SPANISCHE MALERE I
SPANISCHE MALEREI
gemäldegalerie alte meister
staatliche kunstsammlungen dresden
BESTANDSKATALOG
SPANISCHE MALERE I
Matthias Weniger
Mit Beiträgen zum technischen Befund von
Marlies Giebe
Christoph Schölzel
Axel Börner
in Zusammenarbeit mit
Matthias Weniger
Mit einem Beitrag von Bernhard Maaz
prestel
münchen london new york
die spanische malerei in deutschland
und der dresdener bestand:
anstelle eines vorwortes
bernhard maaz 6
dank
matthias weniger 13
einführung
matthias weniger 14
präambel 32
KATALOG
matthias wenigertechnische befunde marlies giebe, christoph schölzel, axel börnerin zusammenarbeit mit matthias weniger 34
ANHANG 188
verluste
matthias weniger 190
abschreibungen
matthias weniger 192
bibliografie 195
künstlerverzeichnis 219
inhaltsverzeichnis
6
ZU DIESEM BUCH
Was weiß man im Allgemeinen in Deutschland über spanische Kunst?
Heute ist El Greco, der mit vollem Namen Doménikos Theotokópoulos
hieß und aufgrund seiner griechischen Herkunft in Spanien seit jeher als
„der Grieche“ betitelt wurde, eine der wenigen allgegenwärtigen und all-
bekannten Künstlergestalten dieses Landes, das an Geschichte und Kunst
doch so reich war und ist. Nach El Greco tritt in der Kunstgeschichte um
1800 ein nächster Problematiker und Individualist auf, nämlich Francisco
de Goya, um den sich ähnliche Mythen und Legenden ranken und der
in Anlehnung an frühere Etikettierungen als „Prophet der Moderne“ ver-
marktet und mit Begriffen wie „Exorzist“ und „unausdeutbar“ belegt wer-
den konnte.1 Abermals mehr als hundert Jahre später brachte Spanien
mit Pablo Picasso wiederum eine singuläre Künstlerpersönlichkeit her-
vor, die für die europäische Kunstgeschichte wahrhaft Bahnbrechendes
bewirkte, gefolgt vielleicht noch von Antonio Saura in der zweiten
Hälfte des 20. Jahrhunderts, der doch schon eine geringere Resonanz und
Bekanntheit genießt. Doch kaum jemand hat in Deutschland eine
etwaige Idee von der Fülle und Vielfalt spanischer Kunst, geschweige
denn eine genaue Vorstellung vom Entwicklungsgang. Ja, auch nur ein
Dutzend wichtiger spanischer Maler aus dem Stande aufzuzählen, wird
fast jedem Kunsthistoriker schwerfallen. Vor diesem Hintergrund er-
scheint es als ein besonderer Glücksfall, dass nach nun zehnjähriger
Vorbereitungszeit der vor allem im Rahmen eines Stipendiums 2001–
2003 durch Matthias Weniger erforschte und dokumentierte Bestand
spanischer Malerei innerhalb der Dresdener Gemäldegalerie Alte Meister
publiziert werden kann.
Der vergleichbare Bestand in München wurde bereits vor fast fünfzig
Jahren durch Halldor Soehner bearbeitet. Auch dort war es ein kleiner,
überschaubarer, aber wichtiger Komplex einer legendären Galerie, auch
dort stand diese Bearbeitung relativ am Anfang der sukzessiven wissen-
schaftlichen Aufarbeitung einer Sammlung. Ähnlich wird es sich für
Dresden darstellen, wo natürlich ein solides illustriertes Gesamtver-
zeichnis der Galeriebestände vorliegt, aber die Tiefenerschließung mit
allen naturwissenschaftlich-restauratorischen Befunden und der Restau -
rierungsgeschichte, der Literatur und den Akten, der Präsentations- und
Rezeptionsgeschichte nur Schritt für Schritt für einzelne Bestands-
gruppen geleistet werden kann.
Der vorliegende Bestandskatalog beruht auf umfangreicher und lang-
jähriger Aktenauswertung durch den Hauptautor, und doch hat sich
jüngst ein neuer Aktenfund eingestellt, der zu einer weiteren, samm-
lungsgeschichtlich relevanten Publikation führen wird: Christoph
Schölzel hat im Rahmen seiner Untersuchungen zur Geschichte der
Restaurierung in der Dresdener Gemäldegalerie kürzlich ermittelt – und
er wird es in absehbarer Zeit publizieren –, dass schon 1825 ein samm-
lungsstrategisch wichtiger Schritt unternommen wurde, indem der
Galeriedirektor Friedrich Matthäi und sein Professoren-Kollege von der
Akademie Ferdinand Hartmann aufgelistet haben, welche Werke spani-
scher Malerei sie zur Abrundung des Galeriebestandes erwerben wollten.
Dabei folgten sie bis in Details hinein den 1806 erschienenen Darlegun-
gen in der Geschichte der Künste und Wissenschaften von Johann Dominik
Fiorillo (Bd. 4 zur spanischen Malerei). Ihre Übernahmen erfolgten mit-
unter wörtlich, und auch die Reihenfolge der Namen stimmt exakt mit
jener Quelle überein. So wird aus dieser anstehenden Veröffentlichung
abzulesen sein, wie die erst Jahrzehnte später verwirklichte Erwerbung
lange intendiert war.
GOETHES KENNTNIS SPANISCHER KUNST:
EIN EINBLICK
Es erscheint immer angezeigt, Goethe als den Maßstab aller Geistesge-
schichte zu zitieren, selbst wenn dies auf den ersten Blick an den Haaren
herbeigezogen wirken mag. Da in ihm sich das Wissen seiner Zeit so
außer ordentlich verdichtet zeigt oder doch spiegelt, sind diese Rück-
oder Seitenblicke stets durchaus aussagekräftig.
Goethes Kenntnis der spanischen Malerei war minimal, ein kleiner, ab-
gelegen publizierter Text bezieht sich allerdings auf ein damals in seiner
Heimatstadt Frankfurt am Main befindliches Gemälde von Murillo – und
vergegenwärtigt, wie Kunstbetrachtung und ästhetische Wertmaßstäbe
ineinandergriffen und wie die Rezeption spanischer Kunst durch deut-
sche Axiome geradezu verstellt werden konnte: „Zwei Bettlerknaben
von Murillo. Halb Lebensgröße die dem Anschauer ganz Lebensgröße
scheinen. Der eine verzehrt eine Traube, der andere eine Wassermelone.
Der Gegensatz von hohem Genuß und Armuth hat was reizendes. Die
Natur und der erste Eindruck am Wirklichen scheint mehr als Überle-
gung den trefflichen Künstler geleitet zu haben. Es scheint daher das
Bild zugleich etwas befriedigendes durch Wahrheit und Nachahmung
und Talent und etwas unbefriedigendes von Seiten der Kunst zu haben;
es ist aber in Absicht auf Behandlung, Sinn und Ausdruck im Ganzen ein
höchst schätzbares Bild.“2 Diese Trauben- und Melonenesser, die in
einem 1645/46 entstandenen großformatigen Exemplar in der Alten
Pinakothek in München hängen, gehören jenem Bereich der spanischen
Malerei an, der in Dresden nicht repräsentativ vertreten ist, aber für das
Nachleben eine große Rolle spielt, nämlich jener der Genre- oder Bodega-
Bilder. Doch eine solche Absenz hat auch ihre Gründe, die zunächst im
höfischen Sammeln zu sehen sind, da man stark auf große Formate und
große Themen orientiert war. Wenn aber das nachbarocke Sammeln der
Dresdener Galerie sich auch nicht hierauf richtete, so liegt das nicht nur
an den hohen Preisen, die für Murillo zu zahlen waren, sondern auch an
den Kunsturteilen des 19. Jahrhunderts. Man fühlt sich geradezu an
Goethes Zurückhaltung gegenüber der Themenwelt Murillos erinnert,
bernhard maaz
die spanische malerei in deutschland
und der dresdener bestand:
anstelle eines vorwortes
7
wenn John Ruskin argumentiert: „An solche verdorbenen, gefräßigen,
scheinhei ligen Vagabunden ohne jede Scham seine Zeit und Kunst zu
verschwen den!“3 – das erschien ihm ein Frevel. Und konsequenterweise
erwarb Karl Woermann auch nicht ein solches Sujet, sondern die groß-
formatige Darstellung mit dem Tod der hl. Klara, ein ideales Galeriebild.
Die Wahrnehmung der spanischen Kunst blieb problematisch auch jen-
seits derartiger kunsttheoretisch fundierter Verdikte. Goethes engster
Berater in Kunstdingen, Heinrich Meyer, konstatierte in der zu seinen
Lebzeiten ungedruckt gebliebenen Geschichte der Kunst, man könne
zwar leicht allerlei Sachen kompilieren, aber außerhalb Spaniens von
der Malerei dieses Landes kaum eine befriedigende Anschauung ge-
winnen, allenfalls seien davon Velazquez und Murillo ausgenommen.
Ersterer sei des Kolorits und des Lichtes wegen schon „ein zweiter
Caravaggio genannt worden“4 – womit er also gleichsam nicht für sich
oder als Spanier, sondern vermittels eines Italieners definiert wird –, der
andere „kolorierte blühend und zugleich kräftig, malte dabei äußerst
sanft und gerundet, jedoch nicht so kühn und meisterhaft als Velaz-
quez“5. Den Rest der spanischen Kunst kannte Meyer nur dem Namen
nach: Indiz des Nichtvorhandenseins dieser Meister und Werke in deut-
schen Sammlungen.
DIE WAHRNEHMUNG SPANISCHER MALEREI
IN DEUTSCHLAND: EIN QUERBLICK
Die spanische Literatur von Calderón bis zum Don Quijote des Cervantes
war längst bekannt und lag in guten Übersetzungen vor; die leichtere
Transponier- und Transportierbarkeit der Literatur gewährte dieser
einen Vorsprung gegenüber der Malerei. Da Spanien jahrhundertelang
aber überdies nicht nur geografisch abgelegen, sondern auch politisch
unzugänglich war, gab es diesseits der Pyrenäen nur recht magere Kennt-
nisse der dortigen Kunst und Architektur. Schon zu Zeiten des jüngeren
Goethe erschien, worauf Harald Marx hinwies, just in Dresden eine
deutsche Übersetzung eines Buches von Antonio Palomino mit Viten
spanischer Künstler – eine erste Etappe zu näherer Kenntnis der Malerei
auf der iberischen Halbinsel.6 Doch selbst noch ein so richtungweisen-
des Buch wie Hegels Ästhetik kommt ohne Hinweis auf die spanische
Malerei jenseits ihres mittlerweile kanonischen und solitären Vertreters
Murillo aus.7 Das Lob dort gilt der Schilderung von Daseinsfreude; die
zahllosen katholischen Sujets jener Künstler waren weder gut bekannt
noch besonders beliebt.
Nachdem 1814 Zar Alexander einige spanische Gemälde in Amsterdam
gekauft hatte, folgte 1838 die Einrichtung der Galerie espagnole in Paris
als entscheidender Schritt hin zu einer gewissen Bekanntheit. Diese
Neubewertung fruchtete, als 1847 das allbekannte Brockhaus-Lexikon
unter dem Stichwort „Spanische Kunst“ einen ersten allgemein ver-
ständlichen und zugänglichen Überblick der Namen und Zentren gab –
und dabei die Kunst Spaniens erstmals gleichrangig neben jene Italiens,
Frankreichs und Deutschlands stellte: „Für die Malerei […] ist Spanien ein
classischer Boden“, und sie habe im 17. Jahrhundert „eine glänzende und
originelle Blütezeit“8 erlebt, was die Eigenständigkeit dieser Epoche
deutlich betont und sie damit von der so oft gesehenen Abhängigkeit
von der italienischen Kunst befreit.
Wer auch immer der Autor dieses in Leipzig erschienenen Lexikonein-
trages gewesen sein mag, ein aus Leipzig nach Dresden übergesiedelter
Kunstsammler, -freund und -schriftsteller war es, der 1850 die spanische
Kunst grundlegend neu in den Fokus allgemeiner Aufmerksamkeit
rückte, nämlich Johann Gottlob von Quandt. Sein – wie für den Privatier
üblich – etwas weitläufig gehaltenes Buch Beobachtungen und Phantasien
[…] auf einer Reise durch Spanien ist ungeachtet dieser überbordenden
literarischen Liebhaberei doch ein Geburtszeugnis für das deutsche In-
teresse an spanischer Malerei, und eben deshalb war es ein wesentlicher
Baustein. Johann David Passavant und Gustav Friedrich Waagen ließen
wenig später ihre Bücher über die spanische Kunst folgen. Der auch in
Galeriekommission und Kunstverein tätige, umtriebige von Quandt
war ganz maßgeblich für die Erwerbung der spanischen Malerei für die
Dresdener Galerie wirksam. Er hatte in seinem 1850 in Leipzig erschiene-
nen Buch noch beklagt, dass die deutschen Museen vor allem schwache
spanische Gemälde besäßen,9 und nur drei Jahre später kaufte die Dres-
dener Galerie ihr bis heute entscheidendes Konvolut zum Ausgleich
dieses Mangels. Diese 16 Gemälde, die aus der Galerie espagnole des
franzö sischen Königs Louis-Philippe stammten, gehörten zur Auktions -
masse der über 400 Werke umfassenden Kollektion, aus der – unter maß-
geblicher Mitwirkung des Direktors des Dresdener Kupferstich-Kabinetts,
Ludwig Gruner – diese Auswahl nach Sachsen geholt werden konnte.
