+ All Categories
Home > Documents > [Springer-Lehrbuch] Thermodynamik kompakt || Einleitung

[Springer-Lehrbuch] Thermodynamik kompakt || Einleitung

Date post: 15-Dec-2016
Category:
Upload: jens
View: 217 times
Download: 3 times
Share this document with a friend
2
1 B. Weigand et al., Thermodynamik kompakt, Springer-Lehrbuch, DOI: 10.1007/978-3-642-37233-9_1, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013 Die phänomenologische oder technische Thermodynamik hat ihren Ursprung vor rund zweihundert Jahren in der Beschäftigung mit Kraft- und Arbeitsmaschinen (z. B. mit Dampfkraftprozessen und etwas später mit Verdichtern, Otto- und Dieselmotoren). Ein Charakteristikum der Thermodynamik ist, dass hier der Versuch unternommen wird, die zugrundeliegenden Prozesse immer durch möglichst wenige makroskopische Sys- temgrößen (wie z. B. Temperatur, Druck, Dichte) zu beschreiben. Dies führt dazu, dass man meist nur einen Wert für eine Größe (z. B. Temperatur in einem Luftballon) für das betrachtete Gebilde angibt. Es wird also nicht versucht, die örtliche Verteilung von Größen wie Temperatur oder Druck detailliert zu bestimmen. Diese im ersten Moment sehr einfach anmutende Betrachtungsweise hat jedoch zahlreiche Vorteile, da es mit ihr meist gelingt, die technischen Systeme in ihrer Funktionsweise leicht zu durchleuchten und mit Hilfe der thermodynamischen Betrachtung zu verstehen. Der Anwendungsbereich der technischen Thermodynamik hat sich aus den Anfängen um 1800 bis heute stetig erweitert, da in verschiedensten Bereichen erkannt wurde, dass die pragmatische Betrachtungsweise mit Hilfe der makroskopischen Größen enorme Vorteile bietet. Als Beispiel sei hier die Auslegung einer modernen Gas- oder Dampftur- bine genannt. Hier erfolgt auch heute noch die Grundauslegung mit Hilfe der Methoden der technischen Thermodynamik. Erst bei der Feinauslegung der Schaufelprofile und der Strömungspfade werden dreidimensionale Effekte und lokale Verteilungen mit berück- sichtigt. Somit kann die Thermodynamik heute als eine allgemeine Energielehre verstan- den werden. Mit dem ersten und zweiten Hauptsatz der Thermodynamik beschreibt sie die gegenseitige Verknüpfung der Energien und deren Umwandlungsmöglichkeiten und -grenzen. Das Wort Thermodynamik geht wohl auf die griechischen Wörter Wärme und Kraft zurück. Aus dem Begriff Thermodynamik folgt vielfach der Trugschluss, dass sie beson- ders gut zeitlich stark veränderliche Prozesse beschreibt. Dem ist allerdings nicht so. Streng genommen gilt die technische Thermodynamik nur für unendlich langsam ablau- fende Prozesse. Die Prozesse sollten so langsam ablaufen, dass alle Größen zu jedem Einleitung 1
Transcript
Page 1: [Springer-Lehrbuch] Thermodynamik kompakt || Einleitung

1B. Weigand et al., Thermodynamik kompakt, Springer-Lehrbuch, DOI: 10.1007/978-3-642-37233-9_1, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

Die phänomenologische oder technische Thermodynamik hat ihren Ursprung vor rund zweihundert Jahren in der Beschäftigung mit Kraft- und Arbeitsmaschinen (z. B. mit Dampfkraftprozessen und etwas später mit Verdichtern, Otto- und Dieselmotoren). Ein Charakteristikum der Thermodynamik ist, dass hier der Versuch unternommen wird, die zugrundeliegenden Prozesse immer durch möglichst wenige makroskopische Sys-temgrößen (wie z. B. Temperatur, Druck, Dichte) zu beschreiben. Dies führt dazu, dass man meist nur einen Wert für eine Größe (z. B. Temperatur in einem Luftballon) für das betrachtete Gebilde angibt. Es wird also nicht versucht, die örtliche Verteilung von Größen wie Temperatur oder Druck detailliert zu bestimmen. Diese im ersten Moment sehr einfach anmutende Betrachtungsweise hat jedoch zahlreiche Vorteile, da es mit ihr meist gelingt, die technischen Systeme in ihrer Funktionsweise leicht zu durchleuchten und mit Hilfe der thermodynamischen Betrachtung zu verstehen.

Der Anwendungsbereich der technischen Thermodynamik hat sich aus den Anfängen um 1800 bis heute stetig erweitert, da in verschiedensten Bereichen erkannt wurde, dass die pragmatische Betrachtungsweise mit Hilfe der makroskopischen Größen enorme Vorteile bietet. Als Beispiel sei hier die Auslegung einer modernen Gas- oder Dampftur-bine genannt. Hier erfolgt auch heute noch die Grundauslegung mit Hilfe der Methoden der technischen Thermodynamik. Erst bei der Feinauslegung der Schaufelprofile und der Strömungspfade werden dreidimensionale Effekte und lokale Verteilungen mit berück-sichtigt. Somit kann die Thermodynamik heute als eine allgemeine Energielehre verstan-den werden. Mit dem ersten und zweiten Hauptsatz der Thermodynamik beschreibt sie die gegenseitige Verknüpfung der Energien und deren Umwandlungsmöglichkeiten und -grenzen.

