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Stellungnahme zur schriftlichen Anhörung des Ausschusses ...€¦ · Rechnung tragen. Die...

Date post: 20-Sep-2020
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Institut für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht ITM | Leonardo-Campus 9 | 48149 Münster Prof. Dr. Bernd Holznagel, LL.M. Direktor Leonardo-Campus 9 48149 Münster Tel. +49 251 83-38641 Fax +49 251 83-9038644 [email protected] http://itm.uni-muenster.de Stellungnahme zur schriftlichen Anhörung des Ausschusses für Kultur und Medien des Landtags Nordrhein-Westfalen Staatsvertrag zur Modernisierung der Medienordnung in Deutschland (Medienstaatsvertrag) Antrag der Landesregierung auf Zustimmung gemäß Artikel 66 Satz 2 der Landesverfassung Drucksache 17/9052 Zusammenfassung: 1. Der zur Abstimmung stehende Medienstaatsvertrag ist eine – auch im europäischen Vergleich - innovative Antwort auf die Herausforderungen, die vom globalen Internet und den Sozialen Medien für die nationalen Kommunikationsordnungen ausgehen. Den Ländern gelingt es überzeugend, das bestehende Rundfunk-und Presserecht mit dem Ziel der Vielfaltssicherung weiterzuentwickeln. Damit wird ein Paradigmenwechsel im Kommunikationsrecht eingeleitet, der dem der Einführung des kommerziellen Rundfunks Mitte der 80er Jahre gleichkommt.
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Institut für

Informations-,

Telekommunikations-

und Medienrecht

ITM | Leonardo-Campus 9 | 48149 Münster

Prof. Dr.

Bernd Holznagel, LL.M. Direktor

Leonardo-Campus 9

48149 Münster

Tel. +49 251 83-38641

Fax +49 251 83-9038644

[email protected]

http://itm.uni-muenster.de

Stellungnahme

zur schriftlichen Anhörung des Ausschusses für Kultur und Medien des

Landtags Nordrhein-Westfalen

Staatsvertrag zur Modernisierung der Medienordnung in Deutschland

(Medienstaatsvertrag)

Antrag der Landesregierung auf Zustimmung gemäß Artikel 66 Satz 2 der

Landesverfassung Drucksache 17/9052

Zusammenfassung:

1. Der zur Abstimmung stehende Medienstaatsvertrag ist eine – auch im

europäischen Vergleich - innovative Antwort auf die Herausforderungen, die

vom globalen Internet und den Sozialen Medien für die nationalen

Kommunikationsordnungen ausgehen. Den Ländern gelingt es überzeugend,

das bestehende Rundfunk-und Presserecht mit dem Ziel der Vielfaltssicherung

weiterzuentwickeln. Damit wird ein Paradigmenwechsel im

Kommunikationsrecht eingeleitet, der dem der Einführung des kommerziellen

Rundfunks Mitte der 80er Jahre gleichkommt.

fernande
Parlamentspapiere
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2. Die Vielfaltsvorgaben des MStV sind in Ermangelung europäischer Kompetenz

nicht als europäisches Vorbild geeignet. Es empfiehlt sich jedoch, diese

Gesichtspunkte notwendig in die Bewertung kartellrechtlicher

Entscheidungen, z.B. bei der Beurteilung missbräuchlichen Verhaltens,

einzubeziehen. Hierfür sollten auf europäischer Ebene die notwendigen

Vorkehrungen getroffen werden.

3. Soweit Medienintermediäre, Medienplattformen und Benutzeroberflächen

betroffen sind, sollte eine gemeinsame Medienanstalt der Länder zuständig

sein. Um eine effektive Rechtsanwendung und –durchsetzung zu

gewährleisten, bedarf es einer Fachabteilung, die über entsprechendes

Fachwissen über Plattformen und Internetdienste verfügt.

4. Die Vorgaben der AVMD-RL zur Barrierefreiheit sind noch nicht vollständig im

MStV-E umgesetzt, z.T. soll und kann die Umsetzung jedoch auch außerhalb

des Staatsvertrags erfolgen.

5. Weiterentwicklungsbedarf des MStV besteht insbesondere bezüglich

Regelungen des Medienwahlkampfrechts und Verlautbarungsrechts im

Telemedienbereich sowie (journalistischer) Auskunftsrechte für

Informationsdienste i.S.v. § 19 Abs. 1 Satz 2 MStV-E.

6. Förderung des (Online-)Journalismus sollte in Form bedarfsgerechter

Unterstützung für bestehende Angebote und Hilfestellungen bei Gründungen

oder Austauschplattformen für lokale und hyperlokale Anbieter erfolgen.

Vorbilder für derartige Modelle finden sich im europäischen Ausland, insb. in

den skandinavischen Ländern.

7. Die Definition von Social Bots in § 18 Abs. 3 MStV-E wirft weder rechtliche noch

praktische Probleme im Zusammenhang mit der Verwendung von

Management-Tools zur zeitversetzten Veröffentlichung menschengenerierter

Inhalte auf.

8. Die positive Diskriminierung bestimmter Angebote (privilegierte

Auffindbarkeit) mit dem Ziel der Vielfaltsförderung begegnet keinen

verfassungsrechtlichen Bedenken.

9. Durch die Mitteilung der EU-Kommission im Notifizierungsverfahren entstehen

keine verfahrensrechtlichen Hindernisse für das weitere innerdeutsche

Gesetzgebungsverfahren zum MStV. Die Bedenken hinsichtlich der

Vereinbarkeit des Marktortprinzips für Medienintermediäre,

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Medienplattformen und Benutzeroberflächen mit dem Herkunftslandprinzip

der E-Commerce-RL sind jedoch tragfähig und bergen rechtliche Risiken für

die Zukunft des Staatsvertrags.

10. Die Regelung zum Bagatellrundfunk knüpft sachgerecht an die

Meinungsbildungsrelevanz für die Schwelle der Zulassungspflicht der

Rundfunkdienste an und stellt damit eine Erleichterung im Vergleich zur

grundsätzlichen Zulassungspflicht des RStV dar.

