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Soziale Gerechtigkeit - uni-muenster.de · 4 Peter Koller Vienna Working Papers in Legal Theory,...

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http://www.univie.ac.at/juridicum/forschung/wp24.pdf Vienna Working Papers in Legal Theory, Political Philosophy, and Applied Ethics, No. 24 (Edited by Nikolaus Forgó & Alexander Somek) Peter Koller Soziale Gerechtigkeit Begriff und Begründung Wien 2001
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http://www.univie.ac.at/juridicum/forschung/wp24.pdf

Vienna Working Papers in Legal Theory, Political Philosophy, andApplied Ethics, No. 24

(Edited by Nikolaus Forgó & Alexander Somek)

Peter Koller

Soziale Gerechtigkeit

Begriff und Begründung

Wien 2001

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Einleitung((1)) Die Idee der sozialen Gerechtigkeit - die Vorstellung, dass sozialeund politische Ordnungen bestimmten Erfordernissen der Gerechtig-keit unterliegen - ist zweifellos sehr alt. Sie war jedenfalls schon denalten Griechen geläufig, wie die Schriften von Platon, Aristoteles undanderen Denkern bezeugen. Dessen ungeachtet ist der Begriff der so-zialen Gerechtigkeit in seinem heute üblichen Verständnis, dem zu-folge eine gerechte soziale Ordnung bürgerliche Gleichheit und Frei-heit, aber auch eine ausgewogene Verteilung des gesellschaftlichenReichtums gewährleisten soll, relativ jung. Dieser Begriff kam erstum die Mitte des 19. Jahrhunderts auf, als sich mit den sozialenUmwälzungen im Gefolge der bürgerlichen und der industriellenRevolution auch die Auffassung der Gesellschaft von Grund auf ver-änderte (Hayek 1976, 62 ff, 176 ff; Koller 1994a; Löffler 2001). Hatteman eine Gesellschaft vorher mehr oder minder bloß als eine Verei-nigung zur Sicherung des Lebens, der Freiheit und des Eigentums ih-rer Mitglieder betrachtet, so begann man nun, sie als ein übergrei-fendes Unternehmen der kollektiven Zusammenarbeit und der ge-meinschaftlichen Daseinsvorsorge im Rahmen einer planmäßig ge-staltbaren politischen Ordnung zu verstehen. Und in dem Maße, indem diese Gesellschaftsauffassung, die vor allem von den Kräften dersozialen Reformbewegung propagiert wurde, wachsende Verbrei-tung fand, setzte sich auch der Begriff der sozialen Gerechtigkeitallmählich durch. Heute gehört er zum alltäglichen Vokabular despolitischen Diskurses. Freilich gab es darüber, was soziale Gerechtig-keit näherhin meint und was sie im Einzelnen verlangt, seit jeher be-trächtliche Meinungsdifferenzen, die bis heute bestehen. Infolgedes-sen war und ist der Begriff der sozialen Gerechtigkeit nicht nur se-mantisch hochgradig diffus, sondern auch politisch äußerst umstrit-ten.

Dieser Umstand mag es zweifelhaft scheinen lassen, ob dieser Be-griff überhaupt einen allgemein oder zumindest weithin geteiltenSinn besitzt, der ihm neben seiner rhetorischen Funktion auch einengewissen Informationswert verleiht. Doch diese Zweifel sind etwasvoreilig, weil es ja sein könnte, dass die verschiedenen Vorstellungen,die sich um die Rede von sozialer Gerechtigkeit ranken, einen - wennauch vielleicht nur kleinen - gemeinsamen Nenner enthalten, der sich

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als der Bedeutungskern jenes Begriffs verstehen lässt. Ich möchte da-her im ersten Teil meines Beitrags versuchen, die semantischen Kon-turen des Konzepts der sozialen Gerechtigkeit mit Blick auf seineVerwendung in der politischen Theorie und im allgemeinen Sprach-gebrauch herauszuarbeiten. Ich werde dabei zu dem Ergebnis kom-men, dass dieses Konzept durchaus eine weithin akzeptierte Bedeu-tung hat, die einige substanzielle, wenn auch recht unbestimmte unddeutungsbedürftige normative Forderungen an die soziale Ordnungmoderner Gesellschaften einschließt und mit einer Vielfalt konkrete-rer Vorstellungen von sozialer Gerechtigkeit verträglich ist. Erst die-ser Befund erklärt übrigens, warum dieses Konzept einerseits so un-bestimmt und umstritten ist, andererseits aber im politischen Lebeneine so bedeutende Rolle spielt.

Dass der Begriff der sozialen Gerechtigkeit einen nachvollziehba-ren Sinngehalt besitzt, sagt freilich noch gar nichts über die Berechti-gung der ihm inhärenten normativen Forderungen aus. Es ist jeden-falls denkbar, dass das vorherrschende Verständnis sozialer Gerech-tigkeit nichts weiter als das Produkt einer erfolgreichen politischenPropaganda ist, hinter der zwar handfeste Interessen, aber keinerleigute Gründe stehen. Ich halte diese Ansicht, die heute vor allem vonmanchen Exponenten der neoliberalen Bewegung geäußert wird, fürfalsch und möchte ihr entgegentreten. Zu diesem Zweck werde ichim zweiten Teil den Versuch unternehmen, die im ersten Teil aufge-wiesenen Forderungen der sozialen Gerechtigkeit zumindest partiellzu begründen und sie auch etwas konkreter zu fassen.

1. Der Begriff der sozialen Gerechtigkeit((2)) Der Begriff der sozialen Gerechtigkeit gehört zu jenen Leitbegrif-fen des politischen Diskurses, die - wie z.B. auch Freiheit, Gleichheit,Gemeinwohl, Recht, Herrschaft, Demokratie - nicht allein und nichteinmal in erster Linie dazu dienen, soziale Zustände zu beschreibenund zu erklären, sondern zugleich und vor allem dazu, solche Zu-stände zu bewerten, also zu legitimieren oder zu kritisieren. Alle die-se Begriffe sind nicht nur äußerst komplex, sondern auch ziemlichumstritten. Ihre Komplexität ergibt sich unter anderem schon dar-aus, dass sie 'multifunktionale' Konzepte sind, die sowohl deskriptiveals auch normative Bedeutungselemente enthalten und zu einer Ein-heit verknüpfen. Damit hängt auch ihre Umstrittenheit zusammen.

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Denn da die genannten Begriffe wegen ihres normativen Sinns stetsauch als Maßstäbe der Bewertung menschlicher Handlungen, sozia-ler Verhältnisse und politischer Ordnungen fungieren, werden sieganz unvermeidlich selber zum Gegenstand des politischen Mei-nungsstreits, in dem verschiedene Gruppen darum konkurrieren, ih-ren Interessen und Wertvorstellungen Geltung zu verschaffen. Unddies erklärt zumindest teilweise auch die Unbestimmtheit und Varia-bilität dieser Begriffe, weil sie eben nur dann allgemeine Anerken-nung finden, wenn sie flexibel genug sind, um sie in verschiedeneRichtungen hin deuten und mit unterschiedlichen politischen Auf-fassungen in Einklang bringen zu können.

Die notorische Vagheit der Leitbegriffe des politischen Diskursesberechtigt freilich nicht zur Schlussfolgerung, diese Begriffe seienbloße Leerformeln ohne jeden substanziellen Gehalt. Das ist schondeshalb unplausibel, weil diese Begriffe dann gänzlich funktionslosund verzichtbar wären, womit unerklärt bliebe, warum sie im politi-schen Meinungsstreit eine so wichtige Rolle spielen. Es ist deshalbviel eher zu vermuten, dass sie trotz ihrer Offenheit einen gewissen,wenn auch nur schwachen Informationswert enthalten, weil sie ihreFunktion nur dann erfüllen können, wenn sie sowohl relativ flexibelals auch hinreichend gehaltvoll sind, um die politische Diskussionzumindest bis zu einem gewissen Grade strukturieren zu können. Obund inwieweit diese Vermutung zutrifft, muss allerdings im Einzel-nen geprüft werden, indem man die betreffenden Konzepte einersorgfältigen Analyse unterzieht. Und dies möchte ich im Folgendenmit Bezug auf das Konzept der sozialen Gerechtigkeit versuchen. Dadieses Konzept, wie sich zeigen wird, in vielfältiger Weise mit demkomplexen Netzwerk unseres Gerechtigkeitsdenkens verwoben ist,möchte ich zuerst einen Blick auf das Vokabular der Gerechtigkeit imAllgemeinen werfen, um den konzeptuellen Rahmen der heute vor-herrschenden Auffassung sozialer Gerechtigkeit zu erhellen.

1.1 Das Vokabular der Gerechtigkeit((3)) Obwohl es manche Leute reizvoll zu finden scheinen, über die'Gerechtigkeit Gottes' zu räsonieren oder sogar darüber, ob es so et-was wie eine 'Gerechtigkeit der Geschichte' gibt, sind das nicht gera-de typische Fragen der Gerechtigkeit. Wenn von Gerechtigkeit dieRede ist, geht es vielmehr üblicherweise entweder direkt um das

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Handeln von Menschen oder um Sachverhalte, die zumindest aufindirekte Weise durch menschliches Handeln beeinflusst werdenkönnen. Und nur dieser Normalgebrauch des Gerechtigkeitsvokabu-lars soll hier interessieren. Betrachten wir einige Sätze (der Ob-jektsprache), die typische Redeweisen von Gerechtigkeit repräsentie-ren: (1) „Er hat seine gerechte Strafe bekommen“; (2) „Es war unge-recht von ihm, dass er ihr die Stelle nicht gegeben hat“; (3) „Es istnur gerecht, dass Leute, die mehr leisten, auch mehr verdienen“; (4)„Wer einer anderen Person einen Schaden zufügt, ist gerechterweiseverpflichtet, den Schaden zu ersetzen“; (5) „Die Gerechtigkeit ver-langt, dass man andere nicht verurteilen soll, bevor man sie angehörthat“; (6) „Es ist eine Ungerechtigkeit, Menschen wegen ihrer Haut-farbe zu diskriminieren“.

Schon diese wenigen Beispiele lassen erkennen, dass jedes (ob-jektsprachliche) Reden von Gerechtigkeit eine praktische, hand-lungsorientierte Sinndimension aufweist, die sowohl evaluativen(wertenden) als auch normativen (auffordernden) Charakter hat.Denn es ist offensichtlich, dass jeder der angeführten Sätze - gleich-gültig, ob er als Aussagesatz (wie 1, 2, 3 und 6) oder als Normsatz(wie 4 und 5) formuliert ist - stets sowohl ein Werturteil als auch eineNormproposition zum Ausdruck bringt, da jeder Aussagesatz in ei-nen bedeutungsgleichen Normsatz verwandelt werden kann undumgekehrt. Es macht also gar keinen Unterschied, ob man eine Ge-rechtigkeitsproposition durch ein Werturteil im Gewande eines Aus-sagesatzes oder durch einen Normsatz ausdrückt; sie bedeutet inbeiden Fällen dasselbe und hat stets zugleich evaluativen als auchnormativen Sinn.

((4)) Aber welchen Status haben solche Propositionen im Gesamt-kontext praktischen Denkens? Sind sie bloße Geschmacksurteile?Oder sind sie Klugheitserwägungen, die davon handeln, was Perso-nen im Lichte ihres langfristigen Selbstinteresses tun sollten? Odersind sie eher Aussagen darüber, was vom Standpunkt des positivenRechts oder nach herrschender Meinung als gut oder falsch, als ge-boten oder unerlaubt gilt? Es bedarf, glaube ich, wohl keiner näherenBegründung, dass Gerechtigkeitspropositionen nichts dergleichensind. Sie gehören vielmehr zu jener Sorte von praktischen Erwägun-gen, die üblicherweise 'moralisch' oder 'ethisch' genannt werden.Solche Erwägungen haben Maßstäbe des individuellen Verhaltens

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und des sozialen Lebens zum Gegenstand, die sich von anderenHandlungsgründen durch drei Merkmale abheben: Sie sind erstensautonome Maßstäbe in dem Sinne, dass sie für uns nur dann gelten,wenn wir sie aus freien Stücken akzeptieren (insofern haben sie imUnterschied zu den Normen des positiven Rechts und der sozialenKonvention subjektiven Charakter); zweitens erheben sie Anspruchauf allgemeine Geltung (insofern haben sie, anders als Urteile despersönlichen Geschmacks und des individuellen Guten, objektivenSinn); und sie haben drittens ein besonderes Gewicht, ja oft sogar ab-soluten Vorrang vor anderen Standards (insofern haben sie kategori-schen Charakter, wodurch sie sich von anderen autonomen Hand-lungsgründen, etwa solchen des individuellen Selbstinteresses oderder ästhetischen Vorliebe unterscheiden). Es ist, glaube ich, ohneweiteres einsichtig, dass das Reden von Gerechtigkeit alle dieseMerkmale erfüllt und darum Teil unseres moralischen Denkens ist.

Die Gerechtigkeit, als Ganze genommen, bildet demnach einenTeil der Moral, der Menge jener Maßstäbe und Richtlinien desmenschlichen Handelns, von denen wir glauben, dass sie allgemeineund vorrangige Geltung besitzen und darum von jeder Person so-wohl akzeptiert als auch befolgt werden sollten. Und zweifellosspielt die Gerechtigkeit innerhalb der Moral eine sehr wichtige Rolle,weil sie moralische Forderungen zum Gegenstand hat, die erstensdas zwischenmenschliche Verhalten betreffen und zweitens als in ho-hem Maße bindend, ja gewöhnlich als strikt verpflichtend gelten. Ge-rechtigkeit hat also mit moralischen Forderungen zu tun, die wechsel-seitige Ansprüche und Verbindlichkeiten, Rechte und Pflichten von Men-schen begründen. Allerdings werden nicht schlechthin alle Forde-rungen der Moral, die zwischenmenschliche Rechte und Pflichtenfundieren, unter den Begriff der Gerechtigkeit subsumiert. In man-chen Sprachen, etwa im Deutschen und im Englischen, stehen zweiverschiedene, wenn auch verwandte Begriffe zur Verfügung, umsolche Forderungen zu benennen: nämlich zum einen der Begriff desRechten, der mit den Prädikaten „recht“, „unrecht“, „das Rechte“,„Unrecht“ assoziiert ist, und zum anderen der Begriff der Gerechtig-keit, um den sich die Prädikate „gerecht“, „ungerecht“, „Gerechtig-keit“, „Ungerechtigkeit“ gruppieren.

((5)) Wenn mich mein Sprachgefühl nicht trügt, stehen die Begrif-fe des Rechten und der Gerechtigkeit in einem Verhältnis der Über-

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bzw. Unterordnung: Der Begriff des Rechten fungiert dabei als derallgemeinere Oberbegriff, in dem der Begriff der Gerechtigkeit alsspeziellerer Unterbegriff enthalten ist. Infolgedessen kann jederSachverhalt, der als gerecht (ungerecht) betrachtet wird, auch recht(unrecht) genannt werden, nicht aber umgekehrt. So ist es z.B. sichermöglich, das Verhalten eines Lehrers, der einen seiner Schülergrundlos diskriminiert, nicht nur ungerecht, sondern auch unrechtzu nennen, wogegen man nicht gut sagen kann, ein Mord sei eineUngerechtigkeit, obwohl er ein Unrecht ist. Entsprechend diesemSprachgebrauch steht der Begriff des Rechten für die Gesamtheit derbindenden moralischen Standards des zwischenmenschlichen Ver-haltens, während der Begriff der Gerechtigkeit nur einen Teilmengedieser Standards bezeichnet. Wie aber kann diese Teilmenge gegen-über anderen bindenden moralischen Standards abgegrenzt werden?Mir scheint, diese Frage ist nicht schwer zu beantworten, wenn wirdie bindenden moralischen Standards, die insgesamt das Rechteausmachen, etwas näher betrachten.

Es genügt, einige Moralnormen, die weithin als verpflichtend gel-ten oder die man selber für bindend hält, im Geiste Revue passierenzu lassen, um zu sehen, dass sich diese Normen in zwei Sorten ein-teilen lassen. Da gibt es auf der einen Seite eine Reihe moralischerGebote, die - zumindest aus der Sicht einer universellen Moral dergleichen Achtung - für alle Menschen ganz unabhängig davon gel-ten, ob sie in irgendwelchen speziellen Beziehungen zueinander ste-hen, wie z.B., dass man andere nicht ohne triftigen Rechtfertigungs-grund töten, verletzen oder schädigen soll, dass man sie nicht be-stehlen und nicht ihrer Freiheit berauben darf. Diesen Geboten stehtauf der anderen Seite eine Vielfalt von Forderungen gegenüber, dienicht schlechthin alle Menschen verpflichten, sondern Personen nurinsoweit binden, als sie zu anderen in einer bestimmten sozialen Be-ziehung stehen. Solche Forderungen sind etwa die folgenden: dassEltern ihre Kinder nicht auf willkürliche Weise ungleich behandelnsollen; dass Personen, die in einem Haushalt zusammenleben, die an-fallende Hausarbeit redlich teilen sollen; dass Unternehmer ihrenArbeitern einen angemessenen, leistungsentsprechenden Lohn zah-len sollen; dass die Inhaber von Machtpositionen ihre Stellung nichtdazu missbrauchen dürfen, um sich unverdiente Vorteile zu ver-

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schaffen; oder dass Richter einen Angeklagte nicht ohne einen aus-reichenden Schuldbeweis verurteilen dürfen.

