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[Springer-Lehrbuch] Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler || Reelle Funktionen einer...

Date post: 08-Dec-2016
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Kapitel 5 Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen In Abschnitt 1.3 haben wir den Funktionsbegriff als eine mit gewissen Eigen- schaften versehene Korrespondenz f : X Y zweier beliebiger Mengen X, Y eingeführt, gewisse Eigenschaften dazu besprochen und mit Abb (X, Y ) := {f : X Y : f ist eine Funktion} die Menge aller Funktionen bezeichnet. Im Folgenden wollen wir diesen in der Mathematik so zentralen Begriff ausführlich beleuchten. Der Begriff „Funktion“ wurde Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) eingeführt. Er war nicht nur deutscher Mathematiker, sondern auch Philo- soph, Physiker, Historiker und Diplomat. Über sich selbst sagte er: „Beim Erwachen hatte ich schon so viele Einfälle, dass der Tag nicht ausreichte, um sie niederzuschreiben“. Definition 5.1 Wir betrachten eine Abbildung f Abb (X, Y ). 1. Eine solche Abbildung heißt Funktion einer reellen Veränderli- chen x f (x), wenn für den Definitionsbereich X R gilt. 2. Wir nennen die Abbildung f : X Y eine reelle oder reellwertige Funktion (einer reellen Veränderlichen), falls auch für den Werte- bereich Y R, insgesamt also f Abb (R, R) gilt. 3. Fortan bezeichnen wir den Definitionsbereich mit D oder D f und schreiben für reellwertige Funktionen f : D R oder f : D f R. Betrachten wir also f : D R, so veranschaulichen wir diese Funktionsbe- ziehung durch den Graphen der Funktion f . 387 W. Merz, P. Knabner, Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler, Springer-Lehrbuch, DOI 10.1007/978-3-642-29980-3_5, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013
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Page 1: [Springer-Lehrbuch] Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler || Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

Kapitel 5

Reelle Funktionen einer reellenVeränderlichen

In Abschnitt 1.3 haben wir den Funktionsbegriff als eine mit gewissen Eigen-schaften versehene Korrespondenz f : X → Y zweier beliebiger Mengen X,Yeingeführt, gewisse Eigenschaften dazu besprochen und mit

Abb (X,Y ) := {f : X → Y : f ist eine Funktion}

die Menge aller Funktionen bezeichnet. Im Folgenden wollen wir diesen inder Mathematik so zentralen Begriff ausführlich beleuchten.

Der Begriff „Funktion“ wurde Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716)eingeführt. Er war nicht nur deutscher Mathematiker, sondern auch Philo-soph, Physiker, Historiker und Diplomat. Über sich selbst sagte er: „BeimErwachen hatte ich schon so viele Einfälle, dass der Tag nicht ausreichte, umsie niederzuschreiben“.

Definition 5.1 Wir betrachten eine Abbildung f ∈ Abb (X,Y ).

1. Eine solche Abbildung heißt Funktion einer reellen Veränderli-chen x �→ f(x), wenn für den Definitionsbereich X ⊂ R gilt.

2. Wir nennen die Abbildung f : X → Y eine reelle oder reellwertigeFunktion (einer reellen Veränderlichen), falls auch für den Werte-bereich Y ⊂ R, insgesamt also f ∈ Abb (R,R) gilt.

3. Fortan bezeichnen wir den Definitionsbereich mit D oder Df undschreiben für reellwertige Funktionen f : D → R oder f : Df → R.

Betrachten wir also f : D → R, so veranschaulichen wir diese Funktionsbe-ziehung durch den Graphen der Funktion f .

387W. Merz, P. Knabner, Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler, Springer-Lehrbuch, DOI 10.1007/978-3-642-29980-3_5, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

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388 5 Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

Definition 5.2 Die von einer Funktion f : D → R erzeugte Teilmenge

G(f) := {(x, f(x)) : x ∈ D} ⊂ R2

heißt der Graph von f .

x X

Y(x,f(x))

G(f)

Der Graph einer Funktion der reellenVariablen x

Neben Abbildungen der Form f ∈ Abb(R,R), spielen in Anwendungen häufigauch komplexwertige Funktionen f ∈ Abb(R,C) eine zentrale Rolle. Sprechenwir beide Möglichkeiten gleichermaßen an, so schreiben wir dafür wie gewohnt

Abb(R,K) := {f : R→ K : K = R oder K = C}. (5.1)

5.1 Elementare Funktionen

Wir geben nun eine Reihe gebräuchlicher Funktionen f : D → R an undspezifizieren deren Definitionsbereiche D und Wertebereiche Bild f .

Beispiel 5.3 Grundlegende Funktionen sind:

a) Die lineare Funktion. Dies ist die Funktion

f(x) := a x ∀ x ∈ R, a ∈ R fest.

Page 3: [Springer-Lehrbuch] Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler || Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

5.1 Elementare Funktionen 389

Es gilt hier offensichtlich

D = R, Bild f =

⎧⎨⎩R : a �= 0,

{0} : a = 0.

Die lineare Funktion enthält den Spezialfall der trivialen Funktion

f(x) := 0 ∀ x ∈ R.

x

y

1

a

Lineare Funktion f(x) := ax

x

y

b

- ba-

Affine Funktion f(x) := a x+ b

b) Die affine Funktion. Das ist die Funktion

f(x) := a x+ b ∀ x ∈ R, a, b ∈ R fest, b �= 0.

Es gilt hier offensichtlich

Page 4: [Springer-Lehrbuch] Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler || Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

390 5 Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

D = R, Bild f =

⎧⎨⎩R : a �= 0,

{b} : a = 0.

Die affine Funktion enthält den Spezialfall der konstanten Funktion

f(x) := b ∀ x ∈ R.

c) Die ganzrationale Funktion. Das ist die Funktion

f(x) :=

n∑k=0

akxk ∀ x ∈ R, a0, a1, . . . , an ∈ R fest.

Es gilt hier wiederumD = R,

während sich Bild f im allgemeinen Fall nicht einfach spezifizieren lässt.Für an �= 0 ist f(x) = Pn(x) ein Polynom n-ten Grades.

d) Die gebrochen rationale Funktion. Das ist die Funktion

f(x) :=Pn(x)

Qm(x)=

anxn + an−1x

n−1 + · · ·+ a1x+ a0bmxm + bm−1xm−1 + · · ·+ b1x+ b0

.

Hierin sind a0, a1, . . . , an ∈ R und b0, b1, . . . , bm ∈ R fest vorgegeben undes gilt

D := {x ∈ R : Qm(x) �= 0},während sich Bild f im allgemeinen Fall auch hier nicht festlegen lässt.

x

y

1

1

Funktion f(x) := 1x

mit D = R \ {0} = Bild f

Page 5: [Springer-Lehrbuch] Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler || Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

5.1 Elementare Funktionen 391

x

y

1

1-1

Funktion f(x) := 11−x2 mit

D = R \ {−1, 1}, Bild f = R \ [0,1)

e) Die n–te Wurzelfunktion. Das ist die Funktion

f(x) := n√x ∀ x ≥ 0 n ∈ N fest,

alsoD = [0,+∞) = Bild f.

x

y

1

1

Funktion f(x) := 11+x2 mit

D = R und Bild f = (0,1]

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392 5 Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

x

yx

1

1x

3

n–te Wurzelfunktion mitD = [0,+∞) = Bild f

f) Der Absolutbetrag. Das ist die Funktion

f(x) := |x| ∀ x ∈ R,

mitD = R, Bild f = [0,+∞).

x

y

1

1

Absolutbetrag

Page 7: [Springer-Lehrbuch] Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler || Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

5.1 Elementare Funktionen 393

x

y

-1

1

Signumsfunktion

g) Die Signumsfunktion. Das ist die Funktion

f(x) := signx =

⎧⎪⎪⎪⎨⎪⎪⎪⎩1 : x > 0,

0 : x = 0,

−1 : x < 0,

wobeiD = R, Bild f = {−1, 0, 1}.

h) Die Entire–Funktion. Das ist die Funktion

f(x) := [x].

Hierbei bezeichnet [x] die größte ganze Zahl p ∈ ZZ mit p ≤ x. Weiter ist

D = R, Bild f = ZZ.

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394 5 Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

x

y

1

1

Entire–Funktion

x

y

1

M

Charakteristische Funktion der Menge M

i) Die charakteristische Funktion einer nichtleeren Teilmenge M ⊂ R.Das ist die Funktion

f(x) := χM (x) =

⎧⎨⎩1 : x ∈M,

0 : x /∈M.

Hier giltD = R, Bild f = {0, 1}.

j) Die Dirichlet–Funktion. Das ist die charakteristische Funktion derMenge Q der rationalen Zahlen

f(x) := χQ(x) =

⎧⎨⎩ 1 : x rational,

0 : x irrational,

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5.1 Elementare Funktionen 395

mitD = R, Bild f = {0, 1}.

k) Die stückweise konstante Funktion (Treppenfunktion).

Definition 5.4 Es sei ∅ �= I ⊂ R ein endliches Intervall mit Rand-punkten a, b, a < b. Eine Familie Zn := {I1, I2, . . . , In} von Teilin-tervallen Ij ⊂ I heißt eine (endliche) Zerlegung von I, wenn

1. a =: x0 ≤ x1 ≤ x2 ≤ · · · ≤ xn−1 ≤ xn := b,

2. Ij hat die Randpunkte xj−1 und xj , Ij �= ∅ ∀ j = 1, 2, . . . , n,

3. Ij ∩ Ik = ∅, j �= k,

n⋃j=1

Ij = I.

Eine Funktion f : I → R heißt Treppenfunktion bezüglich derZerlegung Zn, falls

f(x) :=

n∑j=1

cjχIj (x) ∀ x ∈ I, c1, c2, . . . , cn ∈ R fest.

Eine Treppenfunktion f(x) hat mit anderen Worten auf dem TeilintervallIj den konstanten Wert cj. Es gilt

D = I, Bild f = {c1, c2, . . . , cn}.

Als spezielles Zahlenbeispiel betrachten wir auf I := (−3, 2] die Funktion

f(x) :=

⎧⎪⎪⎪⎨⎪⎪⎪⎩1.5 : x ∈ (−3,−1),−1 : x ∈ [−1,√2),π : x ∈ (

√2, 2].

l) Die stückweise affine Funktion. Es seien I und Zn wie im vorange-gangenen Beispiel erklärt. Wir setzen

f(x) :=n∑

j=1

(cjx+ dj)χIj (x) ∀ x ∈ I, cj , dj ∈ R fest.

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396 5 Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

Dann ist f auf jedem Teilintervall Ij die affine Funktion f(x) = cjx+dj.Schließen sich die affinen Teilstücke in den Randpunkten der Intervalleohne Sprung, so heißt f ein Polygonzug oder ein linearer Spline.

x

y

aI5I4

I3I2I1

I6

Stückweise affine Funktion(Polygonzug)

Beispiel 5.5 Als Vertreter einer komplexwertigen Funktion betrachtenwir einen alten Bekannten, nämlich die Eulersche Funktion (2.5) derForm

f(x) := eix = cosx+ i sinx.

Hierbei gilt

D = R, Bild f = {x+ iy ∈ C : |x+ iy| = 1} (Einheitskreis).

Ist D nicht explizit angegeben, so ist stets vom maximalen Definitionsbereichder Funktion f ∈ Abb(R,R) auszugehen. In diesem Sinne folgt

Definition 5.6 Der maximale oder natürliche DefinitionsbereichDmax ⊂ R einer Funktion f der reellen Veränderlichen x ist diejenigeMenge, die zu jedem ihrer Punkte x ∈ Dmax einen formelmäßigen Aus-druck für f(x) zulässt, während f(x) für x �= Dmax nicht definierbarist.

Die o.g. Beispiele geben Anlass für weitere Überlegungen.

Page 11: [Springer-Lehrbuch] Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler || Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

5.1 Elementare Funktionen 397

Definition 5.7 Seien f, g ∈ Abb (D,R), D ⊂ R.

1. Eine Zahl x0 ∈ D heißt Nullstelle von f : D → R, wenn f(x0) = 0gilt.

2. Die Summe f+g und das skalare Vielfache λ f, λ ∈ R, ist punkt-weise erklärt durch

(f + g)(x) := f(x) + g(x) und (λ f)(x) := λ f(x) ∀ x ∈ D.

Mit dieser Definition ist die Menge Abb (D,R), D ⊂ R, ein Vektorraumüber dem Körper R.

Definition 5.8 Es seien f, g ∈ Abb (D,R), D ⊂ R, gegeben.

1. Das Produkt fg ist punktweise erklärt durch

(fg)(x) := f(x)g(x) ∀x ∈ D.

2. Der Quotient f/g ist außerhalb der Nullstellen von g punkt-weise erklärt durch(

f

g

)(x) :=

f(x)

g(x)∀x ∈ D \ {x0 : g(x0) = 0}.

Beispiel 5.9 Für f(x) :=√x und g(x) := sinx gilt auf der Menge D :=

[0,+∞) :

(fg)(x) =√x sinx ∀ x ∈ D,(

fg

)(x) =

√x

sin x ∀ x ∈ D \ {nπ : n ∈ N0}.

Definition 5.10 Es seien f, g ∈ Abb (D,R), D ⊂ R, gegeben.

1. Der Betrag |f | der Funktion f : D → R ist punktweise erklärtdurch

|f |(x) := |f(x)| ∀ x ∈ D.

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398 5 Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

2. Der positive Teil f+ und der negative Teil f− von f sind punkt-weise erklärt durch

f+(x) :=

⎧⎨⎩ f(x) : f(x) ≥ 0,

0 : f(x) < 0,f−(x) :=

⎧⎨⎩ 0 : f(x) ≥ 0,

−f(x) : f(x) < 0.

Die nachstehende Grafiken verdeutlichen diese Sachverhalte:

f(x)

x

y

|f|(x)

Betrag von f

f(x)

x

y

f+(x)

Positiver Teil von f

f(x)

x

y

f-(x)

Negativer Teil von f

Folgende Zusammenhänge sind (auch mit Hilfe der Grafiken) leicht nachvoll-ziehbar:

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5.1 Elementare Funktionen 399

f = f+ − f−, |f | = f+ + f−, f+ =1

2(|f |+ f), f− =

1

2(|f | − f).

Beispiel 5.11 Für ein festes x0 ∈ R setzen wir f(x) := x − x0 ∀ x ∈ R. Esgilt

(x− x0)+ =

⎧⎨⎩x− x0 : x ≥ x0,

0 : x < x0;

(x− x0)− =

⎧⎨⎩ 0 : x ≥ x0,

x0 − x : x < x0;

sowie der Zusammenhang

(x− x0)+ + (x− x0)

− = |x− x0| =⎧⎨⎩x− x0 : x ≥ x0,

x0 − x : x < x0.

Johann Peter Gustav Lejeune Dirichlet (1805–1859) war deutscherMathematiker. Seine Großeltern stammten aus Belgien, was seinen französi-schen Namen erklärt. Mit zwölf Jahren besuchte er ein Gymnasium in Bonnund wechselte zwei Jahre später an das Jesuiten-Gymnasium in Köln. Dortwar Georg Simon Ohm (1789–1854) einer seiner Lehrer. Im Jahre 1831 hei-ratete er Rebecca Henriette Lejeune, eine Schwester des Komponisten FelixMendelssohn Bartholdy (1809–1847). Dirichlet forschte im Wesentli-chen auf den Gebieten der partiellen Differentialgleichungen, der bestimmtenIntegrale und der Zahlentheorie.

Aufgaben

Aufgabe 5.1. Seien f1, f2 ∈ Abb (R,R), gegeben durch

f1(x) =1

x2−√1− x2

x2und f2(x) = x− x

|x| .

a) Geben Sie die maximalen Definitionsbereiche Dmax ⊂ R von f1 und f2an.

b) Bestimmen Sie die jeweiligen Wertebereiche Bild f1 und Bild f2.

c) Skizzieren Sie die beiden Graphen G(f1) und G(f2).

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400 5 Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

Aufgabe 5.2. Seien f1, f2 ∈ Abb (R,R), gegeben durch

f1(x) =√2x+ 5 und f2(x) = 4− x2.

a) Geben Sie die maximalen Definitionsbereiche Dmax ⊂ R von f1 und f2an.

b) Bestimmen Sie die jeweiligen Wertebereiche Bild f1 und Bild f2.

c) Skizzieren Sie die beiden Graphen G(f1) und G(f2).

d) Finden Sie alle x0 ∈ R mit f1(x0) = f2(x0).

Aufgabe 5.3. Sind durch die folgenden Zuordnungen y = f(x) Abbildungenf ∈ Abb (R,R) erklärt?

a) y2 = x,

b) y =

⎧⎨⎩2 : x �= 0,

x : x2 = x,

c) y =

⎧⎨⎩x2 + 1, 04 : x ≤ 1, 6,

3x− 1, 2 : x ≥ 1, 6.

Aufgabe 5.4. Skizzieren Sie die Graphen G(f) nachfolgender Funktionenf ∈ Abb (R,R):

a) f(x) = x+ |x|,b) f(x) = x|x| +

√x2,

c) f(x) = |x− 2|+ 4x2,

d) f(x) =∣∣sin (

2x+ 12

)∣∣,e) f(x) =

∣∣∣∣ sinxx∣∣∣∣.

Aufgabe 5.5. Gegeben seien die Funktionen f(x) = x3 − x und g(x) =sin(2x), x ∈ R. Bestimmen Sie folgende Verknüpfungen:

a) f(g(π2

)), b) g (f(2)) , c) f (g(x)) , d) f (f(x)) , e) f (f (f(1))) .

