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Standpunkt: Methoden und Designs der empirischen Forschung im edukativen Bereich –...

Date post: 26-Jan-2017
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SCHWERPUNKT Standpunkt: Methoden und Designs der empirischen Forschung im edukativen Bereich — Bestandsaufnahme und Barrieren für experimentelle Forschung (Wie vom Gastherausgeber einge- reicht) Einleitung Im Gegensatz zu Forschungsbe- reichen, die das randomisiert- kontrollierte Experiment als hohen Standard etabliert haben [1,2], so- wie auch im Vergleich zu anderen Forschungsdisziplinen wie der Psy- chologie sind experimentelle Unter- suchungen in der deutschsprachigen Erziehungswissenschaft selten [3,4]. Einerseits können ideologische Ein- wände angeführt werden [3,4], die im Folgenden allerdings nicht zum Ge- genstand gemacht werden. Anderer- seits liegen methodologische Gründe vor: Knapp gefasst stößt das Experi- ment dann stark an seine Grenzen, wenn es sich ,,an Realitätsausschnit- ten orientiert, die mit der üblichen Erziehungs- und Bildungspraxis nichts mehr zu tun haben‘‘ [5,S. 554]. Auf diese Grenzen, die mit den Begrif- fen der externen Validität bzw. der ökologischen Validität verknüpft sind, aber auch auf alternative Vorgehens- weisen, die sich die erziehungswis- senschaftliche, quantitativ ausge- richtete Forschung zunutze macht, soll im Folgenden eingegangen wer- den. Mit der Diskussion sollen schließ- lich Perspektiven angesprochen wer- den, wie experimentelle Untersu- chungen auch im edukativen Bereich gestärkt werden könnten. In metho- discher Hinsicht sei angemerkt, dass die Auswahl der Beispiele und Quellen dabei keinen Anspruch auf Vollstän- digkeit erhebt und einige der nach- folgenden — dann gekennzeichne- ten — Aussagen lediglich den Cha- rakter einer Einschätzung des Au- tors tragen, da angesichts eines Man- gels entsprechender Untersuchun- gen diese nicht immer belegt werden können. Darstellung von Methoden und Designs Welche Methoden und Designs werden aktuell in der deutschen, empirisch arbeitenden und quantitativ ausge- richteten Erziehungswissenschaft ge- nutzt und sind vergleichsweise ver- breitet? Nach Wellenreuther [4,S. 713] sind hier drei ,,Forschungstypen‘‘ zu unterscheiden: (1) Deskriptive Forschung, z.B. [6,7]. (2) Hypothesenprüfende Forschung, insbesondere Experimente, z.B. [8], und Quasi-Experimente, z.B. [9], aber auch Längsschnittunter- suchungen, z.B. [10]. (3) Evaluations- und Entwicklungsfor- schung, die zumeist die Entwick- lung und Prüfung pädagogischer Programme zum Ziel haben, z.B. [11]. Deskriptive Forschung Der Typ der deskriptiven Forschung ist nach Einschätzung des Autors relativ verbreitet in der quantitativ arbeiten- den empirischen Erziehungswissen- schaft und vor allem prominent ver- treten in Form der internationalen large-scale-assessment Studien des Bildungsmonitorings. PISA (Programme for International Student Assessment) auf der Schulebene, TEDS-M (Teacher Education and Development Study in Mathematics) auf der Ebene des tertiären Bildungsbereichs sind gute Beispiele [6,7]. Diese Studien, wel- che primär von der IEA (Internatio- nal Association for the Evaluation of Educational Achievement) oder der OECD (Organisation for Economic Co- operation and Development) auf in- ternationaler Ebene durchgeführt werden, arbeiten mit repräsentativen Länderstichproben. Die Stichproben- ziehung wird jeweils mit sehr großem Aufwand betrieben, und durch das strikte Einhalten von hohen Standards wird eine hohe Qualität der Stichpro- ben gewährleistet. Erreicht ein Teil- nehmerland die geforderten Stan- dards nicht, wird es von der Bericht- erstattung ausgeschlossen. Die Vorzüge dieser Studien sind pri- mär im Bereich ihrer Generalisier- barkeit, also der externen Validi- tät, sowie ihrer Messvalidität zu se- hen [4]. Sie geben verlässliche und verallgemeinerbare Antworten auf Fragen wie: Was wissen wir über die erreichten Lernstände von 15- Jährigen? Was wissen wir über die er- reichten Lernstände ausgebildeter Lehrerinnen und Lehrer, die kurz vor dem Berufseinstieg stehen und die nächsten Generationen von Kindern und Jugendlichen unterrichten wer- den? Entsprechen deren erworbene Kompetenzen den Erwartungen, wie sie in intendierten Curricula staatlich festgelegt sind? Die beschreibende Information über den Output von Bildungsprozessen ist eine der wichtigsten Errungen- schaften der empirischen Bildungsfor- schung in den vergangenen 15 Jahren. Unstrittig ist, dass die an den Prozes- sen schulischer Bildung Beteiligten — Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler, Eltern sowie die auf den Ebenen der Bildungspolitik, Bildungsverwaltung und der Einzelschule Tätigen — in re- gelmäßigen Abständen umfassende Bewertungsinformationen erhalten müssen. Solche Informationen waren zuvor nicht vorhanden oder nicht zu- gänglich, denn Bildungsstatistiken ka- men zuvor eher die Funktion zu, im Sinne einer Input-Orientierung die Verwaltung und Ausstattung im Bil- dungswesen zu regeln, nicht aber für eine Qualitätssicherung zu sorgen, die im Sinne einer Output-Orientierung Informationen über Erfolg und Mis- serfolg in den verschiedenen Berei- chen des Bildungssystems bereitstellt [12]. Was zeichnet diesen Forschungstypus außerdem aus? Die erziehungswissen- schaftliche Forschung betrachtet viel- fach das Lehren und Lernen in institu- tionalisierten Kontexten. Das Lehren und Lernen in der Schule etwa fin- det nicht isoliert statt, sondern als kulturelle Praxis im Mehrebenensys- tem [13]. Bildungsprozesse sind dem- nach systemisch zu denken und ab- hängige wie unabhängige Variablen auf verschiedenen, voneinander ab- hängigen Ebenen einzubeziehen. Dies manifestiert sich in komplexen Stichprobendesigns (z.B. Ziehung von mehrstufigen Stichproben, Defini- tion expliziter und impliziter Strata) sowie in der Nutzung komplexer Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen (ZEFQ) 19 http://dx.doi.org/10.1016/j.zefq.2012.12.020
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Page 1: Standpunkt: Methoden und Designs der empirischen Forschung im edukativen Bereich – Bestandsaufnahme und Barrieren für experimentelle Forschung

