Cyborgs abführen lassen. In einem der größeren Labors waren alle mit dem Mensiten infiziert worden. Nun standen sie unter seiner Kontrolle, und die Unterwanderung der öffentlichen Strukturen konnte beginnen.

Einen Moment lang dachte Ezbal an Holger Alsop; wo mochte der Cyborg nun stecken?

In naher Zukunft würde man sich um das Schicksal von Holger Alsop kümmern müssen. Er war als einziger Cyborg nicht im Tal anwesend. Sollte er dem Feind in die Hände gefallen sein?

Echri Ezbal beschloß, dieses Thema in naher Zukunft mit Trawisheim zu besprechen. Noch bevor er sich weitere Gedanken machen konnte, ertönte ein Lautsignal, das von seinem Arm-Vipho kam. Echri aktivierte kurz die Sensortaste für Empfang: »Ja?« fragte er kurz angebunden. Am anderen Ende der Verbindung meldete sich der Arzt Manu Tschobe.

* * *

Gut gelaunt und laut pfeifend schob sich der dürre Mann an den im Gang stehenden Menschen vorbei. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was es an einem Morgen wie diesem so Besonderes geben könnte, daß die Aufmerksamkeit so vieler Kollegen an das Schwarze Brett der Redaktion fesselte. Er hatte doch noch gar keine neue Story geschrieben!

Bert Stranger, dessen Ruf in der Redaktion und Öffentlichkeit mehr als umstritten war, betrat das kleine Büro, das er sich seit geraumer Zeit mit einer neuen Kollegin namens

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Birthe teilen mußte. Stranger hatte sich nicht mal die Mühe gemacht, den Nachnamen seiner Kollegin zu erfragen. An Birthe gab es absolut nichts, was ihn hätte begeistern können. Sicher, sie war umgänglich und höflich, aber das war es auch schon.

»Was ist denn da draußen los?« fragte er immer noch gut gelaunt.

»Guten Morgen erstmal!« erwiderte die Frau namens Birthe. »Am Brett hängt der Text von Trawisheims Erklärung. Gibt aber nicht viel her.«

»Nun denn, die Erklärung habe ich schon im TV gehört und gesehen, war wirklich ein wenig dürftig, was die Damen und Herren da von sich gegeben haben. Besonders mein Freund Trawisheim war sehr zugeknöpft«, gab Bert zurück. Daß er im stillen schon bei Ausstrahlung der Sendung beschlossen hatte, der Sache auf den Grund zu gehen, teilte er ihr nicht mit.

»Hier, ist gestern nachmittag eingetrudelt.« Birthe schob ihm eine handschriftliche Notiz hin. »Informiere in Zukunft die Zentrale, daß du außer Haus bist. Ich bin nicht deine Sekretärin.«

Aber hallo, dachte Stranger, sie fängt an zu revoltieren! Leicht verwundert schüttelte der Reporter den Kopf. Was

wollte dieser Ryan von ihm? Bert überlegte, aber es fiel ihm beim besten willen nicht ein, die Namen Ryan und Giligans Bar schon früher einmal gehört zu haben. Besonders stutzig machten ihn die von Birthe hingeschriebenen Worte: »Könnte wichtig sein.«

Nicht, daß er sich viel aus Birthes Meinung gemacht hätte, aber sie besaß ein Gespür für Gefühle von Menschen.

Da es seiner Meinung nach sowieso verboten gehörte, an einem so schönen Tag zu arbeiten, beschloß der Mann, der sich selbst als Starreporter anpries, diesen geheimnisvollen Ryan aufzusuchen. Schaden konnte es nicht, und vielleicht sprang

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eine halbwegs brauchbare Story dabei heraus. Falls es sich um einen Schwätzer handeln sollte, machte es auch nicht viel aus. Immer noch besser als den Morgen mit Birthe verbringen zu müssen. Mit oft geübtem Griff aktivierte er sein Terminal und besorgte sich die Adresse von Giligans Bar.

* * *

Nichts erinnerte mehr daran, daß die Wohnung noch bis vor kurzem einer Ruine geglichen hatte. Eylers hatte sofort nach dem Aufstehen damit begonnen, sie für einen längeren Aufenthalt herzurichten.

Nach gründlicher Reinigung aller Räume holte der GSO-Chef die in früheren Jahren sorgfältig versteckten Ausrüstungsgegenstände hervor und begann eine Bestandsaufnahme zu machen.

Sieht gar nicht so übel aus. Waffen, Verpflegung, Geld... und eine vom öffentlichen Netz unabhängige Vipho-Anlage Marke GSO! Herz, was willst du mehr, dachte er gutgelaunt beim Anblick der sauber ausgepackten und aufgestapelten Gegenstände.

Ein kurzer Blick auf die Uhr sagte ihm, daß es bald Zeit war, zum Treffen mit Knutsson und Xentar aufzubrechen. Die beiden Schläfer der GSO hatte er in den ersten Morgenstunden von einer weit entfernten öffentlichen Vipho-Zelle aus angerufen. Sie mußten in der nächsten Stunde in Alamo Gordo eintreffen. Unterstellte er, daß beide ein wenig Zeit brauchen würden, um den Treffpunkt zu finden, blieben ihm noch etwas mehr als drei Stunden, um alles vorzubereiten.

Auf dem Rückweg von der Zelle hatte sich Eylers mit allen verfügbaren Zeitungen versorgt. Eine Angelegenheit, die in einem Stadteil wie diesem gar nicht so einfach zu bewerkstelligen war. Er mußte vorsichtig operieren! In diesen

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Gegenden fiel ein Mann, der über größere Geldbeträge verfügte, schnell auf. Auch gehörte es nicht zu den Gepflogenheiten der Bewohner, mehr als eine Zeitung auf einmal zu kaufen.

Eylers war bei seinen Besorgungen mit Bedacht zu Werke gegangen, hatte nur mit kleinen Scheinen und Münzen bezahlt, aber nun waren seine Vorräte an Kleingeld erschöpft.

Bernd Eylers, der sich am Abend zuvor noch entmutigt gezeigt hatte, war wie ausgewechselt. Er las sich nochmals sehr sorgfältig seine Aufzeichnungen durch, machte hier und da noch Änderungen und fügte einige neue Einträge hinzu. Dann, nach einer Weile, lachte er laut!

Sein Plan stand! Gut gelaunt ging er in die kleine Küche und brühte sich

einen Instantkaffee aus den Beständen der terranischen Raumflotte. Nachdem er die ersten Schlucke des belebenden Getränkes noch im Stehen genossen hatte, begann er die gekauften Zeitungen auszubreiten und nach für ihn und seine Zwecke wichtigen Nachrichten zu suchen.

* * *

Nachdenklich hatte der Afrikaner Manu Tschobe auf das Vipho geschaut. Seit Echri das Gespräch so rüde abgebrochen hatte, beschlich den ausgebildeten Arzt immer mehr das Gefühl, daß Ezbal in echten Schwierigkeiten steckte. Es war nicht die Art des Cyborgschöpfers, Menschen einfach abblitzen zu lassen. Tschobe konnte sich an keinen Fall erinnern, in dem Ezbal so kraß gehandelt hatte wie eben am Vipho. Auch sein Aussehen auf dem kleinen Bildschirm des Vipho-Gerätes beunruhigte den Arzt.

Sollte der Inder ernsthaft krank sein? Manu war natürlich nicht in der Lage eine Ferndiagnose zu

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stellen, aber das äußere Erscheinungsbild des Cyborgschöpfers gab Anlaß zu Besorgnis. Dem Arzt kam es so vor, als hätte der Inder unter großer Kraftanstrengung gestanden, denn das Gesicht des Mannes wirkte eingefallen. Nachdenklich schaute Tschobe auf den dunklen Vipho-Schirm. Er fand keine Erklärung, was diesen Kraftverlust bei Ezbal verursacht haben konnte.

Auch die beharrliche Weigerung des Brahmanen, ihn aufsuchen zu dürfen, hatten Manu befremdet. Wenn er es richtig betrachtete, dann hatte Ezbal ihm mehr oder weniger verboten, das Tal zu betreten. Ja, der 103-jährige hatte ihm harte Konsequenzen angedroht, wenn er sich auch nur in der Nähe der Cyborgstation blicken lassen würde. Sollte es zwischen dem Verhalten von Ezbal und der Sperrung des Tals eine Verbindung geben?

Nun gehörte der Arzt nicht zu den Menschen, die sich so ohne weiteres drohen ließen. Tschobes Einstellung forderte es geradezu heraus, sich im Tal umzusehen. Sein Entschluß war schnell gefaßt. Er würde den Inder im Brana-Tal besuchen, ob der nun etwas dagegen hatte oder nicht!

Zehn Minuten später war der Arzt unterwegs. Der Schwebegleiter, ein kleines, unauffälliges Modell, das Tschobe sich vor längerer Zeit zugelegt hatte, flog mit mittlerer Geschwindigkeit auf der von der Verkehrsleitung freigegebenen Flugschneise in Richtung des Himalayagebirges.

Während er sich auf den Gebirgszug zubewegte, gingen ihm die Ereignisse des Tages nochmals durch den Kopf. Immer noch rätselte er über das Verhalten des Cyborgvaters. Ihm fiel einfach keine plausible Erklärung ein, die ein solches Auftreten des Brahmanen gerechtfertigt hätte, und dieses beunruhigte Manu Tschobe sehr.

Der Putschversuch – das Eingreifen der Cyborgs – Ezbals Verhalten.

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In Manu Tschobes Gedanken formte sich ein Verdacht: Was, wenn alles zusammenhängt?

»Nein, es ergibt alles keinen Sinn!« entfuhr es dem Arzt. Mittlerweile war der Schwebegleiter in die Nähe des Brana-

Tales gelangt. Manu meldete sich bei der Verkehrskontrolle ab und übernahm die Steuerung des Gefährts. Er steuerte den Gleiter in einer sanften Kurve tiefer und glitt nur wenige Meter über dem Boden in das Tal hinein. Links und rechts von Tschobes Fahrzeug erhoben sich die mächtigen Felswände, die stellenweise bis über 7000 Meter hoch hinausragten, und das gesamte Brana-Tal umschlossen. Obwohl Tschobe Echri Ezbal schon öfters in der Cyborgstation besucht hatte, war er immer wieder von der wilden Landschaft, in der die Forschungsstation lag, fasziniert. Schnell hatte er das Ende der Schlucht erreicht. Mit leisem Zischen setzte der Gleiter sanft auf einem der wenigen Parkplätze vor der Forschungsstation auf.

Während Manu wartete, daß die Triebwerke ganz in Nullstellung kommen würden, beobachtete er den Eingang der Station sorgfältig. Nirgends gab es ein Anzeichen von Unregelmäßigkeiten. Alles schien seinen gewohnten Gang zu gehen. Mit einem entschlossenen Ruck öffnete der Afrikaner die Kabinenhaube des Schwebegleiters und kletterte ins Freie. Vor dem Zugang zur Cyborgstation konnte er zwei bewaffnete Wachposten erkennen. Langsam bewegte er sich auf die beiden zu. Nur noch wenige Meter trennten ihn von den Posten. Er konnte nicht sagen was es war, aber etwas in ihm mahnte zur Vorsicht.

»Halt! Wer sind Sie und was wollen Sie hier?« Der Posten stoppte den Afrikaner mit erhobener Hand, während sein Kollege den Strahlenkarabiner in Anschlag brachte.

»Mein Name ist Tschobe, Manu Tschobe. Ich bin ein alter Bekannter von Echri Ezbal und würde ihn gerne besuchen.«

Der Arzt versuchte unbeteiligt zu wirken, aber aus den

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Augenwinkeln konnte er erkennen, daß ein weiterer Posten erschienen war. Der neu hinzugekommene flüsterte dem Mann, der Tschobe angesprochen hatte, etwas ins Ohr. Kaum merklich nickte der Soldat. Dann wandte er sich wieder dem Afrikaner zu: »Es tut mir leid, aber Ezbal kann Sie im Moment nicht empfangen. Hinterlassen Sie die Nummer Ihres Vipho-Anschlusses und er wird sich in Bälde mit Ihnen in Verbindung setzen.«

»Aber...«, protestierte Manu Tschobe. »Hören Sie!« Die Stimme des Wachmannes war um eine

Nuance schärfer geworden. »Ezbal hat keine Zeit für Sie! Und nun verschwinden Sie endlich, bevor wir zu härteren Mitteln greifen müssen. Sie befinden sich widerrechtlich auf militärischem Sperrgebiet. Sollten Sie sich nicht augenblicklich entfernen, werden wir Waffengewalt anwenden!«

Einen Augenblick lang zögerte Manu. Aus einem der nahegelegenen Gebäude sah er eine bekannte Gestalt kommen. Cyra Simmons.

»Doktor Simmons!« rief er ihr zu. »Cyra Simmons!« Der Posten schien nun endgültig genug von dem

Eindringling zu haben. Mit einer schnellen Bewegung hatte er den Strahlenkarabiner in Position gebracht. Ein Finger lag in gefährlicher Nähe des Auslösers. »Jetzt verschwinden Sie endlich!« brüllte er. »Und lassen Sie sich hier nicht mehr blicken!«

Angesichts dieser massiven Gewaltandrohung beschloß Tschobe, den Rückzug anzutreten. Er bestieg seinen Gleiter und flog mit mäßiger Geschwindigkeit davon.

Sobald die Forschungsstation außer Sicht lag, hielt er sein Fahrzeug an. Minutenlang saß Manu Tschobe da und dachte nach. Die Sache wurde immer verworrener. Selbst Cyra Simmons schien ihn nicht mehr kennen zu wollen. Denn

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gesehen und erkannt mußte sie ihn haben, dafür war die Entfernung zwischen ihnen zu gering gewesen.

Immer wieder grübelte der langjährige Gefährte Ren Dharks über die Vorkommnisse nach. Vor allem Ezbals Verhalten konnte er nicht verstehen. Er hatte den Schöpfer der Cyborgs als freundlichen Menschen kennengelernt. Sein gesamtes Auftreten in den letzten Stunden paßte so gar nicht zu dem Brahmanen. Irgend etwas mußte den Inder verändert haben. Wenn er nur wüßte, was?

Langsam wuchs ein Plan in Manus Gehirn. Nach einigen Minuten war er sich über sein weiteres Vorgehen im klaren. Noch in dieser Nacht würde er versuchen, in Ezbals Wirkungsstätte einzudringen, um endlich zu sehen, was dort vor sich ging.

Tschobe steuerte den Gleiter in den Schutz einer Baumgruppe fast ganz am Ende des Tals. Schnell vergewisserte er sich, daß man ihn hier von der Station aus nicht sehen konnte. Dann machte er es sich so bequem wie es in dem kleinen Gleiter möglich war, und wartete auf die einsetzende Dunkelheit.

* * *

Tschobe mußte eingeschlafen sein, denn als er sich umblickte lag seine Umgebung in tiefer Dunkelheit. Schnell kletterte Manu aus dem Gefährt und reckte seinen Körper. Die Enge des Gleiters hatte seine Muskeln verkrampfen lassen, aber mit einigen Lockerungsübungen verschwanden die Schmerzen schnell wieder. In der Ferne konnte der Arzt einen hellen Lichtschein sehen. Dort lag die Cyborgstation. Mit ausholenden Schritten machte er sich auf den Weg. Da die Station in einer Ebene lag, die nur wenige Hindernisse hatte, kam der Afrikaner gut voran. Das Licht vor ihm wurde immer

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heller und schon bald konnte er erste Gebäude erkennen. Von seinen früheren Besuchen her wußte Tschobe, daß die Station neben den Wachen und einem niedrigen Zaun nur noch einen Energieschirm als weitere Schutzeinrichtung hatte. Der Schirm wurde nur bei einer größeren Bedrohung eingeschaltet, und der Zaun war kein ernstzunehmendes Hindernis, so daß Manu Tschobe nur auf die Wachen achten mußte. Als er die Gebäudekomplexe ganz deutlich vor sich sah, begann Manu langsamer zu werden. Mit Bedacht und die kleinste Deckung, wie einzelne Büsche, ausnutzend schob er sich immer näher an die Cyborgstation heran.

Gerade als er den Zaun erreicht hatte, hörte er ein Geräusch. Blitzschnell ließ er sich fallen und blieb regungslos liegen.

»War da nicht etwas?« konnte er eine Stimme hören. Langsam hob er den Kopf und konnte zwei Männer sehen, die auf den Zaun zugelaufen kamen.

