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Steinzeit birkenpech

Date post: 05-Jul-2015
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STEINZEIT am BACH BIRKENPECH - HERSTELLUNG bei STEINBACHER Ein Bericht mit Fotos von Lydia Steinbacher vom 16.8.2009 Foto 1 „Ötzi“, der Mann aus dem Gletschereis, befestigte seine Feuerstein- Pfeilspitzen mit BIRKENPECH, dem Superkleber seiner Zeit, an den Schäften seiner Pfeile. Birkenpech, der älteste Kunststoff, ist ein schwarzes, teerartiges Thermoplast (Betulin) und wird durch Verschwelen von Birkenrinde gewonnen. Doch Ötzi war nicht der erste, der das Geheimnis der Birkenrinde kannte. Birkenpech wurde bei einer Grabung 1963/64 in Königsaue/Sachsen- Anhalt entdeckt und Später auf Grund verschiedener Beweise auf zwischen gut 80000 bis gut 40000 Jahre alt datiert, die komplizierte, mit damaligen Mitteln immer noch rätselhafte Herstellung, (ohne Ton oder Metall) gelang also dem Neanderthaler vor dem Homo sapiens in der mittleren Altsteinzeit! Weitere Funde stammen aus zahlreichen Lager- und Siedlungplätzen der Mittleren Steinzeit (9500 - 4500 v.Chr.) und der Jungsteinzeit (5500 - 2200 v. Chr.). Birkenpech als der Allzweckkleber der Steinzeit kann es qualitativ übrigens locker mit modernen Produkten aufnehmen! Außer zur Schäftung von Werkzeugen und Waffen wurde damit zerbrochene Keramik geflickt und Behältnisse (auch Indianerboote aus Birkenrinde) abgedichtet. Zahnabdrücke zeigen, dass Birkenpech gekaut wurde. Ob dies zur Zahnpflege oder als antibakterieller, schmerz- stillender „Kaugummi“ geschah, ist unbekannt. Vermutlich wurde es auf diese Weise für die Verarbeitung weich (warm) gemacht. Genug der vielen Worte, lasset Taten folgen! Mein Vater und ich interessieren uns sehr, für all dies und haben kein Problem mit der Bezeichnung „Freak“… Nachfolgend finden Sie eine Schritt-für-Schritt- Anleitung zum Thema Birkenpech-Herstellung: Foto 2 Grundvoraussetzung zur Herstellung von Birkenrindenpech ist wie nicht schwer zu erraten: Jede Menge Birkenrinde. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nur die äußerste, weiße Schicht der Rinde zu einem guten Ergebnis führt, schwarze Borke und dicke Innenrinde entfernen. Ob alte oder frische Rinde verwendet wird, ist egal. Wir stopfen die ca. 5x5cm klein zerrissene Rinde in eine leere Blech-dose (z. B. eine saubere Lackdose). Foto 3 Dies ist unsere Ausrüstung, mit der wir zu Werke gehen wollen (unser 3. und 4. Versuch am 8.8.2009). Anstrengung und Zeitaufwand bitte einkalkulieren, falls jemand nachmachen will, was „primitive“ Steinzeitmenschen so lange vor unserer Zeit
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Page 1: Steinzeit birkenpech

STEINZEIT am BACH – BIRKENPECH - HERSTELLUNG bei STEINBACHER

Ein Bericht mit Fotos von Lydia Steinbacher vom 16.8.2009

Foto 1 „Ötzi“, der Mann aus dem Gletschereis, befestigte seine Feuerstein-Pfeilspitzen mit BIRKENPECH, dem Superkleber seiner Zeit, an den Schäften seiner Pfeile. Birkenpech, der älteste Kunststoff, ist ein schwarzes, teerartiges Thermoplast (Betulin) und wird durch Verschwelen von Birkenrinde gewonnen. Doch Ötzi war nicht der erste, der das Geheimnis der Birkenrinde kannte. Birkenpech wurde bei einer Grabung 1963/64 in Königsaue/Sachsen-Anhalt entdeckt und Später auf Grund verschiedener Beweise auf zwischen gut 80000 bis gut 40000 Jahre alt datiert, die komplizierte, mit damaligen Mitteln immer noch rätselhafte Herstellung, (ohne Ton oder Metall) gelang also dem Neanderthaler vor dem Homo sapiens in der mittleren Altsteinzeit! Weitere Funde stammen aus zahlreichen Lager- und Siedlungplätzen der Mittleren Steinzeit (9500 - 4500 v.Chr.) und der Jungsteinzeit (5500 - 2200 v. Chr.). Birkenpech als der Allzweckkleber der Steinzeit kann es qualitativ übrigens locker mit modernen Produkten aufnehmen! Außer zur Schäftung von Werkzeugen und Waffen wurde damit zerbrochene Keramik geflickt und Behältnisse (auch Indianerboote aus Birkenrinde) abgedichtet. Zahnabdrücke zeigen, dass Birkenpech gekaut wurde. Ob dies zur Zahnpflege oder als antibakterieller, schmerz-stillender „Kaugummi“ geschah, ist unbekannt. Vermutlich wurde es auf diese Weise für die Verarbeitung weich (warm) gemacht.