SCHWERPUNKTStandpunkt: Methoden und Designs der empirischenForschung im edukativen Bereich — Bestandsaufnahme undBarrieren für experimentelle Forschung

(Wie vom Gastherausgeber einge-reicht)

Einleitung

Im Gegensatz zu Forschungsbe-reichen, die das randomisiert-kontrollierte Experiment als hohenStandard etabliert haben [1,2], so-wie auch im Vergleich zu anderenForschungsdisziplinen wie der Psy-chologie sind experimentelle Unter-suchungen in der deutschsprachigenErziehungswissenschaft selten [3,4].Einerseits können ideologische Ein-wände angeführt werden [3,4], die imFolgenden allerdings nicht zum Ge-genstand gemacht werden. Anderer-seits liegen methodologische Gründevor: Knapp gefasst stößt das Experi-ment dann stark an seine Grenzen,wenn es sich ,,an Realitätsausschnit-ten orientiert, die mit der üblichenErziehungs- und Bildungspraxis nichtsmehr zu tun haben‘‘ [5,S. 554]. Aufdiese Grenzen, die mit den Begrif-fen der externen Validität bzw. derökologischen Validität verknüpft sind,aber auch auf alternative Vorgehens-weisen, die sich die erziehungswis-senschaftliche, quantitativ ausge-richtete Forschung zunutze macht,soll im Folgenden eingegangen wer-den. Mit der Diskussion sollen schließ-lich Perspektiven angesprochen wer-den, wie experimentelle Untersu-chungen auch im edukativen Bereichgestärkt werden könnten. In metho-discher Hinsicht sei angemerkt, dassdie Auswahl der Beispiele und Quellendabei keinen Anspruch auf Vollstän-digkeit erhebt und einige der nach-folgenden — dann gekennzeichne-ten — Aussagen lediglich den Cha-rakter einer Einschätzung des Au-tors tragen, da angesichts eines Man-gels entsprechender Untersuchun-

arbeitenden und quantitativ ausge-richteten Erziehungswissenschaft ge-nutzt und sind vergleichsweise ver-breitet? Nach Wellenreuther [4,S.713] sind hier drei ,,Forschungstypen‘‘zu unterscheiden:

(1) Deskriptive Forschung, z.B. [6,7].(2) Hypothesenprüfende Forschung,

insbesondere Experimente, z.B.[8], und Quasi-Experimente, z.B.[9], aber auch Längsschnittunter-suchungen, z.B. [10].

(3) Evaluations- und Entwicklungsfor-schung, die zumeist die Entwick-lung und Prüfung pädagogischerProgramme zum Ziel haben, z.B.[11].

Deskriptive Forschung

Der Typ der deskriptiven Forschung istnach Einschätzung des Autors relativverbreitet in der quantitativ arbeiten-den empirischen Erziehungswissen-schaft und vor allem prominent ver-treten in Form der internationalenlarge-scale-assessment Studien desBildungsmonitorings. PISA (Programmefor International Student Assessment)auf der Schulebene, TEDS-M (TeacherEducation and Development Studyin Mathematics) auf der Ebene destertiären Bildungsbereichs sind guteBeispiele [6,7]. Diese Studien, wel-che primär von der IEA (Internatio-nal Association for the Evaluation ofEducational Achievement) oder derOECD (Organisation for Economic Co-operation and Development) auf in-ternationaler Ebene durchgeführtwerden, arbeiten mit repräsentativenLänderstichproben. Die Stichproben-ziehung wird jeweils mit sehr großemAufwand betrieben, und durch dasstrikte Einhalten von hohen Standardswird eine hohe Qualität der Stichpro-

verallgemeinerbare Antworten aufFragen wie: Was wissen wir überdie erreichten Lernstände von 15-Jährigen? Was wissen wir über die er-reichten Lernstände ausgebildeterLehrerinnen und Lehrer, die kurz vordem Berufseinstieg stehen und dienächsten Generationen von Kindernund Jugendlichen unterrichten wer-den? Entsprechen deren erworbeneKompetenzen den Erwartungen, wiesie in intendierten Curricula staatlichfestgelegt sind?Die beschreibende Information überden Output von Bildungsprozessenist eine der wichtigsten Errungen-schaften der empirischen Bildungsfor-schung in den vergangenen 15 Jahren.Unstrittig ist, dass die an den Prozes-sen schulischer Bildung Beteiligten —Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler,Eltern sowie die auf den Ebenen derBildungspolitik, Bildungsverwaltungund der Einzelschule Tätigen — in re-gelmäßigen Abständen umfassendeBewertungsinformationen erhaltenmüssen. Solche Informationen warenzuvor nicht vorhanden oder nicht zu-gänglich, denn Bildungsstatistiken ka-men zuvor eher die Funktion zu, imSinne einer Input-Orientierung dieVerwaltung und Ausstattung im Bil-dungswesen zu regeln, nicht aber füreine Qualitätssicherung zu sorgen, dieim Sinne einer Output-OrientierungInformationen über Erfolg und Mis-serfolg in den verschiedenen Berei-chen des Bildungssystems bereitstellt[12].Was zeichnet diesen Forschungstypusaußerdem aus? Die erziehungswissen-schaftliche Forschung betrachtet viel-fach das Lehren und Lernen in institu-tionalisierten Kontexten. Das Lehrenund Lernen in der Schule etwa fin-det nicht isoliert statt, sondern alskulturelle Praxis im Mehrebenensys-tem [13]. Bildungsprozesse sind dem-

gen diese nicht immer belegt werdenkönnen.