Tschobe drückte seinen Körper tiefer ins Gras in der Hoffnung, nicht gesehen zu werden. Aber er sah sich getäuscht. Ein gleißender Lichtstrahl tanzte langsam den Zaun entlang. Es konnte nur noch wenige Augenblicke dauern, bis er von dem Scheinwerferlicht erfaßt werden würde.

»Dort«, schrie eine der Wachen, »... dort am Zaun liegt einer. Verständige die Zentrale, sie sollen Verstärkung schicken!«

Tschobe überlegte nicht lange, er sprang auf und rannte in die Dunkelheit hinein. Plötzlich spürte er ein brennendes Gefühl am linken Oberarm. Tschobe ließ sich fallen. Als er auf dem Boden lag, konnte er sehen wie ein Energiestrahl über ihn hinwegfegte. Immer wieder die Richtung ändernd kroch er weiter. Erst als er die Lichter der Station fast nicht mehr erkennen konnte, hielt er an und verschnaufte sich. Dann betastete er seine linke Schulter. Eine klebrige Flüssigkeit bedeckte die zerrissene Kleidung. Ganz dicht hielt er die rechte

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Hand vor seine Augen. Blut! Sie haben scharf geschossen! dachte er. Manu konnte in der Dunkelheit nicht genau bestimmen, wie

schlimm die Wunde an seinem Oberarm war, aber da er keine größeren Schmerzen hatte, konnte es sich nur um einen Streifschuß handeln. Er eilte zurück zu seinem Fahrzeug. Dort angekommen versorgte er mit dem Erste-Hilfe-Päckchen seine Wunde.

Glück gehabt, war wirklich nur ein Streifschuß! Warum haben die Wachen scharf geschossen?

Tschobes Gedanken drehten sich im Kreis. Was ging in der Station vor?

Nach wenigen Minuten hatte sich Manu einigermaßen gefangen. Obwohl er nicht damit gerechnet hatte beschossen zu werden, gab Tschobe nicht auf. Für heute allerdings hatte er genug. Außerdem ging er davon aus, daß die Station gewarnt sein würde. Ein erneuter Versuch konnte dann durchaus tödlich enden.

Er beschloß, am nächsten Tag einen weiteren Versuch zu unternehmen, in die Station einzudringen. Dann jedoch mit Unterstützung. Er brauchte ein paar Mitstreiter, die ihm helfen würden. Tschobe startete den Gleiter und flog zurück. Unterwegs erinnerte er sich an einige Männer, die mit ihm zusammen auf Deluge im Höhlensystem eingesperrt gewesen waren.

Es wird Zeit, daß ich ein paar Bekanntschaften aus alten Zeiten wieder auffrische!

* * *

Holger Alsop konnte nicht mit Bestimmtheit sagen, wie lange er schon auf dem Weg nach Norden war. Aus ihm nicht mehr nachvollziehbaren Gründen verfügte er über keine Uhr. Ob er

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sie verloren hatte wußte der Cyborg nicht. So versuchte er, sich am Stand der Sonne zu orientieren. Hätte er phanten können, dann wäre das Zeitproblem gelöst, denn dann hätte er vom Stand der Sonne ausgehend berechnen können, wie spät es war. So aber konnte er nur schätzen.

Sein Freund, der Adler, hatte ihn irgendwann verlassen, war in sein Domizil in den hohen Bergen zurückgekehrt. Alsops Gedächtnis schien sich mit jedem Schritt nach Norden hin zu verbessern, so als würde die abnehmende Entfernung zu T-VII seiner fehlenden Erinnerung auf die Sprünge helfen.

Er erinnerte sich daran, daß Cyra Simmons sein Planhirn in der Station im Brana-Tal umprogrammiert hatte. Aber zu welchem Zweck?

Holger versuchte wieder einmal auf sein zweites System zu schalten, aber wie schon mehrfach in den letzten Stunden reagierte das System nicht. Es gab keinen Zweifel mehr! Nicht Ezbal hatte ihm seine Cyborgfähigkeiten genommen, sondern Cyra Simmons! Aber zu welchem Zweck?

Holger Alsop marschierte weiter. Ein einsamer Mann auf einer einsamen Straße. Einer Straße, die nach Norden führte. Einer Straße, an deren Ende die Station T-VII lag. Lagen dort auch seine Erinnerungen?

* * *

Die Adresse von Giligans Etablissement heraus zu suchen war eine Sache, die verdammte Bar zu finden aber eine ganz andere. Schon mehrfach hatte Bert Stranger festgestellt, daß in diesem Stadtteil ein Block aussah wie der andere.

Straßenschilder oder Leuchtanzeigen, die einen ungefähren Anhalt gegeben hätten, suchte der Reporter vergebens. Ein Passant, den Stranger angesprochen hatte, war nicht besonders

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hilfreich gewesen. Sein einziger Kommentar bestand darin, ihm mit einer Handbewegung anzudeuten, wo die Bar ungefähr lag.

Eigentlich hätte dieser Ausflug ja amüsant sein sollen, aber es artete immer mehr in Arbeit aus. Die heiße und stickige Luft, die ihm hier in den verwinkelten Straßenzügen entgegen schlug, trug nicht zu seiner Erheiterung bei. Seine gute Laune vom Morgen war spurlos verschwunden. Stranger verfluchte im stillen den Mann mit dem Namen Ryan. Einzig die Schadenfreude Birthes hielt ihn davon ab, einfach aufzugeben. Diese Genugtuung mochte er ihr nicht zugestehen. Also suchte, schwitzte und fluchte er weiter.

* * *

Das flimmernde Transmitterfeld hatte Matury Xentar zusammen mit einigen anderen Menschen ausgespien. Der kleine, drahtig wirkende Japaner sah sich kurz um und folgte dann den orangefarbenen Leuchtpfeilen zum Ausgang.

Wie in allen größeren Transmitterstationen gab es Aufenthaltsräume und Versorgungseinrichtungen in unmittelbarer Nähe des Transmitterkomplexes.

Xentar schlenderte in eines der billigeren Restaurants. Nachdem er aus dem nicht gerade reichhaltigen Angebot ausgewählt hatte, überdachte er sein weiteres Vorgehen.

Matury hatte eigentlich nicht mehr damit gerechnet, daß der mächtige Chef der GSO jemals auf seine Dienste angewiesen sein würde. Aber das Vipho-Gespräch hatte ihn eines besseren belehrt. Er sollte also nun mit einem Kollegen, den er nicht kannte, in den Einsatz gehen. Bernd Eylers hatte von Feinden und Nachteinsatz gesprochen. Wenn Xentar richtig überlegte, dann war es das auch schon gewesen. Das, die Wichtigkeit seiner Mission und den Treffpunkt, mehr hatte der Japaner

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nicht. Nun, an ihm sollte es nicht liegen. Eylers' GSO, also letztlich der Steuerzahler, hatten ihn jahrelang bezahlt, ohne daß er auch nur einen Finger gerührt hatte. Es war an der Zeit, einen Teil dieser Schulden zu bezahlen.

Eylers hatte ihn darauf hingewiesen, unter gar keinen Umständen aufzufallen. Eigentlich überflüssig, denn Matury war schon lange einer der »Schläfer« und hatte es gelernt, unauffällig zu sein. Seine fernöstliche Mentalität und sein Aussehen taten ein übriges. Auch wenn die Welt im Jahre 2061 auf das engste zusammengeschrumpft war, Rassenschranken und Intoleranz so gut wie nicht mehr vorhanden, war es für die meisten durchschnittlichen Terraner immer noch unmöglich, einen Asiaten vom anderen zu unterscheiden.

Matury Xentar gedachte sich diese Tatsache zu Nutze zu machen. Für jeden Beobachter war er einfach ein Asiate, der sich die Riesenmetropole Alamo Gordo ansah und wie ganz selbstverständlich gehörte es sich für einen Touristen, dem Space-Memorial einen Besuch abzustatten. Warum es Bernd Eylers ausgerechnet zum Memorial hinzog, konnte Matury nicht verstehen.

Er hatte sich den »Parkplatz« für ausgediente Raumflugkörper vor ein paar Jahren zusammen mit seiner Familie angeschaut. Hier standen Raketen aus dem zwanzigsten Jahrhundert friedlich neben waffenstarrenden Giantraumern. Satelliten aus der frühen Zeit tummelten sich zwischen Ringraumern.

Sicher, um unauffällig ein Treffen abzuhalten, war der Ort ideal, aber Matury Xentar machte sich nichts aus Raumschiffen. Ihm wäre der zoologische Garten oder eines der vielen Museen, die es in der Stadt gab, viel lieber gewesen.

Der Japaner beendete sein karges Mal, schnappte sich seine alt aussehende Tasche und machte sich auf den Weg zum Treffpunkt.

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* * *

Endlich wurde Bert Strangers Suche belohnt! In einer dunklen, mit allerlei Unrat bedeckten kleinen Seitenstraße entdeckte er das Ziel seiner Wünsche. Nachdem sich der Reporter an achtlos hingeworfenen Kisten vorbei gezwängt hatte, konnte er auf einem verwitterten Schild den undeutlichen Schriftzug »Giligans Bar« erkennen. Darunter stand in einer kleinen Schrift ebenso schwer zu lesen: »Öffnungszeiten: Täglich 18:00 Uhr – 06:00 Uhr«.

Bert wollte schon zu einem seiner berüchtigten Flüche ansetzen, als sich die Tür zur Bar öffnete, und ein Mann torkelnd heraus kam.

»Scheint sich nicht so ganz an seine Zeiten zu halten, der Herr Giligan«, brummte Stranger vor sich hin. Entschlossen, der Hitze zu entfliehen, öffnete er die Tür. Ein Schwall verbrauchter Kneipenluft empfing den Starreporter. Nachdem sich seine Augen an das schummrige Licht gewöhnt hatten, erkannte Stranger, daß nur wenige Schritte von der Tür entfernt eine Wendeltreppe steil nach unten führte.

Mann, wenn hier jemand richtig abgefüllt ist, kann er sich ja das Genick brechen! Bert stieg langsam und vorsichtig die ausgetretenen Stufen hinab.

Der Schankraum, den er kurze Zeit später erreichte, war nicht annähernd so, wie es sich der Reporter nach Auffindung des Lokals vorgestellt hatte.

Eine lange Theke, hinter der ein etwa fünzig Jahre alter, vom Alkohol aufgedunsener Mann gelangweilt mit einem schmutzigen Lappen versuchte, die ebenso schmuddelige Zapfanlage zu reinigen. Einige Tische und Stühle, die auch schon bessere Zeiten gesehen haben mußten, das war's!

Halt! Stranger schaute nochmals hin. Am Ende des langen

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Tresens befand sich noch jemand. Er hatte ihn zu Anfang übersehen, da die Kleidung des Mannes fast die gleiche Farbe hatte wie die Einrichtung.

Perfekte Tarnung ist eben alles! kam es Bert in den Sinn. Er trat nun vollends in den Raum ein und steuerte auf den Mann zu, von dem er annahm, daß es Giligan sei.

»Tag, sind Sie Giligan?« »Und wenn, wer will das wissen?« brummte der

Angesprochene und fuhr fort, seine Zapfanlage zu putzen. »Mein Name ist Stranger, Bert Stranger. Ich bin hier mit

einem Mr. Ryan verabredet. Man sagte mir, ich solle nach Giligan fragen.«

Bert Stranger, der lebende Leichnam, beobachtete die Reaktion seines Gegenübers. Der machte aber keinerlei Anstalten, das begonnen Frage- und Antwortspiel zu vertiefen.

Dem Reporter war klar, daß er sich nun beherrschen mußte. Denn rastete er jetzt aus, dann war es vorbei mit dem Treffen. Giligan würde schweigen und Birthe bekam doch noch ihren kleinen Triumph.

Mit einer lässigen Bewegung ließ Stranger eine Zwanzig-Dollarnote auf den noch feuchten Tresen fallen: »Geben Sie mir bitte einen kühlen Longdrink. Der Rest ist dann für Sie.«

Mürrisch unterbrach Giligan seine Tätigkeit und füllte etwa einen Zentimeter einer dem Starreporter unbekannten Flüssigkeit in einen Plastikbecher und schob diesen Stranger hin. Mit einer einzigen Handbewegung fegte er geschickt die Note von der Theke und fragte: »Welcher Rest?«

Dann nahm er unbeeindruckt seine Tätigkeit wieder auf. Stranger war verblüfft! Er, der sich rühmte mit allem und

jedem fertig zu werden, er, der sich mit dem Choleriker Bulton angelegt hatte und siegreich aus der Auseinandersetzung hervorgegangen war, stand da wie ein begossener Pudel. Hatte seinen Meister gefunden!

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Mit einem einfachen Trick war der selbsternannte Starreporter aufs Kreuz gelegt worden, von einem Kneipenwirt. Wenn das Birthe in Erfahrung brachte!

Laut lachte er auf. »Giligan, Sie sind richtig!« Er griff in seine Hemdtasche und schmiß einen weiteren Zwanziger auf die Theke. »Also, wo ist der Mann? Wo steckt Ryan?«

Giligan machte keine Anstalten, dem Mann die Auskunft zu geben. Immer noch putzte er mit Hingabe an der Zapfanlage.

»Na schön.« Stranger griff abermals in die Hemdtasche. »Das ist aber der Letzte.«

Giligan strich den Schein ein und nickte mit dem Kopf an das Ende des Tresens, auch er schien genau zu wissen, wo die Grenzen bei diesem Spiel lagen. Eigentlich hätte Stranger es sich ja denken können, aber man wußte ja nie. In Gedanken setzte er die verlorenen 60 Dollar auf die Rechnung seiner Zeitung. Er mußte nur noch den Prüfer davon überzeugen, daß die Ausgabe notwendig war.

Der Mann, den Giligan als Ryan bezeichnete, hatte die Unterhaltung mit angehört. Er richtete sich ganz auf und trat aus der dunklen Ecke heraus auf Stranger zu. »Entschuldigen Sie den Umstand. Kommen Sie, wir setzen uns hier an den Tisch.«

Mit einem Mal hatte Bert das Gefühl, einer großen Sache auf der Spur zu sein. Er konnte nicht sagen was es war, vielleicht irgendetwas, das von dem Blick des Alten ausging. Mochte der Mann auch noch so versoffen sein, und Bert war sich darüber im klaren, daß er es hier mit einer gescheiterten Existenz zu tun hatte – die Augen konnten nicht lügen! Und eben in diesen Augen hatte er Angst gesehen.

Todesangst! »Danke, daß Sie sich die Zeit genommen haben und

hergekommen sind«, begann der Alte flüsternd das Gespräch. Erstaunlicherweise schien Ryan vollkommen nüchtern zu sein.

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Bert roch zwar Spuren von billigem Fusel, aber er konnte nicht behaupten, daß sein Gegenüber betrunken war.

»Worum geht es?« Obwohl das menschliche Wrack sein Mitleid erregte, gedachte Stranger nicht unvorsichtig zu werden, bemerkte er doch aus den Augenwinkeln heraus, daß Giligan seinen Platz verlassen hatte und sich Richtung Ausgang bewegte.

»Wenn Sie versuchen sollten, mich ausnehmen zu wollen...« »Nein, nein...« unterbrach ihn Ryan. »Sehen Sie, Mr.

Stranger, ich habe Angst! Wenn Sie es gesehen hätten, dann würden Sie auch um Ihr Leben fürchten!«

Bert merkte, wie aufgeregt der Alte war. In der Zwischenzeit war Giligan zurückgekehrt. Er trat an den Tisch heran. In seinen Händen hielt er eine Flasche und drei Gläser.

Unaufgefordert nahm er Platz und schenkte die Gläser voll. »Habe den Laden mal eben zugemacht. Denke, es ist besser,

wenn das hier Gesprochene unter uns bleibt. Das hier«, er deutete auf die Flasche, »geht auf Kosten des Hauses. Prost!«

Damit schien sein Redefluß zunächst einmal unterbrochen. Vorsichtig nippte Bert an dem Glas, um dann einen großen Schluck zu tun. Genüßlich verzog er das Gesicht. Whiskey der feinsten Sorte! Stranger war mehr als überrascht, einen solchen Tropfen hier kredenzt zu bekommen.