In der zweiten Jahrhunderthälfte lebte die Kenntnis spanischer Litera-
tur in Gestalt von Adaptionen bezeichnenderweise wieder auf; Emanuel
Geibels Spanische Romanzen dürfen wohl als die umfangreichste derar-
tige Textsammlung neben den Calderòn- und Cervantes-Übersetzungen
angesehen werden. Für die Kunstgeschichte am wichtigsten wurde
jedoch die 1872/73 durch den Gelehrten Carl Justi unternommene
Spanienreise, aus der das grundlegende Buch Diego Velazquez und sein
Jahrhundert erwuchs, eine monumentale Studie. Galt auch El Greco für
diesen Forscher noch als „monumentale[r] Fall der Künstlerentartung“10,
war also hier das Kriterium der „Krankhaftigkeit“ im Sinne spätklassi-
scher oder postklassizistischer Wertmaßstäbe angelegt worden, so
dauerte es doch nur noch wenige Jahre, bis – gleichsam ex negativo –
dieses krasse Urteil revidiert und die singuläre, kreative Genialität und
Individualität des Griechen erkannt wurde.
Und – Ironie der Geschichte, die immer an den kritischen Stellen auch die
höchste Amplitude an den Tag legt – gerade El Greco, den die Sammler
im Zeitalter des expressiv-expressionistischen Neubeginns und des spät-
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8
impressionistisch gereiften Kolorismus für sich entdeckten, sollte am
Kunstmarkt so stark aufgewertet werden, dass seine Marktpreise über
Wohl und Wehe eines Menschen entscheiden konnten: Als 1907 in Berlin
bei Keller & Reiner die reichhaltige Kunstsammlung Iwan Schtschukins,
der in Geldnöte gekommen war, versteigert wurde, befand sich in ihr
auch ein Gemälde El Grecos, das – von wem? – als Fälschung deklariert
wurde.11 Mag das Gutachten hierfür auch aus Berechnung so negativ
verfasst gewesen sein, weil jemand darauf spekulierte, es für seine
Sammlung zu gewinnen (man denke nur an Wilhelm Bodes damalige
offensiv-aggressive Erwerbungspolitik), so waren die Folgen doch frap-
pierend und fatal: Als dieses Verdikt ausgesprochen und der präsumtive
Verkaufserlös damit in nichtige Dimensionen abgerutscht war, nahm
sich Schtschukin kurzerhand das Leben.
SPANISCHE KUNSTGESCHICHTE UND DEUTSCHE
MALEREI: EIN AUSBLICK
Wenngleich es immer heißt, dass Julius Meier-Graefe mit seiner Spanischen
Reise, die er 1908 unter anderem gemeinsam mit dem Berliner Maler Leo
von König unternahm und deren literarische Resultate 1910 in Buchform
erschienen, den Durchbruch der Spanien-Wahrnehmung markiert habe,
so war ihm doch nicht eben nur Justi vorangegangen, sondern auch
Richard Muther, der sieben Jahre ältere Kunsthistoriker-Kollege: Auch er
hatte Spanien bereist und dies damit begründet, dass es „eine so uner-
schlossene Welt bedeutet“12. Muther, der schon 1909 starb, konnte sich
nur eben – nicht zuletzt des frühen Todes wegen – nicht gegen die All-
macht und Selbstbehauptung Meier-Graefes durchsetzen.
Muthers Geschichte der Malerei wie auch Meier-Graefes Schriften dien-
ten freilich der Etablierung einer neuartig aufgewerteten Rolle der
spanischen Malerei. Während allerdings die französischen Künstler von
Delacroix (1832) über Manet (1865) bis zu Courbet (1868) das westliche
Nachbarland häufig bereisten, taten es ihnen die Deutschen nicht gleich.
Corinth, Leibl, Liebermann, Menzel oder Slevogt kamen über Frankreich
nicht hinaus.13 Nicht die „malerisch“ arbeitenden Maler, wohl aber die
Reisemaler, die dokumentarisch tätigen oder dem Exotismus naheste-
henden Künstler bereisten Spanien, darunter der Münchner Wilhelm
Gail oder der Preuße Eduard Gerhardt.14 Doch am interessantesten in un-
serem Zusammenhang ist, dass es eine sehr aufmerksame Wahrnehmung
spanischer Kunstgeschichte bei einigen Malern gab, die als Kopisten für
den Grafen Adolf Friedrich von Schack arbeiteten: Er sammelte Kopien
meist nach italienischen Künstlern wie Tizian, aber in seinem „Musée
imaginaire“, das als ein Musée réel durch Kopien zusammengetragen
wurde, befinden sich eben auch Kopien nach Velazquez und Murillo.15
DER DRESDENER BESTAND: EIN ÜBERBLICK
Die Entstehungszeit der frühesten Werke spanischer Malerei in der
Dresdener Galerie reicht zurück in die Jahre um 1500, als in ganz Europa
eine immense, wenngleich heterogene Bilderproduktion florierte, mit
der Sakralräume und Privatgemächer der Oberschicht reich ausgestattet,
ja gleichsam überflutet wurden. Während in Wittenberg die noch junge
Cranach-Werkstatt ihre Produktivität entfaltete, entstand in Córdoba der
Christus an der Geißelsäule mit reumütigem Petrus (Kat. 4), der doch in sei ner
Formelhaftigkeit und Unmittelbarkeit durchaus vergleichbar erscheint.
Bedauerlich mag sein, dass die so stark von den Niederlanden und Bur-
gund beeinflusste Malerei des 15. Jahrhunderts der iberischen Halbinsel
in Dresden nicht mit heute unerreichbarer, höchster Qualität vorhanden
ist – man denke nur an den überwältigenden vielfigurigen Altar von
Nuno Gonçalves aus den Jahren um 1470 im Lissaboner Nationalmuseum
–, aber dennoch darf dieser Auftakt aus Córdoba als ein kraftvolles
Werk der Jahrhundertwende gelten, das deutlich macht, aus welchen
Konventionen sich die Malerei bald befreite und welche Entwicklungs-
bögen in den nachfolgenden zwei Jahrhunderten zu bewäl tigen waren.
Auch Luis de Morales’ Ecce homo (Kat. 9) lässt noch einen gesamteuro-
päischen Zusammenklang erahnen, wenngleich sich hier schon über-
deutlich die große Ausdrucksintensität der spanischen Malerei mit ihrer
Betonung von Schmerz und Verwundung, Ekstase und Frömmigkeit
anbahnt, die ihr im 17. Jahrhundert zu eigen sein sollte. El Grecos Früh-
werk Die Heilung des Blinden (Kat. 28) verrät die italienische Schulung des
griechischen, von Tizian gelobten, in Rom tätigen und 1577 nach Spanien
übergesiedelten Malers, der mit seinem reifen Stil leidenschaftlicher
Überhöhung eine singuläre Position entwickeln sollte. Von El Greco,
dem „größten, aber auch schwierigsten Maler des Frühbarocks“16, sind
wenige frühe Werke überliefert; dies macht das Dresdener Bild beson-
ders bedeutsam. Karl Woermann, Direktor der Gemäldegalerie und des
Kupferstich-Kabinetts in Dresden, hatte beim Besuch in Madrid kon-
statiert: „El Greco und Velázquez! Vor dem Eingang zum großen Veláz-
quez-Saal hängen Bilder beider Meister nebeneinander; aber man darf
sie eigentlich nicht nebeneinander sehen. Neben Velázquez wirkt El
Greco immer wieder als der ‚Manierist‘, als den wir ihn in unserer Jugend
ansahen.“17 Allerdings – eben eines dieser „manierierten“ Hauptwerke zu
erwerben, das ist der Dresdener Galerie bis heute nicht gelungen.
Umso reicher ist Jusepe de Ribera vertreten, auch wenn die heutige
Ab- und Zuschreibungslage viele Werke nicht mehr als eigenhändig
erachtet, worauf im nachfolgenden Kapitel noch ausdrücklicher einzu-
gehen ist. Das Brustbild des Diogenes (Kat. 15) ist nur durch ein Jahrzehnt
von einer der wichtigsten Schriften getrennt, die Spanien hervorbrachte,
nämlich von Baltasar Gracián y Morales’Handorakel oder Kunst der Welt-
klugheit, einer Anleitung zu stoisch-lebenskluger Haltung. Über Ribera
schrieb von Quandt: „Seine Werke sind eher finster und wild, als weich-
lich und frömmelnd, doch immer edel und kräftig“18, was ihnen einen
wichtigen Stellenwert sicherte. Nicht von ungefähr hing also Das Mar-
tyrium des hl. Laurentius lange in unmittelbarer Nachbarschaft zu Raffaels
Sixtinischer Madonna und dann – ab 1816 – neben Correggios Heiliger
Nacht, die nunmehr den absolut überragenden Rang innerhalb der Ge-
mäldegalerie an die Sixtina hatte abtreten müssen: Die außerordentliche
Wertschätzung eines Bildes kann schwerlich klarer als durch den jewei-
ligen Galeriekontext ausgedrückt werden.
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Neben den Riberas gehört die Gruppe dreier Bildnisse von Velázquez zu
den Preziosen der Galerie. Gleich El Greco galt er den Künstlern stets als
besondere koloristische Herausforderung und Bereicherung; angesichts
seiner Werke konstatierte Paula Modersohn-Becker 1900 in Paris: „Vélas -
quez giebts im Louvre nur zwei spanische blonde Prinzeßchen, in grau
weißen Kleidchen mit stumpfem Rosa besetzt. Kolossal fein und gehalten
in der Farbe.“19 Dieser Begeisterung hatten die Kunsthistoriker vorgear-
beitet, so beispielsweise Gustav Friedrich Waagen: Velázquez „reprä-
sentirt den Realismus der spanischen Schule in seiner grössten Einseitig -
keit, aber auch in seiner grössten Vollendung. Ja, insofern es darauf
ankommt, die Menschen, wie sie sind, in grösster Lebendigkeit der Auf-
fassung, in höchster Treue in Form und Farbe mit der seltensten Meister -
schaft des ganz freien und breiten Vortrags wiederzugeben, stehe ich
nicht an, ihn für den grössten Maler zu halten, welcher je gelebt hat.“20
Höheres Lob für sublimsten Kolorismus kann man sich schwerlich vor-
stellen; und zu diesem tritt noch eindringlichstes Psychologisieren im
Porträt, wie Carl Justi verdeutlicht, der das Dresdener Bild des Gaspar De
Guzmán als physiognomisch abstoßend charakterisiert, aber darin ein
Bild der Machtausübung des Machtbewusstseins erkennt, ja sich bis zur
Analyse eines „offenbar psychopathischen Mann[es]“21 hinauswagt und
damit einen tieferen Sinn kunsthistorischen Forschens und Betrachtens
erschließt, nämlich die Erkenntnis über menschliche Charaktere und his-
torische Momente.
Aus dem reichen Reigen der Malerei sei noch Murillo herausgegriffen,
der in anderen Sammlungen mit anderen Schwerpunkten vertreten ist
– man denke nur an die Münchner Werkgruppe mit ihren genrehaften
Sujets –, und in Dresden mit dem Hl. Rodrigo (Kat. 11) sowie der Maria mit
Kind (Kat. 12) sich ganz von der katholischen Seite zeigt. Die höfische
Sammlungstradition spielt hier beim Zustandekommen des Status quo
mit. Doch das, was spanische Malerei charakterisiert, ist hier brillant ver-
treten: Themen der Kirchengeschichte und der Bibel einerseits, eine
schlaglichtartige Hervorhebung bei feinem Kolorismus andererseits,
ein fromm-himmelnder Blick mit Gottesfürchtigkeit und Himmelsdia-
logen zum dritten. Ohne hier auf alle anderen Werke eingehen zu wol-
len, sei nur noch auf die drei Köpfe der Märtyrer Paulus, Johannes und
Jakobus verwiesen (Kat. 24): Die extremen Seh- oder Lebenserfahrungen,
die in einem Land der Inquisition vorherrschten, machten solche radi-
kalen und populär gewordenen Bildfindungen möglich, gleichsam eine
Verdreifachung der ohnehin schon brutalen, seit dem Mittelalter be-
kannten „Johannesschüsseln“ mit dem abgeschlagenen Haupt des
Täufers. Die spanische Kunst blieb in einem Extremmaße konfessionell
gebunden. Die Auftraggeber und Künstler nutzten Emotionalität als
bildimmanentes Mittel und postulierten den emotionalen Appell mittels
an- oder aufrührender Bildinhalte als Wirkungsabsicht. Justi fasste dies
trefflich zusammen: Das Besondere der religiösen Malerei in Spanien,
„selbst wo es durch finsteren Fanatismus abstößt“, behalte doch „durch
Naivität und starke Eigenart“ ein „fesselnde[s] Wesen“22: Wenn diese
tieferen Schichten sich dem Leser des Bestandskataloges jenseits der aka-
demisch sorgsamen Exegese und historisch profunden Dokumentation
erschließen sollten, so wäre ein weiteres Ziel erreicht, denn jede Ein-
zelanalyse dient doch immer wieder dem Erkennen von Zusammen-
hängen und großen Entwicklungslinien, von Eigenarten und Besonder-
heiten, von Allgemeinem und Charakteristischem.