Ich meine nun, dass die Forderungen der zweiten Sorte mit jenenzusammenfallen, die wir gewöhnlich mit dem Begriff der Gerechtig-keit assoziieren, auch wenn es wegen der Unschärfen des Sprachge-brauchs Grenz- und Zweifelsfälle geben mag. Das Konzept der Ge-rechtigkeit bezeichnet demnach jene Teilmenge moralischer Forderun-gen, welche die wechselseitigen Rechte und Pflichten von Menschen imKontext einzelner interpersonaler Handlungen, regelmäßiger sozialer Be-ziehungen oder dauerhafter gesellschaftlicher Verhältnisse betreffen unddarauf zielen, einen bei unparteiischer Betrachtung allgemein an-nehmbaren Ausgleich zwischen den divergierenden Interessen der Beteilig-ten herbeizuführen. Solche Handlungen, Beziehungen oder Verhält-nisse werden gerecht genannt, wenn jede Person bekommt, was ihrgebührt oder was sie verdient. In diesem Sinne wird das Konzept derGerechtigkeit verstanden, wenn gesagt wird, Gerechtigkeit verlange,„jedem das Seine“ zukommen zu lassen, oder mit der bekannten la-teinischen Phrase: „ius suum cuique tribuere“.

((6)) Natürlich ist damit noch gar nichts gewonnen, solange wirkeine Kriterien haben, die Auskunft darüber geben, was einer jedenPerson gebührt. Um solche Kriterien, sofern es sie überhaupt gibt,ausfindig zu machen, ist es erforderlich, die Grammatik des Gerech-tigkeitsvokabulars etwas genauer zu untersuchen. Dabei fällt sofortauf, dass dieses Vokabular auf eine Vielzahl von verschiedenartigenGegenständen angewendet werden kann, zu denen vor allem die fol-genden gehören: Personen, zwischenmenschliche Handlungen, so-ziale Regeln, rechtliche Institutionen, gesellschaftliche Verhältnisseund Strukturen, ganze Gesellschaften, ja sogar internationale Bezie-hungen und die Weltordnung (Simpson 1979/80; Dreier 1985, 98).Obwohl es angesichts der Verschiedenheit dieser Gegenstände aufden ersten Blick aussichtlos scheinen mag, sie alle unter einen Hut zubringen, fallen einige Querverbindungen, die zwischen ihnen beste-hen, doch rasch ins Auge.

Wenn wir sagen, eine Person sei gerecht, so nehmen wir offenbarauf ihr Handeln Bezug, sei es, dass wir zum Ausdruck bringen, dasssie in einem bestimmten Fall gerecht gehandelt hat, dass sie in gewis-sen Fällen regelmäßig gerecht zu handeln pflegt oder dass sie insge-samt ein gerechtes Verhalten an den Tag legt. Wird dagegen eine

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Handlung gerecht genannt, so sagt dies zumindest soviel aus, dass siebestimmten Regeln des zwischenmenschlichen Handelns entspricht.Solche Regeln werden wiederum als gerecht qualifiziert, wenn sie diesozialen Beziehungen zwischen den Menschen auf eine Weise regu-lieren, die aus unparteiischer Sicht als allgemein annehmbar er-scheint. Dasselbe gilt für soziale Institutionen, die ja nichts anderes alsdauerhafte Systeme sozialer Regeln sind, die bestimmte Teilbereichedes sozialen Lebens betreffen. Und gesellschaftliche Verhältnisse undStrukturen gelten als gerecht, wenn sie das Ergebnis einer sozialenPraxis sind, die ihrerseits durch gerechte soziale Regeln und Institu-tionen regiert wird.

Schon diese wenigen Beobachtungen deuten darauf hin, dasszwei der genannten Anwendungsgegenstände von besonderer Be-deutung sind, weil alle anderen auf sie - sei es direkt oder indirekt -Bezug nehmen: nämlich zwischenmenschliche Handlungen einerseitsund soziale Regeln andererseits. Es liegt daher nahe, mit diesen beidenGegenständen zu beginnen, um zu sehen, ob sich bestimmte norma-tive Standards ausfindig machen lassen, die unser Reden von Ge-rechtigkeit leiten.

1.2 Formale und materiale Gerechtigkeit((7)) Wie steht es mit der Gerechtigkeit von Handlungen? Welche An-forderungen muss eine Handlung erfüllen, damit sie als gerecht be-zeichnet werden kann? Ich schlage vor, diese Frage, um ihre Beant-wortung nicht allzu schwierig zu machen, so zu verstehen, dass esnicht um die Gesamtheit der Anforderungen geht, denen ein Handelnentsprechen muss, um gerecht zu sein, sondern bloß darum, ob es ir-gendwelche notwendigen Anforderungen gibt, die eine Handlung je-denfalls erfüllen muss, damit sie für gerecht gehalten werden kann.Wird die Frage so verstanden, so liegt die Antwort auf der Hand.Denn gleichgültig, welche Anforderungen die Gerechtigkeit an unserHandeln auch immer stellen mag, es gibt eine Anforderung, der un-ser Handeln jedenfalls genügen muss, um gerecht zu sein: wir müs-sen dabei irgendwelchen allgemeinen Regeln folgen, denen gemäß wirandere Menschen unter gleichartigen Umständen auch in gleicherWeise behandeln müssen. Insoweit wir in unserem Verhalten gegen-über anderen Menschen überhaupt irgendwelchen Forderungen derGerechtigkeit unterworfen sind, steht es uns also nicht frei, sie will-

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kürlich einmal so und einmal anders zu behandeln, wie es uns gera-de gefällt, sondern wir müssen uns in solchen Fällen von allgemeinenRegeln leiten lassen, die von uns verlangen, dass wir uns gegenüberAnderen in gleichen Fällen gleichförmig verhalten. Kurz: wir müssenGleiches gleich behandeln. Diese Anforderung, der jedes gerechteHandeln entsprechen muss, gleichgültig welchen Anforderungen essonst noch unterworfen sein mag, wird gewöhnlich als formale Ge-rechtigkeit bezeichnet, weil sie eine zwar konstitutive, aber inhaltlichvöllig unbestimmte und insofern 'formale' Bedingung gerechtenHandelns darstellt (Brunner 1943, 29 ff; Perelman 1967, 28 f; Rawls1975, 78 f, 268 f; Weinberger 1979).

Freilich ist mit dem Prinzip der formalen Gerechtigkeit, das imÜbrigen mit dem Prinzip der Universalisierbarkeit moralischer Ur-teile eng verwandt ist, noch nicht sehr viel gewonnen. Denn diesesPrinzip allein schließt kein wie immer geartetes Handeln gegenüberanderen Menschen aus, sofern der Handelnde dabei nur irgendwel-chen allgemeinen Regeln folgt. Darüber, an welchen Regeln sich eingerechtes Handeln orientieren soll, sagt es gar nichts aus. Doch da esnicht sehr sinnvoll, ja selbstwidersprüchlich wäre, ein Handelnschon deshalb gerecht zu nennen, weil es irgendwelchen Regelnfolgt, wenn diese Regeln selber ungerecht scheinen, hängt die Ge-rechtigkeit von Handlungen letztlich von der Gerechtigkeit der Re-geln ab, die ihnen zugrunde liegen.

((8)) Damit erhebt sich die Frage nach den Anforderungen derGerechtigkeit, die sich auf die Regeln des sozialen Handelns beziehen.Diese Anforderungen werden gewöhnlich als solche der der materia-len oder substanziellen Gerechtigkeit angesprochen, weil sie nicht mehrnur die Form, sondern zumindest bis zu einem gewissen Grade auchden Inhalt des Handelns bestimmen sollen. Doch hier beginnen sichdie Geister zu scheiden.

Ist das Prinzip der formalen Gerechtigkeit so gut wie unbestrittenist, bestehen über die Anforderungen der materialen Gerechtigkeitweitreichende Meinungsverschiedenheiten, und zwar nicht nur dar-über, welche Regeln das soziale Zusammenleben gerechterweise re-gieren sollten, sondern auch darüber, ob es überhaupt irgendwelcheMaßstäbe der materialen Gerechtigkeit gibt, die Gültigkeit besitzen,d.h. weithin Zustimmung finden und überdies bei rechter Erwägungals annehmbar erscheinen. So vertreten manche Autoren die An-

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sicht, die Suche nach allgemein gültigen Maßstäben der materialenGerechtigkeit sei schon deshalb aussichtslos, weil über solche Maß-stäbe Übereinstimmung weder bestehe, noch auf rationalem Wegeerreichbar sei (Ross 1958, 272 ff; Kelsen 1960, 393 ff).

Das mag stimmen, wenn man annimmt, dass moralische Stan-dards nur dann allgemeine Gültigkeit besitzen, wenn sie tatsächlichimmer und überall ungeteilte Anerkennung gefunden haben unddarüber hinaus rationaler Begründung fähig sind. Aber diese An-nahme gießt das Kind mit dem Bade aus, weil sie an solche Stan-dards so hohe Ansprüche stellt, die es überhaupt unmöglich machen,ihnen jemals Gültigkeit zuzusprechen. Es ist daher zweckmäßig, dieAnsprüche etwas tiefer zu schrauben und davon auszugehen, dasswir die Gültigkeit moralischer Standards vermuten dürfen, wenn siein den vorherrschenden Moralvorstellungen sowohl der eigenen Ge-sellschaft als auch anderer Gesellschaften tief verwurzelt sind, soferngegen sie keine Gründe sprechen, die sie aus unparteiischer Sicht alsunakzeptabel erscheinen lassen. Diese Sprachregelung bietet bessereAussichten, substanzielle Maßstäbe der Gerechtigkeit zu entdecken,die zumindest prima facie als gültig betrachtet werden können.

((9)) Allerdings scheint es kaum sinnvoll, nach einer materialenForderung der Gerechtigkeit zu suchen, die - wie das Prinzip derformalen Gerechtigkeit - auf alle Bereiche des sozialen Handelns an-wendbar ist, weil es unwahrscheinlich ist, dass es eine solche Forde-rung gibt. Um das zu einsehen, braucht man sich nur die Vielfalt derAktivitäten vor Augen zu führen, die unter dem Gesichtspunkt derGerechtigkeit beurteilt werden, wie etwa die folgenden: die Auftei-lung eines gemeinsamen Gewinns, die Verteilung der Pflichten derHaushaltsführung, der Austausch von Gütern, die Bezahlung er-brachter Leistungen, die Entlohnung beruflicher Tätigkeiten, die Ein-hebung von Steuern, die Bestrafung von Missetaten, die Wiedergut-machung eines Schadens, um nur einige Beispiele zu nennen. Da esvon vornherein aussichtslos scheint, alle diese Konstellationen untereinen Hut zu bringen, liegt es nahe, zwischen verschiedenen Formendes sozialen Handelns zu differenzieren und nach den für sie jeweilscharakteristischen Maßstäben der materialen Gerechtigkeit zu for-schen.

Diesen Weg hat schon Aristoteles beschritten, als er zwei Artender Gerechtigkeit unterschied, für die sich die Namen 'distributive'

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und 'kommutative' Gerechtigkeit eingebürgert haben (Aristoteles1972, 158 f). Die distributive (austeilende) Gerechtigkeit bezieht sichlaut Aristoteles auf „die Zuteilung von Ehre, Geld und den anderenDingen, die unter die Mitglieder der Gemeinschaft aufgeteilt werdenkönnen“, und sie fordert eine Verteilung dieser Dinge, die der 'Wür-digkeit' dieser Personen entspricht. Demgegenüber ordnet er derkommutativen (ausgleichenden) Gerechtigkeit zwei recht verschiedenar-tige Formen des sozialen Handelns zu, von denen er annimmt, dasssie demselben Gerechtigkeitsprinzip unterliegen: dabei handelt essich zum einen um freiwillige Tausch- und Vertragsbeziehungen, zumanderen um unfreiwillige Unrechtsbeziehungen, worunter Beziehun-gen zu verstehen sind, die ein Unrecht zur Folge hat, vor allem dieBeziehung zwischen Täter und Opfer. Und Aristoteles meint, die Ge-rechtigkeit verlange in beiden Fällen dasselbe: nämlich Gleichwertig-keit, sei es die Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung imFalle von Tauschbeziehungen oder die zwischen dem begangenenUnrecht und der dafür gebotenen Wiedergutmachung oder Strafebei Unrechtsbeziehungen.

((10)) Obwohl Aristoteles' Unterscheidung wertvolle Einsichten indie Tiefenstruktur des Gerechtigkeitsbegriffs vermittelt und grund-sätzlich auch in die richtige Richtung führt, ist sie als solche sicher zueinfach, um alle wesentlichen Formen sozialen Handelns, die der Ge-rechtigkeit unterworfen sind, in sinnvoller Weise zu erfassen (DelVecchio 1950, 23 ff; Engisch 1971, 149 ff; Finnis 1980, 178 ff). Dennnicht nur vermischt sie ganz heterogene Formen des Handelns, diesich nicht auf einen gemeinsamen Nenner bringen lassen, sondern sieist auch unvollständig.

Ich denke, dass es notwendig ist, mindestens vier eigenständigeGrundformen des sozialen Handelns zu unterscheiden, denen ebensoviele Arten der Gerechtigkeit entsprechen. Das sind die folgenden:

(1) Gemeinschaftsverhältnisse -- Verteilungsgerechtigkeit(2) Austauschverhältnisse -- Tauschgerechtigkeit(3) Herrschaftsverhältnisse -- politische Gerechtigkeit(4) Unrechtsverhältnisse -- korrektive Gerech-

tigkeit.

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Meine These ist, dass jede dieser Formen des sozialen Handelns spe-zifische Probleme der Gerechtigkeit entstehen lässt, für deren Lösunges jeweils besonderer Maßstäbe bedarf. Und ich behaupte ferner,dass es möglich ist, solche Maßstäbe für jede der genannten Artender Gerechtigkeit namhaft zu machen, Maßstäbe, die in weithin an-erkannten und meines Erachtens auch völlig einleuchtenden Grund-sätzen oder Grundpostulaten der Gerechtigkeit bestehen.

((11)) Bevor ich die genannten Formen des sozialen Handelns unddie ihnen eigentümlichen Postulate der Gerechtigkeit im Einzelnenbespreche, soll an dieser Stelle darauf hingeweisen werden, dass sol-che Postulate, was ihren Regelungsinhalt betrifft, in zwei Gestaltenauftreten können: Sie können entweder finalen oder aber prozeduralenCharakter haben, je nachdem, ob sie das Ergebnis oder das Verfahreneiner gerechten Regelung der jeweils in Betracht stehenden Interes-senskonflikte bestimmen (Rawls 1975, 105 ff; Bayles 1990, 1 ff).Dementsprechend kann man, wenn man will, abermals zwei Artender Gerechtigkeit unterscheiden: nämlich finale (ergebnisbezogene)Gerechtigkeit auf der einen Seite und prozedurale (verfahrensbezoge-ne) Gerechtigkeit auf der anderen. Diese Differenzierung verläuftquer zu der bisher vorgenommenen Klassifikation von Arten der ma-terialen Gerechtigkeit und darf auch nicht mit jener zwischen for-maler und materialer Gerechtigkeit verwechselt werden. Finale undprozedurale Gerechtigkeit sind beide Unterarten der materialen Ge-rechtigkeit, weil beide mehr oder minder gehaltvolle Grundsätze zurRegelung zwischenmenschlicher Konflikte bieten, wenn auch mitunterschiedlicher Zielrichtung.

1.3 Grundpostulate der materialen GerechtigkeitIch möchte nun die früher erwähnten Formen des sozialen Handelnsim Einzelnen betrachten und zeigen, dass jede von ihnen durch be-stimmte grundlegende Postulate der materialen Gerechtigkeit regiertwird, die nicht nur weitgehende Anerkennung genießen, sondernzumindest prima facie auch annehmbar scheinen.

((12)) Personen stehen in einem Gemeinschaftsverhältnis, wenn siegemeinsame Ansprüche auf bestimmte Güter haben oder gemeinsamzum Tragen gewisser Lasten verpflichtet sind, z.B. deshalb, weil siejene Güter gemeinsam geschaffen oder diese Lasten gemeinsamübernommen haben. Kurz: Personen bilden ein Gemeinschaftsver-

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hältnis oder ein gemeinsames Unternehmen, wenn und soweit ihnengewisse Güter oder Lasten gemeinsam zukommen. Mit Bezug auf je-des derartige Verhältnis erhebt sich aus moralischer Perspektive dieForderung, die betreffenden Güter und Lasten unter den Beteiligtengerecht zu verteilen, also so, dass das Ergebnis aus unparteiischerSicht für alle Beteiligten annehmbar ist. Gibt es dafür anerkannteund annehmbare Standards der Verteilungsgerechtigkeit?

Auf den ersten Blick mag die Suche nach solchen Standards aus-sichtslos scheinen, weil die Maßstäbe des gerechten Verteilens nichtnur kontextabhängig, sondern vielfach auch umstritten sind. Einegerechte Verteilung der Lasten eines Haushalts hängt zweifellos vonanderen Gesichtspunkten ab als die Verteilung medizinischer Ver-sorgungsleistungen in einem Krankenhaus oder die Verteilung derPreisgelder eines Sportvereins; und dazu kommt, dass nicht einmaldarüber, auf welche Gesichtspunkte es in diesen einzelnen Fällen je-weils ankommt, Einigkeit besteht. Sieht man sich die Gründe, die beiVerteilungsdiskussionen gewöhnlich vorgebracht werden, jedochetwas näher an, dann verdichtet sich der Eindruck, dass sie trotz al-ledem einen gemeinsamen Kern enthalten (Walzer 1992).