»Also, Ryan, was haben Sie geschehen? Warum haben Sie Angst?«

* * *

Bernd Eylers bewegte sich vollkommen natürlich durch die Menschenmenge, die sich vor der Rakete vom Typ Apollo versammelt hatte und den Ausführungen des Zentralcomputers des Memorials lauschte. Als er sich ein paar hundert Meter entfernt hatte, schaute er sich unauffällig um. Niemand schien

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dem GSO-Chef gefolgt zu sein. Das riesige Freigelände des Space-Memorials war liebevoll als Parkanlage ausgebaut worden. Wiesen, auf denen Familien picknicken konnten, ganze Blumenfelder, die jetzt im August schon einen Teil ihrer Schönheit verloren hatten, gab es genauso wie Baumgruppen, die Schatten spendeten und kleine künstliche Seen, auf denen Schwäne und Enten herumpaddelten. Unterbrochen wurde die Landschaft immer wieder von einem Ausstellungsstück. Die Exponate waren so unauffällig wie möglich in die Landschaft hineingestellt worden. Soweit man bei einem Raumschiff überhaupt von Unauffälligkeit reden konnte.

Er erreichte eine Kreuzung, von der ein schmaler Kiesweg abbog, um dann wenige Meter weiter in einer Dornenhecke zu verschwinden. Eylers blieb vor der Hecke stehen, tat so, als ginge er einem dringenden menschlichen Bedürfnis nach. Dabei beobachtete er sorgfältig seine Umgebung. Als er sicher war, daß niemand Notiz von ihm nahm, zwängte er sich durch die Hecke. Nochmals blieb er lauschend stehen.

Nichts, er war allein. Zielstrebig folgte er dem weiteren Verlauf des Kiesweges

und gelangte an eine kleine Hütte, in der die Memorialverwaltung Ersatzteile lagerte. Das Schloß, daß an der Holztür angebracht war, bot dem GSO-Mann nur wenige Sekunden Widerstand. Eylers verschwand im Inneren der Hütte.

* * *

Ingmar Knutsson erreichte das Memorial per Taxi. Nachdem er sich geduldig in die Reihe der wartenden Besucher gestellt und seinen Eintritt bezahlt hatte, begab er sich zu der Übersichtskarte. Schnell hatte er die Stelle gefunden, zu der ihn Eylers befohlen hatte. Er betrachtete zwei, drei der

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Ausstellungsstücke, die ihn immer näher an den Treffpunkt heranführten. Nach nur fünfzehn Minuten hatte er die Stelle erreicht. Auch Ingmar beobachtete aufmerksam die ganze Gegend. Dann verschwand er auf die gleiche Weise wie sein Auftraggeber durch die Dornenhecke.

* * *

»Tote...«, flüsterte Ryan unhörbar, »... sie wurden einfach erschossen. Ausgelöscht, vor meinen Augen.«

»Wer wurde von wem erschossen? Ryan, erzählen Sie mir die Sache von Anfang an!«

»Ich hatte an diesem Abend ein wenig zu viel getrunken und schaffte es nicht mehr bis zu meiner Bleibe.« Ryan unterbrach sich, um einen großen Schluck von Giligans Geschenk zu trinken. »Als ich den Raumhafen erreichte, bemerkte ich eine offene Halle. Ich habe mich gewundert, denn normal sind die immer fest verschlossen oder es stehen Wachen herum, die Leute wie mich vertreiben. Nun, ich nutzte die Gelegenheit, schlüpfte hinein. An einer Wand standen ein Haufen Pappkisten, die sehr einladend aussahen. Ich stöberte ein wenig rum, und dann muß ich eingeschlafen sein.«

»Und weiter?« fragte Bert Stranger. »Irgendwann, die Uhrzeit weiß ich nicht, aber es war schon

dunkel, kamen Männer. Soldaten... und Stimmen! Ich wurde wach und sah, wie die Soldaten einen Mann und eine Frau an eine Wand führten.«

Wieder unterbrach sich der Alte um zu trinken, dabei sah er Stranger an, so als wolle er sich versichern, daß der Reporter ihm auch zuhörte.

»Erst begriff ich gar nichts, aber als ich mir die beiden an der Wand genauer ansah, wußte ich Bescheid. Sie sollten exekutiert werden! Die Frau habe ich erkannt, es war die van

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Maarten.« »Ryan«, unterbrach Stranger den Erzähler, »Wissen Sie,

was Sie da sagen? Die Frau ist Admiralin, und die werden nicht so einfach exekutiert!«

»Es stimmt aber!« bekräftigte Ryan, »ich streife öfters am Raumhafen rum, und da habe ich die Frau schon gesehen! Sie hat sogar mal mit mir gesprochen!«

»Gut, erzählen Sie weiter! Wer war der Mann?« »Weiß ich nicht. Er hatte so eine Uniform wie die Soldaten

an. Dann befahl die Stimme aus dem Vipho, zu schießen, und das taten die Soldaten dann auch.«

»Ist das alles?« fragte Stranger, der langsam an der Glaubwürdigkeit seines Gegenübers zu zweifeln begann.

»Ja...«, und nach kurzem Zögern sagte Ryan: »Nein...« »Ja, nein, was denn? Haben Sie noch mehr gesehen?«

hinterfragte Bert. »Einen Tag später, ich war so gegen Mittag hier, da brachte

das TV eine politische Sendung, und da sprach die Stimme vom Vortag! Da habe ich den Mann dann auch gesehen!« Hastig goß Ryan den Rest aus der Flasche in sein Glas. Mit einem Zug verschwand die braune Flüssigkeit in seinem Mund.

»Wen haben Sie erkannt?« forderte der Reporter. Ryan sah sich verstohlen um und flüsterte dann:

»Trawisheim, die Stimme gehörte Henner Trawisheim!«

* * *

»Schön, daß Sie so pünktlich sind«, begrüßte Bernd Eylers den Japaner, als er in den Innenraum der Hütte trat. Kurz stellte der GSO-Chef seinen Begleiter vor.

»Lassen Sie uns gleich zur Sache kommen. Ich habe Sie beide ›geweckt‹, weil die Sicherheit des Planeten auf dem Spiel steht!«

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Eylers begann, den beiden Männern die Lage zu erklären. Je länger er sprach, umso ungläubiger schauten Knutsson und Xentar.

Nach fast zwanzig Minuten Erklärungen sagte er: »Das ist die Lage. Wie Sie sehen können, nicht gerade rosig. Wir stehen vor dem großen Problem, daß wir nicht mit absoluter Sicherheit sagen können, wer infiziert ist und wer nicht! Außerdem kann niemand mir genau sagen, wieviel Zeit uns eigentlich bleibt. Das macht die Sache so verdammt schwer.«

»Wie sollen wir vorgehen?« unterbrach Xentar der GSO-Chef. Anstelle einer Antwort überreichte Eylers seinen beiden Agenten mehrere Blätter aus dem Block. Dann sprach er weiter: »Zunächst werden wir unsere Logistik ein wenig verbessern! Etwa acht Kilometer außerhalb von Alamo Gordo steht eine alte Elektronikfabrik zum Verkauf. Sie, Xentar, werden dieses Objekt erwerben. Treten Sie als japanischer Großindustrieller auf. Es sollte keine Schwierigkeiten geben. Dort werden wir unser Hauptquartier errichten.

Knutsson, Ihre Aufgabe wird es sein, Ausrüstung, Verpflegung, Transporter usw. zu besorgen und in die Fabrik zu schaffen. In Ihren Unterlagen befindet sich eine Liste mit allen Dingen, die wir für eine etwa einhundert Mann starke Truppe brauchen. Was Sie nicht sofort besorgen oder nicht käuflich erwerben können, werden wir später einfach klauen! Ich denke da an die schweren Waffen.«

Knutsson nickte bedächtig. Bis jetzt war ihm alles verständlich.

»Gut, in den nächsten Tagen werden die restlichen Männer unserer kleinen Armee so nach und nach eintreffen. Wichtig ist, daß alles so unauffällig wie möglich geschieht.«

Eylers machte eine kurze Pause und gab den Agenten einen weiteren Zettel aus dem Block.

»Das ist unser ungefährer Zeitplan. Schauen Sie sich ihn gut

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an! Sie werden erkennen, daß unter X+3 ›Beginn des Unternehmens Hyperion‹ steht. Bis zu diesem Tag müssen alle Vorbereitungen abgeschlossen sein! Bis zu diesem Zeitpunkt hoffe ich zu wissen, wer zu den Nichtinfizierten gehört. Mit Beginn von Hyperion werden wir so viele Nichtbefallene wie möglich dem Zugriff von Trawisheim und Co entziehen. Wenn notwendig mit Gewalt und gegen den Willen der Betroffenen! Damit wäre eigentlich alles gesagt. Sie kennen Ihre Aufgaben. Gehen Sie jetzt! Und... viel Glück!«

* * *

Langsam senkte sich die Dunkelheit über Alamo Gordo. Bert Stranger saß in seiner kleinen Wohnung und schaute mit wenig Interesse in sein TV-Gerät. Durch seinen Kopf rasten die wildesten Gedanken. Wenn Ryan recht hatte, und der Reporter war gewillt, ihm Glauben zu schenken, dann war eine große Sauerei im Gange. Die Frage war nur, welche?

Was wurde mit den Erschießungen bezweckt? Wer war der zweite Mann? Wem war die van Maarten auf die Füße gestiegen?

Er kam zu keinem brauchbaren Ergebnis. Was Bert am meisten daran störte, war, daß Trawisheim mit darin verwickelt war. Ziemlich tief sogar. Nicht daß der Starreporter besondere Vorlieben für den Stellvertreter Dharks hegte, aber es war schwer zu glauben. Andererseits sprachen Ryans Angst und die eindeutige Identifizierung dafür.

Er brauchte unbedingt eine Bestätigung des Gehörten! Bestätigung aus einer zweiten, unabhängigen Quelle.

Jeder halbwegs gute Pressemann verfügte über Informationsquellen in Regierungskreisen. Manchmal waren es nur Schwätzer oder Wichtigtuer, aber oft genug kamen verwertbare Informationen dabei heraus. Auch Bert Stranger

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hatte viel Zeit investiert und sich einen Stamm von Informanten aufgebaut.

Das Spiel wurde nach einfachen Regeln gespielt. Ich erzähle Dir, wer welche Leiche im Keller hat, dafür zeigst Du mich Deinen Lesern von meiner Schokoladenseite Bert Stranger beherrschte dieses Spiel!

Er überlegte, wen er ansprechen könnte. Schließlich ging es hier um kein Kavaliersdelikt! Stranger bemerkte, daß er sich im Kreise drehte. An diesem Abend würde er nicht mehr weiterkommen. Der Starreporter beschloß, sich schlafen zu legen. Morgen war auch noch ein Tag.

In dieser Nacht träumte Bert Stranger von seiner unauffälligen Kollegin Birthe. Sie erschien ihm immer wieder in den unterschiedlichsten Verkleidungen und sprach: »Sei vorsichtig, Bert Stranger! Du stehst schon mit einem Bein im Grab!«

* * *

Bernd Eylers, Chef der GSO, war in das 17. Stockwerk des Hochhauses zurückgekehrt. Nachdem er sich versichert hatte, daß sich alle Bewohner ruhig verhielten und ihren eigenen Angelegenheiten nachgingen, verschloß er sorgfältig die Tür der Wohnung und begann einige Vipho-Gespräche zu führen.

Er war zufrieden. Seine Pläne liefen besser an als er gedacht hatte. Sicher, es würde noch mehr als genug Schwierigkeiten geben, aber der Anfang war gemacht. In den nächsten Tagen würde er so nach und nach alle Schläfer wecken. Darunter auch solche, die direkt vor Henner Trawisheims Nase saßen!

Nur schade, daß ich keine Verbindungsleute in der Cyborgstation habe. Würde zu gerne wissen, was im Brana-Tal geschieht! dachte Eylers als er sich erneut einen Instantkaffee aufbrühte.

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Wenige Stunden später legte sich Bernd Eylers zur Ruhe. Auch er träumte. Auch sein Traum beschäftigte sich mit dem Tod. Eine Armee der »Schläfer« war erwacht! Marschierte mit ihm an der Spitze gegen den Feind!

Die »Schläfer«! Sie waren die Speerspitze, die Bernd Eylers in seinem Traum in die breite Brust Henner Trawisheims rammte.

* * *

Sanft schwebte der Liniengleiter dem Leitstrahl entlang nach unten auf die gelbe Markierung zu. Sicher setzten die Prallfelder das Fluggerät auf der vorgesehenen Parkposition des Regionalraumhafens Larnugarn ab. Hierhin, an den Fuß des Himalayagebirges und nur rund 25 Kilometer Luftlinie vom Brana-Tal entfernt, hatte Manu Tschobe seine beiden alten Freunde an diesem Morgen bestellt. Viele Erklärungen waren nicht notwendig gewesen. Sie kannten sich schon zu lange, um die Aufforderung, ins Gebirge zu reisen, als Scherz abtun zu wollen.

Tschobe stand an dem Panoramafenster der kleinen Wartehalle und beobachtete die Ankunft der Maschine. Da auf dem Raumhafen Larnugarn nur sehr wenige Flugbewegungen durchgeführt wurden, fehlten fast alle Einrichtungen, die dem Komfort der Fluggäste dienten. So verwunderte es auch nicht, daß es keine Beförderungsdienste zwischen den Parkpositionen der Schiffe und dem Hauptgebäude gab.

Manu Tschobe sah wie sich die Schleuse des Gleiters öffnete. Wie er vermutet hatte, stiegen nur zwei Leute aus. Deutlich konnte er erkennen wie sie ihr Gepäck aufnahmen und sich langsam dem Empfangsgebäude näherten.

Als die Männer die gelbe Sicherheitsmarkierung des Vorfeldes überschritten, startete der Liniengleiter wieder, um

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seine Zubringerdienste weiter auszuführen. »Hallo Manu!« riefen Bud Clifton, Chef der WS-West auf

der Point Of und der Physiker Pal Hertog fast gleichzeitig als sie den Empfangsraum betraten.

»Hey, ihr beiden! Freut mich, daß ihr meiner Einladung gefolgt seid.«

Da die drei allein in der Halle waren, Empfangspersonal gab es nur in Form von Robotern, brauchten sie keine Rücksicht auf die Lautstärke ihrer Begrüßung zu legen. Alle drei verband der Jungfernflug des ersten Ringraumers der Menschheit. An Bord des Schiffes hatten sie sich kennen und achten gelernt.

Clifton war ein Waffennarr, darum hatte er auf der GALAXIS angeheuert und Sam Dhark machte ihn kurzerhand zum Waffenoffizier des Aussiedlerschiffes. Später hatte sein Sohn Ren Clifton mit auf die Point Of genommen.

Auch Pal Hertog gehörte zu den ersten Anhängern Ren Dharks. Tschobe schätzte an dem Physiker, daß er so gar nicht seiner Zunft entsprach und mit beiden Beinen im Leben stand.

»Warum hast du uns herkommen lassen?« fragte Pal Hertog den afrikanischen Arzt nach der überschwenglichen Begrüßung.

»Setzen wir uns erstmal, und für einen Willkommenstrunk muß auch Zeit sein!« Bud Clifton ließ sein Gepäck auf den Boden fallen und zog eine bauchige Flasche mit braunem Inhalt aus einer der Seitentaschen.

Manu Tschobe bat Clifton: »Bud, dafür haben wir wirklich keine Zeit, außerdem müssen wir einen klaren Kopf behalten, es kann sehr gefährlich werden. Also hört zu.« Der Arzt beschrieb mit kurzen aber präzisen Worten die Situation wie er sie sah.

Knapp zwei Stunden später machten sich drei Männer auf den Weg. Zu Fuß folgten sie einer gutausgebauten aber wenig befahrenen Straße, die langsam ansteigend in die höheren

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Regionen des Gebirges führte. Immer wieder schaute Tschobe auf die Karte, die er am Raumhafen erworben hatte. Auf ihr sollten alle gangbaren Wege durch das Gebirge eingezeichnet sein. Nach kurzer Beratung waren die Männer übereingekommen, auf einem der Nebenwege zu versuchen, in das Tal einzudringen.

Nach Tschobes nächtlichem Erlebnis erschien es ihnen sinnvoll, auf einem Schleichpfad weiter zu gehen.

Manu hatte die Spitze ihrer kleinen Gruppe übernommen. Weder Clifton noch Hertog hatten protestiert, daß der Arzt den Anführer spielte. Hinter sich hörte er Bud fluchen, er verstand irgend etwas von »Gleitern« und »warum nicht fliegen«.