Genug der vielen Worte, lasset Taten folgen! Mein Vater und ich interessieren uns sehr, für all dies und haben kein Problem mit der Bezeichnung „Freak“… Nachfolgend finden Sie eine Schritt-für-Schritt-Anleitung zum Thema Birkenpech-Herstellung:

Foto 2 Grundvoraussetzung zur Herstellung von Birkenrindenpech ist wie nicht schwer zu erraten: Jede Menge Birkenrinde. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nur die äußerste, weiße Schicht der Rinde zu einem guten Ergebnis führt, schwarze Borke und dicke Innenrinde entfernen. Ob alte oder frische Rinde verwendet wird, ist egal. Wir stopfen die ca. 5x5cm klein zerrissene Rinde in eine leere Blech-dose (z. B. eine saubere Lackdose).

Foto 3 Dies ist unsere Ausrüstung, mit der wir zu Werke gehen wollen (unser 3. und 4. Versuch am 8.8.2009). Anstrengung und Zeitaufwand bitte einkalkulieren, falls jemand nachmachen will, was „primitive“ Steinzeitmenschen so lange vor unserer Zeit

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auch ohne nützliche Tipps aus dem Internet zu bewerkstelligen wussten.

Foto 4 Nun ran ans Werk. Der Schauplatz für unser Vorhaben ist das Ufer der Ybbs. Wir räumen große Steine beiseite, so dass ein ebener, ellipsenförmiger Platz entsteht. Jetzt wird es kompliziert. Zuerst vergraben wir auf einer Seite einen alten, im Durchmesser passenden Kochtopf (Riess-Email, nicht umzubringen) bis zum Rand im Flusssand und setzen eine kleinere Dose mit der gleichen Höhe in seine Mitte. Eine Bandage aus Draht sorgt dafür, dass diese dort bleibt.

Foto 5 In der großen, schwarzen Blechdose befinden sich die gestampften Birkenrindenschnipsel. Unterhalb des Deckels ist ein grobes Sieb angebracht, das verhindert, dass das mittige Loch mit ca. 8mm Durchmesser im nun aufgesetzten Deckel sich später verstopft . Die volle Dose wird kopfüber auf die Auffangbehälter gestülpt. Wir überprüfen, ob das Loch im Deckel über der kleinen Dose platziert ist, das rohe Pech soll ja später in diese Dose tropfen, während sich der Sud oder eventuell Asche in dem großen Topf sammelt. Die kleine Dose ist speziell auch bei mehreren Durchgängen sinnvoll.

Foto 6 Um Birkenpech zu erzeugen, müssen wir den Zustand einer trockenen Destillation herbeiführen. Dies ist nur unter Luftabschluss machbar. Deshalb verwenden wir (stilgerecht) gut durchgearbeiteten, feuchten Lehm als Abdichtung und drücken ihn fest auf die Verbindungsstelle Dose/ Auffangbehälter.

Foto 7 Jetzt kommen wir an die Stelle in der Geschichte, an der die größte Entdeckung der Menschheit, das FEUER, ins Spiel kommt. Nein, Streichhölzer haben wir natürlich keine dabei… Dafür aber Zunder (dessen Herstellung ist eine eigene Story), Rohrkolbensamen, sowie trockenes Heu, ein grünes, klappbares Weidengeflecht u.a. Daraus formen wir nun das Nest, welches später in Flammen aufgehen wird.