Aristoteles hat diesen Kern im Prinzip der Proportionalität gesehen,dem zufolge die gemeinsamen Güter und Lasten einer Gemeinschaftauf deren Mitglieder nach dem Verhältnis ihrer 'Würdigkeit' oder'Verdienstlichkeit' verteilt werden sollen, wobei er sich bewusst war,dass die Maßstäbe der Verdienstlichkeit nicht immer und überall diegleichen sind, sondern variieren (Aristoteles 1972, 159). Dieses Prin-zip erfasst sicher einen wichtigen Teilaspekt der verbreiteten Vor-stellung von Verteilungsgerechtigkeit, aber es ist einerseits zu engund andererseits zu weit. Es ist zu eng, weil es nur auf die Verdien-ste der Beteiligten abstellt, ohne andere Gesichtspunkte der Vertei-lungsgerechtigkeit zu berücksichtigen, wie etwa die wohlerworbenenRechte und die Grundbedürfnisse von Personen. Und es ist - zumin-dest aus heutiger Sicht - zu weit, weil es noch nicht von der grund-sätzlichen Gleichwertigkeit aller Menschen ausgeht und darum auchsolche Eigenschaften von Menschen als mögliche Maßstäbe ihrerVerdienstlichkeit zulässt, die mit einer Moral der gleichen Achtungunvereinbar sind, wie z.B. ihre Herkunft, ihre Standeszugehörigkeitoder ihr Geschlecht (Tugendhat 1993, 373 f).

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((13)) Wird das Aristotelische Proportionalitätsprinzip dahinge-hend modifiziert, dass es einerseits mit der grundsätzlichen Gleich-heit der Menschen kompatibel ist und andererseits weitere Vertei-lungsgesichtspunkte aufnimmt, so nimmt es die Gestalt des folgen-den, eher prozeduralen Grundsatzes an, der den Grundgedankender heute weithin geteilten Vorstellung von Verteilungsgerechtigkeitzum Ausdruck bringt: Alle Mitglieder eine Gemeinschaft haben An-spruch auf gleiche Behandlung und auf einen gleichen Anteil an dengemeinschaftlichen Gütern und Lasten, sofern eine Ungleichbe-handlung bzw. Ungleichverteilung nicht durch gute Gründe gerecht-fertigt ist, durch Gründe also, die bei unparteiischer Erwägung füralle Beteiligten akzeptabel sind (Raphael 1980; Bedau 1967; Rawls1975, 83).

Dieser Grundsatz - ich nenne ihn das Prinzip der Gleichbehandlung- ist zwar sicher sehr vage und konkretisierungsbedürftig, aber nichtohne Gehalt. Er ist eine Verfahrensregel der Verteilungsgerechtigkeit,die eine Präsumtion für die Gleichbehandlung aller Mitglieder einerGemeinschaft begründet und für jede Ungleichverteilung gemein-schaftlicher Güter und Lasten hinreichende Gründe verlangt. WelcheGründe im Einzelnen geeignet sind, solche Ungleichheiten zu recht-fertigen, ist zwar sicher kontextabhängig und überdies kontrovers;im Allgemeinen aber handelt es sich dabei um Gründe, die sich aufdie Beiträge, Leistungen und Verdienste, auf die wohlerworbenen Rechteund berechtigten Erwartungen oder aber auf grundlegende Bedürfnisseder beteiligten Personen beziehen (Blackstone 1967; Feinberg 1973,99 ff; Miller 1976, 24 ff; Finnis 1980, 173 ff; Tugendhat 1993, 378).

((14)) Ein Austauschverhältnis liegt vor, wenn mehrere Personen,von denen eine jede bestimmte Rechte oder Güter besitzt, in Bezie-hung treten, um gewisse Güter oder Leistungen im Wege freiwilligerÜbereinkunft einander wechselseitig zu übertragen. Dass Aus-tauschverhältnisse, zu denen insbesondere alle bilateralen Vertrags-beziehungen gehören, ihrerseits bestimmten Erfordernissen der Ge-rechtigkeit unterliegen, liegt auf der Hand. Nach einer sehr altenVorstellung der Tauschgerechtigkeit sind Austauschverhältnissedann gerecht, wenn die getauschten Güter oder Leistungen gleich-wertig, äquivalent sind. Das ist das Prinzip der Äquivalenz (Trusen1967).

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Dieses Prinzip, das sich ebenfalls bei Aristoteles findet, lag denvom Gedanken der Reziprozität beherrschten Austauschbeziehun-gen in traditionellen Gesellschaften zugrunde, und es regiert auchheute noch viele nichtmarktliche Tauschaktivitäten, die auf schlich-ter Gegenseitigkeit beruhen, wie z.B. Hilfeleistungen zwischen Nach-barn oder den Gabentausch unter Freunden. Das Äquivalenzprinzipsetzt jedoch ein von den Ergebnissen der Tauschvorgänge unabhän-giges Wertmaß voraus, an dem sich der Wert von Gütern und Dien-sten messen lässt. Daher funktioniert es nur dann und so lange,wenn und insoweit über ein solches Wertmaß Einigkeit besteht. Soherrschte in traditionellen, arbeitsteilig wenig differenzierten Gesell-schaften die Vorstellung vor, der Wert von Gütern oder Leistungenbemesse sich an der für ihre Herstellung oder Erbringung erforderli-chen Arbeitszeit. Aber da diese Vorstellung mit der wachsenden Dif-ferenzierung arbeitsteiliger Produktionsverhältnisse und der Ausbrei-tung geldwirtschaftlicher Transaktionen zunehmend unplausibelgeworden ist, hat auch das Äquivalenzprinzip seinen Gehalt verlo-ren.

((15)) An die Stelle des Äquivalenzprinzips ist darum nach undnach eine andere, eher prozedurale Forderung der Tauschgerechtig-keit getreten: die Forderung fairer Austauschbedingungen. Ihr zufolgesind Tauschaktivitäten gerecht, wenn sie von freien und mit gleichenRechten ausgestatteten Personen, die alle über eine angemessene An-fangsausstattung von Gütern verfügen, freiwillig eingegangen wer-den unter Bedingungen, welche die wechselseitige Vorteilhaftigkeitihrer Transaktionen gewährleisten. Zu diesen Bedingungen, die imWesentlichen den Anforderungen an einen perfekten Wettbewerbs-markt entsprechen, gehören vor allem die folgenden: einmal, dasskeine der beteiligten Parteien durch Gewalt oder Irreführung zurTransaktion veranlasst wird; ferner, dass alle Beteiligten hinreichen-de Kenntnisse über die für ihre Entscheidungen relevanten Tatsa-chen besitzen; weiters, dass sie auch in einem hinreichenden Maßeüber das Vermögen zur rationalen Selbstbestimmung verfügen; undschließlich die Abwesenheit von Machtunterschieden, die es einerPartei möglich machen würden, den Inhalt der Transaktionen zudiktieren. Der Vorstellung, dass freiwillige Tauschbeziehungen unterdiesen Bedingungen gerecht sind, liegt die Annahme zugrunde, dassrationale Personen in solche Beziehungen nur dann einwilligen,

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wenn sie daraus jeweils größtmöglichen Vorteil ziehen (Lucas 1980,216 ff).

((16)) Herrschaftsverhältnisse sind soziale Beziehungen, bei denenbestimmte Personen die Macht und die Befugnis haben, über dasHandeln oder die Handlungsumstände anderer Menschen verbind-lich zu bestimmen und zu diesem Zweck nötigenfalls von Zwangs-mitteln Gebrauch zu machen. Herrschaft oder Autorität grenzt sichvon bloßer Macht also durch das Moment der Befugnis ab, die ent-weder unmittelbar auf der Anerkennung der Beteiligten oder aberauf geltenden sozialen Normen beruhen kann. Dass Herrschaft vorallem in größeren sozialen Verbänden für die Aufrechterhaltung dersozialen Ordnung und für eine effiziente Gestaltung sozialer Zu-sammenarbeit notwendig ist, wird kaum bestritten. Dessen ungeach-tet birgt sie aber auch beträchtliche Gefahren in sich. Jede Herrschaftist mit einer Beschränkung der Selbstbestimmung der ihr unterwor-fenen Personen verbunden, weshalb sie bestimmten Erfordernissender Gerechtigkeit unterliegt, die man als solche der politischen Gerech-tigkeit bezeichen kann.

Es ist heute weithin anerkannt, dass die Ausübung von Herrschaftkein Selbstzweck, sondern nur dann und insoweit gerechtfertigt ist,wenn und soweit sie allgemein annehmbaren Zwecken dient. Alssolche Zwecke kommen im Wesentlichen zwei in Betracht: erstensdie Gewährleistung der legitimen Rechte von Menschen und zwei-tens die Ermöglichung diverser Formen allgemein vorteilhafter so-zialer Kooperation, wie etwa der Bereitstellung öffentlicher Güter.Demnach kann man sagen, dass Herrschaft gerecht ist, wenn sieentweder erforderlich und geeignet ist, den wechselseitigen Rechtenund Pflichten aller Betroffenen Geltung zu verschaffen, oder aberdazu dient, kooperative soziale Beziehungen zu ermöglichen, die al-len Beteiligten zum Vorteil gereichen (Raz 1979; Höffe 1987; Green1988, 21 ff).

((17)) Unrechtsverhältnisse - die vierte Grundform zwischen-menschlichen Handelns, auf die eigenständige Forderungen der Ge-rechtigkeit Anwendung finden - resultieren daraus, dass einzelneMenschen immer wieder gegen festgelegte Regeln des sozialen Zu-sammenlebens verstoßen, unbefugt in die Rechte anderer eingreifenoder ihre Pflichten gegenüber anderen verletzen, sei es in böser Ab-sicht oder aus Nachlässigkeit. Solche Verhältnisse erfordern eine Be-

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richtigung des begangenen Unrechts, durch die verletzte Rechte wiederhergestellt, zugefügte Schäden wieder gutgemacht und schwerePflichtverletzungen bestraft werden. Dies wirft eine Reihe vonschwierigen Fragen auf: Wer soll für eingetretene Schäden in wel-chem Umfang haften? Welche Vergehen sollen bloß die Pflicht zurWiedergutmachung nach sich ziehen und welche sollen bestraftwerden? Welche Strafen sollen gegen strafwürdige Vergehen ange-droht werden? Diese und viele weitere Fragen bilden den Gegen-stand der korrektiven Gerechtigkeit, die sich ihrerseits wieder aus zweiSphären zusammensetzt: während sich die eine - die restitutive Ge-rechtigkeit - auf die Wiedergutmachung von Unrecht bezieht, hat dieandere - die retributive Gerechtigkeit - die Androhung und Verhän-gung von Strafen zum Gegenstand.

Es ist in diesem Zusammenhang weder möglich noch nötig, aufdie vielfältigen Gerechtigkeitsprobleme, die sich hier erheben, im Ein-zelnen einzugehen. Ganz allgemein kann man aber vielleicht sagen,dass Wiedergutmachung immer dann geboten ist, wenn ein Unrechtdie Rechte einzelner Personen verletzt hat, während Strafe dann ge-rechtfertigt ist, wenn die Verfolgung von Pflichtverletzungen nichtbloß dem Interesse einzelner Personen, sondern dem allgemeinen In-teresse dient. Handlungsweisen, die beide Bedingungen zugleich er-füllen, machen sowohl Wiedergutmachung als auch Strafe erforder-lich. Sofern Wiedergutmachung oder Strafe gefordert sind, muss de-ren Ausmaß dem Unrecht angemessen sein, d.h. dem Gewicht derverletzten Pflichten, aber auch dem Grad der Pflichtverletzung(Lucas 1980, 124 ff; Sterba 1980, 63 ff; Murphy/Coleman 1990, 109ff; Coleman 1988, 166 ff).

Die Postulate der Verteilungs-, der Tausch-, der politischen undder korrektiven Gerechtigkeit sind nicht gänzlich unabhängig von-einander, sondern bedingen und ergänzen sich auf vielfältige Weise.Sofern soziales Handeln nicht nur in einer elementaren Interaktionbesteht, sondern in komplexen sozialen Beziehungen stattfindet, inner-halb welcher sich mehrere Arten des sozialen Handelns überschnei-den und vermischen, finden verschiedene Gerechtigkeitspostulatenebeneinander Anwendung. So bilden z.B. die Interaktionen zwi-schen den Mitgliedern einer Familie ein komplexes soziales Bezie-hungsgeflecht, das nicht nur ein Gemeinschaftsverhältnis, sondernauch Tausch-, Herrschafts- und Unrechtsverhältnisse einschließt.

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Damit sind die Grundlagen gelegt, um nun das Konzept der sozialenGerechtigkeit genauer fassen zu können.

1.4 Das Konzept der sozialen Gerechtigkeit((18)) Wenn von sozialer Gerechtigkeit die Rede ist, geht es um ganzeGesellschaften, genauer: um deren Ordnung. Unter einer Gesellschaftsoll dabei entsprechend der üblichen Auffassung ein übergreifendessoziales Gemeinwesen verstanden werden, das eine Vielzahl vonMenschen, die ihrerseits zu vielen kleineren sozialen Einheiten (wieFamilien, Gemeinden, wirtschaftliche Vereinigungen) verbundensind, durch wirksame soziale Normen und Institutionen, seine sozialeOrdnung, zu einem relativ selbständigen, nämlich selbsterhaltungs-und bestandsfähigen, im idealen Fall allgemein vorteilhaften Gesamt-system der sozialen Koexistenz und Kooperation zusammenfasst(Parsons 1975, 19 f; Rawls 1975, 565 ff). Jede Gesellschaft stellt dem-nach, je nach dem Stand ihrer Entwicklung, ein mehr oder minderkomplexes und differenziertes Netzwerk von sozialen Beziehungendar, in dem sich alle erwähnten Formen des sozialen Handelns invielfältiger Weise kreuzen, überlagern und verbinden. Da ihre sozialeOrdnung darauf zielen muss, diese Beziehungen in eine Richtung zulenken, die zu gerechten gesellschaftlichen Verhältnissen führt,leuchtet schon prima facie ein, dass sie in einem gewissen, wennauch erst zu bestimmenden Umfang allen genannten Arten der ma-terialen Gerechtigkeit unterliegt. Ich schlage deshalb vor, unter so-zialer Gerechtigkeit die Gesamtheit aller jener Erfordernisse der Ge-rechtigkeit zu verstehen, die auf die soziale Ordnung und diegrundlegenden sozialen Verhältnisse ganzer Gesellschaften Anwen-dung finden.

Das Konzept der sozialen Gerechtigkeit ist demnach ein Sammel-begriff, der sämtliche Erfordernisse der Gerechtigkeit umfasst, diesich auf die soziale Ordnung oder Verfassung ganzer Gesellschaftenals übergreifender und relativ selbständiger sozialer Gemeinwesenbeziehen. Soweit eine Gesellschaft als eine Gemeinschaft begriffenwird, deren Mitglieder gewisse Güter und Lasten teilen, unterliegtihre Ordnung den Postulaten der Verteilungsgerechtigkeit. In demUmfang, in dem die sozialen Beziehungen einer Gesellschaft überdas Medium dezentraler Austauschverhältnisse koordiniert werden,etwa im Wege marktlicher Transaktionen, gelten für sie die Postulate

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der Tauschgerechtigkeit. Insoweit eine Gesellschaft zur Sicherung ih-rer sozialen Ordnung Herrschaftsverhältnisse braucht, sind diese denPostulaten der politischen Gerechtigkeit unterworfen. Und insoweitin einer Gesellschaft dadurch, dass Menschen gegen verbindliche so-ziale Normen verstoßen, Unrechtsverhältnisse entstehen, die Wieder-gutmachung oder Strafe verlangen, kommen die Postulate der kor-rektiven Gerechtigkeit zum Zug.

Zwischen diesen verschiedenen Erfordernissen der Gerechtigkeit,die auf eine soziale Ordnung Anwendung finden, bestehen diverseAbhängigkeiten, wovon eine spezielle Aufmerksamkeit verdient: dasist das besondere Gewicht, das den Erfordernissen der Verteilungsge-rechtigkeit gegenüber zu allen anderen Postulaten zukommt. DieseErfordernisse haben nämlich vor jenen der Tausch-, der politischenund der korrektiven Gerechtigkeit insofern Priorität, als alle Tausch-,Herrschafts- und Unrechtsverhältnisse bereits irgendeine Anfangs-verteilung der Rechte und Pflichten der beteiligten Personen voraus-setzen und darum nur dann als gerecht gelten können, wenn schonjene Anfangsverteilung als gerecht betrachtet werden kann, d.h. denErfordernissen der Verteilungsgerechtigkeit entspricht. Insoweit dieseErfordernisse auf die soziale Ordnung einer ganzen GesellschaftAnwendung finden, bestimmen sie demnach zugleich die grundle-genden Rechtspositionen, die den Einzelpersonen im Rahmen priva-ter Austauschbeziehungen, politischer Herrschaftsverhältnisse undallfälliger Normverletzungen gerechterweise zukommen müssen. Daeine gerechte Verteilung der grundlegenden bürgerlichen Rechte undPflichten der Gesellschaftsmitglieder somit eine notwendige Vorbe-dingung gerechter sozialer Verhältnisse darstellt, bildet die distribu-tive Gerechtigkeit gewissermaßen den Kern der sozialen Gerechtig-keit überhaupt. Und dies ist der Grund, warum Diskussionen übersoziale Gerechtigkeit meist um Fragen der Verteilungsgerechtigkeitkreisen.