Aufgabe 5.6. Bestimmen Sie den maximalen Definitionsbereich und skiz-zieren Sie die Funktionen

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5.2 Grenzwerte von Funktionen einer reellen Veränderlichen 401

y = f(x), |f(x)|, f(|x|), f(x2), f2(x), f

(1

x

),

1

f(x),

wenn

a) f(x) = x, b) f(x) =1

x, c) f(x) = sinx, d) f(x) =

√x.

Aufgabe 5.7. Sei f(x) = x2012 − x− 1, x ∈ R. Wie viele Nullstellen hat f?

5.2 Grenzwerte von Funktionen einer reellenVeränderlichen

Sei f ∈ Abb(D,R), D ⊂ R. Wir beschäftigen uns mit folgender

Fragestellung: Nähert sich die Variable x ∈ D ⊂ R längs einer reellenFolge (xn)n∈N ⊂ D einem Grenzwert x0, so dass lim

n→∞xn = x0 gilt,

konvergiert dann auch die Folge der Bildpunkte(f(xn)

)n∈N

⊂ R gegenden Bildpunkt f(x0)?

Wir vermitteln anhand einiger Beispiele Vorinformationen über möglich auf-tretende Fälle.

Beispiel 5.12 Interessante Grenzwerte liefern nachfolgende Funktionen:

a) Wir betrachten die Heavisidesche Sprungfunktion

f(x) :=

⎧⎨⎩ 1 : x ≥ 0,

0 : x < 0,x ∈ D := R.

Im einzig interessanten Punkt x0 = 0 haben wir folgendes Verhalten:

i) xn := + 1n =⇒ lim

n→∞xn = 0 = x0 und limn→∞ f(xn) = lim

n→∞ 1 =

1 = f(x0).

ii) xn := − 1n =⇒ lim

n→∞xn = 0 = x0 und limn→∞ f(xn) = lim

n→∞ 0 =

0 �= f(x0).

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402 5 Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

Die Annäherung von rechts bzw. von links an den Punkt x0 = 0 führtzu verschiedenen Grenzwerten der Bildfolge.

f(x)

xx0

1

Die Heavisidesche Sprungfunktion

f(x)

xx0

Der Graph der Funktion f(x) := 1x2

b) Es sei

f(x) :=1

x2, x ∈ D := R \ {0}.

Der Graph G(f) zeigt, dass f bei Annäherung an den Punkt x0 = 0unbeschränkt wächst. Im Einzelnen gilt

xn := ± 1

n=⇒ lim

n→∞xn = 0 = x0 und limn→∞ f(xn) = lim

n→∞n2 = +∞.

Die Folge der Bildpunkte(f(xn)

)n∈N

⊂ R konvergiert uneigentlich ge-gen +∞.

Beachte: x0 /∈ D.

Page 17: [Springer-Lehrbuch] Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler || Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

5.2 Grenzwerte von Funktionen einer reellen Veränderlichen 403

c) Es sei

f(x) :=1

1− x, x ∈ D := R \ {1}.

Auch hier zeigt der Graph der Funktion f , dass |f(x)| bei Annäherung anden Punkt x0 = 1 unbeschränkt wächst. Anders als im vorherigen Beispielexistiert aber kein (uneigentlicher) Grenzwert, denn es gilt

i) xn := 1− 1n < 1 =⇒ lim

n→∞xn = 1 = x0 und limn→∞ f(xn) = lim

n→∞n =

+∞.

ii) xn := 1 + 1n > 1 =⇒ lim

n→∞ xn = 1 = x0 und limn→∞ f(xn) =

− limn→∞n = −∞.

Bei Annäherung von rechts bzw. von links an den Punkt x0 = 1 exis-tieren verschiedene uneigentliche Grenzwerte der Bildfolge.

Beachten Sie: x0 /∈ D.

f(x)

x

x0 = 1

Der Graph der Funktion f(x) := 11−x

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404 5 Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

f(x)

x

-1

1

Der Graph der Funktion f(x) := x2+ signx

d) Es sei

f(x) :=x

2+ signx, x ∈ D := R.

Im einzig interessanten Punkt x0 := 0 haben wir f(x0) = 0. Im Gegensatzdazu gilt jedoch

i) xn := + 1n =⇒ limn→∞ xn = 0 = x0 und limn→∞ f( 1n ) =

+1 �= f(x0),

ii) xn := − 1n =⇒ limn→∞ xn = 0 = x0 und limn→∞ f( 1n ) =

−1 �= f(x0).

Oliver Heaviside (1850–1925) war britischer Mathematiker und Physiker.Als Sechzehnjähriger erlernte er in Dänemark den Beruf des Telegraphen undkam so mit der Elektrizitätslehre in Berührung. Mit seinen Aufsätzen darübererregte er sogar die Aufmerksamkeit von James Clerk Maxwell (1831–1879). Als Autodidakt eignete sich Heaviside mathematische Fähigkeitenan, um wiederum die Werke von Maxwell zu studieren und verstehen zulernen. Die nach ihm benannte Heavisidesche Sprungfunktion verwendete erzur Untersuchung von Impulsen in elektrischen Leitungen, und auch die fürdie Ausbreitung von Signalen in Telegraphenleitungen maßgebliche Telegra-phengleichung wurde von ihm aufgestellt. 1891 wurde er in die Royal Societygewählt und 1905 verlieh ihm die Universität Göttingen die Ehrendoktor-würde. Er hat nie geheiratet und wurde ein immer skurrilerer Einsiedler. Erlitt an Verfolgungswahn, gefördert durch eine zunehmende Taubheit. SeineUnterschrift ergänzte er mit dem Wort „WORM“. Äußerlich verwahrloste derkleinwüchsige Heaviside zunehmend, er hatte jedoch stets sorgfältig gepfleg-te, rosa lackierte Fingernägel. Er liegt in Paignton, England, begraben.

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5.2 Grenzwerte von Funktionen einer reellen Veränderlichen 405

Wir präzisieren jetzt den Begriff des Grenzwertes einer Funktion gemäß

Definition 5.13 Sei f ∈ Abb (D,R), D ⊂ R.

1. Die Funktion f hat an der Stelle x0 ∈ R den Grenzwert g ∈ R,falls

limn→∞ f(xn) = g für jede Folge (xn)n∈N ⊂ D\{x0} mit lim

n→∞xn = x0.

(5.2)Schreibweise: lim

x→x0

f(x) = g.

2. Die Funktion f hat an der Stelle x0 ∈ R den rechtsseitigen Grenz-wert g+ ∈ R (bzw. den linksseitigen Grenzwert g− ∈ R), falls

limn→∞ f(xn) = g+ (bzw. g−) für jede monoton fallende

(bzw. monoton wachsende) Folge (xn)n∈N ⊂ D \ {x0}mit lim

n→∞xn = x0.

(5.3)

Schreibweise: limx→x0+

f(x) = g+ (bzw. limx→x0−

f(x) = g−).

Bemerkung 5.14 Zu erwähnen bleibt Folgendes:

1. In den getroffenen Definitionen wird der Funktionswert f(x0) nicht be-nötigt. Deshalb kommt es nicht darauf an, ob x0 zum DefinitionsbereichD gehört oder nicht.

2. In jedem Fall kommt es aber darauf an, dass die Bedingungen (5.2) und(5.3) für alle Folgen (xn)n∈N mit den dort spezifizierten Eigenschaftenerfüllt sein müssen. Damit sind die (folgenunabhängen) Schreibweisen inder obigen Definition gerechtfertigt.

Weitere Beispiele sollen die o.g. Definition verdeutlichen.

Beispiel 5.15 Das nachfolgende Beispiel a) wird uns immer wieder begeg-nen.

a) Es sei

f(x) :=

⎧⎨⎩ sinx : x ≤ 0,

sin 1x : x > 0,

x ∈ D := R.

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406 5 Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

Wir erkennen, dass

limx→0−

f(x) = 0 =: g−, limx→+∞ f(x) = 0,

während die beiden Grenzwerte limx→0+

f(x) und limx→−∞ f(x) nicht existie-

ren.

b) Die Dirichlet–Funktion

f(x) := χQ(x) =

⎧⎨⎩1 : x rational,

0 : x irrational,x ∈ D := R,

hat in keinem Punkt x0 ∈ R einen Grenzwert, auch rechts– bzw. links-seitige Grenzwerte existieren nicht.

Denn zu jedem Punkt x0 ∈ R können Folgen (xn)n∈N ⊂ Q als auch Folgen(x∗

n)n∈N ⊂ R\Q angegeben werden mit limn→∞xn = x0 = lim

n→∞x∗n, während

limn→∞χQ(xn) = 1 �= 0 = lim

n→∞χQ(x∗n)

gilt.

Die Grenzwertbedingungen (5.2) und (5.3) sind verletzt, da nicht für jedeFolge xn → x0 derselbe Grenzwert χQ(xn)→ g resultiert.

f(x)

x

f(x) := sinx für x ≤ 0 undf(x) := sin 1

xfür x > 0

Page 21: [Springer-Lehrbuch] Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler || Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

5.2 Grenzwerte von Funktionen einer reellen Veränderlichen 407

f(x)

x

g + ε

g - ε

g

x0 - δ x0 + δx0

ε−δ-Kiste

Die ε− δ-Kiste

Die Existenz eines Grenzwertes kann auch in der nachstehenden, folgenun-abhängigen Form formuliert werden:

Satz 5.16 (Die ε − δ–Kiste) Die Funktion f ∈ Abb (D,R), D ⊂ R,hat an der Stelle x0 ∈ R genau dann den Grenzwert g ∈ R, wenn es zujedem ε > 0 ein δ = δ(ε) > 0 gibt, derart dass

|f(x)− g| < ε für alle x ∈ D mit 0 < |x− x0| < δ. (5.4)

Beweisidee. Wir geben hier die formale Begründung, die an sich aber aufGrund der Konvergenzdefinition von Zahlenfolgen klar ist.

a) Gelte zunächst die Bedingung (5.4). Wähle dazu ε > 0 fest und dazueine Zahl δ = δ(ε) > 0 gemäß der Vorschrift (5.4). Für jede beliebiggewählte Folge (xn)n∈N ⊂ D \ {x0} mit lim

n→∞xn = x0 existiert eine ZahlN = N(ε) ∈ N, so dass

0 < |xn − x0| < δ ∀ n > N.

Aus (5.4) erschließen wir somit |f(xn)− g| < ε ∀ n > N , oder äquivalentlim

n→∞ f(xn) = g. Dies ist die behauptete Grenzwertaussage (5.2).

b) Es gelte nun die Grenzwertaussage (5.2). Wäre (5.4) nicht erfüllt, dannexistiert ein ε0 > 0 derart, dass für alle δ = δ(ε) > 0 gilt

|f(xk)− g| ≥ ε0 für ein xk ∈ D mit 0 < |xk − x0| < δ.

Es gäbe somit eine konvergente Folge (xk)k∈N ⊂ D \ {x0} mit limk→∞

xk =

x0 und

Page 22: [Springer-Lehrbuch] Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler || Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

408 5 Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

|f(xk)− g| ≥ ε0 ∀ δ > 0,

was im Widerspruch zu (5.2) steht.

qed

Bemerkung 5.17 In der Definition (5.4) wird weder verlangt, dass einFunktionswert f(x0) existiert, noch muss f(x0) = g gelten. Als Beispieledazu dienen die nachstehenden Grafiken.

f(x)

x

g + ε

g - ε

g

x0 - δ x0 + δx0

ε−δ-Kiste

f(x0)

limx→x0

f(x) = g, wobei f(x0) nicht

definiert sein soll

f(x)

x

g + ε

g - ε

g

x0 - δ x0 + δx0

f(x0)

limx→x0

f(x) = g, wobei f(x0) �= g gilt

Page 23: [Springer-Lehrbuch] Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler || Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

5.2 Grenzwerte von Funktionen einer reellen Veränderlichen 409

f(x)

x

g+ + ε

g+ - ε

g+

x0 + δx0

f(x0)

Rechtsseitiger Grenzwert limx→x0+

f(x) = g+

mit g+ �= f(x0)

f(x)

x

g- + ε

g- - ε

g-

x0 - δ x0

f(x0)

Linksseitiger Grenzwert limx→x0−

f(x) = g−

mit g− = f(x0)

Im Zusammenhang mit einseitigen Grenzwerten treffen wir folgende

Definition 5.18 Es gelten die Vereinbarungen:

1. Existieren in einem Punkt x0 ∈ R voneinander verschiedene rechts–bzw. linksseitige Grenzwerte lim

x→x0±f(x) = g± ∈ R, so sagen wir, die

Funktion f hat bei x0 einen Sprung der Höhe |g+ − g−|.2. Ein Punkt x0 ∈ R heißt singuläre Stelle oder kurz Singularität

von f , wenn wenigstens einer der Grenzwerte g+ oder g− in R nichtexistiert.

Page 24: [Springer-Lehrbuch] Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler || Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

410 5 Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

Singularitäten treten bei rationalen Funktionen q(x) = P (x)Q(x) in den Nullstel-

len des Nennerpolynoms Q auf, sofern diese nicht gleichzeitig Nullstellen vonP mindestens derselben Ordnung sind. Dazu z.B.

q(x) =x2 − 1

x2 − 2x+ 1=

(x− 1)(x+ 1)

(x − 1)2=

x+ 1

x− 1.

Hier ist also x0 = 1 eine Singularität.

Beim Gebrauch der Grenzwertbedingung (5.4) kommt es meistens auf eingeschicktes Abschätzen des Ausdrucks |f(x)− g| durch einen Term der Form|x − x0| an. Die folgende Strategie muss sequentiell von links nach rechtsverfolgt werden:

|f(x)− g| ≤ · · · ≤ · · · ≤ · · · ≤ · · · ≤︸ ︷︷ ︸Die Ausdrücke · · · müssen fürx → x0 nach 0 konvergieren.

A(|x − x0|) < ε︸ ︷︷ ︸Diese Ungleichung muss nach

|x− x0| aufgelöst werden können.

Einige Beispiele sollen das obige Abschätzverfahren näherbringen.

Beispiel 5.19

a) Es sei

f(x) := p√x, x ∈ D := [0,+∞), p ∈ N.

Wir behauptenlim

x→0+f(x) = 0 = f(0).

In der Tat, für fest gewähltes ε > 0 gilt die Abschätzung

|f(x)− f(0)| = p√x = x1/p < ε für 0 < x < δ,

sofern wir δ = δ(ε) := εp wählen.

(Der Ausdruck x1/p < ε ist also wie gefordert nach x auflösbar.)

Beachten Sie: Es macht hier keinen Sinn, den Grenzwert limx→0−

f(x) =?

zu untersuchen, da f(x) für x < 0 nicht definiert ist.

Die Grenzwertbetrachtung an einer anderen Stelle x0 > 0 verläuft völliganalog zu dem Resultat lim

x→x0

f(x) = p√x0.

b) Es sei

Page 25: [Springer-Lehrbuch] Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler || Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

5.2 Grenzwerte von Funktionen einer reellen Veränderlichen 411

f(x) := x√1 + 1

x2 = (signx)√1 + x2, x ∈ D := R \ {0}.

Wir behaupten

limx→0+

f(x) = +1 �= f(0), limx→0−

f(x) = −1 �= f(0).

Zum Beweis der ersten Behauptung wählen wir wiederum ein beliebigesε > 0. Damit erhalten wir für 0 < x < δ die Abschätzung

|f(x)− 1| = |+√

1 + x2 − 1| = x2

1 +√1 + x2

≤ x2

2< ε,

sofern wir δ = δ(ε) :=√2ε wählen.

(Der Ausdruck x2

2 < ε ist auch hier wie gefordert nach x auflösbar.)

Die zweite Behauptung limx→0− f(x) = −1 wird analog nachgewiesen.

f(x)

xx0 = 0

f(x)=p

x

Graph der Funktion f(x) = p√x

Page 26: [Springer-Lehrbuch] Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler || Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

412 5 Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

f(x)

x

1

-1

Graph der Funktionf(x) = x

√1+ 1/x2

Wie bei Zahlenfolgen in Abschnitt 3.2 gelten auch bei Grenzwerten von Funk-tionen einige allgemeingültige Grundtatsachen.

Folgerung 5.20

1. Grenzwerte sind eindeutig, falls sie existieren.

2. Gilt limx→x0

f(x) = g ∈ R, so ist f in der Umgebung von x0 be-

schränkt. Das heißt, sind ε, δ > 0 gemäß der Vorschrift (5.4) ge-wählt, so gilt

|f(x)| < |g|+ ε ∀ x ∈ D

mit 0 < |x− x0| < δ.

Die Limesbildung kann mit algebraischen Operationen verknüpft wer-den.

Rechenregeln 5.21 Es gelte F := limx→x0 f(x), G := limx→x0 g(x).Dann gelten

1. limx→x0

[αf(x) + β g(x)] = αF + β G ∀ α, β ∈ R.

2. limx→x0

[f(x) g(x)] = F ·G.

3. limx→x0

f(x)

g(x)=

F

G, falls G �= 0.

Page 27: [Springer-Lehrbuch] Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler || Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

5.2 Grenzwerte von Funktionen einer reellen Veränderlichen 413

Beispiel 5.22 Es sei

f(x) :=x3 + |x+ 1|+ sign (x+ 1)

signx, x ∈ D := R \ {0}.

Unter Verwendung der Regeln (5.21) erhalten wir folgende Grenzwerte:

limx→0+

f(x) =0 + 1 + 1

1= 2, lim

x→0−f(x) =

0 + 1 + 1

−1 = −2,

limx→(−1)+

f(x) =−1 + 0 + 1

−1 = 0, limx→(−1)−

f(x) =−1 + 0− 1

−1 = 2.