Der Afrikaner lächelte, wußte er doch, daß Clifton nur scherzte.

Ein Gleiter, noch dazu einer, der nicht zum Brana-Tal gehörte, mußte sofort auffallen. Tschobe rechnete damit, daß die Cyborgs oder Teile des technischen Personals der Station die normalen Zugänge zum Tal abriegeln oder zumindest überwachen würden. Darum hatte er beschlossen, diese Straße, die sie direkt zum Tal bringen könnte, etwa sieben Kilometer Luftlinie vor der Station zu verlassen. Laut Karte gab es dort einen schmalen und steilen Weg, der sie in einen abgelegenen, nicht bebauten Teil des Tales bringen würde. Dort würde man dann weiter sehen.

Langsam stieg die Sonne hinter den hohen Gebirgsspitzen auf, und es wurde merklich wärmer. Alle drei Männer begannen zu schwitzen. Hertog blieb plötzlich stehen und begann an seinem Gepäck zu hantieren.

»Was ist los, schon müde?« fragte Clifton spöttisch. »Nee, mich drückt da was!« »Okay, Leute, machen wir eine kurze Pause.« Tschobe ließ seinen Rucksack achtlos abwärts gleiten und

setzte sich auf den Boden. Clifton und Hertog folgten seinem

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Beispiel. Eine Wasserflasche machte die Runde. Während Hertog trank, breitete Manu die Karte auf dem Boden aus. Mit einem kleinen Ast zeigte er auf eine Stelle auf der Karte. »Hier sind wir. Wenn alles so klappt wie ich es mir vorstelle, dann dürften wir etwa bis hierher ohne Probleme marschieren können. Dann allerdings...«, er machte eine Kunstpause, »... dann allerdings dürften unsere Schwierigkeiten erst anfangen.«

* * *

Etwa zur gleichen Zeit versuchte ein anderer Mann an anderer Stelle, Schwierigkeiten aus dem Wege zu gehen. Bernd Eylers hatte an diesem Morgen planmäßig damit begonnen, seine »Schläfer« zu wecken. Darunter auch eine »Schläferin«, die sich ganz in Trawisheims Nähe befand. Seit etwa einem Jahr gehörte Tamara Gyor der GSO an. Die junge Frau saß in Trawisheims Schreibbüro und mußte so zwangsläufig einiges von den Aktivitäten des Cyborgs mitbekommen. Sie gedachte Eylers schnellstmöglich zu aktivieren. Ihm war klar, daß er sehr vorsichtig zu Werke gehen mußte. Seine Agentin durfte er unter keinen Umständen gefährden. Ein Vipho-Anruf allein war vielleicht zu verdächtig, also vereinbarte er ein Treffen mit ihr. Sollte wirklich jemand das Gespräch mithören, so erschien ihm eine Verabredung als unverdächtig.

Schon beim Eintreten in das kleine Lokal ganz in der Nähe von Tamaras Arbeitsplatz hatte er das Gefühl, beobachtet zu werden. Nichts deutete auf Unheil hin, und doch konnte der erfahrene Geheimdienstmann Eylers spüren, daß etwas nicht stimmte.

Er trat an den Tisch von Tamara heran, doch noch bevor er den Kontakt aufnehmen konnte, bemerkte Eylers hinter einem Raumtrenner aus Kunststoff eine hastige Bewegung. So als würde jemand einen länglichen Gegenstand aus einer Jacke

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ziehen. Im gleichen Augenblick sah er es aufblitzen. Blasterbeschuß! Eine Falle! Eylers ließ sich fallen und kroch zwischen den Tischbeinen

hindurch auf den Ausgang zu. Blitzschnell aktivierte er die in seinem künstlichen Arm eingebaute Gaswaffe und schoß zurück. Ob er getroffen hatte, konnte Eylers nicht mit Bestimmtheit sagen. Gleich nachdem er auf den Auslöser gedrückt hatte, waren mehrere Männer in den kleinen Gastraum des Lokals gestürmt.

Der GSO-Mann war durch die Eingangstür entkommen. Seitdem hetzte Bernd Eylers durch die Straßen Alamo Gordos. Er benutzte mehrere Transmitterverbindungen und glaubte nach einiger Zeit, seinen Verfolgern entkommen zu sein.

* * *

Im Schutze einiger Felsen, die auf einem kleinen Hügel östlich der Straße lagen, hatte Holger Alsop die Nacht verbracht. Nun schaute er in die pralle Morgensonne, und versuchte durch Auflockerungsübungen die Kälte zu vertreiben. Gleichzeitig hoffte er, dadurch die Schmerzen in seinen Gliedern zu mindern. Durch den Verlust seiner Cyborgfähigkeiten hatte sein Körper genauso reagiert, wie er es bei einem untrainierten Menschen getan hätte: alle Bewegungen liefen langsam ab.

Alsop beendete seine Übungen und fühlte sich tatsächlich ein wenig besser. In der Nacht hatten den »ehemaligen« Cyborg Alpträume geplagt. Cyra Simmons war ihm in Form eines brennenden Rache-Engels erschienen. Immer wieder hieb sie mit ihrem Flammenschwert auf ihn ein und schrie: Folge der Programmierung!

Trotz intensiven Nachdenkens konnte Alsop das Geheimnis der Sperre in seinem Gehirn nicht lösen. Er war mittlerweile davon überzeugt, daß die Stellvertreterin Ezbals einen

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bestimmten Plan verfolgte, und dieser Plan mit T-VII zu tun hatte.

Nur war es ihm bisher nicht gelungen, den Knoten zu lösen, der seine Erinnerungen blockierte.

Warum manipuliert sie mich? Was habe ich in T-VII getan? Holger hatte sich in den letzten zwei Tagen immer wieder diese Fragen gestellt. Nur ganz vage konnte er sich daran erinnern wie er die letzten Tage verbracht hatte.

Wenn Cyra Simmons ihn zu einer bestimmten Handlung veranlassen wollte, dann mußte sie auch Mechanismen eingeplant haben, die ihm seine volle Erinnerung zurückgeben würden.

Während er langsam und mechanisch einen faden Konzentratriegel aus Flottenbeständen verspeiste, versuchte er sich vorzustellen, welche Sperre die Simmons in sein Planhirn eingebaut hatte.

Reichte der bloße Anblick von T-VII aus, um die Sperre zu lösen?

Seine Gedankengänge drehten sich im Kreis. Er fand keine Antwort.

Alsop raffte seine wenigen Habseligkeiten zusammen und brach auf. Seine Schritte führten ihn schnell auf die Straße zurück. Mit weit ausholenden Schritten marschierte der Cyborg weiter nach Norden, in der Hoffnung, dort, wo T-VII lag, endlich Erlösung zu finden.

* * *

Maturi Xentar, der Japaner in Diensten der GSO, setzte mit schwungvoller Bewegung den Schlußpunkt der kurzen Verhandlung. Der Vertrag war perfekt! Die Armee der Schläfer hatte ihr Domizil gefunden!

Wie Eylers vorhergesagt hatte, gab es überhaupt keine

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Probleme mit dem Erwerb des Grundstücks. Der Eigentümer war wohl froh, dieses tote Kapital loszuwerden. Nicht einmal nach dem weiteren Verwendungszweck und dem Namen und Sitz des Konsortiums, das er angeblich vertrat, hatte der Angestellte der verantwortlichen Kanzlei gefragt.

Von einer öffentlichen Vipho-Zelle aus unterrichtete Xentar seinen Kollegen Knutsson, der, im Gegensatz zu ihm, eine Bleibe in einem billigen Hotel in der Nähe des Raumhafens Cent Field gefunden hatte. Dieser würde schnellstmöglichst Bernd Eylers verständigen. Xentar war zufrieden, die Dinge liefen gut an! Unternehmen Hyperion, aus der Not heraus geboren und vom Chef der GSO ersonnen, war auf den Weg gebracht!

Er stoppte eines der vielen Gleitertaxis und beauftragte den Robotfahrer, ihn zum Fabrikgelände zu bringen. Nach weniger als fünfzehn Minuten gemächlicher Fahrt stand Maturi vor dem Sperrgitter der ehemaligen Elektronikfabrik. Schnell war der Impulsschlüssel im Elektroschloß versenkt und die Doppeltore glitten fast lautlos zurück. Maturi Xentar betrat »seinen Besitz«.

Während der nächsten Stunden besichtigte er verwaiste, halb zerstörte Fabrikationshallen, durchstöberte staubbedeckte Lagerstätten und kroch durch enge Kanalisations- und Kabelschächte. Immer mit dabei war der Folienblock. Maturi verzeichnete akribisch, in welchem Zustand sich die Räume und Gänge befanden. Als er es endlich geschafft hatte, war er mehr als zufrieden. Er ließ sich auf einer ehemaligen Frachtrampe nieder und ruhte sich aus.

* * *

Auch Ingmar Knutsson war nicht untätig geblieben. Nachdem Xentar ihn vom Kauf des Geländes informiert hatte, und er die

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vereinbarte Nachricht in geraffter Form an seinen Chef abgesandt hatte, begann Ingmar mit seinem Teil des Unternehmens. Schon am Abend zuvor hatte er sich seinen Plan zurechtgelegt. Ein unauffälliger Transportgleiter mit Kastenaufbau war geordert und stand abholbereit auf dem riesigen Parkgelände des Raumhafens. Seine Einkaufsroute hatte er sich aus den Datenbänken des Zentralcomputers der Stadtverwaltung besorgt. Seine erste Station war ein Laden eines Billiganbieters. Hier sollten die Waren des täglichen Bedarfs, wie Toilettenartikel, Bestecke usw. besorgt werden. Es konnte kaum auffallen, wenn er für hundert Männer einkaufte. Die Datensätze des Zentralcomputers hatten bestätigt, daß fast alle größeren Firmen ihren Bedarf an Verbrauchsgütern hier deckten. Man war es gewohnt, wenn die Kundschaft in großen Mengen einkaufte. Danach würde er Bekleidung und Schuhwerk besorgen. Ein Blick auf seine Liste, und ihm war klar, daß er den ganzen Tag unterwegs sein würde.

Der erste Weg aber galt einer kleinen, unauffälligen Bank im Regierungsviertel. In seiner Tasche hatte Knutsson ein Schreiben, daß ihn als Berechtigten auswies. Eylers hatte verschwiegen, wie der riesige Betrag auf dem Konto zustande gekommen war, aber er hatte ihm versichert, daß niemand Fragen stellen würde. Er lag auf dem abgewetzten Bett und sah sich die Nachrichtensendung von TERRA 1 an. Genüßlich sog er an seinem Glimmstengel und trank heißen, schwarzen Kaffee dazu. Knutsson war mit sich zufrieden. Über die schwierig werdende Beschaffung der Waffen würde er sich später Gedanken machen. Hyperion konnte beginnen!

* * *

»Hier muß es sein!« Manu Tschobe war stehengeblieben und drehte sich zu seinen Begleitern um. Seine Hand deutete auf

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einen schmalen, steinigen Pfad, der steil anstieg und nach wenigen Metern hinter mächtigen Felsen verschwand.

Clifton kam heran. »Wurde auch langsam Zeit, ich bin doch nicht bei der Infanterie!«

Ironisch meldete sich Pal Hertog: »Glaubt man den alten Aufzeichnungen, die sich im Militärmuseum befinden, dann sind nur die ersten tausend Kilometer schlimm, danach geht's dann! Fehlt dir ja nicht mehr viel!«

»Haha, selten so gelacht«, erwiderte Bud und fuhr fort: »Wie weit haben wir es noch, Tschobe?«

»Luftlinie? Etwa sieben Kilometer, wieviele es aber tatsächlich hier auf dem Boden sind, kann ich nicht sagen.«

»Mehr, mein lieber Bud. Viel mehr!« spottete Hertog. Nach kurzer Rast, in der die drei Männer nochmals ihr

Gepäck auf richtigen Sitz hin überprüften und ihre Waffen bereitmachten, ging es dann weiter.

Manu Tschobe an der Spitze übersprang den kleinen Graben, der den Pfad von der Straße trennte, und verschwand hinter den Felsbrocken, dicht gefolgt von Clifton und Hertog. Der kleine Trupp zog immer höher in das Gebirge.

Stunde um Stunde verging. Der »kleine Spaziergang«, wie Tschobe es genannt hatte, artete in einen Gewaltmarsch aus. Schweiß rann aus allen Poren, zog seine Bahn über die Rücken der Männer. Durchnässte ihre Kombinationen.

Die Gespräche waren fast ganz verstummt. Nur das schwere Atmen und die knirschenden Tritte waren zu hören.

Der Pfad erwies sich schon bald als einzige Tortur! Immer wieder mußten die drei Männer herabgefallenen Felsbrocken und umgestürzten Bäumen ausweichen. Je höher sie kletterten, um so steiler und verwundener schien der Gebirgsweg zu werden.

Als Manu Tschobe über einen Baum hinwegkletterte, der quer über dem Pfad lag, blieb er plötzlich wie angewurzelt

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stehen. »Deckung!« zischte er gepreßt hinter sich. Augenblicklich

und fast lautlos verschwanden Clifton und Hertog unter dem umgefallenen Baum. Leise krochen sie bis auf die Höhe des Arztes vor.

»Stimmen, ich habe Stimmen hinter der Biegung gehört!« raunte Manu.

Minutenlang verharrten Hertog, Clifton und Tschobe in ihrer Deckung.

Tatsächlich war hinter der Biegung ein leises Scharren von Füßen zu hören, unterbrochen von halblauten Stimmen. Ohne Zweifel, dort bewegte sich eine Gruppe von Männern den Pfad hinab!

Die klare Gebirgsluft machte es Manu nahezu unmöglich zu bestimmen, um wieviele Männer es sich handelte oder wie weit sie noch entfernt waren.

Er überlegte, ob sie ihnen entgegengehen sollten, oder ob es besser war, hier, in relativ guter Deckung, auf sie zu warten. Sollten sie kämpfen oder versuchen, an der Truppe, die aus dem Brana-Tal kommen mußte, vorbeizuschleichen? Jede Entscheidung konnte falsch sein! Der einzige Vorteil, den Tschobes Gruppe hatte: sie würden das Überraschungsmoment auf ihrer Seite haben!

Manu Tschobe sollte sich täuschen! Im nächsten Moment brachen mehrere Männer, angeführt

von einem alles andere als überraschten Cyborg Bram Sass, um die Wegbiegung und stürmten auf die Stellung der Gruppe Tschobe zu. Wild und zu allem entschlossen eröffneten sie das Feuer auf die drei Männer.

* * *

Mel Harrison setzte den halbvollen, dampfenden Kaffeebecher

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ab und sah auf die stilisierte Darstellung des Panoramaschirms. Sie zeigte neben vielen, scheinbar antriebslos treibenden Raumschiffen, den Planeten Erde. Eingehüllt in einen flimmernden Energieschirm. Die Situation hatte sich etwas entspannt. Allmählich schien sich herumgesprochen zu haben, daß die Erde vom Rest des Universums abschottet worden war. In den letzten Stunden waren nur noch wenige Schiffe in das Sonnensystem eingeflogen und die Hektik schien sich zu legen. Man schien das Chaos zu beherrschen!

Harrison hatte längst vergessen, wieviele Raumschiffe er in den letzten Tagen geführt hatte. Unzählige Male waren seine Standardanweisungen gekommen. Hatten Schiffe zu imaginären Punkten geführt, an denen sie immer noch ihre Kreise zogen. Er fühlte sich unendlich müde und ausgelaugt und hätte liebend gern ein wenig geschlafen. Daraus wurde aber nichts. Konnte nichts werden!

Die verantwortlichen Offiziere der Leitstelle hatten angeordnet, daß nur die erfahrensten und besten Männer den Flugverkehr abzuwickeln hatten.

Leider gehörte Mel Harrison dazu. Also wurde er alle vier Stunden von Duff abgelöst. Konnte kurze vier Stunden entspannen, um dann wieder am Schirm zu sitzen.

»Harrison!« Leutnant Cohlham war leise an ihn herangetreten. »Wir haben es im Griff. Wenn Ihr Wachtörn vorüber ist, dann hauen Sie sich hin. Wir gehen auf normale Bereitschaft zurück!«

Mel nickte nur müde, irgendwie konnte er sich nicht mehr über das »Geschenk« freuen. Sehnsüchtig blickte er auf die Wanduhr. Noch eine Stunde und zweiundzwanzig Minuten trennten ihn von acht Stunden Schlaf.