Der Reichtum an spanischer Malerei in Dresden beruht in erheblichem
Maße auf der 1853er-Auktion der ehemals Pariser Galerie espagnole, die
Louis-Philippe nach seiner Abdankung 1848 hatte behalten und ins Aus-
land verbringen dürfen. Charles Baudelaire prangerte später an, dass „die
beschränkte Französische Republik in ihrer übertriebenen Ehrfurcht
vor Eigentumsrechten“ diese singuläre und hochkarätige Sammlung
„den Prinzen von Orleans übergeben“23 und somit verloren hatte: So war
die Zerstreuung ehemals fürstlichen Besitzes, von der Dresden hier pro-
fitierte, also eigentlich der kunst- oder sammlungspolitischen Unge-
schicklichkeit der französischen Republik zu verdanken. Dass es in der
Geschichte später ähnliche Verluste durch analog unglückliches Agieren
anderer Republiken geben würde, steht hier nicht zur Debatte; dennoch
sind auch dies interessante Aspekte politischen Handelns, das sich oft ge-
gen intakte bestehende Sammlungen wendet. Was man hätte aus Bau-
delaires Kritik lernen können: dass der Umgang von Demokraten mit
feudalen Sammlungen durchaus gewisser bedachter Maximen, Paradig-
men und Positionen bedarf. Doch da Dresden mit der 1853 erlangten Spa-
nier-Kollektion als definitiver Profiteur dieser Entwicklung dastand,
war man bei der Fürstenabfindung nach dem Ersten Weltkrieg intellek-
tuell nicht hinreichend präpariert, eine ähnliche Abdankung mit einer
guten Balance von Abfindung und Erhalt zu bewerkstelligen.
Die Dresdener Galeriebestände sind heute in einer Weise gerahmt, wie
dies nicht ursprünglich der Fall war. Sie fügen sich dadurch zwar ideal
in den Kanon der Sammlung ein, werden aber gleichsam „leichtfüßiger“
erlebt, als das bei den ursprünglichen schweren Rahmen der Fall war.
Wilhelm Bode beschreibt diese Rahmentradition anhand der Berliner Be-
stände und aufgrund seines reichen Wissens anschaulich: „Die Bilder der
klassischen spanischen Kunst sind fast nie mehr in ihren alten Rahmen
anzutreffen; aber Gemälde von Velázquez, Carreño u.a. zeigen in ihren
Interieurs, daß die Bilder der königlichen Gemächer einfache schwarze
Rahmen mit einzelnen goldenen Barockornamenten hatten“24, und Ähn-
liches kann man auch für andere Werke voraussetzen, während die
Altartafeln natürlich häufig in entsprechende Altaraufbauten integriert
gewesen sein dürften.
JUSEPE RIBERAS HL. AGNES : EIN TIEFENBLICK
Zuschreibungsfragen unterliegen persönlicher Wertung, auch wenn
jahrelange Seherfahrung zugrundeliegt, und individueller Abwägung,
denn die verfügbaren Argumente können bekanntermaßen unter-
schiedlich ausgelegt und benutzt werden. Unser Katalog spiegelt diese
Differenzen wider, wenngleich sie nicht primär herausgearbeitet werden
sollen.
Es ist von besonderer Delikatesse, wenn akademische Uneinigkeit be-
steht, da fachliche Fragen und persönliche beziehungsweise mensch liche
ineinandergreifen: Mit größtem Respekt stehen wir vor der wissen-
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schaftlichen Leistung – und können uns dann im Einzelfall eventuell der
Deutung, die ein anderer Autor vorträgt, doch nicht anschließen. Der-
artige Debatten trägt die Fachwelt gemeinhin akademisch aus, indem der
Widerspruch in mehr oder minder unverblümten Rezensionen artiku-
liert wird. Wenn jedoch die Differenz der Ansichten sich im Hause, das
ein Werk herausgibt, und innerhalb der Fachwelt schon sehr früh arti-
kuliert, so wird man einen weniger polarisierenden Weg finden müssen,
um diese Sachlage darzustellen und der Wissenschaftsdiskussion diesen
Diskurs aufzutragen. So verhält es sich auch in unserem Falle, da Autor
und Herausgeber-Institution nicht eine gemeinsame Ansicht vertreten.
Das 1752 erworbene Bild (Kat. 19) wurde häufig der italienischen Schule
zugewiesen, der es auch verpflichtet ist, trägt aber eine Signatur, die so-
wohl von den Restauratoren der Gemäldegalerie Alte Meister als auch
von spanischen Fachleuten wie Gabriele Finaldi im Prado als echt aner-
kannt wird und das Werk somit als ein unstrittig Jusepe de Ribera zu-
zuordnendes Gemälde ausweist. Allerdings war Ribera in seiner Zeit ein
gefragter Künstler, und es entstanden zahlreiche Kopien, Fälschungen
und Nachahmungen, was naturgemäß heutigentags zu zahlreichen Ab-
schreibungen führt. So hält der Autor unseres Buches nur noch zwei der
ehemals neun anerkannten Werke für Schöpfungen von Riberas Hand.
An solcher Stelle setzen stets Spekulationen ein – oder doch zumindest
Abwägungsprozesse. So findet Matthias Weniger das Werk eher als dem
heiteren Grundton der Dresdener Galerie zugehörig denn dem Œuvre
Riberas.25 Gerade dann, wenn eine solche Abschreibung ein so promi-
nentes Werk betrifft, steht man vor den extrem delikaten Grundfragen:
Wie lässt man es fortan firmieren?
Der schlechte Zustand des Werkes ist seit zweieinhalb Jahrhunderten be-
kannt; die Überarbeitungen haben zur These der nicht eigenhändigen
Ausführung nun ebenso geführt wie bestimmte von Matthias Weniger
angeführte Argumente vermeintlich niedrigerer qualitativer Einstufung.
Den seit den 1970er-Jahren von zwei Forschern geäußerten Zweifeln an
der Echtheit dieses Gemäldes schließt sich Matthias Weniger nun an,
auch wenn sie von vielen anderen Autoren nicht mitgetragen werden.
Da es die Freiheit des Wissenschaftlers ist, seine Meinung zu vertreten,
stellen wir der Leserschaft anheim, sich mit dieser These auseinander-
zusetzen.
Seitens der Gemäldegalerie herrscht – die Relativität aller Ansichten
eingerechnet – doch die Überzeugung, dass die vorliegenden Gründe
nicht ausreichen, das Gemälde aus dem Lebenswerk Riberas auszu-
scheiden. Die Abschreibung war im Kollegium nicht mehrheitsfähig, und
dies sei hier deutlich artikuliert, auch wenn dem Autor des Kataloges
tiefe Kennerschaft und Autopsie zahlreicher Werke Riberas uneinge-
schränkt zugebilligt sind. Zu den hierfür ins Feld zu führenden Gründen
gehören neben der von anderen Fachleuten und unseren Restauratoren
nicht angezweifelten Originalität der Signatur – typografisch sehr ver-
wandt mit ähnlichen Schriftzügen etwa auf den Bildern im Prado –
auch die künstlerischen Qualitäten des Werkes, seine kompositorische
Souveränität, die im Vergleich mit der Röntgenaufnahme erkennbaren
Pentimenti (in den Fingern), sein enormer und stilsicherer Kolorismus,
sein mit anderenorts befindlichen Arbeiten Riberas – etwa auch dem
Brüsseler Hl. Andreas – sehr weitgehend übereinstimmendes Schadens-
bild wie auch die enorm sichere Pinselführung, die Behandlung von
Details wie den Augensternen und das Fehlen von Repliken oder einem
vermeintlichen Vorbild. Auch die von Matthias Weniger angeführte
Frage der anatomischen respektive künstlerischen Richtigkeit des Fußes
der Hl. Agnes kann vom Autor dieser Zeilen nicht geteilt werden: Letzte-
rer hält diesen Fuß nicht für verzeichnet oder für unstimmig, vielmehr
für durchaus realistisch beobachtet.
Vergleichbar mit anderen Arbeiten Riberas sind der Charakter der Lein-
wand, die Schadensbilder der brüchigen Farbschicht, die demonstrativ
„unfertige“ Ausführung von Hintergrundpartien, die mit spitzem Pinsel
applizierten Elemente, die rahmende Bearbeitung der Fingernägel, die
Behandlung der spitz zulaufenden Finger, die modellierenden und form-
begleitenden Pinselstriche, der Umgang mit der Farbe, die Behandlung
der Augen. Doch allenfalls weitere naturwissenschaftliche Recherche
vermag hier finale Antworten – sollte es diese je geben – zu erarbeiten.
Auch Matthias Wenigers vergleichende Betrachtungen des Dresdener
Bildes mit der Hl. Maria Magdalena aus dem Prado, das im selben Jahr
datiert ist, zeigen viele wichtige Verbindungen zwischen den Bildern auf,
wobei dem Madrider Bild unbestritten der Vorrang gebührt. Die forma -
len Änderungen führen aber unserer Meinung nach nicht zwingend zu
dem Schluss, das Dresdener Bild einem Nachfolger zuzuweisen. Sie sind
geeignet, künstlerische Verwandtschaft zu sehen, wie sie bei komposi-
tionellen Übernahmen und Weiterentwicklungen im Schaffensprozess
durchaus denkbar sind. Ebenfalls erscheinen uns seine Zweifel an der
Signatur und Datierung der Hl. Agnes nicht hinreichend begründet. Der
Zustand des Dresdener Gemäldes ist von alten Firnisschichten und
Retuschen geprägt. Sicher kann man davon ausgehen, dass in den wesent-
lichen Bildelementen die originale Handschrift gut zu erkennen ist.
Trotzdem sollte man den Einfluss dieser Schichten auf den Gesamtein-
druck des Bildes nicht unterschätzen. Stilistische Fragen müssen deshalb
auch teilweise unbeantwortet bleiben und könnten erst nach einer um-
fangreichen Restaurierung und einer damit einhergehenden naturwis-
senschaftlichen Untersuchung näher gefasst werden.
In Summa also wird die von Matthias Weniger vorgenommene Abschrei -
bung von Restauratoren und Kunstwissenschaftlern in Dresden und
Madrid nicht geteilt. Wir haben uns daher dafür entschieden, in diesem
Falle mit außergewöhnlicher Deutlichkeit und wissenschaftlicher Kor-
rektheit zu handeln und dem Katalogeintrag diesen Überzeugungs -
dissens voranzustellen, weshalb es dort heißt: „Jusepe de Ribera“, ergänzt
durch den Zusatz „Abschreibung zuletzt durch Matthias Weniger (2005)
in Nachfolge von Craig Felton (1971) und Nicola Spinosa (1978), von der
Gemäldegalerie Alte Meister Dresden nicht übernommen“. Auch in
anderen Fällen wird sicherlich die Frage offenbleiben, ob und inwieweit
die von Matthias Weniger getroffenen Entscheidungen dauerhaft aner-
kannt sein mögen. Wir haben nach bestem Wissen und Gewissen
gehandelt, ohne des Autors Freiheit zu beschneiden. Dieser Bestands-
katalog ist – wie jeder andere auch – eine Bilanz und eröffnet eine wei-
terwirkende Diskussion.
s pa n i s c h e m a l e r e i
11
DANK: EIN RÜCKBLICK
Herrn Dr. Matthias Weniger als dem Autor dieses fundamentalen Kata-
loges, der durch diverse Publikationen bereits im letzten Jahrzehnt
gleichsam angebahnt und vorbereitet wurde, gilt unser erster Dank.
Er selber hatte schon 2005 angekündigt, dass im Anschluss an die
Hamburger Ausstellung „Greco, Velázquez, Goya. Spanische Malerei aus
deutschen Sammlungen“ der Dresdener Bestandskatalog erscheinen
und manches dort nur Angedeutete dann ausführlicher dargelegt werde.
Dieser Anschluss wird nun zum Abschluss, und es ist ein in extenso und
opulent vorgetragenes Finale, außerordentlich material- und facetten-
reich.
Ein zweiter Dank gilt Frau Prof. Marlies Giebe und ihren Mitarbeiterin-
nen in der Gemälde-Restaurierungswerkstatt dafür, dass sie die erfor-
derlichen Untersuchungen, die das Projekt begleiteten, vorgenommen
und ihre Ergebnisse sorgsam eingebracht haben. In diesem Zusammen-
hang ist auch den Staatlichen Museen Berlin für die in Amtshilfe aus-
geführten Gesamtröntgenaufnahmen der Ribera-Gruppe zu danken.