Das Wort Thermodynamik geht wohl auf die griechischen Wörter Wärme und Kraft zurück. Aus dem Begriff Thermodynamik folgt vielfach der Trugschluss, dass sie beson-ders gut zeitlich stark veränderliche Prozesse beschreibt. Dem ist allerdings nicht so. Streng genommen gilt die technische Thermodynamik nur für unendlich langsam ablau-fende Prozesse. Die Prozesse sollten so langsam ablaufen, dass alle Größen zu jedem

Einleitung 1

Page 2: [Springer-Lehrbuch] Thermodynamik kompakt || Einleitung

2 1 Einleitung

Zeitpunkt die Möglichkeit haben wieder einen Gleichgewichtszustand einzunehmen. Also sollte man eigentlich eher von einer Thermostatik sprechen, was auch manchmal in der englischsprachigen Literatur der Fall ist. Wäre nun diese strikte Beschränkung in dieser Deutlichkeit allgemein zutreffend, würde man wohl kaum die technische Ther-modynamik so ausführlich im Studium lehren. Vielmehr beobachtet man in der Rea-lität, dass die Beschreibungen im Rahmen der technischen Thermodynamik auch für sehr schnell ablaufende Prozesse, wie z. B. für die Strömung oder für die Verbrennung in einer Gasturbine oder in einem Raketenantrieb, noch sehr gute Näherungen liefern. Dies ist der Grund für die breite Anwendung, welche die Thermodynamik heute gefun-den hat.

Das hier vorliegende Buch ist ein Grundkurs für Thermodynamik. Das bedeutet, dass wir uns mit den wichtigsten Sätzen der Thermodynamik auseinandersetzen werden. Vorausgesetzt werden Grundlagenkenntnisse in der Physik, der Mechanik und Mathe-matik, so wie sie normalerweise im dritten Semester eines ingenieurwissenschaftlichen Hochschulstudiums bekannt sind. Da besonders in der Mathematik vielfach deutlich unterschiedliche Stoffinhalte an den verschiedenen Universitäten gelehrt werden, haben wir uns entschlossen im Anhang A kurz die für das Studium dieses Buches wichtigen mathematischen Sachverhalte zusammenzufassen.

Das Anliegen des Buches ist es, bei den Studierenden ein Verständnis der Grundlagen der Thermodynamik zu verankern, das es ihnen später ermöglicht, thermodynamische Probleme in der Praxis zu verstehen, zu bewerten und zu lösen. Wie schon im Vorwort erwähnt, ist der Aufbau des Buches nicht ganz typisch für ein Lehrbuch zur phänome-nologischen Thermodynamik. Nach einer Darstellung der Grundlagen in Kap. 2, erfolgt in Kap. 3 die Beschreibung der Hauptsätze der Thermodynamik. Anschließend werden im vierten Kapitel des Buches reale Stoffe und ihre Approximationen in verschiedenen Zustandsgebieten (z. B. als ideales Gas) vorgestellt. Die Kap. 5–7 widmen sich dann den Anwendungen, der in den ersten vier Kapiteln dargestellten Theorie. Nach einigen Bei-spielen zu den Hauptsätzen in Kap. 5, wird im sechsten Kapitel die bei Prozessen maxi-mal gewinnbare Arbeit eingeführt. Im siebten Kapitel des Buches werden technische Anwendungen, wie z. B. Kreisprozesse (Otto-, Diesel-, Joule-Prozess, usw.) und auch eindimensionale Strömungsprozesse betrachtet.

Bei allen oben angesprochenen Themengebieten haben wir versucht, die allgemein-gültigen Beziehungen in den Vordergrund zu stellen. Dies bedeutet, dass Speziali-sierungen (z. B. auf das ideale Gas) zwar beispielhaft erfolgen, jedoch nicht immer im Mittelpunkt der Betrachtungen stehen. Dies ist ein deutlicher Unterschied zu vielen existierenden Lehrbüchern der Thermodynamik, in denen das ideale Gas wegen der Einfachheit seiner Beschreibung im Mittelpunkt steht. Wir sind der Meinung, dass eine allgemeine Betrachtung, wie sie hier im Buch angestrebt wird, den Studierenden hilft, klarer zu verstehen, wo Vereinfachungen zu machen sind und welche Annahmen diesen Vereinfachungen vorausgegangen sind. Dies erscheint uns besonders bei dem Stoff der Thermodynamik ganz wesentlich, da vielfach die Betrachtungsweisen der Thermodyna-mik für die Studierenden nicht leicht verständlich sind.


Recommended