1. Wie bewerten Sie die Bedeutung des Medienstaatsvertrags

Die Länder stehen in der Pflicht, die publizistische Vielfalt zu schützen und zu

fördern.1 Dies gilt auch vor dem Hintergrund der Entwicklungen auf den

Medienmärkten und der Kommunikationstechnologie.2 Die Informationsflut im

Internet ändert daran nichts. Ganz im Gegenteil: die Medienordnung muss mit

der medialen Entwicklung Schritt halten und der Konvergenz der Medien

Rechnung tragen. Die Einbeziehung der neuen „Gatekeeper“, wie soziale

Netzwerke, Smart-Speaker, Suchmaschinen, Smart-TVs und VoD-Plattformen, in

den Regulierungsrahmen ist vor diesem Hintergrund genauso geboten, wie die

Ausweitung der journalistischen Sorgfaltspflichten auf sämtliche publizistische

Telemedien.

2. Kann dieser Medienstaatsvertrag eine Vorlage für zukünftige

europäische Regelungen sein?

Die Vorbildsfunktion des MStV-E für die europäische Medienregulierung muss

differenziert beurteilt werden. Soweit die neu vorgesehenen Vorschriften der

Umsetzung der AVMD-RL dienen, stellt sich diese Frage nicht. In Bezug auf die

Regelungen für Medienplattformen und Medienintermediäre, die bisher kein

europarechtliches Äquivalent haben, sind die Grenzen der EU-Kompetenz im

Medienbereich zu beachten.

Die EU verfügt nicht über eine spezifische Kompetenzgrundlage für Regelungen

im Bereich des Medienrechts.3 Vielmehr stützen sich die einschlägigen

1 Vgl. BVerfGE 57, 295 (319); 73, 118 (152 f.); 90, 60 (88); 114, 371 (387 ff.). 2 BVerfGE 119, 181 (214). 3 Insb. folgt diese nicht Art. 167 AEUV.

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Rechtsakte, wie etwa die AVMD-RL,4 auf die Kompetenz des Art. 53 Abs. 1 i.V.m.

Art. 62 AEUV. Medien und Medieninhalte können als Wirtschaftsgüter hierüber

adressiert werden, soweit die Harmonisierung von Rechtsvorschriften der

Schaffung des einheitlichen Binnenmarktes für Dienstleistungen dient.5 Der den

Medien gleichermaßen innewohnende Charakter als Kulturgüter führt jedoch zur

Begrenzung der europäischen Handlungskompetenzen. Die Hoheit im

Kulturbereich verbleibt bei den Mitgliedstaaten. Die EU hat ausweislich Art. 6 lit. c

AEUV hierfür nur eine sog. Ergänzungs- und Koordinierungskompetenz, die gem.

Art. 2 Abs. 5 AEUV die eigene Zuständigkeit der Mitgliedstaaten nicht verdrängt.

Harmonisierung ist in diesen Bereichen nicht zulässig. Vorschriften mit

schwerpunktmäßigem Bezug zu Vielfaltszielen und -vorgaben, wie sie der MStV-E

erstmals für Medienplattformen enthält, sind in dieser Form auf europäischer

Ebene daher nicht möglich.

Zur indirekten Förderung von Vielfaltszielen kann jedoch auch das

wirtschaftsbezogene Wettbewerbsrecht instrumentalisiert werden. Gerade der

Umgang mit dominanten Intermediären ist thematisch im Querschnittsbereich

zwischen Medienrecht und Kartellrecht angesiedelt.6 Anknüpfend an die

wirtschaftliche und strategische Marktposition von Plattformen auf digitalen

Märkten können etwa Diskriminierungsverbote hinsichtlich Zugang, Ranking u.A.

sowie Transparenzpflichten, wie sie auch der MStV-E für Medienplattformen und

–intermediäre enthält, eingeführt werden. Für den Teilbereich der Plattformen,

über die dritte Wirtschaftsteilnehmer Waren und Dienstleistungen anbieten,

existieren ähnliche Vorgaben bereits im Rahmen der europäischen Platform-to-

Business-VO (VO (EU) 2019/1150). Dieses Themenfeld des Umgangs mit digitaler

Marktmacht wird zudem europäisch und international in mehreren hochrangigen

aktuellen Studien und Berichten behandelt.7 Die Weiterentwicklung und

4 Vgl. Europäische Kommission, Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen

Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2010/13/EU zur Koordinierung

bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die

Bereitstellung audiovisueller Mediendienste im Hinblick auf sich verändernde

Marktgegebenheiten, COM(2016) 287 final, 25.05.2016, 5. 5 Grundlegend zur Einordnung von Rundfunk als Dienstleistung vgl. EuGH, Urt. v.

30.04.1974, Rs. 155-73 – Sacchi. 6 Siehe hierzu auch den Referentenentwurf zur 10. GWB Novelle BMWI,

Referentenentwurf GWB-Digitalisierungsgesetz v. 24.01.2020. 7 Vgl. zur europäischen Dimension Crémer/de Montoyer/Schweitzer, Competition

policy for the digital era, 2019; s.a. den sog. Furman Report aus Großbritannien Digital

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Adaption der auch im MStV-E verfolgten Ziele kann auf europäischer Ebene nur

über diese wettbewerbsrechtliche Schnittstelle erfolgen. Denkbar ist dabei etwa

die Integration von Pluralitätsgesichtspunkten in die kartellrechtliche Bewertung,

etwa bei der Evaluierung wettbewerbswidriger Vereinbarungen und

marktmissbräuchlichen Verhaltens.

3. Wird es aus Ihrer Sicht den Aufsichtsbehörden gelingen, das neue Gesetz

auch tatsächlich anzuwenden und die Regelungen durchzusetzen?

Die Landesmedienanstalten wurden Mitte der 80er mit dem Start des

kommerziellen Rundfunks in Deutschland gegründet. Tätigkeitsschwerpunkt war

zunächst die Zulassung und Aufsicht über private Rundfunkveranstalter. Mit dem

Medienstaatsvertrag wird der Tätigkeitskreis der Landesmedienanstalten nun auf

die Regulierung aller elektronisch verbreiteten Medien erweitert. Neue

Aufgaben sind die Aufsicht über Medienplattformen, Medienintermediäre und

Video-Sharing-Dienste. Dies stellt einen Neuanfang dar, der Parallelen zur

Gründungssituation vor 35 Jahren aufweist. Heute wie damals muss durch eine

Evaluation überprüft werden, ob die Aufsichtsbehörden das neue Gesetz auch

tatsächlich anwenden und durchsetzen können.8

Die aktuelle Struktur mit vierzehn Landesmedienanstalten bietet dafür nicht die

besten Voraussetzungen und muss weiterentwickelt werden. Soweit es um

Vorgaben für Medienintermediäre und Medienplattformen geht, sollte eine

gemeinsame Medienanstalt der Länder für ihren Vollzug zuständig sein. Der

Aufbau einer Fachabteilung für Medienplattformen und -intermediäre ist

ebenso angezeigt. Es werden Informatiker benötigt, die sich mit der

Funktionsweise von Algorithmen auskennen. Ein Sachverständigengremium

reicht nicht aus. So wird auf Bundesebene über eine Digitalagentur diskutiert, die

Knowhow über Plattformen und Internetdienste aufbauen soll.