Darstellung von Methodenund Designs

Welche Methoden und Designs werdenaktuell in der deutschen, empirisch

ben gewährleistet. Erreicht ein Teil-nehmerland die geforderten Stan-dards nicht, wird es von der Bericht-erstattung ausgeschlossen.Die Vorzüge dieser Studien sind pri-mär im Bereich ihrer Generalisier-barkeit, also der externen Validi-tät, sowie ihrer Messvalidität zu se-hen [4]. Sie geben verlässliche und

nach systemisch zu denken und ab-hängige wie unabhängige Variablenauf verschiedenen, voneinander ab-hängigen Ebenen einzubeziehen.Dies manifestiert sich in komplexenStichprobendesigns (z.B. Ziehung vonmehrstufigen Stichproben, Defini-tion expliziter und impliziter Strata)sowie in der Nutzung komplexer

Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen (ZEFQ)19http://dx.doi.org/10.1016/j.zefq.2012.12.020

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tatistischer Modelle und Analysever-ahren wie der Mehrebenenanalyse.us Sicht des Autors stehen hier dreirobleme zur Diskussion: erstens dieausalitätsfrage, zweitens die Fra-en der Stichprobenqualität und drit-ens die Frage, wie Erkenntnisse übereuen Input bzw. die Implementationnnovativer Curricula oder pädagogi-che Programme gewonnen werdenönnen.ur Kausalitätsfrage: Ein zentralesroblem der genannten Studien desildungsmonitorings entsteht an demunkt, wenn über die Deskription hin-us Fragen der Kausalität beantwor-et werden sollen. In den erziehungs-issenschaftlichen Studien, die Lern-rgebnisse beschreiben, stellt sichblicherweise die Anschlussfrage, wasenn diese Lernergebnisse bedingt.it dem Einsatz komplexer statisti-

cher Verfahren verbindet sich häu-g die Intention, eine große Anzahlon Variablen zu untersuchen, dieas Lehr- und Lerngeschehen beein-ussen könnten. Nach Möglichkeitollen komplexe multivariate Ver-ahren es erlauben, ,,die entschei-enden Einflussfaktoren und derenelativen Beiträge zur Erklärung ei-es bestimmten sozialen Phänomensu ermitteln‘‘ [14,S. 116]. Zweifel-os ist die Verwendung solcher Ver-ahren wie die Mehrebenenanalyseine Möglichkeit, der Komplexität desntersuchungsgegenstandes zu be-egnen. Im Falle sie sich auf Längs-chnittdaten stützen, können sie auchinen Beitrag zur Abbildung von Pro-essen des Bildungssystems leisten3]. Jedoch ist eine Klärung der zu-runde liegenden kausalen Prozesseit ihnen nur schwer möglich [3,15].usammenhangs- und Unterschieds-nalysen in einem solchen Designum Beispiel lassen letztlich nicht zu,ass wir die Frage nach Ursache undirkung abschließend beantworten

önnen (,,the chicken or the egg‘‘-roblem), gleichwohl dies in manchentudien suggeriert wird. So wird be-lagt, dass Anwender dieser Verfah-en nur selten die damit einhergehen-en methodischen Einschränkungeneflektieren [3,15].ur Stichprobenqualität: Klammertan die Kausalitätsfrage einmal

probe entstammen, kann das Problementstehen, dass entscheidende Quel-len der stochastischen Variation ver-borgen bleiben. Außerdem könnenoft, selbst wenn die Quellen bekanntsind, die Mechanismen, die zu sto-chastischer Variation führen, mit denvorliegenden Informationen nichtoder nur ungenau spezifiziert werden[16].Schließlich, und das ist das dritteProblem, können nur begrenzt Er-kenntnisse über neuen Input bzw. dieImplementation innovativer Curri-cula oder pädagogischer Programmegewonnen werden. Bei den genann-ten Studien des Bildungsmonitoringshandelt sich immer um eine Art des,,Nachmodellierens‘‘ [3,S. 15] vonZusammenhängen, die in der Reali-tät auftreten. Die Chance der Ma-nipulation, welche zu bestimmten,bewusst intendierten Zusammen-hängen führen, bleibt meist expe-rimentellen Arbeiten vorbehalten.Beim ,,Nachmodellieren‘‘ könnte sichbeispielsweise kein Effekt nachwei-sen lassen, weil bestimmte Neue-rungen in der natürlichen Variationnicht oder nur marginal auftreten.In der Pädagogik sind jedoch häu-fig Erkenntnisse zu Wirksamkeit in-novativer Maßnahmen (z.B. neueCurricula, neue Lehrmethoden und-materialien) von großer Bedeu-tung. Für die Generierung solcherErkenntnisse ist man zweifellos aufAnsätze experimenteller Forschungangewiesen.