((19)) Wenn und soweit eine Gesellschaft ein gemeinschaftlichesUnternehmen darstellt, ist ihre soziale Ordnung den Erfordernissendistributiver Gerechtigkeit unterworfen. Aus deren Grundprinzip,dem Prinzip der Gleichbehandlung, folgt unmittelbar ein ganz all-gemeiner Grundsatz der sozialen Verteilungsgerechtigkeit, der in ersterAnnäherung etwa so formuliert werden kann: Insoweit eine Gesell-schaft eine Gemeinschaft darstellt, müssen ihre Mitglieder grund-

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sätzlich gleiche Rechte und Pflichten und gleichen Anteil an den ge-meinschaftlichen Gütern und Lasten haben, sofern Ungleichheitennicht durch allgemein annehmbare Gründe gerechtfertigt sind.

Dieser Grundsatz - nennen wir ihn das Prinzip der sozialen Gleich-heit - präjudiziert für sich alleine noch keine spezifische Auffassungder sozialen Gerechtigkeit und ist mit jeder politischen Position ver-einbar, die sich einer Moral der gleichen Achtung aller Menschenverpflichtet fühlt. Infolgedessen wird das Prinzip der sozialenGleichheit in irgendeiner Form von den meisten modernen Konzep-tionen der sozialen Gerechtigkeit entweder ausdrücklich oder zu-mindest stillschweigend vorausgesetzt (Mill 1976, 107; Frankena1962; Vlastos 1962; Honoré 1970; Rees 1974, 107 ff; Rawls 1975, 83;Hare 1978). Umstritten ist jedoch, wie dieses Prinzip im Detail zuverstehen und auf die soziale Realität anzuwenden ist. Uneinigkeitbesteht sowohl darüber, inwieweit und in welchen Hinsichten ganzeGesellschaften als Gemeinschaften zu verstehen sind, die den Erfor-dernissen der distributiven Gerechtigkeit unterliegen, als auch dar-über, welche Güter und Lasten einer gerechten Verteilung bedürfenund welche Gründe in welchem Maße geeignet sind, soziale Un-gleichheiten zu rechtfertigen. Da diese Fragen wegen der über sieherrschenden Meinungsverschiedenheiten sicher nicht im Wege einerBegriffsanalyse geklärt werden können, werde ich sie vorläufig aufsich beruhen lassen und später wieder aufgreifen.

((20)) Doch auch wenn die Auffassungen über die spezfischenund konkreten Erfordernisse sozialer Gerechtigkeit gerade in denmodernen, pluralistischen Gesellschaften beträchtlich auseinander-gehen, scheint es doch zumindest einige grundsätzliche Forderungenzu geben, die heute weitgehende Akzeptanz finden und die man zu-sammen als die heute vorherrschende Vorstellung sozialer Gerechtigkeitbezeichnen kann. Diese grundsätzlichen Forderungen, die das Ver-mächtnis der sozialen Bewegungen der vergangenen Jahrhundertedarstellen und in dem alten Schlagwort „Freiheit - Gleichheit - Soli-darität“ wohl noch immer ihren bündigsten Ausdruck finden, sindim Wesentlichen die folgenden: rechtliche Gleichheit, bürgerlicheFreiheit, demokratische Beteiligung, soziale Chancengleichheit undwirtschaftliche Gerechtigkeit. Ich möchte diese fünf Forderungen, in-soweit über sie im Großen und Ganzen Einigkeit besteht, nur noch in

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aller Kürze skizzieren, bevor ich meine konzeptuelle Analyse be-schließe.

Rechtliche Gleichheit verlangt, dass allen Mitgliedern der Gesell-schaft die gleichen allgemeinen Rechte und Pflichten zukommen müs-sen. Diese Rechte und Pflichten sind durch allgemeine und unper-sönliche Gesetze festzulegen, die für alle Bürger unabhängig von ih-ren zufälligen Eigenschaften gelten und auf sie ohne Ansehen derPerson angewendet werden müssen. Rechtliche Differenzierungen,die eine Ungleichbehandlung von Personen zur Folge haben, sindnur zulässig, wenn sie sich auf sachliche, d.h. unpersönliche und all-gemein annehmbare Gründe stützen, wobei solche Differenzierun-gen ihrerseits nur durch allgemeine und unpersönliche Normen er-folgen dürfen, welche die Bedingungen angeben, unter denen ein-zelne Personen besondere Vorteile oder Nachteile haben sollen (Ale-xy 1985, 357 ff; Zippelius 1996).

Bürgerliche Freiheit bedeutet, dass alle Bürger die gleiche Freiheithaben müssen, ihr Leben frei von sozialen Zwängen und Beschrän-kungen nach ihrem eigenem Gutdünken zu gestalten, insoweit diesim Rahmen eines wohlgeordneten und gedeihlichen sozialen Zu-sammenlebens für alle im gleichen Umfang möglich ist. Dazu ist eserforderlich, die Freiheit aller durch allgemeine und unpersönlicheGesetze bis auf jenen Umfang einzuschränken, bei dem die Freiheitjeder Person mit der gleichen Freiheit aller anderen verträglich ist.Den wesentlichen Kern der bürgerlichen Freiheit bilden die Grund-freiheiten, die jeder Person einen gesicherten Bereich der freien Le-bensgestaltung garantieren, insbesondere die Freiheit der Person, dieGlaubens- und Gewissensfreiheit, die Meinungs- und Redefreiheit,die Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit und, mit gewissen Ein-schränkungen, die wirtschaftliche Freiheit (Rawls 1975, 223 ff; Koller1998).

Demokratische Beteiligung ist das gleiche Recht aller Gesellschafts-mitglieder, an der kollektiven Meinungs- und Willensbildung über öf-fentliche Angelegenheiten teilzunehmen, von denen sie betroffensind. Dies verlangt, dass alle jene Fragen, die alle oder viele Bürgerbetreffen, durch demokratische Entscheidungen geregelt werden, aufdie alle Betroffenen - sei es direkt oder indirekt - gleichen Einflussnehmen können. Zu diesen Angelegenheiten gehören vor allem dieEntscheidung über die allgemein verbindlichen rechtlichen Normen

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der sozialen Ordnung, die Festlegung politischer Zielsetzungen unddie Bereitstellung öffentlicher Güter (Kelsen 1929; Koller 1992).

Soziale Chancengleichheit meint, dass Unterschiede der sozialen Po-sition, die eine Ungleichverteilung von Macht, Autorität, Einflussund Einkommen involvieren, zwar grundsätzlich zulässig sind, so-fern sie dem langfristigen Interesse aller Bürger dienen, aber nur un-ter der Voraussetzung, dass alle sozialen Positionen, so vor allem diebegehrten, allen Bürgern offenstehen. Jedes Gesellschaftsmitgliedmuss also grundsätzlich gleiche Zugangsmöglichkeiten zu den be-gehrten sozialen Positionen haben, also gleiche Aussichten, bei ent-sprechenden Fähigkeiten und Qualifikationen ohne Rücksicht aufanderen Eigenschaften in diese Positionen zu gelangen (Rawls 1975,86 ff; Pogge 1989, 161 ff).

Die Forderung der wirtschaftlichen Gerechtigkeit ist am schwerstenauf eine allgemein annehmbare Formel zu bringen, weil es darüberdie größten Meinungsverschiedenheiten gibt. Aber vielleicht ist diefolgende Formulierung geeignet, den gemeinsamen Nenner der ver-schiedenen Meinungen zu fassen: Ungleichheiten der wirtschaftli-chen Aussichten, insbesondere des Vermögens und des Einkommens,sind zulässig, wenn und insoweit sie mit einer zweckmäßigen Gestal-tung des Wirtschaftslebens verbunden sind, die auf lange Sicht im In-teresse aller Gesellschaftsmitglieder liegt und den schlechter gestell-ten Mitgliedern wenigstens ein gewisses, dem gesellschaftlichenReichtum angemessenes Existenzminimum sichert. Diese Formulie-rung lässt zwar weitgehend offen, in welchem Umfang wirtschaftli-che Ungleichheiten gerechtfertigt sind, aber sie hebt immerhin her-vor, dass diesen Ungleichheiten Grenzen gesetzt sind, die sich ausdem allgemeinen Interesse ergeben.

Soviel zu den Forderungen, die nach meinem Dafürhalten denwesentlichen Kern der heute vorherrschenden Vorstellung sozialerGerechtigkeit ausmachen. Alle Postulate sind ziemlich vage und las-sen verschiedene Deutungsmöglichkeiten zu. Um sie zu konkretisie-ren, sind zusätzliche Annahmen sowohl empirischen als auch nor-mativen Charakters vonnöten, über die jedoch erhebliche Meinungs-differenzen bestehen. Und damit endet auch die Möglichkeit, demBegriff der sozialen Gerechtigkeit allein im Wege einer Bedeutungs-analyse einen präziseren Sinn abzugewinnen. Um zu einer konkrete-ren Vorstellung sozialer Gerechtigkeit zu gelangen, bedarf es einer

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gehaltvollen normativen Theorie, die jene Forderungen so gut wiemöglich zu begründen und näher zu präzisieren versucht. Ich möch-te nun im Folgenden die Grundzüge einer solchen Theorie skizzieren.

2. Die Begründung sozialer Gerechtigkeit((21)) Ich habe mich bisher im Wesentlichen auf eine semantischeAnalyse des Begriffs der sozialen Gerechtigkeit beschränkt. Eine sol-che Analyse hat ein begrenztes Ziel und führt darum für sich alleineauch nicht sehr weit: sie soll die Struktur und den Inhalt der gegen-wärtig vorherrschenden, weil überwiegend geteilten Vorstellung vonsozialer Gerechtigkeit erhellen, kann aber nicht deren Berechtigungoder Gültigkeit fundieren. Aber da zumindest diejenigen von uns, diediese Vorstellung akzeptieren, für sie Anspruch auf allgemeine Gül-tigkeit erheben, möchten wir auch gute Gründe für sie haben. Damiterhebt sich die Frage nach der Begründung der sozialen Gerechtig-keit, und zwar sowohl ihrer allgemeinen Grundidee als auch derspeziellen Forderungen, die in ihrem Namen erhoben werden.

Ein in früheren Zeiten vielfach beschrittener Weg, Richtlinien derMoral und der Gerechtigkeit zu fundieren, bestand darin, sie durchmythologische Deutungen der Weltordnung oder religiöse Glaubens-vorstellungen plausibel zu machen. Dieser Weg ist in säkularen undpluralistischen Gesellschaften nicht mehr gangbar. Damit bleibt nurnoch die Möglichkeit einer rationalen Begründung, nämlich der Ver-such, moralische Standards durch Gründe zu fundieren, die alleMenschen bei rechter Erwägung der relevanten Tatsachen vernünf-tigerweise veranlassen sollten, jene Standards übereinstimmend ausfreien Stücken als verbindliche Richtlinien ihres Verhaltens zu akzep-tieren. Das Ziel einer rationalen Begründung moralischer Standardsbesteht somit im Nachweis ihrer allgemeinen Annehmbarkeit oder Kon-sensfähigkeit. Dementsprechend möchte ich im Folgenden versuchen,die Idee und die Forderungen der sozialen Gerechtigkeit als konsens-fähig zu erweisen und sie überdies etwas präziser zu fassen.

2.1 Die Begründung moralischer Standards((22)) Die Forderungen der Gerechtigkeit sind moralische Standards,weshalb sich die Frage nach ihrer Begründung grundsätzlich in glei-cher Weise wie bei anderen moralischen Standards stellt. MoralischeStandards sind rational begründet, wenn sie bei allgemeiner und un-

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parteiischer Erwägung von allen Menschen, die von ihnen mögli-cherweise betroffen sind, übereinstimmend als oberste Richtlinien ih-res Handelns akzeptiert werden sollten, weil ihre allgemeine Befol-gung unter den gegebenen - teils invarianten, teils aber historischkontingenten - Bedingungen der menschlichen Existenz und des so-zialen Lebens im wohlüberlegten Interesse jedes Menschen liegt. Unddas ist, so nehme ich an, dann der Fall, wenn jene Standards im Fallihrer allgemeinen Geltung zu einer Regelung des sozialen Lebensführen, die jeder Person bestmögliche oder zumindest befriedigendeAussichten bietet, ihre wesentlichen Ziele zu verfolgen und ihre Le-benspläne zu realisieren.

Aber wie ist das näherhin zu verstehen? Wann kann man sagen,dass bestimmte Verhaltensrichtlinien im wohlüberlegten Interessealler Menschen liegen und deswegen übereinstimmend akzeptiertwerden sollten? Über diese Frage gehen die Auffassungen der Mo-ralphilosophen allerdings weit auseinander. Mit einigem Mut zurVereinfachung kann man die theoretischen Ansätze, die sich um ei-ne rationale Moralbegründung bemühen, grob in zwei Gruppen ein-teilen: in individualistische und universalistische Ansätze.

((23)) Die individualistischen Ansätze gehen davon aus, dass Stan-dards der Moral dann und nur dann begründet sind, wenn ihre all-gemeine Geltung unter den jeweils bestehenden Bedingungen der Realitätfaktisch im langfristigen Selbstinteresse aller Betroffenen liegt, d.h.wenn sie ihnen auf lange Sicht faktisch mehr oder zumindest nichtviel weniger Nutzen bringt als die Geltung anderer Standards (No-zick 1976; Buchanan 1975; Gauthier 1986; Hayek 1988). Die Moralwird demgemäß als ein Instrument der menschlichen Verhaltensre-gulierung betrachtet, das de facto dem wechselseitigen Vorteil allerBetroffenen dient und insofern in ihrem vernünftigen Interesse liegt.Dagegen nehmen universalistische Ansätze an, dass jede Moral aufunparteiischen Erwägungen beruhen muss. Demzufolge sind Stan-dards der Moral dann und nur dann begründet, wenn sie deswegendie übereinstimmende Zustimmung aller möglicherweise betroffenenPersonen finden sollten, weil ihre allgemeine Geltung im Lichte einer- virtuell vorgenommenen - allgemeinen und unpersönlichen Be-trachtung im gleichmäßigen Interesse jeder möglicherweise betroffenenPerson zu liegen scheint.

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Ich vertrete die Ansicht, dass alle individualistischen Ansätze indie Irre führen und zum Scheitern verurteilt sind, weil sie den Sinnder Moral verfehlen. Indem sie moralische Standards auf das ratio-nale, d.h. wohlüberlegte und langfristige Selbstinteresse der Einzel-nen zurückführen wollen, verwechseln sie Moral mit individuellerKlugheit (Koller 1983; 1994c). Nach meinem Dafürhalten kann des-halb nur ein universalistischer Ansatz als Grundlage für die Recht-fertigung moralischer Standards dienen. Nun gibt es aber darüber,wie eine allgemeine und unparteiische Willensbildung über die Stan-dards der Moral modelliert werden soll, ebenfalls weitreichendeMeinungsdifferenzen. Innerhalb der universalistischen Ansätze las-sen sich wiederum grob zwei Typen unterscheiden: universell-kollektivistische und universell-individualistische Konzeptionen.

((24)) Eine universell-kollektivistische Konzeption ist dadurch ge-kennzeichnet, dass sie zwar den Bedürfnissen und Zielen aller be-troffenen Individuen insofern gleiche Beachtung schenkt, als sie dieerwarteteten Nutzen und Kosten, die sich für die Einzelnen aus denin Betracht kommenden Standards im Falle ihrer allgemeinen Gel-tung tatsächlich ergeben, berücksichtigt, diese Nutzen und Kostenaber zu einer Gesamtsumme aggregiert und dann jene Standards alsvorzugswürdig betrachtet, die allen Betroffenen, als Kollektiv ge-nommen, größtmöglichen oder zumindest nicht viel weniger Nutzenbringen als andere Regelungsmöglichkeiten. Das Paradigma einersolchen Konzeption ist die utilitaristische Ethik. Gegen diese Konzep-tion der moralischen Willensbildung erhebt sich der Einwand, dasssie die einzelnen Menschen mit ihren jeweils eigenen Bedürfnissenund Zielen nicht wirklich ernst nimmt, weil sie sie gleichsam zu einereinzigen Kollektivperson verschmilzt (Rawls 1975, 211 ff). Und dasie dabei die Präferenzen der Einzelnen nehmen muss, so wie sieeben sind, ist eine solche Konzeption auch nicht imstande, zwischengrundlegenden, verallgemeinerbaren Interessen und den idiosynkra-tischen, partikularen Wünschen von Menschen zu unterscheiden(Dworkin 1984, 379 ff). Infolgedessen kann sie unter bestimmtenempirischen Bedingungen zu Ergebnissen führen, die eine Aufopfe-rung der grundlegendsten Interessen mancher Menschen zugunstenüberwiegender Vorteile anderer erfordern würden, was mit einemrechten Verständnis gleicher Achtung unvereinbar ist.