Bei reellwertigen Funktionen kann die Limesbildung mit Ordnungsre-lationen verknüpft werden.

Folgerung 5.23 Seien f, g, h ∈ Abb(D,R) mit einem gemeinsamen De-finitionsbereich D ⊂ R, dann

1) f(x) < M ∀ x ∈ D =⇒ limx→x0

f(x) ≤M .

2) f(x) ≤ g(x) ∀ x ∈ D =⇒ limx→x0

f(x) ≤ limx→x0

g(x).

Daraus resultiert insbesondere (vgl. Entführungsprinzip (3.7)) das folgende„Einschließkriterium“ :

limx→x0

f(x) = g = limx→x0

h(x), f(x) ≤ g(x) ≤ h(x) =⇒ limx→x0

g(x) = g.

(5.5)

Beispiel 5.24 Es sei 0 < x < π2 . Aus dem (als bekannt vorausgesetzten)

Strahlensatz resultiert gemäß nachfolgender Skizze y =sinx

cosx, woraus sich

die Ungleichung

0 < sinx < x <sinx

cosx

ergibt. Damit folgt1

sinx>

1

x>

cosx

sinx, d.h. 1 >

sinx

x> cosx.

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414 5 Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

x

x

ysin x

cos x 1

Zur Ungleichung 0 < sinx < x < sinxcosx

Aus limx→0±

cosx = 1 folgt mit dem Einschließungskriterium (5.5) der so wich-

tige und in vielen zukünftigen Abschnitten wiederkehrende Grenzwert

limx→0±

sinx

x= 1. (5.6)

Aufgaben

Aufgabe 5.8. Existieren nachfolgende Grenzwerte?

a) limx→0

1

3 + 21x

, b) limx→0

1 + 21x

3 + 21x

.

Hinweis: Bilden Sie jeweils die links- und rechtsseitigen Grenzwerte.

Aufgabe 5.9. Bestimmen Sie

a) limx→0

(√x+ 1− 1) sinx

x2(x− 5)2, b) lim

x→0

cosx− 1

x, c) lim

x→1

xn − 1

x− 1.

Aufgabe 5.10. Berechnen Sie die Grenzwerte

a) limx→0

a sin(bx)

cx, a, b, c �= 0, b) lim

x→0

x

sinx.

Aufgabe 5.11. Berechnen Sie die Grenzwerte

Page 29: [Springer-Lehrbuch] Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler || Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

5.2 Grenzwerte von Funktionen einer reellen Veränderlichen 415

a) limx→0

(1

x2−√1− x2

x2

), b) lim

x→0±

(x− x

|x|).

Aufgabe 5.12. Zeigen Sie per vollständiger Induktion, dass

limx→a

xn = an ∀n ∈ N.

Aufgabe 5.13. Berechnen Sie limh→0

f(x+ h)− f(x)

hfür die Funktionen

a) f(x) = x, b) f(x) = x2, c) f(x) = x3.

Aufgabe 5.14. Sei f(x) = 5x − 6. Bestimmen Sie ein δ > 0 derart, dass|f(x)− 14| < ε für 0 < |x− 4| < δ, wenn

a) ε =1

2, b) ε = 0, 0001.

Aufgabe 5.15. Beweisen Sie die folgende Aussage: Gilt f(x) ≤ M für allex ∈ Df und lim

x→x0

f(x) = A, dann folgt A ≤M .

Aufgabe 5.16. Wo ist f(x) =1−√cosx

1− cos√x

nicht definiert? Wie lautet

limx→0

f(x)?

Aufgabe 5.17. Beim Anlegen einer Messlatte L der Länge l liegt nur ihrMittelpunkt exakt auf der zu messenden Strecke S, während die Randpunktevon L jeweils den senkrechten Abstand x von S haben. Wenn also für S derWert l gemessen wird, so ist die wahre Länge von S gleich der Projektionf = f(x) von L auf S.

a) Bestimmen Sie f .

b) Berechnen Sie G aus limx→0+

f(x) = G.

c) Bestimmen Sie zu jedem ε > 0 ein δ = δ(ε) so, dass |f(x) − G| < ε füralle x mit 0 < x < δ gilt. Verwenden Sie die Zahlenwerte l = 2m, ε = εrlmit εr = 0, 1% (εr ist die relative Genauigkeit).

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416 5 Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

5.3 Uneigentliche Grenzwerte von Funktionen einerreellen Veränderlichen

Ist f auf den unbeschränkten Intervallen (b,+∞) bzw. (−∞, a) erklärt, sodefinieren wir die Grenzwerte lim

x→±∞ f(x) in der folgenden Weise:

Definition 5.25 Die Funktion f hat in +∞ den Grenzwert g, wennfür jedes ε > 0 ein N = N(ε) ∈ N existiert, so dass

|f(x)− g| < ε für alle x > N > b. (5.7)

Entsprechendes gilt in −∞ für ∀ x < −N < a.

Schreibweise: limx→+∞ f(x) = g sowie lim

x→−∞ f(x) = g.

Beispiel 5.26 Es sei

f(x) :=x

x− 2= 1 +

2

x− 2, x ∈ D := R \ {2}.

Wir behauptenlim

x→+∞ f(x) = 1.

In der Tat, für x > 2 haben wir

|f(x)− 1| = | x

x− 2− 1| = 2

x− 2≤ 2

N − 2< ε ∀ x > N > 2,

sofern die Zahl N ∈ N so groß gewählt wird, dass 2ε + 2 < N gilt.

Ganz analog zeigt man limx→−∞ f(x) = 1.

Page 31: [Springer-Lehrbuch] Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler || Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

5.3 Uneigentliche Grenzwerte von Funktionen einer reellen Veränderlichen 417

f(x)

x

g + ε

g - ε

g

b 10k

Uneigentlicher Grenzwert limx→+∞ f(x) = g

f(x)

x

1

2

Graph der Funktion f(x) = xx−2

Für reellwertige Funktionen f können auch die uneigentlichen Grenzwerteder Form f(x)→ ±∞ erklärt werden.

Definition 5.27 Die Funktion f : D → R hat in x0 ∈ R den unei-gentlichen Grenzwert lim

x→x0

f(x) = +∞, wenn für jedes ε > 0 ein

δ = δ(ε) > 0 existiert, derart dass

f(x) >1

εfür alle x ∈ D mit 0 < |x− x0| < δ. (5.8)

(Entsprechend: limx→x0

f(x) = −∞, falls für jedes ε > 0 ein δ = δ(ε) > 0

existiert f(x) < − 1ε für alle x ∈ D mit 0 < |x− x0| < δ.)

Analog erklärt man die rechts– bzw. linksseitigen uneigentlichenGrenzwerte lim

x→x0+f(x) = ±∞ bzw. lim

x→x0−f(x) = ±∞.

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418 5 Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

Beispiel 5.28

a) Die Funktion f(x) :=x

x− 2sei wie im letzten Beispiel vorgelegt. Wir

behauptenlim

x→2+f(x) = +∞ und lim

x→2−f(x) = −∞.

Sei dazu ein beliebiges ε > 0 vorgegeben. Es gilt

f(x) =x

x− 2

⎧⎪⎪⎨⎪⎪⎩>

2

δ>

1

δ>

1

ε∀ x ∈ R mit 2 < x < 2 + δ,

=−x2− x

< −1

δ< −1

ε∀ x ∈ R mit 1 < 2− δ < x < 2,

sofern die Zahl δ = δ(ε) > 0 so gewählt wird, dass ε > δ gilt.

b) Auch die folgenden uneigentlichen Grenzwerte lassen sich einfach bestim-men:

limx→+∞xn =

⎧⎨⎩ 1 : n = 0,

+∞ : n ∈ N,

limx→−∞xn =

⎧⎪⎪⎪⎨⎪⎪⎪⎩1 : n = 0,

+∞ : n = 2m gerade,

−∞ : n = 2m− 1 ungerade

für alle m ∈ N. Weiter gilt

limx→±∞

1

xm= 0, lim

x→0

1

x2m= +∞,

limx→0+

1

x2m−1= +∞, lim

x→0−1

x2m−1= −∞.

c) Für Polynome Pn(x) :=n∑

k=0

akxk gilt ganz allgemein

limx→+∞ Pn(x) = +∞ · signan,

limx→−∞ Pn(x) =

⎧⎨⎩+∞ · signan : n gerade,

−∞ · signan : n ungerade.

Page 33: [Springer-Lehrbuch] Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler || Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

5.3 Uneigentliche Grenzwerte von Funktionen einer reellen Veränderlichen 419

Bemerkung 5.29 Auch im uneigentlichen Fall gelten eine Reihe von Re-geln. Wir unterscheiden:

1. Für die uneigentlichen Grenzwerte der Form

limx→±∞ f(x) = γ ∈ R

gelten nach wie vor Rechenregeln 5.21.

2. Für die uneigentlichen Grenzwerte

limx→x0(±)

f(x) = ±∞ oder limx→±∞ f(x) = (±)∞

treten neue Regeln hinzu, die wir hier tabellarisch zusammenstellen wol-len.

Nachfolgend bezeichnen wir summarisch mit lim f(x) jeden der mögli-chen Fälle lim

x→x0±f(x) oder lim

x→±∞ f(x).

Dazu bezeichnen in der nachstehenden Tabelle f, g, h reellwertige Funk-tionen mit den (uneigentlichen) Grenzwerten

lim f(x) = limh(x) = +∞ und lim g(x) = γ ∈ R.

Limes–Regel Formale Rechenregel

(i) lim [f(x) + α g(x)] = +∞ ∀ α ∈ R ∞+ r =∞ ∀ r ∈ R

(ii) lim [f(x) g(x)] = +∞ falls γ > 0 ∞ · r =∞ ∀ r > 0

(iii) lim [f(x)h(x)] = +∞ = lim [f(x) + h(x)] ∞ ·+∞ =∞

(iv) limg(x)

f(x)= 0

r

∞ = 0 ∀ r ∈ R

(v) limf(x)

g(x)= +∞ falls γ > 0

∞r

=∞ ∀ r > 0

(5.9)

Page 34: [Springer-Lehrbuch] Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler || Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

420 5 Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

Bemerkung 5.30 Die Regeln (i) und (iv) bleiben selbst dann noch richtig,wenn lim g(x) nicht existiert, und |g(x)| beim Grenzübergang x → x0 bzw.x→ ±∞ beschränkt bleibt, wie z.B. bei g(x) := sinx für x→ ±∞.

Beispiel 5.31

a) limx→0+

signx√1 + 1

x

=(beschränkt)

+∞(iv)= 0 und lim

x→±∞signx√1 + 1

x

=±11

= ±1.b) Die Funktion f(x) := ex, x ∈ D := R hat die folgenden Grenzwerte:

limx→−∞ ex = 0, lim

x→+∞ ex = +∞.

Es gelten nämlich die Ungleichungen

ex > 0 ∀ x ∈ R, 1 + x <

∞∑k=0

xk

k!= ex ∀ x > 0.

Aus diesen Ungleichungen folgern wir

0 ≤ limx→−∞ ex = lim

y→+∞ e−y = limy→+∞

1

ey≤ lim

y→+∞1

1 + y= 0,

und in gleicher Weise limx→+∞ ex ≥ lim

x→+∞(1 + x) = +∞.

x

1

1

ex

Graph der Exponentialfunktion ex

Bemerkung 5.32 Es fehlen noch Rechenregeln für die unbestimmtenAusdrücke

∞−∞, 0 · ∞,∞∞ ,

0

0.

Page 35: [Springer-Lehrbuch] Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler || Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

5.3 Uneigentliche Grenzwerte von Funktionen einer reellen Veränderlichen 421

Diese Rechenregeln können i. Allg. nicht durch algebraische Operationen ausden Grenzwerten der einzelnen Funktionen erschlossen werden. Diese Fällewerden jedoch an späterer Stelle ausführlich behandelt.

Zunächst untersuchen wir lediglich den Fall

limx→∞

Pn(x)

Qm(x)=∞∞

für Polynome Pn(x) =n∑

k=0

akxk und Qm(x) =

m∑k=0

bkxk, wobei natürlich

an �= 0, bm �= 0 gilt.

Nach Division durch xm resultiert der Grenzwert

limx→∞

Pn(x)

Qm(x)= lim

x→±∞anx

n−m + an−1xn−m−1 + · · ·+ a1x

1−m + a0x−m

bm + bm−1x−1 + · · ·+ b1x1−m + b0x−m

=

⎧⎪⎪⎪⎨⎪⎪⎪⎩0 : m > n,anbm

: m = n,

+∞ · sign(

an

bm

): m < n.

Beispiel 5.33 Wir betrachten die o.g. Fälle

a) limx→∞

2x2 − 15x

x3 + 15x= lim

x→∞

2x − 15

x2

1 + 15x2

=0− 0

1 + 0= 0.

b) limx→∞

2x3 − 15x

x3 + 15x= lim

x→∞2− 15

x2

1 + 15x2

=2− 0

1 + 0= 2.

c) limx→∞

2x4 − 15x

x3 + 15x= lim

x→∞2x− 15

x2

1 + 15x2

=2x− 0

1 + 0= +∞.

Aufgaben

Aufgabe 5.18. Zeigen Sie mit Hilfe der Grenzwertdefinition

a) limx→∞

(√x2 + 2−

√x2 + 1

)= 0, b) lim

x→∞x sin1

x= 1.

Aufgabe 5.19. Bestimmen Sie

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422 5 Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

a) limx→+∞

3x − 3−x

3x + 3−x, b) lim

x→−∞3x − 3−x

3x + 3−x.

Aufgabe 5.20. Sie erkennen die folgenden Grenzwerte sicherlich auf denersten Blick:

a) limx→+∞

2x+ 3

4x− 5, b) lim

x→+∞x

x2 + 5,

c) limx→+∞

2x2

x− 3x2, d) lim

x→+∞x5 + 55x

55x.

Aufgabe 5.21. Erkennen Sie auch die nächsten Grenzwerte sofort?

a) limx→±∞

ex − e−x

ex + e−x, b) lim

x→±∞ex + e−x

ex − e−x,

Aufgabe 5.22. Berechnen Sie die beiden Grenzwerte

a) limx→+∞

(3√x3 + x2 − x

), b) lim

x→+∞(√

4 + x−√x)√

x.

Aufgabe 5.23. Bestimmen Sie das Verhalten für x → ±∞ für die beidenFunktionen

a) f(x) =x4

(x2 − 1)|x| , b) f(x) = |x2 − 1|+ |x| − 1.

5.4 Stetigkeit von Funktionen einer reellenVeränderlichen

Wir kommen nun zu einem weiteren zentralen Begriff der Mathematik. Un-abhängig voneinander befassten sich Anfang des 19. Jahrhunderts BernardBolzano (1781-1848) und Augustin Louis Cauchy (1789-1857) mit derDefinition der Stetigkeit. Wenn eine geringe Änderung im Argument einerFunktion eine geringe Änderung im Funktionswert bewirkt, führt dies auffolgende

Page 37: [Springer-Lehrbuch] Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler || Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

5.4 Stetigkeit von Funktionen einer reellen Veränderlichen 423

Definition 5.34 Eine Funktion f ∈ Abb (R,K) heißt stetig im Punk-te x0 ∈ D, falls

limx→x0

f(x) = f(x0).

Ist f in jedem Punkte x0 ∈ D stetig, so heißt f stetig auf D. Ist dieFunktion f in einem Punkte x0 ∈ D nicht stetig, so heißt sie unstetigbei x0.

Besitzt f in x0 ∈ D lediglich den rechtsseitigen (bzw. den links-seitigen) Grenzwert lim

x→x0+f(x) = f(x0) (bzw. lim

x→x0−f(x) = f(x0)),

so heißt f in x0 rechtsseitig (bzw. linksseitig) stetig.

Bemerkung 5.35 Einiges ist jedoch zu beachten:

1. Anders als bei der Definition von Grenzwerten einer Funktion muss derPunkt x0 bei Stetigkeitsbetrachtungen zum Definitionsbereich D gehören.Das heißt, es muss ein Funktionswert f(x0) existieren.

2. Die Stetigkeit reellwertiger Funktionen kann häufig durch Betrachtungdes Graphen G(f) geprüft werden. Kann G(f) in einem Zug ohne Abset-zen des Zeichenstiftes gezeichnet werden, so ist die zugeordnete Funktionf stetig. Diese Vorstellung darf aber nicht als Definition der Stetigkeitbetrachtet werden. Zum Beispiel ist die Funktion f(x) := sin 1

x auf demIntervall (0,+∞) stetig, ihr Graph ist jedoch nicht zeichenbar.

Natürlich kann die Stetigkeit einer Funktion f wieder durch die ε− δ–Kisteausgedrückt werden. Diese Formulierung wird Karl Weierstraß (1815-1897) zugeschrieben und liest sich in gewohnter Manier als

Satz 5.36 Eine Funktion f ∈ Abb(R,K) ist genau dann im Punkte x0 ∈D stetig, wenn für alle ε > 0 ein δ = δ(ε) > 0 existiert, so dass

|f(x)− f(x0)| < ε für alle x ∈ D mit 0 < |x− x0| < δ. (5.10)

Analoge Formulierungen gelten für die rechts– bzw. linksseitige Stetigkeitin x0.

Beachten Sie: Die Zahl δ > 0 hängt i. Allg. auch vom Punkt x0 ab.