Der dritte Dank ist an Herrn Prof. Harald Marx zu richten, der bis zu sei-
ner Pensionierung 2009 diesem Katalog großes Wohlwollen und viel
Hoffnung entgegenbrachte und der die schlussendlich drängende Voll-
endung mit teilnehmender Freude reifen sah. Das 2010 eingereichte
Manuskript, neben der neuen Tätigkeit von Herrn Weniger in München
finalisiert, wurde durch den Verlag und vor allem durch Herrn Dr.
Sebastian Oesinghaus redigiert, dem auch die abschließende Bildbe-
schaffung und -redaktion sowie die Druckvorbereitung oblagen und der
auf diese Weise mit großem Einsatz die Drucklegung ermöglicht hat.
Vorausblickender Dank gilt – vielleicht verblüffend für manchen Leser
– auch unserer Fachwelt: Sie wird den Diskurs fortführen und die
schwierigsten Fragen am längsten ventilieren. Mögen alle einstimmen
in diese Debatte. Stimmen und Gegenstimmen wird man gerne in der
Gemäldegalerie Alte Meister empfangen, auch wenn manches erst zur
Kenntnis genommen werden und nicht gleich in Entscheidungen über-
führt werden mag.
Außerordentlicher Dank gilt natürlich der Fritz-Thyssen-Stiftung, die das
Stipendium für Dr. Weniger gewährt hat, sowie der ZEIT-Stiftung Ebe-
lin und Gerd Bucerius für die helfende finale Finanzierung zur Druck-
legung des Buches. Weiterer Dank gilt dem Prestel Verlag München, der
diesen wissenschaftlichen Bestandskatalog der spanischen Gemälde der
Dresdener Galerie in das Programm aufgenommen hat. Das Lektorat ist
Barbara Delius und ihrem Team zu verdanken, die grafische Gestaltung
des Bandes lag in den Händen von Petra Lüer, München.
1 Ausst.-Kat. Berlin/Wien 2005, S. 11, 23, 33.
2 Johann Wolfgang von Goethe: Paralipomena. Zur Erinnerung des Städelschen
Cabinets, in: Goethe 1896, S. 349f.
3 John Ruskin, zit. nach: Alte Pinakothek München 1986, S. 359.
4 Meyer 1974, S. 271.
5 Ebd., S. 272.
6 Vgl. Marx 2005.
7 Hegel 1976, Bd. 1, S. 171.
8 Allgemeine deutsche Real-Enyclopädie, Bd. 13, 1947, S. 492.
9 Von Quandt 1850/1853, S. 153.
10 Zit. nach Rößler 2009, S. 395.
11 Ausst.-Kat. Essen 1993, S. 48f.
12 Muther 1925, S. 561.
13 Rott 2007, S. 223.
14 Vgl. Gebauer 2000.
15 Rott 2009, S. 245–247.
16 El Greco 1938, Vorwort, o.p.
17 Woermann 1924a, Bd. 2, S. 281.
18 Von Quandt 1850/53, wie Anm. 9, S. 287.
19 Unger 2007, S. 23.
20 Waagen 1869, S. 22.
21 Justi 1983, S. 261.
22 Ebd., S. 10.
23 Roldán 2005, S. 27.
24 Bode 1911/12, Sp. 213.
25 Ausst.-Kat. Hamburg u.a.O. 2005/06, S. 15.
s pa n i s c h e m a l e r e i
13
Ohne die Unterstützung zahlreicher Einzelpersonen und Institutionen
wäre die Realisierung des Bestandskatalogs in dieser Form nie möglich
gewesen. An erster Stelle ist die Fritz Thyssen-Stiftung zu nennen, die,
flankiert durch eine Beihilfe aus dem Programm für kulturelle Zusam-
men arbeit der Regierung von Spanien, die zweijährige Arbeit am Dres-
dener Bestand überhaupt erst ermöglicht hat, sowie die ZEIT-Stiftung,
Ebelin und Gerd Bucerius, die in erheblichem Umfang zur Finanzierung
der Drucklegung beitrug. Dank Heinz Spielmann und Ortrud Westheider
ließ sich im Bucerius Kunstforum zugleich die erste Überblicksausstel-
lung der spanischen Gemälde in deutschen Sammlungen realisieren.
Mein Dank geht insbesondere aber an Bernhard Maaz, den Direktor der
Gemäldegalerie Alte Meister, ohne dessen unermüdlichen Einsatz dieser
Band nicht erschienen wäre, und an Harald Marx, seinen Vorgänger. Ob-
gleich er diesen Bestand bis zu meinem Eintreffen in Dresden selbst
betreut und wichtige Veröffentlichungen hierzu vorgelegt hat, machte er
sich dieses Vorhaben nicht nur zu eigen und unterstützte es mit ganzer
Kraft, sondern mit großem Wohlwollen und der ihm eigenen Noblesse för-
derte er es selbst dann noch, als es gelegentlich zu anderen Ergebnis sen
führte, als man sich dies im Sinne der Galerie vielleicht gewünscht hätte.
Mein großer Dank gilt darüber hinaus der Chefrestauratorin Marlies
Giebe, die viel von ihrer knappen Zeit geopfert hat, um eine Reihe der
hier vorgestellten Werke intensiv zu untersuchen, und ihrem Kollegen
Christoph Schölzel, der mehrere Arbeiten gemeinsam mit mir mit
Infrarotreflektografie studiert hat, mit teils sehr eindrucksvollen Er-
gebnissen. Auch Gerthilde Sacher möchte ich für ihren Einsatz danken.
Peter Klein hat höchst wertvolle dendrochronologische Analysen und
Holzuntersuchungen beigesteuert, wobei die Analyse eines fest datier-
ten Gemäldes (Kat. 6) einmal mehr die Verlässlichkeit seiner Methode un-
terstrichen hat. Für die Dresdener Ribera-Arbeiten hat Gerald Schulz in
der Berliner Gemäldegalerie eine Vielzahl von Röntgenaufnahmen
höchster Qualität erstellt, von denen viele in diesem Band veröffentlicht
sind; dem Berliner Museum und seinem damaligen Direktor Jan Kelch
ist gleichzeitig für die große Gastfreundschaft und Unterstützung, der
Fritz Thyssen- Stiftung für eine zusätzliche Finanzhilfe zu danken. Auch
Gerhard Rüger und Asmus Steuerlein haben freundlicherweise eine Reihe
von Röntgenfotos für dieses Projekt angefertigt. Maria und Hans-Peter
Schramm lieferten hilfreiche chemische Analysen. Rainer Michaelis ist
für entscheidende Ermutigung und Starthilfe zu danken.
Viele wichtige Hinweise aus kunsthistorischer und sammlungsge-
schichtlicher Sicht verdanke ich Gregor J. M. Weber. Auch Elisabeth
Hipp, Nina Simone Schepkowski und Virginie Spenlé haben mich mit
wertvollem Rat unterstützt, Thomas Ketelsen und Michael Korey danke
ich für fruchtbare Diskussionen. Noch viele andere Dresdener Kollegen
wären für ihr Engagement anzuführen, stellvertretend seien nur noch
Heike Kauffenstein und Hartwig Hänsel genannt. Wichtige Hinweise
verdanke ich schließlich auch Doreen Paula.
Dank gebührt ferner Joost van der Auwera, Pilar Benito, Laurence
Berthon, Hannah Betts, Ulrich Birkmaier, Mar Borobia, Adele Breda,
Christien Briend, Marcus B. Burke, Helene Bussers, Ignacio Cano Rivero,
Alfred und Ronald Cohen, Nicola Costaras, Margarita Cuyàs i Robinson,
Mark Evans, Rupert Featherstone, Gabriel Ferreras, Ana Galilea, Fuen-
santa García de la Torre, Carmen García-Frías Checa, Ana García Sanz,
Francisco García Velasco, Mercedes González de Amezúa, Edward Impey,
Rocío Izquierdo, Javier Jordán de Urries, Laurence B. Kanter, Teresa La-
guna, Olivier Meslay, María José Muñoz, María del Valme Muñoz Rubio,
Arnold Nesselrath, Lourdes Núñez Casares, Fuensanta de la Paz Calatrava,
Janet Pennington, Manuel Pérez Lozano, Javier Portús Pérez, Patricio
Rodríguez, John Rothlind, Ana Sánchez-Lassa, Jochen Sander, Allmuth
Schuttwolf, Nicola Spinosa, Manuel Terrón, Roger Wild, Martha Wolff,
Eric Zafran, Valerie Zell und allen anderen Museumsleitern, Konserva-
toren, Restauratoren und anderweitig Verantwortlichen, die das Studium
der in ihrer Obhut befindlichen Werke unter oft optimalen Bedingungen
ermöglicht haben.
Zu Dank bin ich schließlich all jenen Kollegen verpflichtet, die mit mir in-
tensiv über die Fragen um die Dresdener Bilder diskutiert haben: István
Barkóczi, Claire Barry, Fernando Benito Doménech, Jonathan Brown,
Marcus B. Burke, Herlinda Cabrera, Keith Christiansen, Roberto Contini,
Rocío Dávila, Odile Delenda, Gabriele Finaldi, María Dolores Fuster,
Carmen Garrido Pérez, Véronique Gérard Powell, José Gómez Frechina,
Sergio Guarino, Karin Hellwig, Bill Jordan, Justus Lange, Christophe
Léribault, Hilary Macartney, David Mandrella, José Milicua, Eva Nyerges,
José María Palencia Cerezo, Fuensanta de la Paz Calatrava, Wolfgang
Prohaska, Claudie Ressort, Alfonso Rodríguez G. de Ceballos, Deborah
Roldan, Pierre Rosenberg, Leticia Ruiz Gómez, Erich Schleier, Suzanne
Stratton-Pruitt, Antonio Urquízar Herrera, Enrique Valdivieso, Mercedes
Vega Toro, Juliet Wilson-Bareau, Frank Zuccari und nicht zuletzt Alfonso
E. Pérez Sánchez, der die Drucklegung zu unserem großen Bedauern
nicht mehr erleben kann. Zu guter Letzt ist Craig Felton zu nennen, des-
sen freundschaftliche Unterstützung weit über bloßen Rat hinausging.
Ihm gebührt an dieser Stelle mein ganz besonderer Dank.
dank
matthias weniger
14
matthias weniger
einführung
Die Geschichte der spanischen Malerei in den sächsischen Kunst-
sammlungen beginnt mit dem Jahr 1666, als vier Landschaften als Werke
von Pedro Orrente, eines Bassano-Nachfolgers aus Murcia und damals
fast noch Zeitgenossen (siehe Kat. 30), in die Dresdener Kunstkammer
gelangten. Sie ist seitdem immer von starken Widersprüchen geprägt
gewesen.
Von Diego Velázquez, dem wohl bedeutendsten aller spanischen Künst-
ler überhaupt, sind kaum mehr als 100 Werke überliefert, mehr als die
Hälfte ist immer in Spanien verblieben. In Deutschland befinden sich nur
vier gesicherte Arbeiten. Drei davon hängen seit 1746 in der Dresde ner
Gemäldegalerie (Kat. 31–33).¹ Sie zählen damit zu den wenigen Arbeiten
des Künstlers, die im 18. Jahrhundert überhaupt öffentlich zugänglich
waren. Dass der Louvre oder die Uffizien über kein gesichertes Werk von
Velázquez verfügen, lässt die Bedeutung der Werkgruppe noch klarer
hervortreten.
Anders als Sammlungen in angelsächsischen Ländern vermag in
Deutschland kein einziges Institut einen repräsentativen Querschnitt der
spanischen Malerei anhand von wichtigen Werken ihrer führenden
Vertreter zu bieten – angesichts der Vielfalt historisch gewachsener
Sammlungen und der Bedeutung deutscher Gelehrter für die Er for -
schung der spanischen Kunst ein überaus erstaunliches Faktum. Die
einzige Ausnahme bilden wiederum die sächsischen Kunstsammlungen.