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Universell-individualistische Moralkonzeptionen vermeiden diese un-erwünschten Konsequenzen, indem sie annehmen, dass moralischeStandards zwar unter einer allgemeinen und unparteiischen Per-spektive gewählt werden müssen, dass diese Perspektive aber die in-terne Sicht jedes Einzelmenschen als einer eigenständigen Person reflek-tieren muss, was eine entsprechende Gewichtung der individuellenBedürfnisse und Ziele mit Rücksicht auf ihre Vereinbarkeit notwen-dig macht. Zu den Exponenten einer solchen Moralkonzeptionen ge-hören z.B. Rousseau und Kant, sowie, um auch einige zeitgenössi-sche Denker zu nennen, John Rawls, Ronald Dworkin und JürgenHabermas. Eine Möglichkeit, die universell- individualistische Deu-tung moralischer Unparteilichkeit zu modellieren, ist die Annahmeeines Schleiers des Nichtwissens, der jede Person nötigt, die moralischeErwägung in Unkenntnis ihrer persönlichen sozialen Bedingungen, Ei-genschaften und Interessen anzustellen, weshalb sie vernünftigerweisesolche Standards wählen wird, die sie unabhängig von ihrer aktuel-len Lage akzeptieren kann (Rawls 1975, 159 ff). Ein anderer Weg istdas Modell eines universellen Perspektivenwechsels, dem gemäß wir immoralischen Diskurs versuchen müssen, uns in die Lage jedes ande-ren Menschen zu versetzen, so dass wir Grund haben, nur solcheStandards zu akzeptieren, die so gut wie möglich den wesentlichenBedürfnissen und Interessen jeder Person Rechnung tragen (Haber-mas 1991, 152 ff).

((25)) Eine eingehendere Diskussion der Moraltheorien ist hierweder möglich noch nötig. Ich nehme ohne nähere Begründung ein-fach an, dass eine universell-individualistische Deutung moralischerUnparteilichkeit, und nur eine solche, eine tragfähige Grundlage fürdie Begründung moralischer Normen liefert, wobei es im vorliegen-den Zusammenhang nicht darauf ankommt, wie diese Deutung imEinzelnen modelliert werden soll. Für meine Zwecke genügt es, aufzwei Konsequenzen hinzuweisen, die sich daraus ergeben. Die Ideemoralischer Unparteilichkeit verlangt erstens, dass alle Menschengrundsätzlich gleiche moralische Pflichten und Rechte haben müssen.Zwar mag es Ausnahmen von diesen Rechten und Pflichten geben,aber solche Ausnahmen müssen sich nicht nur auf allgemein akzep-table Gründe stützen, sondern auch selber wiederum grundsätzlichfür alle Menschen gelten, indem die Bedingungen angegeben wer-den, unter denen sie wirksam werden. Zweitens macht es die morali-

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sche Unparteilichkeit notwendig, zwischen zwei Arten menschlicherStrebensziele (Bedürfnisse, Interessen, Wünsche) zu differenzieren:zwischen höchstpersönlichen (oder idiosynkratischen) Präferenzeneinerseits und grundlegenden (oder allgemein menschlichen) Interes-sen andererseits.

Höchstpersönliche (oder idiosynkratische) Präferenzen sind die unmit-telbaren Ziele, die wir als Einzelne tatsächlich anstreben, was auchimmer die Güter sein mögen, die sie zum Gegenstand haben: genugzum Essen, ein Dach über dem Kopf, eine Arbeit, beruflicher Erfolg,Glück in der Liebe, ein Auto, gutes Essen, eine schöne Wohnung ingünstiger Lage, tüchtige Kinder, viel Geld, ein Gemälde von Chardin,ein Ausflug ins Weltall. Obwohl solche Präferenzen oft Ausdruckdringlicher Bedürfnisse oder stark empfundener Wünsche sind, kanndie moralische Erwägung nicht direkt bei ihnen ansetzen, da sie stetsdie besonderen Lebensbedingungen der Individuen reflektieren, diesich selber erst aus den Regeln des sozialen Zusammenlebens erge-ben, um die es im moralischen Diskurs geht. Ob und inwieweit Men-schen ihre idiosynkratischen Präferenzen verwirklichen können,hängt jedoch von anderen Umständen ab, die ihrerseits einen sinn-vollen, wenn auch oft nicht direkt bewussten Gegenstand menschli-cher Interessen darstellen. Das sind die grundlegenden oder allgemeinmenschlichen Interessen, welche auf Güter gerichtet sind, die jede Per-son deswegen anstreben sollte, weil sie es ihr überhaupt erst möglichmachen, ihre höchstpersönlichen Interessen zu verfolgen, und zwargewöhnlich umso besser, je mehr sie davon hat, wie z.B. Gesundheit,geistige Fähigkeiten, Wissen, soziale Kompetenz, Freiheit, Macht,Vermögen, soziale Anerkennung. Ich nenne solche Güter - Rawlsfolgend - grundlegende Güter oder einfach Grundgüter.

Aber nicht alle grundlegenden Güter sind ein möglicher Gegen-stand sozialer Regelung und moralischer Erwägung. Denn manchevon ihnen sind schon von Natur aus gegeben und damit unserer Ver-fügung entzogen, wie z.B. die angeborenen physischen und geistigenAnlagen der Menschen (zumindest der bereits geborenen). Anderewiederum bestehen in Umständen, die zwar durch menschlichesHandeln beeinflusst werden, aber einer planmäßigen Gestaltungdennoch nicht zugänglich sind, weil wir keine hinreichendenKenntnisse von den kausalen Vorgängen haben, durch die sie ent-stehen, wie z.B. ein glückliches, emotional ausgewogenes Naturell

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von Menschen. Es gibt aber auch Grundgüter, die zumindest bis zueinem gewissen Grade durch die Regeln des sozialen Zusammenle-bens verteilt werden, welche wir bewusst gestalten können. Das sinddie sozialen Grundgüter, um die es im moralischen Diskurs geht. Ichnehme an, dass zu diesen Grundgütern jedenfalls die folgenden ge-hören: geregelte soziale Verhältnisse, Sicherheit vor fremder Gewalt,Freiheit zu einer selbstbestimmten Lebensgestaltung, Teilnahme ander Willensbildung über kollektiv verbindliche Entscheidungen, Zu-gangsmöglichkeiten zu begehrten sozialen Positionen und Verfü-gungsmöglichkeiten über wirtschaftliche Ressourcen.

2.2 Die Räson der Gerechtigkeit((26)) Manche Gebote der Moral haben offenbar vollkommen univer-sellen Charakter in dem Sinne, dass sie jeder Person die gleichen Ver-haltenspflichten gegenüber jedem anderen Menschen auferlegen.Dazu gehört z.B. das Gebot, andere nicht ohne zureichenden Grundzu töten oder zu verletzen, das Gebot, den Besitz anderer zu respek-tieren, oder das Gebot, Verträge zu halten. Die Standards der Ge-rechtigkeit unterscheiden sich von solchen Geboten dadurch, dass sienicht schlechthin jede Person zu einem bestimmten Verhalten ge-genüber jeder anderen verpflichten, sondern sich stets auf Personenbeziehen, die in einer bestimmten sozialen Beziehung zueinander ste-hen, woran sie gewisse Rechte und Pflichten knüpfen. Dieser Um-stand lässt sich, glaube ich, wie folgt erklären.

Angenommen, die Moral enthielte nichts weiter als strikt univer-selle Normen, denen entsprechend alle Menschen gegenüber anderengenau die gleichen Rechte und Pflichten haben, gleichgültig, in welchensozialen Beziehungen sie zueinander stehen. Es ist leicht zu sehen,dass eine solche Moral den Bedürfnissen der Menschen kaum genü-gen würde. Denn auf der einen Seite dürfte sie den Menschen nichtsehr viel abverlangen, damit ihre Gebote von jedem befolgt werdenkönnen: insofern würde sie aber sicher nicht genügen, um die Men-schen zu anspruchsvolleren Formen der wechselseitigen Hilfeleistungund der sozialen Zusammenarbeit anzuleiten, die sie brauchen, umihre wesentlichen Daseinsprobleme meistern zu können. Darummüsste sie auf der anderen Seite, um zur Bewältigung der menschli-chen Daseinsprobleme beizutragen, an jede Person sehr starke An-forderungen stellen: dann aber würde sie die Menschen überfordern

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und bliebe wohl weitgehend unwirksam. Die Idee einer vollkommenuniversellen Moral führt damit in ein praktisches Dilemma: eine der-artige Moral wäre entweder zu anspruchslos, um das menschlicheZusammenleben in der erforderlichen Weise zu regulieren, oder siewäre zu anspruchsvoll, um soziale Geltung zu besitzen. In keinemFall wäre sie annehmbar.

((27)) Aus diesem Dilemma gibt es einen ebenso bewährten wieeinfachen Ausweg: das ist moralische Arbeitsteilung, nämlich eineVerteilung moralischer Ansprüche und Verbindlichkeiten, durch diebestimmten Personen unter gewissen Bedingungen jeweils gewissespezifische Rechte oder Pflichten gegenüber anderen zugewiesen wer-den. Viele der weithin akzeptierten moralischen Normen haben sol-che Rechte und Pflichten zum Gegenstand. So wird allgemein ange-nommen, dass Eltern ihren eigenen Kindern mehr Fürsorge schuldenals fremden; dass wir von unseren Nächsten mehr fordern dürfen alsvon Menschen, die uns fern stehen; und dass die Bürger eines Landesgegeneinander stärkere Ansprüche und Verpflichtungen haben alsgegenüber Fremden. Die Forderungen der Gerechtigkeit, die ja stetsdie spezifischen Rechten und Pflichten von Menschen im Kontext be-stimmter sozialer Beziehungen zum Gegenstand haben, zielen nundarauf ab, die moralische Arbeitsteilung in eine Richtung zu lenken,die im vernünftigen Interesse der Subjekte jener Rechte und Pflichtenliegt, aber auch für alle anderen Menschen annehmbar ist.

Moralische Arbeitsteilung kann vielfältige Formen annehmen, dieaber offenbar zwei Bedingungen erfüllen müssen, um aus unpartei-ischer Sicht annehmbar zu sein. Die erste Bedingung betrifft das in-terne Verhältnis jener Personen, zwischen denen die in Betracht ste-henden spezifischen Rechte und Pflichten bestehen: diese Rechte undPflichten müssen zweckmäßig , d.h. für diese Personen vorteilhaft sein;sie müssen es ihnen also möglich machen, ihre grundlegenden Zielebesser oder zumindest nicht viel schlechter als auf anderen Wegenzu erreichen. Dies setzt eine Beziehung der Wechselseitigkeit zwi-schen jenen Personen voraus, die es für sie bei rechter Erwägung vor-teilhaft macht, die betreffenden spezifischen Rechte und Pflichten zuakzeptieren und zu respektieren. Doch wenn diese Rechte undPflichten allgemein annehmbar sein sollen, müssen sie noch einerzweiten Bedingung genügen, die sich auf das externe Verhältnis zwi-schen diesen Personen und allen anderen Menschen bezieht: sie

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müssen universalisierbar sein, d.h. auch dann noch akzeptabel sein,wenn sie Teil einer allgemeinen, von allen Menschen geübten sozia-len Praxis sind.

((28)) Es ist leicht zu zeigen, dass die der Gerechtigkeit unterlie-genden Grundformen des zwischenmenschlichen Handelns - alsoGemeinschafts-, Austausch-, Herrschafts- und Unrechtsverhältnisse -diesen Bedingungen nur dann entsprechen, wenn sie so gestaltetwerden, wie es die sie betreffenden Grundpostulate der Gerechtigkeitfordern. Ich will das nur mit Bezug auf Gemeinschaftsverhältnissekurz andeuten.

Da die Menschen, um mit Kant zu sprechen, von Natur aus so-wohl gesellige als auch ungesellige Wesen sind, die zwar einerseitsnur in Verbindung mit anderen überleben und gedeihen können,andererseits aber zu eigennützig sind, um ohne weiteres miteinanderauszukommen, müssen sie soziale Gemeinschaften bilden, deren Re-geln sie zu einem friedlichen und vorteilhaften Zusammenleben an-leiten. Dass Menschen Gemeinschaften bilden, um ihre grundlegen-den Interessen so gut wie möglich zu befriedigen, ist deshalb aus mo-ralischer Sicht nicht bloß erlaubt, sondern sogar geboten, insoweit ih-re gemeinschaftlichen Aktivitäten dem gleichen Recht anderer Men-schen nicht entgegenstehen. Um zu erreichen, dass die Vorteile undLasten des Gemeinschaftslebens auf die Beteiligten in einer Weiseverteilt werden, die den grundlegenden Interessen aller gleicherma-ßen Rechnung trägt, ist es geboten, dass alle Beteiligten im gleichenMaße an diesen Vorteilen und Lasten teilhaben, sofern nicht guteGründe für eine Ungleichbehandlung bestehen. Und eben das ver-langt das Prinzip der Gleichbehandlung.

Jeder Mensch gehört gewöhnlich mehreren, ja oft sogar vielenverschiedenen Gemeinschaften an, die sich hinsichtlich ihrer Größeund Funktion unterscheiden, wie z.B. Familien, Gemeinden, Produk-tionsgemeinschaften, politische Gemeinwesen. Da es in der Naturvieler dieser Gemeinschaften liegt, dass sie ihren Zweck nur dann er-füllen können, wenn sie eine gewisse Größe nicht überschreiten, tei-len sich die Menschen in eine mehr oder minder große Zahl gleichar-tiger Einheiten, die sich voneinander abgrenzen und oft in Konkur-renz zueinander stehen. Um ein friedliches und zweckmäßiges Zu-sammenwirken all dieser Gemeinschaften zu erreichen, muss es un-ter ihnen eine Gemeinschaft geben, die allen anderen übergeordnet

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ist, d.h. sie zu einer übergreifenden sozialen Einheit zusammenfasst,innerhalb welcher es allen beteiligten Menschen möglich ist, ihregrundlegenden Ziele zu verfolgen und so gut wie möglich zu realisie-ren. Diese Gemeinschaft pflegt man eine Gesellschaft zu nennen (Par-sons 1975).

Welche Größe und welche Organisationsform eine Gesellschafthaben sollte, um ihrer Aufgabe entsprechen zu können, hängt vonhistorisch kontingenten Umständen ab, so vor allem vom Ausmaßder sozialen Arbeitsteilung, von der Ausdehnung der Austausch-und Kooperationsbeziehungen und dem sich daraus ergebenden Re-gelungsbedarf der sozialen Verhältnisse. Während es für die wirt-schaftlich weitgehend autarken lokalen Gemeinschaften primitiverKulturen genügen mochte, sich im Wege periodischer Reziprozitäts-beziehungen zu relativ losen Koalitionen zu vereinigen, sprechenviele Evidenzen dafür, dass ausgedehnte und arbeitsteilig stark aus-differenzierte Sozialbeziehungen großer Menschenzahlen auch eineentsprechend dichter organisierte gesellschaftliche Verfassung brau-chen: nämlich Gesellschaften mit einem festen Territorium und einerzentralisierten, mit umfassenden Regelungsbefugnissen ausgestatte-ten politischen Autorität. Da ich mich hier auf diese Thematik nichtweiter einlassen kann, nehme ich einfach an, dass unter den Bedin-gungen der fortgeschrittenen technischen und wirtschaftlichen Ent-wicklung der Moderne staatliche Gesellschaften von der Art der ge-genwärtigen Nationalstaaten eine einigermaßen geeignete, wennauch keineswegs ungefährliche Form der politischen Vergemein-schaftung darstellen. Solche Gesellschaften sind Gegenstand der heu-te vorherrschenden Auffassung der sozialen Gerechtigkeit und ihrergrundlegenden Forderungen.

((29)) Wie aber kommt man zu diesen Forderungen? Wie, wennüberhaupt, lassen sie sich begründen? Dazu ist zweierlei vonnöten:erstens eine Konzeption der moralischen Rechtfertigung, die Ant-wort darauf gibt, was es heißen soll, dass Forderungen der sozialenGerechtigkeit allgemein annehmbar oder konsensfähig sind; undzweitens eine gesellschaftstheoretische Überlegung, die uns zu einergenaueren Vorstellung davon führt, was eine Gesellschaft, insbeson-dere eine moderne Gesellschaft, ist.

Über den ersten Punkt ist nicht mehr viel zu sagen. Die bisherigenAusführungen bedürfen nur noch einer kleinen Ergänzung. Ich

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nehme in Übereinstimmung mit vielen anderen Autoren an, dassForderungen der sozialen Gerechtigkeit dann und nur dann begrün-det sind, wenn sie bei Berücksichtigung der relevanten Tatsachenund bei unparteiischer Erwägung die übereinstimmende Zustimmungaller Gesellschaftsmitglieder finden sollten, und zwar sowohl der ge-genwärtigen als auch der nachkommenden (Rawls 1975, 27 ff). Derzweite Punkt - die Frage, was eine Gesellschaft eigentlich ist -braucht eine eingehendere Diskussion.