Competition Expert Panel, Unlocking digital competition, 2019; zu den USA siehe

Stigler Comittee on Digital Platforms, Final report, 2019; zum Ansatz aus Australien siehe

Australian Competition and Consumer Commission, Digital Platforms Inquiry

Preliminary Report, 2018. 8 Damals: G.-M. Hellstern/W. Hoffmann-Riem/J. Reese/M. P. Ziethen, Rundfunkaufsicht

in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 16/I Begleitforschung des Landes Nordrhein-

Westfalen zum Kabelpilotprojekt Dortmund, Düsseldorf, 1989.

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Vorbilder für ein transparentes und zügiges Entscheidungsverfahren können

auch die unabhängigen Beschlusskammern der Bundesnetzagentur und des

Bundeskartellamts sein. Diese setzen sich aus Juristen, Ökonomen und Technikern

zusammen. Die Entscheidungen der Beschlusskammern und die tragenden

Gründe werden publiziert, anders als dies bei den Landesmedienanstalten oft

der Fall ist. Weil zu vermuten ist, dass die neuen Aufsichtsfelder zu vermehrten

Rechtsstreitigkeiten führen werden, könnte die gerichtliche Kontrolle bei einem

Gericht gebündelt werden. Dieses kann dann ebenfalls das hierfür benötigte

Fachwissen aufbauen.

4. Wie schätzen Sie die Maßgaben zur Barrierefreiheit ein und wo sehen Sie

hier weiteren Handlungsbedarf?

Der MStV-E sieht für Rundfunkveranstalter in § 7 eine Verpflichtung zur Aufnahme

barrierefreier Angebote sowie eine Berichtspflicht vor. Im Unterschied zur derzeit

geltenden Regelung in § 3 Abs. 2 RStV ist die „stetige und schrittweise“

Ausweitung dieser Angebote vorgegeben, d.h. eine anhaltende Steigerung des

Anteils barrierefreier Inhalte. Entsprechende Verpflichtungen für Anbieter

fernsehähnlicher Telemedien finden sich in § 76 MStV-E, der auf § 7 MStV-E

verweist. Daneben wird der Anteil barrierefreier Angebote positiv bei der

Ermittlung der Angebote, die im besonderen Maße zur Angebots- und

Meinungsvielfalt beitragen, berücksichtigt (§ 84 Abs. 5 Nr. 4 MStV-E).

Maßgeblich für die Beurteilung der Vorschriften zur Barrierefreiheit im MStV-E sind

zunächst die Vorgaben in Art. 7 der AVMD-RL. Hiernach soll der barrierefreie

„Zugang“ zu Mediendiensten i.S.d. Richtlinie „stetig und schrittweise verbessert“

werden. Die Formulierung unterscheidet sich dabei von der Fassung des § 7 Abs.

1 MStV-E, der auf die „Aufnahme“ barrierefreier Angebote abstellt. Der Zugang

zu Mediendiensten, den Art. 7 Abs. 1 AVMD-RL voraussetzt, bezieht sich auf den

vollständigen Dienst, d.h. das gesamte bereits vorhandene Angebot, das

barrierefrei umgestaltet werden soll, während die Aufnahme barrierefreier

Angebote gem. § 7 Abs. 1 MStV-E dem Wortlaut nach die zusätzliche

Bereitstellung einzelner Inhalte meint. Die Beschränkung auf die jeweiligen

technischen und finanziellen Möglichkeiten der Veranstalter ist nicht zu

beanstanden.

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Die Berichtspflicht der Veranstalter aus § 7 Abs. 2 MStV-E beruht unmittelbar auf

Art. 7 Abs. 2 AVMD-RL und dient zugleich der Erfüllung der mitgliedsstaatlichen

Berichtspflicht gegenüber der EU-Kommission aus Art. 7 Abs. 2 S. 2 AVMD-RL.

Ausweislich der Begründung (S. 131) soll sich der Bericht der Veranstalter auch auf

zukünftig geplante Maßnahmen beziehen und damit die Erarbeitung von

Aktionsplänen i.S.d. Art. 7 Abs. 3 AVMD-RL darstellen, wobei dies aus dem

Wortlaut („Bericht über die getroffenen Maßnahmen“) nicht eindeutig

hervorgeht.

Nicht im MStV-E umgesetzt ist die Einrichtung einer Online-Anlaufstelle i.S.d. Art. 7

Abs. 3 AVMD-RL. Dies soll mittels Verwaltungsvereinbarung zwischen Bund und

Ländern erfolgen.

Weiterhin regelt Art. 7 Abs. 5 AVMD-RL die Barrierefreiheit von

Notfallinformationen. Derartige Warnungen oder Durchsagen über den Rundfunk

auf der Grundlage von Verlautbarungrechten (vgl. § 36 Abs. 1 LMG NRW) sind

auf öffentliche Stellen, i.d.R. Bundes- und Landesregierungen, begrenzt. Die

näheren Anforderungen an Notfallinformationen, einschließlich der

Barrierefreiheit, sind daher i.d.R. in Runderlassen oder Verwaltungsvorschriften

festgelegt und somit kein Regelungsgegenstand des MStV-E.

Für andere (nicht-rundfunkähnliche) Telemedien regelt § 21 MStV-E abgestufte

Vorgaben. Im Gegensatz zu Anbietern von Rundfunk und fernsehähnlichen

Telemedien sollen sonstige Telemedienanbieter den barrierefreien Zugang

lediglich „unterstützen“. Die geforderte Unterstützung bezieht sich dabei

ausschließlich auf Fernsehprogramme und fernsehähnliche Telemedien, d.h. auf

(Dritt-)Angebote der nach §§ 7, 76 MStV-E verpflichteten Anbieter. Dies geht über

die Vorgaben der AVMD-Richtlinie hinaus, die allgemeine Telemedienangebote

nicht adressiert, steht jedoch im logischen Zusammenhang mit den neu in den

Anwendungsbereich des MStV-E aufgenommenen Kategorien

Medienplattformen, Medienintermediäre und Benutzeroberflächen. An die

Telemedienangebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks werden wiederum in

§ 30 Abs. 3, 4 MStV-E höhere Anforderungen bezüglich der Barrierefreiheit

formuliert.