Beispiel 5.37 Wir greifen auf wohlbekannte Funktionen zurück.

a) Wir hatten für die Funktionen f(x) := xn,1

xn, ex bereits gezeigt, dass

limx→x0

f(x) = f(x0) für alle x0 ∈ D gilt. Die konstante Funktion f(x) =

Page 38: [Springer-Lehrbuch] Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler || Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

424 5 Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

c ∈ K erfüllt wegen |f(x)− f(x0)| = |c− c| = 0 trivialerweise die Bedin-gung 5.10. Folgende Funktionen sind demnach stetig:

f(x) :=

⎧⎪⎪⎪⎪⎪⎪⎨⎪⎪⎪⎪⎪⎪⎩

xn ∀ x ∈ R, n ∈ N,

x−n ∀ x ∈ R \ {0}, n ∈ N,

ex ∀ x ∈ R,

c ∀ x ∈ R, c ∈ K.

b) Die Betragsfunktion

f(x) := |x|, x ∈ D := R,

ist stetig auf ganz D. Zum Nachweis der Stetigkeit verwenden wir dieDreiecksungleichung

||x| − |x0|| ≤ |x− x0|. (5.11)

Für jedes x0 ∈ R und für jede Zahl ε > 0 gilt

|f(x)− f(x0)|(5.11)

≤ |x− x0| < δ := ε ∀ x ∈ R mit 0 < |x− x0| < δ.

Es ist zu beachten, dass die Zahl δ = δ(ε) = ε hier gleichmäßig bezüglichx0 ∈ R wählbar ist, also nicht von x0 abhängt.

x

f(x)

Graph der Funktion f(x) := |x|

Page 39: [Springer-Lehrbuch] Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler || Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

5.4 Stetigkeit von Funktionen einer reellen Veränderlichen 425

x

f(x)

Graph der Funktion f(x) := 1|x|

c) Die Funktion

f(x) :=1

|x| , x ∈ D := R \ {0}

ist stetig auf ganz D. Wir wählen x0 �= 0 und ε > 0 fest. Danachdefinieren wir die Zahl

δ(ε) :=1

2min{ε |x0|2, |x0|}.

Wegen δ ≤ |x0|/2 folgt zunächst

1

2|x0| < |x| < 3

2|x0|

für alle x mit 0 < |x − x0| < δ. Hieraus ergibt sich nun unter der Ein-schränkung 0 < |x− x0| < δ, dass

|f(x)− f(x0)| = ||x| − |x0|||x||x0|

(5.11)

≤ |x− x0||x||x0| <

2|x− x0||x0|2 <

2ε |x0|22 |x0|2 = ε,

was die spezielle Wahl von δ = δ(ε) erklärt. Wir bemerken, dass die Zahlδ > 0 hier sowohl von ε > 0 als auch von x0 ∈ D abhängt.

d) Die Dirichlet-Funktion

χQ(x) =

⎧⎨⎩1 : x ∈ Q,

0 : x ∈ R \Q,

ist in jedem Punkt x0 ∈ R unstetig.

Page 40: [Springer-Lehrbuch] Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler || Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

426 5 Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

Beispiel 5.38 Eine Funktion f : I → K, die auf einem Intervall I ⊂ R derLipschitz–Bedingung

|f(x)− f(x0)| ≤ L |x− x0| für alle x, x0 ∈ I, (5.12)

genügt, ist offenbar stetig auf ganz I. Wählen wir δ = δ(ε) := ε/L, so folgtdie Stetigkeitsbedingung (5.10) direkt aus (5.12).

Wir betrachten hier speziell die Funktionen f(x) := sinx und f(x) :=cosx, x ∈ D := R. Aus Beispiel 5.24 erhalten wir | sinx| ≤ |x| für allex ∈ R. Unter Verwendung der Additionstheoreme für trigonometrische Funk-tionen resultiert

sinx− sinx0 = 2 cosx+ x0

2sin

x− x0

2,

cosx− cosx0 = −2 sinx+ x0

2sin

x− x0

2.

Somit folgt für alle x, x0 ∈ R

| sinx− sinx0| ≤ 2

∣∣∣∣sin x− x0

2

∣∣∣∣ ≤ |x− x0|,

| cosx− cosx0| ≤ 2

∣∣∣∣sin x− x0

2

∣∣∣∣ ≤ |x− x0|,

und dies ist die Lipschitz–Bedingung (5.12) mit der Konstanten L = 1.

Wir haben zusammenfassend:

sin und cos sind auf ganz R stetige Funktionen.

f(x) x

1

1 ππ_2

sin x

Graph der Funktion f(x) := sinx

Page 41: [Springer-Lehrbuch] Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler || Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

5.4 Stetigkeit von Funktionen einer reellen Veränderlichen 427

Definition 5.39 Wir fassen zusammen:

1. Eine Funktion f ∈ Abb (R,K) heißt auf dem Intervall I ⊆ DLipschitz–stetig, wenn eine Konstante L ≥ 0 existiert, so dass

|f(x)− f(x0)| ≤ L |x− x0| für alle x, x0 ∈ I. (5.13)

2. f heißt gleichmäßig Lipschitz–stetig, wenn die Bedingung(5.13) auf ganz D gilt. (Das heißt, die Lipschitz–Konstante L hängtnicht von x0 ab.)

Wie wir oben gesehen haben, sind sin und cos gleichmäßig Lipschitz–stetig.Dies gilt nicht für die Funktion f(x) :=

√x, x ∈ D := [0,+∞). Denn für

x, x0 ≥ 0 haben wir

|√x−√x0|2 = x+ x0 − 2√xx0 ≤ x+ x0 − 2

√[min{x, x0}]2 = |x− x0|.

Es folgt |√x−√x0| ≤√|x− x0|, so dass f zwar stetig auf ganz D ist, nicht

aber Lipschitz-stetig.

Merken Sie sich: Lipschitz–Stetigkeit =⇒ Stetigkeit; die umgekehrteImplikation ist i. Allg. falsch.

Beispiel 5.40 Die Signums–Funktion f(x) := signx, x ∈ D := R, ist stetig∀ x0 �= 0, denn außerhalb des Punktes x = 0 ist f konstant. Dagegen gilt imPunkt x0 = 0 der Zusammenhang

f(x0 − 0) = −1 �= f(x0) = 0 �= +1 = f(x0 + 0).

Das bedeutet, dass f bei x0 = 0 einen Sprung der Höhe 2 hat.

Page 42: [Springer-Lehrbuch] Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler || Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

428 5 Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

x

-1

1

f(x)

Die Signums–Funktion

Das letzte Beispiel gibt Anlass für folgende Betrachtungen:

Für Unstetigkeiten einer Funktion f ∈ Abb (R,K) gibt es einige standardi-sierte Typenklassen. Wir setzen nachfolgend wieder f(x0± 0) := lim

x→x0±f(x).

1. Einen Sprung hat f bei x0 ∈ R, wenn beide Funktionenlimites f(x0±0)existieren, wenn jedoch f(x0 − 0) �= f(x0 + 0) gilt, z.B.

f(x) := signx

bei x0 = 0.

2. Eine hebbare Unstetigkeit hat f bei x0 ∈ R, wenn x0 ∈ D, limx→x0

f(x) =

y0 ∈ K und f(x0) �= y0 gelten, z.B.

f(x) := [signx]2

bei x0 = 0, denn limx→0

f(x) = 1 und f(0) = 0.

f(x) f(x)

f(x0) f(x0)

x0x0 D(f)

Hebbare Unstetigkeiten einer Funktion

Page 43: [Springer-Lehrbuch] Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler || Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

5.4 Stetigkeit von Funktionen einer reellen Veränderlichen 429

3. Eine Lücke hat f bei x0 ∈ R, wenn x0 /∈ D, limx→x0

f(x) = y0 ∈ K gelten.

In diesem Fall kann f durch Hinzunahme des Wertes f(x0) := y0 zueiner stetigen Funktion ergänzt werden. Die Funktion f heißt dann in x0

stetig ergänzbar oder stetig fortsetzbar nach x0. Zum Beispiel hatdie Funktion

f(x) :=x2

ex − (1 + x), x ∈ D := R \ {0}

in x0 = 0 den Grenzwert

limx→0

f(x) = limx→0

x2

( ∞∑k=2

xk

k!

)−1

= limx→0

( ∞∑k=2

xk−2

k!

)−1

= 2! = 2.

Das heißt, f ist in x0 = 0 durch f(0) := 2 stetig ergänzbar. Dabei habenwir die Darstellung

ex =∞∑k=0

xk

k!

verwendet.

4. Eine Polstelle hat f bei x0 ∈ R, wenn limx→x0+

|f(x)| = +∞ und/oder

limx→x0−

|f(x)| = +∞ gelten, z.B.

f(x) := 1/√x, x ∈ D := (0,+∞)

hat bei x0 = 0 eine Polstelle.

Definition 5.41 Eine Polstelle x0 der Funktion f heißt Pol der Ord-nung n ∈ N, wenn der Limes

limx→x0

[(x− x0)n f(x)] = y0 ∈ K

existiert, und wenn y0 �= 0 gilt.

So hat die Funktion f(x) := 1sin x bei x0 = 0 einen Pol 1.Ordnung, denn es

gilt ja limx→0

xsin x = 1. Die Funktion f(x) := 1

ex−(1+x) hat bei x0 = 0 einen Pol

2.Ordnung, denn wir hatten eben gesehen, dass limx→0

x2

ex−(1+x) = 2, was wirauch später noch mit den Regeln von l’Hospital belegen werden.

Beispiel 5.42 Rationale Funktionen R(x) := Pn(x)Qm(x) sind in allen Punkten

x0 ∈ {x ∈ R : Qm(x) �= 0} stetig. Die Unstetigkeiten sind entweder Lückenoder Pole der Ordnung k ≤ m.

Page 44: [Springer-Lehrbuch] Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler || Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

430 5 Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

R(x) :=x(x − 2)2(x− 4)3

(x− 1)(x− 3)2(x− 5)3, x ∈ D := R \ {1, 3, 5}.

R ist stetig auf ganz D, und es gilt limx→±∞R(x) = 1. R hat ferner

Pole bei

⎧⎪⎪⎪⎨⎪⎪⎪⎩x0 = 1 : 1. Ordnung,

x0 = 3 : 2. Ordnung,

x0 = 5 : 3. Ordnung,

sowie

Nullstellen bei

⎧⎪⎪⎪⎨⎪⎪⎪⎩x0 = 0 : einfach,

x0 = 2 : zweifach,

x0 = 4 : dreifach.

f(x)

x

1

1 2 3 540

Graph der FunktionR(x) :=

x(x−2)2(x−4)3

(x−1)(x−3)2(x−5)3

Unstetigkeitsstellen, die nicht vom o.g. Typ sind, werden i. Allg. nicht klas-sifiziert. Zu den nicht klassifizierten Beispielen zählt die Funktion f(x) :=1x sin 1

x , die bei x0 = 0 eine oszillierende Polstelle hat. Hingegen ist die Funk-tion f(x) := x sin 1

x bei x0 = 0 stetig ergänzbar durch f(0) = 0, denn

|f(x) − f(x0)| = |x|| sin 1x | ≤ |x| = |x− 0| < ε ∀ 0 < |x− 0| < δ := ε.

Die Stetigkeit der Funktionen f und g vererbt sich auf deren algebraischeVerknüpfungen:

Page 45: [Springer-Lehrbuch] Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler || Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

5.4 Stetigkeit von Funktionen einer reellen Veränderlichen 431

Satz 5.43 Die Funktionen f, g ∈ Abb (R,K) seien im Punkt x0 ∈ Df ∩Dg stetig. Dann sind auch die folgenden Funktionen in x0 stetig:

1. f ± g, f · g, λ f ∀ λ ∈ K,

2.f

g, sofern g(x0) �= 0 gilt.

Dieser Satz folgt unmittelbar aus den Rechenregeln über Grenzwerte.

Satz 5.44 Existiert das Kompositum g ◦ f in x0 ∈ Df , ist ferner dieFunktion f stetig im Punkt x0 und die Funktion g stetig im Punkt f(x0) ∈Dg, so ist auch g ◦ f stetig in x0 ∈ Df .

Beweis. Aus der Stetigkeit von f folgt limx→x0

f(x) = f(x0). Da auch g stetig

ist, muss gelten

limx→x0

g [f(x)] = limf(x)→f(x0)

g [f(x)] = g [f(x0)] .

qed

Merken Sie sich: Bei einer stetigen Funktion g : Dg → K ist dieGrenzwertbildung auf der Menge Dg wie folgt kommutativ:

limx→x0

g [f(x)] = g[ limx→x0

f(x)].

Beispiel 5.45

a) Für jede im Punkte x0 = 1 ∈ Dg stetige Funktion g : Dg → K gilt

limx→0

g

(x

ex − 1

)= g

(limx→0

x

ex − 1

)= g(1).

b) Ist g unstetig, so ist die Grenzwertbildung i. Allg. nicht kommutativ. Seig die Heaviside–Funktion, d.h.

g(x) :=

⎧⎨⎩1 : x ≥ 0,

0 : x < 0.

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432 5 Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

Dann gilt

limx→0−

g(x3) = limx→0−

0 = 0, aber g(

limx→0−

x3)= g(0) = 1.

Wir wenden uns abschließend der Stetigkeit komplexwertiger Funktio-nen zu. Zerlegt man eine komplexwertige Funktion f : D → C mit D ⊂ R injedem Punkt x0 ∈ D in Real– und Imaginärteil, d.h. f(x0) = u(x0) + i v(x0)mit u(x0), v(x0) ∈ R, so ergeben sich zwei reellwertige Funktionen u : D →R, v : D → R. Des Weiteren gilt

|f(x)| =√|u(x)|2 + |v(x)|2 ∀ x ∈ D.

Aus den Ungleichungen

max{|u|, |v|} ≤√|u|2 + |v|2 ≤

√|u|2 + 2|u||v|+ |v|2 = |u|+ |v| (5.14)

erhält man unmittelbar

Satz 5.46 Eine komplexwertige Funktion f = u + i v : D → C mitD ⊂ R ist genau dann im Punkt x0 ∈ D stetig, wenn sowohl Realteilu : D → R als auch Imaginärteil v : D → R in x0 stetig sind.

Beispiel 5.47 Wir beginnen mit einem bekannten Vertreter.

a) Die Funktionf(x) := ei x = cosx+ i sinx

ist stetig auf ganz R, da sowohl Realteil u(x) := cosx als auch Imaginär-teil v(x) := sinx in jedem Punkt x0 ∈ R stetig sind.

b) Die reellwertigen Funktionen

u(x) :=xex

x− 1, x ∈ Du := R \ {1},

v(x) :=sinx

cosx, x ∈ Dv := R \ {(2k + 1)

π

2: k ∈ ZZ}

sind jeweils stetig auf ihren Definitionsbereichen Du bzw. Dv. Wegen desvorangegangenen Satzes ist dann auch die komplexwertige Funktion

f(x) := u(x) + i v(x)

stetig in allen Punkten

x0 ∈ Du ∩Dv = R \ {1, (2k + 1)π

2mit k ∈ ZZ}.

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5.4 Stetigkeit von Funktionen einer reellen Veränderlichen 433

Aufgaben

Aufgabe 5.24. Sei f(x) =√x für x ∈ [0,∞) gegeben.

a) Zeigen Sie mit Hilfe der Grenzwertdefinition die Stetigkeit von f .

b) Zeigen Sie, dass limx→∞ f

(x− 1

x+ 1

)= 1 gilt.

Aufgabe 5.25. Zeigen Sie mit Hilfe der Grenzwertdefinition

a) f(x) =√x2 + 2−√x2 + 1 ist stetig.

b) limx→∞ f(x) = 0.

c) limh→0

(sin(x+ h)− sinx) = 0.

d) g(x) = x sin 1x , x �= 0, ist in x = 0 stetig ergänzbar.

e) Bestimmen Sie limx→∞ g(x).

Aufgabe 5.26. Gegeben sei die Funktion

f(x) =

⎧⎨⎩x4 − 6x2 + 9 : x < 1,

4√x : x ≥ 1.

Zeigen Sie, dass f auf ganz R stetig ist und berechnen Sie die Nullstellenvon f .

Aufgabe 5.27. Sei f : D → R, D = (12 ,∞) gegeben durch

f(x) =

⎧⎪⎪⎪⎨⎪⎪⎪⎩5 + tan(πx) : x ∈ ( 12 , 1),

x2 + 2x+ 2 : x ∈ [1, 3),

17x : x ∈ [3,∞).

Für welche x ∈ D ist f stetig?

Aufgabe 5.28. Überprüfen Sie die nachfolgenden Funktionen auf Stetigkeit:

a) f : (0,∞)→ R, f(x) =√2 x4 − 25 +

2 + 3x− x2

2x3· √x.

b) g : (−13, 11)→ R, g(x) =

⎧⎪⎪⎪⎨⎪⎪⎪⎩x− 1 : x < 1,

32 (x− 1) : x ∈ [1, 3],

tan2(π3

): x > 3.

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434 5 Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

Aufgabe 5.29. Es sei

f(x) =

⎧⎪⎪⎪⎨⎪⎪⎪⎩−2 sinx : x ≤ −π

2 ,

a sinx+ b : |x| < π2 ,

cosx : x ≥ π2 .

Bestimmen Sie a, b ∈ R so, dass f stetig ist. Skizzieren Sie das Bild von f .

Aufgabe 5.30. Wie groß darf δ > 0 gewählt werden, damit aus |x− x0| < δdie Beziehung

| sinx− sinx0| < ε

folgt? Ist es möglich, δ > 0 unabhängig von x0 zu wählen?

Aufgabe 5.31. Untersuchen Sie, ob die nachfolgenden Funktionen im Null-punkt stetig fortsetzbar sind:

a) f(x) =x

|x| , b) f(x) =x2

|x| .