2.3 Die Gesellschaft als Gegenstand der Gerechtigkeit((30)) Was die soziale Gerechtigkeit von der sozialen Ordnung einerGesellschaft im Einzelnen verlangt, hängt wesentlich davon ab, obund inwieweit das Erfordernis der Verteilungsgerechtigkeit auf dieseOrdnung Anwendung findet. Und das hängt selber wieder davonab, ob und inwieweit eine Gesellschaft im Ganzen als eine Gemein-schaft betrachtet werden kann und soll. In diesem Zusammenhangist es zweckmäßig, den Begriff der Gemeinschaft etwas genauer zubetrachten und drei Arten der Gemeinschaft zu unterscheiden: näm-lich Besitz-, Kooperations- und Solidaritätsgemeinschaften. UmMissverständnisse zu vermeiden, sollte ich vielleicht betonen, dassdiese Gemeinschaften nicht Menschengruppen, sondern jeweils be-stimmte Relationen zwischen Menschen verkörpern. Ferner ist zu sa-gen, dass sie einander nicht ausschließen, sondern sich wechselseitigüberlappen können.

Eine Besitzgemeinschaft liegt vor, wenn mehrere Menschen ge-meinsame Ansprüche auf irgendwelche bereits bestehende Güter ha-ben, z.B. deshalb, weil sie sie gemeinsam bekommen oder in gemein-samer Arbeit hergestellt haben. Unter der heute weithin akzeptiertenAnnahme, dass alle Menschen grundsätzlich einen gleichen, wennauch erst durch entsprechende soziale Normen zu spezifizierendenAnspruch auf die Güter der Natur und das zivilisatorische Erbe frü-herer Generationen haben, stellt jede Gesellschaft eine Besitzgemein-schaft zumindest in dem Sinne dar, dass ihre Naturressourcen undihre kulturellen Errungenschaften allen ihren Mitgliedern gemeinsamgehören. Und daraus folgt, dass die individuellen Zugangs, Nut-zungs- und Verfügungsrechte an natürlichen Ressourcen und zivili-satorischen Errungenschaften auf eine Weise zu gestalten sind, diesich gegenüber jeder Person rechtfertigen lässt (Locke 1977, 215 ff;

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Kant 1968, 353 ff; Nozick 1976, 163 ff; Steiner 1994, 231 ff; Stein-vorth 1999, 123 ff, 199 ff).

Demgegenüber bilden Personen eine Kooperationsgemeinschaft,wenn sie in ihrem allseitigen Interesse zusammenwirken, um gewisseGüter zustande zu bringen oder bestimmte Ziele zu erreichen, wozusie sich jedoch entsprechenden Pflichten oder Bürden unterwerfenmüssen. Eine solche Gemeinschaft liegt im einfachsten Fall schon vor,wenn die Beteiligten sich bloß verpflichten, einander nicht durchwillkürliche Gewalt zu beeinträchtigen, um einen Zustand friedlicherKoexistenz zu schaffen; aber sie kann auch die Form einer viel wei-tergehenden Kooperation annehmen, die den Beteiligten mehr oderminder anspruchsvolle Pflichten zur Erbringung aktiver Leistungenauferlegt. Dass eine jede Gesellschaft Elemente einer Kooperations-gemeinschaft aufweist, ist ebenso offensichtlich wie unbestritten.Selbst eine Gesellschaft, die aus lauter unabhängigen und autarkenIndividuen oder Familien bestehen würde, wie sich eine strikt indivi-dualistische Gesellschaftsauffassung das vorstellt, muss ihren Mit-gliedern im Interesse eines friedlichen Zusammenlebens eine Reihevon Kooperationspflichten auferlegen: so vor allem die Pflicht, diekörperliche Integrität, die Freiheit und das Eigentum anderer zu re-spektieren, die Pflicht, Verträge einzuhalten, und überdies auch diePflicht, zum Bestand öffentlicher Herrschaftsgewalten beizutragen,welcher es zur Gewährleistung eines solchen Zusammenlebens be-darf.

Aber diese Vorstellung der Gesellschaft als einer Ansammlungvon lauter selbständigen Unternehmern geht an der Realität sowiesovöllig vorbei. Sogar traditionelle Gesellschaften, die sich aus relativselbstgenügsamen sozialen Einheiten zusammensetzen, enthalten einviel stärkeres Maß an wechselseitiger Kooperation: nicht nur müssendiese Einheiten in ihrem Inneren ein dichtes Netz der arbeitsteiligenZusammenarbeit pflegen, um überleben und sich gegenüber anderenbehaupten zu können, sondern sie sind auch durch vielfältige wirt-schaftliche und politische Interdependenzen miteinander verbunden.Und das gilt noch viel mehr für moderne, entwickelte Gesellschaftenmit ihrer hochgradig ausdifferenzierten sozialen Arbeitsteilung, wel-che die Aktivitäten der einzelnen Gesellschaftsmitglieder vollends zueinem umfassenden, alle Bereiche des Lebens erfassenden System dergesellschaftlichen Kooperation verknüpft. Unter diesen Bedingungen

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kann sich die gesellschaftliche Ordnung auch nicht damit begnügen,den Menschen einfach nur die gleichen bürgerlichen Rechte undFreiheiten einzuräumen und sie dann ihrem Schicksal zu überlassen,wohin es sie auch führen mag, sondern sie muss zugleich auch dafürsorgen, dass der Gebrauch dieser Rechte und Freiheiten so weit wiemöglich dem Vorteil aller dient (Marx/Engels 1968; Rawls 1975, 565ff; Koller 1993; Kersting 2000, 22 ff).

Unter einer Solidaritätsgemeinschaft ist ein soziales Beziehungsge-füge zwischen Menschen zu verstehen, die - wenn auch nicht not-wendig in allen, so doch in manchen Hinsichten - füreinander ver-antwortlich und darum wechselseitig verpflichtet sind, einander imBedarfsfall beizustehen und für das Wohlergehen der anderen Sorgezu tragen. Solidarität - oder, wie man früher sagte: Brüderlichkeit -ist also ein besonders starkes Verhältnis der wechselseitigen Ver-pflichtung, das den Beteiligten auch die Erbringung aktiver Leistun-gen für andere abverlangt und dann besteht, wenn Menschen in be-sonderem Maße aufeinander angewiesen sind, wie in vormodernenZeiten eben Brüder und Verwandte. Dass Gesellschaften, und zwarim Besonderen moderne Gesellschaften, auch Solidaritätsgemein-schaften sind, wird sofort plausibel, wenn man bedenkt, dass unterden Lebensbedingungen fortgeschrittener Gesellschaften die kleine-ren sozialen Einheiten - wie Familien, Kommunen, Berufsgenossen-schaften u.dgl. - sicher nicht mehr allein imstande sind, für alle jeneMenschen Sorge zu tragen, die der Hilfe bedürfen, weil sie, aus wel-chen Gründen immer, nicht für sich selber sorgen können. Wenn daszutrifft, dann kommt zu den bisherigen Anforderungen an eine ge-rechte soziale Ordnung noch eine weitere hinzu: die nämlich, auchjenen Menschen, die selber nicht oder nur wenig zur wirtschaftli-chen Kooperation beitragen können, ein angemessenes, den gesell-schaftlichen Lebensverhältnissen entsprechendes Auskommen zu si-chern (Sandel 1982; Taylor 1988; Koller 1993; Kersting 2000, 23 ff).

((31)) Nimmt man alle drei Elemente zusammen, so folgt, dassganze Gesellschaften in erheblichem Umfang die Züge einer Gemein-schaft haben. Diese Züge treten umso stärker hervor, je entwickelterund differenzierter Gesellschaften sind. Und in dem Maße, in demsich die gemeinschaftlichen Züge einer Gesellschaft verdichten, greiftin ihr auch die Forderung der Verteilungsgerechtigkeit Platz, die damitdie Form des Prinzips der sozialen Gleichheit annimmt. Dieses Prinzip

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verlangt die Gleichbehandlung aller Gesellschaftsmitglieder hinsicht-lich aller jener grundlegenden Güter und Lasten des sozialen Lebens,die entweder direkt aus der sozialen Ordnung resultieren oder derenAllokation wesentlich durch die soziale Ordnung gesteuert wird, so-fern eine Ungleichverteilung solcher Güter und Lasten nicht durchzureichende Gründe als gerechtfertigt, also zulässig oder gar gebo-ten, erscheint.

Damit stellen sich zwei weitere Fragen: erstens, worin die grund-legenden Güter und Lasten bestehen, die der Verteilungsgerechtig-keit unterworfen sind und daher einer dem Prinzip der sozialenGleichheit entsprechenden Verteilung bedürfen; und zweitens, wel-che Gründe denn geeignet sind, eine Ungleichverteilung solcher Gü-ter und Lasten zu rechtfertigen, und falls es solche Gründe gibt, inwelchem Maß sie Ungleichheiten rechtfertigen.

Was die erste Frage betrifft, so begnüge ich mich mit einigen kur-zen Andeutungen, weil mir die Antwort vor dem Hintergrund derfrüher angestellten Überlegungen über die grundlegenden Interessender Menschen und die grundlegenden Güter, auf die sie gerichtetsind, auf der Hand zu liegen scheint. Ich gehe davon aus, dass diegrundlegenden Güter und Lasten, die einer gerechten Verteilung be-dürfen, jene Güter und Lasten des gesellschaftlichen Lebens sind, de-ren Verteilung die grundlegenden Interessen der Mitglieder tangiertund zugleich sozialer Regelung fähig ist, sei es, weil diese Verteilungsich entweder direkt aus den sozialen Regeln ergibt oder aber in ho-hem Maße durch die soziale Ordnung gesteuert wird. Da diese Güterund Lasten im Kontext der sozialen Ordnung stets die Form vonRechten und Pflichten annehmen, die jeweils unmittelbar zusam-menhängen, liegt es nahe, der Einfachheit halber eine Seite, nämlichdie Güter, in den Vordergrund zu stellen. Diese Güter, die man mitRawls (1975, 111 ff) als gesellschaftliche Grundgüter ansprechen kann,sind, so nehme ich in Übereinstimmung mit der vorherrschendenVorstellung sozialer Gerechtigkeit an, die folgenden Dinge: (1) dieallgemeinen Rechte, (2) die individuellen Freiheiten, (3) die politischeTeilnahme, (4) die sozialen Positionen und Chancen, sowie (5) dieökonomischen Aussichten der Gesellschaftsmitglieder (Koller 1994b).

((32)) Die Frage, welche Gründe zur Rechtfertigung sozialer Un-gleichheiten taugen, bedarf einer eingehenderen Erörterung. Ob essolche Gründe gibt und welche sozialen Ungleichheiten sie zu recht-

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fertigen vermögen, hängt jedoch davon ab, um welche gesellschaftli-chen Grundgüter bzw. welche Ungleichheiten es jeweils geht. Eswird daher notwendig sein, die Frage mit Bezug auf jedes dieserGrundgüter gesondert zu besprechen. Bevor ich dazu übergehe, istaber eine kurze Überlegung darüber angebracht, wie solche Gründeüberhaupt aussehen könnten, d.h. welche Form sie haben müssen,um bei unparteiischer Betrachtung die Zustimmung aller Gesell-schaftsmitglieder finden zu können.

Falls es gute Gründe für soziale Ungleichheiten gibt, welche in ei-ner ungleichen Verteilung gesellschaftlicher Grundgütern bestehen,können es nur solche sein, die für alle Gesellschaftsmitglieder bei un-parteiischer Betrachtung akzeptabel sind. Wenn man davon ausgeht,dass jedes Mitglied darauf bedacht sein muss, für sich einen mög-lichst großen oder zumindest befriedigenden Anteil an Grundgüternzu erlangen, um seine grundlegenden Interessen in bestmöglicherWeise befriedigen zu können, kann es für alle nur dann guten Grundgeben, einer Ungleichverteilung von Grundgütern zuzustimmen,wenn diese Ungleichverteilung entweder eine notwendige Voraus-setzung oder eine unvermeidliche Folge einer Gestaltung der gesell-schaftlichen Verhältnisse ist, die - verglichen mit einer gleichen odergleichmäßigeren Verteilung - zu einer Vermehrung gesellschaftlicherGüter führt, von der auf längere Sicht alle Gesellschaftsmitgliederprofitieren. Das setzt freilich voraus, dass jene Güter keine Konstant-summe bilden, deren Gesamtumfang stets unverändert bleibt, son-dern dass sie eine variable Menge darstellen, deren Umfang durcheine zweckmäßige Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse ge-steigert werden kann. Zweifellos gibt es solche Güter, denn das so-ziale Leben ist kein Konstantsummenspiel, sondern ein Gemein-schaftsunternehmen, dessen Ertrag durch geeignete Formen der so-zialen Kooperation beträchtlich gesteigert werden kann. Und einigesspricht dafür, dass manche dieser Kooperationsformen notwendigmit gewissen sozialen Ungleichheiten verbunden sind, sei es, weil siesolche Ungleichheiten schon voraussetzen oder unvermeidlich zurFolge haben. Diese Überlegung führt zu einem allgemeinen Prinzip so-zialer Ungleichheit, das so formuliert werden kann: Soziale Ungleich-heiten sind gerechtfertigt, wenn und soweit sie notwendig mit einerRegelung des Gesellschaftslebens verbunden sind, die - verglichenmit anderen Regelungsmöglichkeiten, die weniger Ungleichheiten

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zulassen - auf längere Sicht allen Gesellschaftsmitgliedern zum Vor-teil dient.

Dieses Prinzip kann im Weg der folgenden Überlegung noch et-was weiter spezifiziert werden. Gute Gründe für eine Ungleichver-teilung gesellschaftlicher Grundgüter müssen auch für jene Mitglie-der akzeptabel sein, die durch diese Ungleichverteilung insofern be-nachteiligt werden, als sie von jenen Grundgütern weniger als ande-re bekommen. Aus unparteiischer Perspektive, unter der man damitrechnen muss, dass man selber zu diesen Mitgliedern gehören könn-te, wird man eine Ungleichverteilung solcher Grundgüter vernünfti-gerweise nur dann akzeptieren können, wenn man von ihr umsomehr profitiert, je schlechter man im Verhältnis zu anderen dran ist,weil man nur auf diese Weise das grundlegende Interesse, möglichstviel von jenen Grundgütern zu bekommen, realisieren kann. Da alsoein Zuwachs von Grundgütern umso mehr Nutzen bringt, je wenigerman davon hat, muss jede Person darauf bedacht sein, sich einemöglichst große Basisaustattung von Grundgütern zu sichern. Dar-aus folgt ein spezielles Ungleichheitsprinzip, das im Ergebnis dem Dif-ferenzprinzip von Rawls (1975, 95 ff) nahe kommt. Es lautet so: So-ziale Ungleichheiten sind gerechtfertigt, wenn und soweit sie not-wendig mit einer Regelung des gesellschaftlichen Lebens verbundensind, die auf längere Sicht allen Gesellschaftsmitgliedern zum Vorteilgereichen, und zwar derart, dass die jeweils schlechter gestelltenMitglieder - verglichen mit einer gleichen oder gleichmäßigeren Ver-teilung - jeweils größtmöglichen Vorteil daraus ziehen. Oder dasselbeanders formuliert: Soziale Ungleichheiten sind gerechtfertigt, sofernes nicht möglich ist, durch eine Umverteilung gesellschaftlicherGrundgüter von oben nach unten die Lage der jeweils schlechter ge-stellten Personen nachhaltig zu verbessern; wann immer eine solcheUmverteilung möglich ist, sind soziale Ungleichheiten ungerecht,weil sie die zulässigen Grenzen überschreiten.

Damit verfügen wir, glaube ich, über hinreichende Mittel, die esermöglichen, die fünf Forderungen, die den Kern der heute vorherr-schenden Vorstellung der sozialen Gerechtigkeit bilden, zu begrün-den und etwas zu präzisieren.

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2.4 Die Forderungen der sozialen GerechtigkeitWie ich früher ausgeführt habe, stehen unter den Lebensbedingun-gen moderner Gesellschaften als grundlegende gesellschaftliche Gü-ter, die einer gerechten Verteilung bedürfen, die folgenden Gegen-stände in Betracht: (1) allgemeine Rechte, (2) individuelle Freiheiten,(3) politische Teilnahme, (4) soziale Positionen und Chancen sowie(5) wirtschaftliche Aussichten. Die Verteilung oder Regelung dieserGrundgüter findet im Rahmen der sozialen Ordnung jeweils in be-stimmten, miteinander korrespondierenden Rechten und Pflichtender Gesellschaftsmitglieder Niederschlag. Ich werde nun dieseGrundgüter nacheinander betrachten.

((33)) Allgemeine Rechte: Die allgemeinen (oder abstrakten) Rechteder Mitglieder einer Gesellschaft sind jene Rechte, die ihnen unab-hängig von ihren Handlungen und Lebensumständen allein auf-grund ihrer Zugehörigkeit zur Gesellschaft, also sozusagen von Ge-burt an, zugeschrieben werden, wie z.B. die basalen Rechte, die ih-ren rechtlichen Status begründen, das Recht, Eigentum zu erwerbenund darüber zu verfügen, aber auch die vielen banalen Rechte, diedie soziale Ordnung jedem Bürger einräumt. Alle diese Rechte sindmit entsprechenden allgemeinen Pflichten der jeweils anderen Per-sonen verbunden. Von solchen allgemeinen Rechten und Pflichtensind besondere (oder konkrete) Rechte und Pflichten zu unterscheiden,die einzelnen Personen unter bestimmten konkreten Umständen oderinfolge ihres Handelns zukommen, wie z.B. mein Recht auf die Nut-zung des Computers, mit dem ich diesen Aufsatz schreibe. Währendes absurd wäre, die besonderen Rechte und Pflichten der Individuendirekt durch die soziale Ordnung festzulegen, weil ihr Sinn ja geradedarin besteht, mit den speziellen Lebensumständen und Handlungender Einzelnen zu variieren, sind die allgemeinen Rechte der Men-schen unzweifelhaft ein wesentliches, ja das wichtigste Grundgut je-des gesellschaftlichen Lebens, weil an ihnen alle anderen Grundgüterhängen. Infolgedessen müssen allen Mitgliedern gleiche allgemeineRechte und Pflichten zukommen, falls es keine Gründe gibt, die Un-gleichheiten als gerechtfertigt erscheinen lassen.