Für diese Angebotskategorien ist zusätzlich die europäische RL über

Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen (RL (EU)

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2019/882) zu beachten, deren Umsetzung bis Mitte 2022 erfolgen muss. Diese

enthält insbesondere für Telemedien (elektronische Kommunikationsdienste)

sowie Dienste, die den Zugang zu audiovisuellen Mediendiensten vermitteln

Regelungen, die jedoch erst ab Juni 2025 zur Anwendung kommen müssen (vgl.

Art. 2 Abs. 2 lit. a, b RL 2019/882). U.a. müssen danach elektronische

Programmführer „wahrnehmbar, bedienbar, verständlich und robust [sein] und

Informationen über die Verfügbarkeit von Barrierefreiheit bereitstellen“ (Anhang

2, Abschnitt IV). Dies geht über die bloße Pflicht zur Unterstützung gem. § 21 MStV-

E hinaus. Der hier bestehende weitere Handlungsbedarf wird jedoch bereits in

der Begründung (S. 130) anerkannt.

5. An welchen Stellen muss der Medienstaatsvertrag aus Ihrer Sicht in den

nächsten Jahren noch erweitert/weiterentwickelt werden?

Weiterer Handlungsbedarf ergibt sich in den folgenden Bereichen:

Medienwahlkampfrecht: Der Einfluss des Internets auf den Wahlkampf ist in den

letzten Jahren weiter gestiegen. Das bestehende Instrumentarium, um einen

fairen Wahlkampf zu garantieren, ist aber weiterhin rundfunk- und pressezentriert.

Es blendet vor allem die Gatekeeper-Stellung von Medienintermediären

weitestgehend aus. Schon länger wird deshalb darauf hingewiesen, dass hier

Reformbedarf besteht.9 Insbesondere kann nicht länger darauf vertraut werden,

dass durch Selbstverpflichtungserklärungen der politischen Parteien ein fairer

Wahlkampf unter Verwendung von Social Media garantiert ist.10 Ebenso wenig

ist es angezeigt, dass die Wahlkampfregeln von den dominanten privaten

Plattformen wie Facebook, YouTube oder Twitter geschrieben werden.

Verlautbarungsrecht: Es fehlt an einer digitalen Fortschreibung des klassischen

Verlautbarungsrechts. Dieses verpflichtet Rundfunkveranstalter, der

Bundesregierung und den obersten Landesbehörden im Falle von erheblichen

Gefahren für die öffentliche Sicherheit (Naturkatastrophen, Krieg) für amtliche

Verlautbarungen „angemessene Sendezeit“ im Rundfunk unverzüglich und

9 Holznagel, JZ 2012, 165 ff. 10 https://www.zeit.de/politik/deutschland/2017-03/die-gruenen-nrw-wahlkampf-

fairness; https://netzpolitik.org/2017/gruene-beschliessen-selbstverpflichtung-gegen-

social-bots-und-fake-news/.

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unentgeltlich einzuräumen.11 Informationen zu bestimmten Gefährdungslagen

oder Hinweise zum Schutz können so direkt an die Bevölkerung gerichtet werden.

Mit Blick auf die Entwicklung der Mediennutzung in Deutschland kann auf diesem

Weg schon jetzt ein großer Teil der Bürgerinnen und Bürger nicht mehr erreicht

werden. Sachgerecht ist es, diese Pflicht den neuen Gatekeepern, also

Medienplattformen und -intermediären, aufzulegen. Ähnliches wird derzeit in

den USA im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie gefordert.

Auskunftsrechte für Informationsdienste: Die Einführung journalistischer

Sorgfaltspflichten für alle publizistischen Telemedienanbieter kann dann nicht

überzeugen, wenn diesen nicht zugleich die notwendigen journalistischen

Rechercheinstrumente eingeräumt werden. Journalistische Pflichte müssen mit

journalistischen Sonderrechten korrespondieren. Deshalb muss das behördliche

Auskunftsrecht im Sinne der kommunikativen Chancengleichheit neben den

Pressediensten i.S.v. § 19 Abs. 1 Satz 1 MStV-E auch den Informationsdiensten i.S.v.

§ 19 Abs. 1 Satz 2 MStV-E zugestanden werden.

6. (Frage richtet sich an die LMAs)

[nicht beantwortet]

7. In der ergänzenden Protokollerklärung aller Länder zum

Medienstaatsvertrag verpflichten sich die Länder in Punkt 3 „Regionale

Vielfalt“ über die Vereinbarung des Medienstaatsvertrages hinaus

Maßnahmen zur Sicherung der regionalen und lokalen Medienvielfalt zu

prüfen. Weiter heißt es: „Neben tradierten Medienhäusern sollen in

diesen Prozess auch weitere Akteure (u.a. Medienplattformen und -

intermediäre) einbezogen werden.“

a) Die Protokollerklärung spricht von Maßnahmen zur Sicherung der regionalen

und lokalen Medienvielfalt, mit dem Ziel, auch künftig eine differenzierte,

professionelle und relevante Berichterstattung zu gewährleisten. Für

Nordrhein-Westfalen ist die Sicherung nur in Teilen des Landes möglich. In

anderen Teilen müsste die Medienvielfalt zunächst wiederhergestellt werden.

Beispielsweise gibt es in manchen ländlichen Regionen nur noch eine lokale

11 §§ 8 WDRG, 38 Abs. 1 LMG NRW.