Aufgabe 5.32. Ist die Summe der Funktionen f(x) + g(x) der Funktionenf, g : R→ R im Punkt x0 ∈ R notwendigerweise unstetig, falls

a) f stetig und g in x0 unstetig ist,

b) beide Funktionen in x0 unstetig sind?

Aufgabe 5.33. Ist f : [0,∞) → R, f(x) = x5/2 auf dem angegebenenDefinitionsbereich Lipschitz-stetig?

5.5 Eigenschaften stetiger Funktionen

In diesem Abschnitt werden Eigenschaften stetiger Funktionen zusammenge-stellt, die grundlegend für die Analysis sind. Eine erste Eigenschaft stetigerFunktionen ist ihre Beschränktheit auf abgeschlossenen Intervallen.

Satz 5.48 Es sei f ∈ Abb (R,K) eine auf dem abgeschlossenen Intervall[a, b] ⊂ R stetige Funktion. Dann ist f beschränkt, d.h.

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5.5 Eigenschaften stetiger Funktionen 435

∃ K ∈ R : |f(x)| ≤ K ∀ x ∈ [a, b]. (5.15)

Für reellwertige stetige Funktionen f : [a, b]→ R ist also die Bildmengef([a, b]) ⊂ R beschränkt.

Beweisidee. Wir nehmen das Gegenteil von (5.15) an, dass nämlich für allen ∈ N ein xn ∈ [a, b] existiert mit

|f(xn)| > n. (5.16)

Die beschränkte Folge (xn)n∈N ⊂ [a, b] hat nach dem Satz von Bolzano–Weierstrass (Satz 3.29) mindestens einen Häufungspunkt x0 ∈ [a, b]. Füreine Teilfolge N

′ ⊂ N gilt limj∈N′

xj = x0, und wegen der Stetigkeit von f auch

limj∈N′

f(xj) = f(x0). Diese Aussage steht im Widerspruch zu (5.16), wonach

limj∈N′

|f(xj)| ≥ limj∈N′

j = +∞ gilt. Also muss (5.16) falsch sein. qed

Beachten Sie: Aussage (5.15) wird i. Allg. falsch, wenn f zwar stetig, dasDefinitionsintervall aber nicht abgeschlossen ist. Dies ist z.B. der Fall bei

f(x) :=1

x∀ x ∈ (0, 1].

Aussage (5.15) gilt auch nicht, wenn die Funktion f : [a, b]→ K unstetig ist,wie z.B. bei

f(x) :=

⎧⎨⎩ 1x : x ∈ (0, 1],

0 : x = 0.

xa b

Graph der Funktionf(0) := 0, f(x) := 1

x, x > 0

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436 5 Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

Das Supremumsprinzip (siehe Folgerung 1.67) führt uns auf den nachfolgen-den Extremalsatz:

Satz 5.49 (Extremalsatz) Gegeben sei eine stetige Funktion f :[a, b] → R. Dann nimmt die Funktion f das Maximum und das Mini-mum ihrer Funktionswerte jeweils in einem Punkt des Intervalls [a, b]an, d.h., es existieren x, x ∈ [a, b] mit

f(x) = minx∈[a,b]

f(x), f(x) = maxx∈[a,b]

f(x). (5.17)

Demgemäß gilt f(x) ≤ f(x) ≤ f(x) für alle x ∈ [a, b].

Beweisidee. Das Supremumsprinzip sichert die Existenz der Zahl K :=sup f([a, b]), d.h., für alle ε > 0 existiert ein x ∈ [a, b] mit

K − f(x) < ε, (5.18)

Wir zeigen hiermit die Existenz eines Punktes x ∈ [a, b] mit f(x) = K.Wäre nämlich f(x) < K für alle x ∈ [a, b], so wäre die Funktion g(x) :=[K − f(x)]−1 auf ganz [a, b] stetig, dort positiv und gemäß (5.15) beschränkt

0 < g(x) ≤ L für alle x ∈ [a, b].

Wird jedoch in (5.18) die Zahl ε > 0 gemäß ε := 1/2L gewählt, so existiertdazu ein x ∈ [a, b] mit 2L < 1/(K − f(x)) = g(x), im Widerspruch zurBeschränktheit von g. Mit ähnlicher Schlussweise kann auch die Existenzeiner Zahl x ∈ [a, b] gezeigt werden, so dass f(x) = inf f([a, b]) gilt. qed

Bemerkung 5.50 Zu beachten sind folgende Aussagen:

1. Die Extremalstellen x, x ∈ [a, b] müssen nicht eindeutig festgelegt sein,obiger Satz 5.49 bekräftigt lediglich die Existenz mindestens eines solchenPunktes.

2. Die Aussage des Satzes 5.49 wird i.Allg. falsch, wenn f nur im offenenIntervall (a, b) stetig oder gar unstetig auf [a, b] ist.

3. Bei komplexwertigen Funktionen, kann obiger Satz auf deren Betrag an-gewandt werden.

Beispiel 5.51 Nachfolgende Funktionen belegen Bemerkung 5.50:

a) Die Funktion f(x) := cosx nimmt im Intervall [−nπ, nπ] ihr Maximumin den Punkten xj := 2πj an, und ihr Minimum in den Punkten xj :=(2j + 1)π, j ∈ ZZ0.

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5.5 Eigenschaften stetiger Funktionen 437

f(x)

x

1

-π πx_

x_x_-1

x und x sind i. Allg. nicht eindeutig

b) Die unstetige Funktion

f(x) :=

⎧⎨⎩x : x ∈ (−1,+1),

0 : x = ±1.

hat weder ein Minimum noch ein Maximum.

f(x)

x

1

1

-1

Ist f unstetig, so existieren i. Allg.max f(x) und min f(x) nicht

c) Der Betrag der komplexwertigen Funktion f(x) := (x2 − 1) + 2ix istgegeben durch

|f(x)| =√

(x2 − 1)2 + 4x2 = x2 + 1.

Auf dem Intervall [−1,+1] gilt deshalb

|f(x)| = |f(0)| = 1, |f(x)| = |f(±1)| = 2.

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438 5 Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

Eine anschaulich völlig klare Aussage wird in dem folgenden Satz formuliert:

Satz 5.52 Es sei f ∈ Abb (D,R), D ⊂ R, eine im Punkt x0 ∈ D stetigeFunktion. Es gelte f(x0) > g ∈ R, dann existiert ein δ > 0, so dass

f(x) > g für alle x ∈ D mit 0 < |x− x0| < δ (5.19)

gilt.

Beweisidee. Angenommen 5.19 ist falsch, so wäre im Gegensatz

∀ n ∈ N ∃ xn ∈ D : f(xn) ≤ g und 0 < |xn − x0| < 1

n

wahr. Wir hätten limn→∞ xn = x0, und wegen der Stetigkeit von f bei x0 folgte

g ≥ limn→∞ f(xn) = f(x0), im Widerspruch zur Voraussetzung f(x0) > g. qed

f(x)

x

g

x0 - δ x0 + δx0

Aussage 5.19 anschaulich

Bemerkung 5.53 Satz 5.52 gilt auch entsprechend für den Fall f(x0) < g,x0 ∈ D.

Diese Formulierung entspricht der Weisheit: „Wer stetig wächst und nochnicht an die Decke stößt, kann ohne anzustoßen noch ein bisschen weiter-wachsen“.

Eine unmittelbare Folgerung aus Satz 5.52 ist der fundamentale

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5.5 Eigenschaften stetiger Funktionen 439

Satz 5.54 (Nullstellensatz von Bolzano) Für eine stetige Funkti-on f : [a, b]→ R gelte f(a)f(b) < 0 (d.h. entweder gilt f(a) < 0, f(b) >0 oder f(a) > 0, f(b) < 0). Dann besitzt f im offenen Intervall (a, b)mindestens eine Nullstelle f(x0) = 0 für (mindestens) ein x0 ∈ (a, b).

Beweisidee. Wir nehmen ohne Beschränkung der Allgemeinheit f(a) <0, f(b) > 0 an und setzen M := {x ∈ [a, b] : f(x) < 0} ⊂ [a, b]. Dann ist dieM beschränkt und wegen a ∈ M nichtleer. Also existiert nach dem Supre-mumsprinzip (Satz 5.49) die Zahl x0 := supM ∈ [a, b]. Wäre f(x0) < 0,so gäbe es gemäß Satz 5.52 ein Intervall I := (x0, x0 + δ) ⊂ [a, b] mitf(x) < 0 ∀ x ∈ I. Dies wäre ein Widerspruch zu x0 = supM . Also mussf(x0) = 0 gelten und somit auch a �= x0 �= b. qed

f(x)

xa

bx0

Zum Nullstellensatz von Bolzano

Bemerkung 5.55 Wir halten fest:

1. Die Nullstelle x0 ∈ (a, b) ist i. Allg. nicht eindeutig definiert.

2. Für unstetige Funktionen ist der Nullstellensatz i. Allg. falsch.

3. Es ist wichtig, dass die Menge [a, b] ein kontinuierliches Teilintervall vonR ist. Satz 5.54 gilt z.B. nicht auf der Menge [a, b] ⊂ Q. Der Beweisdes Satzes beruht auf dem Supremumsprinzip und somit auf der Voll-ständigkeit von R.

Beispiel 5.56 Nachfolgende Funktionen belegen Bemerkung 5.54:

a) Es sei h die Heaviside–Funktion. Dann erfüllt die Funktion

f(x) := h(x) − 1

2, x ∈ [−1,+1]

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440 5 Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

zwar die Bedingung f(−1)f(+1) < 0, sie hat dennoch im Intervall(−1,+1) keine Nullstellen.

x

-1

1

12_

12_-

f(x)

f(a)f(b) < 0, und f(x) �= 0 in (a,b)

b) Die Funktion f(x) := 2(x2 − 2), x ∈ [0, 2] ∩Q, erfüllt

f(0) · f(2) = −16 < 0,

während f(x0) = 0 genau für x0 =√2 /∈ Q gilt.

c) Jedes Polynom Pn(x) =n∑

k=0

akxk, ak ∈ R, an �= 0, von ungeradem

Grade n = 2m + 1, m ∈ N, besitzt mindestens eine reelle Nullstelle.Denn es gilt

limx→±∞Pn(x) = ±∞ · signan.

Eine Verallgemeinerung des Nullstellensatzes ist der folgende

Satz 5.57 (Zwischenwertsatz von Bolzano) Eine stetige Funkti-on f : [a, b] → R nimmt jeden Wert des Intervalls zwischen f(a) undf(b) mindenstens einmal an.

Beweisidee. Für f(a) = f(b) ist nichts zu beweisen. Gelte also f(a) �= f(b),und sei g ein Punkt aus dem offenen Intervall zwischen f(a) und f(b). Dannfolgt (f(a)−g)(f(b)−g) < 0. Das heißt, die Funktion ϕ(x) := f(x)−g erfülltdie Voraussetzungen zum Nullstellensatz. Demgemäß existiert ein x0 ∈ (a, b)mit ϕ(x0) = 0 = f(x0)− g. qed

Page 55: [Springer-Lehrbuch] Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler || Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

5.5 Eigenschaften stetiger Funktionen 441

f(x)

xa

b

x0

f(a)

f(b)

g

Zum Zwischenwertsatz von Bolzano

Merken Sie sich: Das Bild eines abgeschlossenen Intervalls [a, b] untereiner stetigen reellwertigen Funktion f ist das abgeschlossene Intervall[

minx∈[a,b]

f(x), maxx∈[a,b]

f(x)

].

Beispiel 5.58

a) Ein Auto fährt eine Strecke von 400 km ohne Stop in genau 5 Stunden(was einer Durchschnittsgeschwindigkeit von v = 80 km/h entspricht).Gibt es einen zusammenhängenden Zeitabschnitt von exakt 1 h, in wel-chem das Auto eine Strecke von genau 80 km gefahren ist?

Die Antwort lautet Ja. Wir begründen sie mit dem Zwischenwertsatz vonBolzano. Dazu bezeichne x(t) (in km) die Strecke, die das Auto in derZeit 0 ≤ t ≤ 5 (in Stunden) zurückgelegt hat. Die Funktion

f(t) := x(t+ 1)− x(t), t ∈ [0, 4],

ist stetig und reellwertig. Wäre nun f(t) < 80 ∀ t ∈ [0, 4], so hätte dasAuto in keinem Zeitabschnitt von 1 h eine Strecke von mindestens 80 kmzurückgelegt. Somit kann das Auto auch nicht die Gesamtstrecke in derZeit von 5 h zurückgelegt haben. Zu einem ähnlichen Widerspruch gelangtman mit der Annahme f(t) > 80 ∀ t ∈ [0, 4]. Also muss es Zeiten a, b ∈[0, 4] geben mit f(a) ≥ 80 und f(b) ≤ 80. Aus dem Zwischenwertsatzfolgern wir nun

∃ t0 ∈ [0, 4] : f(t0) = 80.

b) Die Stetigkeit ist lediglich eine hinreichende Bedingung für die Gültig-keit des Zwischenwertsatzes. Für x ∈ [0, 1] ist die Funktion

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442 5 Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

f(x) :=

⎧⎨⎩ x : x rational,

1− x : x irrational

nur im Punkte x0 := 12 stetig. Dennoch nimmt f jeden Wert zwischen

dem Minimum f(0) = 0 und dem Maximum f(1) = 1 an.

In Satz 5.36 haben wir gesehen, dass die Zahl δ > 0 in der ε − δ-Definitionder Stetigkeit i. Allg. nicht nur von der Wahl der Zahl ε > 0 abhängt, son-dern auch von der Stelle x0 ∈ D, in welcher die Stetigkeit einer Funktion fnachzuweisen ist. In einigen Sonderfällen kann die Zahl δ > 0 unabängigvon der Stelle x0 ∈ D gewählt werden. Solche Funktionen heißen gleichmäßigstetig.

Definition 5.59 Eine Funktion f ∈ Abb (R,K) heißt auf D ⊂ R

gleichmäßig stetig, wenn für alle ε > 0 ein δ = δ(ε) > 0, so dass

|f(x)− f(y)| < ε für alle x, y ∈ D mit 0 < |x− y| < δ. (5.20)

Beispiel 5.60

a) Die Funktion

f(x) :=1

1 + |x| , x ∈ D := R

ist gleichmäßig stetig. Denn für festes ε > 0 können wir δ(ε) := εunabhängig von x ∈ D wählen. Es gilt nämlich für alle x, y ∈ R mit0 < |x− y| < δ, dass

|f(x)− f(y)| =∣∣∣∣ 1 + |y| − 1− |x|(1 + |x|)(1 + |y|)

∣∣∣∣ ≤ ||x| − |y|| ≤ |x− y| < δ = ε.

b) Im Gegensatz dazu ist die Funktion

f(x) :=1

x, x ∈ D := (0,+∞)

zwar stetig, aber nicht gleichmäßig stetig. Für die spezielle Wahl ε := 1fixieren wir δ = δ(ε) und dazu

x :=1

n, y :=

1

n2

für 1� n ∈ N so, dass 0 < |x− y| = 1n (1− 1

n ) < δ gilt. Dann folgt

|f(x) − f(y)| = n(n− 1), 1 = ε,

Page 57: [Springer-Lehrbuch] Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler || Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

5.5 Eigenschaften stetiger Funktionen 443

im Widerspruch zur Bedingung (5.20) der gleichmäßigen Stetigkeit.

Jede gleichmäßig stetige Funktion ist insbesondere stetig. Die Umkehrungdieser Aussage ist i. Allg. falsch. Umso bemerkenswerter ist das folgendeResultat:

Satz 5.61 Eine stetige Funktion f : [a, b]→ R ist auf dem abgeschlos-senen Intervall [a, b] ⊂ R sogar gleichmäßig stetig.

Beweis. Wir nehmen das Gegenteil der Bedingung (5.20) an, d.h., es existiereein ε0 > 0, so dass für n ∈ N Folgen xn, yn ∈ [a, b] existieren mit

|f(xn)− f(yn)| ≥ ε0 und |xn − yn| < 1

n.

Da die Folge (xn)n∈N ⊂ [a, b] beschränkt ist, besitzt sie nach dem Satz 3.29von Bolzano–Weierstrass mindestens einen Häufungspunkt. Zu einerTeilfolge N

′ ⊂ N existiert ein Grenzwert x0 ∈ [a, b] mit limj∈N′

xj = x0. Nun

gilt offenbar auch limj∈N′

yj = x0. Aus der Stetigkeit von f folgt im Wider-

spruch zur obigen Bedingung

0 < ε0 ≤ | limj∈N′

[f(xj)− f(yj)]| = |f(x0)− f(x0)| = 0.

qed

Beispiel 5.62 Gemäß vorangegangenem Beispiel ist die Funktion f(x) :=1x , x ∈ D := (0,+∞) stetig, aber nichtgleichmäßig stetig.

Fixieren wir jedoch a, b ∈ R mit 0 < a < b < +∞, so gilt [a, b] ⊂ D, und mitδ(ε) := εa2 folgt für jedes Zahlenpaar x, y ∈ [a, b], 0 < |x− y| < δ, dass

|f(x)− f(y)| = |x− y||xy| ≤ |x− y|

a2<

δ

a2= ε,

gleichbedeutend mit der gleichmäßigen Stetigkeit auf dem abgeschlossenen In-tervall [a, b].