Doch solche Gründe kann es nicht geben, weil jede Ungleichheitder allgemeinen Rechte und Pflichten schon begrifflich mit der mo-ralischen Gleichheit aller Gesellschaftsmitglieder unvereinbar ist unddadurch ausgeschlossen wird. Denn eine solche Ungleichheit liefe ja

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darauf hinaus, bestimmten Personen ohne Rücksicht auf ihre jeweili-gen Lebensumstände oder Handlungen weniger Rechte als andereneinzuräumen und sie damit von vornherein als weniger berechtigteoder gar rechtlose Personen zu behandeln, was jeder annehmbarenDeutung moralischer Unparteilichkeit widerspricht. Da es für Un-gleichheiten der allgemeinen Rechte keine annehmbaren Rechtferti-gungsgründe geben kann, müssen alle Gesellschaftsmitglieder diegleichen allgemeinen Rechte und Pflichten besitzen. Und daraus folgt,dass die soziale Ordnung das gesellschaftliche Leben vermittels all-gemeiner und unpersönlicher Gesetzesnormen regeln muss, die füralle Mitglieder gleichermaßen gelten. Das schließt rechtliche Diffe-renzierungen, aus denen ungleiche besondere Rechte und Pflichtender Individuen ergeben, keineswegs aus. Aber solche Differenzierun-gen müssen ihrerseits wieder durch allgemeine und unpersönlicheRegeln geschehen, und natürlich sind sie ihrerseits an gute Gründegebunden, denen jedes Gesellschaftsmitglied bei rechter Erwägungzustimmen kann. Damit ist das Fundamant für die Forderung derrechtlichen Gleichheit gelegt.

((34)) Individuelle Freiheiten: Personen besitzen Freiheit, insoweitsie nicht durch soziale Beschränkungen gehindert sind, ihr Lebennach ihrem eigenem Gutdünken zu gestalten, sofern sie wenigstensin einem gewissen Maße über die Mittel zu ihrer Ausübung verfügen.Freiheit in diesem Sinne kann es nur im Rahmen einer sozialen Ord-nung geben, deren Regeln die Freiheit von Individuen gerade da-durch sichern, dass sie anderen den Gebrauch von Gewalt undZwang verbieten und insofern deren Freiheit beschränken. In diesemAllgemeinbegriff von Freiheit sind diverse speziellere Freiheiten ent-halten, die besonders wichtig sind, weil sie grundlegende Interessender Menschen verkörpern und darum auch besonders umkämpftsind: das sind die Grundfreiheiten, wie die Freiheit der Person, dieReligions- und Gewissensfreiheit, die Rede- und Meinungsfreiheit,die Vereins- und Versammlungsfreiheit und andere mehr. Dass dieFreiheit im Allgemeinen und die einzelnen Grundfreiheiten eingrundlegendes gesellschaftliches Gut darstellen, bedarf keiner weite-ren Begründung. Demgemäß muss die soziale Ordnung allen Mit-gliedern gleiche Freiheit und gleiche Grundfreiheiten im weitestge-henden Umfang einräumen, in dem dies im Rahmen eines friedli-chen und allgemein vorteilhaften gesellschaftlichen Lebens möglich

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ist, sofern ungleiche Freiheiten nicht durch allgemein akzeptableGründe gerechtfertigt scheinen.

Gibt es solche Gründe? Anders als bei den allgemeinen Rechtensind sie nicht notwendig ausgeschlossen. Denn es ist ohne weiteresmöglich, ungleiche Freiheiten vermittels allgemeiner und unpersönli-cher Regeln zu etablieren, und es ist zumindest grundsätzlich denk-bar, dass ungleiche Freiheiten zum Vorteil aller gereichen könnten,einschließlich derer, die weniger Freiheiten haben. Aber das ist - voneinigen wenigen Ausnahmen abgesehen - nicht wahrscheinlich. Mankann daher im Allgemeinen wohl annehmen, dass ungleiche Freihei-ten nicht im vernünftigen Interesse derer liegen, die weniger Freihei-ten besitzen und dass sich daher eine Ungleichverteilung der Freiheitnormaler erwachsener Personen nicht rechtfertigen lässt. Davon gibtes aber einige wenige Ausnahmen, die solche Menschen betreffen,die zu einem rechten Gebrauch ihrer Freiheit entweder nicht fähigoder nicht willens sind: das sind einerseits Kinder und geistesgestörteMenschen, denen die erforderlichen Kapazitäten zu einer selbstver-antwortlichen Lebensführung fehlen und darum einer paternalisti-schen Leitung bedürfen; und das sind andererseits schwere Krimi-nelle, die ihre Freiheit dazu missbrauchen, um anderen schlimmesUnrecht zuzufügen, zu dessen Abwehr es gerechtfertigt scheint, ih-nen gewisse Freiheiten zu entziehen. Gleichwohl, im Allgemeinengilt, dass alle Gesellschaftsmitglieder Anspruch auf die gleiche Frei-heit, insbesondere auf gleiche Grundfreiheiten im weitestgehendenUmfang haben, in dem dies im Rahmen eines geordneten undzweckmäßigen Gemeinwesen für alle möglich ist. Damit sind wir beider Forderung der bürgerlichen Freiheit angelangt.

((35)) Politische Teilnahme: Diese besteht in den garantierten Mög-lichkeiten der Gesellschaftsmitglieder, an der kollektiven Meinungs-und Willensbildung über allgemeine gesellschaftliche Angelegenhei-ten, von denen sie betroffen sind, teilzunehmen und darauf Einflusszu nehmen. Allgemeine gesellschaftliche Angelegenheiten sind Fra-gen, die einer kollektiv verbindlichen Regelung bedürfen, weil sie al-le, viele oder wenigstens eine gewisse Zahl der Gesellschaftsmitglie-der in erheblichem Maße tangieren und deshalb nicht einfach demunkoordinierten Handeln der Einzelnen überlassen bleiben können.Solche Angelegenheiten betreffen z.B. die Regeln der sozialen Ord-nung, welche die allgemeinen Rechte und Pflichten der Einzelnen

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bestimmen, aber auch Einzelfragen wie die, ob bestimmte öffentlicheGüter bereitgestellt werden sollen. Die Möglichkeiten der politischenTeilnahme sind den Freiheiten in vielen Hinsichten ähnlich, und mankann sie, wenn man will, auch als einen Teil derselben betrachten.Der Unterschied besteht nur darin, dass die Möglichkeiten der politi-schen Teilnahme es den Einzelnen in der Regel eben nicht freistellen,bestimmte Entscheidungen für sich alleine zu treffen, sondern dasssie an diesen Entscheidungen nur in einem kleineren und größerenMaße mitwirken können. Dessen ungeachtet sind diese Teilnahme-möglichkeiten ein wichtiges gesellschaftliches Gut, weil es ja von ih-nen abhängt, ob und inwieweit die Einzelnen Einfluss auf Entschei-dungen nehmen können, die nicht nur ihre persönlichen Präferen-zen, sondern häufig auch ihre grundlegenden Interessen tangieren.

Für die Verteilung der politischen Teilnahmerechte gelten im We-sentlichen die gleichen Überlegungen wie für die individuellen Frei-heiten: Da es für ihre Ungleichverteilung - abgesehen von einigenwenigen Ausnahmen - zumindest unter normalen sozialen Verhält-nissen keine guten Gründe gibt, müssen alle Gesellschaftsmitgliedergleiche politische Teilnahmerechte besitzen, die es ihnen ermöglichen,sich politisch zu betätigen und an der kollektiven Meinungs- undWillensbildung über allgemeine gesellschaftliche Angelegenheitenteilzunehmen. Damit ist auch die Forderung der demokratischen Be-teiligung fundiert.

((36)) Während die bisher besprochenen gesellschaftlichenGrundgüter allen Gesellschaftsmitgliedern im gleichen Maße zu-kommen müssen, weil es für ihre Ungleichverteilung keine überzeu-genden Gründe gibt, liegen die Dinge bei den in weiterer Folge zu er-örternden Gütern - den sozialen Positionen und den wirtschaftlichenAussichten - anders. Jedenfalls besteht weitgehende Einigkeit dar-über, dass sozio-ökonomische Ungleichheiten, also Ungleichheitender sozialen Positionen und der wirtschaftlichen Aussichten, bis zueinem gewissen Grade zulässig, ja teilweise geboten sind. Zu den Ar-gumentationsformen, die gewöhnlich zur Rechtfertigung solcherUngleichheiten verwendet werden, gehören, soweit ich sehe, vor al-lem die folgenden: das Organisations-, das Leistungs-, das Freiheits-und das Bedürfnisargument.

Das Organisationsargument geht dahin, dass eine effiziente Bewäl-tigung bestimmter Aufgaben ein organisiertes, d.h. zentral geleitetes

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Zusammenwirken von Menschen erfordert, dessen effiziente Gestal-tung seinerseits notwendig gewisse positionelle Ungleichheiten vor-aussetzt, wie z.B. eine staatliche Bürokratie oder ein großes Unter-nehmen. Das Leistungsargument besagt, dass sozio-ökonomische Un-gleichheiten zulässig oder sogar geboten sind, um den ungleichenLeistungen oder Beiträgen der Individuen Rechnung zu tragen, in-soweit diese Leistungen und Beiträge allgemein erwünscht sind.Demgegenüber zielt das Freiheitsargument darauf ab, Ungleichheitenzu rechtfertigen, die sich von selber aus dem freien Handeln derMenschen ergeben, sofern deren Aktivitäten nicht gegen die gleichenRechte anderer verstoßen und annehmbaren Regeln des wechselsei-tigen Verhaltens entsprechen. Und das Bedürfnisargument läuft dar-auf hinaus, dass eine ungleiche Verteilung bestimmter Leistungenoder Güter dann zulässig ist, ja mitunter sogar gefordert ist, wenn siedazu dient, den ungleichen Bedürfnissen von Menschen Rechnungzu tragen, sofern diese Bedürfnisse offensichtlich und dringlich sind.Alle diese Argumente sind mit der Idee moralischer Unparteilichkeitvereinbar und haben zumindest prima facie eine gewisse Plausibili-tät. Ihre Plausibilität erfließt aus einem Grundgedanken, der ihnenzugrunde liegt und auf das erwähnte allgemeine Prinzip sozialerUngleichheit hinausläuft (Koller 1999).

((37)) Soziale Positionen und Chancen: Soziale Positionen sind dierelativ stabilen Rollen und Funktionen, die den einzelnen Menschenim funktionsteiligen Gefüge des gesellschaftlichen Lebens zukommenund ihnen im Verhältnis zueinander jeweils ein gewisses - größeresoder geringeres - Maß an Macht und Einfluss, an sozialer Wertschät-zung und wirtschaftlichen Aussichten vermitteln. Dass soziale Posi-tionen nicht nur grundlegende, sondern auch gesellschaftliche Gütersind, ist evident, weil sie teils in öffentlichen Ämtern und Funktionenbestehen, die der rechtlichen Regelung unmittelbar unterliegen, teilsmit beruflichen Funktionen in den verschiedenen Bereichen des Ge-sellschaftslebens zusammenhängen, die zumindest indirekt durch diesoziale Ordnung mitgestaltet werden. In dem Maße, in dem sich die-se Positionen hinsichtlich der Vorteile oder Nachteile, die sie ihrenInhabern bringen, unterscheiden, bestehen zwischen ihnen mehroder minder große Ungleichheiten. Wenn solche Ungleicheiten exi-stieren, was ja gewöhnlich der Fall ist, muss es im Interesse aller Ge-sellschaftsmitglieder liegen, den Zugang zu jenen Positionen auf eine

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Weise zu regeln, die deren Besetzung mit geeigneten Personen si-cherstellt, aber auch entsprechende Möglichkeiten eröffnet, er-wünschte Positionen zu erlangen. Diese Möglichkeiten, die sozialenChancen, hängen vom Zusammenwirken zweier Faktoren ab, die ge-sellschaftlicher Regelung zugänglich sind: das sind auf der einen Sei-te die Regeln, die den Wettbewerb um die Positionen und die Ausleseihrer Inhaber regulieren, und das sind auf der anderen Seite die sozi-al bedingten Kapazitäten der Individuen, wozu deren Kenntnisseund Fähigkeiten gehören, die sie ihrer Sozialisation, Erziehung undAusbildung verdanken, aber auch ihre ererbten materiellen Mittel,die sie für ihre beruflichen Ambitionen einsetzen können. Soziale Po-sitionen und soziale Chancen hängen also eng zusammen, sind aberverschiedene Güter, deren Verteilung verschiedenen Gesichtspunk-ten unterliegt.

Was die sozialen Positionen angeht, so gibt es zumindest zweiGründe, die Ungleichheiten rechtfertigen können. Erstens brauchtein geordnetes und gedeihliches Zusammenleben großer Menschen-zahlen eine politische Herrschaftsorganisation mit hierarchisch abge-stuften Amtsbefugnissen, mit denen unvermeidlich gewisse Un-gleichheiten der Macht, des Einflusses, des Ansehens und des Ein-kommens einhergehen. Und zweitens erfordern komplexe Arrange-ments der arbeitsteiligen Kooperation, die leistungsfähig sein sollen,eine hinreichende Differenzierung von Rollen und Funktionen, diesich hinsichtlich ihrer Leistungsanforderungen unterscheiden unddarum mit ungleichen Auszahlungen verbunden sein müssen, um siemit den jeweils geeignetsten Personen zu besetzen. Beide Gründemachen plausibel, dass Ungleichheiten der sozialen Position in einemgewissen Ausmaß erforderlich oder unvermeidlich sind, um eine ef-fiziente soziale Ordnung zu gewährleisten, aus der nicht nur die In-haber der privilegierten Positionen, sondern auch die schlechter ge-stellten Mitglieder der Gesellschaft Nutzen ziehen. Solche Ungleich-heiten scheinen daher dann und insoweit gerechtfertigt, wenn sieauch den schlechter gestellten Personen Vorteile bringen.

((38)) Wie aber sieht es mit den sozialen Chancen aus? Auch wennheute weitgehende Einigkeit darüber zu bestehen scheint, dass alleMitglieder gleiche Chancen haben sollen, gehen die Meinungen dar-über, was das bedeutet, weit auseinander. Was also soll soziale Chan-cengleichheit eigentlich heißen? Kann man sich damit zufrieden ge-

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ben, dass von den Positionen grundsätzlich niemand ausgeschlossenist, dass sie also von Rechts wegen jedem offen stehen? Das genügtsicher nicht, weil damit allein nicht einmal ein fairer Wettbewerb umbegehrte Positionen garantiert ist. Nehmen wir also die Forderunghinzu, dass begehrte Positionen im Wege eines fairen Verfahrens be-setzt werden müssen, zu dem jede Person, die gewisse Mindestan-forderungen für die in Betracht stehenden Positionen erfüllt, zuge-lassen ist und in dem die jeweils geeignetste Bewerberin das Rennenmachen muss. Reicht das aus? Wohl ebenfalls nicht, weil auch einsolches Verfahren den Einzelnen noch keinerlei reale Aussichten aufdie guten sozialen Positionen bietet, wenn ihnen die hierzu erforder-lichen materiellen Mittel oder persönlichen Qualifikationen völligfehlen. Bedeutet das, dass alle gleich viel materielle Mittel und gleichgute Qualifikationen besitzen müssen, um gleiche soziale Chancenzu haben? Das anzunehmen, wäre aber kaum sinnvoll, weil dannüberhaupt alle sozialen Unterschiede eingeebnet werden müssten,was nicht nur die Verarmung der Gesellschaft zur Folge hätte, son-dern auch die Chancengleichheit hinfällig machen würde. SozialeChancengleichheit kann darum nicht eine Nivellierung der tatsächli-chen Erfolgswahrscheinlichkeit der Individuen verlangen. Was sieverlangt, ist aber, dass alle nachkommenden Mitglieder der Gesell-schaft eine gleiche Grundausstattung von materiellen Mitteln und Bil-dungsgelegenheiten bekommen, die es ihnen ermöglichen, nach Maß-gabe ihrer jeweiligen Anlagen und Ambitionen das Beste aus sich zumachen.