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Tageszeitung (sog. Einzeitungskreise). Um dies zu erreichen, sollte direkt beim

Journalismus angesetzt werden. Im Gegensatz zur reinen

Distributionsförderung kann dies z.B. die Förderung des (Online-)Journalismus

durch bedarfsgerechte Unterstützung für bestehende Angebote und

Hilfestellungen bei Gründungen oder die Initiierung und Unterstützung von

Austauschplattformen für lokale und hyperlokale Anbieter sein.12 Die nötige

Staatsferne kann durch ein unabhängiges Vergabegremium gewährleistet

werden, das an objektiven und nachprüfbaren Kriterien ansetzt (z.B: Zahl der

Redakteure, Anzahl der Seiten/Stücke mit originären Beiträgen der eigenen

Redaktion).13

b) Vorbildhafte Modelle aus anderen Bundesländern sind nicht ersichtlich. Es ist

aber zu beobachten, dass der lokale Hörfunk mittlerweile in fast allen

Bundesländern gefördert wird. Innovative Programme finden sich jedoch z.T.

im (europäischen) Ausland.14 Die dort bewährten Programme, etwa der

skandinavischen Länder, sind auch im Hinblick auf ihre beihilferechtliche

Zulässigkeit von Interesse. Es liegen auch verlässliche Langzeitstudien der

faktischen Wirkung der Maßnahmen vor.

c) Zentraler Distributionsweg auch für lokale und regionale Inhalte sind

Medienintermediäre wie Facebook und Google. Schon aus Gründen der

kommunikativen Chancengleichheit und Diskriminierungsfreiheit ist es

angezeigt, die Auffindbarkeit von regionalen und lokalen Inhalten

abzusichern. Empfehlenswert ist eine turnusmäßige Evaluierung zur

Entwicklung der regionalen und lokalen Medienvielfalt. Auf der Grundlage

empirischer Befunde kann die Wirksamkeit bereits getroffener Maßnahmen

bewertet werden und es können Rückschlüsse für weitere Regulierungsschritte

gezogen werden.15

8. Welche rechtlichen Gefahren und praktischen Probleme sehen Sie durch

die im Medienstaatsvertrag hinterlegte sehr weit gefasste Definition (§ 18

Abs. 3 letzter Satz Medienstaatsvertrag) von kennzeichnungspflichtigen

12 Holznagel/Röper, Vielfalts- und Journalismusstärkung, 2010, 57. 13 Holznagel/Röper, Vielfalts- und Journalismusstärkung, 2010, 54 f. 14 Einen Überblick bieten Ukrow/Cole, Aktive Sicherung lokaler und regionaler Vielfalt,

2019, 171 ff. 15 Siehe auch Ukrow/Cole, Aktive Sicherung lokaler und regionaler Vielfalt, 2019, 271 f.

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Social Bots, insbesondere dann, wenn durch Social Media-Dashboards

oder Social Media-Managementwerkzeuge wie etwa Hootsuite,

Kurzmeldungen oder Tweets zeitgesteuert veröffentlicht werden?

Die Kennzeichnungspflicht des § 18 Abs. 3 MStV-E trifft Anbieter von Telemedien

in sozialen Netzwerken. Dies können grds. sowohl kommunizierende Nutzer des

Netzwerkes als auch der Betreiber der jeweiligen sozialen Plattform sein. Hier ist

jedoch die Formulierung Telemedien „in“ sozialen Netzwerken zu beachten, die

nahelegt, dass nicht der Anbieter des Netzwerkes selbst gemeint ist. Dieser wird

hingegen durch § 93 Abs. 4 MStV-E verpflichtet, die Kennzeichnung

sicherzustellen.

Das Merkmal der „automatisierten Erstellung von Inhalten oder Mitteilungen“ in §

18 Abs. 3 MStV-E sieht zwei Alternativen vor: zum einen die vollständige

automatisierte Erzeugung des Inhalts, zum anderen der Rückgriff auf einen

vorgefertigten Inhalt. Festzuhalten ist zunächst, dass beide Varianten nicht auf

den Versand, sondern auf die Erstellung des Inhalts abstellen. Der Versand der

Inhalte ist insofern ein kumulativ vorausgesetztes Merkmal, keine eigene

Tatbestandsvariante. Zu unterscheiden sind grundsätzlich die Erzeugung des

Inhalts und dessen Veröffentlichung.

Bei systematischer Betrachtung des § 18 Abs. 3 S. 3 MStV-E im Zusammenhang mit

S. 1 der Vorschrift wird deutlich, dass gerade die Erstellung des Inhalts „mittels

eines Computerprogramms“ (so S. 1) erfolgen muss. Die beiden Varianten der

Erstellung, die in Satz 3 normiert sind, beziehen sich unter dieser Prämisse lediglich

auf den unterschiedlichen Zeitpunkt der Erstellung durch das

Computerprogramm: während die erste Variante eine instantane automatisierte

Erstellung unmittelbar vor dem Versand (so auch der Wortlaut des S. 3) regelt,

erfasst die zweite Variante den Rückgriff auf zu einem früheren Zeitpunkt durch

das Programm erstellte Inhalte.

Dies korreliert auch mit Sinn und Zweck der Vorschrift ausweislich S. 1, wonach die

Irreführung der Nutzer durch Nutzerkonten, deren äußeres Erscheinungsbild die

Inhalteerstellung durch natürliche Personen nahelegt, vermieden werden soll.

Unter diesen Voraussetzungen entstehen durch die Regelung weder rechtliche

noch praktische Probleme im Zusammenhang mit der Verwendung von

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Management-Tools zur zeitversetzten Veröffentlichung menschengenerierter

Inhalte.

9. Inwieweit kann das im Medienstaatsvertrag hinterlegte Konzept der

„privilegierten Auffindbarkeit“ verfassungsrechtliche Bedenken

erzeugen? Wird dadurch die Chancengleichheit für alle Inhalteanbieter

ausgehebelt?

Die neuen Regeln zur Auffindbarkeit von Rundfunk und rundfunkähnlichen

Angeboten finden sich in § 84 Abs. 3, 4 MStV-E. Die dort vorgesehenen Privilegien

sind in zwei Dimensionen zu differenzieren: Zunächst normiert § 84 Abs. 3 S. 1 MStV-

E eine unmittelbare Auffindbarkeit für alle auf der Medienplattform vorhandenen

Rundfunkangebote (Basisauffindbarkeit für Rundfunk in seiner Gesamtheit). Dies

stellt eine Bevorzugung des linearen Rundfunks gegenüber nicht-linearen

Angeboten dar. Daneben sehen die § 84 Abs. 3 S. 2, Abs. 4 MStV-E eine „leichte“

Auffindbarkeit für Rundfunk und rundfunkähnliche Angebote der öffentlich-

rechtlichen Anbieter und der privaten Angebote vor, die „in besonderem Maß

einen Beitrag zur Meinungs- und Angebotsvielfalt“ leisten. Diese linearen und

nicht-linearen Angebote werden gegenüber den nicht öffentlich-rechtlichen

und nicht vielfaltsfördernden Angeboten privilegiert.