Alle großen Meister des Barock sind in der Dresdener Gemäldegalerie
mit Spitzenwerken vertreten. Zur Velázquez-Gruppe treten drei Gemälde
von Bartolomé Estéban Murillo, darunter eines von herausragender
künstlerischer und historischer Bedeutung (Kat. 10), sowie eines der
besten Bilder im Œuvre Francisco Zurbaráns (Kat. 34). Flankiert wird
dieses Ensemble durch wichtige Werke der beiden anderen großen
Vertreter der Sevillaner Malerschule, Alonso Cano (Kat. 2) und Juan
Valdés Leal (Kat. 29), sowie durch eine kleinere, aber überaus qualitätvolle
Gruppe von Arbeiten aus dem 16. Jahrhundert. Zu dieser gehören das
wohl hochwertigste Bild des aus Portugal nach Sevilla zugewanderten
Vasco Pereyra (Kat. 13), eines der wenigen über jeden Zweifel erhabenen
Täfelchen des „göttlichen“ Luis de Morales außerhalb Spaniens (Kat. 9)
Abb. 0.1a Francisco de Goya, Mann beim Lausen
eines Hundes, Kupferstich-Kabinett, Staatliche
Kunstsammlungen Dresden, Inv.-Nr. C 1899-40
Abb. 0.1b Francisco de Goya, Lauch Essender,
Kupferstich-Kabinett, Staatliche Kunstsammlungen
Dresden, Inv.-Nr. C 1899-41
15
sowie nicht zuletzt das einzige gesicherte Gemälde von El Greco in
Deutschland (Kat. 28). Der schon am Beginn des 16. Jahrhunderts
entstandene Christus an der Geißelsäule mit reumütigem Petrus ist das
quali tätvollste Bild, das sich aus seiner Generation Cordobeser Malerei
erhalten hat (Kat. 4). Begleitet wird dieser Bestand von zwei exquisiten
Gemälden auf Elfenbein von Francisco de Goya im Dresdener Kupfer -
stich-Kabinett (Abb. 0.1a, b). Auch die regionale Ausgewogenheit der
Bestände muss hervorgehoben werden. So ist neben Velázquez und der
Schule von Sevilla auch die barocke Malerei in Madrid und Valencia
durch die Arbeiten von Vicente Carducho (Kat. 3) und Jerónimo de
Espinosa (Kat. 5) hervorragend repräsentiert. Zwar ist der Dresdener
Bestand rein quantitativ etwas kleiner als die spanischen Werkgruppen
in München und Berlin, Künstler wie Valdés Leal, Vicente Carducho oder
Vasco Pereyra sind in Deutschland jedoch nur oder nahezu aus schließ -
lich an der Elbe vertreten.
Zentral war für diese Stellung der Ankauf von 16 vorwiegend spanischen
Gemälden im Jahr 1853. Für Ludwig Gruner, den späteren Direktor des
Dresdener Kupferstich-Kabinetts, galt es seinerzeit explizit, „eine Folge
der vorzüglichsten Meister der spanischen Schulen für die Dresdner
Gallerie zu erwerben“ – auch dies ein Vorgang, der in der deutschen
Museumsgeschichte ohne Beispiel ist.2
Mit diesem hoch gesteckten Ziel nicht genug, gelang der Dresdener
Gemäldegalerie 40 Jahre später mit dem Ankauf des Todes der hl. Klara
von Murillo die wohl bedeutendste Erwerbung eines spanischen Gemäl -
des durch ein deutsches Museum im 19. Jahrhundert (Kat. 10). Allenfalls
die zwei Hauptwerke von Zurbarán aus seinem Bonaventura-Zyklus
sind als gleichwertig zu betrachten, von denen eines 1853 ebenfalls nach
Dresden gelangte (Kat. 34).
In keinem anderen deutschen Museum wurde die spanische Malerei zu-
dem im 19. Jahrhundert so prominent präsentiert wie in Dresden, wo der
Blick aus der Rotunde im Hauptgeschoss der nach den Plänen Gottfried
Sempers erbauten Neuen Galerie direkt auf die Meisterwerke von Fran-
cisco de Zurbarán, Jusepe de Ribera und Bartolomé Esteban Murillo fiel
(Abb. 0.2a). Die Dresdener Galerie schuf die Grundlage für viele bedeu-
tende Entdeckungen des großen deutschen Hispanisten Carl Justi, etwa
für die Erforschung des jungen El Greco. Umgekehrt prägen die Über-
legungen Justis unsere Vorstellungen von Hauptwerken der Dresdener
Spaniersammlung bis heute entscheidend (Kat. 19, 28, 31, 34). Auch der
zweite große deutsche Spezialist für spanische Malerei, August Liebmann
Mayer, hat sich intensiv mit den Dresdener Beständen beschäftigt.3 Von
der Dresdener Gemäldegalerie ging im Jahr 2005 die Initiative aus, in ei-
ner Ausstellung erstmals überhaupt einen Überblick der Bestände an spa-
nischer Malerei in deutschen Sammlungen zu bieten (Abb. 0.2b–0.2c).4
Und jenseits der Galerie ist an den an der Kunst am Dresdener Hof
geschulten Anton Raphael Mengs zu erinnern, dessen 1776 in der epo-
chalen Reise durch Spanien des Antonio Ponz abgedruckter Brief an den
Verfasser „am Beginn der grundlegenden Umwertung“ steht, „die das
Werk von Velázquez in den folgenden hundert Jahren erfahren sollte“
(Henrik Karge).5 Von der breiten Resonanz dieser Schrift zeugen die
schon im Jahr darauf fertiggestellte italienische Ponz-Ausgabe und die
auf dieser basierende deutsche, die ein weiteres Jahr später erschien. Zu
keinem anderen Künstler außer Raffael äußert sich Mengs in diesem
„Brief“ auch nur annähernd so ausführlich wie zu Velázquez, und wie für
den modernen Betrachter war bereits für Mengs Velázquez’ Spätstil
e i n f ü h r u n g
Abb. 0.2a Saal im Hauptgeschoss, Gemäldegalerie
im Semperbau, Historisches Foto, um 1900
Abb. 0.2b Ausstellung „Spanische Malerei in deutschen
Sammlungen“, Bucerius Kunstforum Hamburg, 2005
Abb. 0.2c Ausstellung „Spanische Malerei in deutschen
Sammlungen“, Bucerius Kunstforum Hamburg, 2005
16
„unstreitig sein bester“. Schon damals konnte man lesen, wie „fürtreff-
lich“ der Maler „die Wirkung der Luft“ verstand, „welche sich zwischen
den Gegenständen befindet“.6 Im Jahr 1781 veröffentlichte ein Dresdener
Verlag die deutsche Ausgabe des bedeutenden Kompendiums von
Antonio Palomino unter dem Titel Leben aller Spanischen und fremden
Mahler, Bildhauer und Baumeister, welche sich in Spanien durch ihre Werke
berühmt gemacht haben, wiederum mit breiter Würdigung des Velázquez.7
Gleichwohl gab es immer auch eine andere Seite. Die 1666 als Werke von
Pedro Orrente erworbenen Landschaften sind seit dem 17., spätestens
aber seit dem 18. Jahrhundert verschollen,8 und ebenso verblieben leider
auch andere einschlägige Arbeiten nicht dauerhaft in Dresden. Am
schmerzlichsten ist sicher der Abgang eines zweiten Schlüsselwerks
von El Greco, seiner Vertreibung aus dem Tempel, heute in Minneapolis
(Abb. 0.3). Das Bild, das durch die unten rechts eingefügten Porträts der
Lehrer, Vorbilder und Mentoren Tizian, Michelangelo, Giulio Clovio und
vermutlich Raffael einen sehr persönlichen Charakter trägt, wurde in
den 1740er-Jahren aus der kaiserlichen Galerie in Prag erworben und von
Pietro Guarienti als Werk Tintorettos inventarisiert, hat die Dresdener
Sammlung aber offenbar schon bald wieder verlassen.9 Von den über 100
Gemälden, die Louis Talon 1744 aus Spanien nach Dresden schickte,
sind nur vereinzelte Stücke im Bestand der Gemäldegalerie nachweisbar
(siehe unten). Auch eines der 16 im Jahr 1853 von dem damals in London
ansässigen Ludwig Gruner (1808–1882) gekauften Werke ist nicht lange an
der Elbe geblieben, eine in der Galerie espagnole des Louvre als Werk von
Navarrete el Mudo ausgestellte Geißelung Christi: Als „der Aufstellung
nicht würdig befunden“ wurde das große, 215 × 156 cm messende Werk
schon 1861 wieder verkauft.10 Seitdem muss es ebenfalls als verschollen
gelten, was umso bedauerlicher ist, als sich von Navarrete nur ein äußerst
schmales Œuvre erhalten hat, sodass eine Kenntnis des Gemäldes selbst
dann von größtem Interesse wäre, wenn sich die Zuschreibung des
19. Jahrhunderts am Ende als nicht haltbar erwiese.11
Überhaupt scheint der Enthusiasmus Gruners in Dresden nicht von al-
len geteilt worden zu sein. Es war offenbar nur dem äußeren Zwang der
großen Formate geschuldet, dass man den spanischen Gemälden bei der
Einrichtung des am 25. September 1855 eröffneten neuen Galeriegebäudes
einen so prominenten Platz in den großen Sammlungssälen des Haupt-
geschosses zuwies (Abb. 0.2a). Galeriedirektor Julius Schnorr von Carols -
feld wollte sie zunächst in einem Ecksaal des zweiten Obergeschosses
unterbringen, in dem nach Lindau das „Mittelgut“ aufgehängt wurde,12
musste diesen Plan aber aufgrund der großen Formate aufgeben.13Zwei
seiner Nachfolger in der Galeriedirektion, Karl Woermann und Hans
Posse – die ersten Kunsthistoriker auf dieser Position –, begegneten
einigen der Zuschreibungen aus der Galerie espagnole mit einem Miss-
trauen, das in erster Linie ihre mangelnde Kenntnis der spanischen
Malerei verrät.14 Nachdem schon Woermann die in seinen Augen ge-
schmacklose „Pflasterung der ganzen Wände mit Gemälden“ zu redu-
zieren versucht hatte,15 weshalb von einer Auflage des Katalogs zur
nächsten eine stetige Abwanderung spanischer Gemälde aus der Galerie
zu verzeichnen ist,16 nutzte Posse den großen Umbau von 1912/1914, um
Raum H „der Bedeutung seiner Lage entsprechend in einen Rubenssaal“
umzuwandeln.17 Ein großer Teil der Werke wurde ins Depot verwiesen
oder als Dauerleihgaben an andere Einrichtungen gegeben.
Auch in Hinblick auf ihre Emotionalität mussten die von ekstatischer
Frömmigkeit geprägten spanischen Arbeiten im zutiefst protestanti-
schen Dresden fast zwangsläufig auf Vorbehalte stoßen. Am deutlichsten
treten diese in der Beurteilung des Ecce homo von Morales zutage (Kat. 9).
Dass dieses Empfinden von Fremdheit nicht auf Sachsen beschränkt
blieb, verdeutlichen die ironischen Kommentare Richard Fords, eines der
besten Kenner Sevillas,18 über den Verkauf der Galerie espagnole 1853 in
London. Wenn er „the general lugubrious impression of the cowled
monks, armies of martyrs, and knights of rueful countenance“ schildert
oder „the repulsive representations of monastic Faquirs who hope to
take Heaven by storm and starvation, and by making earth a hell“,19 dann
spricht er manches aus, was man in Dresden wohl oft nur gedacht hat
– auch mit Rücksicht auf das zum Katholizismus konvertierte Herr-
scherhaus. Gelegentlich machte sich das Befremden freilich dennoch
Luft. So hatte Mosen nur kurz vor dem Pariser Ankauf zu dem Morales
notiert: „Ein fremdes Klima, ein wildfremder Geist blickt uns daraus an.
Es ist der spanische Fanatismus.“20
Schmerzhaft sind schließlich die verpassten Gelegenheiten. Sowohl der
Ankauf der 16 Bilder aus Paris 1853 wie der Erwerb des Todes der hl. Klara
1894 führten zu einer Welle von Schreiben an die Direktion der Galerie,
in denen weitere spanische Arbeiten angeboten wurden.21 Lässt sich über
deren Wert mangels Abbildungen meist nicht urteilen, so kann auf-
grund der Themenauswahl kaum ein Zweifel darüber bestehen, dass mit
zwei der „trois beaux Morillos“, die Samuel de Brais Brühl am 31. August
1742 aus dem Besitz des Pariser Bankiers Couvet anbot,22 die eindrucks-
vollen späten Gemälde mit dem Martyrium des hl. Andreas und der
Bekehrung des Paulus gemeint waren, die in der Folge unter Karl IV. (reg.
1788–1808) in die königlich spanischen Sammlungen und später in den
e i n f ü h r u n g
Abb. 0.3 Doménikos Theotokópoulos,
gen. El Greco, Vertreibung aus dem Tempel,
The Minneapolis Institute of Arts, The William
Hood Dunwoody Fund, Inv.-Nr. 24.1
17
Prado gelangten (Abb. 0.4–0.5).23 Bei dem dritten Bild, das aus Sicht de
Brais’ den anderen noch vorzuziehen sei, handelte es sich um eine Ruhe
auf der Flucht, vielleicht die Fassung, die sich heute in der Eremitage be-
findet.24Weil de Brais einen vermutlich hohen Preis signalisierte, winkte
Brühl schon im Vorfeld ab: „Pour ce qui est des Morillos vous n’aves qu’à
les abandonner si l’on ne rabat beaucoup du pris.“25
Zu nennen sind schließlich auch die Kriegsverluste, unter denen vor
allem die Zerstörung der Tafel mit einer Kreuzigung von Juan Correa de
Vivar (ehemals Gal.-Nr. 679) und die vermisste Kopie von Murillos Kleiner
Obsthändlerin (Gal.-Nr. 706) sehr schmerzhaft sind.26 Gleichwohl bleibt
zu konstatieren, dass die kleine Gruppe der spanischen Gemälde die
Bombennacht des 13. Februar 1945 und die Plünderungen der Nach-
kriegszeit im Verhältnis zu den italienischen und niederländischen Wer-
ken noch glimpflich überstanden hat.