Während er müde und ausgelaugt die Uhr anstarrte, überschritt der Sekundenzeiger die Zwölfer-Marke. Schob die Minutenanzeige um eine Position weiter nach rechts.

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Noch eine Stunde und einundzwanzig Minuten!

* * *

Bud Clifton spürte den heißen Energiestrahl wenige Zentimeter über sich hinweg zischen. Er fraß sich gierig brennend durch das Geäst des Baumes. Viel konnte er nicht erkennen, verdampfende Steine, brennendes Holz, Qualm und schemenhafte Gestalten.

»Rückzug!« hörte er Tschobes Stimme. »Wir ziehen uns zurück!«

Schnell blickte er sich um. Springend, jegliche Deckung ausnutzend und immer wieder in die dichte Rauchwand feuernd sah er, wie Hertog und Tschobe meterweise langsam zurück gingen. In diesem Augenblick traf der Waffenmeister der Point Of seinen Entschluß. Er würde hierbleiben! Würde den Rückzug seiner Teamkollegen decken. Bud sah einen dunklen Schatten, der nur wenige Meter vor ihm scheinbar aus dem Nichts kommend entstand.

Clifton überlegte nicht mehr. Er schoß sofort. Der Strahl des Blasters konnte den Mann nicht verfehlen! Clifton hörte einen gellenden Schrei. Der Schatten war verschwunden. Nur wenige Sekunden später schlug wütendes Gegenfeuer in seine Deckung ein. Bud Clifton reagierte instinktiv! Langsam zog er sich zurück. Ein rascher Blick! Ja, da waren einige Felsen, wenn er es bis dahin schaffte, wäre viel gewonnen!

Von dort konnte er den Schauplatz des Geschehens aus überhöhter Sicht betrachten. Vielleicht ergab sich die Möglichkeit eines Gegenangriffs!

Wieselflink befreite er sich aus dem Schutz des Baumes und rannte auf die nahen Felsen zu.

Manu Tschobe, der in einer kleinen Bodenmulde vorübergehend Schutz gefunden hatte, erkannte blitzschnell die

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Situation, als er Bud rennen sah. Der Arzt zögerte keinen Augenblick. Er stellte seinen

Blaster auf höchste Intensität und schoß auf die Angreifer. Auch Hertog schien zu erkennen, daß Clifton Entlastung brauchte. Seine Schüsse trieben zwei der Feinde zurück hinter die Wegbiegung.

Bud hatte es geschafft! Mit einem langen Hechtsprung verschwand er hinter den Felsen. Zischend schlugen mehrere Blasterstrahlen in seine neue Deckung ein. Dampfend verflüssigte sich das Gestein. Beißender Qualm zog in seine neue Stellung hinein. Schwer atmend begann sich Clifton umzusehen. Es war fast so, wie er es sich vorgestellt hatte. Vorsichtig schob er seinen Oberkörper im Schutze der Steine nach oben. Tastend und suchend griffen seine Hände nach kleinen Vorsprüngen, an denen er sich immer höher ziehen konnte.

Endlich, es hatte wohl sieben oder acht Minuten gedauert, hatte Bud Clifton die Oberkante der Felsen erreicht. Nun konnte er auch sehen, wo sich seine Gefährten befanden. Er machte schnell einige Handbewegungen, die von Tschobe gesehen wurden. Dann ließ er sich auf den Bauch fallen und schob seinen Körper langsam auf die Felsen hinauf. Aufgrund des heftiger werdenden Feuers von Hertog und dem Arzt erkannte Clifton, daß seine Gesten verstanden worden waren.

Vorsichtig hob er den Kopf. Tatsächlich! Von hier aus konnte er die Stellungen der Angreifer ausmachen. Anhand der aufblitzenden Abschüsse erkannte Clifton, daß sich sechs Männer in der Nähe der Wegbiegung befanden. Noch dazu in schlechten Deckungen!

Es mußte sich um technisches Personal der Station handeln, denn kein auch nur halbwegs ausgebildeter Soldat hätte sich so schlechte Positionen ausgesucht.

Reizend, dachte er. Die liegen da wie auf dem

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Präsentierteller! Ich brauche mich noch nicht mal anzustrengen!

Bud Clifton war nun sicher, daß sie ihre Positionen würden halten können. Vor sich nur schlecht ausgebildetes, militärisch unerfahrenes Personal, die besseren Stellungen, was konnte da noch schief gehen. Wenn sie es schafften, den Gegner bis zum Einbruch der Dunkelheit zu beschäftigen, wäre viel gewonnen. Dann konnte man weitersehen.

Langsam kriechend schob sich Bud weiter vor. Sein suchender Blick galt dem Cyborg. Er war der gefährlichste Gegner. Mit seinen Fähigkeiten und der Erfahrung vieler Einsätze war Bram Sass eine Kampfmaschine. Ihn galt es so schnell als nur irgend möglich auszuschalten.

Dann hatte er ihn ausgemacht. Bud konnte sein Glück kaum fassen. Völlig jeder Logik widersprechend sah er den Cyborg ohne Deckung auf dem Pfad stehen. Der Mann, von dem alle behaupteten, er verfüge über Wunderfähigkeiten, verhielt sich völlig irrational. Wild gestikulierend sprach er auf seine Mitstreiter ein. Trieb sie wohl zu mehr Eile und Einsatzfreude an. Dabei schien er völlig vergessen zu haben, in welch exponierter Lage er sich befand.

Bud Clifton, Chef der WS-West auf dem Ringraumer Point Of, zögerte keinen Augenblick. Sehr sorgfältig visierte er den Kopf des Cyborgs an. Nachdem sich seine Pulsfrequenz normalisiert hatte, und er den richtigen Atemrhythmus gefunden hatte, drückte er auf den Auslöser. Ein sonnenheller Strahl verließ den Abstrahlpol des Blasters und raste auf den Cyborg zu.

* * *

Ingmar Knutsson strahlte über das ganze Gesicht, als er aus dem vollbeladenen Transporter stieg. »Bestens! Hat alles

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bestens geklappt!« rief er Maturi Xentar zu, der in der mittlerweile sauber aufgeräumten Lagerhalle stand und ihn eingewunken hatte. Ingmar bemerkte, wie sich mehrere Leute an dem Transporter zu schaffen machten und begannen, ihn zu entladen.

Also waren die ersten »Schläfer« eingetroffen! Schnell und zügig wurde das Fahrzeug entleert. Kiste um

Kiste wurde in den rückwärtigen Teil der Halle getragen. Dabei gab der Japaner laute Anweisungen, was wohin und wie gestapelt werden mußte.

Während Maturi hektisch seinen Aufgaben nachging, inspizierte Knutsson die unterirdischen Anlagen. Xentar hatte schier Unmögliches geschafft!

Bewundernd mußte er anerkennen, daß der Japaner ein Organisationstalent war. Mehrere der Räume waren als Unterkünfte hergerichtet worden. Da Xentar das nötige Material gefehlt hatte, waren die Liegeplätze der Schlafsäcke mit Tape gekennzeichnet worden. In anderen Räumen wiesen eilig geschriebene Folien wie »Hier Lebensmittel« oder »Verbandsplatz« und ähnliche eindeutige Bezeichnungen darauf hin, welchem Verwendungszweck der Raum zugedacht war. Das ersparte lange Warte- und Suchzeiten.

Im Laufe des Tages hatten sich weitere Männer und Frauen bei Knutsson gemeldet, sie waren von Eylers verständigt worden und sollten die Fahrer für die Transporter sein, so daß ein ständiger Strom von Gleitern in der Fabrik ankam und umgehend entladen wurde.

Für einen Beobachter mußte es so aussehen, als würde die Fabrik wieder in Betrieb genommen.

Eine kleine, aber gut ausgebildete Wachmannschaft sorgte dafür, daß niemand zu nahe an das Gelände heran kommen konnte.

Knutsson schlenderte zurück zu seinem Gleiter. Eine

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Zigarette paffend sah er zu, wie die letzten Kisten aus dem Kastenaufbau herausgeholt wurden.

»Wann kommst du mit den Schlafsäcken?« fragte Xentar, der sich neben ihn gestellt hatte, besorgt. »Es wird langsam eng und voll hier. Außerdem wird es bald dunkel.«

»Immer mit der Ruhe«, brummte Ingmar. Dann schaute er auf eine seiner zusammengehefteten Folien. »Zwischen halb Neun und Neun hast du sie. Bast fängt in etwa zwanzig Minuten mit der Verladung an.«

»Komm in die Gänge! Eylers will heute abend die ersten Aktionen mit den Leuten besprechen – und wenn die danach keine Schlafgelegenheiten finden, ist der Teufel los!«

* * *

Das Feuergefecht war vorüber. Den ganzen Nachmittag über hatte es angedauert, ohne daß die eine oder andere Seite einen entscheidenden Vorteil aus dem Geplänkel hätte ziehen können. Ganz plötzlich war der Blasterbeschuß dann eingestellt worden, die restlichen Gegner verschwunden!

Tschobe erhob sich langsam aus seiner Deckung. Vorsichtig näherte er sich erneut der Wegbiegung. Mit Pal Hertog an seiner Seite ging er auf den umgestürzten, mittlerweile verkohlten Baum zu. Aus den Augenwinkeln heraus sah er, wie Bud die Felsen herunterkletterte.

Tschobe hielt an und wartete auf den Kampfgefährten. Gemeinsam, immer noch nach allen Seiten sichernd, drangen die drei weiter vor.

Dort lag der Mann, den Clifton erschossen hatte. Der Strahl war ihm mitten in die Brust gefahren und hatte den Techniker, wie Tschobe an den Resten der Kleidung erkannte, sofort getötet. Das ausgebrochene Feuer hatte ein übriges getan. Die Leiche des Mannes war total verkohlt!

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Wenige Meter weiter weg fanden sie den nächsten Toten. Bram Sass!

Tschobe sah, wie sich Hertog abwandte und übergab. Auch Bud Clifton mußte schlucken. Sass' Körper lag in gekrümmter Haltung da. Dort, wo der Kopf sein sollte, war nur noch ein angesengter Halsstumpf erkennbar. Das niedergedrückte Gras leuchtete tiefrot. Blut hatte die Erde durchtränkt.

Cliftons Schuß hatte den Kopf des Cyborgs förmlich atomisiert. Nichts war übriggeblieben.

Wie in den Bergen üblich, brach die Dunkelheit ohne Vorwarnung herein. Nachdem die beiden Toten bestattet waren, begab sich die Gruppe Tschobe ein paar hundert Meter weit weg vom Geschehen und richtete an einer tief im Wald verborgenen Stelle ihr Nachtlager ein.

Manu Tschobe war sehr still geworden. Ihn beschäftigte immer noch die Frage, wie der Tod des Cyborgs möglich war. Der Mann hatte sich geradezu stümperhaft verhalten! Tschobe hatte eine schnelle, sehr oberflächliche Untersuchung des toten Cyborgs vorgenommen. Alles deutete darauf hin, daß Bram Sass während des gesamten Kampfes sein zweites System nicht benutzt hatte. Aber warum?

Das Lager kam langsam zur Ruhe. Manu Tschobe lauschte in die Dunkelheit hinein. Er konnte die ruhigen, gleichmäßigen Atemzüge seiner Männer hören.

Dem Arzt war klar, daß sie sich einen anderen Weg ins Tal suchen mußten.

Ezbal war nun gewarnt, und wenn sie wieder auf seine Cyborgs stoßen sollten, dann würde es nicht so glimpflich abgehen wie heute Nachmittag.

Bei all seinen Überlegungen kam Manu Tschobe immer wieder auf die Frage zurück, warum der Cyborg nicht gephantet oder zumindest die Cyborgstation angefunkt und um Unterstützung gebeten hatte? Im Phantzustand wäre Bram Sass

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ihnen überlegen gewesen – hätte ihre kleine Gruppe aufgerieben. Warum hatte er es nicht benutzt? Warum?

* * *

Endlich hatte Alsop T-VII erreicht! Zwischen zwei steil aufragenden Felswänden konnte er den Eingang zur Station erkennen. Seine Pulsfrequenz erhöhte sich mit jedem Schritt, den er näher an den Energiezaun, der die Station vor dem Eindringen wilder Tiere schützen sollte, herankam. Er hoffte, die geistige Sperre würde endgültig fallen, würde die Erinnerung zurückkehren lassen. Aber nichts geschah!

Holger Alsop war sich immer noch nicht im klaren darüber, was er eigentlich in T-VII gewollt hatte. Noch weniger war ihm bewußt, warum die Stellvertreterin Ezbals ihn überhaupt dorthin geschickt hatte. Wenn sie es denn getan hatte?

Der Block, der sein Unterbewußtsein und damit auch seine Erinnerungen schützte, bestand immer noch!

Aus einem Gefühl heraus nahm der Cyborg Deckung. Er versteckte sich hinter einer Gruppe niedriger Büsche. Mit starrem Blick schaute er immer wieder zur Station hin.

Nichts! Verlassen und leer wirkte die Kontrollstation. Normalerweise hätte es hier doch Wachen geben müssen.

Nichts! Seine Erinnerungen waren und blieben verschollen! Dumpfe Leere und Resignation machten sich in dem Cyborg

breit. Er hatte so sehr gehofft, in T-VII endlich Antworten zu bekommen. Alle Hoffnungen waren vergangen. Wurden verweht wie ein welkes Blatt, das von einer starken Bö vom Baum gewirbelt wurde.

Holger Alsop wußte nicht mehr weiter. Er hockte sich einfach auf den Boden und wartete. Worauf konnte er nicht sagen.

Er fühlte sich sehr einsam.

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Warum? Warum nur hat sie mir das angetan? Alsops Gedanken begannen sich im Kreis zu drehen. Warum nur?

* * *

Für Cyra Simmons hatte der Tag keine Erfreulichkeiten bereitgehalten. Schon seit dem frühen Morgen hatte sie Kopfschmerzen. Auch mehrere Schmerzpillen, die sie eingenommen hatte, änderten nichts an ihrem Zustand. Zeitweise hatte sie das Gefühl, die Schmerzen würden durch die Tabletten noch verstärkt werden. Trotz ihrer immer stärker werdenden Schmerzen war sie in den Labortrakt gekommen, um noch einige Ergebnisse zu überprüfen. Ezbal hatte sie nur ganz kurz zu Gesicht bekommen. Sie hatte versucht sich nichts anmerken zu lassen. Hatte geschwiegen, als sie von Echri über ihren Gesundheitszustand befragt wurde.

Abwiegeln! Verharmlosen! Lügen! schoß es ihr durch den Sinn. Sie konnte nicht mit Bestimmtheit sagen, warum sie den Schöpfer der Cyborgs angelogen hatte. Je stärker ihre Kopfschmerzen wurden, desto mehr glaubte sie, einem inneren Drang nachgeben zu müssen. Von irgendwoher, tief aus ihrem Inneren kam eine Stimme: Lüge! Es ist dein einziger Schutz! Wenn sie die Wahrheit erkennen, dann bist du tot!

Cyras Zustand wurde immer schlimmer. Sie saß verkrampft an dem Arbeitsplatz, an dem sie eigentlich ihre Untersuchung fortsetzen wollte. Beide Hände fest an ihre Schläfen gepreßt. Sie glaubte, ihr Schädel würde platzen. Irgendetwas war in ihrem Kopf! Etwas, das dort gefangen war und nun zu wachsen begann. Dieses Etwas wollte dem engen Gefängnis entfliehen. Drückte mit ungeheuren Kräften gegen ihre Schläfen.

Cyra stöhnte. Ein tiefer Schrei der Verzweiflung brach aus ihrer Brust hervor.

Schmerzen! Ihr ganzer Kopf schien nur noch aus Schmerzen

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und dem Ding, das raus wollte, zu bestehen! Cyra Simmons, die nie sehr wehleidig gewesen war,

wimmerte verzweifelt. Mit letzter Kraft erhob sie sich. Dabei achtete sie nicht auf ihre Umgebung. Taumelnd, mit Schleiern vor den Augen bewegte sie sich ziellos in dem Labor hin und her. Riß Einrichtungsgegenstände mit sich.

Eine neue Schmerzwelle durchflutete ihren Kopf. Trieb sie auf ein Regal zu, auf dem Säurebehälter gelagert wurden.