Die Grundkonzeption der positiven Diskriminierung bestimmter Angebote mit

dem Ziel der Vielfaltsförderung begegnet keinen verfassungsrechtlichen

Bedenken. Eine (verfassungsrechtlich relevante) Beeinträchtigung der

Chancengleichheit zulasten der nicht privilegierten Inhalteanbieter stellen die

Regelungen nicht dar. Hier ist auf die ständige Rechtsprechung des BVerfG zu

rekurrieren, wonach die Rundfunkfreiheit als dienende Freiheit nicht zuförderst in

der abwehrrechtlichen Dimension zugunsten der einzelnen Grundrechtsträger

wirkt, sondern am übergreifenden, objektiv-rechtlichen Ziel der Herstellung von

Pluralität zur Ermöglichung der individuellen und öffentlichen Meinungsbildung

auszurichten ist.16

Das BVerfG betont in diesem Zusammenhang die aus Art. 5 Abs. 1 GG folgende

Aufgabe des Gesetzgebers mittels einer positiven Ordnung die Wiedergabe der

16 BVerfGE 57, 295 (319 f.).

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Vielfalt der bestehenden Meinung im Rundfunk sicherzustellen.17 Diese

Verpflichtung betrifft ebenso das private Angebotsspektrum.18 Meinungsvielfalt

entsteht nicht automatisch durch quantitative Angebotsvielfalt und Wettbewerb

auf dem freien Markt.19 Auch der Wegfall der tradierten Kapazitätsbegrenzungen

und die technologiebedingte Ausdifferenzierung der Verbreitungswege

genügen daher allein nicht zur Gewährleistung von Qualität und Vielfalt.20 Die

Aufgabe der positiven Vielfaltssicherung obliegt dem Gesetzgeber damit

unverändert.

Die Auffindbarkeits-Vorschriften des § 84 MStV-E sind Instrument der positiven

Vielfaltssicherung und insofern vergleichbar mit den seit Jahren etablierten

Belegungsregeln („Must-Carry“) für infrastrukturgebundene Plattformen (§ 52b

RStV, nunmehr § 81 MStV-E), die ebenfalls bestimmte Programme hinsichtlich der

Aufnahme in das gebündelte Angebot des Plattformanbieters bevorzugen.

Bestimmten Programmen und Angeboten, namentlich den öffentlich-

rechtlichen, wohnt eigens ihrer binnenpluralen Struktur und ihrer strengen Bindung

an Objektivität und journalistische Standards bereits die Vermutung der

Förderung von Vielfaltszielen inne. Für private Angebote muss indes der

besondere Vielfaltsbeitrag nach den in § 84 Abs. 5 MStV-E festgelegten Kriterien

positiv festgestellt werden.

Zu kritisieren sind die vorgesehenen Regelungen nicht aufgrund der

Beeinträchtigung der Chancengleichheit nicht-privilegierter Anbieter, sondern

vielmehr aufgrund der Aufrechterhaltung der überholten Trennung zwischen

linearen und nicht-linearen Angeboten, wobei Ersteren insgesamt mittels der

Basisauffindbarkeit eine höhere Meinungsbildungsrelevanz attestiert wird. Dies

entspricht jedoch sowohl den Wertungen der AVMD-RL als auch der

Rechtsprechungslinie des BVerfG. Ebenso wäre eine stringentere Ausgestaltung

der Vielfaltsregeln auch in Bezug auf Intermediäre wünschenswert gewesen.

Schließlich ist auch die konstitutive Einstufung besonders vielfaltsfördernder

privater Angebote durch die Landesmedienanstalten gem. § 84 Abs. 5 MStV-E

17 BVerfGE 57, 295 (302). 18 BVerfGE 73, 118 (159 ff.). 19 BVerfGE 149, 222 (260). 20 BVerfGE 149, 222 (261).

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bedenklich. Eine derartige inhaltliche Bewertung von Medienangeboten sollte

einem unabhängigen plural besetzten Gremium vorbehaltlich sein.

10. Die EU-Kommission hat beurteilt, dass der Medienstaatsvertrag prinzipiell

mit dem EU-Recht vereinbar ist, aber in ihren Anmerkungen Bedenken

geäußert. Insbesondere gibt es Konflikte mit der E-Commerce-Richtlinie

der EU. Inwieweit sehen Sie diese Konflikte ebenfalls im

Medienstaatsvertrag?

a) Verfahrensrechtliche Einordnung und Bedeutung der Mitteilung der

Kommission im Notifizierungsverfahren

Die Europäische Kommission hat sich im Rahmen des sog. Notifizierungsverfahrens

zum Entwurf des Medienstaatsvertrages geäußert. Dieses Verfahren beruht auf

der Richtlinie über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der technischen

Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft (RL

(EU) 2015/1535). Grundsätzlich sieht das Verfahren drei Reaktionsmöglichkeiten

für die Kommission und andere Mitgliedstaaten auf notifizierte Vorschriften vor:

Untätigkeit, das Vorbringen von Bemerkungen (Art. 5 Abs. 2 RL 2015/1535) und

die Abgabe einer ausführlichen Stellungnahme (Art. 6 Abs. 2 RL 2015/1535).

Darüber hinaus kann die Kommission gem. Art. 6 Abs. 3, 4 RL 2015/1535 bekannt

geben, dass für die von der notifizierten Vorschrift berührten Bereiche

Gesetzesentwürfe auf europäischer Ebene bestehen oder beabsichtigt sind.

Die Erklärungen nach Art. 6 Abs. 3, 4 RL 2015/1535 sowie die Abgabe einer

ausführlichen Stellungnahme lösen jeweils eine Verlängerung der sog.

Stillhaltefrist aus, die die Mitgliedstaaten an der Annahme der notifizierten

Vorschriften hindert (vgl. Art. 6 RL 2015/1535). Demgegenüber hindern die

Untätigkeit sowie das Vorbringen von Bemerkungen das nationale

Gesetzgebungsverfahren nicht.