DER AUFBAU DER SAMMLUNG
Die bereits genannten „quatre paysages originaux de Pietro Orrente“
wurden am 27. März 1666 „von der Frau Mutter des Prinzen aus Portugal
durch dessen Envoyen Don Lorenzo Astrapheli“ der Kunstkammer als
Geschenk übergeben.27 Sollte es sich bei dem Prinzen um den späteren
portugiesischen König Peter II. gehandelt haben, so wäre seine Mutter
eine spanische Adlige gewesen, Luisa de Guzmán, Tochter des achten
Herzogs von Medina Sidonia. Die genauen Umstände dieser Schenkung
sind nicht bekannt, doch dürfte eine ganze Reihe einschlägiger Arbeiten
als diplomatische Geschenke, über familiäre Verbindungen oder im
Rahmen der Anbahnung von Ehebündnisssen nach Sachsen gelangt
sein – erinnert sei etwa daran, dass eine Tochter Friedrich Augusts II.,
dem die Dresdener Galerie in vielem ihre heutige Gestalt verdankt, mit
Karl III. verheiratet war, einem der bedeutendsten Monarchen der spa-
nischen Geschichte.28 An dieser Stelle kann angemerkt werden, dass sich
August der Starke auf seiner Kavalierstour 1687/88 selbst über einen
Monat in Madrid und Umgebung aufgehalten und dort das königliche
Schloss sowie die Residenzen El Retiro, El Pardo, Aranjuez und El Esco-
rial besichtigt und also mit Sicherheit die Werke von Velázquez und
weiteren spanischen Malern aus erster Hand gesehen hatte.29 Über ver-
wandtschaftliche und diplomatische Kontakte gelangte wohl auch eine
größere Gruppe von Porträts von Mitgliedern des spanischen Hofes
nach Sachsen, die jedoch zumeist nur aus den Quellen bekannt sind,
jedoch nie in die Galerie aufgenommen wurden, sodass über den Cha-
rakter dieser Arbeiten nur zu spekulieren ist.30
Mit insgesamt mindestens 16 Gemälden gelangte knapp die Hälfte des
heute noch vorhandenen Bestandes an spanischen Werken in der Glanz-
zeit der Galerie vor dem Siebenjährigen Krieg nach Dresden.31 Die weit-
aus größte Gruppe stellen dabei die neun Gemälde von oder in der Art
von Ribera – ein Name, der in keiner Kunstsammlung fehlen durfte.32
Entsprechend überproportional war Ribera auch in dem Stichwerk ver-
treten, das 1753/1757 die berühmtesten Werke der Galerie vorstellte
(Abb. 14.7, 16.3, 19.5).33 Allerdings wurden die Arbeiten von und nach
Ribera bis ins 19. Jahrhundert im Rahmen der italienischen Schule prä-
sentiert, was bei diesem nur in Italien greifbaren Künstler durchaus
vertretbar ist und in einigen großen Museen bis heute so praktiziert
wird. Den verfügbaren Nachrichten zufolge wurden diese Bilder vor 1722
durch Baron von Schacht (Kat. 15), 1738 durch Bonaventura Rossi in Ve-
nedig (Kat. 16, 18) 34, 1742 durch Carl Heinrich von Heineken in Hamburg
(Kat. 14), 1746 durch von Heineken aus Spanien (Kat. 17), 1748 (?) durch
Graf Bene de Masseran (Bena de Maserán, di Masserano) aus Spanien
(Kat. 19) sowie vor 1753 (Kat. 20, Kat. 22) erworben, womit der Grundstock
der Ribera-Sammlung bereits vor der eigentlichen Einrichtung des Stall-
hofes als Galeriegebäude in den 1740er-Jahren gelegt wurde.35 Eine wei-
tere Arbeit kam bis 1856 und damit vielleicht erst im 19. Jahrhundert
hinzu (Kat. 21). Nahezu alle Werke stammen aus unterschiedlichen Quel-
len. Bemerkenswerterweise lassen dennoch die meisten von ihnen die
e i n f ü h r u n g
Abb. 0.4 Bartolomé Esteban Murillo,
Martyrium des hl. Andreas, Museo del Prado,
Madrid, Inv.-Nr. P00982
Abb. 0.5 Bartolomé Esteban Murillo,
Bekehrung des Paulus, Museo del Prado,
Madrid, Inv.-Nr. P00984
18
Tendenz erkennen, sich den beim Aufbau der Galerie bestimmenden
Idealen anzupassen. Seit der Frühzeit ihres Bestehens ist bei der Auswahl
der Werke ein Streben nach Schönheit, Lebensfreude und Harmonie zu
beobachten. Für die Mühsal des Lebens und den Verweis auf eine Kom-
pensation im Jenseits, wie er sich nicht zuletzt in den Martyriumsszenen
des Jusepe de Ribera manifestiert, blieb wenig Raum.36 Man hat sich des-
halb seit von Heineken gerühmt, in Dresden die andere, heitere Seite des
Künstlers zu repräsentieren,37 doch erweist eine vertiefte Beschäfti-
gung mit den Dresdener Gemälden, dass man sich durch diese besondere
Ausrichtung mehrfach zum Kauf von Nachfolgerarbeiten verleiten ließ.
Als Parallelerscheinung zu diesen Sammelbestrebungen sei schließlich
noch auf die umfangreiche Ribera-Kollektion des Dresdener Kupfer-
stich-Kabinetts hingewiesen.38
Quantitativ an zweiter Stelle, in ihrer Bedeutung jedoch erstrangig sind
daneben die drei Velázquez-Gemälde, die im Zuge der Übernahme der
100 besten Bilder aus der Galerie der Este in Modena nach Dresden
gelangten (Kat. 31–33). Zwei von ihnen wurden freilich nicht als spani-
sche Werke erworben, da sie zur Zeit des Ankaufs als Arbeiten von
Rubens galten; lediglich das dritte Bild (Kat. 33) war korrekt benannt.39
Unter ihrer richtigen Bezeichnung erwarb man ferner den Ecce homo von
Morales (Kat. 9) und die Maria mit Kind von Murillo (Kat. 12), dem einzi-
gen in Spanien selbst tätigen Maler, der sich bereits im 17. Jahrhundert
bei Sammlern außerhalb des Landes großer Beliebtheit erfreute.40 Dabei
ist die Murillo-Madonna sicher nicht zufällig das einzige Gemälde, das
man gezielt als spanisches Werk erwarb.41 Der noch in Dresden befind-
liche El Greco schließlich (Kat. 28), kam, aus nicht ganz unverständlichen
Gründen, 1741 als venezianisches Werk ins Haus. Als letzte Erwerbung des
18. Jahrhunderts wäre noch eine Personifikation des Glaubens zu nennen
(Kat. 27), deren Lokalisierung nach Spanien aber einige Zweifel aufwirft.
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass der sächsische Lega -
tionssekretär in Madrid, Louis Talon, 1743 durch Graf Hans Moritz von
Brühl, den Bruder des Ministers, zum Kauf von italienischen, nicht von
spanischen Gemälden angehalten wurde.42 Talon folgte dieser Maß-
gabe nur bedingt. Wenn seine Erwerbungen nach ihrem Eintreffen auch
scharf kritisiert wurden, so lässt sich doch kaum beurteilen, ob dies an
der großen Anzahl von Kopien oder auch an einem mangelnden Ver-
ständnis für die Eigenheiten und Qualitäten der spanischen Kunst lag,
da die Bilder fast komplett verschollen oder zumindest nicht identifiziert
sind. Allerdings belegt der zwischen Madrid und Dresden geführte Brief-
wechsel, der eine schrittweise Demontage Talons bedeutete, dass dieser
sich in mehrfacher Hinsicht sehr ungeschickt verhalten hatte. Er miss-
achtete die ihm von den beiden Brühl auferlegten Maßnahmen zur
Prüfung der Angebote sowie ihre dringende Warnung vor dem Kauf von
Kopien, offerierte dieselben Gemälde erst als Originale, dann als Wie-
derholungen (woraufhin ihm der Minister eine Parallelliste schickte),
sprach in seinen Packlisten selbst von „Copies ordinaires“ oder einer „pe-
tit Païsage de non-valeur“.43 Den überwiegenden Anteil der insgesamt 147
Bilder erstand er bei Diego de Molina, einer offenbar höchst zwielich-
tigen Gestalt.44 Als ihm zehn Gemälde unterschlagen wurden, verwei-
gerte er dem eingeschalteten Anwalt die Herausgabe des Originalkon-
trakts. Der Ton von Talons sächsischen Korrespondenzpartnern schlug
in blankes Entsetzen um, als am 27. September 1744 sechs Kisten tat-
sächlich eingetroffen und geöffnet worden waren. Von Heineken
schreibt: „Mais Monsieur je ne sais veritablement comment vous expri-
mer mon etonnement, que j’ai eû, en faisant la revuë de ces pieces, dont
pas une merite la peine d’étre venue si loin. Il faut absolument que les
peintres d’Espagne d’apresent soient des grands ignorans, et j’ai vû par
cet echantillon la decadence de cette nation.“45
Dass auch Unverständnis eine Rolle spielte, mag man daraus ersehen,
dass das Gegenstück zum Ecce homo von Morales (Kat. 9), eine trauernde
Maria, zu den Arbeiten gehört, die sich schon kurz darauf in Dresden
nicht mehr nachweisen lassen.46 Andererseits fanden die für spanisch
erachteten Arbeiten bei Talons Gegenspielern meist noch eher Gnade als
all die vermeintlichen Michelangelo, Tizian, Annibale, Reni oder Correggio.
In einer Aufstellung von neun im zitierten Brief von Heinekens für
„passables“ erklärten Stücken („Le reste ne vaut absolument rien“) heißt es
zu einer von Talon als Werk Francisco Herreras ge schick ten Auferstehung:
„C’est une piece originale, quoique ce Fr. Herrera nous soit fort inconnu.“
In einem geringfügig versöhnlicheren Brief vom 27. Dezember 1744 lässt
von Heineken einige wenige weitere Gemälde gelten.47
Leider ist besagte Auferstehung Christi offenbar ebenso wenig auf uns
gekommen wie einige weitere Gemälde, die in den Listen von Talon als
Originale spanischer Künstler beschrieben werden: zwei Wanderzüge
des Jakob von Pedro Orrente, ein Jakobssegen, Frühwerk desselben
Künstlers, ein Joachim (Joseph?) mit Jesuskind von Zurbarán, eine Kreuz-
abnahme von (Francisco) Rizi, eine Virgen de la Soledad von Murillo, ein
Fischer mit Fischkorb aus der Schule Murillos, Alte Hütten mit Vieh von
Palomino sowie eine Anbetung der Könige von Carreño.48
Neben den von Diego de Molina stammenden Bildern wird in den Auf-
stellungen „Un Vendeur d’Eau de Seville, de Velasco. 200 rs“ genannt, also
offenbar eine Wiederholung des Gemäldes aus der Königlichen Samm-
lung, das sich heute in der Duke of Wellington Collection befindet,49
sowie eine „Vierge et l’Enfant Jesus sur un coussin, par Ribera“.