Aufgaben

Aufgabe 5.34. Die Funktion f besitze in einer Umgebung des Punktes x0 ∈R folgende Eigenschaft:

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444 5 Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

Für eine beliebige, hinreichend kleine Zahl δ > 0 existiert eine Zahl ε =ε(δ, x0) > 0 derart, dass sich aus |x−x0| < δ die Beziehung |f(x)−f(x0)| < εergibt.

a) Ist f in x0 stetig?

b) Welche Eigenschaft von f wird beschrieben?

Aufgabe 5.35. Sei f : R → R. Darf aus der Existenz des Grenzwerteslimh→0

f(x0+h)−f(x0)h die Stetigkeit in x0 ∈ R gefolgert werden? Was lässt sich

über die umgekehrte Implikation aussagen?

Aufgabe 5.36. Sei f : R → R. Darf aus limh→0

[f(x + h) − f(x − h)] = 0 füralle x ∈ R die Stetigkeit auf ganz R gefolgert werden?

Aufgabe 5.37. Sei f : [a, b]→ [a, b] eine stetige Funktion. Zeigen Sie, dasses dann ein ξ ∈ [a, b] gibt, mit der Eigenschaft ξ = f(ξ).

Aufgabe 5.38. Die Funktion f : [0, 1] → R sei stetig mit der Eigenschaftf(0) = f(1). Zeigen Sie, dass dann ein ξ ∈ [0, 12 ] existiert mit f(ξ) = f(ξ+ 1

2 ).

Aufgabe 5.39. Gegeben sei das Polynom P (x) = x5 +2x3− x2− 2 auf demabgeschlossenen Intervall I = [−2, 2].

a) a. Ist P auf I stetig?

b. Ist P auf I beschränkt?

c. Hat P auf I ein Minimumum bzw. ein Maximum?

b) Berechnen Sie zur Wiederholung P (−2) und P (2) mit dem Horner-Schema.

c) a. Zeigen Sie, dass P in I mindestens eine Nullstelle hat.

b. Begründen Sie, dass die Gleichung P (x) = −1 mindestens eine Lö-sung x0 ∈ [0, 2] hat.

Aufgabe 5.40. Zeigen Sie, dass f(x) =√x auf dem Intervall I = [0,∞)

gleichmäßig stetig ist.

Aufgabe 5.41. Sei n ∈ N mit n ≥ 2. Zeigen Sie, dass die Funktion f(x) =n√x gleichmäßig stetig, jedoch nicht Lipschitz-stetig ist.

Aufgabe 5.42. Eine Schnecke kriecht eine Strecke von S > 0 Metern in einerZeit von T > 0 Stunden. Zeigen Sie, dass es für jede natürliche Zahl n einenzusammenhängenden Zeitabschnitt von T/n Stunden gibt, in welchem dieSchnecke genau S/n Meter zurücklegt. Zeigen Sie durch ein Gegenbeispiel,dass diese Behauptung für gebrochene Zahlen n i. Allg. falsch ist.

Page 59: [Springer-Lehrbuch] Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler || Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

5.6 Monotone Funktionen, Umkehrfunktionen 445

5.6 Monotone Funktionen, Umkehrfunktionen

Da R ein angeordneter Körper ist, kann für reellwertige Funktionen einMonotonie-Begriff eingeführt werden.

Definition 5.63 Seien eine reellwertige Funktion f ∈ Abb (R,R) mitDefinitionsbereich D ⊂ R und ein Intervall I ⊆ D gegeben. Die Funktionf heißt auf I (streng) monoton wachsend (monoton ↑), wenn gilt

f(x)− f(y) ≥ 0 (bzw. > 0) für alle x, y ∈ I mit x > y. (5.21)

Die Funktion f heißt auf I (streng) monoton fallend (monoton ↓),wenn gilt

f(x)− f(y) ≤ 0 (bzw. < 0) für alle x, y ∈ I mit x > y. (5.22)

Bemerkung 5.64 Gleichwertig mit (5.21) und (5.22) sind folgende Be-dingungen:

1. [f(x)− f(y)](x− y) ≥ 0 (bzw. > 0) für alle x, y ∈ I mit x �= y,

2. [f(x)− f(y)](x− y) ≤ 0 (bzw. < 0) für alle x, y ∈ I mit x �= y.

f(x)

x

Graph einer (nicht streng) monotonwachsenden Funktion

Page 60: [Springer-Lehrbuch] Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler || Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

446 5 Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

f(x)

x

Graph einer streng monoton wachsendenFunktion

Beispiel 5.65 a) Die Funktion

f(x) := ex ist auf R streng monoton ↑.

Denn für jedes Zahlenpaar x, y ∈ R mit x− y > 0 gilt

ex − ey = ey (ex−y − 1) = ey∞∑k=1

(x− y)k

k!> ey · (x− y) > 0.

Analog zeigt man, dass die Funktion f(x) := e−x auf R streng mono-ton ↓ ist.

b) Ist f ∈ Abb (R,R) nicht auf dem gesamten Definitionsbereich D mo-noton, so kann D häufig in Monotonie-Intervalle zerlegt werden, aufdenen dann f monoton ist.

Dazu betrachten wir die Funktion

f(x) := sinx, x ∈ D := R.

a. Wir zeigen, dass f auf dem Intervall I0 := [−π2 ,+

π2 ] streng mo-

noton ↑ ist. Denn für jedes Zahlenpaar x, y ∈ I0 mit x − y > 0gilt

−π

2<

x+ y

2< +

π

2sowie 0 <

x− y

2≤ π

2,

so dass

sinx− sin y = 2 cos

(x+ y

2

)︸ ︷︷ ︸

>0

sin

(x− y

2

)︸ ︷︷ ︸

>0

> 0.

Page 61: [Springer-Lehrbuch] Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler || Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

5.6 Monotone Funktionen, Umkehrfunktionen 447

x

1

- 3π2_π

2_

π2_

sin x

Monotonie-Intervalle der Funktion sinx

b. Auf dem Intervall I0 := [π2 ,3π2 ] ist f(x) := sinx streng monoton ↓.

Denn für jedes Zahlenpaar x, y ∈ I0 mit x− y > 0 gilt

π

2<

x+ y

2<

2sowie 0 <

x− y

2≤ π

2,

so dass

sinx− sin y = 2 cos

(x+ y

2

)︸ ︷︷ ︸

<0

sin

(x− y

2

)︸ ︷︷ ︸

>0

< 0.

Da sin periodisch ist mit der Periode 2π, wiederholen sich die Monotonie-Intervalle I0 und I0 bei Verschiebung um 2πk, k ∈ ZZ, insgesamt also füralle n ∈ ZZ

sinx ist

⎧⎪⎪⎨⎪⎪⎩streng monoton ↑ x ∈ In :=

[4n− 1

2π,

4n+ 1

],

streng monoton ↓ x ∈ In :=

[4n+ 1

2π,

4n+ 3

].

Analog ergibt sich

cosx ist

⎧⎪⎨⎪⎩streng monoton ↑ x ∈ In := [(2n+ 1)π, (2n+ 2)π],

streng monoton ↓ x ∈ In := [2nπ, (2n+ 1)π].

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448 5 Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

c) Wir betrachten die Funktion

f(x) := xn, x ∈ D := R, n ∈ N.

Wir zeigen

xn ist auf

⎧⎪⎪⎪⎪⎨⎪⎪⎪⎪⎩I0 := [0,+∞) streng monoton ↑ : n ∈ N,

I0 := (−∞, 0] streng monoton ↑ : n ungerade,

I0 := (−∞, 0] streng monoton ↓ : n gerade.

a. Für jedes Zahlenpaar x, y ∈ I0 mit x− y > 0 gilt

xn − yn = (x− y + y)n − yn =

n∑k=1

(n

k

)(x− y)k︸ ︷︷ ︸

>0

yn−k︸ ︷︷ ︸≥0

> 0.

Die strikte Ungleichung folgt aus yn−k = 1 für k = n.

b. Für jedes Zahlenpaar x, y ∈ I0 mit x − y > 0 gilt |y| − |x| > 0 undfolglich

(−1)n[xn − yn] = −(|y|n − |x|n) = −n∑

k=1

(n

k

)(|y| − |x|)k︸ ︷︷ ︸

>0

|x|n−k︸ ︷︷ ︸≥0

< 0.

Die strikte Ungleichung folgt aus |x|n−k = 1 für k = n.

Ist eine Funktion f bijektiv, so existiert die Umkehrfunktion f−1. Dieser Zu-sammenhang wurde bereits ausführlich erörtert. Das Nachprüfen der Bijek-tivität erweist sich in vielen Fällen als äußerst schwierig. Anders bei stetigenFunktionen f : [a, b] → R, die streng monoton sind. Eine solche Funktionnimmt die Extremalwerte

minx∈[a,b]

f(x) und maxx∈[a,b]

f(x)

jeweils in einem der beiden Endpunkte a, b des Intervalls [a, b] an. Somit wird[a, b] durch die Funktion f surjektiv auf das Intervall mit den Endpunktenf(a), f(b) abgebildet. Wir zeigen, dass f sogar bijektiv ist.

Page 63: [Springer-Lehrbuch] Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler || Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

5.6 Monotone Funktionen, Umkehrfunktionen 449

Satz 5.66 (Umkehrsatz für streng monotone Funktionen) DieFunktion f : [a, b] → R sei stetig und streng monoton. Dann existiertdie Umkehrfunktion f−1 auf der Bildmenge f([a, b]), und es gilt

f : [a, b] → R streng monoton ↑=⇒ f−1 : [f(a), f(b)]→ R streng monoton ↑,

f : [a, b] → R streng monoton ↓=⇒ f−1 : [f(b), f(a)]→ R streng monoton ↓.

Darüber hinaus ist f−1 auch stetig.

Beweis.

1. Die Funktion f sei ohne Beschränkung der Allgemeinheit streng mono-ton wachsend. Dann gilt x > y ⇐⇒ f(x) > f(y) für jedes Zahlenpaarx, y ∈ [a, b]. Das heißt, f ist injektiv, und die Surjektivität hatten wirschon im Vorspann begründet.

2. Um die Stetigkeit von f−1 zu zeigen, sei z0 ∈ [f(a), f(b)) fest gewählt.Wir weisen die rechtsseitige Stetigkeit von f−1 in z0 nach. Ganz ana-log verfährt man mit dem Nachweis der linksseitigen Stetigkeit in jedemPunkt z0 ∈ (f(a), f(b)]. Es gelte nun f(x0) = z0, und es sei ε > 0 fest.Dann existiert eine Zahl x1 ∈ (a, b) mit a ≤ x0 < x1 < x0+ ε ≤ b. Wegender Monotonie von f gibt es ein δ > 0 derart, dass z1 := f(x1) = z0 + δgilt. Wir folgern

x0 = f−1(z0) < f−1(z) < f−1(z0) + ε︸ ︷︷ ︸⇐⇒ 0<f−1(z)−f−1(z0)<ε

∀ z mit z0 < z < z0 + δ.

Dies ist die rechtsseitige Stetigkeit im Punkte z0.

qed

Bemerkung 5.67 Wir formulieren einige Ergänzungen zum Satz über Um-kehrfunktionen:

1. Die Existenz der Umkehrabbildung f−1 unter der Voraussetzung derstrengen Monotonie ist auch dann noch gewährleistet, wenn auf die Ste-tigkeit von f verzichtet wird. Die Bildmenge f([a, b]) wird dann allerdings

Page 64: [Springer-Lehrbuch] Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler || Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

450 5 Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

kein Intervall mehr sein, sondern in eine Vereinigung paarweise disjunk-ter Intervalle zerfallen.

2. Bei stetigen Funktionen f ist die strenge Monotonie sogar notwendig fürdie Injektivität. Anderenfalls gäbe es Punkte ξ < x < η mit f(ξ) < f(x) >f(η) > f(ξ). Der Zwischenwertsatz 5.57 sichert nun die Existenz einesPunktes x0 ∈ (ξ, x) mit f(x0) = f(η), im Widerspruch zur Injektivität,wonach x0 = η gelten müsste.

Bei unstetigen Funktionen f ist diese Schlussweise i. Allg. falsch.

f(η)

f(x)

ηxx0

Eine stetige, nicht monotoneFunktion f ist i. Allg. nicht injektiv

f(x)

x

Eine nicht monotone Funktion f kanninjektiv sein, wenn f unstetig ist

Bemerkung 5.68 Der Graph der Umkehrfunktion f−1, nämlich

G(f−1) = {(y, x) ∈ R2 : x = f−1(y), y ∈ f([a, b])},

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5.6 Monotone Funktionen, Umkehrfunktionen 451

geht aus dem Graphen G(f) := {(x, y) ∈ R2 : y = f(x), x ∈ [a, b]} der Funk-

tion f : [a, b] → R durch Spiegelung an der Geraden y = x hervor. DieserSachverhalt resultiert aus der geometrischen Anschauung unter Berücksich-tigung der Identität f−1[f(x)] = x ∀ x ∈ [a, b].

f(x) xx

x

y y=x

f

f-1

f-1(f(x))

Der Graph der Umkehrabbildungentsteht durch Spiegelung an der

Winkelhalbierenden

f(x)

x1

1

ex

ln x

Der Logarithmus als Umkehrfunktionder Exponentialfunktion

In den nächsten Abschnitten stellen wir die Inversen gewisser Standardfunk-tionen zusammen und diskutieren deren wichtigste Eigenschaften.

Aufgaben

Aufgabe 5.43. Untersuchen Sie die Funktionen

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452 5 Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

f1 : R→ R, x �→ 3x+ 29, f2 : R→ R, x �→ 3x+ 29,

f3 : ZZ→ ZZ, x �→ x2, f4 : ZZ→ N0, x �→ x2.

auf Surjektivität, Injektivität und Bijektivität. Formulieren Sie im Falle derExistenz auch die Umkehrfunktionen.

Aufgabe 5.44. Sei f : A → B gegeben durch f(x) = sinx, A,B ⊆ R.Wählen Sie die Mengen A und B so, dass

a) f injektiv und nicht surjektiv,

b) f surjektiv und nicht injektiv,

c) f bijektiv ist.

Aufgabe 5.45. Seien f : R → R und g : R → R monoton wachsendeAbbildungen und h : R → R eine monoton fallende Abbildung. WelchesMonotonieverhalten haben die Funktionen

f ◦ g, g ◦ h und f ◦ g ◦ h?

Aufgabe 5.46. Wir betrachten die sog. gebrochen lineare Funktion

f(x) =ax+ b

cx+ d, a, b, c, d ∈ R mit ad− cd �= 0.

a) Bestimen Sie den Definitionsbereich D ⊂ R und den Wertebereich W ⊂R.

b) Zeigen Sie, dass f auf D eine Umkehrfunktion f−1 besitzt.

c) Zeigen Sie, dass f−1 ebenfalls eine gebrochen lineare Funktion ist.

d) Unter welchen Bedingungen stimmen f und f−1 überein?

Aufgabe 5.47. Sei f : (0,∞)→ R gegeben durch f(x) = x+ 1x .

a) Bestimmen Sie ein größtmögliches a > 0 derart, dass f auf (0, a] inver-tierbar ist.

b) Geben Sie die Inverse f−1 an.

c) Ist f auf [a,∞) ebenfalls invertierbar? Falls ja, geben Sie auch hierfür dieInverse an.

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5.7 Umkehrung der Exponentialfunktion – Logarithmus 453

5.7 Umkehrung der Exponentialfunktion – Logarithmus

Die Exponentialfunktion f(x) := ex, x ∈ D := R, ist – wie bereits gezeigtwurde – auf ganz R streng monoton wachsend. Da f außerdem stetig ist,existiert gemäß Satz 5.66 die Umkehrfunktion f−1 als stetige Funktion aufder Bildmenge f(R) = (0,+∞).

Definition 5.69 Die Umkehrabbildung der Exponentialfunktion exp :R → (0,+∞) heißt der natürliche Logarithmus, bezeichnet mitln : (0,+∞)→ R.

Die Basiseigenschaften des Logarithmus können unmittelbar aus bekann-ten Eigenschaften der Exponentialfunktion abgeleitet werden. Hierzu zählenWachstumseigenschaften, denen die folgende Eigenschaft der Exponential-funktion zugrunde liegt:

limx→+∞

xn

ex= 0 ∀ n ∈ N. (5.23)

Mit anderen Worten, ex wächst für x→ +∞ schneller als jede Potenz von x.

Denn für x > 0 gilt ex =∞∑k=0

xk

k! > xn+1

(n+1)! . Hieraus folgt

0 < xne−x <(n+ 1)!

x→ 0 für x→ +∞.

Satz 5.70 Der natürliche Logarithmus ln : (0,+∞)→ R ist eine stetige,streng monoton wachsende Funktion mit folgenden Eigenschaften:

1. ln(ex) = x ∀ x ∈ R, eln y = y ∀ y > 0.

2. ln 1 = 0, limx→0+

lnx = −∞, limx→+∞ lnx = +∞.

3. ln(xy) = lnx+ ln y ∀ x, y > 0 (Funktionalgleichung).

4. ln(xα) = α lnx ∀ x > 0, α ∈ R.

5. limx→+∞

lnx

xn= 0, lim

x→0+xn lnx = 0 ∀ n ∈ N. Mit anderen Worten,

lnx wächst für x→ +∞ schwächer als jede Potenz von x.

Page 68: [Springer-Lehrbuch] Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler || Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

454 5 Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

Beweis.

1. Dies resultiert aus der Definition der Umkehrabbildung.

2. Aus e0 = 1 folgt sofort 0 = ln(e0) = ln 1; die restlichen Behauptungenergeben sich aus lim

x→+∞ ex = +∞ und limx→−∞ ex = 0+.

3. Wir setzen ξ := lnx und η := ln y, so gelten x = eξ, y = eη, und es folgt

ln(xy) = ln(eξ eη) = ln(eξ+η) = ξ + η = lnx+ ln y.