Vorliegend erfolgten die Äußerungen der Kommission in Form der Übermittlung

von Bemerkungen gem. Art. 5 Abs. 2 RL 2015/1535. Diese müssen „bei der

weiteren Ausarbeitung […] so weit wie möglich berücksichtigt [werden]“. Eine

Stillhaltefrist wird hierdurch nicht ausgelöst. Verfahrensrechtliche Hindernisse

bestehen damit für das weitere innerdeutsche Gesetzgebungsverfahren zum

MStV nicht.

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b) Materielles Ergebnis der Kommission und Analyse

Die Kommission teilte inhaltlich mit, dass Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit

des MStV-E mit dem Gemeinschaftsrecht bestünden. Insbesondere die Regelung

des § 1 Abs. 8 MStV-E zum räumlichen Anwendungsbereich für

Medienintermediäre, Medienplattformen und Benutzeroberflächen könnte in

ihrer derzeitigen Form gegen das Herkunftslandprinzip der E-Commerce-RL

verstoßen. Die von der EU-Kommission im Rahmen des Notifizierungsverfahrens

mitgeteilten Bedenken sind tragfähig.

Die E-Commerce-RL regelt in Art. 3 Abs. 1, 2 ihren territorialen

Anwendungsbereich in Form des sog. Herkunftslandprinzips. Dies entspricht i.Ü.

auch dem Konzept, nach dem der räumlichen Anwendungsbereich der AVMD-

RL (Art. 2) zu bestimmen ist. Zur sachgerechten Umsetzung beider Richtlinien ist

innerhalb des jeweiligen sachlichen Anwendungsbereichs auch im deutschen

Recht die territoriale Grenze entsprechend zu ziehen. Jeder Sachverhalt

innerhalb des harmonisierten Bereiches darf grundsätzlich nur der Rechtshoheit

eines Mitgliedstaates unterfallen. Das Herkunftslandprinzip dient der Schaffung

des Binnenmarktes, innerhalb dessen Grenzen die Mitgliedstaaten Dienste unter

der Rechtshoheit anderer Mitgliedstaaten nicht einschränken dürfen. Regeln die

Mitgliedstaaten hingegen den räumlichen Anwendungsbereich abweichend,

besteht die Gefahr von Kollisionen zwischen den nationalen Rechtsordnungen

und der Behinderung des Dienstleistungsverkehrs.

Der räumliche Anwendungsbereich des MStV-E für Rundfunk entspricht

grundsätzlich den Vorgaben der AVMD-RL. Für Telemedien, einschließlich den der

AVMD-RL unterfallenden rundfunkähnlichen Telemedien, verweist § 1 Abs. 7

MStV-E auf die Vorschriften des TMG, welches die Bestimmung der Rechtshoheit

nach den Vorgaben der AVMD- und E-Commerce-RL vornimmt (§§ 2a, 3 TMG).

Eine Ausnahme vom Grundsatz des § 1 Abs. 7 MStV-E ist jedoch für

Medienintermediäre, Medienplattformen und Benutzeroberflächen in § 1 Abs. 8

MStV-E vorgesehen. Die Rechtshoheit wird hier – abweichend vom

Herkunftslandprinzip – nach dem sog. Marktortprinzip bestimmt. Entscheidend ist

die „Bestimmung zur Nutzung in Deutschland“, ausgehend von verwendeter

Sprache, angebotenen Inhalten, Marketingaktivitäten und Anteil des deutschen

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Marktes an der Refinanzierung des Dienstes. Eine Rückausnahme ist wiederum für

Video-Sharing-Dienste, die der AVMD-RL unterfallen, vorgesehen.

Die adressierten Dienstekategorien (Medienintermediäre, Medienplattformen

und Benutzeroberflächen) stellen Dienste der Informationsgesellschaft i.S.d. E-

Commerce-RL (Art. 2 lit. a E-Commerce-Rl i.V.m. Art. 1 lit. b RL (EU) 2015/1535) dar

und fallen so in den sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie. Diesen

Diensten werden Verpflichtungen auferlegt, die nach dem weiten Verständnis

der „Einschränkung“ i.S.d. Art. 3 Abs. 2 E-Commerce-RL gegen das

Herkunftslandprinzip verstoßen, so etwa die Anzeigepflicht gem. § 79 Abs. 2 MStV-

E oder die Vorschriften zu Transparenz und Diskriminierungsfreiheit nach §§ 93, 94

MStV-E.

Die fraglichen Regelungen des MStV-E betreffen dabei weder einen der im

Anhang zur E-Commerce-RL genannten Bereiche, die nach Art. 3 Abs. 3 E-

Commerce-RL vom Herkunftslandprinzip ausgenommen sind, noch ist der

Abweichungstatbestand des Art. 3 Abs. 4 E-Commerce-RL eröffnet, der u.a. für

Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit

nach einem vorliegend nicht beschrittenen Verfahren (Art. 3 Abs. 4 lit. b E-

Commerce-RL) Ausnahmen vom Herkunftslandprinzip erlaubt.

Eine Umgehung der Vorschriften der Richtlinie ist zudem auch nicht unter dem

Aspekt des Pluralismusschutzes zulässig (so jedoch die Begründung, S. 118). Bei

der in Art. 1 Abs. 6 E-Commerce-RL vorgesehene Bestimmung, wonach nationale

Maßnahmen, die „unter Wahrung des Gemeinschaftsrechts“ u.a. dem

Pluralismusschutz dienen, von der Richtlinie „unberührt“ bleiben, handelt es sich

nicht um eine Bereichsausnahme, so dass die Richtlinie, einschließlich des

Herkunftslandprinzips, uneingeschränkt anwendbar bleibt.

Art. 1 Abs. 6 E-Commerce-RL betrifft nach richtiger Leseart den sachlich von der

Richtlinie koordinierten Bereich. Dies ergibt sich auch aus der Zusammenschau

mit Art. 1 Abs. 3 E-Commerce-RL. Die Richtlinie „ergänzt“ lediglich das Recht der

Dienste der Informationsgesellschaft und lässt andere Vorschriften, z.B. auch aus

dem Bereich des Verbraucherschutzes, unberührt. Dies bedeutet, dass über die

Vorschriften der E-Commerce-RL hinaus (die i.Ü. keine Vollharmonisierung

anstrebt) weiteres, nationales oder europäisches Recht zur Anwendung kommen

kann. Ebenso verhält es sich mit dem Vorbehalt für Pluralismusschutz aus Art. 1

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Abs. 6 E-Commerce-RL. Für Dienste der Informationsgesellschaft unter ihrer

eigenen Rechtshoheit können die Mitgliedstaaten daher zusätzliche

Anforderungen in den nicht explizit von der E-Commerce-RL geregelten

Bereichen normieren. Spezifisch in Bezug auf den Pluralismusschutz ist dies

lediglich eine Klarstellung, da die EU diesbezüglich nicht über eigene

Regelungskompetenz verfügt (siehe hierzu bereits die Stellungnahme zu Frage 2).