Neben dem Morales und dem zuletzt genannten Gemälde, sollte es
denn mit einer wohl eher flämischen Madonna der Galerie identisch
sein (im Anhang verzeichnet), wurden weniger als zehn weitere Arbeiten
in die Galerie übernommen. Von den verschollenen Werken, die
seinerzeit als spanisch galten, lässt sich die Königsanbetung von Carreño
noch am längsten in der Galerie verfolgen. Sie wird im Inv. Doubletten-
Saal 182150 und im Inv. Vorrat „vor 1841“51 verzeichnet, schließlich wur de
auch sie – am 6. Februar 1841 – wieder veräußert.52 Ein für spanisch er -
achteter Apostelkopf (aus den Ankäufen von Talon?) sollte ebenfalls im
Februar 1841 verkauft werden, endgültig wurde er 1859 abgestoßen.53
Daneben besteht noch die vage Möglichkeit, dass eine 1821 im Doublet ten-
saal anonym verzeichnete, 1832 oder 1834 erstmals ausgestellte Kreuz -
abnahme mit der von Talon als aus der Hand von „Rizi“ klassifizierten
identisch wäre.54 Was in einen Triumph der spanischen Malerei in
Deutschland hätte münden können, endete in einem Fiasko.55
Allerdings lassen die Animositäten zwischen Brühl und von Heineken auf
der einen und Talon auf der anderen Seite es fraglich erscheinen, ob alle
Erwerbungen Talons in den späteren Inventaren und Führern der Gale-
rie tatsächlich als solche verzeichnet wurden. So darf daran erinnert
werden, dass im Kontext der Sendung Talons ein Gemälde Riberas ge-
nannt wird, bei dem es sich nach Thema und Maßen um Kat. 17 handeln
könnte – von dem es jedoch heißt, es sei durch von Heineken 1746 aus
Spanien erworben worden.56 Das sehr problematische Madonnenbild
(im Anhang verzeichnet) wird in der Regel mit der zitierten „Vierge et
l’Enfant Jesus sur un coussin, par Ribera“ identifiziert, doch lässt schon
e i n f ü h r u n g
19
die Zuschreibung an Ribera bezweifeln, dass das erhaltene Werk tat-
sächlich aus Talons Ankauf stammt. Darüber hinaus ist zu bedenken,
dass Brühl nachweislich versuchte, einige Stücke vorab beiseite schaffen
zu lassen. Dass er selbst spanische Gemälde besaß, belegt ein ein-
drucksvoller Hl. Hieronymus von Antonio de Pereda, der damals allerdings
noch als Werk des Ribera – und damit in der Auffassung der Zeit als ita-
lienisch – galt (Abb. 0.6).57 Bezüglich nach Dresden gelangter, heute aber
nicht mehr nachweis barer spanischer Gemälde ist noch zu erwähnen,
dass auch Bene de Masseran, der spanische Gesandte in Dresden, nicht
nur ein Bild der Hl. Agnes (Kat. 19), sondern eine ganze Reihe von Ge-
mälden aus Spanien über Hamburg nach Dresden hatte transportieren
lassen.58
Mit besagter Ausnahme fand offenbar keines von ihnen Aufnahme in
der Galerie. Mit ihren Werken von Velázquez, Murillo, Ribera, Morales
und El Greco bot die Dresdener Galerie, obwohl man dies an der Elbe
selbst kaum würdigte, in der Mitte des 18. Jahrhunderts die bedeutendste
Kollektion spanischer Malerei in Deutschland.59 In der Hängung trat sie
zwar nicht als geschlossenes Ensemble in Erscheinung, gleichwohl wa-
ren auf den Divisionen der Wände im alten Galeriegebäude, wie sie
sich aus den Inventaren und Katalogen erschließen lassen und wie sie
von Gregor J.M. Weber rekonstruiert und teilweise publiziert worden
sind, namentlich die Gemälde von Ribera an sehr prominenter Stelle
platziert (Abb. 0.7).60
ERWERBUNGEN UND PRÄSENTATION
DES 19. JAHRHUNDERTS
Hatte man die Madonna Murillos zunächst unter den Malern aus Flan-
dern aufgehängt, in einem Kontext also, in dem der Sevillaner Maler in
der Tat besonders früh rezipiert worden war (siehe Kat. 12), und den
Morales erst in der Nachbarschaft von Rubens, van Dyck und Rembrandt,
dann aber – offensichtlich, wie bereits angedeutet, aus Unkenntnis –
zeitweilig gar nicht gezeigt,61 so entschloss sich Johann Friedrich Mat-
thäi,62 die wenigen spanischen Arbeiten erstmals in einem Raum „B“ als
eine eigene Gruppe auszustellen.63 Hierzu fügte sich der Erwerb eines
Genrebildes von Murillo im Jahr 1830, das sich allerdings kurz darauf als
Kopie nach einem der Münchner Gemälde herausstellte (im Anhang ver-
e i n f ü h r u n g
Abb. 0.6 Nach Antonio de Pereda,
Hl. Hieronymus, Kupferstich-Kabinett, Staatliche
Kunstsammlungen Dresden,
Inv.-Nr. A 102088
Abb. 0.7 Rekonstruktion einer „Division“
(nach Gregor J.M. Weber)
20
zeichnet). Die Ribera zugeschriebenen Werke blieben zwar separat, wur-
den aber offenbar ebenfalls in einer Gruppe zusammengefasst.
Eine grundlegend neue Situation entstand mit der Ersteigerung von 16
Bildern aus der Galerie espagnole 1853 in London. Bei dieser 1838 im
Louvre (Musée Royal) eingerichteten Galerie handelte es sich um
den Versuch, eine repräsentative Auswahl an spanischer Malerei des
15.–19. Jahrhunderts in Paris zu präsentieren. Die Werke waren nicht
Teil der Kriegsbeute aus der Zeit der französischen Besetzung Spaniens
1808–1814, sondern sie wurden 1835–1837 auf einer von Baron Isidore
Taylor (1789–1879) geleiteten Mission in Spanien erworben, überwie-
gend in Sevilla, Madrid und Cádiz. Zu der Mission gehörten die Maler
Adrien Dauzats und Pharamond Blanchard, zudem wurde sie durch
zahlreiche spanische Helfer und Mittelsmänner unterstützt.64 Mehr als
450 Gemälde gelangten so nach Paris, die zwar im Louvre inventarisiert
und restauriert wurden, aber aus der Zivilliste bezahlt worden waren und
deshalb nach der Revolution von 1848 als Privateigentum des „Bürger-
königs“ Louis-Philippe (1773–1850) galten. Drei Jahre nach seinem Tod
wurden sie in London versteigert, zusammen mit einer zweiten, noch-
mals knapp 250 Bilder umfassenden Sammlung, die der viele Jahre in
Sevilla ansässige Engländer Frank Hall Standish (1799–1840) aufgebaut
und dem König vermacht hatte. Dieser hatte sie der Galerie espagnole
als Musée Standish angliedern lassen.65
Die in diesem Doppelkomplex zusammengefassten Bestände hatten
einen überragenden Einfluss auf die französische Romantik und die
Malerei der zweiten Jahrhunderthälfte,66 waren aber schon nach dem
Urteil der Zeitgenossen von sehr ungleicher Qualität.67 Es ist überaus
bemerkenswert, mit welcher Sicherheit es Gruner gelang, nicht nur
den umfangreichsten Werkkomplex, sondern zugleich einige der
qualitätvollsten Werke dieses Konvoluts zu ersteigern68 – gegen die
Konkurrenz der National Gallery in London und zahlreicher weiterer
Bieter.69 Als herausragend ist sicher das großformatige Gemälde Gebet des
hl. Bonaventura von Zurbarán zu nennen (Kat. 34, Abb. 0.8), das einzige
Werk aus dem Bonaventura-Zyklus, das nach dem Abzug der Franzosen
aus Spanien in Sevilla verblieben war. Es handelte sich wohl um das
bedeutendste der beinahe 80 Zurbarán zugewiesenen Gemälde in der
Galerie espagnole. Richard Ford, einer der sachkundigsten Beobachter
der Auktion, beschrieb es als „one of the noblest pictures of the sale“.70
Dass hier vor allem Kennerschaft gefragt war, belegt der für das Werk
erzielte Preis, der nur ein Drittel der für den Hl. Rodrigo von Murillo
(Kat. 11) geforderten Summe betrug. Auch mit dem Erwerb des Carducho
(Kat. 3), des Pereyra (Kat. 13), des Valdés Leal (Kat. 29) und des frühen
Cordobeser Gemäldes (Kat. 4) bewies Gruner eine sehr glückliche Hand.
Zwölf Bilder ersteigerte er direkt, vier weitere kaufte er, nach Vorliegen
der entsprechenden Erlaubnis am 29. Juni 1853, nachträglich über
Zwischenhändler.71 Anders als bei so vielen anderen Übernahmen aus
e i n f ü h r u n g
Abb. 0.8 Francisco de Zurbarán, Gebet des
hl. Bonaventura um die Wahl des neuen
Papstes (Kat. 34)
Abb. 0.9 Wilhelm Gail, Kircheninterieur,
Gemäldegalerie Alte Meister,
Staatliche Kunstsammlungen Dresden,
Inv.-Nr. Mo 1904
21
der Galerie espagnole finden sich unter Gruners Erwerbungen nur sehr
wenige Stücke, deren Zuschreibung sich langfristig als nicht haltbar
erweisen sollte (vgl. Kat. 30). Wer sich heute einen Eindruck von der
Museumsgründung des Louis-Philippe verschaffen möchte, muss sich
daher an die Elbe begeben.
Dass Gruner bei der Auswahl der Werke über Entscheidungsfreiheit
verfügte, wird aus den in Abschriften erhaltenen Unterlagen deutlich. So
schildert er am 31. Mai 1853 gegenüber der Direktion der Gemäldegale-
rie, wie er „das mir geschenkte Vertrauen, eine nahmhafte Summe für
den Ankauf spanischer Bilder nach meinem besten Urtheil zu verwen-
den, zu verdienen gesucht“ habe.72 Wie stark aber sein Rückhalt in Dres-
den war und inwieweit bei dem Ankauf womöglich noch andere Motive
eine Rolle spielten, lässt sich aus den bislang bekannten Quellen nicht
beurteilen. Denkbare Aspekte wären hier die katholische Ausrichtung
des Königshauses oder die restaurativen Bestrebungen in Sachsen, mit
denen die Regierung von Beust auf die Unruhen von 1849 reagierte.
Diese waren paradoxerweise ihrerseits die Folge einer Kettenreaktion,
die mit dem Sturz eben des Bürgerkönigs Louis-Philippe ihren Ausgang
genommen hatte. Für Hübner war der Ankauf „der edlen Fürsorge und
innigen Kunstliebe unseres unvergesslichen allgeliebten Friedrich Au-
gust“ zu verdanken,73 während das von Payne in Leipzig verlegte Kunst-
Journal das Verdienst für den Ankauf dem „kunstsinnigen Bestreben des
Herrn Staatsministers von Beust“ zuschrieb.74 Selbst wenn sich der
Ankauf, mit dem man der Sammlung eines gestürzten Königs Asyl ge-
währen und zugleich am Glanz des Louvre partizipieren konnte, in eine
Reihe von der Regierung gesteuerter kultureller Initiativen einordnen
sollte, so spielten unabhängig davon sicher die günstige Gelegenheit, die
bevorstehende Eröffnung des Museumsneubaus sowie nicht zuletzt der
Umstand eine Rolle, dass die von Matthäi zusammengestellte Spanier-
gruppe die Grenzen dieses Bestandes erst recht bewusst gemacht hatte.75
Zugleich spricht schon der Umstand, dass Gruner selbst bedauerte, „daß
ich nicht vor Beginn der Versteigerung mit Aufträgen beehrt wurde“,
gegen eine von langer Hand vorbereitete Unternehmung.76 Da die Erwer -
bung seinerzeit ein erstaunlich geringes Echo hervorrief, werden einige
Fragen vielleicht auf Dauer ungeklärt bleiben.77
Vor allem angesichts der Indifferenz des damaligen Galeriedirektors
Schnorr78 und der in Sachsen tief verwurzelten antikatholischen Ressen -
timents erscheint der Ankauf bis heute als erstaunliches Phänomen.79
Die religiösen Vorbehalte äußern sich sehr eindrücklich etwa in der
Schilderung des Gemäldes von Correa (Kriegsverlust, im Anhang ver-
zeichnet); es zeige „die düsterste spanische Anschauung“ und scheine
„blos geeignet zu sein, das Gemüth in seinen innersten Tiefen zu er-
schüttern, aber nicht, um es dem für die Erlösung der Menschheit […] da-
hingegangenen Meister zu erheben“.80 Ein Gemälde von Wilhelm Gail
von 1834, das offensichtlich die Kapelle des D. Alvaro de Luna in der
Kathedrale von Toledo paraphrasiert, steht für das romantische Interesse
an dem fernen Land, das sich außerhalb Dresdens vor allem an den – jün-
geren – Gemälden der Schack-Galerie fassen lässt (Abb. 0.9).81
Bemerkenswert ist bei der Dresdener Werkgruppe aus der Galerie espa-
gnole auch, in welchem Maße sich der materielle Bestand der einst im
Louvre ausgestellten Gemälde bewahrt hat. Obwohl die Gemälde nach
1848 angeblich aufgerollt von Paris nach London geschickt wurden,82
sind fast alle Leinwände bis heute auf die Keilrahmen gespannt, die in
der Vorbereitung zur Ausstellung im Musée Royal um das Jahr 1837 an-
gefertigt wurden (Abb. 2.1, 3.1, 5.1, 11.1, 29.1, 30.1, 34.1).83 Die Holztafeln sind
sämtlich ungedünnt und nicht parkettiert (Abb. 4.1, 6.1, 13.1). Wie der
jeweils verwandte Befund zeigt, stammen die Doublierungen meist eben-
falls noch aus jener Zeit;84 entsprechende Kampagnen sind im Archiv des
Louvre dokumentiert.85 Auf der Rückseite der Bildträger finden sich fast
durchweg noch die Nummer der ersten Auflage des gedruckten Katalo-
ges der Galerie espagnole von 1838 (in schwarzer Kreide auf den Keil-
rahmen, Abb. 0.12), oft auch die Eingangsnummer des Louvre86 (in
schwarzer Farbe auf den Keilrahmen, bisweilen zusätzlich auf der Doub-
lierleinwand, teils auch in weißer Kreide, Abb. 0.12) und, in weißer
e i n f ü h r u n g
Abb. 0.10 Umkreis des Cavalier
d’Arpino (Bernardino Cesari
d’Arpino), Die unbefleckte
Empfängnis, Gemäldegalerie
Alte Meister, Staatliche
Kunstsammlungen Dresden,
Gal.-Nr. 676
Abb. 0.11 Gemälderückseite,
Umkreis des Cavalier d’Arpino,
Gal.-Nr. 676
22
Kreide aufgetragen, die Versteigerungsnummer und das Datum der Ver-
steigerung von 1853 (auf den Holztafeln oder den Doublierleinwänden,
Abb. 0.13).87 Außerdem beobachtet man sehr häufig eine „B“-Stanze
(etwas unter 6 mm in den Keilrahmen oder in modernen Verstrebungen
der Holztafeln), deren Bedeutung bislang nicht geklärt werden konnte,88
sowie, als ältestes dieser Notate,89 eine Aufschrift mit einer weiteren,
bislang nicht zuzuordnenden Nummer, dem französischen Kurztitel
des Werkes90 und den Maßangaben91 (Abb. 3.2, 5.2). Die ebenfalls aus der
Galerie espagnole stammende Empfängnis der Maria aus dem Kreis des
Cavalier d’Arpino (Gal.-Nr. 676, Abb. 0.10) zeigt einen analogen Befund
(Abb. 0.11).92 Viele der Gemälde weisen Papierverklebungen der Ränder
auf, die, sollten die Leinwände tatsächlich eingerollt nach London ge-
bracht worden sein, in England vorgenommen worden sein müssen.93
Um eher isolierte Erscheinungen handelt es sich hingegen bei den auf
die Doublierleinwände des Carducho (Kat. 3) und der Pastorale nach
Orrente (Kat. 30) gemalten Zahlen „5“ bzw. „31“ sowie bei den abge-
schnittenen Lettern und Zahlen auf den Randleisten der Keilrahmen der
Bilder von Cano (Kat. 2) und Valdés Leal (Kat. 29). Die noch vom spani-
schen Vorbesitzer stammenden Papierzettel auf zwei der Gemälde
(Kat. 11; Kat. 2, Abb. 2.2) scheinen von den Pariser Restauratoren aufgrund
ihres dokumentarischen Werts auf die Doublierleinwände übertragen
worden zu sein. Aus den erhaltenen Abrechnungen wird deutlich, dass
die Restaurierungsarbeiten an den Bildern der Galerie espagnole sehr
zügig durchgeführt wurden.94
Diese Beobachtungen bedeuten eine große Hilfe bei der Identifizierung
weiterer Arbeiten aus der Galerie espagnole, deren Bestand zu einem be-
trächtlichen Teil verschollen ist.95 Zwar haben vergleichende Recherchen
des Verfassers gezeigt, dass sich die Befunde selten so geschlossen er-
halten haben wie in Dresden,96 doch waren im Prado97, in Hampton
Court98, in Lancing College99, in der Hispanic Society in New York100, im
Nationalmuseum in Stockholm101 sowie bei einem ehemals dem Me-
tropolitan Museum gehörenden Gemälde102 und bei einem weiteren
Werk im Kunsthandel103 vergleichbare Befunde beizubringen.