Cyra hielt sich die Hände vor den Kopf. Drückte so fest sie konnte gegen ihre Schläfen. Als könne sie mit dem erzeugten Gegendruck den Schmerz beseitigen.

Eine neue Schmerzwelle! Cyras Verstand schien auszusetzen. Sie prallte gegen ein Wandregal. Flaschen zerbrachen. Krampfhaft hielt sie sich an der Verankerung des Regales fest.

Schmerz! Cyra schrie, schrie wie sie es in ihrem Leben zuvor noch

nicht getan hatte. In letzter Verzweiflung hieb sie ihren Kopf mit voller Wucht gegen die Wand.

Es nützte nichts! Immer näher taumelte sie an das Regal mit den Säuren

heran! Das Ding in ihrem Kopf drückte immer mehr! Wollte raus! Scherz! Wahnsinniger Schmerz! Sie stand kurz vor dem Zusammenbruch als ihr Magen

revoltierte. Cyra übergab sich. Ein stinkendes Gemisch aus Blut, Galle

und einem seltsamen silbernen Schleim, mit dem ihr Blut vermischt war, spritzte aus ihrer Mundhöhle. Je mehr sie von dem »Silberblut« ausspie, um so wilder wurde das Ding in ihrem Kopf. Um so stärker wurden ihre Schmerzen.

Endlich, niemand hätte sagen können nach welcher Zeitspanne, forderte die menschliche Natur ihren Tribut. Nach

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einer erneuten, heftigen Welle des Schmerzes machte es Klick vor ihren blutunterlaufenen, hervorquellenden Augen.

Cyra stürzte besinnungslos zu Boden.

* * *

Eylers nickte zufrieden als er sein Quartier verließ. Die Meldungen seiner »Schläfer« waren voller Zuversicht. Nach dem Schock am frühen Morgen und seiner Flucht hatte er sich in dem Hochhaus versteckt gehalten. Immer noch war ihm nicht ganz klar, wie es zu der Panne kommen konnte. Eine mögliche Erklärung konnte sein, daß Tamara Gyor vom Mensiten befallen war. Eylers war zu wenig Wissenschaftler, um genau erklären zu können, wie der Mentalparasit wirkte, und welche Fähigkeiten in ihm schlummerten. Er buchte den Zwischenfall unter dem Punkt Erfahrung ab.

Vorsichtig schaute er hinaus auf die Straße. Nirgends war ein Lebenszeichen zu entdecken. Tot und ausgestorben schien das gesamte Stadtviertel vor ihm zu liegen. Die Fassaden der Hochhäuser ragten lichtlos in den Abendhimmel. Eylers trat hinaus, immer darauf bedacht, nicht in den Kreis einer der wenigen funktionstüchtigen Straßenlampen zu geraten.

Langsam, wie es ein später Spaziergänger tun würde, bewegte sich Eylers auf die Kreuzung zu. Seine Sinne arbeiteten auf Hochtouren, waren bereit, auch die geringsten Anzeichen einer drohenden Gefahr zu melden.

Nichts geschah, alles blieb ruhig. Als Eylers die Straßenkreuzung erreicht hatte, blieb er einen

Augenblick stehen, blickte sich sorgsam um, dann bog er in eine schmale, spärlich ausgeleuchtete Seitenstraße ein und verschwand in einer einzigen fließenden Bewegung im dunklen Eingang eines Hochhauses. Nochmals vergewisserte sich der GSO-Chef, daß nirgends ein Verfolger oder Beobachter zu

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sehen war. Er betrat das Hochhaus und ging die schmalen Treppen hinab. Nur wenige Minuten brauchte Eylers, um die Stellplätze für Gleiter zu erreichen. Lauschend stand er im Schutze eines Pfeilers und wartete.

Ein Scheinwerfer blitzte auf, nur einmal, und das auch nur ganz kurz.

Eylers hastete auf die Stelle zu. Als er sie erreicht hatte, öffnete sich die Tür eines Gleiters und Maturi Xentar grinste seinen Vorgesetzten an: »Alles klar, Chef. Die Männer erwarten Sie schon! Also dann mal los!«

* * *

Wer die Zwillinge Charly und George Snide vor ihrer Umwandlung zum Cyborg gekannt hatte, hätte an diesem Tag den Verdacht gehegt, die beiden würden sich zu ihren Ursprüngen zurückbewegen. Charly versuchte, sich auf eines der Magazine zu konzentrieren, die hier im Aufenthaltsraum in der Cyborgstation zuhauf auslagen. Seit dem Befehl Trawisheims, zur Station zurückzukehren, taten die Brüder nichts als warten. Charly schaute sich die Bilder in dem Magazin an und kicherte.

»Charly, halt die Klappe, ich habe Schmerzen«, knurrte sein Bruder ihn an.

»Schmerzen?« fragte Charly. »Schmerzen habe ich auch! Hier habe ich sie.« Dabei deutete er auf seinen Kopf.

»Du spinnst! Ich habe Schmerzen und nicht du! Ganz dolle Schmerzen!«

Charly Snide sagte nichts, er schien sich wieder in sein Magazin zu vertiefen.

George, der dem Frieden nicht ganz traute, hielt sich die Hände an den Kopf gepreßt, dabei versuchte er, seinen Bruder im Auge zu behalten.

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Minutenlang herrschte Stille in dem großen Raum. »George, gib mir meine Bilder wieder«, sagte Charly Snide

plötzlich in einem gefährlich leisen Ton und ging drohend auf ihn zu.

»Welche Bilder?« Georges Schmerzen waren stärker geworden, und er hatte

keine Lust, sich mit Charly zu streiten. Andererseits empfand er den Bruder plötzlich als störend. Das unsichtbare Band, das die Zwillinge schon immer aneinander gefesselt hatte, war durchschnitten.

»Du hast meine Bilder! Ich sehe doch, wie du sie anschaust! Sie gehören aber mir. Mama hat sie mir geschenkt und nicht dir!«

»Halt die Klappe, sonst rufe ich Mama hierher! Ich habe deine blöden Bilder nicht.«

George hatte nun die Nase voll, und er gedachte seinem Bruder eine Lektion zu erteilen, wenn dieser nicht augenblicklich ruhig sein würde. Drohend baute er sich vor Charly auf. Seine Augen traten leicht aus den Höhlen hervor und hätte George Snide nicht solche Kopfschmerzen gehabt, wäre ihm aufgefallen, daß Charlys Schläfenbereich geschwollen war.

Plötzlich setzte sich Charly vor seinen Bruder auf den Boden und wimmerte: »Schmerzen, Mama, ich habe so dolle Schmerzen!«

Das Wort Mama schien nun George Snide in Rage zu bringen. Wer die Geschichte der beiden Snide-Brüder kannte, wußte, daß sie als Findlinge zu Dhark gestoßen waren, und niemand kannte die Eltern der beiden. Vermutlich waren diese in den Wirren der Giantinvasion ums Leben gekommen.

»Mama, immer schreist du gleich nach Mama! Sie hat dich schon immer lieber gehabt, aber heute ist sie nicht da. Sie ist weggegangen. Heute wird abgerechnet!« brüllte George und

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holte mit der Hand weit aus. Klatschend traf die Ohrfeige ihr Ziel.

»Du hast meine Bilder gestohlen! Ich hasse dich dafür!« Schreiend sprang Charly auf. Mit einer einzigen schnellen Bewegung stand er neben George, zog den Blaster aus seiner Kombination und schlug ihn mit aller Kraft auf den Kopf des Bruders.

George Snide blieb regungslos stehen. Blut tropfte aus der Wunde am Kopf.

Charlys Drang, den Bruder zu schlagen, schien befriedigt zu sein, er wandte sich von dem blutenden Mann ab und widmete sich wieder seinen Magazinen.

Während er sich die bunten Bilder anschaute, kicherte er vor sich hin. Unterbrochen wurde sein Kichern immer wieder von Schmerzensschreien und Gewimmer. Seinen Bruder beachtete er nicht. Mama würde ihn ausschimpfen, wenn sie von ihrem Besorgungsgang zurückkommen würde.

* * *

Jan Burtons Probleme hatten harmlos angefangen. Er schritt in Richtung Talausgang, um die Posten an den Toren zu kontrollieren. Ihm war schlecht. Erklären konnte er diesen Zustand nicht, denn seit Ezbal ihn zum Cyborg gemacht hatte, gab es kein körperliches Unwohlsein mehr. Er brauchte nur zu phanten, und sein zweites System verhinderte alle körperliche Unbill.

Genau da setzte sein Problem ein. Schon mehrfach hatte er auf sein zweites System umgeschaltet, aber die Übelkeit blieb. Burtons schwere Stiefel hinterließen ein knirschendes Geräusch auf dem Kiesweg. Burton haßte Kies, hatte ihn schon immer gehaßt. Aber jetzt und hier haßte er ihn besonders. Auch hatte er das Gefühl, daß gerade der Kies für die beginnenden

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Kopfschmerzen verantwortlich war. Er beschleunigte seine Schritte. Als er die beiden Posten am Tor erreichte, fiel ihm auf, daß sie die Magazine ihrer Blastergewehre durch solche ersetzt hatten, die Kieselsteine verschossen. Große, häßliche Kieselsteine. Weiße, graue und, was ihn besonders störte, rote Kiesel!

»Hey!« brüllte er los. »Sofort weg mit dem Zeug oder es passiert etwas.«

Verdutzt schauten die beiden Wachleute den heranstürmenden Cyborg an.

»Was hat der denn?« Jan sah, wie der Kopf des Wachmanns sich in einen roten

Kiesel verwandelte. Gleichzeitig sprach der graue Steinkopf des anderen Wachmanns: »Schau, er tötet unsere Kinder. Er zertritt unsere kleinen Kieselkinder mit seinen Füßen!«

Burton konnte nicht länger an sich halten. Noch bevor die beiden Wachleute zu irgendeiner Regung fähig waren, hatte Jan seinen Blaster gezogen. Zweimal drückte er kurz auf den Auslöser. Die Köpfe der beiden Wachmänner zerplatzten wie überreife Melonen.

Jan Burton besah sich sein Werk ohne Reue. Erneut durchraste eine Schmerzenswelle seinen Kopf. Burton ließ den Blaster achtlos fallen. Preßte seine Hände an den Kopf. Durch den Vorhang aus roten Schleiern, die seine Augen umgaben, sah er, wie ein riesiger Kieselstein die Straße zum Brana-Tal entlang rollte. Immer näher. Nur noch wenige Augenblicke und der Stein würde die Absperrungen durchbrechen!

Jan Burton drehte sich um. Schreiend, mit an den Kopf gepreßten Händen floh er Richtung Labortrakt. Verfolgt von einem riesigen roten Kieselstein.

* * *

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Lachen ertönte aus dem Nebenraum. Drang durch die geschlossene Tür zu ihr herüber. Peinigte sie. June Chiles war erst vor wenigen Monaten von Ezbal zum Cyborg gemacht worden. Auch wenn es sich die junge Frau selbst nicht gerne eingestand, so hatte sie diesen Eingriff schon längst bereut. Sie paßte nicht in diese von Männern beherrschte Cyborgwelt. Nicht daß sie Männer haßte.

Nein, sie fühlte sich einfach nicht wohl. Von der Operation zum Cyborg hatte sie sich viel versprochen. Eine ihrer geheimsten Wünsche war, daß sie ihre bisweilen kindliche Naivität ablegen würde. Anfangs war das auch gut gelungen. Jeder hatte sich rührend um sie gekümmert. Der Chef der Cyborgstation, Echri Ezbal, verhielt sich wie ein gütiger Vater zu ihr, und in Cyra Simmons hatte sie so etwas wie eine mitfühlende Schwester entdeckt. Nun, das war vorbei!

Seit sie in der Nacht mit starken Kopfschmerzen aufgewacht war und es gehört hatte!

June glaubte, der lange Abend vor dem Vipho hätte ihre Schmerzen ausgelöst, denn seit alle Cyborgs ins Brana-Tal zurückgekehrt waren, gab es nichts zu tun. Also hatte sie sich in ihre Unterkunft zurückgezogen und den Apparat angestellt. Was lief, war ihr eigentlich egal gewesen. Irgendwann war sie dann vor dem laufenden Gerät eingeschlafen.

Stimmen hatten sie geweckt. Stimmen und die Kopfschmerzen!

»Sie ist nicht wie wir!« sagte der Moderator zu den drei Kandidaten der Spielshow. »Ihre erste Aufgabe besteht darin, herauszufinden warum! Achtung! Zeit läuft!«

June starrte auf den Schirm. Sie hatte sich nicht getäuscht! Die Show drehte sich um sie! Sie war diejenige, die anders war!

Hinter den drei Kandidaten, die natürlich Männer waren, hing in Lebensgröße ihr Konterfei.

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Der Druck in ihrem Kopf wurde immer größer, und June glaubte ihm nur entrinnen zu können, indem sie phantete. So bekam sie die Antwort des ersten Kandidaten nicht mit. Nach der Umschaltung auf das zweite System brandete lautes Gelächter auf. Das Publikum klatschte wie verrückt und der Moderator klatschte sich vor Freude auf die Schenkel.

»Richtig, Sie haben vollkommen recht. Das sind Ihre ersten 1000 Punkte! Nun zur zweiten Fr...«

June Chiles hatte es nicht mehr ertragen. Kopfschmerzen und eine Spielshow mit ihr als Hauptthema waren zuviel!

Sie schleuderte die Wasserkaraffe, die neben ihrem Bett stand, mit voller Wucht in den Schirm. Erst nachdem sie ihn in tausend Scherben zerspringen sah, fühlte sie sich ein wenig besser.

Wenn nur diese Schmerzen nicht wären! Sie machen mich noch wahnsinnig!

Die junge Cyborg verschränkte ihre Hände um die Knie und wippte leicht mit dem Oberkörper, dabei summte sie leise eine Melodie aus Kindertagen. Wie lange sie so in dem nun dunklen Raum gesessen hatte, konnte sie nicht sagen. Es interessierte sie auch nicht, denn als sie einmal hochschaute, fiel ihr Blick auf die digitale Tischuhr. Aber die Zahlen hatten sich verändert. Anders konnte sie anstelle der Uhrzeit lesen, und dann kam das Lachen aus dem Nebenraum.

Kein Zweifel! Sie meinen mich! Die gemeinen Kerle lachen mich aus!

Erneut peinigte sie der Schmerz, und erneut hörte sie das Lachen aus dem Nebenraum!

June hatte genug. Schnell sprang sie aus dem Bett und riß die Schranktür, hinter der sie ihre Einsatzmontur verwahrte, auf. Der Blaster schien sie anzugrinsen.

Mach es! Mach ein Ende! rief er ihr zu, und die Uhr schrie nach wie vor ihr monotones Anders in den dunklen Raum. June

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krümmte sich vor Schmerzen. Dennoch raffte sie ihre letzten Kraftreserven zusammen und griff nach der Waffe.

* * *

Immer noch stand George Snide regungslos da und beobachtete seinen wimmernden Bruder. Sein Blut tropfte auf den Boden. Der Ausdruck in seinem Gesicht hatte sich zu einer teuflisch grinsenden Fratze verzerrt. Niemand hätte sagen können, was der Cyborg im Moment dachte. George verließ den Raum, ohne das zusammengekauerte Bündel Mensch, das früher mal sein Bruder gewesen war, zu beachten.

Schnell ging George den Gang entlang. An dessen Ende öffnete er ein Schott und betrat die Küche dieses Komplexes. Er brauchte nur wenige Sekunden, um sich zurechtzufinden. Mit aller Kraft schlug er mit der Faust auf das Sensorfeld für die Küchenutensilien. Die Kontrollampe erlosch, aber die Schublade blieb zu. George geriet in Wut. Er ergriff den erstbesten Gegenstand, den er erwischte und hieb mit einem schweren Stahltopf auf die Schublade ein.

Plastik zerbrach. Spitze, scharfkantige Stücke des Materials flogen davon. Eines traf den Cyborg am Kopf. Seine Wunde öffnete sich erneut. Ein dünnes Rinnsal aus Blut suchte sich seinen Weg nach unten. Er schrie auf und eine neue Welle des Schmerzes erfaßte ihn.

George griff in die Trümmer der Schublade hinein und beförderte ein großes Fleischermesser zutage. Wild entschlossen, mit dem Messer in der erhobenen Hand, stürmte er aus der Küche.