Diese Möglichkeit der sachlichen Ergänzung der Richtlinienbestimmungen geht

jedoch nicht mit der Möglichkeit einher, diese auf Dienste außerhalb der eigenen,

durch die Richtlinie verbindlich vorgegebenen, Rechtshoheit zu erstrecken. Die

Kollision des MStV-E mit der E-Commerce-RL wird daher auch nicht durch die

(materiellen) Vorschriften für Medienplattformen ausgelöst, sondern beruht auf

der Erweiterung des Anwendungsbereiches für diese Vorschriften.

c) Konsequenz und rechtliche Risiken

Der Abschluss des Notifizierungsverfahrens hat keine Legalisierungswirkung. Es

handelt sich bei der Stellungnahme der Kommission und anderer Mitgliedstaaten

nicht um eine abschließende und verbindliche Bewertung der Vereinbarkeit der

notifizierten Vorschriften mit dem europäischen Recht. Dies ist schlichtweg nicht

Sinn und Zweck der RL 2015/1535, die auf die Kohärenz technischer Normen und

Vermeidung von Konflikten geplanter Unionsgesetzgebung mit

Gesetzgebungsverfahren in den Mitgliedstaaten ausgerichtet ist (vgl. hierzu nur

Art. 6 Abs. 4 sowie Erwgr. 15 RL 2015/1535).

Insbesondere entfaltet das Ergebnis des Notifizierungsverfahrens daher keine

Sperr- oder Bindungswirkung im Sinne eines Vertrauensschutzes in Hinblick auf

spätere Prüfung der EU-Rechtskonformität durch Kommission oder auch den

EuGH. Trotz des Verzichts der Kommission auf Beanstandungen („ausführliche

Stellungnahme“) des MStV ist dieser somit nicht gegen zukünftige Verfahren auf

europäischer Ebene abgesichert. Materiell-rechtlich bestehen jedenfalls gegen

die Regelung des § 1 Abs. 8 MStV-E tragfähige Bedenken.

Schließlich besteht das Konfliktpotential des MStV-E mit dem höherrangigen

europäischen Recht nicht ausschließlich im Verhältnis zur E-Commerce-RL

sondern ist perspektivisch auch in Bezug auf deren geplante Überarbeitung und

Weiterentwicklung durch den Digital-Services-Act deutlich absehbar. Dieser soll

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nach Ankündigung der Kommission u.a. Transparenzvorschriften für Algorithmen

und Online-Plattformen als digitale Gatekeeper enthalten,21 und überschneidet

sich damit ggf. mit den Regelungsbereichen des MStV-E.

11. Wie bewerten Sie die im Medienstaatsvertrag hinterlegten Grenzen für

den sogenannten Bagatellrundfunk? Würde diese Regelung, bedingt

durch die daraus folgenden Regulierungen über die

Landesmedienanstalten, nicht auch massiv in die Rechte der

streamenden Verlage und Privatpersonen eingreifen? Wo sehen Sie

Vorteile bzw. Probleme für die völlige Freigabe, vergleichbar mit der

Zulassungsfreiheit von Audiostreams, von solchen visuellen

Streamingangeboten?

Die Regelung zum „Bagatellrundfunk“ in § 54 Abs. 1 MStV-E ist sachgerecht. §

54 Abs. 1 Nr. 1 MStV-E setzt zutreffend beim Kriterium der

Meinungsbildungsrelevanz für die Schwelle vom zulassungsfreien zum

zulassungspflichtigen Rundfunk an. Dies entspricht den verfassungs- und

europarechtlichen Vorgaben. Die zahlenmäßige Grenze von 20.000

gleichzeitigen Nutzern in § 54 Abs. 1 Nr. 2 MStV-E ist zunächst plausibel

gewählt, muss aber in spätestens zwei Jahren überprüft werden. Von

entscheidender Bedeutung ist die satzungsmäßige Konkretisierung der

Vorschrift durch die Landesmedienanstalten, § 54 Abs. 2 MStV-E.

Die Regelung in § 54 Abs. 1 MStV-E stellt sowohl für (linear) streamende

Verlage und Privatpersonen eine Erleichterung und Vereinfachung zur

bisherigen Rechtslage dar. Im Bereich des „Bagatellrundfunks“ entfällt

nämlich die grundsätzlich und bislang bestehende Zulassungspflicht (vgl. § 20

Abs. 1 RStV).

Mit dem MStV werden lineare Internet-Hörfunkprogramme denjenigen

Hörfunkprogrammen gleichgestellt, die über herkömmliche Technologien

(UKW, DAB+) verbreitet werden. Die bisherige Anzeigepflicht von linearem

Internet-Hörfunk entfällt. Solche Hörfunkprogramme sind nunmehr entweder

(zulassungsfreier) Bagatellrundfunk oder (zulassungspflichtiger) regulärer

21 Europäische Kommission, „Europas digitale Zukunft gestalten“, Mitteilung v. 19.2.2020,

COM (2020) 67 final, 12.

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Rundfunk. Damit ist neben linearen audiovisuellen Streamingangeboten auch

für lineare Internet-Hörfunkprogrammen das Kriterium der

Meinungsbildungsrelevanz für die Schwelle vom zulassungsfreien zum

zulassungspflichtigen Rundfunk maßgeblich, § 54 Abs. 1 MStV-E. Diese

Regelung entspricht den verfassungs- und europarechtlichen Vorgaben.

Gerade im Hinblick auf gleichwertige Wettbewerbsverhältnisse zwischen

(zulassungspflichtigem) Rundfunk und (zulassungsfreien) Telemedien ist es

aber angezeigt, weitere Lockerungen zu prüfen. Dies wird mit dem 4.

Zusatzprotokoll zum MStV zugesichert.

Münster, 12.06.2020

Prof. Dr. Bernd Holznagel, LL.M. Jan Christopher Kalbhenn, LL.M.

Dr. Sarah Hartmann


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