4. Wir setzen wieder ξ := lnx, d.h. x = eξ.Daraus ergibt sich

ln (xα) = ln(eαξ

)= αξ = α lnx.

5. Wir setzen y := lnx. Aus x→ +∞ folgt nun y → +∞, und aus x→ 0+folgt ebenso y → −∞. Hiermit resultiert unter Verwendung von (5.23):

lnx

xn=

y

eny→ 0 (y → +∞), xn lnx = y eny =

y

e−ny→ 0 (y → −∞).

qed

Die allgemeine Exponentialfunktion und der dazugehörige allgemeineLogarithmus lassen sich mit Hilfe der Exponentialfunktion und des natür-lichen Logarithmus erklären.

Definition 5.71 Für eine feste Zahl a > 0 sei die allgemeine Expo-nentialfunktion f : R → (0,+∞), x �→ f(x) := ax durch die folgendeVorschrift erklärt:

ax := ex ln a, x ∈ D := R.

Für a �= 1 existiert ihre Umkehrfunktion f−1 : (0,+∞) → R (sieheSatz 5.70), und diese heißt der Logarithmus zur Basis a:

a log x : (0,+∞)→ R, a �= 1.

Eine andere gängige Schreibweise lautet: loga x : (0,+∞)→ R.

Bemerkung 5.72 Häufig wird der Briggssche Logarithmus lg x verwendet,das ist der Logarithmus zur Basis 10: lg x := 10 log x ∀ x > 0.

Page 69: [Springer-Lehrbuch] Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler || Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

5.7 Umkehrung der Exponentialfunktion – Logarithmus 455

f(x)

x1

1ax

alog x

a > 1

Allgemeine Exponentialfunktion undallgemeiner Logarithmus für a > 1

f(x)

x1

1 ax

alog x0 < a < 1

Allgemeine Exponentialfunktion undallgemeiner Logarithmus für 0 < a < 1

Satz 5.73 Die allgemeine Exponentialfunktion und der Logarithmus zurBasis a haben folgende Eigenschaften:

1. Die Funktionen f(x) := ax und g(x) := a log x sind für festesa ∈ (0, 1) streng monoton ↓ und für festes a > 1 streng monoton↑ sowie stetig in beiden Fällen. Für a = 1 gilt f(x) = ax = 1 ∀ x ∈ R.

2. ax+y = axay ∀ x, y ∈ R, a log x+ a log y = a log(xy) ∀ x, y > 0.

3. a0 = 1, a log 1 = 0, a log x =lnx

ln a∀ x > 0.

Page 70: [Springer-Lehrbuch] Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler || Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

456 5 Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

4. limx→+∞ ax =

⎧⎨⎩+∞ : a > 1,

0 : 0 < a < 1.

limx→−∞ ax =

⎧⎨⎩ 0 : a > 1,

+∞ : 0 < a < 1.

5. limx→+∞

a log x =

⎧⎨⎩+∞ : a > 1,

−∞ : 0 < a < 1.

limx→0+

a log x =

⎧⎨⎩−∞ : a > 1,

+∞ : 0 < a < 1.

6. (ax)y = axy ∀ x, y ∈ R, a log(xy) = y · a log x ∀ x > 0, y ∈ R.

Beweis.

1. Wir verwenden ln a

⎧⎪⎪⎪⎨⎪⎪⎪⎩< 0 : 0 < a < 1,

= 0 : a = 1,

> 0 : a > 1,

und beachten, dass ex streng

monoton ↑, während e−x streng monoton ↓, also

ax = ex ln a =

⎧⎪⎪⎪⎨⎪⎪⎪⎩e−x | ln a| : 0 < a < 1, also streng monoton ↓,e0 = 1 : a = 1, also konstant,

ex ln a : a > 1, also streng monoton ↑.

Darüber hinaus sind die Abbildungen

y :

⎧⎨⎩R→ R,

x �→ x ln a,exp :

⎧⎨⎩R→ (0,+∞),

y �→ ey

stetig. Dies gilt auch für die Komposition (exp ◦ y)(x) = ex lna = ax.

2. Es gilt ax+y = e(x+y) ln a = ex ln a · ey ln a = ax ay ∀ x, y ∈ R. Setzen wirhier ξ := ax, η := ay oder äquivalent x = a log ξ, y = a log η, so folgt

a log(ξη) = a log(ax ay) = a log(ax+y) = x+y = a log ξ+a log η ∀ ξ, η > 0.

Page 71: [Springer-Lehrbuch] Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler || Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

5.7 Umkehrung der Exponentialfunktion – Logarithmus 457

3. Es ist trivialerweise a0 = e0 lna = 1. Weiterhin gilt

a log x = a log(eln x) = a log(e

lnxln a lna

)= a log

(a

lnxln a

)=

lnx

lna∀ x > 0.

Hieraus folgt a log 1 = ln 1lna = 0.

4. Diese Aussage erhalten wir aus den Wachstumseigenschaften von eαx fürfestes α ∈ R:

limx→+∞ ax = lim

x→+∞ ex lna =

⎧⎨⎩+∞ : a > 1,

0 : 0 < a < 1,

limx→−∞ ax = lim

x→−∞ ex ln a =

⎧⎨⎩ 0 : a > 1,

+∞ : 0 < a < 1.

5. Diese Behauptung folgt unmittelbar aus d) durch Übergang zur Umkehr-abbildung.

6. Es gilt (ax)y = [ex lna]y = exy ln a = axy ∀ x, y ∈ R, und schließlich

a log(xy) = a log(ey lnx) = a log(ay

ln xln a

)= y

lnx

lna= y·a log x ∀ x > 0, y ∈ R.

qed

Algebraische Verknüpfungen von allgemeinen Logarithmen zu verschiede-nen Basen lassen sich mit Hilfe der Identität 3. aus Satz 5.73 behandeln.

Beispiel 5.74

a log x · x log y =lnx

ln a· ln ylnx

= a log y ∀ y > 0, 1 �= x > 0.

Aufgaben

Aufgabe 5.48. Bestimmen Sie a, b ∈ R so, dass

f(x) =

⎧⎪⎪⎪⎨⎪⎪⎪⎩eax+b : x ∈ [−1, 0),1 + ln(1 + bx) : x ∈ [0, 1),

a+ bx : x ∈ [1, 2]

Page 72: [Springer-Lehrbuch] Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler || Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

458 5 Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

auf [−1, 2] stetig ist.

Aufgabe 5.49. Sei F eine stetige Funktion mit der Eigenschaft

F (x+ y) = F (x)F (y) für alle x, y ∈ R.

Zeigen Sie: Entweder ist F (x) ≡ 0 für alle x ∈ R oder F (1) =: a > 0 undF (x) = ax für alle x ∈ R.

Aufgabe 5.50. Untersuchen Sie, ob die durch

f(x) =

⎧⎨⎩√3x+ 6 : x ∈ [−2, 1),

3ex2−1 : x ∈ [1, 2]

definierte Funktion eine Umkehrfunktion besitzt. Bestimmen Sie diese imFalle der Existenz.

Aufgabe 5.51.

a) Zeigen Sie, dass die Gleichung√x+ 1 = 8−x + 3 für x ≥ 3 mindestens

eine Lösung besitzt.

b) Die Folge (xn)n∈N0 ist rekursiv definiert durch

x0 := 1, xn :=(8−xn+1 + 3

)2 − 1.

Berechnen Sie x4 und∣∣√x4 + 1− 8−x4 − 3

∣∣ .Aufgabe 5.52. Berechnen Sie den links- und rechtsseitigen Grenzwert derfolgenden Funktionen an der Stelle x = 0:

a) f(x) =e1/x − 1

e1/x + 1, b) f(x) = xe1/x,

c) f(x) =x

1 + e1/x, d) f(x) =

21/x + 3

31/x + 2.

Aufgabe 5.53. Bestimmen Sie alle Funktionen, die die nachfolgenden Ei-genschaften erfüllen:

a) f : R→ R, f(x+ y) = f(x) + f(y),

b) g : (0,∞)→ R, g(xy) = g(x) + g(y),

c) h : (0,∞)→ R, g(xy) = g(x)g(y).

Page 73: [Springer-Lehrbuch] Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler || Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

5.8 Umkehrung der x-Potenzen – n-te Wurzeln 459

5.8 Umkehrung der x-Potenzen – n-te Wurzeln

.

Wir betrachten die Funktion f(x) := xn, x ∈ D := R, n ∈ N. Wir habenbereits gesehen, dass das Monotonieverhalten von f in den beiden Fällen fürn ungerade und n gerade verschieden ist.

1. Es sei n = 2m+ 1,m ∈ N0, eine ungerade Zahl. Dann ist die Funktionf(x) = xn auf ganz R streng monoton ↑, und somit sichert Satz 5.66 dieExistenz ihrer Umkehrfunktion

f−1(x) = signx n√|x| ∀ x ∈ R.

2. Es sei n = 2m,m ∈ N, eine gerade Zahl. Es gibt zwei Monotonieintervalle

I0 := [0,+∞) und I0 := (−∞, 0].

Da f(x) = xn auf diesen Intervallen jeweils streng monoton ist, existierendie beiden Umkehrfunktionen von

f−1+ (x) := n

√x ∀ x ≥ 0 : f+(x) = xn, x ∈ I0 = [0,+∞),

f−1− (x) := − n

√x ∀ x ≥ 0 : f−(x) = xn, x ∈ I0 = (−∞, 0].

f(x)

x

xn , n=2m+1

f(x) = sign x |x|-1 n

Umkehrfunktion vonf(x) := x2m+1,m ∈ N0

Page 74: [Springer-Lehrbuch] Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler || Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

460 5 Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

f(x)

x

xn , n=2m

-1 nf- (x)= x

-1 nf+ (x)= x

-

Beide Zweige der Umkehrfunktionvon f(x) := x2m,m ∈ N

Aufgaben

Aufgabe 5.54. Sei f : R→ R gegeben durch f(x) = x4 +2. Wie lautet dieUmkehrfunktion?

Aufgabe 5.55. Sei f : R→ R gegeben durch f(x) = x7 − 2. Wie lautet dieUmkehrfunktion?

Aufgabe 5.56. Sei f : R→ R gegeben durch f(x) = x2−4x+4. Wie lautetdie Umkehrfunktion?

Aufgabe 5.57. Bestimmen Sie Definitions- und Wertebereich von f(x) =√1− 1

x . Zeigen Sie, dass f streng monoton steigend ist und ermitteln Sie dieUmkehrfunktion.

Aufgabe 5.58. Wie lauten die Definitionsbereiche von

a) f(x) = x√x, b) g(x) = x2√

x, c) h(x) =x√x2?

Welche Monotonieaussagen lassen sich formulieren?

Page 75: [Springer-Lehrbuch] Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler || Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

5.9 Umkehrung der Winkelfunktionen – zyklometrische Funktionen 461

5.9 Umkehrung der Winkelfunktionen – zyklometrischeFunktionen

Wir betrachten zunächst die beiden trigonometrischen Funktionen Sinus undCosinus.

Wie wir in Beispiel 5.65 gezeigt haben, ist die Funktion f(x) := sinx aufjedem der Intervalle [(n− 1

2 )π, (n+ 12 )π], n ∈ ZZ, streng monoton und stetig.

Also sichert Satz 5.66 die Existenz von Umkehrfunktionen, was entsprechendauch für die Funktion f(x) := cosx gilt.

Definition 5.75 Im Einzelnen gilt:

1. Die Umkehrfunktionen von sin : [(n− 12 )π, (n+

12 )π]→ [−1,+1], n ∈

ZZ, heißen Zweige des Arcus Sinus:

arc sinn : [−1,+1]→ [(n− 1

2)π, (n+

1

2)π].

Für n = 0 liegt der Hauptwert des Arcus Sinus vor, bezeichnetmit

arc sinH : [−1,+1]→ [−π

2,+

π

2].

2. Die Umkehrfunktionen von cos : [nπ, (n + 1)π] → [−1,+1], n ∈ ZZ,heißen Zweige des Arcus Cosinus:

arc cosn : [−1,+1]→ [nπ, (n+ 1)π].

Für n = 0 liegt der Hauptwert des Arcus Cosinus vor, bezeichnetmit

arc cosH : [−1,+1]→ [0, π].

Page 76: [Springer-Lehrbuch] Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler || Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

462 5 Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

sinarc sinH

-11 π_

2

π_2

π_2

π_2

-

-

Hauptwert der Funktion arc sinx

π12_

π

π π

12_

π12_

π32_

-1 11-1

arc sin2k arc sin2k+1

Zweige der Funktion arc sinx

π

π_2

π_2

arc cosH

cos-1 1

Hauptwert der Funktion arc cosx

Page 77: [Springer-Lehrbuch] Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler || Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

5.9 Umkehrung der Winkelfunktionen – zyklometrische Funktionen 463

π

π

π

π

π12_ π3

2_

-1 11-1

arc cos2k

arc cos2k+1

Zweige der Funktion arc cosx

Wir diskutieren nun einige Eigenschaften der zyklometrischen Funktionen.

Satz 5.76 Es gilt der Zusammenhang

arc cosn y = arc sinn+1 y − π

2∀ y ∈ [−1,+1] ∀ n ∈ ZZ. (5.24)

Beweis. Für x ∈ [nπ, (n+ 1)π] ergibt sich x+ π2 ∈ [(n+ 1

2 )π, (n + 32 )π], und

somit folgt aus y := cosx = sin(x + π2 ) die Relation

x = arc cosn y, x+π

2= arc sinn+1 y.

Durch Elimination von x erhält man die behauptete Gleichung (5.24) . qed

Wegen der Beziehung (5.24) genügt es, lediglich die Eigenschaften von ArcusSinus zu diskutierten.

Satz 5.77 Nachfolgende Funktionen sind stetig, und es gilt:

arc sin2k : [−1,+1]→ [(2k − 12 )π, (2k + 1

2 )π] ist streng monoton ↑,arc sin2k+1 : [−1,+1]→ [(2k + 1

2 )π, (2k + 32 )π] ist streng monoton ↓.

(5.25)

Beweis. Dies folgt sofort aus den in Beispiel 5.65 gezeigten Monotonieeigen-schaften der Funktion f(x) := sinx sowie aus Satz 5.66. qed

Page 78: [Springer-Lehrbuch] Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler || Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

464 5 Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

Satz 5.78 Für alle y ∈ [−1,+1] und k ∈ ZZ gilt

arc sin2k y = arc sinH y + 2kπ,

arc sin2k+1 y = −arc sinH y + (2k + 1)π.(5.26)

Beweis. Für x ∈ [−π2 ,+

π2 ] gilt x + 2kπ ∈ [(2k − 1

2 )π, (2k + 12 )π], und somit

folgt aus y := sinx = sin(x+ 2kπ) die Relation

x = arc sinH y, x+ 2kπ = arc sin2k y.

Durch Elimination von x resultiert die erste der beiden Gleichungen in (5.26).Die zweite Gleichung folgt aus der Identität sin(−x) = sin(x + (2k + 1)π).

qed

Wir führen weitere Winkelfunktionen ein, charakterisieren diese und formu-lieren deren Inverse.

Definition 5.79 Die Funktion tan : Dtan → R mit

tanx :=sinx

cosx, x ∈ Dtan := R \ {(n+

1

2)π : n ∈ ZZ},

heißt Tangens.

Die Funktion cot : Dcot → R mit

cotx :=cosx

sinx, x ∈ Dcot := R \ {nπ : n ∈ ZZ},

heißt Cotangens.

Es besteht der Zusammenhang

cotx =1

tanx∀ x ∈ Dtan ∩Dcot.

Page 79: [Springer-Lehrbuch] Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler || Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

5.9 Umkehrung der Winkelfunktionen – zyklometrische Funktionen 465

x

A B C

D

E

F1

0

Zur geometrischen Bedeutung derFunktionen tanx und cotx

Die geometrische Bedeutung von Tangens und Cotangens lässt sich derobigen Skizze entnehmen. Es gilt

tanx = EB, cotx = OC. (5.27)

Denn nach dem Strahlensatz ergeben sich folgende Zusammenhänge:

tanx =sinx

cosx=

AD

OA=

EB

OB= EB wegen OB = 1,

cotx =cosx

sinx=

OA

AD=

OC

CF= OC wegen CF = 1.

Wegen tan(x + π) =sin(x + π)

cos(x+ π)=− sinx

− cosx= tanx gilt:

Satz 5.80 Die Funktionen tan und cot sind π–periodisch.

Satz 5.81 Es gelten folgende Eigenschaften:

1. tan und cot sind stetig in jedem Punkt ihrer Definitionsbereiche Dtan

und Dcot.

2. tan ist in (−π2 ,+

π2 ) streng monoton ↑ und cot ist in (0, π) streng

monoton ↓.3. lim

x→π2 −

tanx = +∞, limx→−π

2 +tanx = −∞.

4. limx→0+

cotx = +∞, limx→π− cotx = −∞.

Page 80: [Springer-Lehrbuch] Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler || Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

466 5 Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

Beweis. Wir zeigen die Aussagen für tan.

1. Der Quotient stetiger Funktionen ist wieder stetig.

2. Auf dem Intervall [0, π2 ) ist cos streng monoton ↓, während sin strengmonoton ↑. Der Quotient sin x

cosx ist somit streng monoton ↑. Wegentan(−x) = − tanx gilt diese Monotonieaussage auch auf dem Intervall(−π

2 , 0).