Die wenigen Schritte zurück in den Aufenthaltsraum waren schnell geschafft. Er trat gegen die Tür und stürzte in den Raum.

Charly Snide hatte nichts bemerkt. Immer noch saß er wimmernd da und schaute auf die Bilder, die er von Mama

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geschenkt bekommen hatte. »Sie gehören mir, Mama! Er darf sie mir nicht wegnehmen!

Oder, Mama? Darf er sie mir einfach abnehmen?« fragte Charly mit weinerlicher Stimme das Hochglanzmagazin, das offen vor ihm lag und die Abbildung des Eiffelturms zeigte.

* * *

Die Zusammenkunft war gut verlaufen. Dank der hervorragenden Vorarbeit von Knutsson und Xentar hatte sich die ehemalige Elektronikfabrik in einen Ort des Widerstandes verwandelt. Im Laufe des Tages waren immer mehr »Schläfer« eingetroffen, hatten sich heimlich und ohne Aufsehen zu erregen von ihren Familien und Arbeitsplätzen entfernt, um nun in seiner Armee zu dienen.

Eylers' Worte hatte ihnen alle deutlich gezeigt, welches Schicksal der Menschheit bevorstand, wenn sie nicht eingreifen würden.

»Wollen Sie die Vorratsräume noch inspizieren?« fragte Maturi Xentar voller Stolz. Bernd Eylers lächelte ihn an. Er gönnte dem Japaner die Freude und den Stolz über das Geschaffte. Es war sicher keine Kleinigkeit gewesen, alle anfallenden Probleme zu lösen. Eylers Anforderungen an Xentar waren sehr hoch gewesen und der GSO-Chef gedachte ihm das auch bei Gelegenheit zu sagen. »Nein, nein, Xentar. Ich bin sehr müde. Sobald die erste Waffenlieferung eintrifft, werden wir gemeinsam die Räume in Augenschein nehmen.«

Eylers öffnete die aus Holz hastig zusammengebaute kleine Tür zu seiner Notunterkunft. Der Raum war genauso spartanisch eingerichtet wie die Schlafplätze der Truppe. Ein Schlafsack und ein Stuhl. Das einzige Privileg, das er als Anführer genoß, war ein alter, wackeliger Tisch, auf dem seine Unterlagen fein säuberlich geordnet lagen.

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Eylers ließ sich auf dem Stuhl nieder und begann seine Unterlagen durchzusehen.

»Störe ich?« Ingmar Knutsson war eingetreten und stellte dem erschöpften Eylers einen Becher mit Instant-Kaffe hin. Dankend nahm er den Becher und wärmte seine Hände an dem Plastikgefäß. »Wenn wir noch lange im Untergrand leben müssen, werde ich noch süchtig von dem Zeug«, scherzte er.

»Was gibt's sonst noch, Knutsson?« »Schlechte Nachrichten! Trawisheim will in den nächsten

Tagen das gesamte Parlament ins Brana-Tal einladen, um den Abgeordneten zu zeigen, daß die Cyborgs wieder ganz normal reagieren! Was er wirklich vorhat, brauche ich Ihnen ja nicht zu erklären!«

»Haben wir den Zeitpunkt der Aktion?« Der GSO-Chef verspürte plötzlich keine Müdigkeit mehr.

»Nein, jedenfalls nicht exakt«, antwortete Ingmar Knutsson bedrückt, dann verließ er den Raum wieder. Zurück ließ er einen nachdenklichen Bernd Eylers.

Zu seinen vielen Problemen war ein neues hinzugekommen!

* * *

Cyra Simmons erwachte! Ihr Kopf dröhnte, und sie glaubte, ihr Schädel müsse zerspringen! Langsam kamen Erinnerungen! Verworrene Gedankenfetzen jagten aus ihrem Unterbewußtsein. Vor ihrem geistigen Auge spielten sich Szenen mit ihr als Hauptperson ab, von denen sie nichts wußte.

Cyra lag ruhig da, versuchte sich zu entspannen. Gleichmäßig sog sie die Luft ein. Komisch, hat den Beigeschmack von Chemikalien, schoß es durch ihren Kopf. Erschrocken fuhr sie hoch, öffnete die Augen und sah augenblicklich woher der Geruch kam. Eine der Säureflaschen, die Ezbal für seine Experimente mit den gefährlichen F-Viren

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brauchte, war umgefallen, und der Verschluß mußte sich gelockert haben. Cyra sah, wie die Säure an der Flaschenöffnung einen Tropfen bildete. Wenn er groß genug war, fiel er den Gesetzen der Schwerkraft folgend nach unten und der nächste Tropfen begann sich an der Öffnung zu bilden.

Cyra stand auf, dabei sah sie an ihrer Montur hinab. Blut! Ihre ganze Montur war mit einem dünnen Film aus Blut

überzogen. Das Erstaunlichste für Cyra war aber, daß sich in dem Blut eine silberne Substanz befand. Nachdenklich schritt sie zu dem Regal und stellte die Flasche wieder auf, nicht ohne vorher den Verschluß überprüft zu haben.

Daher also meine Kopfschmerzen! Auf Cyra wirkte das Labor sehr befremdlich; dort, wo sich

ihr Arbeitsplatz befunden hatte, herrschte das totale Chaos. Verstreut liegende Papiere, die von ausgelaufenem Kaffee besudelt worden waren.

Schnell versuchte die junge Wissenschaftlerin, ein wenig Ordnung zu machen. Nachdem es einigermaßen aussah, holte sie sich aus dem Spender einen Becher Wasser. Gierig sog sie die Flüssigkeit in sich auf.

Endlich konnte sie wieder klar denken. Ihre Kopfschmerzen waren wie weggeblasen. Noch konnte sie nicht mit Bestimmtheit sagen, was passiert war. Aber während sie das Labor verließ und sich in ihrer Kabine einschloß, wurden ihr einige Dinge klar.

Der Mensit! schoß es durch ihren Kopf. Der Mensit hat uns alle befallen! Aber wir hatten ihn doch unter Kontrolle. Haben ihn isoliert!

Sie versuchte sich zu erinnern. Tatsächlich hatte sie das Geheimnis des Mensiten ergründet. Er war in ihrem Beisein vor knapp drei Wochen explodiert.

Cyra Simmons hatte gleich erkannt, daß er sich so fortpflanzte.

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Aber warum hatte sie nicht versucht, ihn abzutöten? Cyra war schon bei ihrem Erwachen aufgefallen, daß sie

unter einer seltsamen Schwäche litt, so als wäre ihr Körper ausgelaugt worden, nun verspürte sie die Schwäche noch deutlicher.

Nochmals sah sie an ihrer Montur herab. Es mußte ihr Blut sein, denn das würde auch die Schwäche in ihr erklären.

Es fiel ihr wie Schuppen von den Augen. Der Mensit! Die Silberstreifen in meinem Blut sind der

abgestorbene Mensit! Angeekelt schlüpfte sie aus ihrer Kleidung und verbrachte

die nächsten Minuten unter der heißen Dusche. Das Wasser prasselte auf ihren Kopf und über ihren Körper. Sie konnte wieder klar denken.

Endlich waren die Schleier von ihrem Verstand genommen. Ich bin schuld. Ich habe den Mensiten im Tal verbreitet,

habe die Cyborgs und das Stationspersonal verseucht! Was habe ich getan?

Cyra Simmons, die Stellvertreterin des Cyborgvaters Ezbal, war schuld am Untergang der Menschheit! War es schon zu spät? Konnte sie noch etwas retten?

Schnell schlüpfte sie in eine frische Montur. In ihrem Kopf war eine Idee entstanden, die so nach und nach zu einem Plan heranreifte. Es gab noch eine Möglichkeit! Cyra gedachte, sie zu nutzen!

Wenn sie den Zeitplan Trawisheims noch richtig in Erinnerung hatte, dann mußte sie sich beeilen. Vielleicht gelang es ihr, das drohende Unheil abzuwenden. Vielleicht konnte sie ihren Fehler wieder gutmachen.

Cyra fand, das waren ein paar »Vielleichts« zuviel, aber was blieb ihr anderes übrig als den Strohhalm zu ergreifen, den ihr das Schicksal hinhielt.

Sie überzeugte sich, daß in ihrem Paraschocker ein frisches

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Magazin war. Vorsichtig öffnete sie die Tür und spähte in den Gang. Nirgends rührte sich Leben. Dieser Teil der Cyborgstation schien wie ausgestorben zu sein. Cyra Simmons machte sich auf den Weg.

* * *

Noch jemand machte sich in einem nicht weit entfernten Teil der Station auf den Weg. June Chiles hatte vorsichtig das Schott zur Nebenkabine geöffnet und spähte durch den schmalen Spalt ins Innere. Schmerz durchflutete ihren Kopf und am liebsten wäre sie schreiend davongelaufen, um sich im Schutze ihres dunklen Zimmers zu verbergen. Aber in ihrem Zimmer wartete die Uhr!

Wieder ertönte das Lachen, diesmal lauter und schmerzhafter. Gleichzeitig hörte sie jemanden etwas sagen, konnte es aber nicht verstehen. Besser verstand sie den Applaus, der aufbrandete.

Wieder lachen sie über mich, aber ich mag nicht mehr! June hatte genug gehört. Mit einem wilden Kampfschrei

stieß sie das Schott ganz auf und stürmte in den Raum. Zwei total überraschte Männer in weißen Monturen, wie sie die Angehörigen des Laborpersonals tragen, schauten sie entsetzt an. June zielte schnell aber trotzdem sorgfältig. Zweimal betätigte sie den Sensor. Zweimal verließ ein kurzer Energiestoß den Abstrahlpol der Waffe.

Beide Männer waren auf der Stelle tot. Junes Schüsse hatten ihnen ein Loch in den Brustkorb gebrannt. Eine breiige Masse aus Blut, Knochen und silbernen Fasern breitete sich über den Boden aus.

Junes Kopf schien explodieren zu wollen. Eine neue Welle Schmerz raste durch ihren Körper. June taumelte, mit letzter Kraft hielt sie sich am offenen Schott fest. Ihr Mund öffnete

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sich und eine silbrige Masse, die sich mit ihrem Blut vermischt hatte, schoß aus ihrem Rachenraum. Bespritzte den Tisch, auf dem noch die brennenden Zigaretten der beiden Männer lagen.

Auf dem Teleschirm sah sie einen alten Zeichentrickfilm. Bugs Bunny hielt ihr lachend eine Zeichnung entgegen. June versuchte wegzuschauen, aber sie konnte es nicht. Das bin ich, aber warum habe ich Hasenohren?

June rannte schreiend aus dem Raum. Hinter ihr klatschte Bugs Bunny in die Hände und rief mit piepsiger Stimme: »Anders! Du bist anders!«

* * *

Jan Burton rannte um sein Leben! Der riesige Kieselstein hatte ihn fast erreicht, drohte ihn jeden Augenblick zu überrollen. Mit einem gewagten Hechtsprung rettete er sich in einen offenstehenden Abflußschacht. Er fiel mehrere Meter tief. Als er aufprallte, hörte er ein Knacken. Zum erstenmal in den letzten Tagen war er wieder klar bei Verstand. Der Schwung, die Höhe! Er mußte sich das Rückgrat gebrochen haben!

Jede auch noch so kleine Bewegung verursachte Schmerzen. Neben den fürchterlichen Kopfschmerzen kamen die des gebrochenen Rückgrates hinzu.

Donnernd raste der Kiesel über den Schacht hinweg. Kam wenige Meter dahinter zum Stehen. Langsam rollte er an die Öffnung heran, schaute mitleidig in die Tiefe als wolle er sagen: Ungestraft tötet man keine kleinen Kiesel.

Jan Burton wollte schreien! Doch nur blutiger, silbriger Schleim quoll aus seinem Mund. Langsam rann das Leben aus Jan Burton.

* * *

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Cyra Simmons hatte ihr Ziel fast erreicht. Langsam schob sie sich an der Wand entlang auf das Schott zu. Sie mußte vorsichtig sein, denn sie konnte nicht mit Bestimmtheit sagen, wieviele Männer in der Notzentrale ihren Dienst versahen. Eines war ihr auf dem Weg hierher aber klar geworden – die Station befand sich vollständig in der Hand des Mensiten!

Nirgends hatte sie auf ihrem Weg jemanden getroffen. Alle Bereiche schienen wie ausgestorben zu sein. Aus ihren eigenen Erfahrungen mit dem Mentalparasiten wußte die junge Frau, daß ein Eigenleben für den Befallenen nicht möglich war. Noch keine Antwort hatte sie auf die Frage gefunden, warum sie sich von dem Mensiten hatte befreien können.

Cyra lauschte aufmerksam an dem Schott, aber nichts rührte sich. Das Kontrollpanel zeigte deutlich an, daß sich jemand im Inneren der Notzentrale befinden mußte. Entschlossen berührte sie den Sensor für die Kommunikationsanlage: »Hier Cyra Simmons, öffnen Sie bitte die Notzentrale und helfen Sie mir. Einer der Cyborgs scheint schwer erkrankt zu sein!«

Ihr Herz- und Pulsschlag hatten sich beschleunigt. Für ihre Pläne war es absolut notwendig, daß sie allein in der Notzentrale schalten und walten konnte. Jeder Zuschauer konnte nur ein Mensitenbefallener sein.

Cyra stand vor dem Schott und hoffte, daß ihr eigentlich billiger Trick funktionierte. Hoffte darauf, daß ihr Name und ihre Stellung als Stellvertreterin Ezbals ausreichen würde, das Schott zu öffnen. Sie hoffte auf ein kleines Wunder.

Irgendwo, in einem der weiter entfernten Gänge, hörte sie einen gellenden Schrei. So als wäre ein Mensch in höchster Not. Schon wollte sie sich abwenden, als sich das Schott langsam zischend zurückschob. Ein Mann in einer grauen Arbeitermontur stand vor ihr. »Entschuldigen Sie, Dr. Simmons, aber es gehen seltsame Dinge im Tal vor!«

»Sicher entschuldige ich Ihre Vorsicht!« antwortete Cyra

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Simmons, gleichzeitig holte sie den versteckten Schocker hervor und schoß.

Mit einem Schrei brach der Mann zusammen. Cyra betrat die kleine Zentrale. »Keine Bewegung! Sollten Sie auch nur den Versuch machen, sich zu bewegen, geht es Ihnen genauso wie Ihrem Kollegen! Ist das klar?«

Der enge Raum bot Platz für zwei Mann, die von hier aus die Abteilungen der Cyborgstation überwachen und notfalls auch bedienen konnten. Der zweite Mann saß vor einem der vielen Kontrollschirme und hatte seine Hände erhoben. Angst stand ihm ins Gesicht geschrieben. Cyra konnte nicht mit Sicherheit sagen, ob dieser Mann befallen war, da nichts auf den Mensiten hindeutete, aber sie glaubte sich erinnern zu können, daß Ezbal darauf gedrungen hatte, die Stationsangehörigen gleich nach den Cyborgs zu behandeln. So war es dann auch geschehen.

»Was... was wollen Sie?« fragte der Mann angstvoll. »Von Ihnen? Nichts!« Cyra überlegte einen Augenblick.

»Doch, stehen Sie auf und verlassen Sie schön langsam und vorsichtig die Zentrale. Ihren Kollegen...«, sie deutete auf den zusammengebrochenen Mann, der halb in der Zentrale und halb im Gang lag, »... Ihren Kollegen nehmen Sie bei dieser Gelegenheit gleich mit! Und...«, drohend zeigte sie ihm den Paraschocker, »... keine Dummheiten!«

Er gehorchte. Als er draußen war, packte der Stationsangehörige die Füße seines Kollegen und zog ihn ganz in den Gang hinaus. Cyra Simmons folgte ihm, immer darauf bedacht, daß der Strahler auf seinen Körper zielte.

»Los, Mann, verschwinden Sie!« schrie Cyra. Mit Befriedigung registrierte sie, wie der Mann, seinen Kotlegen hinter sich herschleifend, im halbdunklen Gang verschwand. Sie wartete, bis nichts mehr von ihm zu sehen war, und ging zurück in die Zentrale. Mit einem geübten Blick stellte sie auf

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einem der Monitore fest, daß der Arbeiter sich genau an ihrer Anweisungen hielt. Erleichterung machte sich bei Cyra Simmons breit. Der erste Teil ihres Planes hatte geklappt. Sie hatte ohne größere Schwierigkeiten die Notzentrale in Besitz genommen. Die Hauptarbeit lag aber noch vor ihr.