Hypothesenprüfende Forschung

Experimentelle Forschung besitzt inder internationalen Methodenlehreeinen zentralen Stellenwert [4,17]. Inder pädagogischen Forschung des hie-sigen nationalen Kontextes ist nachAnsicht des Autors experimentelleForschung jedoch eher eine Rander-scheinung und daher selten anzutref-fen. Ein Grund liegt in der Frage derKomplexität. Um in Experimentenmöglichst streng Hypothesen prüfenzu können, muss zwangsläufig Kom-plexität des Untersuchungsgegenstan-des reduziert werden. AusgewählteMerkmale werden ,,systematisch vari-

durch das gewählte Forschungsdesignmöglichst ausgeschlossen werden.‘‘[3,S. 12f.]Ein anderer Grund liegt in der Frageder Machbarkeit: Die strenge Ran-domisierung ist nach Einschätzungdes Autors oft nicht mit administra-tiven Vorgaben und pädagogischenVorstellungen vereinbar, z.B. kön-nen für ein einfaches ExperimentSchüler unterschiedlicher Schulennicht einfach zufällig zu neuen Lern-gruppen zusammengesetzt werden(gleichwohl die Randomisierung aufKlassen- bzw. Schulebene einen Aus-weg bieten kann). Daher sind quasi-experimentelle Untersuchungen —also Untersuchungen, die mit natür-lichen Gruppen arbeiten und auf eineRandomisierung verzichten müssen —schon eher anzutreffen in der empi-risch arbeitenden, quantitativ ausge-richteten Erziehungswissenschaft. Diefehlende Randomisierung hat jedochunter anderem das grundsätzlicheProblem zur Folge, dass bei der Inter-pretation auftretender Gruppenunter-schiede in Betracht gezogen werdenmuss, dass sich die Gruppen eventuellnicht nur hinsichtlich des Treatmentssystematisch unterscheiden.Noch eher anzutreffen als das Quasi-Experiment sind Längsschnittuntersu-chungen [4], z.B. [10]. Diese zeichnensich insbesondere durch eine Vorher-Nachher-Messung aus: Zuerst wird dieAusgangsleistung erhoben, daraufhinProzessmerkmale und am Ende dieoutcome-Variable. Oft werden Zu-sammenhänge auf diese Weise mo-delliert, denen daraufhin Kausalitätzugeschrieben werden. Doch selbstwenn komplexe statistische Auswer-tungsverfahren Verwendung finden,kann nicht abschließend geklärt wer-den, ,,ob die vermutete Ursache odereine andere, damit korrelierende Va-riable für die gefundene Wirkung ver-antwortlich ist‘‘ [4,S. 720]. Erst dieexperimentelle Forschung ermöglichtdie Prüfung von Ursache-Wirkung-Zusammenhängen.

Evaluations- undEntwicklungsforschung

Dieser dritte Forschungstypus ist ge-

us, so ist ein weiteres Problem zuetrachten: die Qualität der ver-endeten Stichprobe. Wenn dieaten nicht aus einer Zufallsstich-

iert, um die Wirkungen möglichst ein-deutig auf diese variierten Merkmalezurückführen zu können. Alle sonsti-gen alternativen Erklärungen sollen

fragt, wenn es zum Beispiel um dieEntwicklung und Prüfung pädagogi-scher Programme geht. Internationalsind hier Beispiele verfügbar [4]. Im

0Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen (ZEFQ) (2013) 107, 19—22

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deutschsprachigen Raum steht nachEinschätzung des Autors die erzie-hungswissenschaftliche Forschungweit zurück. Als Beispiel sei hier aufdie an der Universität zu Köln er-folgte curriculare Reformierung derbildungswissenschaftlichen Lehreraus-bildung verwiesen [11]. Diese wurdezwischen 2009 und 2011 als zweijäh-riger Modellstudiengang entwickelt,erprobt und evaluiert sowie seit 2011auf die gesamte Ausbildung angewen-det, verbunden mit einer Fortsetzungder wissenschaftlichen Begleitung.