3. Ferner folgern wir aus limx→π

2 −sinx = 1 und lim

x→π2 −

cosx = 0+ den

Grenzwert limx→π

2 −tanx = +∞. Wegen tan(−x) = − tanx folgt hieraus

limx→−π

2 +tanx = −∞.

4. Mit ähnlichen Argumenten ergeben sich die behaupteten Eigenschaftenvon cot.

qed

Satz 5.82 Es gelten folgende Eigenschaften:

1. tanx = 0 ∀ x = nπ, n ∈ ZZ, tan(x+ π2 ) = − cotx ∀ x �= nπ, n ∈ ZZ.

2. cotx = 0 ∀ x = (n + 12 )π, n ∈ ZZ, cot(x + π

2 ) = − tanx ∀ x �=(n+ 1

2 )π, n ∈ ZZ.

Beweis.

1. Es gelten die Beziehungen sinx = 0, cosx = (−1)n für x = nπ sowiecosx = 0, sinx = (−1)n für x = (n+ 1

2 )π. Wir haben ferner

tan(x+π

2) =

cosx

− sinx= − cotx, cot(x+

π

2) =

1

− cotx= − tanx.

2. Mit ähnlichen Argumenten ergeben sich die behaupteten Eigenschaftenvon cot.

qed

Satz 5.83 Für x, y ∈ R gelten die Additionstheoreme

Page 81: [Springer-Lehrbuch] Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler || Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

5.9 Umkehrung der Winkelfunktionen – zyklometrische Funktionen 467

1. tan(x± y) =tanx± tan y

1∓ tanx · tan y mit x± y �= (n+1

2)π, n ∈ ZZ.

2. cot(x± y) =cotx · cot y ∓ 1

cotx± cot ymit x± y �= nπ, n ∈ ZZ.

Beweis. Die Additionstheoreme von sinx und cosx liefern

tan(x + y) =sin(x+ y)

cos(x + y)=

sinx cos y + cosx sin y

cosx cos y − sinx sin y=

tanx+ tan y

1− tanx · tan y .

Der Rest ergibt sich völlig analog. qed

x

− __2

3π _2π_ _

2π __

23π

tan x

−π π 2π0

Graph der Funktion tanx

x− __2

3π _2π_ _

2π __

23π

cot x

−π π 2π0

Graph der Funktion cotx

Page 82: [Springer-Lehrbuch] Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler || Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

468 5 Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

Die folgende Tabelle nützlicher Funktionswerte von tan und cot kann häufigzu Rate gezogen werden:

x 0 30o=π6

45o=π4

60o=π3

90o=π2

120o= 2π3

135o= 3π4

150o= 5π6

180o=π

tanx 0 13

√3 1

√3 − −√

3 −1 − 13

√3 0

cot x − √3 1 1

3

√3 0 − 1

3

√3 −1 −√

3 −

Aus den Monotonie-Eigenschaften des Satzes 5.81 der Funktionen tan undcot erschließen wir wieder die Existenz von Umkehrfunktionen.

Definition 5.84 Im Einzelnen gilt:

1. Die Umkehrfunktionen von tan :((n − 1

2 )π, (n + 12 )π

) → R, n ∈ ZZ,heißen Zweige des Arcus Tangens:

arc tann = R→((n− 1

2)π, (n+

1

2)π

).

Für n = 0 liegt der Hauptwert des Arcus Tangens vor, bezeichnetmit

arc tanH : R→(− π

2,+

π

2

).

2. Die Umkehrfunktionen von cot :(nπ, (n+ 1)π

)→ R, n ∈ ZZ, heißenZweige des Arcus Cotangens:

arc cotn : R→(nπ, (n+ 1)π

).

Für n = 0 liegt der Hauptwert des Arcus Cotangens vor, be-zeichnet mit

arc cotH : R→(0, π

).

Page 83: [Springer-Lehrbuch] Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler || Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

5.9 Umkehrung der Winkelfunktionen – zyklometrische Funktionen 469

x

π_2

π_2

-

arc tanHx

Hauptwert von Arcus Tangens

x

π

arc cotHx

Hauptwert von Arcus Cotangens

Zwischen den Zweigen und dem Hauptwert der obigen Umkehrfunktionengelten folgende Zusammenhänge:

Satz 5.85 Für alle y ∈ R und n ∈ ZZ gilt

1. arc tann y = arc tanH y + nπ,

2. arc cotn y = arc cotH y + nπ = −arc tanH y + (n+ 12 )π.

Beweis.

1. Für x ∈ ( − π2 ,+

π2

)hat man x + nπ ∈ (

(n − 12 )π, (n + 1

2 )π), und somit

folgt aus y := tanx = tan(x+ nπ) die Relation

x = arc tanH y, x+ nπ = arc tann y.

Page 84: [Springer-Lehrbuch] Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler || Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

470 5 Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

Durch Elimination von x erhalten wir die behaupteten Gleichungen.

2. Für x ∈ (0, π) hat man x+nπ ∈ (nπ, (n+1)π) sowie−x− π2 ∈

(− 3π2 ,−π

2

),

und somit folgt aus y := cotx = cot(x+nπ) = tan(−x− π2 ) die Relation

x = arc cotH y, x+ nπ = arc cotn y,

−x− π2 = arc tan−1 y = arc tanH y − π.

Elimination von x ergibt wieder die restlichen Gleichungen.

qed

Schließlich ergibt sich aus Satz 5.81 in Verbindung mit Satz 5.66:

Satz 5.86 Es gelten folgende Eigenschaften:

1. arc tanH : R→ (− π2 ,+

π2

)ist stetig und streng monoton ↑.

2. limx→±∞ arc tanH x = ±π

2 .

3. arc cotH : R→ (0, π

)ist stetig und streng monoton ↓.

4. limx→±∞ arc cotH x =

⎧⎨⎩0+,

π − .

Aufgaben

Aufgabe 5.59. Wo liegen die Unstetigkeitsstellen von

f(x) = tan[πx(x2 − 1)−1

]?

Aufgabe 5.60. Bestimmen Sie die Grenzwerte

a) limx→0

tan(3x)

sin(2x), b) lim

x→0±1

1 + exp(cot(x)).

Aufgabe 5.61. Skizzieren Sie die folgenden Funktionen f : R → R undstellen Sie diese ohne trigonometrische bzw. Arcus-Funktionen dar:

Page 85: [Springer-Lehrbuch] Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler || Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

5.10 Umkehrung der Hyperbelfunktionen – Area–Funktionen 471

a) f(x) = x− arctan(tanx),

b) f(x) = arcsin(sinx),

c) f(x) = x arcsin(sinx),

d) f(x) = arccos(cosx)− arcsin(sinx).

Aufgabe 5.62. Stellen Sie die Funktionen

a) f(x) = sin(2 arcsinx), b) f(x) = sin(2 arctanx), c) f(x) = sin(arccosx).

in Form rein algebraischer Ausdrücke in Abhängigkeit von x dar.

Aufgabe 5.63. Auf welchen Intervallen sind nachfolgende Funktionen f de-finiert:

a) f(x) = arcsin[(x + 1)(x− 1)−1],

b) f(x) = arctanx+ arctan 1x?

5.10 Umkehrung der Hyperbelfunktionen –Area–Funktionen

Eine bedeutende Rolle in den technischen und mathematisch–geometrischenAnwendungen spielen die sog. Hyperbelfunktionen. Dies sind algebraischeKombinationen der Exponentialfunktion wie folgt:

Definition 5.87 Die Funktion sinh : Dsinh → R definiert als

sinhx :=1

2(ex − e−x), x ∈ Dsinh = R

heißt Sinus hyperbolicus.

Die Funktion cosh : Dcosh → R definiert als

coshx :=1

2(ex + e−x), x ∈ Dcosh = R

heißt Cosinus hyperbolicus.

Damit ergeben sich weitere Funktionen.

Page 86: [Springer-Lehrbuch] Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler || Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

472 5 Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

Definition 5.88 Die Funktion tanh : Dtanh → R definiert als

tanhx :=sinhx

coshxx ∈ Dtanh = R

heißt Tangens hyperbolicus.

Die Funktion coth : Dcoth → R definiert als

cothx :=coshx

sinhxx ∈ Dtanh = R \ {0}

heißt Cotangens hyperbolicus.

21_2

1_ e-x

21_ e

x

sinh x

x

Graph von sinhx

21_ e

-x

21_ e

x

cosh x

1

x

Graph von coshx

Page 87: [Springer-Lehrbuch] Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler || Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

5.10 Umkehrung der Hyperbelfunktionen – Area–Funktionen 473

coth x

coth x

tanh x

1

-1

x

Graphen von tanhxund cothx

Folgende Symmetrie–Eigenschaften sind leicht einzusehen:

sinh 0 = 0 = tanh 0, cosh 0 = 1,

sinh(−x) = − sinhx, cosh(−x) = coshx ∀ x ∈ R

tanh(−x) = − tanhx ∀ x ∈ R, coth(−x) = − cothx ∀ x �= 0.

(5.28)

Damit ist es ausreichend, die Funktionsdiskussion auf den Bereich x > 0einzuschränken.

Satz 5.89 Es gelten folgende Eigenschaften:

1. 0 < sinhx < 12 e

x ∀ x > 0, limx→+∞ sinhx = +∞.

2. 12 e

x < coshx ∀ x > 0, limx→+∞ coshx = +∞.

3. 0 < tanhx < 1 ∀ x > 0, limx→+∞ tanh = 1.

4. 1 < cothx ∀ x > 0, limx→+∞ cothx = 1, lim

x→0+cothx = +∞.

Beweis. In den nachfolgenden Ausführungen sei x > 0:

Page 88: [Springer-Lehrbuch] Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler || Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

474 5 Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

1. Es gilt ex > 1 und 0 < e−x < 1. Darüber hinaus haben wir ex →+∞, e−x → 0 für x→ +∞. Aus diesen Eigenschaften ergibt sich

0 <1

2(ex − e−x) = sinhx <

1

2ex.

2. Entsprechend gilt 12 e

x < 12 (e

x + e−x) = coshx→ +∞ für x→ +∞.

3. Weiter ergibt sich

0 <ex − e−x

ex + e−x=

sinhx

coshx= tanhx =

1− e−2x

1 + e−2x< 1, lim

x→+∞ tanhx = 1.

4. Schließlich gilt

1 <ex + e−x

ex − e−x=

coshx

sinhx= cothx =

1 + e−2x

1− e−2x→

⎧⎨⎩ 1 : x→ +∞,

+∞ : x→ 0 + .

qed

Die trigonometrischen Funktionen konnten geometrisch am Einheitskreis ge-deutet werden. Analog gibt es eine geometrische Deutung der Hyperbelfunk-tionen an der Einheitshyperbel ξ2−η2 = 1, vgl. nachfolgende Skizze. Bezeich-net x den Inhalt der Fläche OPP ′ unter der Hyperbel, so gelten die folgendenRelationen:

sinhx=AP, coshx=OA, tanhx=BC, cothx=ED.

A

B=(1,0)

C

DE

0

1P(ξ,η)

P’

ξ

η

x

Zur geometrischen Deutung derHyperbelfunktionen

Page 89: [Springer-Lehrbuch] Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler || Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

5.10 Umkehrung der Hyperbelfunktionen – Area–Funktionen 475

Da der Hyperbelpunkt P (ξ, η) die Gleichung ξ2 − η2 = 1 erfüllt, gilt konse-quenterweise:

cosh2 x− sinh2 x = 1 ∀ x ∈ R. (5.29)

Wir kommen nun zu den Umkehrfunktionen der Hyperbelfunktionen.Die an den Graphen der Hyperbelfunktionen ersichtliche strenge Monotoniesoll hier nicht im Einzelnen analytisch begründet werden. Wir orientieren unsan der Anschauung, welche die folgende Existenzaussage der Umkehrfunktio-nen motiviert:

Definition 5.90 Die Umkehrfunktionen der Hyperbelfunktionen lautenwie folgt:

1. Die Umkehrfunktion der stetigen und streng monoton wachsendenFunktion

sinh : R→ R

heißt Area Sinus hyperbolicus, bezeichnet mit dem Funktions-symbol

Ar sinh : R→ R.

2. Auf den Monotonie-Intervallen der stetigen Funktion

cosh :

⎧⎨⎩ [0,+∞)→ [1,+∞), streng monoton ↑,(−∞, 0]→ [1,+∞), streng monoton ↓,

existieren Umkehrfunktionen. Diese heißen positiver und negati-ver Zweig des Area Cosinus hyperbolicus, bezeichnet mit denFunktionssymbolen

Ar cosh+ : [1,+∞)→ [0,+∞),

Ar cosh− : [1,+∞)→ (−∞, 0].

3. Die Umkehrfunktion der stetigen, streng monoton wachsenden Funk-tion

tanh : R→ (−1,+1)

heißt Area Tangens hyperbolicus, bezeichnet mit dem Funktions-symbol

Ar tanh : (−1,+1)→ R.

Page 90: [Springer-Lehrbuch] Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler || Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

476 5 Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

4. Auf den Stetigkeitsintervallen der streng monoton fallenden Funktion

coth : R \ {0} → (−∞,−1) ∪ (+1,+∞)

existiert eine Umkehrfunktion. Diese heißt Area Cotangens hy-perbolicus, bezeichnet mit dem Funktionssymbol

Ar coth : R \ [−1,+1]→ R \ {0}.

x

Arsinh x

Graph der Funktion Ar sinhx

x

Arcosh+ x

Arcosh- x

Beiden Zweige der Funktion Ar coshx

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5.10 Umkehrung der Hyperbelfunktionen – Area–Funktionen 477

xArcoth x

Arcoth xArt

anh

x

-11

Graphen der UmkehrfunktionenAr tanh x und Ar cothx

Die hier eingeführten Area–Funktionen gestatten folgende analytische Dar-stellungen:

Satz 5.91 Im Einzelnen gilt:

1. Ar sinhx = ln(x+

√1 + x2

)∀ x ∈ R.

2. Ar cosh± x = ± ln(x+

√x2 − 1

)∀ x ≥ 1.

3. Ar tanhx =1

2ln

(1 + x

1− x

)∀ x ∈ (−1,+1).

4. Ar cothx =1

2ln

(x+ 1

x− 1

)∀ x ∈ R \ [−1,+1].

Beweis. Aus der Darstellung x := sinh y = 12 (e

y − e−y) ergibt sich für ey diequadratische Gleichung 2xey = e2y − 1 oder äquivalent (ey − x)2 = 1 + x2.

Die eindeutig bestimmte positive Lösung lautet ey = x +√1 + x2 > 0, und

durch Logarithmieren resultiert die angegebene Darstellung der FunktionAr sinhx. Die anderen Darstellungen resultieren in ganz analoger Weise. qed

Der Begriff „Trigonometrie“ (Dreiecksmessung) geht zurück auf den schlesi-schen Mathematiker und Theologen Bartholomäus Pitiscus (1561-1613).In seiner Schrift „Trigonometria: sive de solutione triangulorum tractatus bre-vis et perspicuus“ aus dem Jahre 1595 verwendete er diesen erstmals.

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478 5 Reelle Funktionen einer reellen Veränderlichen

Vorläufer der Trigonometrie reichen bis in die Antike. Der griechische Astro-nom und Mathematiker Aristarchos von Samos (310 v.Chr.-230 v.Chr.)benutzte Zusammenhänge im rechtwinkligen Dreieck, um Entfernungsver-hältnisse zwischen Sonne, Mond und Erde zu berechnen. Auch in Indien undin der arabischen Welt wurden sehr früh die griechischen Ergebnisse über-nommen, während in Europa erst im 15. Jahrhundert die Trigonometrie imRahmen der Ballistik Einzug erhielt.

Der deutsche Astronom und Mathematiker Johannes Müller, genannt Re-giomontanus, (1436-1476) begründete in seinem fünfbändigen Werk „Detriangulis omnimodis“ (1462-1464, gedruckt 1533) die neuzeitliche Trigono-metrie.

Aufgaben

Aufgabe 5.64. Zeigen Sie mit Hilfe der Definitionen der Hyperpelfunktionensinh und cosh folgende Identitäten:

a) tanh(x+ y) =tanhx+ tanh y

1 + tanhx · tanh y ,

b) sinh(x+ y) = sinhx cosh y + coshx sinh y.

Aufgabe 5.65. Welche der nachfolgenden Funktionen sind periodisch? Ge-ben Sie im Falle der Periodizität die Periode P an. Untersuchen Sie zudemdie Funktionen auf Beschränktheit und geben Sie in diesem Fall eine obereund untere Schranke an.

a) f(x) =4

3sin(x+ 3),

b) f(x) = sinh(x+ sinx),

c) f(x) = −ecos 4x,d) f(x) = ln(2 sin2 x+ 1).

Aufgabe 5.66. Sei c ∈ R. Lösen Sie die Gleichung tanhx = c unter Verwen-dung der ln-Funktion. Gibt es dabei Einschränkungen für c ∈ R?

Aufgabe 5.67. Sei i die imaginäre Einheit. Zeigen Sie für x ∈ R die Bezie-hungen

coshx = cos(ix), sinhx = −i sin(ix) und tanhx = −i tan(ix).

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5.10 Umkehrung der Hyperbelfunktionen – Area–Funktionen 479

Aufgabe 5.68. Berechnen Sie die Darstellung

Ar cosh± x = ± ln(x+

√x2 − 1

)∀ x ≥ 1.

Aufgabe 5.69. Leiten Sie der Vollständigkeit halber auch noch folgendeDarstellungen her:

a) Ar tanhx =1

2ln

(1 + x

1− x

)∀ x ∈ (−1,+1),

b) Ar cothx =1

2ln

(x+ 1

x− 1

)∀ x ∈ R \ [−1,+1].


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