Mit Routine betrachtete sie die Schirme. Zuerst die, die ihrem Standpunkt am nächsten lagen.

Halt! Was war das? Mark Carrell. Kein Zweifel, dort taumelte Mark Carrell

schreiend durch den Gang auf die Notzentrale zu. Was will er hier? Cyra sah, wie der Cyborg stürzte. Schwer schlug sein Kopf

gegen die Metallwand. Ihn schien es nicht zu beeindrucken. Der Mann, den sie aus der Zentrale vertrieben hatte, ließ den

Geschockten fallen, um dem Cyborg helfen zu können, aber Carrell war schon wieder auf den Beinen. Aus haßerfüllten Augen schaute er seinen vermeintlichen Helfer an. Dann, ohne daß man es hätte erahnen können, packte Mark Carrell den Mann.

Hilflos mußte Cyra mit ansehen, wie Mark den Kopf des Mannes immer wieder gegen die Metallwand schlug. Erst als der Kopf nur noch eine breiige Masse war, ließ der Cyborg von ihm ab. Schreiend und taumelnd setzte er seinen Weg in Richtung Notzentrale fort.

Regungslos saß Cyra in dem Kontursessel. Verfolgte, wie ihr der Cyborg immer näher kam. Dumpf erinnerte sie sich, daß es irgendeine Schaltung gab, mit der man das Schott blockieren konnte, aber welcher der verdammten Sensoren war der richtige?

Cyra war in der Vergangenheit nur ein paarmal in der Notzentrale gewesen und das auch nur zur Kontrolle der Instrumente. Kein Mensch hatte ihr die einzelnen Funktionen erklärt. Eigentlich war dieser kleine Raum nur dafür gedacht,

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im Falle einer Kontamination der Station die Bereiche gegenseitig abzuschotten, darum waren auch nur einem beschränkten Personenkreis die notwendigen Schaltungen bekannt. Cyra gehörte nicht dazu!

Schnell, Mädel. Dir muß schnell etwas einfallen! Carrell wird gleich hier sein!

Cyra sah einen Blaster neben den Kontrollen liegen. Wahrscheinlich hatte er einem der beiden Arbeiter gehört, die sie überrumpelt hatte. Dann kam ihr endlich die erlösende Idee.

Sie stellte sich breitbeinig vor das Schott, schaltete den Blaster auf höchste Intensität, hoffte, daß sich ein geladenes Magazin in der Waffe befand, und schoß. Der sonnenhelle Strahl fraß sich gierig in das Metall, folgte willig den Bewegungen Cyra Simmons. Erst als sie sicher war, daß sich das Schott ohne Hilfsmittel nie wieder öffnen würde, stellte sie den Beschuß ein. Die Klimaanlage entsorgte die beißenden Metalldämpfe fast restlos. Über eines der Außenmikros konnte sie hören, wie ein schreiender Cyborg Mark Carrell mit bloßen Fäusten auf das noch nicht ganz abgekühlte Schott einschlug. Immer und immer wieder hämmerte er gegen das Schott.

* * *

Charly Snide hatte es trotz seiner wahnsinnigen Kopfschmerzen bemerkt. Erschrocken sprang er auf und sah in die hervorquellenden Augen seines Bruders. Zu spät achtete er auf Georges Hand. Ein sengender Schmerz überdeckte seine Kopfschmerzen. Erstaunt sah er auf seine linke Schulter, tief in ihr steckte das Küchenmesser. Ein Schwall Blut schoß aus der Wunde, als er mit einem heftigen Ruck den Fremdkörper entfernte.

Schreiend stürzte sich Charly auf seinen Bruder und hieb mit den Fäusten auf ihn ein. Ein herbeieilender Wachmann, er

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hatte den Kampflärm gehört, versuchte die beiden Kampfhähne zu trennen. Aber Charly, der mittlerweile auf Georges Brustkasten saß, riß der Wache den Blaster aus dem Holster und schoß sofort. Tödlich getroffen kippte der Wachmann nach hinten weg.

George, der einen Moment lang die Situation klar einschätzen konnte, handelte sofort. Er hatte begriffen, was ein Blaster in den Händen seines Bruders bedeutete. Mit aller Kraft bäumte er sich auf und sein Bruder fiel von ihm. Dann sprang George auf und rannte aus dem Raum.

Charly Snide brauchte etwas länger, um wieder auf die Beine zu kommen. Mit dem Blaster in der Hand folgte er seinem verhaßten Bruder. Im Gang angekommen, schoß er wild drauflos. »Niemand nimmt mir meine Bilder ab! Jetzt nimmt sie mir niemand mehr weg!«

Dann nahm er die Verfolgung von George auf.

* * *

June wußte nicht wo sie sich befand. Nach ihrem minutenlangen Lauf hatte sie die Orientierung verloren. Sie konnte nicht mehr sagen, durch wieviele Stationen sie gekommen war, und an welcher Abzweigung sie sich nach welcher Seite hin gewandt hatte. Immer noch plagten sie diese irrsinnigen Kopfschmerzen, aber den Stimmen war sie offensichtlich entkommen. Nichts deutete darauf hin, daß sich in diesem Teil der Cyborgstation ein Lebewesen außer ihr befand. June fiel hin und blieb erschöpft liegen. Rasselnd saugten ihre Lungen den Sauerstoff ein. Ihr Brustkasten hob und senkte sich wahnsinnig schnell. June begann zu husten. Mit dem Husten kam aber noch mehr. Als sie den Auswurf an ihrer Kombination abstreifte, bemerkte sie, daß es Blut war. Silber schimmerndes Blut! Angeekelt stand sie auf und hastete

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weiter. Immer tiefer drang die Frau in den ihr unbekannten Teil der Station ein. Irgendwo vor ihr stampften und dröhnten Maschinen. Je näher sie dem Raum mit den Maschinen kam, um so unerträglicher wurden die Schmerzen.

Dann stand sie mitten im Zentrum ihrer Pein. In einem kleinen Raum, der vollgestopft mit Maschinen war, fand sich June Chiles wieder.

Direkt vor ihr blinkte ein rotes Schild auf: VORSICHT VIREN-EXPERIMENTE! SCHUTZANZUG TRAGEN!

Tritt ein! Sei ein Teil der Show! schrie ihr das Warnschild entgegen.

June rastete aus. Schreiend zerschoß sie das Schild. Dann machte sie sich daran, das Schott zu öffnen.

June starrte durch das offene Schott. Aus dem Halbdunkel glaubte sie Stimmen zu hören.

Tritt ein! Sei ein Teil der Show! Sei anders! June schrie auf. Es reichte ihr! Sie stürmte in den

halbdunklen Raum, dabei drückte sie ununterbrochen den Sensor des Blasters. Ein stetiger Strahl gleißender Energie zerstörte alles, was sich ihm in den Weg stellte. Mit lauten Explosionsgeräuschen zerbrachen dabei auch einige Behälter, in denen die Viren von Bittan auf ihre Weiterverarbeitung warteten. Selbst wenn June Chiles erkannt hätte, was sie soeben getan hatte, es war zu spät!

Blitzartig verbreiteten sich die Viren, verseuchten den ganzen Raum, verseuchten aber auch die Cyborg. June Chiles starb, während sie zu Boden stürzte. Als die Detektoren die ersten Anzeichen einer Kontaminierung durch Viren registrierten, das Schott automatisch verriegelten und Alarm auslösten, lag June schon tot auf dem Boden. Die Show war zu Ende.

* * *

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George schaute vorsichtig um die Gangbiegung. Am anderen Ende konnte er seinen Bruder wüten sehen. Da Charly ihn nicht erwischt hatte, ließ er nun seine Wut an einer der vielen Vipho-Zellen, die großzügig über das gesamte Gelände der Cyborgstation verteilt standen, aus. Dabei brüllte er immer wieder: »George, wo bist Du? Komm heraus, Mama wird dich ausschimpfen!«

Warum habe ich keinen Blaster? dachte George Snide, als er seinen Bruder so ungeschützt keine fünfzehn Meter entfernt sah. Auf diese Distanz könnte ich ihn gar nicht verfehlen!

George spürte plötzlich, daß sich ein erneuter Schmerzausbruch anbahnte. Mit dem Schmerz kam auch der Husten. George krümmte sich zusammen und spuckte. Vor seinen Füßen bildete sich eine dunkle Pfütze. Ein Gemisch aus Blut und silbernem Schleim.

Der unterdrückte Husten hatte ausgereicht, um Charly Snide aufmerksam werden zu lassen. Mit gezücktem Blaster drehte er sich um und sah ihn!

»Da bist du ja, George«, rief er ihm freundlich zu. Seine Augen glühten dabei vor Haß. Mit langsamen Schritten ging er auf ihn zu. »Es ist gar nicht nett von dir, deinen armen Bruder so lange suchen zu lassen! Aber nun ist es ja vorbei!«

Panik überkam George Snide. Verzweifelt schaute er sich um, nirgends schien es Hilfe zu geben. Er war allein mit Charly.

Fieberhaft überlegte der Cyborg, wie er seinem Häscher entgehen konnte, dabei ließ er seinen Bruder keinen Moment lang aus den Augen.

Die Schmerzen waren ein wenig abgeklungen, verschafften ihm etwas Luft, um besser nachdenken zu können. Immer näher kam Charly. Es mochten jetzt nur noch wenige Meter sein, die die Kontrahenten voneinander trennten. George

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verstand sowieso nicht, warum der Bruder so lange zögerte. Dann kam seine Chance. Charly blieb plötzlich stehen und

begann zu würgen. George wartete nicht länger. Er hechtete in den Gang zurück, aus dem er gekommen war, und dann rannte er, als hätte die Hölle ihre Heerscharen entlassen, um ihn zu jagen. Sofort als er in den nächsten Gang einbog, wußte er, daß er einen Fehler gemacht hatte. Er erkannte die Umgebung wieder. Er steckte in einer Sackgasse. Am Ende dieses Ganges lag einer der OPs, und für diesen Raum gab es nur einen einzigen Zugang.

Vor sich ein toter Gang und hinter sich den bewaffneten und zu allem fähigen Bruder. Schon konnte er deutlich die Schritte hören. Da entschloß sich George, sein Glück herauszufordern. Vielleicht gab es in dem OP Hilfe oder eine Möglichkeit, sich zu verstecken. Leise öffnete er das Schott und betrat den dunklen Raum. Er hatte noch nicht einmal die Zeit sich umzusehen, als das Schott erneut aufging. Deutlich erkannte er die Umrisse von Charly. Irgendwie mußte Charly es geschafft haben, die Elektronik zu bedienen. Gleißendes Licht überflutete mit einem Mal den ganzen Raum.

Vorbei! schoß es ihm durch den gemarterten Kopf. Hier komme ich nicht mehr lebend raus. Das ist endgültig das Ende.

Charly Snide war nun gänzlich in den OP getreten. Hämisch grinsend zielte er mit dem Strahler auf den Kopf seines verhaßten Bruders.

»Du hättest auf Mama hören sollen, George! Niemand darf Charly seine Bilder wegnehmen. Hörst Du, George, niemand!« Charlys Stimme überschlug sich fast und immer noch hielt er den Blaster genau auf seinen Kopf gerichtet.

Mit weit aufgerissenen, blutunterlaufenen Augen sah George Snide an seinem Bruder vorbei. Sah, wie sich das Schott schloß. Im gleichen Moment hörten beide Brüder die Alarmsirenen durch die Cyborgstation gellen.

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George Snide begriff sofort. Er war eingesperrt! Das Schott war von diesem Raum aus nicht mehr aufzubekommen. Dies mußte von der Notzentrale aus gemacht werden.

George Snide schloß mit seinem Leben ab. Eingesperrt sein war ihm eine Horrorvorstellung, aber eingesperrt sein, zusammen mit seinem verrückten Bruder, konnte kein Mensch überleben. Auch dann nicht, wenn es sich bei dem Menschen um einen Cyborg handelte!

Charly Snide hob den Blaster wieder an und zielte erneut auf den Kopf von George.

* * *

»Es ist kalt hier«, stellte Pal Hertog fest, als sie auf einem Felsplateau eine kurze Atempause einlegten. Die drei Männer hatten sich nach dem Gefecht mit den Wachen aus dem Brana-Tal tief in den Wald zurückgezogen. Aus Furcht vor eventuellen Patrouillen aus dem Tal hatten sie auf ein Feuer und somit auch auf eine warme Mahlzeit verzichtet.

Nach nur wenigen Stunden der Ruhe hatte Manu Tschobe sie wieder hochgescheucht: »Weiter, Männer! Wir müssen weiter! Noch könnten Ezbals Leute verwirrt genug sein, so daß wir ungesehen in die Station kommen.«

Also zogen sie weiter. Zogen immer höher ins Gebirge. Die anbrechende Morgendämmerung erschien den Dreien als Trost. Sie hatten sie herbeigesehnt. Nun stapften sie im Lichte der aufgehenden Sonne über den ausgetretenen Gebirgspfad auf die Cyborgstation zu.

Ganz weit in der Ferne glaubte Tschobe schon die Lichter der Station sehen zu können. Aber vielleicht war der schimmernde Glanz auch nur eine Spiegelung in der Sonne.

»Weit kann es ja nun nicht mehr sein, oder, Tschobe?« fragte Bud Clifton.

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Obwohl Tschobe es selbst nicht genau wußte, antwortete er: »Nein, Bud, weit kann es nicht mehr sein! Wenn die Karte stimmt, müßten wir bald eine Kreuzung erreichen, und von dort ist es nur noch ein Katzensprung.«

Sie erreichten tatsächlich nach einer weiteren Stunde anstrengendem Marschierens den Kreuzungspunkt. Tschobe hielt an. Er breitete die Karte auf dem Boden aus und sagte: »Wenn wir hier links runtergehen, dann stehen wir eine gute Viertelstunde später vor den Wachposten der Station. Der rechte Weg führt an den Rändern des Tals entlang auf die andere Seite. Was uns dort erwartet, kann ich nicht sagen. Tja, Männer, nun muß eine Entscheidung her!«

»Für mich ist die ganz einfach!« antwortete Bud Clifton mit großer Bestimmtheit. »Auf gar keinen Fall noch länger in dieser beschissenen Gegend herumstolpern. Ich bin für links!«

Der Physiker ließ sich mit seiner Antwort länger Zeit: »Auch ich bin nicht unbedingt scharf darauf, weiterhin über Stock und Stein zu gehen. Wir sind bisher mit Ezbals Leuten ganz gut fertig geworden, warum sollte das nicht so weitergehen. Also links!«

»Dann bin ich eindeutig überstimmt!« brummte Tschobe. »Gut, man soll vertanen Gelegenheiten nicht nachtrauern! Gehen wir nach links.«

»Aber vorher muß noch ein Essen drin sein!« rief Bud entsetzt.

»Klar, du Vielfraß, und die Cyborgs servieren dir den Nachtisch. Flambiert, versteht sich!« erwiderte Pal boshaft.

Die drei schulterten ihr Gepäck, und nach einer letzten Waffenkontrolle stiegen sie den Weg hinab zum Brana-Tal. Nach nur wenigen Minuten ging der Pfad in einen gut ausgebauten Weg über. Links und rechts konnten sie Kabel liegen sehen. Irgendwo vor ihnen lag die Baustelle für den neuen Gebäudetrakt, um den die Station erweitert werden

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sollte. »Vielleicht sollten wir es über das Baustellengelände

versuchen. Dort muß es eine Anbindung an die Station geben«, keuchte Bud Clifton.

Eine Antwort wurde Manu Tschobe abgenommen. Als sie um die Biegung des Weges kamen, sahen sie es alle drei. Unter ihnen, nur weniger als hundert Meter entfernt, lag die Cyborgstation.

»Hundert Meter und trotzdem unerreichbar«, murmelte ein enttäuschter Manu Tschobe und starrte weiter auf den flimmernden Energieschirm, der das Gelände der Cyborgstation von der Außenwelt trennte.

- ENDE ­

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Die Lage auf Terra wird zunehmend undurchsichtiger. Während sich Cyra Simmons dem Einfluß des Mensiten entziehen zu können scheint, und Bernd Eylers jene Operation vorbereitet, mit der er der Mensitengefahr entgegenwirken möchte, sind die Cyborgs offenbar voll im Bann des Parasiten. Die Situation spitzt sich zu als es auf Terra zur

CYBORGJAGD kommt...


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