Barrieren fürexperimentelle Forschungim edukativen Bereich

Für experimentelle Forschung im Bil-dungssystem ist es schwierig, den ho-hen Standard zu erfüllen, randomi-sierte Zuordnung der Experimental-gruppen zu gewährleisten, und zwarselbst bei Interventionsstudien [2].Man ist auf die Teilnahmebereitschaftder Probanden, das Wohlwollen al-ler beteiligten Personen angewiesen,und dieses ist in Deutschland, be-trachtet man etwa die Rücklaufquo-ten in empirischen Untersuchungen,nach Ansicht des Autors nicht immer— manchmal auch überhaupt nicht —vorhanden.Vermutlich gilt hierbei auch zu be-rücksichtigen, dass experimentelleForschung generell, also nicht nur inBezug auf den edukativen Bereich, inder Kritik steht, was die Teilnahme-bereitschaft von Probanden betrifft.So hat beispielsweise bereits vor zweiJahrzehnten Blalock [18,S. 331] kriti-siert, dass Versuchspersonen von Ex-perimenten auffallend häufig ,,weakor docile subjects‘‘ seien: gefügigeSchulkinder, willige, neu immatriku-lierte Studenten, schwache Patien-ten oder auch Häftlinge. Ähnlichesbetrifft auch den Schwund an Ver-suchspersonen, mit dem experimen-telle Forschung zu kämpfen hat (vgl.die Empfehlungen im Consort State-ment). Und ferner können auch for-schungsethische Aspekte gravierendeEinschränkungen bedeuten: So wurdebeispielsweise in dem bekannten Mo-

schungsethischer Bedenken keine aus-geprägte Attribution auf mangelndeFähigkeit der Schüler von Seiten desLehrers vorgenommen — obgleichaber aus der deskriptiven Forschungbekannt ist, dass diese sehr wohl imSchulalltag häufig auftritt.Die wirklich entscheidende Barriereerscheint jedoch darin zu bestehen,dass bei der sorgfältigen Untersu-chung erziehungswissenschaftlicherFragestellungen die systemische Pers-pektive nicht ausgeklammert werdenkann, man sich also Fragen der exter-nen bzw. ökologischen Validität stel-len muss. Institutionalisierte Lehr-Lernprozesse sind hoch komplex undsystemisch zu betrachten — im star-ken Kontrast z.B. zu vielen psycholo-gischen Fragestellungen. Objekte (Un-tersuchungseinheiten) sind nicht im-mer nur Individuen, sondern oft Clus-ter von Personen (z.B. Schulklassen)oder auch organisatorische Einheiten(z.B. Schulen oder Bildungssysteme).Wirkungen sind mithilfe von Variablenauf unterschiedlichen Ebenen ver-knüpfend zu untersuchen, sodass dasVerfahren der Mehrebenenanalyse vonzentraler Bedeutung für die empiri-sche Bildungsforschung ist [3]. Für dieexperimentelle Forschung kann dieszur Folge haben, dass, wenn Komple-xität reduziert wird, unberücksich-tigte Variablen mit den berücksich-tigten Variablen interagieren können,sodass in diesem Fall Randomisierungnicht ausreichend ist [20].

Diskussion derForschungsansätze:Chancen und Grenzen

Es ist deutlich geworden, dass experi-mentelle Untersuchungsdesigns in derdeutschen Pädagogikforschung häufi-ger zur Anwendung gelangen sollten,allerdings auch, dass sie nicht zur Lö-sung aller Probleme beitragen kön-nen. Was wäre zu bedenken?Verhärtete Grenzziehungen — hierdas Experiment, dort die Befragungin Form der anderen angesprochenenForschungstypen — sollten hinterfragtwerden, zumindest wenn es um dieBearbeitung erziehungswissenschaft-