Aus den zeitgenössischen Quellen und Veröffentlichungen sowie aus
dem materiellen Befund selbst wird deutlich, dass die Gemälde nach dem
Ankauf innerhalb kürzester Zeit mit Kopien der Dresdener Galerierah-
men des 18. Jahrhunderts versehen und, sofern nötig, konserviert wur-
den.104 Auch ihre Aufnahme in den Katalog von 1853 deutet darauf hin,
dass sie schon im alten, 1855 geschlossenen Galeriegebäude ausgestellt
waren. Für die Rahmen wurden die barocken Ornamente abgeformt. Als
Hersteller wird auf Papieraufklebern regelmäßig die Bilderrahmen-Gold-
leistenfabrik G. Kretzschmer, Dresden, genannt.105
Während eine Schenkung des Fabrikanten Zschille die Galerie 1887 nur
um ein eher marginales Werk der Madrider Schule der zweiten Hälfte des
17. Jahrhunderts bereicherte (Kat. 7), weist die Bedeutung der Erwerbung
von Murillos Tod der hl. Klara im Jahr 1894 ähnlich wie der Ankauf von
1853 weit über Dresden und Deutschland hinaus. Das riesige Gemälde
hatte schon im 18. Jahrhundert als das beste Werk seiner Folge gegolten
und befand sich dann lange in der berühmten Pariser Privatgalerie des
Bankiers Aguado, weshalb es schon im 19. Jahrhundert eines der bekan n-
testen spanischen Gemälde überhaupt war.106 Dass es Dresden gelang,
dieses kapitale Werk aus einer renommierten englischen Sammlung zu
erwerben, ist vielleicht nur mit dem Umstand zu erklären, dass sich die
Aufmerksamkeit seinerzeit international mehr und mehr Velázquez
zuwendete, während bis dahin Murillo jahrzehntelang der beliebteste
spanische Maler schlechthin oder, in den Worten von Lindau, der „Glanz-
und Gipfelpunkt der Schule von Sevilla und der spanischen Kunst über-
haupt“ gewesen war107 – eine Popularität, von der in Dresden auch die
Maria mit Kind (Kat. 12) und der aus der Galerie espagnole erworbene
Hl. Rodrigo profitierten (Kat. 11). Galeriedirektor Hübner hatte Letzteren
als Hauptbild der Erwerbung von 1853 bezeichnet und ihm sogar ein
Sonett gewidmet,108 und es ist kein Zufall, dass die Maria mit Kind von
Murillo zunächst als einziges spanisches Bild Aufnahme in das Tafelwerk
von Hanfstaengl gefunden hatte (1836/1841).109
So wie 1853 der nicht bei der Galerie selbst beschäftigte Gruner der
wichtigste Akteur bei dem Erwerb des spanischen Konvoluts war, spielte
1894 ein ebenfalls in London ansässiger Dresdener, der Kunsthistoriker
und Händler Jean Paul Richter (1847–1937), eine tragende Rolle beim
Ankauf des Murillo. Offenbar gab er Woermann während der Eastlake-
Auktion, auf der jener sich vergeblich um den Erwerb früher italieni-
scher Bilder bemühte, den entscheidenden Hinweis – Richter war Spe-
zialist für italienische Malerei und zudem mit Lady Eastlake
befreundet.110 Dokumentiert ist in diesem Fall außerdem die persönli-
che Anteilnahme des Königs, der „unbedingt der Ansicht“ war, „daß das
Bild gekauft werden müsse, auch wenn man, um es zu erlangen auf je-
den nächsten Ankauf in den nächsten zwei Jahren verzichten müßte“.111
e i n f ü h r u n g
Abb. 0.12 Detail Gemälderückseite,
Kat. 29, Juan Valdés Leal
Abb. 0.13 Detail Gemälderückseite,
Kat. 34, Francisco de Zurbarán
23
Angemerkt sei, dass die Erwerbung weiterer Murillo-Gemälde 1855 als
nicht vordringlich bewertet worden war.112
Nach dem Ankauf hing der Tod der hl. Klara noch knapp 20 Jahre in Saal
H des Hauptgeschosses der Dresdener Galerie, in dem seit der Eröffnung
des Neubaus die Mehrzahl der spanischen Gemälde gezeigt wurde
(Abb. 0.2). Die Hängung in dem heute Rubens vorbehaltenen Saal ist
durch Archivunterlagen und die in enger Folge erschienenen Galerie-
kataloge, aber auch durch frühe Fotografien und ein 1994 für die Galerie
Neue Meister erworbenes Gemälde von Louis Preusser aus dem Jahr 1881
sehr gut dokumentiert (Abb. 0.14).113 So fehlt auf einem Foto, das aus
demselben Blickwinkel aufgenommen ist, aus dem Preusser seine Gale -
rieszene gemalt hat (Abb. 0.15), der Jakob mit den Schafen des Laban nach
Ribera (Kat. 22), der vor 1887 in den benachbarten Saal J umgezogen war.
Der Einsiedler Paulus von Theben (Kat. 17) hatte zwischen 1896 und 1899 die
Wand innerhalb des Saals gewechselt, was das Entstehungsdatum der
Fotografie noch genauer einzugrenzen hilft.114 Der Vergleich des Gemäl -
des mit dem rund 20 Jahre später entstandenen Foto verdeutlicht darü-
ber hinaus, wie Woermann versucht hat, bei seinen Korrekturen der
„Pflasterung“ der Wände vor allem die Anzahl der kleinen Gemälde zu
reduzieren, die zwischen die Großformate gehängt waren.
Ein zweites, von der Rotunde aus nach Südosten aufgenommenes Foto
muss nach 1894 entstanden sein (Abb. 0.2). Es zeigt den Tod der hl. Klara
an der rechten Wand (H3), an der 1892 noch die nun an der Stirnwand
(H4) dargebotenen Gemälde von Alonso Cano (Kat. 2) und Carducho
(Kat. 3) präsentiert worden waren, während die Maria mit dem Kind und
der Hl. Rodrigo von Murillo (Kat. 11, 12), der Valdés Leal (Kat. 29), die Pas-
torale im Stil von Orrente (Kat. 30) und die oben rechts platzierte, 1853
als Werk des Roelas erworbene Empfängnis der Maria (Gal.-Nr. 676) schon
vorher an der Wand H4 gehangen hatten. Sechs der neun seinerzeit
ebenda ausgestellten Gemälde stammten aus der Galerie espagnole, da-
runter alle fünf im oberen Register, was noch einmal unterstreicht, wie
stark dieser Ankauf die Dresdener Galerie geprägt hat. Das Foto macht
zugleich deutlich, warum der Raum als „Spaniersaal“ bekannt war, ob-
wohl die peninsularen Schulen hier gemeinsam mit den Werken aus
Neapel ausgestellt wurden.115
ERWERBUNGEN UND PRÄSENTATION SEIT 1900
Mit dem Nachlass von Johann Friedrich Lahmann kam 1937 eines der
seltenen Werke von Juan Bautista Maíno (Kat. 8) in die Galerie, einer
Schlüsselfigur für die Aufnahme caravaggistischer Tendenzen in Spa-
nien, wie sie dann im Schaffen des Velázquez und insbesondere Riberas
eine so entscheidende Rolle spielen sollten. Die nächste Erweiterung des
Bestandes vollzog sich erst knapp 70 Jahre später, als der damalige Ga-
leriedirektor Harald Marx, unterstützt von MUSEIS SAXONICIS USUI,
Verein der Freunde der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden e.V.,
entschied, die Arbeit am vorliegenden Bestandskatalog durch die Erwer -
bung eines Sevillaner Werks zu begleiten. Das zum Ankauf auserkorene
Arrangement mit den abgeschlagenen Köpfen dreier Märtyrer (Kat. 24)
bietet eine im Sinne der Charakterisierung von Richard Ford hervorra-
gende Ergänzung zu den Heiligengestalten aus der Galerie espagnole,
welche die Besonderheiten der spanischen Werkgruppe in der Dresdener
Ga lerie nicht überspielt, sondern im Gegenteil um einen weiteren Akzent
bereichert. Nicht umsonst war ein solches Sujet noch 1862 als „für die Ga-
lerie nicht geeignet“ befunden worden. Eine große Lücke wurde erst
2006 geschlossen, als es im Nachgang der oben erwähnten ersten Über-
blicks ausstellung zur spanischen Malerei in deutschen Sammlungen
möglich war, ein Blumenstillleben von Juan de Arellano als Repräsentant
einer wichtigen, in Dresden aber gar nicht und im übrigen Deutschland
nur sehr schlecht repräsentierten Gattung der spanischen Kunst zu erwer -
ben (Kat. 1). Diese Ankäufe verdienen allein schon deshalb Beachtung, weil
deutsche Museen in den letzten Jahrzehnten allgemein nur sehr wenige
Versuche unternommen haben, die beachtlichen Lücken im Bereich der
e i n f ü h r u n g
Abb. 0.14 Karl Louis Preusser, In der Dresdner
Galerie, Galerie Neue Meister, Staatliche
Kunstsammlungen Dresden, Inv.-Nr. 94/05
Abb. 0.15 Saal im Hauptgeschoss,
Gemäldegalerie im Semperbau, historisches
Foto, um 1902 (?)
UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE
Matthias Weniger
Staatliche Kunstsammlungen Dresden.Gemäldegalerie Alte MeisterBestandskatalog Spanische Malerei
Gebundenes Buch, Leinen mit Schutzumschlag, 220 Seiten,23,0 x 30,0 cm212 farbige Abbildungen, 38 s/w AbbildungenISBN: 978-3-7913-5179-7
Prestel
Erscheinungstermin: Februar 2012
Spanische Malerei in der Gemäldegalerie Alte Meister Die Dresdener Gemäldegalerie Alte Meister ist eine der weltweit bedeutendsten Sammlungeneuropäischer Malerei vom 14. bis 18. Jahrhundert und bildet das Zentrum der StaatlichenKunstsammlungen Dresden. Der Bestandskatalog der Werke liefert einen wissenschaftlichfundierten Einblick in die Sammlungsgeschichte und einen repräsentativen Querschnitt derspanischen Malerei anhand ihrer in Dresden versammelten führenden Vertreter. Meisterwerkeberühmter Maler wie Francisco de Zurbarán, El Greco, Jusepe de Ribera, Bartolomé EstebanMurillo und Diego Velázquez werden vorgestellt und eingehend erläutert. Opulente Darstellung und Forschung des letzten Jahrzehnts zum Bestand spanischer Gemäldein der Gemäldegalerie Alte Meister in Dresden.