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Foto 8 Mittlerweile ist mein Vater Meister im Umgang mit unserem selbst hergestellten Feuerbohrequipment. Der Drillstab aus Hartholz wird in den Bogen mit ge-harzter Ledersehne eingespannt und auf das am Boden liegende Weichholz gesetzt. In der linken Hand hält er einen Lager-Stein mit einem Loch und drückt damit von oben auf den Drillstab, der sich in dem gefetteten Loch leicht dreht. Durch das Hin- und Her-Bewegen des Bogens bohrt bzw. brennt sich der Drillstab tiefer und es entsteht heiße Asche, die durch eine kleine Kerbe unmittelbar in das zuvor angesprochene Zundernest fällt. Nach dem Gesichtsausdruck meines Vaters zu schließen, geht das ganz schön an die Kraftreserven. Gott sei Dank bin ich hier nur der Fotograf…

Foto 9

Foto 10 Jetzt muss es schnell gehen. Die heiße Asche wird zur Gänze in das Zundernest geklopft, dieses zugeklappt und…

Foto 11 …so rasch wie möglich mit viel Sauerstoff versorgt - entweder durch Hin- und Her-Wirbeln durch die Luft, oder mit Hilfe eines kleinen Blasröhrchens.

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Foto 12 Wir sind uns sicher, dass der Zunderpilz inmitten des Nestes glüht und legen den Nestballen auf den Boden. Es heißt weiter pusten…

Foto 13 Fast geschafft. Die Rauchentwicklung nimmt zu (hust)..

Foto 14 Und noch ein Foto, weil`s so schön qualmt...

Foto 15 Endlich brennt es und wir können kleine Zweige und größere Scheite nachlegen.

Foto 16 Da die Anfangshitze beim Birkenpecherzeugen recht groß sein sollte, schichten wir die nun schon brennenden Buchen-Scheite mit einer Holzzange rasch um die Birkenrindendose. Trockenes Schwemmholz kommt dazu.

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Foto 17 Unter den lodernden Flammen verbirgt sich nun unsere Birkenrinde, die jetzt ganz schön ins Schwitzen kommt.

Das muss sie auch, denn die Destillation funktioniert nur zwischen (300)340(380) und 400(420) Grad Celsius (die Angaben schwanken)!

Darunter passiert nichts, darüber ist alles verbrannt!

Warten…

Foto 18 Wenn unsereiner Hunger bekommt, weiß er sich natürlich sofort zu helfen. Wie wäre es zum Beispiel mit einer steinzeitlichen KOCHGRUBE? Dazu graben wir ein Loch, kleiden es mit einem Stück Leder aus und füllen Flusswasser hinein.

Foto 19 Zuvor haben wir geeignete Steine in die Glut gelegt, die extrem heiß geworden sind. Diese legen wir nun nacheinander in die lederne Kochgrube und bringen das Wasser zum Kochen. Heute auf dem Speiseplan: Weiche Eier , Grillwürstchen und Erdäpfel aus der Glut.

Foto 20 Zurück zum Hauptgeschehen. Das Feuer ist heruntergebrannt. Für unsere zwei Durchgänge im Birkenpechsieden (wir haben die Blechdose zwischendurch einmal mit frischer Rinde befüllt, um mehr Pech zu bekommen) haben wir fast sieben Stunden gebraucht und sind noch keinesfalls auf der Zielgeraden.

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Foto 21 In der Abenddämmerung entfernen wir die Asche und den hart gewordenem Lehm.

Foto 22 Voller Spannung heben wir die Dose vorsichtig an…

Foto 23 Tatsächlich, es hat funktioniert…wir finden eine geringe Menge Birkenteer und wässriges Destillat.

Foto 24 Hier sehen wir, was aus unserer einst so weißen Birkenrinde geworden ist. Ein schwarzes Häuflein verkohlten Irgendetwas`. So soll es sein - das Feuer war heiß genug.

Foto 25 Am nächsten Tag zuhause wird das Birkenteer über dem Garten-Griller eingekocht. Das kann bis zu sechs Stunden dauern.

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Foto 26 Das (der) Teer darf in dieser Zeit nicht alleine gelassen werden, da es unter keinen Umständen aufschäumen darf, sonst war alles vergeblich! Vorsicht, der spezielle, nicht ungiftige Rauch und Geruch vertreibt das gesamte Umfeld…

Foto 27 Die Konsistenz verdickt sich langsam. Achtung: Im heißen Zustand ist das Birkenpech zähflüssig, erst wenn es abkühlt wird es fest – deshalb darf es nicht zu lange eingekocht werden, da es sonst spröde und unbrauchbar wird (Abkühlphasen und Erfahrung wie überall nötig).

Foto 28 Mit den Händen, hier mit Vaseline gefettet, schälen wir das Birkenpech, welches sich jetzt wie klebriger Knetgummi anfühlt, aus dem Topf.

Foto 29

65 Gramm fertiges Birkenpech (fast mit Gold aufzuwiegen) handwarm, formbar und wunderschön…

Übrigens: Hut ab vor „Ötzi“!


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