dargestellten Forschungstypen hoheQualitätsstandards zu stellen und aufstrikte Einhaltung achten. Auch diegenaue und sorgfältige Prüfung, wel-ches Design für welches Forschungs-problem geeignet ist, verlangt ein ge-naues Abwägen. Nach Ditton [3] soll-ten experimentelle Designs im edu-kativen Bereich zur Anwendung kom-men, sofern Lernbedingungen expe-rimentell variiert werden können. InForschungsbereichen, die eine syste-matische Bedingungsvariation nichtermöglichen, sollten hingegen mehr-ebenenanalytische Verfahren einge-setzt werden. Mehrebenenanalysenund experimentelle Forschung sollensich also ergänzen.Zudem erscheint es wichtig zu be-achten, dass Replikationsstudien seitlangem befürwortet werden als einWeg in Bezug auf die Verallgemei-nerung von Ergebnissen [21]. Einegute Theorie und ihr entsprechen-des Kausalmodell sollten sich in einergroßen Vielfalt an Settings und an ei-ner großen Vielfalt an Probanden re-plizieren lassen. Es geht also um dieValidierung der eigenen Befunde anzusätzlichen Datensätzen. Je nachFragestellung sollten diese neuen Da-tensätze andere Eigenschaften auf-weisen, um konkurrierende Kausaler-klärungen ausschließen zu helfen undum schließlich empirische Generali-sierbarkeit zu adressieren.

Johannes KönigUniversität zu Köln, Köln

Korrespondenzadresse:Prof. Dr. Johannes KönigUniversität zu KölnHumanwissenschaftliche FakultätInstitut für Allgemeine Didaktik undSchulforschungGronewaldstr. 2aD-50931 KölnE-Mail: [email protected]

Literatur

[1] Crane J. Social Programs that Work.New York: Russel Sage Foundation;1998.

[2] Levin JR. Randomized Classroom Tri-als on Trial. In: Phye GD, Robinson

tivationstraining von Rheinberg undKrug [19] in der Unterrichtseinheitzur sozialen Bezugsnormorientierungder Lehrer vermutlich angesichts for-

licher Forschungsfragen geht. Levinund O’Donnell [17] sprechen hier voneiner ,,falschen Dichotomie‘‘. Wich-tig erscheint dagegen, an jeden der

DH, Levin JR, editors. Empirical Me-thods for Evaluating Educational In-terventions. San Diego: Elsevier Aca-demic Press; 2005. p. 3—27.

Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen (ZEFQ)21http://dx.doi.org/10.1016/j.zefq.2012.12.020

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[3] Ditton H, Eckert T, Tarnai C, SaldernM, Wellenreuther M. Empirische Me-thoden. In: Jäger RS, Nenniger P, Pe-tillon H, Schwarz B, Wolf B, editors.Empirische Pädagogik 1990-2010. EineBestandsaufnahme der Forschungin der Bundesrepublik Deutschland.Landau: VEP; 2010. p. 7—47.

[4] Wellenreuther M. Quantitative Metho-den. In: Andresen S, Casale R, Ga-briel T, Horlacher R, Larcher Klee S,Oelkers J, editors. HandwörterbuchErziehungswissenschaft. Weinheim:Beltz; 2009. p. 713—27.

[5] Seel NM, Pirnay-Dummer P, IfenthalerD. Quantitative Bildungsforschung. In:Tippelt R, editor. Handbuch Bildungs-forschung. Wiesbaden: VS; 2009. p.551—70.

[6] Eckhard K, Cordula A, Johannes H,Nina J, Olaf K, et al., editors. PISA2009. Bilanz nach einem Jahrzehnt.Münster: Waxmann; 2010.

[7] Blömeke S, Kaiser G, Lehmann R,editors. TEDS-M 2008. ProfessionelleKompetenz und Lerngelegenheitenangehender Mathematiklehrkräfte iminternationalen Vergleich. Münster:Waxmann; 2010.

[8] Dumke D. Die hierarchische Struktu-rierung von Unterrichtsinhalten alsLernhilfe in der Grundschule. Psych

in Erz und Unt 1984;31:43—9.[9] Kreis A, Staub FC. Fachspezifisches

Unterrichtscoaching im Praktikum.Eine quasi-experimentelle Interventi-onsstudie. Z f Erziehungswissenschaft2011;14:61—83.

[10] König J, Seifert A, editors. Lehramts-studierende erwerben pädagogischesProfessionswissen. Ergebnisse derLängsschnittstudie LEK zur Wirksam-keit der erziehungswissenschaftlichenLehrerausbildung. Münster: Waxmann;2012.

[11] Rohr D, Roth HJ, editors. Bildungs-wissenschaften: Das Kölner Modellvon der Erprobung zur Implementie-rung. Waxmann: Münster; 2012.