Diese Deutung sozialer Chancengleichheit ist ziemlich anspruchs-voll und wird daher vielen als übertrieben erscheinen. Und auch ichdenke, dass sie einiger Relativierungen bedarf. Denn es scheint einigeGründe zu geben, die gewisse Ungleichheiten der sozialen Chancenrechtfertigen. Ein Grund betrifft die Grundausstattung mit materiel-len Mitteln, welche die Gesellschaftsmitglieder als Anfangskapital fürihre Daseinsgestaltung bekommen sollen. Müssten alle einen gleichenGrundstock solcher Mittel bekommen, würde man nicht nur das Erb-recht abschaffen, sondern auch unterbinden müssen, dass Eltern dasFortkommen ihrer Kinder durch materielle Hilfen fördern. Das wärenicht vernünftig, weil dann viele Werte nicht mehr entstehen wür-den. Denn wenn die Menschen von dem, was sie durch ihre Leistun-gen schaffen, nichts mehr an ihre Nachkommen weitergeben könn-

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ten, würden viele von ihnen die Leistungen gar nicht mehr erbrin-gen. Dieser Grund mag zwar gewisse Ungleichheiten der individu-ellen Ausgangslagen als zulässig erscheinen lassen, er rechtfertigtaber wohl kaum die enormen Privilegien, welche die bestehendenErbrechtssysteme den Nachkommen vermögender Eltern gegenüberjenen aus ärmeren Verhältnissen verschaffen. Ein zweiter Grund be-trifft die Ungleichheiten der Chancen, die sich aus dem Umstand er-geben, dass Kinder, die in geordneten und gut gestellten familiärenVerhältnissen aufwachsen, in der Regel mehr Förderung erfahrenund ihre Fähigkeiten besser entwickeln können als Kinder, die un-günstige Bedingungen vorfinden. Würde man die Bedingungen füralle gleich machen wollen, müsste man den Eltern jedes Recht an ih-ren Kindern entziehen und deren Erziehung öffentlichen Anstaltenüberantworten. Aber das ist kein guter Vorschlag, weil er nicht nurmit der individuellen Freiheit unvereinbar, sondern nach aller Erfah-rung überdies zum Scheitern verurteilt ist. Aus diesem Grunde ist eszwar vernünftig, die Ungleichheiten der Ausgangslagen, die aus derfamilialen Sozialisation und Erziehung resultieren, in Kauf zu neh-men, umso mehr aber dafür zu sorgen, dass alle Kinder eine gleichgute Schulbildung bekommen und anschließend gleichen Zugang zuweiterführenden Bildungswegen haben. Soviel zur Forderung der so-zialen Chancengleichheit, die eng mit der Forderung der ökonomischenGerechtigkeit zusammenhängt.

((39)) Wirtschaftliche Aussichten: Das sind die Möglichkeiten derMenschen, in den Besitz ökonomischer Mittel zu gelangen, also dermateriellen und immateriellen Mittel, die sie in die Lage versetzen,ihr Überleben zu sichern und ein mehr oder minder gutes Auskom-men zu finden. Zu diesen Mitteln gehören zwei Arten von Dingen,die stets zusammenspielen: zum einen gewisse materielle Gegenständeder äußeren Umwelt, die als Konsum- oder als Produktionsgüterverwendet werden können, wie Land, Naturressourcen, menschlicheErzeugnisse, Vermögen, Einkommen; zum anderen aber auch dieimmateriellen Kapazitäten der Menschen, also deren Fertigkeiten,Kenntnisse und Qualifikationen, die sie befähigen, durch die Bearbei-tung materieller Dinge jene Güter zu schaffen, die sie zum Überlebenbenötigen und ihnen mehr oder weniger Wohlstand bringen. Es istoffensichtlich, dass der Besitz solcher Mittel nicht nur im grundle-genden Interesse der Menschen liegt, sondern dass ihre Verteilung

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zwar nicht ausschließlich, aber doch in einem erheblichen Maße vonder Gestaltung der sozialen Ordnung abhängt und damit gesell-schaftlicher Regelung unterliegt. Infolgedessen sind die wirtschaftli-chen Aussichten sicher ein gesellschaftliches Grundgut. Nicht so klarist allerdings, worin dieses Grundgut eigentlich genau besteht, d.h.welche Dinge oder Sachverhalte den Inhalt der ökonomischen Aus-sichten darstellen, die im grundlegenden Interesse jedes Menschenliegen und darum einer gerechten Regelung bedürfen.

Prima facie scheinen sich die folgenden Optionen anzubieten, diein der jüngst geführten „Equality-of-what?“-Debatte in Betrachtstanden: 1. das Wohlergehen der Menschen im Sinne ihres subjekti-ven Befindens, 2. die Gesamtmenge der ökonomischen Güter, die siejeweils besitzen, 3. eine gewisse Grundausstattung materieller Res-sourcen, die sie unabhängig von ihren Leistungen sozusagen alsStartkapital bekommen, und 4. die Vermittlung entsprechender per-sönlicher Fähigkeiten, die ihnen eine erfolgreiche Existenzbewälti-gung ermöglichen. Ich halte keine dieser Optionen für völlig über-zeugend. Die beiden ersten Optionen können im Lichte der vorange-henden Ausführungen schnell ausgeschieden werden. Denn da un-ter einer unparteiischen moralischen Perspektive weder die idiosyn-kratischen Präferenzen der Individuen, noch alle zufälligen undflüchtigen Einzelergebnisse ihres Handelns in Betracht gezogen wer-den können, kann es bei den wirtschaftlichen Aussichten weder umdie Gesamtheit aller Einzeldinge, denen Menschen einen Wert bei-messen, noch um deren subjektives Wohlbefinden gehen. Viel inter-essanter sind die beiden letzten Optionen, weil jede von ihnen einhohes Maß an Plausibiltät hat. Dennoch scheint mir keine das Zielganz zu treffen.

Die vor allem von Ronald Dworkin (2000, 65 ff) vertretene Auf-fassung, es komme auf die anfängliche Ausstattung mit materiellenRessourcen an, ergibt deshalb keine zureichende Interpretation derökonomischen Aussichten, weil sie nicht nur die persönlichen Fähig-keiten der Individuen außer Betracht lässt, sondern auch den Kon-tingenzen des Marktprozesses, in dessen Rahmen die Individuenüber diese Ressourcen nach Gutdünken verfügen können, keinerleiBeachtung schenkt. Umgekehrt ergibt aber auch die von Amarty Sen(1993) forcierte Idee, es komme auf die persönlichen Kapazitäten derindividuellen Existenzbewältigung an, ihrerseits keine hinreichende

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Vorstellung der wirtschaftlichen Aussichten, weil sie in den gegen-teiligen Fehler verfällt: sie vernachlässigt die Wichtigkeit der materi-ellen Ressourcen und hilft auch nicht weiter, wenn die Eigendyna-mik des Marktes zu erheblichen sozialen Verwerfungen führt. Ichdenke aber, dass man zu einer brauchbaren Deutung der wirtschaft-lichen Aussichten kommt, wenn man die beiden Aspekte, die materi-ellen Ressourcen und die persönlichen Kapazitäten, zusammenführtund sie auf eine etwas konkretere Ebene stellt.

((40)) Gehen wir davon aus, dass alle Gesellschaftsmitglieder jederGeneration zunächst eine gleiche Grundausstattung materieller Res-sourcen und persönlicher Entwicklungsmöglichkeiten bekommen,die es ihnen ermöglichen, ihr Überlegen zu sichern und mit etwasVerstand und Glück ein einigermaßen gutes Fortkommen zu finden.In einer traditionellen, aus lauter selbstversorgenden und unabhän-gigen Produktionseinheiten bestehenden Gesellschaft müsste das imGroßen und Ganzen genügen, um allen ein angemessenes Ausmaßan wirtschaftlichen Aussichten zu verschaffen. Eine andere als diesich von selber ergebende Verteilung der Erträge, die einzelnen Ein-heiten erwirtschaften, wäre kaum angebracht. Nur dann, wenn eineEinheit in eine schlimme Notlage gerät, wären die anderen Einheitenwohl zu gewissen Hilfeleistungen verpflichtet. Das ist in einer ent-wickelten, arbeitsteilig stark differenzierten Gesellschaft anders: hierwirken die Aktivitäten aller stets zusammen, und jeder Einzelne istvon den anderen abhängig. Unter diesen Bedingungen ergeben sichdie wirtschaftlichen Aussichten der Individuen offenbar aus allen je-nen gesellschaftlichen Faktoren, die sie in die Lage versetzen, ein re-gelmäßiges Einkommen zu erzielen, von dem sie leben können undvon dem sie natürlich gewöhnlich lieber mehr als weniger bekom-men wollen.

Zu diesen Faktoren gehören jedenfalls die folgenden: Zugang zumErwerb der für den wirtschaftlichen Erfolg maßgeblichen Fähigkeitenund Qualifikationen, Kapitalvermögen, Erwerbstätigkeit, Lohnarbeit,Anspruch auf Transferleistungen in Fällen der Selbstversorgungsun-fähigkeit und Anspruch auf Unterstützung in Fällen besonderer Not,wie Krankheit oder Pflegebedürftigkeit. Diese Faktoren machen zu-sammen das aus, was ich unter wirtschaftlichen Aussichten verstehe,die der Verteilungsgerechtigkeit unterliegen und daher allen Mitglie-dern im gleichen Maße zukommen sollen, sofern nicht gute Gründe

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für Ungleichheiten bestehen. Da die Faktoren erst in ihrer Gesamt-heit die wirtschaftlichen Aussichten bilden, bieten sie freilich keinenleicht anwendbaren Parameter. Aber vielleicht ist es zulässig, die tat-sächlichen Einkommen der Gesellschaftsmitglieder als einen behelfs-mäßigen, wenn auch nicht immer ganz verlässlichen Indikator fürdiese Aussichten zu verwenden (van Parijs 1995).

((41)) Ebenso wie schon bei den sozialen Positionen gibt es auchbei wirtschaftlichen Ausichten mehrere Gründe, die gewisse Un-gleichheiten als akzeptabel erscheinen lassen. Erstens scheinen man-che Ungleichheiten deswegen annehmbar, weil sie die Leistungsmoti-vation der Menschen stimulieren und dazu beitragen, die sozialeWertschöpfung zu steigern, sofern die erzielten Ertragszuwächse al-len Beteiligten, insbesondere auch den schlechter gestellten, zugutekommen. Zweitens erscheinen gewisse Ungleichheiten auch dann alslegitim, wenn sie sich unvermeidlich aus individuellen Freiheiten undRechten ergeben, die erforderlich sind, um allen Beteiligten entspre-chende Möglichkeiten zu einer selbstbestimmten Lebensgestaltung zueröffnen oder eine effiziente Wirtschaftsordnung zum Vorteil aller zugewährleisten, wie z.B. relativ stabile Eigentumsrechte. Und schließ-lich scheinen Ungleichheiten der wirtschaftlichen Güterverteilungaus unparteiischer Sicht auch dann zulässig oder vielmehr sogar ge-fordert, wenn sie dazu dienen, um jenen Menschen, die infolge per-sönlicher Gebrechen oder widriger gesellschaftlicher Umstände nichtaus eigener Kraft in der Lage sind, sich die nötigen Mittel für ihrÜberleben und Wohlergehen zu besorgen, eine den gesellschaftlichenVerhältnissen angemessene Existenz zu ermöglichen. Welches Ausmaßan wirtschaftlichen Ungleichheiten kann mit diesen Gründen ge-rechtfertigt werden?

Da wirtschaftliche Ressourcen nicht wie Manna vom Himmel fal-len, sondern erst durch menschliche Anstrengung und Erfindungs-kraft geschaffen werden, wird jedes einigermaßen leistungsfähigeWirtschaftssystem hinreichende Anreize bieten müssen, welche dieMenschen veranlassen, nach ihren Kräften zur wirtschaftlichen Zu-sammenarbeit beizutragen. Und das beste Mittel hierzu ist offenbar,den Anteil der Individuen an den Ergebnissen dieser Zusammenar-beit vom Wert ihrer Beiträge abhängig zu machen. Das kann aufzwei Weisen geschehen: einmal durch private Eigentumsrechte, die ei-nen exklusiven Anspruch auf jene Dinge verleihen, die man durch

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eigene Arbeit geschaffen oder durch vertragliche Transaktionen er-worben hat, und zum anderen durch ein differenziertes Entlohnungs-system, das den Leistungen und Bemühungen der Individuen Rech-nung trägt.

Beide Weisen machen erhebliche Ungleichheiten möglich, derenGrenzen aber jedenfalls bereits überschritten sind, wenn sich diewirtschaftlichen Aussichten der schlechter gestellten Personen trotzsteigender gesellschaftlicher Produktivität nicht nur nicht verbessern,sondern sogar noch verschlechtern. Sofern man das Differenzprinzipals Rechtfertigungsprinzip für soziale Ungleichheiten akzeptiert, er-geben sich noch etwas strengere Anforderungen an eine gerechteVerteilung der wirtschaftlichen Aussichten: Dann sind Ungleichhei-ten dieser Aussichten nur insoweit zulässig, soweit sie notwendigsind, um den jeweils schlechter gestellten Mitgliedern - verglichen miteiner gleichmäßigeren Verteilung dieser Aussichten - die jeweilsbestmöglichen Aussichten zu bieten; oder andersherum formuliert: so-weit es nicht möglich ist, eine Umverteilung von oben nach untenvorzunehmen, die die Aussichten der jeweils schlechter gestelltenMitglieder nachhaltig verbessern würde. Soviel zur Forderung derwirtschaftlichen Gerechtigkeit, die damit meines Erachtens nicht nureine zureichende Fundierung, sondern auch eine Präzisierung erfah-ren hat.

Damit bin ich mit meinem Durchgang durch das mitunter etwasunübersichtliche Terrain der sozialen Gerechtigkeit fast am Ende. Diegenannten Forderungen, die den zentralen Kern der heute vorherr-schenden und nach meinem Dafürhalten auch begründeten Vor-stellung sozialer Gerechtigkeit bilden, bleiben freilich immer nochziemlich vage und abstrakt. Auch bilden sie keine festgefügte Rang-ordnung. Zwischen ihnen bestehen vielfältige Wechselbeziehungen,die in manchen Fällen auch zu Kollisionen führen können, bei denensie unter Berücksichtigung des Gewichts, das ihnen im vorliegendenFall zukommt, gegeneinander abgewogen werden müssen. Was die-ses Gewicht betrifft, so kann man im Allgemeinen vielleicht sagen,dass die jeweils vorangehenden Forderungen schwerer wiegen alsjeweils nachfolgenden.

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Ausblick((42)) Die Idee der sozialen Gerechtigkeit, so wie sie heute in denwestlichen Gesellschaften weithin verstanden wird, hat sich zeit-gleich mit der Herausbildung der modernen Gesellschaft und ihrerpolitischen Verfassung entwickelt, die vom Absolutismus zum de-mokratischen Wohlfahrtsstaat führt. Die Forderungen der rechtli-chen Gleichheit, der bürgerlichen Freiheit und zum Teil auch die derdemokratischen Beteiligung reflektieren die Ziele der bürgerlichenEmanzipationsbewegung. Durchgesetzt wurde die Forderung derdemokratischen Beteiligung, jedenfalls in Europa, freilich erst durchdie soziale Bewegung, die überdies die Forderungen nach sozialerChancengleichheit und wirtschaftlicher Gerechtigkeit auf ihre Fah-nen schrieb. Die Vorstellung der sozialen Gerechtigkeit, die sich dar-aus ergeben hat, ist auf die Form der sozialen und politischen Ver-gemeinschaftung zugeschnitten, die in den neuzeitlichen Gesellschaf-ten bzw. Nationalstaaten in Erscheinung treten. Diese Gesellschaftenbzw. Staaten waren relativ kompakte, in sich einigermaßen geschlos-sene und recht straff organisierte Gemeinwesen, deren Herrschafts-apparate das soziale Leben im jeweiligen Staatsgebiet umfassend re-gulieren und flächendeckend kontrollieren konnten und sich keineEinmischung von außen gefallen ließen. Doch die Zeiten ändern sich.Die nationalstaatlich verfassten Gesellschaften sind in Erosion begrif-fen, weil sie von einem sich zunehmend verdichtenden Netzwerkvon internationalen, ja globalen Interdependenzen überlagert wer-den, die so gut wie alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens erfas-sen.

Daraus ergeben sich vom Standpunkt der Gerechtigkeit zwei rela-tiv neue Probleme: erstens das Problem der internationalen bzw. derglobalen Gerechtigkeit. Denn in dem Maße, in dem sich die interna-tionalen und globalen Beziehungen verdichten, erhebt sich auch fürdie Gestaltung dieser Beziehungen wachsender Bedarf nach Grund-sätzen der Moral und der Gerechtigkeit, die von allen Beteiligten ak-zeptiert werden können. Doch ebenso wie die internationalen undglobalen Beziehungen die sozialen Verhältnisse der Einzelgesellschaf-ten tangieren, lassen auch die Grundsätze der internationalen undglobalen Ordnung die domestischen Vorstellungen der sozialen Ge-rechtigkeit nicht unberührt. Und daraus erfließt ein zweites Problem:das Problem, globale und soziale Gerechtigkeit miteinander in Ein-

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klang zu bringen. In diesem Zusammenhang stellt sich z.B. die Frage,welche Pflichten eine Gesellschaft gegenüber fremden Menschen hat,die in ihr Aufnahme suchen, oder gegenüber jenen, die bereits Auf-nahme gefunden haben, aber noch keinen Bürgerstatus besitzen.Beide Probleme stellen uns zwar vor viele schwierige Fragen, die ei-ner eingehenden Diskussion bedürfen, sie machen aber die Idee dersozialen Gerechtigkeit weder obsolet noch entbehrlich.

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o.Univ.-Prof. DDr. Peter KollerKarl-Franzens-Universität Graz

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