[12] Böttcher W. Zur Funktion staatlicher,,Inputs‘‘ in der dezentralisierten undoutputorientierten Steuerung. In: Al-trichter H, Brüsemeister T, WissingerJ, editors. Educational Governance.Handlungskoordination und Steuerungim Bildungssystem. Wiesbaden: VS;2007. p. 185—206.

[13] Fend H. Die Wirksamkeit der NeuenSteuerung — theoretische und metho-dische Probleme ihrer Evaluation. Z fBildungsforschung 2010;1:5—24.

[14] Böhm-Kasper C, Weishaupt H. Quan-titative Ansätze und Methoden in derSchulforschung. In: Helsper W, Böhme

J, editors. Handbuch der Schulfor-schung. Wiesbaden: VS; 2004. p.91—123.

[15] Freedman DA. Statistical Models ansShoe Leather. Sociological Methodo-logy 1991;21:291—315.

[16] Berk RA. Toward a Methodology forMere Mortals. Sociological Methodo-logy 1991;21:315—24.

[17] Levin JR, O’Donnell AM. What to doabout educational research’s cre-dibility gaps. Issues in Education1999;5:177—229.

[18] Blalock HM. Are there really anyconstructive alternatives to causalmodeling? Sociological Methodology1991;21:325—35.

[19] Rheinberg F, Krug S. Motivationsför-derung im Schulalltag. Göttingen: Ho-grefe; 1999.

[20] Mason WM. Freedman is right as faras he goes. But there’s more, andit’s worse. Statisticians could help.Sociological Methodology 1991;21:337—52.

[21] Cook TD, Campbell DT. Quasi-Experimentation: Design and analy-sis issues for field settings. Chicago:Rand McNally; 1979.

AUS DENGESELLSCHAFTEN

orstand der Arzneimittelkommission der deutschenrzteschaft neu gewählt

ie ordentlichen Mitglieder derrzneimittelkommission der deut-chen Ärzteschaft (AkdÄ) haben aufhrer Mitgliederversammlung am7.12.2012 in Berlin ihren neuenorstand gewählt. Vorsitzenderst der Berliner Internist, Hämato-oge und Onkologe Prof. Dr. Wolf-ieter Ludwig, der seit 2007 die-es Amt innehat und zum drittenal gewählt wurde. Als seine Stell-ertreterin wurde erneut die Klini-che Pharmakologin und Internistinrau Prof. Dr. Ursula Gundert-RemyBerlin) gewählt. Weitere Mitglie-er des Vorstands der AkdÄ sind derastroenterologe Prof. Dr. Danielrandt (Saarbrücken), der Klini-

medizin Prof. Dr. Wilhelm Niebling(Titisee-Neustadt), die ebenfalls be-reits dem bisherigen Vorstand ange-hört hatten.Die Vizepräsidentin der Bundes-ärztekammer, Dr. Martina Wenker,überbrachte die Glückwünsche derBundesärztekammer und würdigte dieArbeit des Vorstands der AkdÄ. In ih-ren Worten unterstrich sie die wich-tige Funktion der AkdÄ als unabhängi-ger wissenschaftlicher Fachausschussder Bundesärztekammer. In einer ers-ten Stellungnahme zu den zukünfti-gen Arbeitsschwerpunkten der AkdÄhob Prof. Ludwig die weitere Beteili-gung an den Verfahren zur Bewertungvon neu zugelassenen Arzneimitteln

Die AkdÄ hält an ihrer Kritik zur In-formationspolitik von pharmazeuti-schen Unternehmen fest und unter-streicht ihre Forderung nach mehrTransparenz bei der Veröffentlichungklinischer Studien. Die Arzneimittel-sicherheit ist weiterhin ausgewiese-nes Ziel in der Arbeit der AkdÄ.

Korrespondenzadresse:Dr. med. Katrin BräutigamGeschäftsführerinArzneimittelkommission derdeutschen ÄrzteschaftHerbert-Lewin-Platz 110623 BerlinTelefon: 030 400456-500

che Pharmakologe Prof. Dr. Berndühlbauer (Bremen) und der nieder-elassene Facharzt für Allgemein-

und die unabhängige Information derdeutschen Ärzteschaft zur rationalenPharmakotherapie hervor.

Telefax: 030 400456-555E-Mail: [email protected]

2Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen (ZEFQ) (2013) 107, 19—22

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